Abandoned von Lyessa ================================================================================ Kapitel 1: Friends ------------------ Sanfter Sonnenschein hüllte den jungen Mann ein, als er aus dem Schatten des Waldes auf den neben diesem verlaufenden Weg trat. Kurz schloss er zufrieden die Augen und genoss das wärmende Prickeln auf seinem Gesicht. Die ganze Nacht war er unterwegs gewesen und hatte erst in der Dämmerung den Wald erreicht. Inzwischen war es später Vormittag und er hatte ihn endlich durchquert und konnte seine Reise im warmen Sonnenlicht weiterführen. Er trug einen grauen Umhang über einer einfachen Wanderkleidung, das rechte seiner grünen Augen war von braunen Haaren, die ihm bis ans Kinn reichten, verdeckt. Langsam setzte er seinen Weg fort und folgte der Straße in Richtung Norden. Wenn er sich beeilte, konnte er noch vor Einbruch der Dunkelheit die nächste Stadt erreichen. Dort hatte er vor, die Nacht zu verbringen, um dann am nächsten Morgen so früh wie möglich wieder aufzubrechen. Doch zuerst galt es, ein schönes Stück Weg hinter sich zu bringen. Entschlossen setzte er einen Fuß vor den anderen und ließ seinen Blick über die ländliche Idylle schweifen. Zu seiner Linken bot sich weiterhin Wald dar, während sich zu seiner Rechten ein Feld nach dem anderen erstreckte. Als nach einiger Zeit hinter ihm näherkommende Hufschläge erklangen, widerstand er der Versuchung, sich umzudrehen. Die einzigen Leute, denen es erlaubt war, auf Pferden zu reiten, waren entweder hohe Regierungsbeamte oder deren Soldaten. Mit keinem von ihnen wollte er sich zu diesem Zeitpunkt anlegen und so ignorierte er nach Außen hin weiterhin beharrlich die sich nähernden Reiter. In Gedanken aber schätzte er die Lage ab. Den Geräuschen nach zu urteilen kamen mehr als ein Dutzend Pferde, was bedeutete, dass sich wohl Soldaten näherten. Diese ritten bis auf gleiche Höhe heran und einer versperrte ihm den Weg. Innerlich resigniert seufzend stoppte der junge Mann und hielt seinen Blick gesenkt, beobachtete aber aus den Augenwinkeln die ihn umgebenden Reiter, von denen sich nun einer - augenscheinlich ein Feldwebel - zu ihm herabbeugte. "Nun", begann er gedehnt und schien die Situation auszukosten. "Was haben wir denn hier?" "Nur einen einfachen Wanderer" Nur mühsam konnte er die in sich aufkeimende Abneigung gegen den Feldwebel unterdrücken, der sich scheinbar alle Mühe gab, jedem Klischee zu entsprechen. "Wohin wanderst du denn?" "Teheron" "Soso. Und was willst du dort?" "Eine Unterkunft für die Nacht" "Sonst nichts?" "Nein, weshalb fragt Ihr?" "Weißt du, es sind derzeit viele Räuber unterwegs. Ich wollte nur sicher gehen, dass du keiner von ihnen bist. Du hast also nicht vor, Teheron heute Nacht auszurauben? Sehr gut." Der Feldwebel stieß ein lautes Lachen aus und seine Männer stimmten folgsam mit ein. Dann beugte er sich weiter herab und musterte den Wanderer aufmerksam. "Ich werde mir trotzdem dein Gesicht merken - nur für den Fall. Wie heißt du?" "Varis. Varis Namreth" "Sollte in Teheron heute Nacht doch etwas geschehen, wissen wir ja, wer Schuld hat. Also halte dich zurück." Abermals in Gelächter ausbrechend trieb er sein Pferd an und die übrigen Soldaten folgten ihm. Angewidert verzog Varis das Gesicht und blickte ihnen grimmig nach. Wie konnte jemand mit so wenig Verstand und dem Humor einer zertretenen Küchenschabe zum Feldwebel aufsteigen? Resignierend den kopf schüttelnd setzte auch er seinen Weg fort und hoffte inständig, dem Feldwebel nicht noch einmal begegnen zu müssen. Schließlich zuckte er mit den Schultern, schloss die Augen und konzentrierte sich auf die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Die Aversion gegen den Feldwebel verschwand immer mehr und wich der gewohnten Gelassenheit. Tief durchatmend öffnete er die Augen wieder und ließ seinen Blick abermals über die sich unverändert hinziehende Landschaft schweifen, während er automatisch einen Fuß vor den anderen setzte. Es war schade, mitansehen zu müssen, wie dieses wunderschöne Reich von seinen Herrschern immer weiter hinabgezogen wurde- Angefangen bei jenen Soldaten, die für die öffentliche Sicherheit zuständig sein sollten, diesen Begriff aber sehr willkürlich auslegten, über die riesigen unnötigen Bauprojekte, denen eine Vielzahl an bislang unberührten Naturräumen zum Opfer fielen, bis hin zu den Herrschern selbst, die allesamt aus den obersten Priestern bestanden und an Korruption und Vetternwirtschaft kaum noch zu überbieten waren. Ihr Oberhaupt, der Hohepriester Vandros, war der wohl mächtigste Mann des Reiches und nutzte seine Position zur Genüge aus. Immer wieder fragte sich Varis, wie jemals Priester an die Macht hatten kommen können. Doch schon seit vielen Jahrhunderten standen sie an der Spitze, führten das Reich und bestimmten das Leben seiner Bürger. Welche verzweifelte Lage die Bewohner Narvons auch damals dazu getrieben hatte, sich so willenlos in die Willkür einiger religiöser Fanatiker zu begeben war längst vergessen und spielte wohl für die meisten keine Rolle mehr. Inzwischen waren die Priester auch längst keine Diener Gottes mehr, obwohl sie das weiterhin von sich behaupteten. Auch routiniert ausgeführte Rituale und ständige Berufung auf den Willen Gottes konnte sie in Varis Augen nicht als Gläubige auszeichnen. Sie waren doch nur Priester geworden um an die Macht zu kommen, weiter nichts. Glaube spielte bei ihrer Religion längst keine Rolle mehr und das Volk folgte ihrem Beispiel, glaubte nur noch aus reiner Gewohnheit an Gott. Varis selbst zweifelte sehr an der Religion - sowohl an der heutigen, als auch an der ursprünglichen. Weder glaubte er an Gott noch an irgendeinen Sinn und Zweck der Religion - außer der Manipulation und Steuerung der Massen. Kritisch verfolgte er alle religiösen Handlungen, behielt dabei seine Beobachtungen und zynischen Kommentare für sich, denn Kritiker wurden vehement verfolgt und bestraft. Kein Wunder, waren doch sogenannte Gläubige an der Macht - und wollten sie auch behalten! So half nur, seine Meinung nicht laut zu äußern und die vielzitierte gute Miene zum bösen Spiel zu machen, auch wenn es regelmäßig die Geduld auf eine reichlich harte Probe stellte. Doch Varis hatte es sich angewöhnt, allem "Religiösen" mit einer großen Portion Ironie zu begegnen und machte sich oft insgeheim über all die selbst deklarierten Gläubigen lustig. Trotzdem bewahrte ihn diese Haltung nicht vor der verbittert getroffenen Erkenntnis, dass Narvon wohl nie den nötigen Schritt weg von der alles beherrschenden Religion schaffen würde und so musste er weiterhin mitansehen, wie die Leute ihr Leben nach dem Willen der Priester ausrichteten. Aufseufzend trat er einen Stein aus dem Weg und beobachtete, wie er neben der Straße zwischen den Grashalmen verschwand. Als sein Blick wieder nach vorne schwenkte, zeigte sich am Horizonth der vage Umriss Teherons. Den Schritt beschleunigend folgte er weiter der Straße, die genau auf den entfernten dunklen Fleck zuhielt. Zuversichtlich, die Stadt noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen, summte er leise vor sich hin. Pünktlich zur Dämmerung stand Varis dann auch tatsächlich vor den breiten Toren Teherons, die noch weit geöffnet waren. Den an der Mauer lehnenden Wächtern einen kurzen Gruß zunickend schritt er durch das Tor und folgte der Straße. Je weiter er in die Stadtmitte vordrang, umso mehr Menschen kreuzten seinen Weg. Schließlich im Zentrum auf dem noch unter regem Betrieb stehenden Marktplatz angekommen, wandte er sich zu einer schmalen Seitengasse, in der ein bereits hell erleuchtetes Wirtshaus gegen die langsam aufkeimende Nacht aufbegehrte. Varis öffnete die Tür und trat in den gut besuchten Schankraum. Viele Blicke hefteten sich auf den Neuankömmling und verfolgten ihn auf seinem Gang zum Tresen. Dort setzte er sich auf einen der abgenutzt wirkenden Hocker und wartete. Schließlich drehte sich der hochgewachsene, breitschultrige Wirt zu ihm um und hätte um ein Haar das Glas fallen gelassen, das er gerade mit einem nicht mehr ganz sauberen Lappen putzte. "Varis", begann er und sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln, während er hastig das Glas samt Lappen beiseite stellte. "Was machst du denn hier?" "Ich bin auf der Durchreise" "Wieder ein neuer Auftrag?" Varis nickte knapp und blickte sich aus den Augenwinkeln im Raum um. Anscheinend hatten alle ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre eigenen Dinge gelenkt und niemand schien ihm mehr als nur einen beiläufigen Blick zu schenken. "Ich brauche eine Unterkunft für die Nacht, Kheros." "Und da kommst du alter Schmarotzer schnurstracks zu mir?" Lachend füllte er einen Krug und stellte ihn vor Varis ab. "Natürlich" Er bedankte sich mit einem kurzen Nicken. "Wie die letzten Male eben auch." "Das kommt davon, wenn man sich ohne es zu wissen so einen Parasiten wie dich aufhalst. Hätte ich das vorher gewusst, wären wir zwei nie Freunde geworden. Aber was heißt da überhaupt Freunde? Man schnorrt sich nicht bei seinen Freunden durch!" Grinsend ließ Varis den kleinen Vortrag über sich ergehen und nahm einen tiefen Schluck. Er hatte diese Litanei schon so oft gehört und sie war inzwischen zu einer Art Begrüßungsritual zwischen ihnen geworden. "Ich habe noch zu tun, aber du kannst gerne jederzeit nach oben gehen und das Gästezimmer belegen. Den Weg kennst du ja inzwischen. Nur erschreck bitte meine Schwester nicht, sie ist krank und liegt in meinem Zimmer. Am besten ist, wenn sie gar nicht erst mitbekommt, dass du schon wieder da bist. Sie konnte dich armen Bettler noch nie leiden." Zur Bestätigung nickend nahm Varis noch einen Schluck und setzte dann seine aus den Augenwinkeln geführte Beobachtung der anderen Gäste fort. "Weißt du", begann Kheros und fixierte seinen Freund. "Manchmal wünschte ich wirklich, du wärst nicht immer so einsilbig." Eine Augenbraue hochziehend schüttelte er schließlich den von kurzen, bereits langsam grau werden Haaren eingerahmten Kopf und zuckte ergeben mit den Schultern. "Aber das würde dann gar nicht mehr zu dir passen." "Eben" "Da, schon wieder. Also ein wenig Mühe könntest du dir schon geben." "Hast du keine anderen Gäste, denen du auf die Nerven gehen kannst?" "Für jemanden, der sich hier durchschnorren will, riskierst du eine ganz schön dicke Lippe, mein Freund. Pass bloß auf, sonst sitzt du schneller wieder auf der Straße, als du mich beleidigen kannst!", drohte Kheros und nahm Glas und Lappen wieder zur Hand. Dann lachte er plötzlich herzhaft und zwinkerte Varis zu, bevor er sich abwandte, um den Tresen herumging und auf einen Tisch in der Ecke zusteuerte. Varis lächelte in sich hinein und leerte den Krug, schob seinen Stuhl zurück und erhob sich, noch einen Blick auf Kheros breiten Rücken werfend. Er hielt auf eine Tür neben dem Tresen zu, öffnete sie und stieg das dahintergelegene hölzerne Treppenhaus hinauf, das wegen fehlender Fenster vollkommen im Dunkeln lag. Doch Varis war diese Treppe schon oft genug emporgestiegen, so übersprang er auch einige Stufen, von denen er aus Erfahrung wusste, dass sie besonders besorgniserregend knarrten und kam schließlich am oberen Ende der Treppe an. Die Tür zu Kheros Wohnung war nur angelehnt und er drückte sie langsam auf, zog dabei seine Schuhe aus und betrat anschließend das Heim seines Freundes. "Kheros? Bist du das?", rief eine heisere Stimme aus dem Raum rechts von Varis, der erschrocken inne hielt. Die Tür war angelehnt und durch den schmalen Spalt fiel ein Streifen Licht in den Flur. "Kheros?", wiederholte die eindeutig weibliche Stimme unsicher. Varis warf einen kurzen Blick durch den Spalt und sah eine blasse Frau um die vierzig, die auf einem Bett lag und die Decke verkrampft an sich gepresst hatte, einen dünnen Schweißfilm auf der Stirn. Ihre fiebrig glänzenden Augen waren starr auf die Wand gerichtet, während sie angestrengt lauschte. Kheros Schwester - Varis hätte sie beinahe vergessen. So schlich er leise weiter und betrat den letzten Raum rechts, schloss dann so lautlos wie möglich die Tür und blickte sich im Zimmer um, das nur von dem durch ein Fenster einfallenden Mondlicht schwach erhellt wurde. Die spärliche Einrichtung war komplett aus Holz gehalten, vom kleinen Schrank über Tisch und Stuhl bis hin zum frisch bezogenen Bett. Auf letzteres steuerte Varis nun zu, streifte auf halbem Wege seinen Umhang ab und legte ihn über die Stuhllehne. Dann setzte er sich auf das Bett und ließ seinen Blick über die Schatten gleiten. Hier war er nun also wieder, wie immer auf der Durchreise und nur für eine Nacht. Er wäre jedes Mal gerne wenigstens für ein paar Tage geblieben, doch bei keiner Gelegenheit hatte er genügend Zeit gehabt. Seufzend stand Varis wieder auf und trat an das Fenster heran. Leider ließ ihm sein Beruf keine Zeit für Freunde und so war es ihm umso verwunderlicher, dass er doch einen hatte. Natürlich, er hatte einige Bekannte, die ihm hin und wieder behilflich waren, doch Kheros schien sich als einziger über jeden seiner Besuche zu freuen. Leicht lächelnd striffen Varis Augen über die nächtlichen Dächer Teherons. Wenn er irgendwo eine Heimat hatte, dann hier - in dieser Stadt, in diesem Zimmer. Hier konnte er sich entspannen und fühlte sich sicher, auch wenn er genau wusste, dass er hier so wenig sicher war wie an jedem anderen Ort. Einen weiteren Seufzer ausstoßend wandte er sich vom Fenster ab und schritt langsam auf das Bett zu. Die Arme hinter seinem Kopf verschränkend legte er sich auf die Decke und betrachtete die durch die spärliche Beleuchtung entstehenden Schattenmuster an der Zimmerdecke. Bisher hatte er noch keinen Gedanken daran verschwenden müssen, wie er weiter vorgehen wollte, sobald er erst einmal in der Nähe seines Ziels war. Doch nun war er nahe genug heran, dass es Zeit wurde, sich das ganze doch durch den Kopf gehen zu lassen. Noch etwa ein Tagesmarsch trennte ihn davon, obwohl er nur vage wusste, wo es sich überhaupt befand. Vielleicht konnte Kheros ihm weiterhelfen, immerhin kannte er sich in dieser Gegend aus. Nun nahm er langsam die gedämpft heraufdringenden Geräusche des Gasthauses wahr. Vor dieser bereits von vergangenen Besuchen wohlbekannten Geräuschkulisse schloss Varis zurfrieden die Augen, seinen Auftrag und all jene Dinge vergessend, die sonst Nacht für Nacht auf ihn eindrangen und wenige Augenblicke später war er bereits in tiefen Schlaf gesunken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)