The Balance of Creation von Autumn (TYKA u. a.) ================================================================================ Kapitel 33: Das gefrorene Herz (Teil 2) --------------------------------------- Kapitel 33: Das gefrorene Herz (Teil 2) Kai merkte nicht, dass eisiger Regen auf ihn hernieder prasselte. Er konzentrierte sich einzig auf den Kampf, der ihm bevorstand. Es würde wohl der schwerste Kampf seines bisherigen Lebens sein....wenn Tala die Wahrheit gesagt hatte, und daran gab es keinen Zweifel. ~~ RÜCKBLENDE ~~ Das Telefon läutete, schrill, aufschreckend. Kai, der sich gerade in der Diele aufhielt und anhand der Stiefel festgestellt hatte, dass Hiro zurückgekommen war, hob den Hörer ab. „Hier bei Kinomiya?" „Ich hatte gehofft, dich zu erreichen, mein Freund." Die Augen des Russen weiteten sich. Seine Finger krampften sich um den Apparat. „Tala....! Du bist aufgewacht? Wie geht es dir?" Am anderen Ende der Leitung zeigte sich ein trauriges Lächeln auf den Lippen des Rothaarigen. Keine Fragen. Keine Vorwürfe. Sein „kleiner Bruder" war einfach nur besorgt. Und das nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Nein, nicht zwischen ihnen, sondern zwischen Iras und Suzaku. Tala wusste sehr genau, dass er sich selbst lange nicht würde verzeihen können, mochten es auch seine Freunde getan haben. Doch dafür war jetzt keine Zeit! „Hör zu, Kai: Als ich....als ich noch der Krieger des Zorns war und Tyson sich in meiner....seiner....Gewalt befand, hat er ihn mit einem Fluch belegt, der sich Eis-Kuss nennt. Wer immer mit dem Eis-Kuss berührt wird, dessen Herz erkaltet und sämtliche guten Gefühle werden aus dem Opfer getilgt. Übrig bleibt nichts außer negativen Erfahrungen, und eine aufgezwungene Liebe für denjenigen, der den Zauber angewendet hat. Der Eis-Kuss verstärkt auch die schlechten Eigenschaften eines Individuums, und wenn es verletzt worden ist, ist es besonders anfällig und gefährlich. Ich kenne das Gegenmittel nicht, aber ich glaube, du bist der einzige, der Tyson noch retten kann! Ich bin in Schwarzer Magie nicht sonderlich bewandert, aber als ich Hades diente, habe ich....hat Iras....viele Zauber benutzt, die diesem Bereich entstammen. Ich bin kein Experte, aber eins ist sicher: Kein Lebewesen überlebt einen Eis-Kuss, wenn der Zauber nicht vervollständigt worden ist. Iras hat mir gesagt, dass er Tyson noch einmal hätte küssen müssen, um seinen Organismus gegen die Kälte in seinem Körper resistent zu machen. In diesem Zustand wäre er für uns verloren gewesen - aber in seiner jetzigen Form ist der Eis-Kuss ungleich bedrohlicher, weil er ihn töten kann! Das darf nicht passieren! Ich bitte dich, Kai: Hilf ihm!" „....Du....bist dir völlig sicher mit dieser Sache?" „Würde ich sonst anrufen, obwohl ich mich fühle wie ausgekotzt?! Wo ist Tyson?" „In der Trainingshalle. Hiro ist bei ihm. Ich glaube, er will ihm den Kopf waschen." „Das sollte er nicht tun. Hiro ist nicht unbedingt in der besten seelischen Verfassung. Deimos hat ihn entführt und trotz seiner mentalen Stärke ändert das nichts daran, dass der Umgang mit diesem Psycho garantiert nicht angenehm war! Noch dazu ist dieser Bastard derjenige, der Brooklyns Körper besetzt hat. Hiro liebt Brooklyn und dann mit Deimos fertigwerden zu müssen, ist eine seelische Zerreißprobe. In diesem Zustand sollte er nicht mit Ty sprechen, er ist selbst zu verletzt, und wer verletzt ist, verletzt andere! Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Zwischen den beiden Brüdern ragt immer noch eine Mauer auf, das konnte ich spüren, als sie in der Unterwelt waren. Hades‘ Dimension macht negative Schwingungen deutlich.... irgendetwas ist da noch, eine Wand, die sie noch nicht eingerissen haben. Solange diese Wand vorhanden ist, können sie einander nicht wirklich helfen und vertrauen! Und deswegen bin ich davon überzeugt, dass nur du allein Tyson von Iras‘ Bann erlösen kannst!" „....Warum?" „Warum? Ganz einfach: Weil du ihn liebst." ~~ ENDE DER RÜCKBLENDE ~~ Damit hatte er aufgelegt und Kai hatte dem monotonen Tuten eine Weile gelauscht, bis sein Verstand zu arbeiten begonnen hatte. Er war in sein Zimmer gegangen und hatte seine alte Bemalung aufgetragen....als Symbol für die nahende Herausforderung. »Soll ich dir nicht helfen?« »Nein. Das Angebot ehrt dich, Suzaku, aber das ist eine Sache, die ich alleine erledigen muss. Verstehst du das?« »Ja, ich verstehe es. Besser, als du vielleicht denkst.« Und nun stand er einem Tyson gegenüber, dessen Augen kälter waren als selbst die seinen. Sie hatten die Farbe gewechselt und glänzten blau, aber es war kein strahlendes, heiteres Blau, sondern matt, leblos, eisig. Vor langer Zeit war sein Blick ebenso gnadenlos gewesen. Ein Blick, unter dem alles und jeder in die Knie ging und zu wimmern anfing. Ein Blick, der nicht von Tyson getragen werden durfte. „Hiro - ruf dein Blade zurück. Das ist eine Angelegenheit zwischen deinem Bruder und mir!" „Ist das nicht zu riskant? Er ist nicht er selbst! Er könnte dich verletzen!" „Das muss ich in Kauf nehmen." Der Silberhaarige fügte sich widerwillig und pfiff auf zwei Fingern. Metal Dragoon drehte um und schoss auf ihn zu, bis er zum Stehen kam. Er hob den Kreisel auf und entfernte sich unter die Veranda, um den Kontrahenten Platz für den Kampf zu machen. Er fragte sich, ob er nicht zu hart zu Tyson gewesen war. Zum einen war da der Zauber, der ihn offenbar veränderte und die Tatsache, dass sie sich noch nie ausgesprochen hatten. Er hatte seinen Ototo allein gelassen, in einer Zeit, in der er ihn am nötigsten gebraucht hätte. Zwar gab der Jüngere sich vergnügt, fröhlich und aufgedreht, aber wer konnte schon sagen, was sich hinter dieser Fassade verbarg? Kai hatte seit jeher eine Maske nach außen präsentiert, eine stoische, unberührte Maske - und Tyson? Sicher, es war vielleicht die Maske eines Clowns....aber nichtsdestotrotz war es eine Maske. Wie sah er aus, wenn die Vorstellung vorbei war? »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Es gibt Jahre im Leben meines Bruders, die ich nicht kenne und ich bereue es zutiefst. Aber welche Wahl hatte ich denn? Ich musste Vaters Erbe antreten, das war meine Pflicht. Meine Eltern sind tot. Mein Bruder ist mir entfremdet. Mein Geliebter wird von einem Mörder kontrolliert und hat sich in einen Verrückten verwandelt. Allmählich reicht‘s. Ich wünschte, ich könnte das alles ungeschehen machen, aber das ist unmöglich! Immer wollte ich stark sein, um sämtlichen Anforderungen meiner Umwelt gerecht zu werden....und statt dessen bin ich gescheitert! Ich bin gescheitert!« Seine Finger krampften sich um das Beyblade. Er biss sich auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken, die in ihm nach oben drängten. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte. Es musste eine Ewigkeit her sein. Er hatte stark sein müssen, eine Alternative hatte nie existiert. Gleichgültig, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, sich einfach nur fallenlassen zu dürfen, es war niemand da gewesen, der ihn hätte auffangen können. Niemand....ein eisiger Schauer rieselte ihm plötzlich über den Rücken. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Was zum Teufel....?! Er wandte sich um und der Dojo verwandelte sich vor seinen Augen in eine große, aber niedrig überdachte Halle, die im Inneren mit Feuern erhellt wurde. Er wusste kaum, wie ihm geschah, als er mit einem Mal inmitten dieser Halle stand und schattenhafte Gestalten in schwarzen Gewändern links und rechts von ihm in einer Reihe am Boden sassen und ihn anzustarren schienen, obwohl ihre Gesichter nur als schemenhafte Flächen im Halbdunkel erkennbar waren. Am Ende der Reihen zeichnete sich eine Silhouette gegen das Licht der Flammen ab, die ihm eigentümlich vertraut war. Ihm stockte der Atem, als die Person nach vorne trat und sichtbar wurde. Es war ein Mann mit kurzen dunkelblauen Haaren und braunen Augen, seine Haut war bronzefarben. Auch er trug schwarz; seine Kleidung war die modernisierte Version einer Ninja-Uniform. „Vater....! Nein, das ist unmöglich! Du....du bist tot....!" „Hast du gepackt?" lautete die unpassende Gegenfrage seines Gegenübers. Hiro blinzelte irritiert. Er erinnerte sich, dass er diese Unterhaltung schon einmal geführt hatte - kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag. Am folgenden Tag hatte er dann Tyson und seinen Großvater verlassen, um seine Bestimmung zu erfüllen.... „Ja, ich habe alles für meine Abreise vorbereitet." antwortete er daher beinahe automatisch. Mr. Kinomiya lächelte traurig, während er ihn musterte, als hätte er immer noch seinen jugendlichen Sohn vor sich und keinen jungen Erwachsenen. „Du weißt, warum ich dich herrufen ließ, mein Junge?" „Ja. Du bist krank und wirst bald sterben. Also muss ich dein Erbe antreten. So will es die Tradition der Krieger der Schatten. Der älteste Sohn folgt seinem Vater nach." Die Krieger der Schatten - die Kage no Bushi - waren eine Geheimorganisation. Sie waren eine Mischung aus Samurai und Ninja, wobei sie bis zu einem gewissen Grad die Wertvorstellungen und Prinzipien der ersteren übernahmen und die Kampfkünste der letzteren. Sie waren die Krieger im Verborgenen, und ihre Aufgabe bestand darin, hochstehende Persönlichkeiten der japanischen Gesellschaften zu beschützen. Eine Art heimlicher Leibwächter, von dem die Öffentlichkeit nichts wusste und der die ihm zugewiesene Person vor allem bei Aufenthalten im Ausland begleitete, sie gegen sämtliche potentiellen Gefahren abschirmte und, sollte es von ihm verlangt werden, brisante Aufträge ausführte, die bei Unterstützung der Polizeikräfte anfingen und bei politischen Missionen aufhörten. Auch die kaiserliche Familie hatte Kage no Bushi in ihren Diensten. Die Position als solche war vererbbar. Auch sein Großvater war ein Krieger der Schatten gewesen, und er hatte strengstes Stillschweigen darüber bewahrt, wie der Ehrenkodex es vorschrieb, bis sein eigener Sohn mit zehn Jahren ins Ausbildungsalter gekommen war. Nicht einmal die engsten Familienmitglieder durften ins Vertrauen gezogen werden, da selbst dies eine Entlarvung hätte bedeuten können. „Mir ist bewusst, dass ich dir damit eine große Last aufbürde, aber ich habe keine andere Wahl. Die Krankheit ist zu weit fortgeschritten. Doch vergiss eines nicht: Du wirst eine besondere Stellung einnehmen - denn eines Tages wirst du damit beauftragt werden, über deinen Bruder zu wachen. Lehre ihn, ein wahrer Beherrscher des Windes zu sein." „Ich verstehe nicht...." „Irgendwann wirst du es verstehen." Das stimmte. Jetzt verstand er. Tyson war einer der Prinzen der vier Elemente - ihn zu beschützen und ihn zu einem Krieger zu formen, war seine Order gewesen. „Sie werden in das Leben Ihres Bruders zurückkehren, wenn das Böse nahe ist", hatte Mr. Dickenson ihm erklärt. Er war der Schutzbefohlene seines Vaters gewesen und daher eine Art Vertrauter - mit einem Unterschied: Im Gegensatz zu seinem Vater hatte er nicht gewusst, wer der alte Herr tatsächlich war. Eine bekannte Persönlichkeit und Leiter des Beyblade-Verbandes, gut und schön. Zwar konnte eine solche Person den Schutz eines Kage no Bushi für sich beanspruchen, aber in der Regel nicht den eines im Rang so hochstehenden Mannes wie sein Vater es gewesen war. Normalerweise wäre ein wichtiger Politiker oder vergleichbares in seinen Bereich gefallen. Er hatte das nie ganz begriffen. Wie hätte er ahnen können, dass die Krieger der Schatten und der Orden von Eden, zumindest dessen japanische Vertreter, in engem Kontakt standen, da er doch von der Existenz des Ordens nichts gewusst hatte? Hiro selbst hatte nach dem Tod seines Vaters seine Kampfkünste und Techniken trainiert und verbessert, um seinem Erbe gerecht zu werden. Er hatte drei Jahre lang im Schatten gelebt. Es gab keine Informationen über ihn, „Hiro Kinomiya" galt als vermisst, sogar als untergetaucht. An seiner Stelle erschien „Jin". Er mied das Licht und somit die Öffentlichkeit. Bis er den Befehl erhielt, seinen Bruder zu bewachen. „Wenn das Böse nahe ist"....ja. Als es sicher war, dass all jene, die mit dem Kampf um das Schicksal der Welt zusammenhingen, an einem Ort zusammentreffen würden, trat er zum ersten Mal wieder aus der Dunkelheit hervor. Damals kannte er diesen Beweggrund, den Anlass dieses Befehles, natürlich nicht. Erst, als die Sache mit Eden begann, wurde es ihm klar. „Beschützen Sie Tyson Kinomiya und formen Sie ihn zum Krieger. Suchen Sie Herausforderungen für ihn, die ihn zwingen, an seine Grenzen zu gehen." Deshalb hatte er sich auf die Seite der BEGA geschlagen, um eben diese Herausforderungen für ihn zu finden. Der konkrete Sinn all dessen war ihm verborgen geblieben, aber sein Instinkt hatte ihn erkennen lassen, dass er hier offensichtlich in einer Angelegenheit steckte, die um vieles größer war als er selbst. Und nach sechs Jahren hatte er endlich erfahren, warum man ihn ins Licht zurückholen wollte, warum er Tyson beschützen und trainieren sollte, warum sein Vater ausgerechnet Mr. Dickenson bewacht hatte....nur eines in diesem wohldurchdachten Gefüge war nicht so verlaufen, wie der Orden von Eden und Diomedes es sich vorgestellt hatten: Der Schattenkrieger verliebte sich nämlich in Brooklyn Masefield, die Reinkarnation von Deimos. Das war nicht vorgesehen. So viel zum vorherbestimmten Schicksal. Hiro unterdrückte die schmerzvollen Erinnerungen. Kage no Bushi zu sein, verpflichtete einen zur Einsamkeit, verantwortungsvolle Aufgabe hin oder her. Wenn niemand von dir wissen darf, hast du nicht zu existieren. So einfach ist das. Man konnte aus dem Dienst entlassen werden, wenn man sich ein Leben im Licht wünschte. Aber ein Teil dieses Lebens würde für immer in Finsternis versunken bleiben....und häufig gelang einem die Flucht aus dieser Finsternis nie vollständig. Sein Vater lernte seine Mutter mit 25 kennen und lieben und beantragte daher seine Entlassung. Sie wurde ihm nur zögernd gewährt, denn er war einer der besten Männer der Organisation. Und wenn ein zu delikater Auftrag anstand, musste er sich darum kümmern. Sein Tarnberuf als Archäologe verschaffte ihm die Möglichkeit, unauffällig für längere Zeit zu verschwinden, ohne Verdacht zu erregen. Er ging immer schweren Herzens. Aber er ging. »Genau wie ich. Ich wollte Tyson und Großvater nicht verlassen, aber ich hatte keine Wahl! Nur Opa wusste, was los war - warum ich gehen musste. Aber Ty....er war zehn Jahre alt. Er hätte mich gebraucht! Aber es war meine Pflicht - und ich hatte es Vater versprochen! Auf dem Totenbett habe ich ihm versprochen, seine Aufgabe weiterzuführen! Auch wenn es schwer für ihn war, er war stolz darauf, ein Kage no Bushi zu sein! Er empfand sich als einen der ‚heimlichen Hüter Japans‘! Wie hätte ich ihn enttäuschen, wie hätte ich ‚nein‘ sagen können! Und wie hätte ich die Tradition verraten können - eine Tradition, die mindestens zweihundert Jahre alt ist, und deren Grundstock die Samuraiprinzipien der alten Zeit sind! Wenn ein Krieger in den Konflikt zwischen Gefühl und Pflicht gerät, so entscheidet sich der wahre Krieger immer für die Pflicht! Das hat man mir beigebracht! So hat auch Vater gelebt - ehe die Liebe zu meiner Mutter sich als stärker erwies und er zum ersten Mal dem Gefühl nachgab und nicht seiner Pflicht folgte. Auch mein Schweigen fällt unter die Pflicht. Aber kann ich das verantworten, wo mein Bruder sich von mir entfernt? Es ist meine Schuld, dass er die Einsamkeit gespürt hat! Er wird mich niemals verstehen, wenn ich ihm nicht die Wahrheit sage! Er wird mir....niemals wirklich verzeihen! Ich will das nicht! Ich will das nicht!!« Tränen sammelten sich in seinen Augen, er blickte zu seinem Vater hinüber. Wieso sah er ihn? War das eine Vision, die ihm helfen sollte, seinen weiteren Weg zu erkennen? Er wollte danach fragen, plötzlich jedoch schmolz Mr. Kinomiyas Gestalt zu einer schwarzen Pfütze zusammen und die anderen schemenhaften Erscheinungen zerfielen ebenfalls und flossen zu der Pfütze hinüber, der schließlich Deimos in seiner neuen Rüstung entstieg. „D-du....!?!" „Ja, ich. War das nicht eine wundervolle Illusion? Es ist richtig spaßig, in den Köpfen anderer Leute herumzukramen, um Erinnerungen herauszupicken, die sie lieber weg sperren würden. Hm, Tränen....ich habe noch nie gesehen, dass du weinst. Du wirkst auf einmal so verletzlich. Was ist los mit dir? Hat das Auftauchen deines toten Papis zu viel in dir aufgewühlt? Wie bedauerlich!" Er grinste hämisch. Endlich hatte er die Oberhand in einer Konfrontation mit diesem Menschlein! Großartig! Er näherte sich ihm und wischte einige der Tränen, die dem Silberhaarigen über die Wangen liefen, vorsichtig ab. Die braunen Augen beobachteten jede seiner Bewegungen, erfüllt von Schmerz und Qual. Das versetzte Deimos einen ihm völlig unerklärlichen Stich in der Brust, doch er ignorierte es. „Ich hatte eine kurze Audienz bei meinem Gebieter. Er hat mir befohlen, dich zu töten. Oh, nicht nur dich. Kai und dein hochgeschätzter Bruder werden auch dran glauben müssen. Ihr Menschen seid so einfach zu überwältigen, wenn man eure Gefühle missbraucht, es ist herrlich! Ihr seid in der Tat eine schwache Spezies." fügte er eisig lächelnd hinzu. In seiner Hand materialisierte sich ein Beyblade. „Kennst du das hier?" „Aber das....das ist Dragoon! Wie kann das sein? Tyson hat doch damit gegen mich....!" „Oh nein, hat er nicht. Ich habe ihm sein Blade abgenommen, als ich ihn entführte. Statt dessen habe ich eine Fälschung in seine Nachttischschublade praktiziert. Da sich der Kleine momentan geistig und seelisch in einem abgekapselten Zustand befindet, ist ihm das nicht aufgefallen. Er sieht nur das, was seine verzerrte Wahrnehmung ihn erfassen lässt." „Das Blade, mit dem er kämpft....ist also nicht echt....aber da war doch....eine Kraft dahinter...." „Natürlich. Fälschung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich habe den Kreisel, mit dem er gegen dich antrat und den er auch gegen Kai einsetzen wird, mit einer Illusion ausgestattet, sodass er wie Dragoon aussieht. Aber es ist nicht Dragoon....sondern Zeus!" Während Hiro seine unliebsame Begegnung mit seiner Vergangenheit und dem Krieger des Todes hatte, lieferten sich Kai und Tyson ein Gefecht wie in ihren besten Zeiten. Ihre Beyblades krachten aufeinander, dass helle Funken flogen und der aufgeweichte Boden war übersät mit tiefen Fahrspuren. Manöver der verschiedensten Art wechselten einander ab, Attacken, Sprünge, Defensiven, Ausweichen....sie schenkten sich nichts. Dennoch begriff der Russe sehr genau, dass sein Tyson sich nie auf diese Weise duelliert hätte - sein zornverzerrter Gesichtsausdruck hatte nichts gemein mit dem Spaß und der Begeisterung, die der Japaner sonst für seinen Lieblingssport mitbrachte; diesem Gegner, dem er da gegenüberstand, fehlte die himmelhochjauchzende Freude, der Enthusiasmus, die überströmende Kraft, die aus seinem Herzen stammte. Wie sollte er das auch aus einem gefrorenen Herzen schöpfen? „Ty", rief er gegen das Tosen des Windes und das Prasseln des Regens an, „merkst du denn nicht, was mit dir geschieht? Iras hat dich mit einem Fluch belegt, der dein Inneres einfriert! Es ist nicht wahr, dass dich niemand liebt!! Der Eis-Kuss ist schuld daran, dass du das glaubst! Seine Magie verstärkt deine negativen Eigenschaften und Emotionen und begräbt das Gute und Positive unter einer eiskalten Schicht! Siehst du denn nicht, dass dieser Kampf ein Irrtum ist?! Bitte, du musst mir zuhören! Wenn du dich nicht gegen diese Kälte wehrst, wird sie dich umbringen!! Hast du kapiert?! Diese Kälte wird dich töten, wenn du sie nicht bezwingst!!" „Sei still!! Wage es nicht noch einmal, Iras zu beleidigen! Er ist der einzige, dem ich je wirklich etwas bedeutet habe!! Seiryuu war für Suzaku doch nur ein Spielzeug und du hast mich für wertloser gehalten als den Schmutz unter deinen Schuhsohlen!! Du hast mich verletzt und mit meinen Gefühlen gespielt, genauso wie Hiro, der mich einfach alleingelassen hat!! Euch beiden war ich immer vollkommen egal!! Solange ich euch von Nutzen war, habt ihr mich geduldet, aber kaum war ich nicht mehr notwendig, habt ihr mich zurückgestoßen!! Weißt du, wie verdammt weh mir das getan hat?! Weder dich noch meinen verfluchten Bruder interessiert es, ob ich seelisch vor die Hunde gehe!! Ich werde euch niemals verzeihen....ihm nicht und dir noch weniger!! Ich habe mir tatsächlich eingebildet, dass ich einen Mistkerl wie dich lieben könnte - und du hast mich trotzdem immer wieder verletzt und unglücklich gemacht!! Ich hasse meinen Bruder, wenn du‘s genau wissen willst!! Und dich hasse ich auch!!!" Er lachte. Es war ein boshaftes, durch und durch grausames Lachen. Kai ballte die Fäuste. Dieses schreckliche Lachen und die noch schrecklicheren Worte gingen ihm durch Mark und Bein. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Ja! Ich weiß es! Ich weiß, dass ich dich oft verletzt habe!! Ich habe keine Entschuldigung dafür! Aber du musst verstehen, dass ich nun mal so bin, wie ich bin! Mein Hass und meine Verbitterung sind ein Teil von mir! In meiner Vergangenheit war ich von Finsternis umgeben, in der nur vereinzelte Lichter existierten! Du hast mich einem umfassenden, strahlenden Licht nähergebracht, von dem ich jahrelang geglaubt hatte, es würde mir auf ewig fremd bleiben!! Du warst mein erster ebenbürtiger Rivale, mein erster echter Freund außerhalb der Abtei, du warst der erste, der mir wahre Hoffnung geschenkt hat!! Durch dich habe ich gelernt, wieder an Dinge wie Freundschaft und Vertrauen zu glauben!! Damals, als ich dabei war, gegen Brooklyn zu verlieren, hat allein der Gedanke an dich genügt, um mir neuen Mut zu verleihen!! Die Zuversicht, dass du selbst im Geiste bei mir warst - mehr brauchte ich nicht!! Ich war nicht immer ehrlich mit meinen Gefühlen....und weil ich schon zu oft verletzt worden bin, habe ich mich an eine einzige Devise gehalten: Verletzte andere, bevor sie sich verletzen können!! Aber du hast begonnen, mich zu verändern, Tyson!! Ich hatte niemals Worte für das, was mir fehlte....DU hast mir Worte gegeben....für Geborgenheit, Wärme, Schutz, Familie....und für die Liebe!! Es ist richtig, Hiro und ich haben manches falsch gemacht....aber du irrst dich, wenn du dich für einsam und ungeliebt hältst!!" Er schickte sich an, den herannahenden Angriff abzublocken, als die Präsenz in dem anderen Beyblade an Deutlichkeit und Stärke zunahm. Kai zuckte zurück und die Stimme des Phönix erklang in seinem Kopf: **Diese Aura....jetzt erst erkenne ich sie. Sie ist dunkel, bedrohlich....und stammt nicht von einem lebenden Wesen. Das ist nicht Dragoon!** »Bist du dir sicher?!« **Ja. Welche Kreatur es auch ist, die in diesem Blade steckt, sie ernährt sich von Tysons negativen Gefühlen und wird dadurch immer mächtiger. Das Wesen hat seine Aura lange unter Verschluss gehalten, um sich nicht zu früh zu verraten. Das ist sehr ernst, mein Hüter. Wenn es hervorbricht und dich attackiert....** »....könnte es ziemlich gefährlich für mich werden? Das ist mir klar. Aber das bedeutet auch, dass Tyson keine Kontrolle mehr über die Kreatur haben wird und sie sich gegen ihn wenden könnte. Das darf nicht passieren!« „Ich will deine lächerlichen Entschuldigungen nicht hören", erwiderte der Blauhaarige verächtlich. „Ich werde dich wegputzen wie nichts! Und danach ist Hiro an der Reihe! Ich werde euch für all das bezahlen lassen, was ihr mir angetan habt!!" Aus seinem wild wirbelnden Blade, das auf Dranzer einschlug, quoll eine schwarze Wolke hervor, die sich unheilverkündend wie eine Gewitterfront zwischen den beiden Kontrahenten aufbaute. Der Regen wurde stärker, das Toben von Blitz und Donner noch furchteinflößender. Der Wind raubte einem den Atem; wie mit Eisnadeln stach er durch die durchnässte Kleidung in Kais Körper. In der schwarzen Wolke erschien die ungeschlachte Gestalt eines Löwen mit peitschendem Schwanz und riesigen Pranken. Er stieß ein markerschütterndes Brüllen aus und seine gelben Augen fixierten den Russen mit teuflischer Grausamkeit. „Zeus....! Deimos‘ untote Bestie! Weg da, Dranzer!" Das Blade sprang auf Befehl direkt in seine Hand zurück und sein Besitzer gleich im Anschluss zur Seite, um einem Hieb der scharfen Krallen zu entgehen. Wenn das hier die Kreatur ihres Feindes war, wo war dann der Heilige Drache? Der Löwe spie ein kugelförmiges Geschoss aus schwarzen Blitzen aus und das erwählte Opfer rollte sich schnell aus dem Gefahrenbereich, während das Geschoss die hintere Gartenmauer zerlegte. Die blassen Finger krampften sich um das Beyblade. Nein! Er würde nicht sterben! Nicht so! Nicht jetzt! „FÜR DIE EHRE VON EDEN!!!" Die Verwandlung schützte ihn vor der nächsten Attacke und insbesondere vor der Witterung, denn als die Flammen sich senkten, umgab ihn ein sanftes rötliches Licht, das ihn gegen Wind und Regen abschirmte. Er schlug die Augen auf. Irgendetwas war anders als sonst. Er betastete den vergoldeten Brustpanzer, berührte den Umhang, strich sich über den Schopf seines langen Haares. »Suzaku! Was hast du jetzt wieder angestellt?« »Ich bin immer noch in deinem Bewusstsein, keine Sorge. Aber diesmal überlasse ich dir die Kontrolle. Du wolltest das hier alleine erledigen, soweit ich mich erinnere. Und das solltest du auch. Nicht ich kann Tyson zurückholen. Du musst es tun. Viel Glück.« Der Graublauhaarige nickte entschlossen und zog sein Schwert. Zeus, der ein neues Geschoss abfeuerte, traf auf einen Flammenstrahl, der seine magische Waffe zurückdrängte und sie ihm selbst um die Ohren haute. Er brüllte wütend, als sein Fell und die schutzlose Haut darunter schwer verbrannt wurden. Der Japaner schien sich prächtig zu amüsieren. Er beobachtete den Schlagabtausch zwischen Bestie und Prinz mit offenkundig krankhaftem Vergnügen und sein Lachen klang noch härter und brutaler. Das Blau seiner Augen wurde noch dunkler und kälter. Er begriff nicht einmal annähernd, dass er ebenfalls auf der Liste des Todeskandidaten stand, für ihn zählte nur, dass Kai vernichtet werden sollte. Sein Herz war so gut wie komplett erkaltet, ein einziger Klumpen Eis. Was war indessen bei Hiro und Deimos geschehen? Hades‘ treuer Gefolgsmann hatte die Illusion aufgehoben und nun befanden sie sich wieder in der Übungshalle des Dojos. Der Kendoka starrte noch immer auf das Blade in der Hand des Orangehaarigen und schluckte. Nur langsam wurde er des Kampflärms gewahr und als er hinauseilen wollte, hielt ihn der Krieger des Todes mit Schattenspiralen davon ab. „Lass....mich....los!!" „Oh nein, auf keinen Fall. Ich möchte nicht, dass du dich einmischst. Ich will derjenige sein, der dich tötet, nicht Zeus. Für die grobe Arbeit ist er recht nützlich, aber er versteht nichts von den Feinheiten. Pranke runter und Kopf ab - das ist sehr unelegant....und außerdem hinterlässt es eine scheußliche Sauerei." Er hatte einen makabren Humor, kein Zweifel. „Du sollst viel langsamer, qualvoller sterben....soll ich dir noch eine Illusion schenken? Wie wäre es mit dem Todestag deines Vaters?" Er schnippte mit den Fingern und die Halle wurde zu einem Krankenzimmer, an das Hiro sich nur zu gut erinnerte. Sein Vater lag in dem ungemütlich anmutenden Bett, umgeben von mehreren Schläuchen und Maschinen. Er war blasser als ein Gespenst und hatte durch die Chemotherapie all seine Haare verloren. Leider war sie nicht richtig angeschlagen und der Tumor war operativ nicht mehr aus seinem Gehirn zu entfernen. Seine sprachlichen Fähigkeiten waren mittlerweile sehr eingeschränkt. Diesmal sah Hiro sich selbst als Fünfzehnjährigen durch die Tür hereinkommen. Er setzte sich an das Bett und wartete. Sein Vater musterte ihn und wagte ein schmales Lächeln. „Du....endlich da....Sohn....du mir versprechen....dass kämpfen, ja? Es ist große Ehre....Kage no Bushi zu sein....mir es war Ehre. Versprich mir, dass du....mir nachfolgen....hörst du? Versprich mir, zu erfüllen deine Pflicht....bitte...." „Ich....ich verspreche es dir, Vater. Ich werde dein Erbe antreten! Vertrau auf mich!" Seine Lippen zitterten, silberne Tränen perlten über seine Wangen. Mr. Kinomiya fuhr ihm liebevoll durch das wirre Haar und murmelte: „Du....nicht wirst mich enttäuschen, ne? Ich weiß. Ich dir immer habe vertraut....mein Sohn...." Die Hand in seinem Haar rutschte herunter und landete auf der Decke. Hiro presste sie in einer verzweifelten Geste an sein Gesicht und begann hemmungslos zu schluchzen. „Nein!!" schrie er außer sich. „Nein, das ist nicht fair!! Bleib hier, Vater!! Bleib hier!! Was soll ich denn Ty-chan sagen?! Was soll ich Opa sagen?! Lass uns nicht allein!! Komm zurück....komm zurück!!" Die Illusion löste sich auf, nur seine Schreie hallten noch nach. Deimos grinste. „Wie emotional du damals doch warst! Längst nicht so stark wie du es heute bist - oder jedenfalls vorgibst, zu sein. Na? Schmerzt es, sich daran zu erinnern?" „Wieso zeigst du mir das!?" fragte der 24jährige mit halb erstickter Stimme. „Wieso muss ich das ein zweites Mal ertragen?! Bereitet es dir wirklich Freude, mich zu foltern?! Ob es schmerzt!? Und ob es das tut!! Ich wollte vergessen....und konnte es nicht. Ich habe keine Eltern mehr und für Tyson bin ich in meinem Kern immer noch ein Fremder. Der Mann, den ich liebe, ist in einen Mann verwandelt worden, den ich zu hassen gelernt habe! Ich will nicht mehr....ich kann nicht mehr....lass mich einfach in Ruhe...." Er fühlte sich so schwach wie noch nie in seinem Leben. Eine grausige, gnadenlose Qual höhlte sein Herz aus, die Tränen einer beängstigend leeren Existenz flossen aus seinen Augen. Er hatte keine Kraft mehr, um sich zu wehren. Sollte Deimos triumphieren....was kümmerte es ihn....er sank auf die Knie. Irgendwo in seinem Kopf ertönte eine Stimme, die er nicht kannte und die ihn in dieser Dunkelheit zu erreichen versuchte: **Gib mir ein Zeugnis deiner Kraft. Beweise, dass du meiner Wahl würdig bist. Zeige die Stärke deines Herzens in meinem Angesicht!** Er sah eine bläuliche Silhouette vor seinem geistigen Auge. War das....ein Drache? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)