Böses Erwachen
38. Robin Böses Erwachen
"Guten Morgen, Sanji." Aber obwohl mir der junge Koch eine Antwort schuldig bleibt, weil er wohl einfach zu sehr in seine Arbeit vertieft ist, betrete ich die Küche. "Hast du Zorro gesehen? Sag nicht, daß er bei diesem Wetter tauchen gegangen ist, dafür ist es viel zu kalt." frage ich ihn, aber wieder keine Reaktion. Was ist nur heute mit der Crew los? Ruffy hat auch nicht auf mein Rufen reagiert, sondern nur stumm auf seinem Lammkopf vor sich hingestarrt, als gäbe es nichts spannenderes als die feinen Risse im Holz der Reling. Lysop und Kaya wollte ich nicht stören, wie sie so dicht beieinander auf dem Hinterdeck standen, schließlich sehen sie sich nicht allzu oft. Und der Rest? Ich hatte gehofft, daß das erste was ich sehen würde, sobald ich wieder aus meinem Trancezustand erwache, Zorro sein würde, wie er mich anlächelt, so wie nur er es kann. Aber statt dessen lag ich allein in meiner Kammer, hörte außer dem gleichmäßigen Rauschen des Meeres nichts, was auf einen dieser Vormittage schließen ließ, die mit einem fröhlichen Kampf ums Frühstück beginnen.
Ich trete näher an Sanji heran, stelle mich direkt neben ihn und betrachte für einen kurzen Moment die vielen Pfannen und Töpfe, in denen er für Ruffy die morgendliche Riesenration zubereitet. Aber erst als ich ihm die Hand auf die Schulter lege, bemerkt er mich. "Warum bist du denn nicht im Bett?" "Ja, ich wünsche dir ebenfalls einen schönen guten Morgen." "Entschuldige." Er umarmt mich kurz und drückt mir einen kleinen Kuß auf die Stirn. "Dennoch solltest du dich wieder hinlegen, bis du ganz gesund bist." "Ich fühle mich aber gut. Außerdem habe ich Hunger." "Kannst du deine Teufelskräfte benutzen?" "Warum denn auch nicht? Trois fleurs." Nichts. Seltsam.... "Siehst du. Außerdem weißt du doch genau, wie teuer Medikamente sein können, deshalb sollte ihre Wirkung nicht durch leichtfertiges Verhalten zunichte gemacht werden." "Tut mir leid, das war nicht meine Absicht." "Ich weiß, aber jetzt geh bitte in dein Zimmer, ich bringe dir auch gleich was zu essen." Und damit scheint für ihn das Thema erledigt zu sein.
Ob heute alle notorisch mit dem falschen Fuß aufgestanden sind? Egal. Ich laufe also wie befohlen zurück in mein Kämmerchen, schließe die Tür und kuschle mich unter die Decke. Jetzt, wo ich wieder hier im Warmen bin, merke ich erst, wie kalt es doch an Deck war. Und eigentlich soll Frühstück im Bett ja durchaus seinen Reiz haben, aber allein? Na ja, vielleicht schickt mir Sanji auch Zorro als Butler vorbei, schließlich weiß er doch, wie sehr ich mich darüber freuen würde.
Ein kurzes Klopfen an meiner Tür holt mich aus meinem Gedankengang, ebenso Sanji's zermürbter Gesichtsausdruck, als er nach meinem: "Herein!" mein Zimmer betritt. Wortlos reicht er mir Besteck und einen Teller mit Essen, ehe er sich auf dem kleinen Holzstuhl niederläßt, der mir normalerweise als Klamottenablage dient. Langsam beginne ich mit meinem Frühstück, vergesse dabei aber nicht ein lobendes Wort an den Koch zu verlieren. Noch während ich die Mahlzeit zu mir nehme, wird mir bewußt, wie fertig mein Gegenüber doch wirkt, irgendwie müde und abgespannt. Ich fühle mich schuldig, bin ich daran bestimmt aufgrund meiner Verletzung nicht ganz unschuldig.
"Wie teuer war die Medizin?" frage ich endlich, halte ich das Schweigen einfach nicht mehr aus. Sanji mustert mich kurz, dreht dann aber seinen Kopf leicht zur Seite, um mich wohl nicht direkt ansehen zu müssen. Habe ich etwas angestellt? Etwas, wofür ich mich entschuldigen müßte? Ich weiß es nicht, aber ich bemühe mich aus seinem Verhalten zu lesen, um meinem Gedächtnis selbst ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Aber was ich sehe, verwirrt mich. Seine Hände zittern leicht, als leide er unter Nikotinentzug, obwohl ich den Gestank nach Rauch, der ihn umgibt, riechen kann. Zudem ist seine Krawatte ganz schief, überhaupt wirkt er unordentlich gekleidet, was nicht zu seiner sonstigen Art paßt.
"Sag," fordere ich ihn erneut auf, auch wenn ich jetzt schon weiß, daß die Kosten für das Medikament bestimmt ein großes Loch in unsere Kasse gerissen haben. Shit! Wo sollen wir nur immer das Geld herbekommen, um unsere Grundbedürfnisse decken zu können? "Zu hoch...ein zu hoher Preis...." stammelt er leise, schüttelt dabei den Kopf, als könne er es selbst nicht glauben. "Verschweigst du mir etwas?" Gespannt sehe ich ihn an, erkenne einen Anflug von Traurigkeit, die sich in sein Antlitz stiehlt, die er aber mit Macht unter Kontrolle hält. "Sanji, bitte erzähl es mir. Was mußten wir hergeben, um das Arzneimittel bezahlen zu können? Das ganze Geld?"
Ein lauter Seufzer ist von ihm zu hören, erst dann sieht er mich an, greift nach meiner Hand und antwortet mit heiserer Stimme: "Deinen...wertvollsten Schatz." "Meinen...? Was soll das sein?" Sanji nimmt mir den noch nicht ganz leeren Teller aus der Hand, stellt ihn auf den Nachttisch, ehe er sich zu mir auf die Matratze setzt. Ohne ein Wort der Vorwarnung schließt er mich in seine Arme, ganz fest und flüstert in mein Ohr: "Du hast mir einmal vor längerer Zeit gesagt, daß das kostbarste in deinem Leben, deine Liebe zu Zorro sei. Versprich mir, daß du das niemals vergessen wirst." Ein undefinierbares Zittern durchzieht meinen Körper, läßt mich verstört in die Augen meines Gegenübers blicken, der mich inzwischen wieder ein bißchen von sich geschoben hat, aber seine Hände weiter auf meinen Schultern ruhen läßt.
"Was...was ist mit Zorro? Wo ist er?!" "Wir wissen nicht, wo er sich aufhält. Nami hat -" "Nami?!" Nein, bitte nicht! "Als Gegenleistung für das Medikament hat sie verlangt, daß er mit ihr kommt." Mein Herz hat aufgehört zu schlagen, mein Gehirn zu denken, meine Lungen sich mit Luft zu füllen. Einzig eine tiefe Leere wohnt in mir, bis die Welle der maßlosen Traurigkeit und Verlorenheit mich heimsucht. Begleitet von einem brennend stechenden Schmerz schießen mir die Tränen in die Augen, laufen meine Wangen hinab, um schließlich in Sanji's Hemd zu verschwinden, als ich ihm in meiner Verzweiflung um den Hals falle.
"Wieso...wieso hat er das getan? Ich wäre lieber -" "Sei nicht dumm!" Fest preßt er mir seine Hand auf den Mund, wobei er eindringlich auf mich einredet: "Du weißt, daß er das niemals zugelassen hätte, dafür liebt er dich zu sehr." Die Flut meiner Tränen ist nicht zu stoppen, zeigt meine Ohnmacht, die meinen Geist umfängt. "Zorro...." Meine Stimme ist brüchig, heiser, schwach, so wie ich mich im Moment fühle. Fühle? Bin ich dazu in dieser Sekunde überhaupt in der Lage? Es ist, als würde vor meinem geistigen Auge ein schrecklicher Film ablaufen, dessen Grausamkeiten mich zwar bestürzen, die ich aber nicht begreifen kann. Als würde man ein Kind dafür schlagen, daß es geboren wurde.
"Reiß dich gefälligst ein bißchen mehr zusammen! Wenn wir jetzt den Kopf hängen lassen, hat Nami genau das erreicht, was sie wollte. Außerdem müssen wir uns ganz genau überlegen, wie wir die Verfolgung angehen werden, denn ich glaube kaum, daß dies so einfach wird, wie wir das gerne hätten." "Heißt das, daß ihr nicht sofort die Segel gesetzt habt und Zorro hinterher seid?" "Das hätten wir ja gern, aber das können wir erst dann, wenn du den Rest deiner Medizin bekommen hast." "Aber wohin sind wir dann jetzt unterwegs?" "Nach Drumm. Vielleicht kann Doc Kuleah uns weiterhelfen, denn weder Kaya noch Chopper kennen sich mit Vergiftungen durch flüssigen Seestein aus." "Flüssiger...? Kann ich deshalb meine Teufelskräfte nicht einsetzen?" "Ja. Chopper bemüht sich schon die ganze Zeit, das Gegengift zu analysieren, aber bis jetzt scheint er noch nicht wirklich viel darüber in Erfahrung gebracht zu haben. Verstehst du jetzt, weshalb wir im Moment nichts unternehmen können, um Zorro zu helfen? Das einzige, was wir für ihn tun können, ist, uns um Diego zu kümmern." "Er...er ist hier?"
Schlimm genug, daß dieses elende Weib ihrem Ex das Herz gebrochen hat, aber warum muß ausgerechnet der Kleine darunter leiden? Er wird am Boden zerstört sein, gibt es doch niemand wichtigeren für ihn als seinen Vater, der immer für ihn da war, wenn er ihn brauchte. Bis jetzt. "Wo ist Diego?" "Nebenan. Chopper hat ihn mit einem Schlafmittel ruhiggestellt, damit er nicht durchdreht." "Mit Medikamenten?!" Ich bin entsetzt als ich Sanji nicken sehe, denn ein Kind auf diese Art und Weise zu behandeln, benötigt schon einen guten Grund. "Ich will zu ihm. Wenn er aufwacht, möchte ich bei ihm sein." "Na schön, aber du bleibst im Bett liegen, bis Chopper oder Kaya etwas anderes sagen." Ich nicke kurz, eile aber schon ins Nachbarzimmer.
Mein Herz erleidet einen weiteren Stich, kaum daß ich den Raum betreten habe, in welchem der kleine Diego wie ein Häufchen Elend in dem breiten Bett liegt und unruhig schläft. Vorsichtig lege ich mich neben ihn, beobachte, wie aufgewühlt sein Schlaf trotz Sedativum ist. Doch kaum scheint er meine Gegenwart zu spüren, sucht seine kleine Hand nach mir, die sich schließlich in mein Oberteil krallt, so wie er das auch immer bei seinem Vater getan hat. Wieder steigen Tränen in mir auf, aber ich bemühe mich sie nicht zu zeigen, muß ich doch für den Kleinen und mich Stärke zeigen.