A Kaleidoscope of Angels von abgemeldet
(Gemeinschafts-FF mit Tanja-chan// Chap 17 on!)
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Kapitel 13: ~Heartache every Moment...?~
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Anmerkung des Honeyteams: Wir wollen uns großzügig bei allen lieben
Kommischreibern bedanken, die noch immer an diese FF glauben und sie lesen
wollen. Wir haben uns mit diesem Kap. viel Mühe gegeben und haben für eure
treue Lesebereitschaft ein ziemlich langes Kapitel geschaffen, von dem wir
glauben, dass unser ganzes Herzstück dranklebt ^__^ Wir hoffen also, dass es
euch gefällt und als Inspirationsmusik haben wir mal wieder einen Mix aus
traurigen Songs gehört, die uns dabei ziemlich unterstützt haben.
Also *gg* wir haben zum Beispiel Jeff Bruckley - Hallelujah, Evanescence - My
Immortal (eigentlich das gesamte Album ^^) , Britney Spears - Everytime, Lamb -
Gabriel und Lifehouse - Walking away ;-D u. Mazzy Star - Into Dust angehört ^^
--> da konnte man supa zuuu tippen. ^^
also nun noch viel Spaß mit dem Lesen. Wir freuen und wie immer auf eure
Kommis.
*
~~~ Heartache every Moment...? ~~~
Das Warten ist unerträglich. Jeden Moment mit dem Gedanken zu verbringen, Yugi
könnte dort im OP sterben, die OP würde nicht erfolgreich sein. Die Last
meiner Schuld wiegt soviel, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder abladen kann.
Ich kann nicht mehr ruhig hocken, obwohl meine Füße mich umzubringen drohen.
Die Erschöpfung ist mir von der Nasenspitze abzulesen. Ich hadere gewaltig mit
mir, der Situation, meinem ganzem Leben. Warum musste ich auch damals in diese
Gang hineinschlittern? Wäre das damals nicht passiert, könnte Yugi vielleicht
noch...... Mit Entsetzen merke ich wie ich an das Wort „Leben“ gedacht habe,
so als ob Yugis Leben schon vorbei wäre. Nein, das kommt gar nicht in Frage,
Yugi wird das ÜBERleben, er ist stark. Der Kloß, der sich in meinem Hals
bildet, drückt immer stärker auf meine Kehle.
Endlich fließen sie, die zurückgehaltenen Tränen der Verzweiflung, eine
Wohltat und zugleich ein Fluch. Die Schwäche, die ich mit aller Macht
zurückdrängen wollte, überschwappt mich. Die Panik kehrt mit voller Wucht
zurück. Was habe ich GETAN? Oder was habe ich NICHT getan? Ich hätte schon
viel früher aus der Bande aussteigen sollen, viel früher endlich den
Schlussstrich ziehen sollen. Yugi nicht mit hinein ziehen müssen -
Mit einem leichten Räuspern macht sich eine Person bemerkbar. Ich drehe mich
langsam um und nehme sie in Augenschein. Es ist ein Arzt, er hat den OP-Kittel
noch nicht einmal abgelegt. „Wie geht es ihm, Herr Doktor?“, überfalle ich
ihn. „Sind sie einer von Herr Mutos Verwandten?“ Ich stutze. Verwandt?
Natürlich, wir sehen ja fast gleich aus, da wäre es doch anzunehmen, dass wir
verwandt sind. „Ja.“ Notlügen sind in manchen Situationen eindeutig erlaubt
und außerdem lüge ich ja nicht wirklich, ich kläre ihn bloß nicht richtig
auf. „Gut, dann darf ich Ihnen Angaben machen. Er hat die Operation
überstanden, ist aber noch nicht über den Berg.“
„Wie meinen Sie das?“, frage ich ängstlich. „Lassen Sie es mich so sagen,
wir haben seine Blutung gestoppt, aber er hat sehr, sehr viel Blut verloren. Die
Kugel hat seine Lunge angerissen. Hätte man ihn ein bisschen später
eingeliefert, hätte man ihn vielleicht nicht mehr retten können.“ Mit
geweiteten Augen starre ich ihn an. Nicht mehr retten können? „Sein Zustand
ist noch instabil, wir können ihn nicht richtig stabilisieren, der Körper muss
jetzt eigens wieder Blut herstellen. Wir dürfen ihm keines mehr geben.“
„Was bedeutet das jetzt genau, Doktor?“ Meine Stimme zittert, ich verstehe
überhaupt nicht, was er da sagt.
„Er muss eigens wieder aufwachen, sollte er das nicht können, dann....“
Taktvoll beendet er den Satz nicht. „Wollen sie sagen, Yugi liegt im Koma?“
„Nein, das habe ich nicht gesagt“, antwortet er seufzend. „Er liegt in
einer Art komatösem Zustand“, fügt er hinzu mit seiner sanften Stimme, die
er wohl nur benutzt, wenn er solche Schreckensnachrichten verbreitet, „nur er
hat die Möglichkeit wieder daraus zu erwachen!“
Für mich macht das zwar keinen Unterschied, aber ich schweige höflich.
Sowieso habe ich Angst, dass meine Stimme nicht wirklich funktioniert. „Kann
ich ihn sehen?“, presse ich hervor. „Tut mir leid, Herr Athem, aber das ist
unmöglich.“ Das Wort hallt in meinem Kopf. Leichter Schwindel befällt mich.
„Herr Athem, geht es Ihnen nicht gut?“ „Doch, doch. Wann ist es dann
möglich ihn zu sehen?“ „Wir benachrichtigen sie, wenn er aus dem
Aufwachraum heraus ist, soll heißen, sofort nachdem man ein Zimmer gefunden
hat“, zerstreut er meine Bedenken. „Hier“, er reicht mir ein kleines
grünes Papier. „Das geben Sie bitte der Dame am Empfang, sie wird Ihnen dann
Herr Mutos persönliche Sachen aushändigen und dort können Sie auch ihre
Telefonnummer hinterlassen, dann informiert man sie, wenn es Besserungen
gibt.“ Mit viel Anstrengung schaffe ich es, meinen Köper dazu zu bringen, den
Zettel entgegenzunehmen.
There's no one in town I know
You gave us some place to go
I never said thank you for that
I thought I might get one more chance
What would you think of me now
Wie betäubt starre ich auf ihn. „Herr Athem es wird sicher alles wieder
gut“, lässt der Arzt noch seinen standardmäßigen Aufmunterungsspruch ab.
Sollte das nun wirklich ein Versuch sein, mich aufzumuntern? Wie gekünstelt, so
als ob ihn Einzelschicksale nicht wirklich berühren würde, nur dieser
einstudierte Spruch – als hätte er diesen schon zu tausenden gesagt, die
vorher an meiner Stelle standen.
Ein Piepen lässt uns beide leicht aufschrecken. Sofort wirft er einen Blick
darauf und eilt ohne ein richtiges Abschiedswort davon. An seiner Stelle tritt
nun ein uniformierter Polizist. Mir wird heiß und kalt. Ich sehe verstohlen
seinen Waffengürtel an der Seite und die Handschellen, die daran baumeln. Das
habe ich ja total vergessen. „Herr Athem?“ „Ja“, antworte ich kurzatmig.
Ich hege keine Zuneigung gegenüber der Polizei, ich halte sie für unfähig und
für Sesselfurzer, die nur Büroarbeit kennen. Sie interessieren sich nicht die
Bohne für Einzelschicksale…viel wichtiger ist es, Verbrecher zu fassen, egal
welche Gründe sie meinetwegen haben könnten.
„Darf ich kurz ein paar Worte an Sie richten?“ „Da Sie das ja bereits
machen, kann ich wohl schlecht „Nein“ sagen“, rutscht es mir raus.
Ich wollte eigentlich nicht so schroff antworten, aber schon allein diese eine,
kleine Frage zeugt schon von der Unfähigkeit dieses Menschen. „Was wissen sie
von der Schießerei im Club Kaleidoscope?“, stellt er rundheraus seine erste
„richtige“ Frage. Jetzt stehe ich vor einem großen Problem: Vertusche ich
die ganze Sache wie immer, oder rücke ich mit der vollen Wahrheit heraus und
mache Schluss mit allem, egal welche Konsequenzen das haben kann?? „Ich weiß
gar nichts.“ „Aber sie sind doch wegen des…Unfalls hier?“ Skeptisch
schaut er mich an. „Das stimmt wohl, doch Augenzeuge kann ich mich nicht
gerade nennen, ich habe sie nämlich nicht gesehen, ich war am anderen Ende des
Raumes, in der Nähe des Eingangs.“ Ein unterdrückter Aufschrei sitzt in
meiner kehle und schlechte Gewissensbisse machen sich breit und lullen meinen
Verstand ein, doch die Wahrheit zu sprechen.
„Kann das jemand bezeugen?“ „Das soll wohl ein Witz sein. Der Raum war
berstend voll, keiner hat keinen erkannt. Aber um ihre Frage zu beantworten,
gesehen hat mich niemand, ich war ohne Begleitung da.“
Schnell notiert sich dieser „freundliche“ Polizist einiges auf seinen
Notizblock. „Das wäre dann alles, Herr Athem, falls Ihnen noch irgendwas
einfällt, sie wissen ja, wo sie mich finden können. Polizeirevier, gleich zwei
Straßen weiter.“ „Aber sicher, Officer“, lächele ich gekünstelt und
schaffe es sogar meiner Stimme einen freundlichen Ton zu geben. Schnell
verlässt auch er den Gang und ich stehe abermals alleine da. Langsam sollte ich
mich echt auf den Weg machen, es bringt ja nicht viel wenn ich hier dumm
herumstehe. Ich balle meine Hand mit dem Zettel noch mehr zusammen, sodass ich
das Papier rascheln höre. Stumm gehe ich an den Menschen vorbei, die sich im
Gang befinden. Alle werfen einen kurzen Blick auf mich und ich selbst blicke an
mir herunter. Überall bin ich mit Blut bespritzt und beschmiert. Mit Yugis Blut
wie ich mir ins Gedächtnis rufe, nicht mit meinem eigenen. Oh mein Gott. Noch
Angstschweiß ist auf meiner Stirn und ich beschaue meine Hände, an denen das
Blut bereits getrocknet ist.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ Die freundliche Stimme der Dame lässt mich
auch ein bisschen ruhiger werden. Sie schaut auf meine Hände und seufzt auf.
„Hier haben sie feuchte, desinfizierende Tücher, falls das nicht ausreicht,
gehen sie einen Gang weiter, da ist die Männertoilette. Da können sie sich
sauber machen.“, meint sie langsam und dreht sich mit ihrem Drehsessel um die
Achse, öffnet einen Medizinschrank, gegenüber dem Tresen und holt eine Box
heraus. Sie gibt mir ohne ein weiteres Wort die Tuchbox. Während ich sie
weiterhin nur anstarren kann, hole ich mir ein Tuch heraus und rubble langsam
über meine Finger. Ich kneife die Augen zusammen und bin kurz davor, erneut
Tränen zu vergießen. Ich bin wie versteinert, als ich das Geruch des Tuches
rieche und sehe wie es sich langsam rot färbt. „Hier“, ich reiche ihr
schließlich den Zettel, als meine Finger wieder meinen eigenen Haut Ton zeigen.
„Das soll ich bei Ihnen abgeben.“ Prüfend sieht sie kurz den Zettel an,
dann beugt sie sich hinter und holt eine kleine Plastikbox hervor. Mit einem
undefinierbaren Blick drückt sie sie mir in die Hand. Von ihrem Schreibtisch
nimmt sie ein Klemmbrett und schreibt die Boxnummer auf. „Sie müssen hier
unterschreiben, damit bestätigen Sie, dass sie die Sachen abgeholt haben.“
Mit krampfenden Händen fasse ich den Stift und krakele meine Unterschrift hin.
„Vielen Dank.“ „Der Arzt hat mir gesagt, ich könne meine Telefonnummer
hinterlassen, dann würde man mich benachrichtigen, falls sich etwas ändert“,
sprudele ich hervor, als sie nicht auf das Thema zu sprechen kommt.
„Natürlich, verzeihen Sie. Das habe ich völlig vergessen“, entschuldigt
sie sich. Ich diktiere ihr meinen Namen, meine Telefonnummer und meine
Handynummer, falls ich daheim nicht erreichbar wäre.
Mit einer kleinen Verbeugung bedanke ich mich höflich bei ihr und eile trotz
allem noch in die Männertoilette. Ich bin alleine hier, zum Glück. Denn mein
Magen schlägt eine Revolte, als würde er nun endlich sagen, was so sehr auf
ihn lastet. Das Blut, das noch an meinem Pulli zu sehen ist, sehe ich erst jetzt
und mir entkommt ein Keuchen, ein tiefes Einatmen folgt.
Mir wird übel…oh Gott! Ich eile in die Toilettenkabine und hänge mich über
die Toilettenschüssel. Meine Gedanken sind vollkommen leer, als mein Magen
alles ausspeit, was er zuvor noch in sich gehabt hat. Oh Gott, ich konnte noch
nie Blut sehen, zumindest nicht soviel. Ich habe mich lange genug
zusammengerissen, doch nun…kann ich nicht mehr.
So lucky, so strong, so proud?
I never said thank you for that
Now I'll never have a chance
Mein Hals schmerzt…zögernd umfasse ich selbst meine Kehle. In meinem Mund ist
ein widerlicher, bitterer Kloß von Speichel, meine Speiseröhre ist wie
zusammengeknetet. Oh Gott…ich versuche mich vor den Waschbecken wieder zu
sammeln und lasse noch einmal viel Wasser über meine Hände fließen. Das Blut,
das viele Blut…Yugis Blut…wenn ich es weiter ansehe, werde ich noch
verrückt, weil ich Angst habe…oh Gott…dieser Geruch…diese Schuld in
mir…mein Magen drückt gegen meine Bauchhöhle. Wenn schon soviel Blut an
meinen Fingern war…er hat soviel verloren…nur wegen THUNDER! Als ich
endlich das Gefühl habe, das Blut von mir gewaschen zu haben, laufen Tränen
aus meinen Augen, ich halte sie nicht auf, ich sehe nur meinem Spiegelbild zu,
das erschrocken mir entgegen blickt. Der Schmerz ist mit meiner Übelkeit noch
größer geworden. Ich atme tief ein und wieder aus, sehe den leichten Abdruck
meines schwachen Atems auf dem Spiegel vor meinen Lippen. Schließlich fasse ich
mich wieder nach etwa 15 Minuten und verlasse endgültig das Gebäude.
Wie betäubt streife ich durch die Straßen. Es ist bereits 2 Uhr nachts, doch
trotz allem sind die Straßen noch sehr belebt. Immer wieder kommen mir
„Vampire“, wie ich solche Menschen spöttisch bezeichne, entgegen. Ich
würdige keinen Mensch eines Blickes. Warum auch? Sie sind mir nicht wichtig,
dem wichtigsten Menschen habe ich......verloren? Immer wieder muss ich an Yugi
denken. An seinen Zustand, daran, dass ich ihn nicht sehen kann. Verwundert
starre ich auf das Haus zu dem mich meine Füße getragen haben. Yugis Haus.
Warum, warum, warum? Ich greife in meine Hosentasche und ertaste Yugis
Schlüssel. Soll ich das wirklich tun, darf ich das überhaupt? Mich überkommt
der Reiz unvorbereitet -
So what would you think of me now
So lucky, so strong, so proud?
I never said thank you for that
Now I'll never have a chance
Sachte schließe ich auf und trete ein. Yugis Präsenz erschlägt mich fast,
obwohl er gar nicht hier ist. Aber meine Mutter hat mir damals immer erzählt,
dass ein Mensch mit seiner „Aura“ immer Spuren in seinem Haus hinterlässt.
Ich habe sie verspottet und es unter ihrem „Esoterik-Scheiß“ verbucht, doch
heute bin ich gewillt ihr zu glauben. Yugi ist hier und doch irgendwie ist er es
nicht! Mich um meine eigene Achse drehend, sehe ich mich um. Es ist immer noch
so unaufgeräumt wie damals, als ich schon mal hier gewesen bin. Halt, da
erkenne ich doch Ansätze. Yugi hat sich wohl kurz Zeit genommen und sich
wenigstens ein bisschen in der Küche zuschaffen gemacht, doch aufgeräumt kann
man das auch nicht bezeichnen. DAS kann ich doch für ihn machen - für ihn
aufräumen. Kaum habe ich den Entschluss gefasst, ziehe ich mir schon meine
Jacke aus, suche mir Putzeimer und andere Utensilien und mache mich daran.
Irgendwann vergesse ich mich in der Arbeit, mein Gehirn arbeitet mechanisch. Ich
stutze.
Die ganze Zeit habe ich mich von einem Raum zum nächsten gearbeitet, immer um
Yugis Zimmer herum. Das Bad, die Küche, das Wohnzimmer, doch dieses Zimmer habe
ich ausgelassen. Absichtlich? Fürchte ich mich es zu betreten? Mit leichtem
Schaudern überwinde ich mich, es gibt ja sonst nichts mehr zu tun. Überall
Klamotten, Zeugnisse seines Lebens! Seine Schulsachen liegen quer verstreut,
seine Schultasche liegt auf dem Bett. Wahrscheinlich wollte er ihn später
wegräumen auch seine Schuluniform liegt noch da. Was ist.....wenn.....das...NIE
...mehr möglich ist?
May angels lead you in
Hear you me my friend
Wenn Yugi dieses Haus nie wieder betreten kann? Ich lasse mich auf sein Bett
fallen. Mit zitternden Fingern nehme ich die Uniform hoch und mit einem Impuls
folgend drücke ich sie ganz fest an mich. Wieder fange ich zu weinen an, weinen
kann man das schon fast nicht mehr nennen, es grenzt an einem hysterischen
Anfall. Ich kann nicht mehr aufhören. Ich will dass Yugi jetzt bei mir ist,
wieder zu mir kommt. Konnte man mir diesen einen Wunsch nicht erfüllen? War das
denn so schwer? Ich will doch nur dass Yugi........... Mein Körper wird schwer
und plötzlich liege ich auf der Seite und schluchze in Yugis Kissen.
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Irgendwo…
Helles Licht überall, es blendet mich. Schützend lege ich eine Hand über
meine Augen und beschatte sie etwas. Wo bin ich hier überhaupt? Was soll ich
hier? „Yugi? Bist du es wirklich?“ „Großvater?“ Entsetzt und wie zur
Salzsäule erstarrt blicke ich auf die Person, die ich in letzter Zeit am
meisten sehen wollte. „Was machst du hier, Yugi?“
***********************
Ein Brummen dröhnt in meinem Kopf. Was soll das? Kann man mir nicht einmal
fünf Minuten Ruhe gönnen? Ist das zuviel verlangt? Reflexartig hebt sich meine
Hand und schaltet meinen Wecker aus. Moment! Wo bin ich? Ich fahre hoch und
blicke mich orientierungslos. Ich bin daheim, in meinem Bett. Ich hatte sogar
geduscht und trage wieder saubere Kleidung. Wie zur Hölle bin ich hierher
gekommen? Ich raufe mir durch die Haare und zermartere mir das Gehirn. Ich muss
wohl gestern nach Hause gelaufen sein und mich dann hier geduscht haben. Ich
tapse ins Bad und suche nach Beweisen. Tatsächlich hier liegt noch das nasse
Handtuch, ich habe mir nicht mal die Mühe gemacht es zum Trocknen zu hängen.
Sonst bin ich doch auch immer akkurat genug um so etwas nicht zu vergessen,
irgendwann hatte ich mir das einfach angewöhnt. Seufzend hebe ich es auf und
hole das Versäumte nach. Ich schleife mich in die Küche und mache mir Kaffee.
Sinnlos kommt mir irgendwie alles vor, sinnlos und unnütz.
Der Schlaf hat mir allerdings gut getan und mein Kopf wirkt auf mich viel
klarer, nicht mehr so vernebelt wie gestern. Die Uhr an der Mikrowelle zeigt mir
7.30 an. In einer Stunde beginnt die Schule. Ich bin noch unschlüssig ob ich
gehen soll, werde ich das überstehen? Nach allem…?
Leise entfährt mir ein Fluch, heute ist ja mein „Nachhol-“ Physiktest
angesetzt. Ich kann ihn nicht schwänzen, aber schreiben auch nicht. Ich glaube,
dieser Gedanke ans Schwänzen würde Yugi gar nicht gefallen. Er würde sich
wieder vor Selbstvorwürfen zerfleischen. Schließlich ist ja der Test angesetzt
worden, weil ich Yugi in Schutz genommen habe. Schmerzlich kommen mir plötzlich
Yugis Worte wieder in den Sinn: „Wie kann ich das nur wieder gutmachen?“
Bitter lache ich auf. Gutmachen Er hat sein Leben für mich riskiert, wenn das
nicht „gutmachen“ ist oder sogar viel mehr…doch ich finde keine richtigen
Worte, um das zu beschreiben, was er für mich getan hat. Jetzt schulde ich ihm
mehr, als ich je zurückgeben kann
Abermals seufze ich auf. Ich werde den Test schreiben, um Yugis Willen. Ich
weiß, das ist in seinem Sinne. Ich haste schnell in mein Zimmer um mich
anzuziehen.
„Hey Yami, wie geht’s dir?“, begrüßt mich Joey freudestrahlend. Mein
Gott, er weiß ja noch gar nichts. Mein Atem wird flacher und mich packt erneut
die Panik, wie eine Kralle. Ich kann DAS nicht! Ich kann doch nicht Yugis bestem
Freund erklären, dass er im Krankenhaus liegt und mit seinem Leben ringt.
„Hast du Yugi schon gesehen?“, neugierig blickt sich Joey um. Ich schreie
innerlich auf, so sehr ich es ihm nicht sagen kann so wenig kann ich es ihm auch
verschweigen. „Joey“, beginne ich stockend. Joey merkt mir an, das was nicht
stimmt und sein Grinsen verschwindet, nur um sofort einer besorgten Miene Platz
zu machen. „Sag schon, was ist los?“ „Komm mit, wir haben doch noch Zeit.
Komm an einem ruhigen Ort und ich erzähl dir alles.“ Ich packe ihn am Arm und
schleife ihn unter den Baum, unter dem Yugi gestern seinen „Anfall“ gehabt
hat. Auf dem kurzen Weg überlege ich nach dem passenden Beginn, nach guten
Wörtern…doch ich weiß nicht, wie ich beginnen soll.
Ich erstarre kurz und starre ihn einfach nur an. „Yami, was ist denn jetzt
schon wieder? Du wolltest mir doch etwas erzählen!“, drängt mich Joey. Ich
reiße mich zusammen und erzähle mit bemüht tonloser Stimme, was gestern Abend
passiert ist. Ich lasse nur die Sache mit Thunder aus und variiere die Story ein
bisschen. Aufgerissene Augen fokussieren mich. „Du willst mich JETZT nicht
verarschen oder so?“ „Glaubst du ich würde scherzen? Über so etwas macht
man ganz sicher keine! Ich meine es ernst, Joey“, fahre ich ihn trocken an.
Ich weiß die Reaktion ist überzogen, aber wie kann er es bloß wagen, so was
meiner Fantasie zuzuschreiben?
„Schon gut, Alter“, stammelt Joey entsetzt. „Können wir ihn denn
sehen?“ „Nein, leider nicht, aber ich hab dort meine Telefonnummer
hinterlassen, sie kontaktieren mich dann“, seufze ich schwer.
„Du rufst dann gleich mich an, okay?“ „Aber sicher.“ Ich lege Joey sanft
die Hand auf die Schulter. „Es wird alles wieder“, versuche ich ihn zu
besänftigen, obwohl meine eigenen Hoffnungen schon fast erschöpft sind. Das
Glockenläuten ruft uns alle ins Haus und Joey legt auch mir die Hand auf die
Schulter. „So ist es, Alter. Du musst nur ganz fest dran glauben.“ Wie ein
Mantra wiederhole ich das in meinem Kopf: Fest dran glauben, fest dran glauben,
FEST DRAN GLAUBEN!!!
Ich trenne mich von Joey vor dem Klassenraum und gehe zum vereinbarten Raum, in
dem ich meinen Test nachschreiben muss. „Guten Morgen Herr Athem“, begrüße
ich den Lehrer freundlich. „Sind sie fit?“ „Ich denke“, antworte ich
kurz angebunden. Ich nehme meine Tasche von meiner Schulter und lasse mich an
einem Tisch nieder. Schnell hole ich mein Mäppchen hervor und krame einen Stift
heraus. „Hier ist ihr Angabenblatt, sie haben 1 ½ Stunden Zeit, viel
Glück.“ Ich fange an zu lesen und nachdem ich kurz überlegt hatte auch zu
schreiben. Ich schreibe das Datum und den tag als erstes…auf. Ich zucke kurz.
Heute ist Freitag…der 13! Egal, ich zögere noch einmal kurz und sammle wieder
meine Konzentration.
Physik hat mir noch nie sonderliche Probleme bereitet, doch dieser Test hier
ist einfach, richtig einfach. Das ist doch nicht das normal Niveau, dass dieser
Lehrer sonst immer verlangt, das hier ist weit darunter. Ist das jetzt ein
Bonus? Ich wollte GANZ SICHER keinen Bonus und auch keine Erleichterungen, ich
wollte einen normalen Test! Das ist doch nicht fair den Anderen gegenüber,
gegenüber Yugi. Schon wieder wandern meine Gedanken zu ihm.
Konzentrier dich!!! Ich lese mir meine Arbeit noch einmal durch. Alles
fehlerfrei, zumindest denke ich das. Ob der Lehrer das auch so sieht, werde ich
ja bald erfahren. „Ich bin fertig“, mache ich den Lehrer auf meine Lage
aufmerksam. Er kommt erstaunt zu mir und wirft einen prüfenden Blick auf mein
Blatt. Seine Augen weiten sich etwas, scheinbar ist er nicht daran gewöhnt,
dass Schüler schon früher fertig sind. „Gut, Herr Athem, dann dürfen Sie
gehen. Ich werde den Test dann korrigieren und ihn Ihnen in der nächsten Stunde
zurückgeben.“ Was kümmert mich das? Mir ist das doch völlig egal, ich muss
raus hier.
Die Wände engen mich ein, so plötzlich. Früher hab ich das nie so extrem
empfunden wie heute. Schon seit frühester Kindheit leide ich an Klaustrophobie,
aber so schlimm wie heute war es noch nie. Ich merke schon die Panik, die in mir
aufsteigt und mir die Luft abschnürt. Ich verlasse fluchtartig den Raum ohne
mich richtig zu verabschieden. Der Lehrer wird mich jetzt wohl für unfreundlich
halten, aber lieber für unfreundlich als das ich einen Anfall von ihm
abbekomme, das wäre das Letzte was ich jetzt brauchen kann, einen besorgten
Lehrer.
„Und wie lief es?“ Ich bin an die frische Luft gegangen und der Anfall ist
schon langsam am abklingen. Leicht lächelnd wende ich mich zu Joey um. „War
das jetzt eine rhetorische oder ernst gemeinte Frage?“ „Rhetorisch würde
ich sagen“, Joey klopft mir leicht auf den Rücken. „Wir wissen doch beide,
dass du in Physik gut bist, da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Mit
Komplimenten muss ich unbedingt noch lernen umzugehen, denn ich erröte bis
unter den Haarwurzeln und bringe nichts heraus, kein „Danke“, kein salopper
Spruch, einfach gar nichts. Die Stundenklingel lässt uns aufseufzen. Die Zeit
vergeht viel zu schnell, in 10 Minuten geht der Unterricht weiter. „Ich hätte
echt nichts gegen längere Pausen“, murrt Joey patzig und wendet seine
Schritte Richtung Schulgebäude. „Da stimm ich dir voll und ganz zu.“
Ich beeile mich um ihn einzuholen und mit ihm Schritt zu halten. Joey kann
manchmal echt energisch auftreten.
„....schon gehört? Dieser Yugi-Freak liegt im Krankenhaus!“ „Echt, nein
woher…so ein Trottel ist mir doch völlig egal?“ Ich bleibe abrupt stehen
und lausche der Unterhaltung weiter. Joey bemerkt mein Abbleiben und kommt auch
wieder zurück. Beide spähen wir um die Ecke, hinter der ein paar Schüler
stehen. „Ja, ich habe gehört, er wäre angeschossen worden.“ Woher wissen
DIE DAS eigentlich so genau?
Ich schaudere leicht. „Geschieht ihm doch irgendwie recht! Ich meine, wer
vermisst den schon?“
Zustimmendes Nicken begleitet diese Aussage. Joey erstarrt vor Zorn und auch ich
beginne zu kochen. Was erlauben diese Kiddies sich eigentlich? Die waren doch
nicht älter als vielleicht 16! Die kennen ihn doch nicht einmal richtig.
„Sehe ich auch so, der hat sie doch nicht mehr alle.“ „Ich stimme dir zu,
wer braucht den schon? Vielleicht stirbt er ja…“ „Das wäre mir auch
egal!“
„Ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, und nicht Yugi! WAS erlaubt
ihr EUCH?“, schreie ich wutentbrannt und springe hinter der Mauer hervor. Mein
Blut pulsiert und in meinem Kopf ist nur noch Rauschen. Ich kann, will und darf
es nicht zulassen, dass man Yugi auf diese Art und Weise schlecht macht und so
über ihn redet…er hat mir mein Leben gerettet…verdammt noch mal… „Wer
bist DU denn überhaupt?“ „Wer ICH bin ist nicht von Belang, es geht um euch
Kröten.“
Empört blicken sie mich an. Ich gebe nichts mehr auf meine Wortwahl, mir ist
das alles zuwider. Das darf doch nicht wahr sein, was ich gehört habe. Warum
redet man so über Yugi? Solch ein liebevoller Junge, der sein herz auf seiner
Zunge trägt…der alles für einen tun würde…der so zerbrechlich wirkt und
soviel miterleben musste… Solch kleinen Säcken gehören eindeutig ihre
Grenzen gezeigt und ich würde jetzt wohl diese Aufgabe übernehmen!
„Genau Kröten seid ihr. Hinterlistig, kleine, eklige Kröten, die es nicht
einmal schaffen, offen über bestimmte Dinge zu reden, „nein lieber tuschelt
ihr, da fühlt ihr euch wohl als ziemlich cool, ja und gleich auch um soooo viel
besser! Seht euch doch nur an: IHR kleinen Idioten, die gerade mal die 10 Klasse
besuchen, die es echt nötig haben sich über nen Oberstufenschüler, den ihr
ÜBERHAUPT nicht kennt, das Maul zu zerreißen.“ „Was bildest DU dir
eigentlich an? Wer bist du…sein Bodyguard?“ Der größte der Jungen tritt
drohend auf mich zu, doch das lässt mich völlig kalt. „Ich bilde mir NICHTS
ein, KLAR? Über andere zu lästern…das ist das widerlichste, was es gibt auf
der Welt. Ich bin ehrlich genug offen mit manchen Personen zu reden und deswegen
kann ich dir ja auch ins Gesicht sagen, dass du ein Idiot, ein Arschloch und
noch ein paar andere Sachen bist, die ich hier lieber nicht ausspreche.“ „Du
Punk, glaubst du etwa wir haben jetzt Schiss. Wir sagen nur die Wahrheit, es
VERMISST ihn nun mal niemand,.....“ Die Wut schnürt ihm die Worte ab. Doch
meine ist sicher größer. „Weißt du was?...Ich glaube eher, dass dich keiner
vermissen wird“, frage ich angriffslustig und bin bereits dabei meine Taten
aus der Vergangenheit zu wiederholen.
Ein vorbeikommender Lehrer stoppt unsere „kleine“ Unterhaltung. Bevor es der
Lehrer auch nur schafft in unsere Richtung zu gelangen sind die Möchtegern-
Machos auch schon verschwunden. Schnaubend versuche ich mich zu beruhigen. Das
ist leichter gesagt als getan. Diese Lästerei hat mich so auf 180 gebracht, ich
bin immer noch am Rauchen. Joey merkt, dass bei mir noch nicht alles stimmt und
wimmelt den Lehrer mit irgendwelchen Unterrichtsfragen ab, doch dieser will uns
nur noch aufmerksam machen, dass der Unterricht beginnt und wir uns ins
Schulhaus begeben sollen.
„Yami, alles klar bei dir?“ „Nein IST es nicht, hast du die nicht gerade
gehört?“ „Ja sicher, aber Yami rege dich doch nicht so auf, das sind doch
bloß Idioten, die sind es nicht mal wert, dass du dich aufregst.“ „Es geht
nicht um sie, es geht um das Allgemeine. Yugi fehlt wegen MIR. Die Leute sollten
sich doch das Maul über MICH zerreißen, stattdessen bekommt es Yugi ab, wie
immer und dann auch solche Wörter…ich FASSE es nicht, dass du dabei so ruhig
sein kannst“, antworte ich bitter. Joey wirft mir einen verunsicherten Blick
zu. Ich ertrage DAS ALLES nicht mehr und bleibe stehen, dann drehe ich mich um
und laufe los.. „Wo willst du hin, Yami? Yami….hey…warte doch… Zum
Schulhaus geht es in die andere Richtung!“ Ich lasse den verdutzen Joey
einfach stehen und rufe ihm noch über die Schulter zu: „Da will ich auch
nicht hin. Wir sehen uns morgen. Ich rufe dich an!“ Ich verlasse das
Schulgebäude und wandere Richtung Park. Ich weiß selbst nicht richtig was
eigentlich mit mir los ist. Normalerweise habe ich meine Emotionen zu einhundert
Prozent unter Kontrolle, doch heute geht echt alles drunter und drüber. Diese
Sprüche von den Kids echoen in meinem Schädel. ich
schüttle im laufen mein Gesicht und stammle immer wieder ein „Nein!“…
Erst der Vorfall in dem Klassenzimmer, dann meine Fast-Prügelei, denn ich bin
mir sicher, wenn er mich noch weiter provoziert hätte, hätte ich nicht lange
gefackelt. Erschöpft lasse ich mich auf eine Bank fallen. Mich nimmt das so
mit, ich fühle mich um ein paar Jahre älter. Schon wieder spüre ich
Verzweiflung, Panik und Wut in mir aufsteigen. Mit aller Macht versuche ich sie
zu unterdrücken, denn wenn ich nun alles zulassen würde, weiß ich, würde ich
den Verstand verlieren. In meiner Hose vibriert es. Mein Handy? Gelangweilt
fische ich es aus meiner Tasche und blicke auf das Display. Ich kenne die Nummer
nicht. Wer könnte das schon sein? Irgendein Werbefutzi oder etwa…?
Mein Finger berühren die Annehmtaste. „Hallo?”
„Ist da Herr Athem?“, dringt eine aufgeregte Stimme aus der Hörmuschel.
Aber sicher bin ich das – wer sonst? , denke ich mir bereits, du hast doch
meine Nummer gewählt!
„Ja“, antworte ich stattdessen schlicht. „Es geht um Herrn Muto.“
Die nächsten Bemerkungen gehen unter in meiner Hast, ich bin schon auf dem Weg
zum Krankenhaus und hetze so schnell ich kann über den Bürgersteig, renne
sogar über eine rote Ampel, ich höre nur Gehupe und wütende Stimmen eines
Autofahrers, der scharf in die Bremsen getreten ist.
Was hat die Schwester noch gesagt? Ich habe nur noch gehört, dass etwas
passiert ist. Aber was? Sie wollte es am Telefon nicht sagen.
Was wenn…?
Nein, totaler Unfug. Yugi geht es gut, nur weil sie am Telefon nicht genau sagen
konnte, was passiert ist, heißt das doch nicht…
NEIN, ich sollte aufhören, Gedanken daran zu verschwenden.
Das bringt doch nichts, ich muss nur endlich meine Beine in die Hand nehmen, um
dieses dämliche Krankenhaus zu erreichen – das wie mir scheint immer weiter
vor mir zurückweicht, als wolle es nicht, dass ich ihm zu nah komme. Mein Atem
kommt kaum zur Ruhe, mein Herz zerspringt bei der Vorstellung, Yugi könne was
passiert sein.
Ich könnte mir das nicht verzeihen, es würde nicht funktionieren,…bitte
lieber Gott, auch wenn ich kaum bete, aber lass ein Wunder geschehen
sein…bitte hab Yugi nicht sterben lassen.
Endlich erscheint das Krankenhausgebäude, nur noch über die Hauptsraße und
ich würde endlich wissen, was so unausweichlich in der Luft mitschwebt, die
Antwort, auf die Frage, die ich mir seit dem ganzen Sprint gestellt habe.
Ich keuche und beuge mich vor, drücke meine Hände kurz gegen meine
Oberschenkel und hole tief Luft. Es riecht nach Regen. Ist das ein gutes oder
schlechtes Zeichen?
Wenn der Himmel anfängt zu weinen, dann…ist jemand von uns gegangen, den wir
sehr gern haben
Mist, wieso erinnere ich mich wieder an diesen Spruch von meiner Mutter…solch
paranormales Geschwätz ist nichts für mich. Und es hat nun auch nichts in
meinem Schädel zu suchen…
Okay, ganz ruhig…es wird alles gut werden. Ich räuspere mich und gehe mit
hängenden Schultern durch die Eingangstür.
Hektisch…so viele Menschen. Krankenschwester huschen über die Gänge,
schieben irgendwelche Geräte…lautes Knirschen auf den glatten, hell beigen
Flur.
Ich stehe angewurzelt im Eingang und sehe dem Treiben zu. Ärzte, Assistenten,
ich schließe kurz die Augen und versuche meine lauten Gedanken endlich wieder
zum abflauen zu bringen. Als ich meine Lider wieder ein klein bisschen anhebe,
sehe ich nicht nur das Treiben der Ärzte in Weiß sondern auch eine kleine
Gruppe von Menschen die verletzt im Wartezimmer warten…einige sitzen sogar auf
Liegen, die mitten im Gang stehen. Aber man bemerkt mich nicht, ich fühle nur
hinter mir die Schiebetüren, die immer wieder auf und zu gehen. Ich spüre den
Luftzug im Rücken und trete endlich einen Schritt von der Tür weg.
Ängstlich schaue ich zur Information.
Ich will die Antwort doch nicht wissen. Ich habe viel zu viel Panik, was dann
passieren wird…die Antwort, die einen unweigerlich klar macht, dass man nichts
mehr dagegen tun kann…wie meine Welt dann aussehen wird. Ich habe doch nur
Yugi, den ich so sehr ins Herz geschlossen habe, seit ich alleine hier bin…ich
habe mich verabschiedet von meiner Vergangenheit und ich dachte neu anfangen zu
können.
Yugi ist doch mein einziger Halt, wenn er mir genommen wird, dann…werde ich
das nicht überleben können. Wie soll ich damit weiterleben….mit dem Wissen,
dass ich an dem ganzen Schlamassel Schuld bin? Ich habe die Polizei angelogen,
nie wird jemand wissen, dass ich…ich…schuld gewesen bin.
Oh Gott, ich habe nicht geschossen, ermahne ich mich im Stillen, ich war es
nicht gewesen…es war Thunders Schuld – ganz allein seine…aber vielleicht
hätte ich schneller reagieren müssen…vielleicht Yugi zur Seite schubsen oder
noch besser…ich hätte erst gar nicht in den Club gehen sollen.
Schließlich gehe auf die Frau hinter dem Tresen zu. Es ist eine andere…eine,
die ich noch nicht kenne. Was ich wieder denke, als würde ich bereits jeden
einzelnen per Namen erkennen...pah…aber mir kommt es wirklich schon so vor,
als wäre ich schon seit Tagen hier. Ein Bild, das sich kaum abschütteln
lässt. Mein Herz trommelt, während meine Füße immer wieder bibbern.
Ich atme noch einmal ein, um mir Mut zu machen.
„Yami Athem, ich…ich wurde angerufen!“
Die Krankenschwester schaut durch ihre Brille zu mir hoch und tippt noch etwas
auf die Tastatur ein. Das Klicken der Tasten dröhnt noch in meinem Gehör, als
sie bereits fertig ist und Akten ordnet.
„Sie sind wegen Yugi Muto hier…“
Ist das eine Frage oder eine Feststellung? Verkrampft nicke ich und merke, dass
sie mein Nicken gar nicht wahrgenommen hat. VERDAMMT, schreie ich, mir soll
endlich jemand sagen, was los ist!
„Nun er wurde verlegt!“
VERLEGT? Was heißt das?
„Er ist auf der Intensivstation…! Sie können zu ihm gehen, doch zuvor will
noch der behandelnde Arzt Herr Kuchiro mit ihnen sprechen!“
Kuchiro? Ich nicke zaghaft. „Und wo finde ich ihn?“
„Oh, entschuldigen sie“, murmelt sie lächelnd. „Nehmen sie den Aufzug, 2
Ebene…gehen sie da nach Rechts. Zimmer 13! Da liegt ihr Freund Yugi Muto.
Kuchiro ist bei ihm!“
Okay…Ich drehe sofort herum, ohne mich zu bedanken. Sie muss mich für
unhöflich halten, aber das ist für mich nebensächlich. Ich will endlich
wissen, was los ist. Ich will mich mit eigenen Augen überzeugen, dass Yugi noch
lebt, dass er…ja was…das er wach ist?
Meine Beine gehen wie Blei einen Schritt vorwärts…mein Herz pumpt
unermesslich und meine Gedanken rasen. Der Weg zum Fahrstuhl gleicht einer
Achterbahnfahrt. Ich höre Verletzte, die schreien…sie wollen endlich
behandelt werden, höre wieder so viele Geräusche, nehme die Gerüche so stark
wahr…als würde ich Blut riechen…oder ist es doch eher der Geruch eines
Krankenhauses…oder die Art von Desinfektionsmitteln, die sich hier wie
Schimmel ausbreitet? Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Lieber
atme ich mit offenem Mund, als weiter diese widerlichen Gerüche einzuatmen, als
wäre der Tod bereits hier gewesen.
Was ich wieder denke…Im Fahrstuhl stehen Leute…wohl Besucher.
Zwei Frauen…Mitte 40. Sie schauen mich von oben herab an. Eine Blonde sieht
mich lächelnd an. „Na besuchst du jemanden?“
Ich sehe sie lange an, bin mir nicht sicher ob ich antworten soll. Stattdessen
studiere ich eher ihr Gesicht…sie sieht älter aus, hat ein blasses Gesicht
und dunkle Augenringe. Was sie wohl hier erlebt hat?
„Ja“, sage ich nur schüchtern und lehne mich gegen die gräuliche Wand, als
der Fahrstuhl nach oben fährt.
„Ein Freund von dir? Oder etwa jemand aus deiner Familie?“, horcht die
andere Frau mich aus. Sie ist Brünett und schaut liebevoll und fast mitleid
erregend zu mir herab.
„Äh…ein Freund. Ein sehr…“, ich halte inne, „..ein sehr guter
Freund!“ Warum könnte ich plötzlich auf der Stelle losheulen?
Ich versuche meinen Kiefer anzuspannen und meinen Blick zu senken. Ich heule
nie…fast nie vor fremden Leuten….nur wenn es nicht anders geht…doch
hier….vor Fremden…NEIN, ich muss mich zusammenreißen.
„Das tut mir leid! Ist doch nichts Schlimmes?“, sagt die Blonde und beugt
sich interessiert zu mir runter.
„Ich weiß es nicht…“, gestehe ich, „er wurde angeschossen!“
Ich merke wie die beiden Frauen erschrocken zusammen zucken.
Warum rede ich so offen mit zwei Fremden, die ich auch noch eben erst kennen
gelernt habe. Warum sage ich das…vielleicht weil es mich sonst im Inneren
tötet…ich muss es einfach rauslassen, sonst zerfrisst es mich…wie ein
Parasit, der lange in einem Körper wohnen kann, doch irgendwann will er dich
ganz übernehmen. Wie auch meine Wut und meine Angst…die ich auf mich selbst
ziele. Ich bin an allem Schuld.
Der Fahrstuhl hält endlich in der ersten Etage, die blonde Frau steigt aus. Die
Türen ziehen sich wieder zu.
Jetzt ist nur noch die Brünette hier, die mich seltsam beobachtet.
„Er wird es schon schaffen!“, muntert sie mich plötzlich auf.
Ich nicke schwerfällig und versuche gewaltsam zu Lächeln.
Endlich ein erneutes Pling, ich bin erleichtert. Die Brünette lässt mir den
Vortritt und ich gehe heraus, schaue nach rechts und links. Im Flur stehen ein
paar billige Stühle und Sitzbänke. Nur eine alte Frau, Mitte 80, sitzt dort
und scheint eingenickt zu sein. Auf ihrem Schoß liegt eine aufgeschlagene
Zeitung. Sie muss schon lange hier sitzen!
Sonst ist der Gang vollkommen leer…UND ruhig…ist das wirklich die
Intensivstation? Die habe ich mir immer ganz anders vorgestellt. Ich trete durch
eine Flügeltür, die neben mir ist. Ich will weitergehen, als plötzlich, wie
durch einen schnellen ausgesprochenen Zauber entstanden, mich jemand an der
Schulter berührt. Ich erschaudere und mein Atem wird schwerer.
„Bleiben sie stehen“, sagt die Frau scharf, „sie können da nicht….“
Ich schenke der Frau keine Beachtung, nur einen Seitenblick. Eine
Krankenschwester. War ja klar.
Ich entwende mich schroff ihres Handgriffes. Die Schwingtür hinter mir geht
plötzlich zu.
„Sind sie angemeldet?“
Ich starre die Frau von oben bis unten an. Ja, verdammt…Ich schreie im
Stummen. Wer will mich hier noch aufhalten…was soll das…sie sollen mich alle
in Ruhe lassen. Ich bin schon angespannt genug, ich will endlich zu YUGI. Was
sollen diese ganzen Fragen…
„Ja…Ich bin Yami Athem, ich muss zu Yugi Muto!“, sage ich schnell und
schnappe am Ende deutlich nach Atem.
„Oh…sie sind das!“, sagt sie mit schräger Kopfhaltung. „Dann gehen sie
bitte. Dr. Kuchiro wartet schon auf sie. Zimmer 13! Und…er wird es schaffen,
da bin ich mir sicher!“
Argwöhnisch schaue ich sie noch mal an, sehe auf ihren Kittel das
Namenschildchen mit der Aufschrift
Ich nicke und drehe mich rasch herum – mein herz schlägt einen Rekord nach
dem nächsten, meine Panik schiebt sich wie ein unsichtbarer Feind, weiter an
mich heran. Wartet wohl auf einen günstigen Augenblick, um vollkommen
zuschlagen zu können.
Ich laufe noch ein paar Schritte weiter, ich will endlich zu ihm.
Doch ich schaue zur ersten Zimmertür. Nummer 9…also gehe ich weiter. Ich
weiß nicht was ich in diesen Sekunden gedacht habe…doch ich war schneller an
Raum 13 angekommen, als ich es für möglich gehalten habe.
Das Zimmer hat noch neben der Tür ein großes Fenster eingelassen, man kann in
das Zimmer sehen. Hier im Flur riecht es wieder ziemlich stark nach
Desinfektionsmitteln und selbst das Piepen von elektronischen
Überwachungsgeräten summt leise, als würde es im Flur die Besucher bereits
abschrecken wollen. Ich rieche Ammoniak, und ein süßen, etwas schwachen
Gestank nach entzündeten Fleisch…Ich krümme mich zusammen, wie unter einem
Ekelanfall, der mich einzunehmen versucht. Was ich wieder für Gedanken
habe…das ist nun mal ein Krankenhaus – da riecht es nun mal nicht, wie in
einer Parfümerie.
Ich sehe ein Krankenbett in der Mitte und ein Arzt, der irgendetwas auf einen
Klemmbrett aufschreibt. Ich trete ein, ohne zu klopfen.
Kuchiro schaut auf.
„Sie müssen Herr Athem sein“, murmelt er, während meine Blicke sofort zu
Yugi schweifen. Oh MEIN Gott!
Die Beleuchtung ist gedämpft und spärlich. Weiße Vorhänge, die fast um Yugis
Bett herumgezogen sind. Ich schaue erstarrt zu Yugi, traue mich nicht, näher zu
treten. Von überall her, scheinen leise und geheimnisvolle Geräusche an meine
Ohren zu dringen.
Mein Blick schweift neben Yugis Bett und ich sehe das Beatmungsgerät…ein
monotones Klicken - erschreckend...und beängstigend
Endlich lassen sich wieder meine Beine bewegen, als sie sich von diesem ersten
Schock erholt haben, ich eile zum Ende des Bettes und bleibe an dessen Fußende
stehen, starre auf die leblose Person…ich habe das Gefühl, mein Verstand
würde aussetzen.
„Herr Muto wird beatmet…er hatte einen erneuten Herzstillstand!“
Neben Yugis Kopf bläht sich ein dicker, schwarzer Ballon auf…ich schweife
wieder zu Yugis blasses Gesicht, das tief in dem weißen Kissen liegt.
Dieser Ballon….immer wieder und wieder…zieht er sich zusammen, schwellt an,
zieht sich wieder zusammen…als wäre er nun seine künstliche Lunge. Ich
spüre mein Herz, das wie ein Kloß in meinem Hals sitzt, kann nicht sprechen,
ich kann mich kaum bewegen, meine Finger zittern.
„Was…was bedeutet das? Wird er…wird er aufwachen?“ Ich schlucke einen
Batzen vom übel schmeckenden Speichel hinunter, selbst meine Speiseröhre
hinterlässt einen Schmerz
Yugis Kopf ist etwas vorgeneigt. Elektroden sind mit Klebestreifen auf seiner
kränklichen farblosen Stirn befestigt. Aus seinen Lippen, die fast bläulich in
dem Licht wirken, ragt das Mundstück eines Luftröhrenschlauchs heraus.
„Nun, Herr Athem“, betont er meinen Namen und ich drehe mich zum ersten Mal
herum und lasse Yugi aus meinem Blickfeld verschwinden.
„Zurzeit bezeichne ich Herrn Mutos Zustand als sehr kritisch.“ Seine
professionelle Fürsorglichkeit geht mir gehörig auf die Nerven.
Er soll endlich zur Sache kommen. Ich will endlich wissen, ob Yugis Leben
gefährdet ist oder ob er bald wieder lachen …und er bei mir sein kann.
„Seine zweite Herzattacke hat ihm noch mehr geschadet, als die erste. Sein
Herz ist stark, er kann es schaffen, doch er scheint wohl den Kampf aufgegeben
zu haben…“
WAS? Verdattert blicke ich den Arzt an. Aufgegeben? Yugi? So ein Unsinn.
Genau mein Gedachtes, scheint er wohl nun auch auf meinem Gesicht abgelesen zu
haben.
**
irgendwo
„Warum bist du hier? Du hättest nicht kommen sollen!“
„Großvater…wovon redest du…wo sind wir?“
„Du weißt es nicht?“
Ich schaue um mich herum, alles ist so weiß….ein so helles Licht, ich kann
nur Großvater vor mir sehen, sonst ist alles ohne Kontur.
Ich hebe die Schultern, es ist doch vollkommen egal, ich fühle mich so frei und
unbeschwert, ich sehe Großvater…ich will nicht mehr hier weg.
„Du musst wieder zurück. Deine Zeit ist noch nicht gekommen!“
„Zeit? Opa wovon redest du da?“ Ich will näher zu ihm gehen, ihn umarmen.
Ich habe ihn so vermisst. Doch meine Füße weigern sich.
„Geh Yugi…du darfst noch nicht hier sein. Das wäre falsch!“
„Aber ich bin endlich bei dir“, rufe ich verstört.
„Nein Yugi…noch nicht…du musst leben!“
„Leben?“ Aber ich lebe doch…oder? Das…das verstehe ich nicht! Was...?
Wie...?“
„Ja, du lebst…aber dein Körper ist schwach, deine Seele will zu mir kommen,
doch dein Herz bleibt standhaft und möchte nicht gehen…“ Seine großen,
treuen Augen mustern mich lange.
„Mein Herz will nicht gehen? Was meinst du damit?
„Das weißt du nicht? Dann verstehe ich auch, warum deine Seele so
unentschlossen ist!“
„Großvater…was…was soll das? Wo bin ich hier?“
„Kehre zurück“, meint er streng und ich zucke zusammen, „…er macht sich
große Sorgen!“
„Wer?“ Alles ist dunkel, ich kann mich an nichts erinnern.
„Dein Herz weiß doch, wen ich meine!“ Er zwinkert mir zu…dann
verschwindet er plötzlich ins Licht, krampfhaft greife ich mit meiner Hand noch
nach ihm…doch schließlich ist er vollkommen vom gleißenden Licht eingelullt
worden...und lässt mich allein zurück!
*
„Nun…Herr Athem ich lasse sie etwas mit ihm alleine. Reden sie mit ihm…er
wird sie hören…auch wenn er nicht wach ist!“ Er nickt mir zu und klemmt
sein Klemmbrett unter die Armbeuge. Sein weißer Kittel weht, als er durch die
Tür geht und sie hinter sich zuschiebt.
Im Flur schaut er mich noch einmal an, in seinem Blick ist Sorge.
Ich bleibe noch wie versteinert stehen. Es ist als würde ein Seil meine Kehle
immer ein Stückchen weiter zuschnüren. Das metallische Klicken macht mir
Panik. Ich habe plötzlich panische Angst.
Ich trete neben dem Bett und starre auf das weiße Gesicht, was ich noch so gut
in Erinnerung habe. Doch seit diese Kugel in dein Fleisch getreten ist, hat sich
dein Haut Ton merklich verändert. Du kämpfst tatsächlich mit dem Tod,
fechtest du gerade vielleicht einen Kampf mit ihm aus? Ich habe solche Angst,
dass ich dich verlieren könnte. Meinen Tränen schaffe ich mit kräftiger
Willensanstrengung zu verbannen, als ich mir einen weißen Plastikstuhl von der
wand an dein bett schiebe und mich fast schwerfällig drauf fallen lasse.
I'm so tired of being here
Suppressed by all my childish fears (…)
Mein Blick ruht auf deinen geschlossenen Lidern, die immer wieder zucken, als
würdest du in einem schrecklichen Alptraum gefangen gehalten werden.
Yugi…wach doch bitte auf…der Arzt scheint dich aufgegeben zu haben, doch du
bist doch eine Kämpfernatur. Ich habe dich doch mit solch einem starken Willen
kennen gelernt…du musst doch jetzt nicht nachgeben. Komm zurück, dein leben
hat dir doch noch soviel zu bieten.
'Cause your presence still lingers here
And it won't leave me alone
Fast zittrig und mit reiflicher Überlegung, ob ich das schaffe, ziehe ich meine
Hand aus meiner Hosentasche, die sich darin eingemummelt hatte und will nach
Yugis Fingern greifen. Irgendwie weiß ich nicht, ob ich das darf...oder besser
gesagt kann. Ich glaube eher, dass ich es nicht kann. Eine unmerkliche Spannung,
als würden Magnete mich mit erstaunlicher Kraft davon abzuhalten
versuchen…Ich blinzle verstört über meine Gedanken, dadurch fallen nun die
ersten Tränen über meine Wange.
These wounds won't seem to heal
This pain is just too real
There's just too much that time cannot erase
„Wach auf“, stammle ich und erschrecke vor meiner eigenen Stimme. Ich hätte
nicht reden sollen, denn mein Ton ist zu guter Letzt nur ein unüberhörbares
Zittern geworden.
Meine Finger fahren über den Matratzenstoff, meine Augen kleben auf seinen
weißen Krankenhauskittel, den man ihm notdürftig nach der OP angezogen hat.
Dadurch sieht er noch blasser aus. Ich höre wieder das Aufziehen des Ballons
und wieder das Zusammen ziehen. Alles nach so kurzer Zeit und in einer
ständigen Wiederholung. Ich zucke wieder zusammen, mein Herz setzt für einen
Moment aus, als ich noch über die anderen Gerätschaften schweife. Ich kann
deinen Herztakt auf der Anzeige sehen. Sein Puls ist stark…der Arzt hat Recht,
sein Herz schlägt kräftig und gleichmäßig.
When you cried I'd wipe away all of your tears
When you'd scream I'd fight away all of your fears
And I held your hand through all of these years
„Du darfst nicht aufgeben“, höre ich mich plötzlich schreien. Seit wann
kann ich schreien, gerade eben noch, hat meine Stimme doch gezittert, als wäre
sie zu einem Eisberg mutiert.
Und in genau diesen Moment umfasse ich seine Finger, die ich endlich umfassen
kann. Sie liegen wie starr zwischen meinen Fingern…sie bewegen sich nicht,
reagieren nicht. Sie sind warm…
Ein eigenartiges Gefühl überfährt mich, als ich seine haut berühre. Es ist
nicht der richtige Zeitpunkt um deshalb gleich auszuflippen. Er liegt im Koma
und will nicht aufwachen. Wie lange kann das noch andauern? Einen Tag…eine
Woche…ODER ETWA ein JAHR? Vielleicht länger?
These wounds won't seem to heal
This pain is just too real
There's just too much that time cannot erase
„Ich bin hier“, sage ich kurzatmig und streiche über seinen Handrücken.
Ich sehe die durchsichtige Atemmaske, höre wieder das pressen des Ballons, als
hätte ich ihn für kurze Zeit einfach vergessen…nun jedoch ist er umso lauter
und dringt regelrecht in meine Gehörgänge ein.
„Ich hätte hier liegen müssen und nicht du…Yugi…hör mir zu. Du schaffst
das! Ich bin hier, ich werde so schnell nicht weggehen. Bitte…hörst du
mich?“
Überprüfend schaue ich auf sein Gesicht…keine Reaktion. Kann er mich
wirklich hören?
Meine Gedanken überschlagen sich, während mein Herz wieder in meinem Hals zu
sitzen scheint, mein Puls schlägt wieder so heftig.
Wieder fallen Tränen über meine Wangeknochen, hinterlassen einen feinen,
salzigen Film, meine Haut kribbelt unter der tränenreichen Flüssigkeit.
Ich streiche wieder sanft über Yugis Hand.
„Ich hoffe du spürst, dass ich hier bin…ich vermisse dich und es tut mir
alles so entsetzlich leid. Wieso musste das nur geschehen…wieso musstest du
mit meiner Vergangenheit zusammen prallen…?“
Ich neige meinen Kopf tiefer und fasse an meine Stirn, dann wische ich über
meinen brennenden, feurigen Augen, die bereits anfangen weh zu tun.
But though you're still with me
I've been alone all along
„Nun…Herr Athem, ich muss sie nun leider bitten, zu gehen. Herr Muto braucht
nun viel Ruhe. Sie können morgen wieder kommen!“
Ich zucke zusammen, eine Gänsehaut fährt über meinen Rücken, als ich die
Hand von Kuchiro zwischen meinen Schulterblättern fühle.
Ich umfasse noch einmal fester Yugis hand, drücke sie leicht und schaue noch
einmal prüfend in sein Gesicht, sehe noch einmal zum EEG und lasse nicht
wirklich wollend seine Hand aus meiner fallen, lege sie zärtlich zurück auf
die Matratze und stehe vom Stuhl auf.
„Koma ist ein Krieg, den der Körper mit sich selbst führt, Herr Athem…sie
sind noch jung…es tut mir leid, dass sie so was schon miterleben müssen!“
Wenn der wüsste, was ich schon alles geschehen habe…früher einmal…doch
noch nie war es so dermaßen an mich rangekommen…diese Angst…Angst, dass mir
das Wichtigste womöglich genommen werden kann…von einer Kraft, die kein
Mensch je offiziell gesehen hat, sondern nur das Ausmaß, was diese Kraft
hinterlässt, wenn es fort gegangen ist.
Ich reibe mir noch die letzten, ansässigen Tränen aus den Augen und gehe aus
dem Zimmer, gefolgt von Dr. Kuchiro.
Alles was sich nun noch bewegt, ist der schwarze Gummiballon der
Beatmungsanlage, der sich unermüdlich aufbläht und wieder erschlafft und ihn
am Leben erhält. Yugi Muto befindet sich nun an der Grenze zwischen Leben und
Tod…und nur er hat die Stärke, sich für eines der beiden unausweichlichen
Pfade zu entscheiden.
'Cause your presence still lingers here
And it won't leave me alone
(to be continued)
***********************
eingefügte Texte:
Jimmy eat World - Hear you me
Evanescence – My Immortal
(wurde nach unserem Belieben eingesetzt und ist nicht vollständig im kap
vorhanden, nur eben die passenden Strophen ^^XD) *zwinker*
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