Zeichen des Vertrauens
21. Robin Zeichen des Vertrauens
"Da seid ihr ja endlich! Ich habe mich so auf euren Besuch gefreut!" Vivi umarmt die Jungs der Reihe nach, strahlt wie ein Honigkuchenpferd und sieht einfach nur glücklich aus. Erstaunlicher weise ist sie sogar mir gegenüber recht freundlich, zumindest ist ihr Blick nicht mehr ganz so stechend wie beim letzten Treffen. Aber wirklich perplex bin ich erst, als König Kobra mir die Hand schüttelt und mich ein wenig scheu anlächelt. Vielleicht war es damals doch keine schlechte Idee von mir gewesen ihm einen erklärenden Brief zu schreiben, in dem ich mich auch bei ihm für meine Taten entschuldigt habe. Ich hatte dem Brief zusätzlich einen kleinen Lageplan beigefügt, auf dem die Verstecke gekennzeichnet waren, in denen Mr. Zero die aus Alabasta erbeuteten Kunstschätze versteckt hatte. Was für einen Grund hätte ich außerdem gehabt haben sollen, dieses Geheimnis für mich zu behalten?
"Und du bist also der kleine Diego, von dem mir meine Tochter Vivi schon so viel erzählt hat?" Noch einer, der dem Charme des kleinen Lorenor erliegt. Anders kann ich mir dieses verzückte Gesicht von König Kobra nicht erklären. Ein wenig belustigt sehe ich zu wie der König plus Tochter und seinem zukünftigen Schwiegersohn mit Diego vorauslaufen Richtung Speisesaal, während wir langsam folgen. Da freut sich wohl schon jemand auf seine zukünftige Aufgabe als Opa.
Mein Blick schweift umher, läßt mich bewundernd feststellen, wie sehr sich doch alles im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Alles ist noch viel heller, größer und beeindruckender. Der Teil des Gebäudes der komplett zerstört wurde, ist durch gläserne Gänge ersetzt worden, die zu den Nebenflügeln führen. Falls ich später etwas Zeit haben sollte, werde ich einen kleinen Rundgang unternehmen, um mir alles in Ruhe anzusehen, schließlich könnte dieses Bauwerk ein Symbol für eine neue Ära der Architektur in Alabasta sein.
"Setzt euch doch, meine Freunde. Und keine Angst Ruffy, das Mittagessen wird gleich angerichtet." Ein Lachen geht durch die Reihen, aber bei Ruffy's Heißhunger ist das auch alles andere als ein Wunder. Ich bin etwas unentschlossen auf welchen Stuhl ich mich setzen soll, fühle ich mich einfach ein bißchen wie ein Fremdkörper. Aber lange Zeit zum Zögern habe ich nicht, schiebt Zorro mich doch einfach ohne ein Wort zu sagen vor sich her. Ich spüre seine Hand in meinem Rücken, die Wärme, die sie dort verbreitet und mir zeigt, daß ich ein Teil von Ruffy's Bande bin und auch er in Freundschaft zu mir steht. Zusammen setzen wir uns an die lange Tafel zu Diego, der sich frech neben König Kobra gepflanzt hat.
"Bevor ich es vergesse, Corsa und ich haben für übermorgen Abend eine Begrüßungsfeier organisiert, denn dann werden auch meine Cousinen und meine Großeltern da sein, sowie ein paar Freunde aus meiner Schulzeit und sonstige Bekannte. Überflüssig zu erwähnen, daß ihr alle eingeladen seid und ich glaube, erst durch euer Hiersein wird es eine richtige Party werden. Heute sind Corsa und ich leider den ganzen Tag über unterwegs, denn wir müssen noch einige Vorbereitungen für die Hochzeit am Samstag treffen, aber morgen holen wir alles nach, ja?" "Klar Vivi! Morgen werden wir dir keine Sekunde von der Seite weichen!" "Mensch Ruffy, mach unserem Vivimäuschen doch keine Angst!" "Wieso Angst, Sanji? Ich bin doch nicht blöd!" "Ach nein?!" Und schon geht die Keilerei los, Ruffy vs. Sanji. "Hört auf zu streiten!" "Klappe, Lysop!!" höre ich nur von den beiden Streithähnen, ehe das Gezanke weitergeht. Vivi scheint das gar nicht zu stören, eher im Gegenteil. Sie lacht, als hätte jemand einen guten Witz gerissen. Ich wußte zwar, daß sie die Jungs mag, aber wie sehr wird mir erst jetzt so langsam klar. Das Wort Freundschaft bedeutet in dieser Bande etwas und wird auch nicht durch jahrelange Trennung so einfach vergessen.
Ich fühle mich ein wenig einsam, laufe planlos umher, versunken in meinen Gedanken, die sich wie immer um das ein und selbe Thema drehen. Da hilft auch kaum der wunderschöne Anblick des Schloßgartens im Licht der untergehenden Abendsonne. Ein angenehmer Duft nach Sommer und Blumen kitzelt in meiner Nase, weckt neue Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit in mir, die nicht gestillt werden kann. Seufzend laufe ich weiter, ziehe meine Runden zu immer tiefer gelegenen Bereichen des Gartens, die alle unterschiedlich gestaltet sind.
Leise Stimmen dringen an mein Ohr, lassen mich kurz aufhorchen. Soll ich weiter in diese Richtung laufen? Fremde Menschen behagen mir nicht, aber andererseits kann ich nicht von Zorro erwarten, daß er mehr aus sich herausgeht, wenn ich diesem Grundsatz nicht einmal selbst folge. Gespielt entspannt gehe ich weiter, höre wie die Stimmen lauter werden, aber nicht unangenehm laut. Der Weg führt mich direkt zu einer großen Wiese, auf der kleinere Personengrüppchen sitzen und sich angeregt unterhalten.
"Wollen sie sich auch den Film ansehen?" "Film?" antworte ich der blonden Dauerwelle vor mir, die ich zweifelsohne als Köchin im Schloß identifizieren kann. "Aber ja! Wofür sollte denn sonst die Leinwand gut sein?" Leinwand? Ich drehe den Kopf ein wenig zur Seite, als ich das riesige weiße Tuch erblicke, das zwischen groß gewachsenen Palmen gespannt ist und auf das ein heller Lichtkegel gerichtet ist. "Na ja, ich weiß nicht, schließlich..." "Warum denn so schüchtern? Suchen sie sich ein stilles Plätzchen und entspannen sie sich." Sie lächelt mich gütig an, dann läßt sie mich allein.
Ich fühle mich schuldig. Sie ist die Frau von Igaram, Vivi's treustem Ergebenen, dem ich auf Whiskey Peak nach dem Leben getrachtet habe. Es war zwar mein ausdrücklicher Befehl, dessen Mißachtung ich sicherlich mit dem Leben bezahlt hätte, aber dennoch plagt mich mein schlechtes Gewissen. Etwas verstohlen blicke ich mich um, entdecke einen kleineren Baum, unter den ich mich setzen will. Wenn mir der Film nicht gefallen sollte, kann ich ja wieder gehen. Aber als die Vorstellung beginnt, die ersten Bilder über die Leinwand huschen, erkenne ich den Film sofort. Ich liebe diesen alten Streifen! Vielleicht war es doch keine schlechte Idee gewesen hier zu bleiben.
Fasziniert verfolge ich den Film, lausche jedem der Worte, auch wenn ich den Text vermutlich schon auswendig beherrsche, so oft habe ich mir den Streifen früher angesehen. Andere Freizeitbeschäftigungen außer Lesen waren für mich eben als Partnerin vom Boss kaum möglich gewesen. Aber in diesen seltenen Momenten, in denen ich der Realität meines damals wenig erfreulichen Alltagslebens entfliehen konnte, tankte ich neue Kraft, um die nächsten Tage heil überstehen zu können.
"Hier steckst du also," flüstert mir eine rauhe Stimme ins Ohr, daß es mich fröstelt. Ob ihr Besitzer weiß, wie gerne ich ihren Klang höre? Dennoch lege ich einen Finger an meine Lippen, will ich doch den Rest des Films genießen. Ein verständnisvolles Lächeln ziert das braungebrannte Gesicht, das mich wieder zufrieden nach vorne auf die Leinwand blicken läßt, während sich mein Schwertkämpfer neben mich ins Gras setzt. Zusammen verweilen wir so, genießen die ruhige Atmosphäre und auch ein bißchen die Nähe des anderen. Aber ich verbiete mir zu sehr über unser Verhältnis zueinander nachzudenken, möchte ich in diesem Augenblick einfach nur unbekümmert sein. Deshalb flüchte ich mich in das Schauspiel vor meinen Augen, wie ich es früher schon getan habe.
Aber so sehr ich diesen alten Schinken von Film auch mag, so sehr ruft er dann doch Erinnerungen in mir wach, die ich lieber vergessen würde. Ein untrügliches Stechen in meinen Augen verrät mir, daß ich wieder einmal kurz vorm Heulen bin. Warum jetzt? Ich blinzle, um den Tränen keine Chance zu geben, schaffe es auch für einen kleinen Moment, bis es zu viele werden. Ich weiß, daß Zorro mich gerade fragend mustert, kann er ja schlecht wissen, welche grausigen Erfahrungen, die ich in meinem Leben schon gesammelt habe, mir gerade durch den Kopf gehen. Früher habe ich das gar nicht für schlimm empfunden, als ich noch mitten in diesem Leben steckte, hielt ich es immerhin für normal meinem Boss gegenüber loyal zu sein, wie er es nannte. Heute weiß ich, daß so etwas nicht normal ist, sogar alles andere als das, aber damals wußte ich es nicht besser.
Gelegentlich denke ich, daß ich mich deshalb in den schweigsamen Zorro verliebt habe, weil er mich nie als Frau forderte. Für ihn war ich einfach nur Mitglied in Ruffy's Bande, keine Frau, die es zu erobern galt. Ist das der Grund dafür, daß ich mehr von ihm möchte, als nur das Wissen, daß er mich liebt? Einen körperlichen Beweis? Ausgerechnet jemand wie ich, die eigentlich die Schnauze gestrichen voll haben müßte von der Männerwelt? Warum ist das so? Und vor allen Dingen, wieso traf es mich so plötzlich?
Wenige Tage bevor ich Bandenmitglied wurde wollte ich noch meinem Leben ein Ende bereiten, lebendig begraben im einstürzenden Mausoleum von Arbana, hätte Ruffy mich nicht gerettet. Wie ein Dieb schlich ich mich auf die Lamb, wartete einen günstigen Moment ab, um aus meinem Versteck zu kommen und das erste was ich sah, waren Zorro und sein süßer Hintern. Und dann diese muffige Art mir mit seiner rauhen Stimme den Verstand zu vernebeln, um im selben Augenblick mein Blut zum kochen zu bringen. Ich muß sagen, ich war damals hoffnungslos mit der Situation überfordert, schließlich hatte ich bis dahin angenommen, daß immer der Mann die Rolle des begehrenden einnimmt, nicht die Frau. Aber als Nami und Zorro zusammenkamen merkte ich recht schnell, daß meine Theorie mehr als veraltet oder überhaupt unsinnig war.
Das sanfte Streicheln liebvoller Fingerspitzen auf meiner Haut, die meine Tränen wegwischen, holt mich aus meiner Trance zurück. Traurig sehe ich in Zorro's besorgte Augen, wünsche mir, daß er mich tröstend in seine starken Arme nimmt, daß ich diesen Albtraum endlich vergessen kann. Und als hätte er diesen stummen Wunsch gehört, zieht er mich ein Stück näher zu sich, umarmt meine einsame Gestalt, die sich schutzsuchend an ihn klammert. Weitere Tränen steigen aus meinem Inneren hervor, teils aus Einsamkeit, Traurigkeit, aber auch Erleichterung, weil ich im Moment nicht allein bin. Eine ganze Weile verbleiben wir so, möchte ich mich in meinem Zustand doch sonst keinem zeigen. Erst als das Ende des Films sich abzeichnet stehen wir auf, um nicht mit der Menschentraube zurücklaufen zu müssen. Nebeneinander, aber ohne ein Wort zu sagen gehen er und ich zurück, bis zu dem Flügel des Palastes, in dem sich unsere Zimmer befinden.
Schweigend stehen wir in dem angenehm kühlen Flur, aber Worte für ein sinnvolles Gespräch fehlen uns noch immer. Außerdem weiß ich nicht, was ich auf Zorro's sorgenvollen Blick entgegnen soll. "Du solltest dich schlafen legen, morgen sieht die Welt wieder besser aus oder vielleicht fällt es dir dann leichter über deine Sorgen zu sprechen." Ich nicke dankbar, flüstere ein leises: "Gute Nacht," ehe ich die Tür zu meinem Zimmer ansteuere.
"Robin?" "Ja?" Auf halbem Weg drehe ich mich zu Zorro wieder um, als auch schon ein kleines etwas auf mich zugeflogen kommt. Reflexartig fange ich es auf und erkenne einen Zimmerschlüssel. "Falls es dir schlecht geht, weck mich ruhig. Gute Nacht." Und weg ist er, verschwunden durch die Tür zu dem Zimmer, für das ich den Schlüssel habe. Für jeden dieser Räume gibt es zwei Schlüssel, wohnen ja auch jeweils zwei Personen darin. Sanji und Ruffy, Lysop und Chopper, Zorro und Diego. Aber da unser kleiner Leichtmatrose keinen eigenen Schlüssel braucht, habe ich ihn jetzt. Ausgerechnet ich. Ein kleines Stück Metall, aber ein großer Vertrauensbeweis.