Our Darkness / Unsere Dunkelheit - Abschnitt I: Sonnenuntergang von Alexej_Axis (Dystopische Nah-Zukunftsvision nach der Apokalypse. Hintergrund nach dem Rollenspiel D.E.A.D!!) ================================================================================ Kapitel 4: Morgengrauen in der Vampirstadt ------------------------------------------ Sie preschten im wahrsten Sinne des Wortes wie vom Teufel gejagt über die gepflasterte Straße. Die Hufe der Schlachtrösser sprühten Funken und die Minen der Beteiligten verhärteten sich mit jedem Meter, den sie zurücklegten. Der Himmel wurde immer heller und Az fragte sich, ob sie es wohl noch rechtzeitig schaffen würden und wagte kaum zu mutmaßen, was es für Folgen hätte, wenn nicht. Das letzte was er wollte, war in Nürnberg anzukommen und in der Asche einer solch wichtigen Persönlichkeit zu knien. Sicher würde man Slizer und ihn dann dafür verantwortlich machen und das hatte ihm noch gefehlt. Kassandra krallte sich in der Mähne von Phaeton fest, der doch Mühe hatte, das Tempo zu halten. Das Gesicht des Mädchens war schmerzverzerrt und sie hielt sich mit der linken Hand den Bauch. "Hast du Schmerzen?", fragte Az, der atemlos das Pferd antrieb. Sie nickte nur. Er fluchte. "Halt noch ein wenig durch. Wenn alles glatt läuft, dann haben wir es gleich so was von geschafft, das kannst du dir gar nicht vorstellen und dann werden wir endlich ein bisschen Ruhe finden. Dann sehe ich mir deine Verletzungen mal an. Das wird schon." Sie nickte nur und krallte sich weiter fest. Az war immer noch skeptisch, ob die Verletzungen nicht doch zu schwer für so ein kleines Mädchen waren und ob er nicht schon viel zu viel Lebensenergie für einen zukünftigen Kadaver verschwendet hatte. Doch dann unterbrach der schattige Anblick der Silhouette von Nürnberg seine Gedankengänge, die ihn erst einmal erschlug. Die Stadt musste alt sein und war bedeutend gut erhalten. Der Krieg musste dieser Gegend wirklich weniger übel mitgespielt haben, als den meisten Städten, die er bis jetzt gesehen hatte. Die Stadtmauern standen fünfzehn Meter weit in die Höhe und waren aus massiven, großen, groben Steinen, welche die verstrichene Zeit schwarz gefärbt hatte. Die Gebäude in der Stadt standen allesamt düster und schwarz noch meterhoch über die Mauer und beinahe jedes war mit Stuck verziert und zeigte Türme, Erker, Krabben und Fialen. Die Häuser schienen dicht beieinander gedrängt und fast alle mehr in die Höhe, als in die Breite gebaut zu sein, und es waren viele Häuser. Doch gegen deren Schatten zeichnete sich eine viel mächtigere Silhouette ab. Mitten in der Stadt schien erhöht noch ein anderes, viel größeres Gebäude zu stehen. Es musste auf einer Erhebung erbaut sein, um schon von hier aus so eindrucksvolle Schatten zu werfen. Anscheinend war es eine Art Burg. Schloss wäre der falsche Ausdruck gewesen, denn es erschien fest, dunkel und wehrhaft, aber dennoch war es verzierter und komplizierter in Szene gesetzt, als die anderen Gebäude. Es wirkte jedoch keinen Deut verspielt, sondern eher mächtig und ehrerbietend. Mit vielen Türmen, einem deutlich mit Rippen verbundenen Seitentrakt und einem großen Vorhof, so wie es schien. In der glücklicherweise anhaltenden Dunkelheit des anbrechenden Tages konnte Az nicht viel erkennen und spekulierte schon wild, wie dieses Gebäude wohl aus der Nähe aussehen mochte. Wenn das, was Alexandra ihm erzählt hatte der Wahrheit entsprach, dann war dies mit Sicherheit ihr Ziel und er wusste nicht, ob ihn das zufrieden stellen, oder argwöhnisch stimmen sollte. Da Az nicht an Glück glaubte, zog er immer alle Möglichkeiten in Betracht und blieb meistens eher pessimistisch, um einer Niederlage entgegen zu wirken. Er preschte weiter neben der Kutsche her auf das riesige Stadttor zu, das glücklicherweise (oder vielleicht doch eher geplanter Weise?) bereits offen stand. Sie passierten das Tor in Windeseile und ließen ein paar sehr überrascht aussehende Wachen zurück, die ihnen nachspähten. Die Straßen von Nürnberg waren, wie Az es sich gedacht hatte, sehr eng und gepflastert und er konnte nicht mehr neben der Kutsche herreiten, die in immer halsbrecherischem Tempo zielstrebig ihren Weg durch die Häuserschluchten fand. Er setzte sich hinter den Wagen und sah, wie einige erschreckte nürnberger Frühaufsteher aus dem Weg und um ihr Leben sprangen. Er hetzte klappernd über die Pflastersteine und hoffte inständig, Arthur würde in seiner Eile niemanden überfahren, dem er vielleicht nicht mehr ausweichen konnte, oder schlimmer, der die Kutsche zum Umkippen bringen würde. Er wunderte sich jetzt schon, wie das große und schwere Gefährt die engen Kurven nahm, in denen er mit Phaeton mehrmals fast ausgerutscht wäre. Nach wenigen Minuten jedoch, bogen sie in eine größere Straße ein, die breiter und besser ausgebaut war und Az sah mit gemischten Gefühlen den Schatten der riesigen, romanisch-gotischen Burg auf sie fallen, der sich schwer über den grasbewachsenen Hügel legte, auf dem sie stand. Der ganze Hügel war von einer Mauer umgeben und ein großes, schmiedeeisernes Tor erwartete sie offen, wie der Schlund der Hölle selbst seine Kinder Willkommen heißt. Sie preschten hindurch und klapperten und rumpelten über eine weitere Pflasterstraße den Hügel hinauf. Die Burg an sich schien keinen Fried zu haben, aber Arthur machte keine Anstalten vor dem geöffneten Burgtor, welches anscheinend direkt in einen Saal führte, anzuhalten. Er trieb die Pferde laut und herrschend und sie gehorchten, hetzten wie wahnsinnig. Az dachte sich, dass die Pferde tot umfallen mussten, wenn sie dort drinnen und in Sicherheit waren, und dass die Kutsche auseinanderbrechen sollte, sobald sie einmal stand. Aber als der riesige Torbogen über sie hinwegfegte und Az einfach wacker seinen Arbeitgebern hinterher jagte, um eine ebenso rasche Vollbremsung hinzulegen, wie Arthur, geschah erst einmal nichts von beidem. Ein paar sehr besorgt aussehende Bedienstete waren schon in hektischer Eile herbeigekommen und Arthur sprang ab und kommandierte sie sofort herum. Die wiehernden und schnaubenden Pferde wurden augenblicklich beruhigt und einige Leute kamen, und öffneten die Kutsche. Sie halfen einer Person heraus, die in einen schwarzen Umhang gehüllt war und gestützt werden musste, wie ein alter Greis. Az besah sich die Sache nur aus dem Augenwinkel. Er hatte vorher nicht in die Kutsche sehen dürfen und wollte sich jetzt keine Schwierigkeiten machen, weil er doch neugierig wurde. Aber er fragte sich ernsthaft, was das war, das einen Werwolf einfach so in Püree verwandelte und nun daherkam wie ein bettlägeriger alter Mann. Aber Az blieb einfach abseits, tat so, als ginge ihn das alles nichts an, was eine Tatsache war, bis ihm jemand etwas anderes sagte, und versuchte nicht im Weg zu stehen. Arthur hatte entweder Spaß am Brüllen, oder war wirklich sehr aufgeregt. Alexandra wies ihrerseits die Leute eher förmlich aber bestimmend an, die Kutsche mit den Tieren fortzubringen und Slizer sprang ab. Er wankte noch etwas, als er auf dem Boden ankam und Az befürchtete, er würde sich jeden Moment übergeben. Alexandra kam auf ihn und Kassandra zu und nickte einmal dankend. Jetzt, wo er sie im Licht zahlreicher Fackeln einmal deutlich sah, viel ihm auf, dass sie eine recht hübsche Frau war. Ihr Gesicht wirkte noch sehr viel eher wie das einer Statue, als das von Arthur, denn es entbehrte beinahe jeglichem Gefühlsausdruck. Sie hatte tiefe, blaue Augen und lange, dunkelbraune Haare zu einem Zopf geflochten, der ihr beinahe bis zur Hüfte reichte. Kein einzelnes Haar schien sich in eine falsche Richtung abzuspalten und keine Unebenheit schien in ihrem Gesicht zu sein. Sie war kräftig für eine Frau, wirkte aber dennoch nicht klobig. Ihre Brüste waren eher klein, aber Az schob es darauf, dass sie sicherlich sehr muskulös war - an ihrer Weiblichkeit bestand dennoch kein Zweifel. "Folgt mir, ich werde euch ein Zimmer geben. Wir werden alles andere Morgen nach Sonnenuntergang klären, bis dahin, seid unsere Gäste." "Ähm. Will ja nich unhöflich sein, oder so, aber kümmert sich jemand um mein Pferd? Beziehungsweise, wohin damit?" Az war immer noch unsicher. Das führte zu einem Ausdrucksdefizit. Er konnte sich sehr gewählt artikulieren, wenn er wollte, aber wenn ihn jemand unterschätzen sollte, weil er noch nicht wusste, wie er zu ihm stand, benutzte er Worte und Formulierungen, die man von einem dreckigen Söldner erwartete. Wenn er mit Slizer redete, war es mehr eine Stilangleichung. Es hatte keinen Zweck, sich vor ihm gewählt auszudrücken, weil er selbst es wirklich nicht konnte. "Es wird sich jemand darum kümmern," versicherte Alexandra mit starrem Gesichtsausdruck. Az nickte nur, und gab Kassandra an Slizer ab, der sie vom Boden aus entgegennahm. Az selbst stieg ab und klopfte dem schnaubenden Phaeton den Hals. Zwei Bedienstet kamen an und nahmen das Pferd mit sich. Sie trugen allesamt ausgefallene, edle Kleidung, was für sich genommen nichts ungewöhnliches war. Doch Az beobachtete weiterhin, dass Keiner unter ihnen hässlich, oder uncharismatisch zu sein schien, und er entdeckte etwas in ihren Blicken, was sich nur schwerlich beschreiben ließ. Sie schienen weder zu schleimen, noch zu kriechen. Sie waren höflich und auch folgsam, doch ihre Augen waren mit Stolz gefüllt. Vielleicht waren sie so glücklich darüber, hier arbeiten zu dürfen, aber in jedem Fall schienen sie sich bewusst, etwas Besonderes zu sein und wollten dies anscheinend auch zur Schau stellen. Sie waren ganz offenkundig Individuen und wurden wohl als diese geschätzt und akzeptiert, was Az seltsam fand, da sie doch nur Bedienstete waren. Alles worauf es ankommen sollte, war, wie sie ihre Sache erledigten. Ein arroganter Blick oder zu große Selbstsicherheit konnte zu mannigfaltiger Bestrafung von einer Ohrfeige hin bis zum Tode führen. Aber diese Leute hier schienen ernsthaft mit Stolz zu dienen und dennoch sie selbst zu sein. Oder vielleicht war dies in diesem Haushalt gerade wichtig? Az dachte nicht weiter darüber nach, merkte es sich aber gut. Er wollte jedes Details, dass ihm dabei helfen konnte, seine seltsamen neuen Auftraggeber zu verstehen, erhaschen. Die beiden Bediensteten führten Phaeton durch ein großes, weiteres Steintor, welches dem, durch dass sie gekommen waren direkt gegenüber lag. Az hatte gesehen, wie auch die Kutsche dort hingebracht worden war. Das Tor war wirklich hoch und dahinter schien ein sehr breiter Gang zu sein. Wahrscheinlich führte er zu den Stallungen. Die Architektur dieses Gebäudes verwirrte ihn. Aber er hatte schon sehr alte Burgen gesehen, daran gearbeitet sie einzunehmen und sie zu verteidigen. Solche Festungen waren bei Dämonen sehr beliebt. Manchmal war der Aufbau solch alter Gebäude ernsthaft durcheinander, aber auf Grund des Platzmangels durch die dicken, mit Geröll gefüllten Mauern war das wohl üblich. Man musste mit dem zurecht kommen, was man hatte. Eine Belagerung konnte bedeuten, dass man die Außenwelt monatelang nicht betreten konnte. Keine besonders schöne Sache, aber miterlebt hatte er so etwas schon. Der Raum in dem sie standen war eine große Halle, die eine sehr hohe Decke hatte. Der Stil war eher romanisch, zumindest von innen, aber auch hier schmückten Fresken und Verzierungen jede auffälligere Stelle, die Gelegenheit dazu gab. Das Tor zum Beispiel, welches hinter ihnen sofort geschlossen worden war, war von innen mit mannigfaltigen, gotischen Fratzen geschmückt. Az stellte fest, dass es alte Gotik war. So viel Ahnung hatte er davon nicht - das, was er wusste, hatte ihm Karkas erzählt, als sie einmal gemeinsam in einer Belagerung feststeckten. Alle Vorräte waren aufgebraucht gewesen und ihnen blieb nichts, als sich das zehrende Warten mit Reden zu verkürzen. Die Dämonen liebten die Gotik, der Stil, der das Streben der Menschen zu Gott hin architektonisch manifestierte. Auch die Höllengeschöpfe strebten nach Gott ... Nach seiner Macht und seinem Reich. Die Neugotik, oder auch Höllengotik genannt, entstand nach der Apokalypse. Während der alte Stil aus dem 13. Jahrhundert mit dämonischen Fratzen auf Säulen und Türmen die Sünder abschrecken und ihnen näher bringen wollte, was sie an Qualen erwartete, wenn sie nicht brav in die Kirche gingen, stellten die Fratzen der Neugotik dar, was die Dämonen erreichen wollten, wenn sie erst einmal angelangt waren, wo sie hinwollten. Natürlich sollten sie auch einschüchtern, besonders die armen Menschen und die seelenlosen Engel, die es wagten sich ihnen in den Weg zu stellen. Der Triumph in den Gesichtern war in der Regel nicht zu verkennen, außerdem waren die Verzierungen der Neugotik allgemein hin viel aggressiver und jede Krabbe, jede Fiale auf jedem Turm, jede Rippe, jeder Schluss-Stein, jeder Kreuzgang, der einen Gebäudetrakt mit einem anderen verband, stand dafür, dass die Dämonen sich schon bald holen würden, was ihnen zustand, und dass dies nichts Gutes für Gott und die Welt bedeuten würde. Und nun war Gott fort und die Engel kämpften verzweifelt um die Seelen der Menschen, der letzte Funken von Gottes guter Schöpfung. Ein ziemlich aussichtsloser Kampf, denn auf der anderen Seite stand Luzifer mit Legionen von Dämonen, die in der Lage waren, sich fortzupflanzen und die Seelen der Menschen zu beflecken, was über Generationen neues Unheil versprach. Im Gegensatz zu Engeln, die von Gott gemacht, nicht in der Lage waren sich untereinander zu vermehren und auch keine Bastarde zeugen wollten, weil es in ihrer Existenz nicht vorgesehen war, gab es viel zu viele unheilige Krieger, die die Welt schon fest in blutigen Krallen hielten. Az strich mit seiner Hand gedankenverloren über das seltsam verzierte Treppengeländer, als sie links aus der Halle hinausgingen. Die Treppe war groß breit und aus massivem Stein, so wie alles hier. Von innen war es wahrhaftig eine alte Burg, keine blasphemische Verhöhnung einer Kirche mit ihren Seiten- und dem Querschiff. Man konnte wahrscheinlich den Weltuntergang unbeschadet hier drin überleben. Az grinste innerlich bitter. Nun ja, anscheinend HATTE hier drin irgendetwas den Weltuntergang überlebt. Die Sandsteine und ihre Marmorverkleidung waren mit der Zeit schwarz geworden, genau wie die Außenmauern der Burg. Er und Slizer folgten Alexandra ein Stockwerk höher über die breit geschwungene Treppe und liefen durch einen langen Flur, von dem mehrere Gänge abzweigten. Es waren kaum Fenster in der Burg, und wenn, dann waren sie mit sehr schweren Samtvorhängen zugehängt, so dass kein Sonnenstrahl jemals den Boden erreichen konnte. Der Vampir bog ein paar mal ab und Az bemühte sich darum, sich den Weg einzuprägen, damit er ihn zu gegebener Zeit alleine wiederfinden würde. Slizer war wieder in seine menschliche Gestalt zurückgegangen und kratzte mit seinen offenen Armeestiefeln wenig elegant über den Steinboden. Er hielt das Mädchen in den Armen und hatte den Blick gesenkt. Az sah, dass er eher ihm folgte, als Alexandra. Anscheinend war ihm die ganze Sache auch nicht geheuer. Er vertraute auf Az, dass er eine Finte früh genug wittern und sie da heraushauen würde. Slizer war meist nicht besonders gut im planen von Dingen, und das wusste er selber ganz gut. Anscheinend hatte er Angst überzureagieren und ihnen die Chance auf die friedliche Übergabe ihrer Belohnung zu versauen, wenn er redete, oder irgendetwas anderes tat. Also begnügte er sich damit, die Kleine aus Az Aktionsfeld heraus zu halten, und sich gleich mit. Er beobachtete stumm und achtete aufmerksam darauf, ob sein Freund vermutete, dass etwas schief ging. Wenn, dann wäre er zur Stelle. Az seufzte und wandte sich wieder Alexandra zu, als diese vor einer großen Eichenholztür stehen bleib, die kaum verziert war. Nur Maßwerk zog sich in hübschen Schnitzereien bis zum spitzbogenförmigen Türrahmen hinauf, als wolle es ein Fenster schmücken, dass von innen mit Brettern vernagelt wurde. Der Vampir öffnete die Tür und gab den Blick auf ein äußerst geräumiges Zimmer mit beinahe beängstigend hoher Decke frei, dass den Besuchern erst einmal den Atem verschlug, als sie es betraten. Links neben der Tür stand zuerst ein kleines Nachtischchen und daneben ein riesenhaftes, übertriebenes Himmelbett, in dem sicherlich fünf Leute platz hatten, nach Az grober Einschätzung. Ein großer Kamin von fast zwei Metern Durchmesser und Höhe lag an der gegenüberliegenden Wand, etwas ins Mauerwerk hineingesetzt und noch weiter links angesiedelt. Ihm direkt gegenüber befand sich eine Couchecke mit einem zweieinhalb Meter langem Liegesofa, dass in einem rechten Winkel verlief und gegenüber dem Bett noch einmal anderthalb Meter zählte. Diesem Stück gegenüber stand noch ein riesiger Ohrensessel; das ganze Interieur war in rotem und violettem Samt gehalten. Ein kleiner Glastisch befand sich in der Mitte der Sitzecke. Hinter dem Sessel waren noch zwei Meter Platz, bis sich an der erdrückenden Steinwand ein richtiges Geflecht aus Kerzenständern gen Decke schraubte, welches sicher über 1,50 Meter maß. Viele dicke Stumpenkerzen hatten dort Platz und beleuchteten den Raum schummrig, doch angenehm. Rechts in der Wand, an der das Bett stand befand sich noch eine kleinere, normale Holztür, die halb offen stand, doch der Raum dahinter war dunkel, und Az konnte nicht sehen, was darin war. Gegenüber des Bettes befand sich eine große Kupferwanne, die Slizer sofort ins Auge gefasst hatte. Was Az ganz und gar nicht gefiel, war die Tatsache, dass der Raum, so erdrückend er war, kein einziges Fenster besaß. Okay, jetzt ist es Zeit, sich Sorgen zu machen, argwöhnte er im Stillen. Slizer setzte das Mädchen auf dem Bett ab und grummelte einmal etwas zu auffällig und laut. Der Boden war mit roten Läufern ausgelegt ... auf denen sich jetzt einige dunkle Flecken ausgebreitet hatten. Az linke Hand war warm und feucht und er biss unablässig die Zähne aufeinander, um den dumpfen Schmerz zu ertragen, der durch seinen Unterleib pochte. Die Blutflecken jedoch hatte Slizer verursacht. Sein rechter Oberarm war arg demoliert. Die Wunde war so groß gewesen, dass Az Sorge hatte, wenn sie nicht mitschrumpfte, wenn Slizer wieder menschliche Gestalt annahm, wäre seine Schulter mit dem Delta weggefetzt gewesen. Der große Blüter sagte aber keinen Ton, presste sich nur, genau wie Az, inzwischen ein Tuch auf die Wunde, dessen einstmals weiße Farbe vollends in sattes Rot gewechselt hatte. Der Arm hing leblos herab und Blut tropfte unablässig auf den Boden, wo er ging. Beide waren Schmerzen gewöhnt und man sah ihnen keine Schwäche an. "Ihr seid verletzt, soll ich einen Arzt rufen lassen?" Alexandra sah gefühllos aus, aber irgendeine Kleinigkeit in ihren Augen und ihrer Tonlage verriet Az, dass sie anscheinend aufrichtig besorgt war. "Das wäre sehr liebenswürdig," dankte Az in förmlichem Tonfall. Er hatte sich schon darauf eingestellt sich selber zusammenzuflicken, wie immer eigentlich, aber er hatte ernste Bedenken, ob das funktioniert hätte, zumindest bei Slizers Wunde. Der Muskel schien durchtrennt und da wollte er sich mit seinen minimalistischen medizinischen Kenntnissen nicht herantrauen. In der Tat beschränkten sich diese auf das Nähen von Wunden und allgemeine Erste Hilfe. Alexandra nickte nur verstehend und wandte sich zum Gehen. In der Tür blieb sie noch einmal stehen. "Ich werde einen Arzt aus der Stadt kommen lassen, wollt ihr danach etwas essen und ein Bad nehmen?" Az war nun mehr als skeptisch. Wen oder was hatten sie da den Arsch gerettet? Solch eine Behandlung war er nicht gewöhnt. Unter Dämonen war er Abschaum, ein dreckiger Bastard unter vielen mit wertlosem Blut, und die Menschen hassten ihn, weil er sie an ihre Peiniger erinnerte, weil er Dämonenblut in sich trug. Slizer ging es in der Regel genauso, wenn er auch in normaler Gestalt eher als Mensch durchging. "'n Bad klingt gut," meinte Slizer fast freudig, aber Az sah, wie er immer noch die Zähne zusammenbiss. Sein Blut tropfte im Sekundentakt auf den wertvollen Teppich, während Az sich einfach argwöhnisch an die Steinwand neben dem Kamin gelehnt hatte, um nichts dreckig zu machen. Alexandra nickte nur und ging. Sie schloss die Tür hinter sich und Slizers Blick wanderte zu Az herüber. Er war im Gegensatz zu seinem Freund nicht mehr allzu skeptisch, aber auch nicht beruhigt. Az stand genauso kühl an der Wand, wie die Steine selber. Sein Blick war eisig und angespannt. Er presste das Leinentuch aus seinem Verbandskasten fest gegen seinen Bauch und hielt mit den Muskeln dagegen. Er hoffte, dass sie nicht gerissen waren. Sein Blut sickerte auf seine zerfetzte Jeanshose. Während Slizer sich auf die Couch fläzte, ohne Scham oder Scheu sie voll zu bluten (,Is ja eh rot', wäre wahrscheinlich sein Argument gewesen), nahm Az vorsichtig die Hand von der Wunde, um sie einzuschätzen. Kassandra atmete schwer im Bett, in das Slizer sie gelegt hatte und bewegte sich keinen Millimeter. Sie war in die Kissen eingesunken und schien froh darüber, dass ihr im Moment niemand Aufmerksamkeit schenkte. Az hatte schon beim Reiten festgestellt, dass sie Fieber hatte. Zu viel Lebensenergie für einen Kadaver, dachte er, aber wenn der Arzt etwas machen konnte, so sollte er es tun. Es würde ihnen sicher vom Lohn abgezogen, und gute Ärzte waren teuer, aber irgendwie wollte er sie jetzt nicht umsonst mitgeschleppt haben. Sie verdiente eine Chance. Die Tür ging auf und zwei Bedienstete traten ein. Sie nickten knapp, beachteten die Beiden ansonsten anscheinend nicht weiter, und während der eine Handtücher auf ein unscheinbares Holztischchen neben der Kupferwanne legte, machte der andere etwas seltsames, was Az' Aufmerksamkeit erregte. Über dem Zuber war ein seltsames Ding in die Wand eingelassen, ein nach unten gebogenes Röhrchen mit einem seltsamen Kleeblatt darauf, dass beinahe wie ein Hebel abstand. Der Kerl drehte das Kleeblatt und Wasser kam aus der Wand. Der Erste schüttete Öle und Zeug in die Wanne, die begann voll zu laufen und sofort schäumte das Wasser. Az guckte argwöhnisch und zog eine Augenbraue hoch. Er konnte nicht wissen, was ein Wasserhahn war, denn er war selten in Städten und noch viel seltener in solchen, die noch ein intaktes Rohrsystem von vor dem Krieg besaßen; beziehungsweise das Wissen und die Technik, so etwas in Stand zu setzen und zu bauen. Bei ihrem gnadenlosen Kampf um die Welt hatten die Dämonen in blinder Zerstörungswut, in Trotz und Zorn und Eitelkeit, fast keinen Stein auf dem anderen gelassen, der nicht schon vom Dritten Weltkrieg zerrüttelt worden war. Nur in Amerika fand man noch teilweise intakte Städte, oder man hatte sie wieder aufgebaut. Dort gab es sogar wieder Strom und Wasserversorgung. Die schöne neue Welt war zu ihrem Glück erst nach Europa unter das Messer des Krieges geraten und hatte zum Zeitpunkt des sicheren Sieges der Dämonen dann doch das Interesse für die schöne neue Technik erweckt. Die Bediensteten gingen wieder hinaus, während das Wasser weiterlief. Az stellte mit zunehmender Verwunderung fest, dass es sogar warm war. Es dampfte aus der Wand, einfach so. Er ging unsicher näher und klopfte gegen die Steinwand. Sie schien massiv zu sein und der Blüter fragte sich, wo zum Henker dahinter ein Behälter sein sollte, der Regenwasser auffing, und es einfach so ins Becken abgab. Noch dazu heißes Wasser. Er kratzte sich am Kopf und hob die Hände in einer ratlosen Geste, als er nun auch Slizers erstaunt argwöhnischen Blick sah. Das Blut tropfte weiter auf den Boden. Az sah an sich herab und begutachtete die Wunde. Sein Fleisch war aufgeklappt und die geringe weiße Fettschicht zwischen Haut und Muskeln war blutgetränkt. Er wischte es fort und sah genauer hin. Es schien aber trotz allem nur eine böse Fleischwunde zu sein. Augenblicklich sickerte Blut nach. Es hatte eine sehr dunkle Farbe, fast so, als sei es schon geronnen und im flackernden Licht der hundert Kerzen wirkte es beinahe schwarz. Man hatte Az schon erzählt, seine Leber währe getroffen und er müsse sterben, als er im Feldlazarett zu sich kam. Als Kind hatte ihn das erschreckt, aber passiert war nie etwas. Sein Blut war einfach so dunkel und der Arzt von seiner alten Söldnertruppe, mit der er ein paar Jahre gelebt hatte, hatte ihn dafür verflucht. "Bei dir weiß man nie was los is!", hatte er sich aufgeregt. "Man denkt du verreckst, und dann is doch nichts weiter als ne Fleischwunde. Junge, du machst einem Sorgen." Az hatte Vertigo immer sehr gemocht und danach eigentlich nie wieder einem Arzt wirklich vertraut. Der Kerl war jung gewesen, aber ein Blüter der etwas von anderen Blütern verstand und immer gut drauf, wenn es angebracht war. Dafür umso trostspendender, wenn es das mal nicht war. Az fragte sich manchmal, ob die Leute aus seiner alten Truppe noch lebten. Sicher nicht allen, aber vielen, so wie Vertigo, wünschte er es sehr. Irgendwie wünschte er sich jetzt in sein Zelt zu stapfen und mit einem bösen Scherz über seinen Zustand begrüßt zu werden. Die Glücksritter waren für ihn einfach wie eine Familie gewesen. Nein, sie WAR seine Familie gewesen. Sie waren die Ersten gewesen, die ihm wenigstens so etwas ähnliches wie ein zu Hause gegeben hatten. Eine Chance. Ja, Karkas und die Glücksritter waren die Ersten gewesen, die ihm eine Chance gegeben hatten. Eine faire Chance und eine Möglichkeit zu überleben. Und auch Freundschaft irgendwie. Seit vier Jahren war er alleine unterwegs und am Anfang war es die Hölle gewesen. Niemand nimmt dich ernst, wenn du erst fünfzehn bist, und sagst du bist ein Söldner. Aber er hatte es irgendwie geschafft. Genauso, wie er es geschafft hatte seinem Stiefvater zu entkommen. Blut tropfte auf Az' Stahlkappen. Slizer sah unruhig zu ihm herüber. Seit gut zehn Minuten starrte er jetzt auf seine Wunde und hatte das Tuch weggenommen. Das Blut sprudelte und tropfte und bahnte sich fröhlich seinen Weg und es schien ihn nicht zu kratzen. Nein, schlimmer noch, er schien es nicht einmal zu bemerken! Einer der Bediensteten war inzwischen wieder hereingekommen und hatte gemacht, dass das Wasser aufhörte, aus der Wand zu kommen, wie auch immer. Slizer knurrte. Das is mal wieder einer dieser verfluchten Az-Momente, dachte er. In einem Kampf konnte er sich hundertfünfprozentig auf seinen Partner verlassen, aber ansonsten war der Kerl unberechenbar und einfach irre. Dieser glasige Blick gefiel ihm gar nicht, er kannte das bei Az. Und meist war das nicht gut. Er war danach immer komisch und abwesend und irgendwie jagte ihm das Angst ein. Nicht wirklich Angst, aber er fühlte sich hilflos, wenn so was passierte. Er wusste nicht, ob er ihn dann noch ansprechen konnte, oder nicht. Meist ging's übel aus und darauf hatte Slizer keinen Bock. Er hatte im Moment auf all die Scheiße keinen Bock. Er blutete und hatte Schmerzen und hier war alles seltsam und komisch und er wusste eigentlich gar nicht so genau was los war. Er wollte seine Kohle haben. Das Zimmer war toll, aber er wusste genauso wie Az, dass sie eigentlich Abschaum waren, der so ein Zimmer nicht verdient hatte. Entweder, es war Teil ihrer Bezahlung, was er hoffte, oder sie würden abgemurkst. In dem Zimmer ohne Fenster. Er sah auf seinen Arm. Oder das war gar nicht mehr nötig und er verblutete einfach. Alles scheiße. Slizer knurrte irgendwie unzufrieden und genervt und Az schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er hatte sich mal wieder darin verlaufen, so etwas passierte ihm manchmal. Er sah Slizer immer noch ausdruckslos an. Er wollte gerade etwas sagen, da bemerkte er, dass kein Wasser mehr aus der Wand kam und er schloss den Mund wieder. Im selben Moment ging die Tür auf, und der Arzt trat ein. Az beäugte ihn vorsichtig und nicht ohne Verwunderung. Der Mann war vielleicht 1,40 groß und trug einen seltsamen Anzug plus Zylinder. Er hatte eine merkwürdig aussehende Brille auf der Nase, mit kleinen runden Gläsern. Das seltsamste aber, war sein Erscheinungsbild. Az war sich zuerst nicht sicher, ob er es mit einem lächelnden Untoten oder einem wahnsinnigen Blüter zu tun hatte. Der Arzt hatte eine bleiche, beinahe weiße Hautfarbe und stechend rote Augen, dazu zierte sein breites Gesicht ein Grinsen, dass mit zahlreichen spitzen, kleinen Zähnen bestückt war. Er nickte geschäftig, als er den Raum betrat und ein Bediensteter schloss hinter ihm die Tür. Az sah, dass er einen übergroßen Arztkoffer aus schwarzem Leder schleppte. Kassandra war tief in den Kissen verschwunden und regte sich nicht. Der Arzt bemerkte sie nicht. "Wer zuerst?", fragte der Arzt schnarrend und sah sich seine Patienten interessiert an. Az, der mit dem Rücken an der Wand lehnte, zeigte sofort auf Slizer. Er fing sich einen Blick von seinem Freund ein, der Arzt nickte nur und ging immer noch grinsend auf die Couchecke zu. Slizer warf dem nahenden Ungeheuer einen skeptischen Blick zu und sah dann wild zu Az herüber. Dieser senkte nur den Kopf und starrte ihn fest an. Er nagelte Slizer mit seinem Blick an der Couch fest. Der Arzt marschierte auf den riesigen Mann zu und legte seinen Koffer auf dem Glastisch ab, der nun ganz von ihm eingenommen wurde. Er ließ die großen, blankpolierten Scharniere aufschnappen und klappte den enormen Deckel zurück. Der Innenraum des Koffers war mit blutrotem Samt verkleidet und Slizers Blick verriet Az, dass wirklich grausame Dinge dort drinnen lauern musste, die man herrlich zweckentfremden konnte, wenn man ein kreativer Psychopath war. Ein solcher platzierte sich laut Slizers Meinung gerade vor dem Koffer und nahm mit größter Sorgfalt ein paar weiße Latexhandschuhe heraus. Der Arzt streifte sie nunmehr mit ernster Miene über seine seltsam langen und dürren Finger, die seiner sonstigen Pummeligkeit entgegenstanden und nahm den Zylinder ab. Das was er tat, bedeutete ihm eine Menge. Das merkte Az an der Art und Weise, wie er selbst dieser Kleinigkeit seine vollste Aufmerksamkeit schenkte. Er war definitiv gestört, aber Az nahm an, dass er sein Handwerk verstand und ein guter Arzt war, zumindest, wenn man ein guter Patient sein konnte. An Slizers Gesichtsausdruck erkannte er, dass er es nicht war. "Wo sind ihre Verletzungen?", schnarrte der Arzt und inspizierte Slizers Körper wie ein Aasgeier den Kadaver. "Mhrm....da." Slizer deutete mit einigen wenig artikulierten Lauten auf seinen Arm, er schien sonst nichts weiteres zu haben, was eine Behandlung durch einen hochbezahlten Quacksalber rechtfertigte. Es war ihm ganz recht. "Bitte wenden sie mir die Seite zu, bleiben sie aufrecht sitzen, das könnte jetzt wehtun." Der Arzt beugte sich über Slizer, der ihm grummelnd seine Seite zuwandte und Az erbarmungslosen Blicken auswich. Er wusste ja selber, dass er jetzt besser still war und die Klappe hielt, aber er traute Ärzten nun mal selten und diesem hier ganz besonders nicht. Der kleine Kerl beugte sich über Slizer und säuberte mit größter Sorgfalt die Wunde mit Wattebausch, Alkohol und Pinzette. Ein hoffnungsloser Vorgang, denn unentwegt sickerte neues Blut durch das zerfetzte Muskelfleisch. Az beobachtete die ganze Prozedur eisern. Slizer bleckte die Zähne, denn der Alkohol brannte in der aufgeklappten Wunde wie Feuer, doch bis auf ein heiseres Gurren blieb er ruhig. Der Arzt nahm eine kleine Taschenlampe zur Hilfe und porkelte vorsichtig in dem zerstörten Gewebe des Muskelstranges herum. Er tupfte dabei immer wieder mit Wattebausch und Pinzette das ständig nachsickernde Blut ab, doch es hatte wenig Erfolg. "Ich muss den Muskel nähen, der Strang ist zerrissen." Er rückte die Brille mit dem Handrücken zurecht und sah Az über die Schulter an. "Könnten sie mir bitte etwas Wasser in dieser Schale bringen?" Az stieß sich mit der Schulter von der Wand ab und kam lässig auf den Arzt zu. Er klappte seine Schwingen einmal auf und zu, um das Gelenk zu dehnen, dass er die ganze Zeit gegen den Stein gedrückt hatte und er sah etwas in den Augen des kleinen Mannes aufblitzen, dass fast wie Gier aussah. Az bemühte sich, einen argwöhnischen Blick zu vermeiden und blieb kühl. Er nahm die silbern glänzende Nierenschale aus dem Koffer und beschloss, dass er die Messer und Knochensägen darin gar nicht sehen wollte. Er stempelte sie im Gepäck eines Arztes, der einen Hausbesuch machte als moderne Folterinstrumente ab, ohne die sich der Kerl wahrscheinlich nicht wohl fühlte und hoffte nur, dass er sie nicht krampfhaft zum Einsatz bringen würde. Er wandte sich um und schritt bedacht zu dem Wasserhahn hinüber, wobei er die Blicke des Mannes auf seinen schwarzen, glänzenden Rippen spüren konnte. Anscheinend hatte er das Interesse des Arztes geweckt. Az hielt einen Moment inne, und drehte dann vorsichtig an dem Kleeblatt, nicht sicher, was passieren würde. Doch es kam tatsächlich Wasser aus dem Hahn geflossen und er ließ es in die Schale laufen. Az war neugierig und wissbegierig und freute sich, wieder etwas gelernt zu haben, auch wenn es nur eine Kleinigkeit war. Er drehte das Kleeblatt in die andere Richtung und der Strahl versiegte. Triumphierend drehte er sich um, fasste sich dann aber wieder und schritt genauso posierend zurück, wie er gegangen war. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und wie immer holte er das Maximale aus sich heraus, auch wenn ihn die Wunde dadurch nur noch mehr schmerzte, aber er konnte nicht anders. Er setzte sich in Szene, egal was er tat. Der Arzt nahm die Schale nickend entgegen und wusch die gebrauchten Utensilien darin ab. Die Wattebäuschchen legte er auf den Tisch, wo er ein Papiertaschentuch an einer freien Stelle neben dem Koffer ausgebreitet hatte. Az lehnte sich wieder gegen die Wand und legte den Kopf schief um weiter zu beobachten. Der Arzt nahm geschäftig Nadel und Faden aus dem Koffer und schob wieder die Brille zurecht. Er sah Slizer ernst an, schien ihn einen Moment zu mustern was sofort Argwohn in dessen Gesicht aufziehen ließ. "Wollen sie eine Betäubung?", schnarrte er. Slizer sah ihn aufgebracht an. "Keine Spritzen!", raunte er barsch. "Das geht schon, aber keine Spritzen!" Der Arzt schenkte ihm einen Blick und seufzte, als habe er diese Antwort erwartet. "Gut." Er zuckte mit den Schultern. "Dann eben nicht. Aber ich sage ihnen gleich, das wird nicht angenehm. Und wenn sie zucken oder sich winden, dann kann ich ihnen nicht helfen. Sie verstehen?" "Keine Spritzen." Slizer knurrte jetzt beinahe und sah um sich wie eine in die Ecke gedrängte Ratte. "Köter." Az stimme durchschnitt den Raum und traf Slizer hart und kalt. Sein Blick war umso härter. "Lass - dir - eine - Spritze - geben." Az betonte jedes Wort, als würde er zu einem Kleinkind sprechen, dass seinen Vater gerade sehr wütend gemacht hatte. Er duldete keinen Widerspruch und Slizer wurde etwas kleiner auf der Couch. "Hmmmmmmm in Ordnung," murrte er. Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und wandte sich kurz zu Az um. Dann legte er Nadel und Faden noch einmal zur Seite und holte eine wirklich gemein aussehende alte Glasspritze aus dem Koffer. Er hantierte klirrend mit ein paar dunkelbraunen Glasphiolen herum, bis er fand, was er suchte und holte vorsichtig einen Korken heraus. Dann zog er die Spritze auf und setzte sie gekonnt direkt in das Muskelfleisch um die Wunde herum. Slizer zuckte zusammen als er stach, hielt aber still. "Es wird gleich taub werden," schnarrte er, als er die blaue Flüssigkeit ganz hineingedrückt hatte und die Nadel sorgfältig wieder herauszog. Slizer schnaubte. Der Arzt säuberte die Spritze in Wasser und Alkohol und nahm Nadel und Faden wieder zur Hand. "Ganz still halten," meinte er kühl und begann sich die verschiedenen Stränge schon einmal mit einer Pinzette herauszusuchen. "Is ganz taub," grummelte Slizer äußerst ungehalten nach einer kurzen Weile. Der Arzt nickte nur und begann die Wunde zu nähen. "Könnten sie mal die Taschenlampe halten? Danke." Slizer nahm die kleine Stablampe entgegen und hielt sie auf die Wunde, sah dann aber demonstrativ weg. Az war sich sicher, es war besser so. "Sie sind Blüter?", fragte der Arzt unvermittelt, während er nähte. "Ja." Slizer presste die Antwort durch zusammengebissene Zähne. "Wie äußert sich das?", erkundigte sich der kleine Mann enerviert, als habe er auf eine ausführlichere Antwort gehofft. "Ich shifte," brachte Slizer hervor, anscheinend verwirrt, warum ihn das interessierte. "Ah," gab der Arzt wissend zurück. "Nun ich denke dann ist klar, dass das für die nächste Zeit nicht angebracht ist." Slizer grummelte nur vor sich hin und nickte trotzig. Az presste seine Hand immer noch gegen den pochenden Schmerz. Sie war blutverklebt. Als der Arzt fertig war, schien eine Ewigkeit vergangen und er verband Slizers Wunde fest und fachkundig. "Sie können jetzt aufstehen, aber sie dürfen den Arm keinesfalls Bewegen, ich gebe ihnen eine Schlinge. Sie müssen selber sehen, wie es besser wird, die Fäden lösen sich von selber auf, sie brauchen sie nicht zu ziehen." Er wusch sich die Hände und Slizer sah ihn verdutzt an, traute sich aber anscheinend nicht zu fragen. "In Ordnung," raunte er nur heiser und trollte sich in die andere Ecke der Couch. "Ich hätte hier noch eine Kleinigkeit," erwähnte der Arzt schnarrend, aber bedeutungsschwanger. Slizer wandte sich zu ihm und sah ihn fragend an. "Ich nehme an, sie wollen bald wieder auf den Beinen sein?" "Sicher," antwortete Slizer skeptisch. "Hinsetzen," kommandierte der Arzt und zog eine weitere Spritze mit einer seltsam leuchtend grünen Flüssigkeit auf. "Das ist ein von mir entwickeltes Medikament, das die Heilung beschleunigt." "Und was ist das genau?", fragte Slizer und wand sich unter dem Anblick der Spritze mit dem obskuren Inhalt. Der Arzt grinste breit. "Das ist ein Geheimnis, sie würden es eh nicht verstehen," schnarrte er und sein Blick wurde wieder fest. "Wollen sie's oder nicht?" Der hilfesuchende Blick zu Az rüber wurde erbarmungslos abgeschlagen und so nickte Slizer argwöhnisch und hielt dem Arzt seinen Arm hin. Dieser lächelte freundlich und jagte die Spritze mit glänzenden Augen in eine offensichtliche Vene. Slizer riss den Mund entsetzt auf und wollte sich beinahe losreißen, doch der Griff des kleinen Mannes war plötzlich eisern und er drückte die Spritze ganz hinein. "Scheiße, was is das für'n Zeug? Fühlt sich an wie Schnee, der sich durch meine Venen schiebt und alles kribbelt...", knurrte der Patient und riss ruppig den Arm weg, als der Arzt die Spritze herauszog und ihn wieder losließ. Slizer hatte die Augen weit aufgerissen und knurrte jetzt, fasste sich mit der Linken ans Herz und sah panisch aus. Er kniff die Augen zusammen und schüttelte sich, warf dem Arzt einen gefährlichen Blick zu, der jedoch schenkte ihm keine weitere Beachtung und legte sorgfältig die Spritze zurück. "Der Nächste bitte," spottete der Arzt beinahe und sah Az mit glänzenden Augen an. Er schien sich auf den ,guten Patienten' zu freuen. Az stapfte näher und setzte sich auf die Couch, nicht ohne Slizer noch einmal mit einem warnenden Blick an seinen Platz zu verweisen. Er zog die Lederjacke aus, streckte den Rücken durch und nahm die Flügel zu den Seiten weg, damit er den Arzt nicht behinderte. Er hob die Hand von der Wunde und tupfte noch einmal nach, um das nachgesickerte Blut zu entfernen und ihm freie Sicht zu verschaffen. Er spannte die Muskeln an, auch wenn es schmerzhaft war und bot dem kleinen Mann eine respektable Arbeitsfläche. Dieser schob seine Brille zurecht und begutachtete die Wunde. "Ah, das ist nicht so schlimm. Der Muskel ist fast in Ordnung, aber ich werde es nähen und sauber machen." Er drehte sich zu seinem Koffer um, wandte sich dann wieder zu Az. "Spritze?", fragte er lächelnd. Az nickte nur und der Arzt zog eine kleinere Dosis des blauen Zeugs auf, um es ihm zu geben. Augenblicklich setzte ein seltsames Kribbeln ein und Az seufzte. Der Arzt begann zu nähen und er spürte es schon nicht mehr. "Sind die Flügel von Geburt an so?", erkundigte sich der Arzt wissbegierig. Az schüttelte nur den Kopf. "Verstehe," entgegnete der kleine Mann beinahe enttäuscht und lies es dabei bewenden, um sich wieder der Wunde zuzuwenden. Als er fertig war, verband er die Verletzung und besah sich noch den Rest von Az' Körper. Er säuberte die kleineren Schlitzer und begutachtete die anderen Blessuren, die noch nicht ganz verheilt waren. "Sie hatten vor Kurzem noch andere Wunden?", erkundigte sich der Arzt. Az nickte knapp. "Schlampig verarztet," murrte der kleine Mann und klebte noch ein Pflaster auf den Schlitzer in der Hüfte. "Wollen sie das Serum?", raunte er. Az nickte wieder und der Arzt zog geschäftig eine weitere Glasspritze mit dem leuchtend grünen Zeug auf. "Es wird sich seltsam anfühlen," warnte er und rammte die Nadel geradezu in Az' rechten Arm, den er schon hingehalten hatte. Der Patient biss die Zähne zusammen und war bemüht, sich seine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. Es fühlte sich an, als würde man zerstoßenes Eis in seinen Körper jagen. Das Gefühl war kalt und taub, äußerst unangenehm und zog sich bis zu seinem Herzen hinauf, ebbte dann aber sehr schnell ab und er zwang sich ruhig weiterzuatmen und nicht panisch zu werden. Der Arzt hatte ihn im Auge und steckte dann geschäftig die Spritze weg. "Sie sollten sich nicht zu viel bewegen und auch nicht schwer heben, oder sich bücken. Hier haben sie ein paar Pillen..." Der Arzt kramte wieder irgendetwas in dem Koffer und gab Az zwei kleine Pillendöschen. "Sie sind von mir selbst entwickelt. Aufbauvitamine und anderes. Es wird bei der Heilung helfen, sie sind speziell für Blüter. Sie," er deutete auf Slizer, "jeden Tag zwei und sie," er wandte sich wieder Az zu, "jeden Tag drei, bis sie alle sind. Ich lasse ihnen noch etwas Folie da, damit sollten sie die Verbände abkleben, wenn sie baden wollen. War es das?" "Noch nicht," sagte Az ruhig und stand langsam auf. Er schüttelte sich und knackte mit dem Genick, dann schritt er vorsichtig zum Bett herüber. Der Arzt stand auf und folgte ihm. Az setzte sich neben Kassandra und sah, dass sie anscheinend wieder das Bewusstsein verloren hatte. Der kleine Mann kam watschelnd näher und erspähte interessiert, was dort in den schweren Kissen lag. Az deckte die Kutte, in die das Mädchen immer noch gehüllt war, zur Seite und präsentierte das Elend. Der Arzt hockte sich zu ihr und sah ihr sofort prüfend ins Gesicht. Dann nahm er ihren Kopf und legte ihn zur Seite, fühlte Puls und kontrollierte die Atmung. Er nickte und hob eines ihrer Lider, um zu testen, ob die Pupille nach oben gedreht war, doch stattdessen strahlte der ganze Augapfel in einem goldenen Licht. Der Arzt riss die Augen auf und Az lehnte sich ungläubig nach vorne. "Äh...", stammelte er und fasste sich schleunigst wieder. "Also DAS habe ich bei ihr noch nie gesehen." Er betrachtete das Phänomen ungläubig und sah, wie sich der Arzt geschäftig die Lippen benetzte und das Lid wieder fallen ließ. "Ist sie Blüter?" fragte er voller Erwartung auf Antworten. "Ich dachte sie wäre ein Mensch...", brachte Az hervor. "Ich finde das sehr seltsam", grübelte der Arzt. "Wo haben sie das Mädchen her?" Er beäugte Az wie ein gefräßiger Geier, der Bereit war, nach seiner Leber zu picken. "Wir haben sie gefunden", antwortete Az und kratzte sich am Kinn. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen erstaunt und beunruhigt, was im Moment beides gespielt war. Er konzentrierte sich auf die Lüge, die er dem Arzt auftischte. "Es war nich weit weg von hier. Sie saß in einem kleinen, verfallenen Haus und der Große hatte irgendwie Mitleid mit ihr, also haben wir sie mitgenommen. Ich meine, jeder verdient doch eine Chance, oder? Und sie is ja nur'n kleines Mädchen. Sie war fast nackt und hatte das Bewusstsein verloren. Sie war bis jetzt noch nicht so oft wach, und wenn dann hat sie wenig erzählt. Haben aus ihr nur rausbekommen, dass sie aus nem Dorf kommt, das von Dämonen platt gemacht wurde. Ich glaub sie wurde Vergewaltigt. Vielleicht ham sie sie für tot gehalten und sie konnte sich bis dahin schleppen, oder so." "Was für Verletzungen hat sie denn genau?", fragte der Arzt interessiert, anscheinend bemerkte er nicht, das Az sich mal wieder dümmer stellte, als er war. Az redete mit einer gewissen Härte und gespielten Coolness. Es war nicht seine normale, kühl professionelle Art, sondern etwas ungefährlicheres. Ein Tonfall, wie man ihn bei normalen Straßengangstern und Söldnern fand, die von sich selbst behaupteten, gut in dem zu sein, was sie taten, die aber eigentlich weit entfernt davon waren. Andererseits entbehrte es jeglicher Naivität. Die war bei Leuten wie ihm wenig Glaubhaft, und das wusste er. "Seh'n sie's sich an", schlug Az vor und deckte den Körper des Mädchens ab. Der Arzt beugte sich vor und besah sich die Innenseite der Schenkel, an denen massig geronnenes Blut klebte. Er fühlte Fieber und besah sich dann die Vaginalgegend. Er steckte prüfend einen Finger hinein und zog ihn vorsichtig heraus. Es klebte etwas Blut an dem Latexhandschuh und er stand auf und holte seine Taschenlampe. Er schob die Schenkel des Mädchens beiseite und tastete sie ab. Dann nickte er anscheinend sich selber zu und drehte sich zu Az um. "Dammriss. Sieht böse aus, aber es ist schon recht gut verheilt. Eigentlich hätte sie an den Verletzungen sterben müssen, aber das muss wirklich schon ein paar Tage her sein, vielleicht eine Woche. Alleine die Wahrscheinlichkeit einer Infektion ist da sehr groß, ich frage mich, wie sie das allein geschafft hat." Az sah den Arzt fragend und argwöhnisch an, aber immer noch mit einer gewissen Gleichgültigkeit, als ob ihn die ganze Sache nicht wirklich weiter interessierte. "Wir haben sie erst heute gefunden und vorhin hatte sie noch Fieber", war Az' Antwort. Der Arzt zog eine Augenbraue hoch und sah dann argwöhnisch auf das Mädchen. "Hm. Ich glaube kaum, dass sie Blüter ist, aber sie scheint eine erstaunlich gute Heilungsrate für einen Menschen zu haben. Es kommt selten vor, dass jemand so wenig Blüter ist, dass man es gar nicht mehr sieht." Er schien kurz zu überlegen und sah sich Kassandra an. "Nein, ich bin auf Blüter spezialisiert, ich behandele nur Blüter, eigentlich, und ganz selten Menschen und so etwas ist mir noch nie untergekommen." Er verharrte kurz und formte die Augen zu Schlitzen, dann sah er Az fast fanatisch an. "Darf ich einen Test machen?" "Einen Test?" wiederholte Az ungläubig und betonte das Wort, als habe er es noch nie gehört. "Wie zur Hölle wollen sie testen, ob das Mädchen Blüter ist, oder nicht?" "Bedaure, aber das kann ich nicht verraten", schnarrte der Arzt wichtigtuerisch und er ging Az damit langsam auf die Nerven. "Von mir aus." Der kleine Mann hüpfte vom Bett und eilte zu seinem Koffer. Er hantierte geschäftig darin herum und Az verschränkte die Arme. Er hatte ja nicht wissen wollen, WIE er einen solchen Test selber machte, sondern was der Scheißkerl verdammt noch eins dafür mit dem Kind anstellen musste. Vielleicht waren ihm gewisse Dinge ja gar nicht recht? Aber jetzt war es auch egal und Az entschied sich, den Arzt einfach machen zu lassen. Der kleine Mann kam wieder und kletterte eilig aufs Bett. Er nahm den Arm des Mädchens und entnahm eine Blutprobe mit der Spritze. Er klebte eilig und ohne hinzusehen ein Pflaster auf die Wunde und vermischte ein bisschen von dem Blut mit einer Flüssigkeit in einem kleinen Glasröhrchen. Diese färbte sich plötzlich blau, was Az überraschte, aber der Arzt schien noch nicht zufrieden zu sein und wartete weiter. Az' Blick war skeptisch und irgendwie fragte er sich, ob der Mann wohl auch feststellen konnte, wie stark das Dämonenblut in jemandem war. Er überlegte sich, ob er ihn nicht fragen sollte, einen solchen Test auch bei ihm zu machen, aber schob den Gedanken dann beiseite, weil er schwachsinnig war. Az kannte seinen richtigen Vater nicht. Er war ein typischer "Vergewaltigungsblüter", wie man so sagte. Seine Mutter war ein Mensch, der von einem Dämon vergewaltigt worden war. Sein Stiefvater war der Ehemann seiner Mutter gewesen und hatte immer an Az ausgelassen, dass er die eigentliche Vergewaltigung nicht hatte verhindern können, ja sie nicht einmal mitbekommen hatte. Az' Mutter hatte einen psychischen Schaden. Wenn es nach seinem Stiefvater ging, dann durch die Vergewaltigung und die Tatsache, dass seine Flügel ihr den Bauch aufgeschlitzt hatten, als er geboren wurde. Aber heute wusste Az, dass auch Dämonen ihr Kinder unter Umständen mit Flügeln zur Welt brachten, und danach nicht gestört waren. Die kleinen, noch biegsamen Knochen in den Schwingen können dem Leib der Mutter genauso viel, oder wenig anhaben, wie normale Gliedmaßen auch. Aber als er noch ein Kind gewesen war, hatte er es natürlich nicht gewusst und es hatte ihm immer schrecklich leid getan, dass er seiner Mutter wohl so etwas schreckliches ,angetan' hatte. Für seinen Stiefvater war Az immer nur der kleine Bastard gewesen. Der Dämon, der von Grund auf schlecht, alles kaputt gemacht hatte. Aber Az' Mutter hatte zu ihm oft gesagt, wenn sie mal einen klaren Moment in ihrem Leben gehabt hatte: Du bist Aza'zel, der Sohn des Ashmodai. Und du bist mein Kind. Ein schöner Junge. Az hatte nie gewusst, was das bedeutete, denn er kannte seinen Vater nicht. Der Name seines Vaters war Ashmodai. Und das sagte ihm rein gar nichts. Aber Aza'zel war der Name eines echten Dämons. Er hatte das erst später herausgefunden, aber es war eine Tatsache. In der Sprache der Dämonen hatte es eine Bedeutung und deswegen hatte er sich immer Az nennen lassen, so wie seine Mutter ihn immer genannt hatte. Sie hatte seinen echten Namen niemals in den Mund genommen, außer, wenn sie diesen einen Satz zu ihm sagte, und sie hatte ihn seltsamerweise oft wiederholt. Az wusste nicht, ob es irgendwo auf der Welt vielleicht einen Dämon gab, der Aza'zel hieß, aber wenn, dann wollte er mit dem sicherlich keinen Stress haben. Manchmal, in bitteren Momenten dachte er darüber nach, ob sein Vater ihn oder seine Mutter vielleicht verhöhnen wollte; ihr deswegen eingeschärft hatte, wer er war, und wie sein Kind heißen sollte. Er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie so ein großer massiger Körper über ihrer zarten Erscheinung hing und immer wieder sagte: ,Das wird einmal Aza'zel, mein Sohn und ich bin Ashmodai, merk dir das gut, du kleine Hure.' Er wusste nicht, ob es so gewesen war, aber er wollte das nicht wirklich glauben. Aus irgendeinem Grund war er stolz auf sein Blut und hoffte irgendwann einmal herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Dieser Satz hatte sich in seinem Kopf eingebrannt. Du bist Aza'zel, der Sohn des Ashmodai. Und er wusste es ganz tief im Inneren, er war sich sicher, etwas ganz Besonderes zu sein. Er wusste es ganz einfach und obwohl er niemals unvorsichtig war, oder zu große Risiken einging, war er sich irgendwie sicher, dass er nicht einfach so irgendwie und irgendwo dreckig sterben würde, bevor er es nicht herausgefunden hatte. Auch nach einigen Minuten des Wartens tat sich nichts weiter in dem Röhrchen mit der Flüssigkeit und der Arzt schien enttäuscht zu sein. Az sah geduldig zu, wie er das Zeug in die Schale kippte und wieder wegsteckte. "Sie ist kein Blüter...", meinte der kleine Mann nachdenklich. Einen Moment wirkte es, als wolle er noch etwas sagen, er ließ es aber und ging stattdessen zu seinem Koffer zurück. Er kramte darin und kam dann mit etwas wieder, einem kleinen Salbentöpfchen aus Keramik. Er steckte zwei Finger herein und schmierte das Mädchen vorsichtig damit ein, dann reichte er es Az. "Damit jeden Tag zweimal einreiben.", ordnete er schnarrend an. "Dann sollte es besser werden, Fieber hat sie keines mehr. Mehr kann ich nicht tun." "In Ordnung," gab Az knapp zurück und stellte das Töpfchen auf das Nachttischchen links neben dem Bett. Er deckte Kassandra wieder zu. "War es das?", fragte der Arzt und putzte seine Nickelbrille. Az nickte. "Gut. Dann empfehle ich mich." Der kleine Mann watschelte zu seinem Koffer und ordnete ihn kurz, schloss ihn dann wieder und ließ die Scharniere zuschnappen. Er wuchtete das Riesenteil vom Glastisch und nickte noch einmal in die Runde, dann ging er aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Slizer warf Az einen mürrisch veralbernden Blick zu, der wohl den Arzt verhöhnen sollte, doch dieser war nachdenklich geworden. Er wartete eine Weile und setzte sich neben Slizer auf die Couch, der ihn fragend ansah. "Du weißt, was das heißt, oder Köter?" fragte Az geistesabwesend. "Nee," maulte Slizer zurück. "Wattdenn?" "Na ganz einfach..." gab Az zurück ohne seinen Gesprächspartner eines weiteren Blickes zu würdigen, "Sie ist kein Mensch und trotzdem hat irgendetwas mit da reingewichst. Was ist, wenn es kein Blüter, oder Dämon, sondern ein Engel war?" Nun sah er zu Slizer auf und erhielt einen verzerrten Gesichtsausdruck des Unglaubens als Antwort. "Du glaubst sie is'n verfickter Nephilim? Komm schon was soll die Scheiße?" Slizer gurrte unzufrieden und ungläubig. "Könnte doch sein. Und wenn ich auf diese Idee komme, kommt der Freak da auch drauf. Was is, wenn der das jemandem erzählt? Wir sollten schön die Klappe halten, hoffentlich kriegen wir keinen Ärger." Az sah nun starr und wieder gewöhnt kühl in den Raum. "Alles scheiße, vielleicht haben die Soldaten ja sie gesucht," maulte Slizer und warf sich auf die Linke Seite. "Gut möglich. Hoffentlich finden sie uns hier nicht," knurrte Az mürrisch. "Wenn sie ein Nephilim is, sollten wir sie im Fluss ersaufen, wo wir sie rausgeholt ham!", schnappte Slizer noch mürrischer. Az sah auf. "Wieso dass?", fragte er argwöhnisch. "Na weil Nephilim nur ärger machen!" knurrte Slizer wenig freundlich. Az sah ihn fest und kühl, fast herabwertend an. Er hielt den Blick einige Sekunden starr auf Slizer gerichtet und sah ihm in die Augen, was bei seinem großen Freund mal wieder für Trotz und Unbehagen sorgte. Was hat er denn nu schon wieder?, fragte der sich stumm. Az beendete die Diskussion. "Ach ja? Wie viele Nephilim kennst du denn?" Darauf gab Slizer natürlich keine Antwort, was Az als Eingeständnis reichte und der Köter grummelte und wendete den Kopf, wie ein Hund, den man beim Niederstarren bezwungen hatte. Az schenkte ihm daraufhin einen noch vernichtenderen Blick. Er wusste gar nicht so genau warum, aber er redete sich ein, dass es daran lag, dass er nicht leiden konnte, wenn Leute so sprunghaft ihre Meinung wechselten. Slizer war da sehr gut drin. Er hatte das Kind angeschleppt und nun sollte er sich ja nicht einfallen lassen, es auf Az abzuwälzen. Schließlich war es nicht seine Idee gewesen sie mitzunehmen. Kassandra begann derweil etwas lebhafter zu werden und Az stand auf, um nach ihr zu sehen. Das Mädchen hob den Kopf und blinzelte ihn verstört an, als er sich zu ihr setzte. Ihm vielen zum ersten mal ihre strahlend blauen Augen auf, die ihn sofort faszinierten. Er nahm das Salbendöschen vom Nachttisch und reichte es ihr. Sie nahm es zitternd und sah ihn fragend an. "Der Arzt war hier, während du geschlafen hast. Er hat dich auch untersucht. Er hat dich eingeschmiert und gesagt, wir sollen es jeden Tag zweimal auftragen. Ich geh dir da unten nich ran, also mach du das selber." Er hob entwaffnend die Hände während er sprach und erhob sich, als er zu Ende gesprochen hatte. Sie nickte nur, anscheinend bemüht, etwas dankbar auszusehen, aber es fiel ihr schwer. Az war sich sicher, dass sie dankbar war, jedoch schien sie der Schmerz niederzudrücken. Der körperliche, wie der seelische. Az ging zu dem Waschzuber herüber und wischte mit der Hand durch den Schaum und das Wasser. Es war noch warm, hatte jetzt eine angenehme Temperatur. Az begann sich auszuziehen. Er legte seine Schuhe beiseite, Socken trug er nicht, und besah sich seine Hose. Sie hatte vorne auf den Beinen je vier Löcher, sie waren teilweise Gebrauchsspuren, der Rest mit Absicht hineingemacht, und ziemlich ausgefranst. Das Blau der Jeans war hell und ausgewaschen mit einigen dunkleren Flecken. Und jetzt war sie dazu mal wieder voller Blut und links unter dem Ledergürtel, mit dem er sie trug zerfetzt von den Werwolfsklauen. Zum Glück war der Gürtel selber heil geblieben, allerdings hatten die Klauen der Bestie seiner Lederjacke übel mitgespielt. Der Reißverschluss war ausgerissen und zerfetzt und er ärgerte sich darüber. Er würde sie reparieren lassen, wenn sie erst einmal bezahlt wurden. Er seufzte, legte seinen Kram ordentlich zur Seite, sicherte seine Waffe, bevor er sie wieder ins Holster zurücksteckte und auf dem Klamottenberg platzierte. Die Folie, die ihm der Arzt für solche Anlässe dagelassen hatte, war seltsam, dünn und durchsichtig, und er wickelte seine Wunde irgendwie damit ein, damit der Verband nicht zu nass wurde. Er nahm das Band aus seinen Haaren und schüttelte sich, dann stieg er in die Wanne und seufzte. Das Wasser war sehr angenehm auf seiner Haut. Er tauchte mit dem Kopf unter und blieb erst einmal ein paar Minuten ruhig sitzen. Dann wusch er sich die Haare und schrubbte sich ab. Er war froh die Gelegenheit zu einem Bad zu bekommen, das war äußerst selten bei seinem Lebensstil. Als er wieder aus dem Wasser stieg war es fast kalt. Slizer schmollte immer noch und Kassandra gab keinen Mucks von sich. Az nahm seine Hose, besah sich die Misere und stopfte sie dann ins Wasser. Er wusch auch seine Shorts, legte sich ein Handtuch um die Hüften und trocknete seine Haare. Slizer hörte das Platschen des Wassers und drehte sich um. "Ach Az! Da wollte ich noch drin Baden! Jetzt ist es ganz dreckig, musst du unbedingt jetzt deine Klamotten waschen?" Az drehte sich nicht zu ihm um und machte einfach weiter. "Stell dich nicht so an. Das Wasser kommt warm aus der Wand und es hört nicht damit auf, warum auch immer. Du kannst dir neues Wasser machen." Er schrubbte die Jeans energischer, aber er wusste, dass er das Blut nicht herausbekommen würde. Die Hose hatte inzwischen viele solcher Flecken. Es klopfte an der Tür und Az ging um sie zu öffnen. Slizer drehte sich grummelnd um. Ein Bediensteter kam herein und schob einen kleinen metallenen Speisewagen hinein. Er platzierte ihn neben dem Tisch, machte eine andeutungsweise Verbeugung und ging wieder. Auf dem Wagen befanden sich einige Teller, die mit Silberkuppeln zugedeckt waren und zwei gute Flaschen Wein, sowie Gläser, Besteck und eine Karaffe mit Wasser. Slizer zog eine Augenbraue hoch und wuchtete sich in eine aufrechte Position. Seine Laune hatte sich schlagartig gebessert und er nahm das Essen in Augenschein. Unter der ersten Abdeckung kam ein dampfender Braten mit einer dunklen Soße zum Vorschein. Az stand skeptisch vor dem Tisch und kratzte sich am Kopf. "Na das nenn ich ein feines Fresschen!" grinste Slizer und hob weitere Deckel, unter denen eine Gemüsebeilage, Kartoffeln und eine seltsame Süßspeise zum Vorschein kamen, die an Grieß erinnerte. "Woll'n wir loslegen?" Jeder Streit schien vergessen und Az setzte sich. Slizer schlug zu, während Az eine kleine Auswahl traf und eher gesittet damit anfing, dieses seltene Ereignis zu genießen. So gutes Essen kam für ihn wirklich selten in Frage. Slizer schlang seinen Anteil eher hinunter und begoss das ganze mit einer ganzen Flasche Wein. Danach brachte er dem Mädchen eine kleine Auswahl unbeholfen ausgesuchter Happen und sprach leise zu ihr. Az sah sich das Spielchen an und stahl sich eine zerknautschte Zigarette aus Slizers Schachtel. Der Köter war Kettenraucher, irgendwie. Das bedeutete, das er maßgeblich über seine Verhältnisse lebte, denn Zigaretten waren teuer und in Europa nicht ganz so leicht zu bekommen, wie in den HellfireStates, wo sie wieder maschinell produziert wurden. Nur Leute mit Kontakten nach Amerika oder zur Neuen Welt Allianz konnten Zigaretten importieren und das waren im ersten Fall meist Dämonen und im zweiten Fall nur Menschen, denn die Widerstands-Armee der NWA vernichtete alles, was nicht menschlich war. Bei den Dämonen konnte auch nicht jeder einfach aus den States importieren. Das konnten nur Lords, die hier Land besaßen und den Krieg gegen den menschlichen Widerstand der NWA anführten, oder hohe Tiere aus Wien. Wien war neben Rom eine der wichtigsten Städte, die von Dämonen beherrscht und bewohnt wurden. Es musste eine schöne Stadt sein, aber dort waren Blüter sicherlich genauso Abschaum, wie überall auf der Welt, wo Dämonen das Sagen hatten. Dort hinzukommen musste sehr schwierig sein. In Anbetracht solcher Fakten war klar, dass Slizer im Verhältnis zu seinem unregelmäßigen Einkommen zu viel und zu regelmäßig rauchte. Az zündete sich eine an und lehnte sich auf der Couch zurück. Slizer kam zurück und Kassandra schien zu essen. "Ich leg mich pennen," meinte er und gähnte, dann warf er sich auf die Seite und begann wie immer kurze Zeit später zu schnarchen. Az rauchte zu Ende; drückte dann die Zigarette in einem Aschenbecher aus, der auf dem Tisch stand. Er zog die Knie an und schlang die Arme darum. Er dachte nach. Aber dann bemerkte er zum Einen den stechenden Schmerz in seinem Bauch und zum Anderen seine aufsteigende Müdigkeit. Er schloss die Augen und öffnete sie dann wieder. Die Folie war schnell entfernt und er warf dem schnarchenden Slizer einen seltsamen Blick zu, dann Kassandra. Auch sie schien wieder eingeschlafen, oder was auch immer. Az schüttelte sich und ruckte einmal kräftig an seinem Halsband. Er musste seine Sinne und Gedanken beieinander halten. Wahrscheinlich war es nicht nötig, sich mit dem Schlafen abzuwechseln, und er war auch zu müde, um anstelle seines sorglosen Freundes zu wachen. Wenn ihre ,Auftraggeber' sie loswerden wollten, dann hatten sie ihnen jedenfalls mehr als nur eine angenehme Henkersmahlzeit verschafft. Az gähnte und streckte die Zunge heraus, so weit er konnte (etwa 20cm), dann schüttelte er sich und ließ sie wieder zurückschnellen. Es hatte keinen Zweck. Auch er ließ sich auf die Seite fallen und kauerte sich zusammen, wie ein schlafendes Raubtier. Er beschloss, nicht mehr nachzudenken, schüttelte die Gedanken ab, machte seinen Kopf leer. Er spürte wie die Endlosigkeit näher kroch und ihn der Frieden eines schlafenden Verstandes einholte... wie irgendetwas nach seinen Gedanken griff und sie sanft tötete, damit er Ruhe finden konnte und er ergab sich der namenlosen Dunkelheit in seinem Geist, die aus seiner Seele emporkroch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)