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One Wing

von

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Buch I

ONE WING
 

ERSTES BUCH
 

Ohne ein Wort
 

Nackt, noch ohne Federn wurdest du geboren,

War dir dein Schicksal schon bestimmt?

Nun habe ich dich verloren -

So schnell eine glückliche Stunde verrinnt.
 

Deine Schwingen elegant ausgebreitet

Erhebst du dich in den Himmel über mich

Und auch wenn mein Gefühl mich dazu verleitet,

Erreichen kann ich dich dort nicht.
 

Ohne ein Wort entflogst du mir,

Deinen Platz im Himmel zu erspähen.

Allein die Erinnerung bleibt von dir -

Ich werde dich niemals wiedersehen.
 

~by Absolutely Black Rain~

ACT ONE

Kommentar: Tja am Anfang kam wohl kurz mal meine Motorradleidenschaft raus *oops* aber keine Sorge, die Story handelt ja nicht von Hisashis Liebe zu seinen Bikes.

Die Story wurde übrigens auf dem Stehgreif geschrieben. Kam mir einfach so zu und ich hatte einfach Lust, noch was anderes als "Absolutely Black Rain" vor meinem Einwöchigen Urlaub zu schreiben und euch damit zu foltern *muhaha*. Ich mein, ich mag es ABR zu schreiben, aber immer an derselben Story zu sitzen ist auf Dauer ganz schön anstrengend, besonders für jemanden wie mich, der immer mehrere Stories nebeneinander her laufen hat, der Abwechslung wegen.

Ich denke, dass ich diese Story (geplant sind so 3-4 Teile) ziemlich schnell beenden werde (soll heißen, ich werde mit viel Eifer zur Tat schreiten), vielleicht sogar noch in diesem Monat, auch wenn nach meinem Urlaub meine Schule wieder anfängt (am Anfang ist ja immer soviel Kram zu erledigen...)*heul*

Und jaa, guckt nicht so entsetzt - es gibt nur lime! Lemon möchte ich hier irgendwie nicht haben. Das fände ich - keine Ahnung wieso - irgendwie unpassend. Dafür habe ich eine neue Warnung erfunden: "happy end" Was das bedeutet, muss ich wohl nicht extra erklären. Allerdings meine ich mit Happy End hier nicht, dass sie sich am Ende dieser Story zufrieden knutschen und dann alt miteinander werden (*wink zu der "death" warnung*)... Aber ihr werdet schon sehn, ist trotzdem ein HAPPY end.

Gewidmet ist die Story sowie das Gedicht am Anfang meinem Wellensittich Rudi (fragt nicht, was mein Haustier mit der Entstehung dieser Story[idee] zu tun haben könnte, es ist halt so). Ein bisschen Feedy wäre nett...
 

"Gesprochen"

/Gedacht/ (Im Zwiegespräch mit sich, kennzeichnet das "-" die Sätze der "inneren Stimme")

_betontes Wort_
 

ACT I
 

Volume I
 

Hisashi stöhnte ernsthaft wütend und frustriert auf. Das konnte ja nun wohl in aller Welt doch nicht wahr sein!

Irgendwie schien das Schicksal es ihm immer dann, wenn er mal wirklich Glück hatte, heimzahlen zu wollen.

Da hatte er nun Freudensprünge gemacht, weil er, kaum dass er ein Jahr lang in der Kanzlei und noch dazu als Partner von Herrn Kilian gearbeitet hatte, diese übernehmen durfte, weil Herr Kilian seines Berufes endgültig müde wurde und sich mit gutem Gewissen in den Ruhestand verabschiedet hatte - und nun so was!!

Sein Tag war wirklich hart gewesen, es war der Anfang der dritten Woche, die er nun allein die Kanzlei leitete und nach noch ein paar Überstunden, was schließlich einen Arbeitstag von 12 Stunden ausgemacht hatte, war er nun wirklich am Ende seiner Kräfte und freute sich nur noch auf sein Bett. Aber nein, natürlich wurde ihm das nicht gegönnt, natürlich musste ihm irgendein Hosenscheißer die zwei Reifen seiner geliebten brandneuen schwarzen Kawasaki ZX-10R, die er erst vor wenigen Monaten zu einem Spottpreis bekommen hatte, aufschlitzen. Obwohl er daheim noch eine wunderschön silberne Suzuki SV 1000 S stehen hatte, hatte er, als er das Angebot ungläubig im Internet entdeckt hatte, sofort zum Keyboard greifen müssen um sich das Motorrad zu sichern, bevor es ein anderer tun konnte. Er war nun mal einfach ein Motorradliebhaber und konnte nicht aus seiner Haut. Allerdings sollten zwei solche Prachtstücke dann doch erstmal für ein paar Jährchen reichen, sonst würde sein Konto bald überzogener als überzogen sein.

Seufzend holte er sein Handy hervor, um eine Werkstatt anzurufen, die sein Motorrad holen und so schnell wie möglich wieder in Ordnung bringen konnte. Noch einmal seufzte er als er wieder auflegte und schloss für einen Moment die Lider über den grünen Augen. Immerhin hatte er zu so später Stunde noch jemanden erreichen können - was ein kleines Wunder war, selbst in einer Großstadt wie dieser - und zu Hause stand ja noch seine Suzuki, sodass er trotz dieses ärgerlichen Vorfalls morgen nicht früher aufstehen musste. Denn das hätte ihm nun wirklich gerade noch gefehlt.

Liebkosend, als müsste er ein weinendes Kind beruhigen, strich er über die Kawasaki und verfluchte den herzlosen Idioten, der so einer wundervollen Maschine mit einem spitzen Gegenstand auch nur nahe kommen konnte.

Als er dem Abschleppwagen mit der Kawasaki hinten drauf hinterher sah dachte er das erste mal darüber nach, was er nun tun sollte.

Das Verkehrssystem der Stadt war zwar nicht schlecht, aber hier in dieser noblen Gegend gab es allenfalls ein paar Busse, um die Snobs in ihrer teuer erkauften Ruhe nicht zu stören - dazu brauchten sie mit ihren lauten und protzigen Schlitten ja nun auch wirklich keine Hilfe. Und nach Zehn - es war nebenbei bemerkt schon nach Elf - fuhren sie nur noch im Stundentakt.

Leise vor sich hinfluchend ging er zur nächsten Bushaltestelle und sah nur noch die Rücklichter und das erleuchtete Rückfenster des Busses am Ende der Straße abbiegen.

"Scheiße!", rief Hisashi laut. Es war sonst nicht seine Art, sich so gehen zu lassen, aber was zuviel war, war zuviel. Wütend trat er gegen die Stange des Haltestellenschilds und fing sich eine missbilligenden Blick eines alten Herrn ein, der gerade auf seine Terrasse getreten war.

Trotzig blickte Hisashi zurück und drehte sich dann um. Na gut, dann würde er eben laufen müssen. Half ja alles nichts.

Ergeben ließ er ein wenig die Schultern hängen und umschloss dann den Griff der Aktentasche etwas fester. Mindestens eine dreiviertel Stunde durch die halbe Stadt zu latschen war nun wirklich nichts, was ihn sonderlich anmachte. Andererseits, dachte er, hatte er sich seit genau zwei Wochen aus einem ganz bestimmten Grund vor dem Laufband daheim und ebenso vor dem Fitnessstudio gedrückt...

Während er also an eleganten Häusern mit maximal 3 Etagen vorbeiging ließ er sich grübelnd den Tag noch einmal durch den Kopf gehen. Soweit so gut. Langsam war er mit dem ganzen Papierkram, der an die Übernahme gekoppelt war, fertig und heute hatte er auch endlich einen neuen Assistenten für sich einstellen können, nachdem er schon anderthalb Monate ohne hatte auskommen müssen. Der war wirklich bitter nötig gewesen.

Trotz des misslungenen Abschlusses dieses Tages, war er doch zufrieden mit sich und der Arbeit die er geleistet hatte. Wer konnte auch behaupten, in seinem Alter schon so eine in den Himmel gelobte Kanzlei und das dazugehörige Gehalt, das nicht gerade von schlechten Eltern war, zu besitzen?

Ein stolzes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, verschwand aber ganz schnell, als er an die Konsequenzen der Übernahme dachte: Sein Freund, bei dem er schon von Seelenverwandtschaft gesprochen hatte, hatte ihn vor zwei Wochen sitzen lassen. Er hatte sich anscheinend schon die ganze Zeit vernachlässigt gefühlt, jedoch kein Wort gesagt und dann auf einmal Schluss gemacht. Und das nicht, ohne ihm zu sagen, dass er es nur so lange mit Hisashi ausgehalten hatte, weil jener ihn unwissentlich mit irgendeinem muskelbepackten Fitnesstrainer geteilt hatte, dessen einzige Gehirnmasse sich in dessen Hose befand.

Unbewusst ballte er die Hand am Aktentaschengriff zu einer Faust, sodass die Knöchel weiß hervortraten, während er die Zähne zusammenbiss, sodass schon bald seine Kiefer schmerzten.

Aber weinen, nein, das konnte er nicht. Irgendetwas in ihm versagte es ihm, dass er sich mit Tränen von seinem Freund - seinem EX-FREUND, korrigierte er sich - losweinen konnte.

Vielleicht hatte er einfach schon zu viele derartiger Enttäuschungen erlebt. Er war ein gutverdienender Anwalt, er war jung, er sah gut aus, hatte höchst akzeptable Eltern, war eigentlich der perfekte - schwule - Schwiegersohn. Zudem war er freundlich und hilfsbereit, in der Liebe ebenso leidenschaftlich wie zärtlich und immer um seinen Partner bemüht, versuchte ihn, so gut er konnte, glücklich zu machen.

/Aber wie zum Teufel soll man das machen, wenn der nicht den Mund aufreißt, wenn ihm was gegen den Strich geht?/, dachte Hisashi wütend-verzweifelt. /Was kann ich den bitte dafür, dass ich meine Arbeit gerne mache und ernst nehme?/

Außerdem hatte er es satt, dass alle immer nur hinter seinem guten Aussehen, seinem Geld und nicht zu letzt seinen prominenten Eltern her waren. Bedeutete ein guter Charakter denn heutzutage so wenig?

Anscheinend Hisashi als einziger gut gesonnen öffnete der Himmel seine Schleusen und schickte einen Platzregen über die Stadt, weinte all die Tränen, die Hisashi nicht fähig war zu weinen.

Einen Moment blieb Hisashi dankbar stehen. Der kühle Sommerregen hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn und hielt ihn gleichzeitig wach, sodass er nicht Gefahr lief, fast schlafwandelnd in ein Auto hineinzulaufen.

Ohne sich dessen bewusst zu sein ging Hisashi weiter, blind für seine Umgebung, und es war schon ein Wunder, dass er nicht geradewegs in eine Wand hineinlief. Wenigstens auf diesem Gebiet hatte er Glück und wich instinktiv und automatisch allen potentiellen Hindernissen geschickt aus, ohne sie wirklich zu registrieren.

Unglücklich verbiss er sich in seiner Unterlippe, bis das Blut in einem dünnen Rinnsal über die volle Lippe und sein markantes Kinn hinablief und nebenbei die - nasse - Hose seines hellgrauen Anzugs versaute, zu dem er nur ein blaues Hemd, das seine grünlich-azurfarbenen Augen betonte, und eine schlichte aber elegante schwarze Seidenkrawatte trug.

Er konnte Jean zwar seine Eskapaden - tatsächlich hatte es vor dem Muskelprotz noch einige andere gegeben - nicht verzeihen, aber andererseits fühlte er sich schuldig, weil Jeans "Anklagepunkte" ja durchaus gerechtfertigt waren.

/Da hast du's! Du denkst ja wirklich nur an Arbeit, selbst wenn es um die Trennung von deinem Freund geht! Kein Wunder, dass er dich verlassen hat!/, dachte er ärgerlich und schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben.

Und prompt stolperte er und landete schmerzhaft auf dem linken Schulterblatt. Zischend sog Hisashi die Luft ein. Rein instinktiv hatte er seine Aktentasche schützen wollen und sich im Fall noch so gut es ging gedreht.

"Verdammt! Jetzt ist dir deine Arbeit schon wichtiger als dein Leben!", schrie er wütend hinaus und kam, das Gesicht verziehend, mit dem Oberkörper wieder in die Senkrechte.

"Na toll...", murmelte er saurer als eine unreife Zitrone, nachdem er sich verständnislos umgesehen hatte. "Als wäre mein Tag nicht schon beschissen genug gewesen, muss ich mich jetzt auch noch in so eine abgefuckte Gegend verirren ohne ein blassen Schimmer zu haben, wo ich bin!"

Ein plötzlich erklingendes Wimmern ließ ihn schlagartig verstummen. Unwillkürlich die Luft anhaltend lauschte er angestrengt um die Geräuschquelle auszumachen. Doch das Wimmern wiederholte sich nicht und hinterließ nur einen angespannten Hisashi in fast vollkommener beinahe beängstigender Stille zurück.

/Fast?/, lenkten ihn seine Gedanken einen Moment ab. /Ja stimmt. Da ist der Regen und dort hinten kann ich ein ganze Menge Autos hören, obwohl es schon so spät ist. Das muss wohl eine der Hauptschlagadern der Stadt sein... Na ein Glück, sonst hätte ich wohl echt in der Tinte gesessen./

Das hätte er allerdings, da die Stadt so groß war, dass man, wenn man es nicht darauf anlegte, selbst nach zehn Jahren kaum ein Viertel davon gesehen hatte - von so gut kennen, dass man es auch jederzeit _wiedererkannte_ ganz zu schweigen... Und schließlich wohnte er erst hier, seitdem er sein Studium abgeschlossen hatte. Vorher hatte er in einem etwa zehn Kilometer entfernten Kaff gewohnt, dass er, voll von mehr oder weniger schwerreichen, auf alle Fälle aber unglaublich versnobten Einwohnern, die kaum ein Wort miteinander wechselten, wenn sie nicht gerade von ihrem Eigentum prahlten, nie hatte leiden können und war jeden Morgen eine gute Stunde bis zu seiner Uni gefahren. Er hatte noch im Haus seiner Eltern gewohnt, die ohnehin nie da waren und ihm frühestens im April zum Geburtstag gratulierten - mit sechs Monaten Verspätung...

Mit seinem hervorragenden Studiumsabschluss jedoch hatte er es plötzlich nicht mehr ausgehalten, jeden Morgen seine Räume abzuschließen, damit das Hausmädchen nicht darin rumschnüffeln und sein wohldurchdachtes "Ordnungs"-System durcheinander bringen konnte. Dass seine Eltern ihm dabei die finanziellen Probleme des Umzugs abgenommen hatten, indem sie ihm von irgendeiner Südseeinsel eine horrende Summe überwiesen hatten, nachdem er sie in einem kurzen Pflichtgespräch davon in Kenntnis gesetzt hatte, verdankte er wohl einzig und allein seinen gehässigen Nachbarn, die ja den guten Ruf der nationalen Vorzeigepromieltern hätten beschmutzen und dabei vielleicht noch auf ein paar Leichen in ihrem Keller hätten stoßen können.

/Und in so eine heruntergekommene Gegend hätte ich mich jedenfalls ganz bestimmt nicht freiwillig begeben!/, entschied Hisashi stirnrunzelnd. Die dunkle - wie sollte es auch anders sein - nur von Mond und Sternen beleuchtete Gasse glich einer Müllhalde und vermutlich hatte er es nur dem die Luft reinwaschenden Platzregen zu verdanken, dass er nicht augenblicklich ohnmächtig wurde von den ganz bestimmt vorhandenen Gerüchen faulender Sachen, die sich Hisashi gar nicht ausmalen wollte sofern er sie nicht sowieso sah. Angeekelt zog er die Hand zurück, als er merkte, dass er damit ganz leicht ein undefinierbares glitschiges Etwas berührt hatte und wusch sie sich sofort und so gut es eben ging mithilfe des herabprasselnden Regens.

Kaum, dass Hisashi wieder auf den Füßen stand, fuhr er herum. Da! Da war es wieder gewesen!

Mit einem unguten Gefühl, von dem sich seine Neugier jedoch nicht abhalten ließ, folgte er dem Wimmern zu einem unscheinbaren Hinterausgang - /Wohl eher die Haustür.../, verbesserte sich Hisashi nach einem kurzen Blick -, dessen Tür mit eingetretenem Drahtglasfenster, faustgroßen Löchern im Holz und herausgeschlagenem Schloss leicht offen stand.

Irgendwie schien nicht nur seine Schulter etwas abgekriegt zu haben, denn nach einem letzten Moment, den sein Verstand ihn zurückhalten konnte, stieß er vorsichtig die nahe vor dem Zerfall stehende Tür mit seinem teuren Schuh auf und trat zögerlich hindurch.

Einen Moment lang stand er blind wie ein Maulwurf am Eingang und alles in ihm schrie danach, sofort wieder kehrtzumachen und das Wimmern zu vergessen, doch da ertönte auch schon ein unterdrücktes Stöhnen und ließ ihn erschrocken einen weiteren Satz in den Raum und seinen Steiß im nächsten Moment Bekanntschaft mit dem Boden machen...

Er wollte schon einen wütenden Fluch von sich geben, der seine feinen Eltern vermutlich vor Schreck ins Grab gebracht hätte, doch ein herzzerreißendes Winseln ließ ihn stocken.

Erschrocken fuhr sein Kopf nach rechts herum - das Winseln kam aus seiner unmittelbaren Nähe.

Und nachdem sich seine Augen an die scheinbar vollkommene Dunkelheit hier drinnen gewöhnt hatten, erkannte er mithilfe des durch die Tür fallenden spärlichen Mondlichts und auch, wenn es zu dunkel war um Farben zu sehen, etwas, dass wohl früher mal ein sehr - sehr - enger Hausflur gewesen sein musste.

Und neben ihm... - für einen Moment schien sein Herz auszusetzen und er sah einfach nur geschockt auf die schmale in Stofffetzen, die nicht einmal diese Bezeichnung verdient hatten, gehüllte, sich vor Schmerz krümmende Gestalt. Was ihn aber so schockte war nicht die "Bekleidung" dieses Junkies - oder was auch immer er war -, sondern viel mehr die klaffende stark blutende Wunde, die sich handlang quer über den linken Hüftknochen zog und der helle Knochen der ihn aus dieser Wunde heraus höhnisch angrinste. Das und die dunkle, süßlich riechende Flüssigkeit, die aus den zahlreichen Wunden floss und auf dem Boden eine dunkle Lache bildete, die aus dessen aufgerissenen Mundwinkel rann und den jungen Junkie immer wieder verzweifelt husten ließ, wenn es sich genügend in seinem Mund gesammelt hatte und versuchte, in seine Lungen zu fließen.

Hisashi hatte von jeher kein Problem damit gehabt, Blut zu sehen, wie etwa seine zartbesaitete Mutter, die schon wie eine schlechte Imitation von Dornröschen in Ohnmacht fiel, wenn sie sich an einem Rosendorn stach. Aber das hier ließ selbst in ihm heftige Übelkeit aufsteigen und einen Moment befürchtete er, dass er sich übergeben müsste.

Doch dann bezwang er seine Gefühle und hockte sich neben die Gestalt. Sofort bemerkte er, dass dies nicht die einzige Verletzung, wenn auch die schwerste zu sein schien. Zumindest die schwerste äußerliche, denn so wie sich der blonde Junge, dessen Haar im Mondlicht vollkommen weiß schien, zusammenkrümmte, musste ihm jemand mit mindestens einem schweren Springerstiefel mindestens ein halbes Dutzend Rippen gebrochen haben. An Organschäden wollte er gar nicht erst denken.

Vorsichtig wollte Hisashi den Jungen mit dem kalkweißen Gesicht am Unterarm berühren, doch seine Finger verharrten wenige Zentimeter vor der viel zu weich und sauber für ein längeres Straßenleben scheinenden Haut.

In seinem Inneren focht er einen harten Kampf. Alles in ihm schrillte Alarm und wollte ihn dazu bringen, abzuhauen und den Jungen aus seinem Gedächtnis zu verbannen.

"Aber er wird sterben, wenn ich ihn hier lasse!", protestierte er laut und verzweifelt gegen seine innere Stimme.

"AAAAAAAAAAAAHHH!!!!!"

Das elende Bündel fuhr wie unter einem starken Fausthieb zusammen, schlug sich verzweifelt die Hände über die Ohren, schrie gellend auf, weinte und schluchzte, dass sein ganzer Körper durchgeschüttelt und davon an den Rand der Bewusstlosigkeit getrieben wurde.

Erschrocken verstummte Hisashi.

/Nein, niemals! Er muss sofort ins Krankenhaus!/, dachte Hisashi unter dem grauenerregenden Nachhall dieses entsetzlichen Schreis und berührte den Jüngeren nun wirklich, so sanft wie er nur konnte, so sanft, wie er nicht einmal einen seiner Geliebten berührt hatte - und er war, auch wenn es ihm kaum einer glauben wollte, der es nicht selbst erlebt hatte, ein sehr verschmuster und zärtlicher Liebhaber.

"Hey, Kleiner...", flüsterte er und strich behutsam über dessen Unterarm.

Schlagartig zog der Kleine den Arm zurück, rollte sich vor Schmerz nach Luft schnappend zusammen, machte sich so klein er nur konnte, schluchzte lauter.

"Sh... Ich tue dir doch nichts", wisperte Hisashi fast liebevoll und strich dem Bündel über die leichenblasse Wange. "Ganz ruhig, Kleiner. Ich will dir nichts tun, sondern dich hier herausholen. Ich möchte dir helfen, verstehst du? Mit deinen Verletzungen darfst du nicht länger hier bleiben..."

Wieder zuckte der schmerzerblasste Junge wie unter einem Hieb zusammen, zog sich jedoch nicht noch einmal zurück, erschlaffte dann schicksalsergeben - sogar die Geräusche, die er beim Weinen von sich gab, wurden leiser und das Schluchzen weniger heftig.

"Sh... Jetzt wird alles gut, mein Kleiner", flüsterte Hisashi, und fuhr fort, den Jungen mit seinen Berührungen zu beruhigen. Und die Zärtlichkeit, mit der er zu Werke ging, wirkte.

Ohne die Berührung und das sanfte, liebekosende Geflüster zu unterbrechen, holte er mit der Linken sein Handy hervor und hob die Tastatursperre auf.

Er wollte gerade auf die grüne Anruftaste drücken, als der Display erlosch. Nur gerade so konnte sich Hisashi von einem verzweifelten Aufschrei abhalten.

Verdammt, was sollte er jetzt machen? Wenn der Kleine innere Verletzungen hatte, würde ihn vielleicht allein der Versuch ihn hochzuheben umbringen. Andererseits sträubte sich alles in ihm dagegen, den Jungen allein zu lassen - es konnte schließlich genauso gut sein, dass er der einzige war, der den Jungen vor dem Tod bewahren konnte, wenn es hart auf hart kam.

Verzweifelt vergrub er seine Vorderzähne in seiner Unterlippe und hätte sie sich beinahe abgebissen. Der glühende Schmerz, der ihn darauf durchfuhr, brachte ihn wieder zur Besinnung.

"Kleiner, kannst du mir sagen, was man dir getan hat, und wo es wehtut?", fragte er leise.

Angestrengt hörte Hisashi auf die kurzen, schnellen und sehr unregelmäßigen Atemzüge, lauschte nach einer Antwort.

Er hatte nicht mehr an eine Antwort geglaubt, als er sie doch bekam und beinahe wünschte Hisashi sich, er hätte sie nicht erhalten. Die von Schmerz gebrochene, vor Atemnot keuchende Stimme tat Hisashi selbst körperlich weh.

"Bauch... so weh..."

"Sh, ich weiß, mein Kleiner", versuchte Hisashi ihn zu beruhigen. Der ganze Anblick dieses jämmerlichen Bündels schrie förmlich vor Angst. "Haben sie dir etwas gebrochen?"

Nur mit viel Mühe konnte er ein mit noch viel mehr Mühe gehauchtes Nein heraushören, sodass Hisashi der ganze Himalaja vom Herzen fiel.

"Was ist mit deinem Bauch?"

"Geschla... gen.......", glaubte Hisashi zu hören.

Hisashi schluckte. Wenn er es nicht versuchte, dann war der Junge vielleicht schon tot, bis der Krankenwagen wieder da war. Es war schon ein Wunder, dass die Knochen des Jungen heil geblieben sein sollten und vermutlich das meiste abgefangen hatten, aber allein die Wunde an seiner Hüfte blutete so stark, dass er vielleicht bald VERblutete.

"Ich bring dich hier raus", versprach Hisashi.

Noch einen Moment lang hatte er einfach nur Angst, dann versuchte er vorsichtig, seine Arme unter den in sich zusammengesunkenen Körper des Jungen zu schieben.

Zur Antwort bekam er einen markerschütternden Schrei.

Erschrocken biss sich Hisashi auf die Zunge, bemerkte aber nicht den Schmerz und auch nicht, wie sich sein Mund mit Blut zu füllen begann.

Er presste schmerzlich hart die Kiefer zusammen, um nicht selbst zu schreien, widerstand jedoch dem Drang, auch die Augen zu schließen, als er unter schwächerwerdenden Schreien weitermachte.

Als Hisashi den Kleinen hoch hob versicherte ihm nur noch ein verzweifeltes Nach-Luft-Schnappen, dass er das er das Bündel mit dieser Aktion nicht über die gefürchtete Schwelle in den Tod gestoßen hatte - zumindest noch nicht.

/NEIN! ER WIRD ES SCHAFFEN! GANZ SICHER WIRD ER ES SCHAFFEN!/, rief sich Hisashi panisch in Gedanken zu. /ER MUSS ES SCHAFFEN!!!/

Er verlor nun keine Zeit mehr und verließ so schnell er konnte die heruntergekommene Umgebung. Da er nicht wirklich wusste, wo er war, aber anhand der Zeit, die von seiner Kanzlei bis zu seiner Ankunft hier vergangen war, etwa einschätzen konnte, wie weit er allerhöchsten gekommen sein konnte, wandte er sich nach Norden. Er selbst wohnte auch im Norden und je eher er in auch nur vage bekannte Gebiete kam, desto eher konnte er sich orientieren und den Jungen zu einem Krankenhaus bringen.

"Sh.... Jetzt wird alles gut, Kleiner", murmelte er unablässig, wusste nicht mehr, ob er wirklich den Jungen oder nicht doch eher sich selbst damit beruhigen wollte.

"Ich bring dich jetzt so schnell wie möglich in ein Krankenhaus und dann-"

"NEEEIIIIIN!", schrie der Junge entsetzt auf und setzte sich auf einmal, trotz der unmenschlichen Schmerzen, die er sich damit selbst zufügte, verzweifelt in Hisashis Armen zur Wehr.

"NEIN, NICHT. ICH. NICHT. NEIN. WILL. NICHT", stammelte er mit tränenüberströmten Gesicht, ängstlich zusammengekniffenen Augen.

Entgeistert versuchte er den Jungen zu beruhigen, bis er schließlich keinen Ausweg mehr sah, und seine Worte zurücknahm, nun als ihr Ziel seine Wohnung angab.

Vielleicht war es sogar besser so, immerhin wohnte unter ihm der Direktor eines angesehen Krankenhauses, der, soweit er sich erinnerte - und obwohl er eigentlich nicht an Gott glaubte (oder um ehrlich zu sein, er hatte nie darüber nachgedacht, ob er es tat), betete er inständig, dass er sich _richtig_ erinnerte -, ein sehr guter Arzt war - auch in Notfällen.

Als er kaum fünf Minuten später sein Haus erkannte, wäre er vor Erleichterung beinahe in Tränen zerflossen. Und zum ersten Mal in seinem Leben war er überglücklich, weil diese nervige, kaum volljährige Blonde wieder einmal die Tür nicht richtig zugemacht, geschweige denn abgeschlossen hatte.

Er hastete auf den Fahrstuhl zu, hämmerte wie wild mit seinem Ellbogen auf die Taste ein.

Nichts geschah.

Nur langsam drang es zu ihm durch, dass die Taste nicht wie sonst beleuchtet war.

/Scheiße, das ist doch nicht wahr!!! Es geht um Leben oder Tod und genau da haben wir einen Stromausfall???/, dachte er hysterisch, fuhr dann auf der Stelle um und raste die langen Treppen hinauf zu seinem Penthouse-Appartement.

Er konnte später nicht mehr sagen, wie er es geschafft hatte, die Schlüssel hervorzuholen und die Tür aufzuschließen ohne das zitternde Bündel fallen zu lassen, aber in diesem Moment hätte er vermutlich sogar gelernt, allein durch Gedankenkraft zu fliegen.

Im Flur verharrte er eine Sekunde.

/Bett oder Badewanne?/, überlegte er unschlüssig. Mit einem kurzen Blick auf zitternde Elend in seinen Armen entschied er sich für das Bett. Er würde danach zwar seine neue Bettwäsche wegschmeißen können, aber das war ihm egal: Bettwäsche konnte man ersetzen - ein Menschenleben nicht.

Da er in der Aufregung den Lichtschalter nicht fand (Was hätte es auch genutzt?), tastete er sich mit den Füßen voran, bis er gegen seine Schlafzimmertür stieß. Die Klinke mit dem Ellbogen hinunterdrückend trat er die Tür unsanft auf und taumelte herein. Er war ja nicht gerade schwach und der Kleine ziemlich leicht - beunruhigend leicht -, aber er hatte ihn nun ja auch schon eine ganze Weile getragen und die Treppe hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, dass er wieder Kraft schöpfen konnte.

/IDIOT! DU HAST JETZT WICHTIGERES ZU TUN, ALS ÜBER DEINE KONDITION NACHZUDENKEN!!!/

So sanft wie möglich legte er ihn auf das Bett, zündete dann alle 7 Kerzen eines schönen Silberkandelabers an. Ein leises, unterdrücktes Stöhnen war die einzige Reaktion.

"Ich bin gleich wieder da", flüsterte Hisashi und deckte ihn sanft zu, damit ihm wenigstens nicht kalt wurde.

So schnell er konnte, rannte er eine Etage tiefer und klopfte so laut an, dass er das Gefühl hatte, fast die Tür einzuschlagen. Stille war die einzige Antwort, die er erhielt.

Hisashi fluchte verzweifelt, rannte wieder nach oben, in seine Küche, riss den Medizinschrank auf und schnappte sich in der Dunkelheit alles, was er für irgend nützlich befand.

Der Kleine hatte sich wieder zusammengekrümmt und bei diesem mitleiderregenden Anblick war ihm beinahe, als würde auch er selbst den Schmerz fühlen, den der Kleine fühlte. Nun, im Kerzenlicht, sah er auch, dass der "Kleine" mindestens 16 sein musste und zudem VOLLKOMMEN weißes Haar hatte. Und außerdem war er wirklich hübsch. Nein, nicht hübsch, er war schön. Bis auf die Schnitte, die blauen Flecke und die Schürfwunden, wie etwa auf der Stirn, war er absolut makellos.

"Shh, alles wird gut", begann Hisashi wieder, wiederholte es wie ein Mantra.

Wenn der Strom ausgefallen war, dann konnte er weder sein Telefon, noch seinen Computer benutzen und sein Handy wieder aufladen schon gar nicht. Wenn er nichts tat, war der Kleine höchstwahrscheinlich schon verblutet, ehe er auch nur mit dem Notdienst sprechen konnte!

Einen Moment noch sah er unbehaglich auf die vielen blutenden Schnitte, die zweifellos von einem Messer herrührten und langsam aber sicher den Spannbettbezug mit einem dunklen Rot tränkten, dann nahm er eine große Schere und begann die zerfetzte Kleidung vom Körper des jungen Mannes zu schneiden.

Nicht nur einmal zischte der junge Fremde auf, wenn Hisashi ein Stück Stoff aus einer Wunde herausziehen musste.

"Ich heiße übrigens Hisashi Kigai", erzählte er dem Kleinen, um ihn ein wenig von den Schmerzen abzulenken. "Ich bin 27 Jahre alt und Anwalt. Und außerdem liebe ich Männer, aber das muss dir keine Sorgen machen..."

Hisashi hielt eine Moment inne, bevor er sich dazu zwingen konnte, weiterzumachen.

/Warum habe ich das jetzt gesagt? Warum habe ich dem Kleinen das erzählt?/

Fakt war, Hisashi wusste es nicht, aber er hatte das dringende, wenn auch unerklärbare Bedürfnis, ehrlich zu dem Kleinen zu sein.

"Und wie heißt du, Kleiner?", fragte er sanft.

Die angestrengt zusammengepressten Lider flatterten leicht. "Ni-Nico. Und... ich bin nicht... klein..."

Ein warmes Lächeln zauberte sich auf Hisashis Lippen. "Entschuldige, Nico."

"Macht... ... nichts...", hauchte der schwach, zitterte von der Anstrengung jegliche Schmerzlaute zu unterdrücken, was ihm Schweißperlen über das Gesicht rinnen ließ, die helle Spuren auf der rotgefärbten, feuchten Haut hinterließen.

/Immer bei Bewusstsein halten, mit Schwerverletzten soll man reden, damit sie wach bleiben/, fiel es Hisashi in diesem Moment ein.

"Ich werde dir jetzt deine Wunden versorgen, in Ordnung Nico? Ich hab so etwas zwar noch nie in einem Ernstfall wie diesem hier gemacht, aber ich hoffe es reicht fürs Erste..."

"Wird schon...", wisperte Nico. "Ich... ... hart im Nehmen..."

Hisashi strich ihm kurz durch das Haar mit dieser so bemerkenswerten Farbe. "Ja, das habe ich bereits gemerkt. Du bist wirklich ganz schön stark, Nico..."

Hisashi schluckte noch einmal hart, bevor er eine spitze Glasscherbe aus Nicos linkem Fuß zog.

"KYYAAAA", schrie Nico und warf sich verzweifelt um.

"Sh, bitte Nico, es tut mir Leid, aber ich musste sie herausziehen... Bitte, beruhige dich wieder", hauchte Hisashi verzweifelt, streichelte den schlanken Körper so lange, bis das Zittern fast aufhörte und in ein leichtes Beben überging.

Dann begann er so vorsichtig er nur konnte die Wunden zu säubern und zu desinfizieren. Es tat ihm im Herzen weh, dass er Nico zu den starken Schmerzen auch noch das Brennen des Desinfizierungsmittels zumuten musste, dass jenem die Tränen in und aus den Augen trieb, aber er wollte nichts riskieren.

/Was ist, wenn er AIDS hat?/, fragte plötzlich eine Stimme in seinem Kopf. Hisashi erstarrte einen Moment, machte dann trotzig weiter, schob diesen Gedanken so weit von sich wie es nur ging. /Nur nicht dran denken. Jetzt nur nicht dran denken... Er braucht deine Hilfe, also nicht dran denken.../
 

Erschöpft fuhr sich Hisashi durch die Haare, registrierte nicht einmal, wie er so das Blut in seinen schwarzen Haaren verteilte. Aber eigentlich machte es auch keinen großen Unterschied mehr, schließlich war seine ganze Kleidung, überhaupt alles an ihm voll davon. Er konnte also nicht nur die Bettwäsche wegschmeißen...

Aber es war ihm egal. Der Kleine hatte sich nach einer Weile beruhigt, hatte sogar Durst bekundet. Obwohl er starke Schmerzen haben musste, schien es doch nicht lebensbedrohlich zu sein, so wie Hisashi zuerst angenommen hatte.

Hisashi schmiss seine Kleidung und das blutdurchtränkte Stück Stoff in den Mülleimer, goss die Schüssel mit dem blutrot gefärbten Wasser aus und stellte sich dann kurz unter die Dusche, während er Nico nicht aus dem Sinn bekam.

Der Kleine hatte entweder verdammt großes Glück gehabt oder der Besitzer des Messers keine große Ahnung von seiner Waffe - oder beides.

Und zum ersten Mal fragte er sich, wie es dazu hatte kommen können. Was hatte der Kleine getan, der nun friedlich in dem viel zu großen Bett schlummerte, dass er so fertig gemacht worden war?

"Oder war er nur zur falschen Zeit am falschen Ort?", fragte sich Hisashi laut, trocknete sich nachlässig ab und schlüpfte in schwarze Boxershorts.

Hisashi war natürlich besorgt, aber als er sah, wie die Stirn des Kleinen, /Nico!/, korrigierte er sich, als er sah, wie seine Stirn im Schlaf wieder völlig glatt wurde und nur noch der kalte Schweiß an die Schmerzen erinnerte, die Nico hatte ertragen müssen, da konnte er sich nicht davon abhalten zu lächeln. Im Schlaf sah der Kleine vollkommen friedlich und - unschuldig aus und er fragte sich ernstlich entsetzt, wie man diesem Wesen nur weh tun konnte - weh tun _wollte_.

Der Kleine wurde ein wenig unruhig und ehe Hisashis verhindern konnte, versuchte sich der junge Fremde zu drehen.

Sofort sog Nico zischend die Luft ein und zuckte zurück, begann wieder leicht zu zittern.

"Nicht! Du tust dir noch weh, kleiner Dummkopf!", flüsterte Hisashi mit sanfter Stimme und strich durch die weißen Haare.

Aber egal ob Nico seine Worte verstanden hatte oder nicht, der sanfte Ton und die behutsam durch sein Haar streichelnde Hand beruhigten ihn wieder.

/Weißes Haar.../, dachte Hisashi. /Aber wenn die gefärbt sind, dann bin ich ne Hete... Trotzdem... Selbst weißblond wäre noch zu dunkel. Hätte er nicht diese dunklen Augenbrauen und Wimpern würde ich sagen, er ist ein Albino, so weiß sind seine Haare!/

"Wie ein Albino", murmelte Hisashi laut denkend. "Oder ein Engel..."

Eigentlich glaubte Hisashi ja nicht an Engel - auch wenn er den Gedanken sehr romantisch fand -, aber wenn es sie doch geben sollte, so dachte er, dann würden sie sicher so aussehen, wie die schmale, zerbrechliche Gestalt in seinem Bett.

Hisashi musste wohl ein wenig vor sich hingeträumt haben, denn das nächste, was er wahrnahm, war ein kurzes Ziehen an seinem Hemdsaum.

Erstaunt blickte er nach unten und sah, wie die schlanken Finger, die sich in den Stoff vergraben hatte, erneut daran zupften.

Erst dachte Hisashi, der Kleine wäre wieder aufgewacht, doch nein, er atmete noch immer in demselben langsam-gleichmäßigen Rhythmus.

/Aber irgendwie... Ich kann mir nicht helfen - in dem großen Bett sieht er irgendwie so klein, so... verloren aus.../, grübelte Hisashi nachdenklich in den Anblick des blassen Gesichts vertieft.

Und bevor er sich versehen hatte, hatte er auch schon der ungeduldigen Hand nachgegeben und legte sich neben den kleinen Engel, zog ihn nach kurzem Zögern schließlich auch in seine Arme...

...Und musste lächeln, als er merkte, wie sich Nico anschmiegsam an ihn kuschelte und dann sogar leise schnurrte.

/Ein Glück, dass du den Schmerzen wenigstens im Schlaf entkommst.../, dachte er mitleidig und begann wieder, die elfenhaft zarte und blasse Haut mit seinen Fingerkuppen zu liebkosen, was durch ein leichtes aber glückliches Lächeln belohnt wurde.

Hisashi errötete leicht bei dem Anblick. /Vergiss es, er ist viel zu jung für dich! Du könntest wahrscheinlich fast sein Vater sein!/

"Schlaf gut, Kleiner", flüsterte er und schloss dann erschöpft die Augen um sofort in das Reich der möglichen Unmöglichkeiten zu gleiten.
 

Volume II
 

Verwirrt wurde sich Nico bewusst, dass er noch immer lebte.

/Aber wie.../

Dann fiel es ihm ein, fuhr es wie ein warmer Schauer durch ihn. Hisashi hatte ihn gefunden... Ausgerechnet Hisashi... Manchmal war das Schicksal doch ganz schön merkwürdig. Am liebsten hätte er Gott dafür gedankt, dass das Schicksal - fast - unbeeinflussbar war, aber der hätte ihn dafür vermutlich auf der Stelle ausgelöscht.

Er öffnete vorsichtig ein Auge, immer darauf vorbereitet einen seiner ehemaligen Brüder zu Gesicht zu bekommen und zu sterben, immer noch darauf wartend, dass sich alles als ein grausamer Scherz entpuppte.

Doch es war kein Scherz. Er konnte den vom Schlaf gewärmten Körper wenn nicht sehen, so doch neben sich spüren. Konnte den Arm fühlen, der ihn beschützend umschlungen hielt.

Traurig schmiegte er sich enger an die tröstliche, schlafwarme Haut, die ihn umgab.

Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn an seinem rechten Schulterblatt. Noch immer tat es weh. Und obwohl er nun beide Augen offen hatte und er warme Sonnenstrahlen in seinem Gesicht spürte, war alles, was er sah, bloß ein finsteres Grau.

Aber für Hisashi hätte Nico alles ertragen - sogar den Tod oder noch schlimmer: das völlige Erlöschen.
 

Schläfrig glitt er aus einem angenehmen Traum hinüber in einen noch recht benebelten aber nicht weniger angenehmen Wachzustand. Hisashi tat sein Steiß mächtig weh, ganz zu schweigen von seinem ziemlich angeschlagenen Schulterblatt, aber die unglaubliche Wärme, die er fühlte, hätte ihn für noch viel größere Schmerzen vollkommen entschädigt.

Verschlafen öffnete er die Augen. Als Hisashi sah, wie sich ein weißer Wuschelkopf, der je nach dem, wie sich das Sonnenlicht darin brach, silbrig und golden schimmerte, an seine Brust schmiegte, musste er lächeln.

Selbst durch die Verbände und die unzähligen Pflaster und Pflästerchen konnte er noch diese unbegreifliche Wärme spüren, die ihm ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelte.

Hisashi musste innerlich über sich selbst lachen. /Dabei sollte man doch meinen, ich würde ihn beschützen.../

Tatsächlich hatte er den Kleinen fast besitzergreifend an sich gezogen, als hüte er einen kostbaren Schatz, den es um jeden Preis zu verteidigen galt. Und sein Arm hielt die schmale Taille, kurz über der grässlichen Wunde, die Hisashi gestern so geschockt hatte, als wolle er verhindern, dass man ihm den jungen Mann in seinen Armen wegnahm - oder dass der von ihm fortlief.

Der Gedanke stimmte ihn traurig. Er wusste nicht weshalb und es verwirrte ihn sehr, aber es war wirklich so: Er wollte nicht, das Nico wieder ging.

"Mach ich nich... dazu schmerzt mein Fuß zu sehr...", nuschelte plötzlich eine noch recht verschlafene Stimme.

Hisashi lief schlagartig so rot wie ein Feuerlöscher an. "Du bist wach?", fragte er überflüssigerweise und zog sich ein wenig zurück. Das Letzte, was er wollte, war, dass sich Nico von ihm belästigt fühlte.

"Hm-m. Nun bleib schon hier...", machte Nico nur unwillig und rutschte wieder näher an seine Wärmequelle.

Ein glückliches Lächeln schlich sich in Hisashis Antlitz. Doch bevor er sich noch ein Ohr abbeißen konnte vor Freude, fragte er schnell: "Bist du schon lange wach?"

"Mh-h", verneinte Nico.

/Nicht sehr gesprächig am Morgen, der Kleine/, fuhr es dem belustigten Hisashi durch den Kopf.

"Was ist mit deinen Verletzungen? Hast du starke Schmerzen? Du könntest ein Aspirin kriegen, wenn du magst."
 

"Ich mag keine Tabletten", murrte Nico. "Und es tut auch gar nicht mehr so sehr weh..."

Dieser Mensch hatte einen einzigen, wie Nico fand, im Moment ziemlich schwerwiegenden Fehler: Er redete zuviel.

"Sicher?", machte Hisashi zweifelnd.

Nico verlor die Geduld - und wenn er die Geduld verlor, konnte er für nichts mehr garantieren.
 

Ehe sich Hisashi versehen hatte, lagen auch schon zwei weiche Lippen auf den seinen und hießen ihn so sehr wirksam, endlich den Mund zu halten.

Überrascht riss Hisashi die Augen auf und ließ einfach nur geschehen, schloss nach einem Moment genießerisch die Augen und wollte schon den Kuss zurückgeben, als er tief bedauernd registrierte, wie sich der andere wieder zurückzog und zurück an seine Brust kuschelte.

Dann jedoch musste er grinsen. Der Kleine war ganz schön heißhungrig. Jedenfalls war er, obwohl doch nur ein kleiner, "unschuldiger" Kuss, so verlangend gewesen, dass Hisashi beinahe befürchtet hatte, er würde im nächsten Moment aufgefressen.

/Wogegen ich, wenn ich ehrlich bin, eigentlich nichts einzuwenden gehabt hätte.../, grinste Hisashi. Dann fragte er Nico: "Hast wohl Hunger, hm? Aber auch wenn ich hoffentlich nicht ganz schlecht schmecke - _richtiges_ Frühstück ist vielleicht ein wenig bekömmlicher und sättigender..."
 

"Muss ich dir erst das Maul stopfen, damit du Ruhe gibst?", knurrte Nico.

Okay, er liebte seinen Menschen ja, ebenso dessen beruhigende, kosende Stimme, aber langsam fühlte er sich versucht, ihm die vorlaute Zunge zu verknoten...

Allerdings, er hatte schon Gottes Zorn und den seiner Diener auf sich gezogen - da wollte er nicht auch noch Hisashi erzürnen. _Besonders_ ihn nicht!

/~Nicht mehr dran denken...

-Genau, denk nicht mehr dran. Du hast Hisashi gefunden und nun sollen sie doch versuchen, euch wieder auseinander zu reißen...

~Nein... Niemals... Jetzt wo ich ihn endlich gefunden habe, werden sie mich niemals wieder von ihm trennen können... Nicht von Hisashi.../

Er rutschte ein wenig höher und nachdem er Hisashi spielerisch drohend in die Kehle gebissen hatte, vergrub er sein Gesicht in Hisashis Halsbeuge.

/Eins muss man dir lassen, Misuke[1] du fühlst dich wunderbar an - und du riechst wie der Himmel... Nein, sogar noch viel besser - und ich muss es ja wissen.../
 

Hisashi lachte über die geknurrte Antwort, dann rieselte ihm auf einmal ein warmer Schauer den Rücken hinunter, als er spürte, wie Nico an seiner Kehle knabberte und dann sein Antlitz in seiner Halsbeuge versenkte.

"Da habe ich mir wohl ein kleines Wölfchen eingefangen, hm?", neckte er Nico, seine Nase an dem weichen Haar reibend, nahm ihren sanften Duft tief in sich auf - und konnte dabei nicht glauben, dass er so ungezwungen mit dem Kleinen umging. Er kannte ihn nicht einmal 24 Stunden lang und wusste kaum mehr als seine Namen - noch dazu war er eigentlich viel zu jung für Hisashi-, sehnte sich jedoch schon jetzt nach jeder noch so kleinen Berührung, die er bekommen konnte.

"Hnn?", brummte der Jüngere verwirrt und zugleich ein wenig verärgert, weil Hisashi schon wieder geredet hatte.

"Du knurrst wie ein Wolf und um ihre Macht zu demonstrieren, beißen ranghöhere Wölfe auch in die Kehle des niedereren."

"Gnn... Streber!", kam nur die ergebene, jedoch sehr trockene klingende Antwort.

Hisashi lachte nur, hielt dann aber erst mal den Mund und kuschelte sich nur zufrieden an den Kleinen.

Nach einer Weile meldete sich jedoch langsam sein Magen mit einem ziemlich flauen Gefühl, dass nur eine Bedeutung hatte: Hunger.

Schließlich hatte er gestern hart gearbeitet und für die viele Denkarbeit, die er geleistet hatte, hatte er aus Zeitmangel viel zu wenig gegessen und dann war auch noch das Abendessen ausgefallen...

"Was hältst du von Frühstück im Bett, Kurzer?"

"Gn...", knurrte Nico. "Ich bin weder klein noch kurz, klar? Und solange du mich nicht vergiftest mit deinen "Kochkünsten" ist mir alles recht..."

Hisashi biss ihm zum Dank für dieses überaus nette Kompliment ins Ohrläppchen, bevor er schmollend erwiderte: "Damit du's weißt! Ich kann kochen - sehr gut sogar."

"Aus welchem Märchen hast du denn den Unsinn? Seit wann können Männer kochen?", kam die Antwort, jetzt jedoch eindeutig nur, um ihn ein wenig zu ärgern.

Hisashi gab es auf zu schmollen, lachte stattdessen nur, löste sich dann vorsichtig von Nico, strich ihm nur kurz noch einmal durch die Haare, während er ihn fürsorglich zudeckte, dann ging er, nur in seinen Unterhosen bekleidet und nachdem er einem menschlichen Bedürfnis nachgegangen war, in die Küche, um ein leckeres Frühstück zu zaubern.

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[1] Himmlische Sprache für: "Mein Schützling"

ACT TWO

Kommentar: So, hier der zweite Teil von One Wing mit dem ich mich in einen einwöchigen Urlaub (bis zum 22.08.04) verabschiede. Sorry, wenn hier nicht soviel passiert, wie im ersten Teil. Kommt schon wieder -.^

Gewidmet ist die Story weiterhin meinem Wellensittich Rudi. Ein bisschen Feedy wäre natürlich wieder sehr nett...
 

ACT II
 

Volume I
 

"Hey, Chibi-chan, aufwachen! Essen ist fertig!", säuselte Hisashi (mittlerweile vollständig bekleidet mit einem schwarzen T-Shirt und kurzen weißen Sportshorts mit dem schwarzen Nike-Logo, dass ihm so gefiel) Nico ins Ohr, nachdem er die zwei vollbeladenen Tabletts vorsichtig auf dem Nachttisch abgestellt hatte, und musste grinsen als dieser sich aufstöhnend eines der kleineren Kissen krallte(Hisashi schlief immer mit einem großen und noch einem halb so großen Kissen, weil es ihm sonst nicht weich und hoch genug war) und ins Gesicht drückte.

Er hatte schon lange nicht mehr so gut geschlafen, wie mit dem Kleinen neben sich - für einen alleine war das Bett ohnehin zu groß, wo doch darin bequem drei Mann Platz hatten - und er war auch selten so gut gelaunt am Morgen, auch wenn er kein Morgenmuffel war, so wie dieses angemuffelte Engelchen in seinem Bett.

Dementsprechend gut aufgelegt schnappte er sich mit einem breiten - wirklich _breiten_ - Grinsen die Tasse mit der Schlagsahne, die eigentlich für seinen Cappuccino gedacht war, und kleckste passend zur weißen Unterhose, die er Nico geliehen hatte, einen Tupfer der weißen Sahne in die süße Vertiefung von Nicos Bauch und während Nico noch damit beschäftigt war, mit einem leisen Schrei erschrocken wegen der Kälte in seinem Bauchnabel zusammen- und dann aufzufahren, leckte Hisashi auch schon genüsslich die Sahne heraus.

/So schmeckt die gleich noch mal doppelt so gut/, grinste Hisashi in sich hinein und leckte schnell den letzten Klecks heraus, bevor sich Nico fangen und zur Wehr setzen konnte.
 

Womit er auch nicht lange auf sich warten ließ. So fest er konnte, haute er seinem Menschen das Kissen um das linke Ohr.

"Wag es noch einmal mich so zu erschrecken oder mich klein zu nennen und du bist der erste Mensch der ein schwarzes Loch von innen sieht!!", knurrte er ein wenig abfällig, machte sich nicht einmal die Mühe die Augen zu öffnen.

/Wozu auch.../, dachte er traurig.

Hisashi kämpfte sich unter dem Kissen hervor und erwiderte schmutzig grinsend: "Mich würde ein ganz anderes Loch aber viel mehr interessieren..."

Zur Antwort haute ihm Nico das Kissen um das rechte Ohr, so heftig, dass Hisashi, der gerade dabei gewesen war, über ihn zu krabbeln, beinahe aus dem Bett geflogen wäre, wenn Nico ihn nicht noch reflexartig festgehalten hätte.
 

Erschrocken gab er einen leisen Schrei von sich und konnte sich gerade noch so mit den Händen abfangen, sodass er nicht genau auf Nico fiel. Bei dessen Verletzungen hätte das schließlich mehr als übel ausgehen können, auf jeden Fall aber schmerzhaft.

Erleichtert atmete er aus und ließ dann seine Stirn auf die des Jüngeren sinken, sorgfältig darauf bedacht, nicht in die Nähe der wortwörtlich zugepflasterten Platzwunde zu kommen.

"Dummkopf", flüsterte er. "Das hätte auch schief gehen können..."

Nico lächelte, gab ihm mit geschlossenen Augen einen Eskimokuss.

"Ich weiß. Du bist zwar ein wahrer Engel, aber du fliegst weit weniger elegant..."

"Du...", Hisashi legte eine gespielt drohende Miene auf, knabberte dann aber lieber ein bisschen an den verführerisch leicht geöffneten, vollen Lippen. "Mh... du schmeckst gut..."
 

"Du auch, Hisashi...", flüsterte Nico rau und ließ sich fallen, genoss einfach nur die starken Arme, die großen aber nichts desto trotz sehr zärtlich werbenden Hände, die nun seine schmalen Hüften umfassten, die weichen Lippen, die Wärme dieses angenehm schweren Körpers auf ihm, der seine Wunden zwar berührte, aber so wohlige Gefühle in ihm hervorrief, dass er die Protestschreie seiner Verletzungen gar nicht zur Kenntnis nahm.

"Gib es zu, du bist kein Mensch! Was machst du nur mit mir...", murmelte Hisashi selbstvergessen.

Nico zuckte leicht zusammen, konnte sich nicht davon abhalten, ein wenig traurig zu lächeln. "Ertappt. In Wirklichkeit bin ich nämlich ein Engel... mit nur einem Flügel."

Glücklicherweise bemerkte Hisashi mit genüsslich geschlossenen Augen nichts davon, rezitierte nur mit spaßeshalber belehrendem Ton: "Menschen SIND Engel mit nur einem Flügel - wenn sie sich umarmen, können sie fliegen."

"Das merke ich... Und wenn du mich nicht festhältst, werde ich tief fallen", sagte Nico, auch wenn Hisashi nicht wissen konnte, wie viel Wahrheit in diesen Worten steckte.
 

Nun stutzte Hisashi doch ein wenig, bei diesem ernsten Ton. Dann sagte er leise: "Glaub mir, wann immer du fällst, werde ich dich auffangen, Nico."

"Ich werde dafür beten..."

Hisashi hauchte ihm einen letzten Kuss auf diese verdammt niedliche Nasenspitze, sah dann neugierig auf das engelhafte Antlitz hinab. "Bist du denn gläubig?"

Nico zuckte mit den Schultern, sagte zögernd: "Irgendwie schon - ja. Aber gleichzeitig bin ich vermutlich einer der größten Sünder, die unter der Sonne wandeln."

"So schön kann also Sünde sein...", neckte Hisashi, dann jedoch runzelte er die Stirn. "Sag mal, sehe ich so schrecklich aus, dass du mich nicht ansehen willst, oder hast du Angst deine wunderschönen Augen könnten mich blenden?"
 

Nico schluckte und unvermittelt stiegen ihm die Tränen in die Augen. "Ich... Ich... Es tut mir Leid, Hisashi... Ich will nicht, dass du sie siehst... Sie sind... hässlich..." Das letzte Wort hatte er nur noch geflüstert.

Er konnte hören, wie Hisashi leicht erschrocken die Luft einsog, spürte wie seine Fingerkuppen, leicht wie Federn, die Tränen sanft von seinen dichten schwarzen Wimpern strichen.

"Nico? Was hast du?", fragte der Ältere hilflos und Nico begann seine Brüder ernsthaft dafür zu hassen, dass Hisashi und er sich nie Auge in Auge gegenüberstehen, nie gegenseitig in die Augen sehen würden.

"Lass sie mich sehen, Nico. Bitte... An einem so wunderbaren Menschen wie dir, _kann_ es nichts hässliches geben...", wisperte Hisashi und berührte kurz Nicos geschlossene Lider mit seinen Lippen.

Nico holte tief Luft, dann schlug er zitternd die Augen auf.

Eine entsetzliche Ewigkeit war es totenstill in dem großen Schlafzimmer und in diesen unendlichen Momenten wünschte sich Nico nichts sehnlicher als den Tod, sehnte sein endgültiges Verlöschen herbei, fast mehr noch als Hisashis Liebe.

Dann holte der junge Anwalt tief Luft. "Du... bist... BLIND?", hauchte Hisashi ungläubig. Sein Ton ließ Nicos Herz zerspringen.

Er glaubte vor Scham sterben zu müssen, wandte das Gesicht ab, verbarg seine Augen hinter zitternden Händen. Jetzt hatte er es geschafft! Hisashi würde ihn ganz bestimmt verstoßen. Wer wollte schon _so etwas_ wie ihn?
 

Wie vor den Kopf geschlagen vernahm er Nicos lautes Schluchzen, sah unzählige Tränen unter den Händen hervorrinnen.

Ein Gefühl zog sich in seiner Brust zusammen, so schmerzhaft fest, dass er keine Luft mehr bekam.

Und dann konnte er endlich die Starre von sich abschütteln und das tun, wozu sein Herz ihn drängte: Er zog mit sanfter Gewalt die schönen schlanken Finger von Nicos Antlitz und fing die bebenden Lippen zu einem tiefen Kuss ein, in den er all die unbegreiflich mächtigen Gefühle legte, die Nico in den wenigen Stunden, seit er ihn kannte, in ihm hervorgerufen hatte.

Nach einer Weile musste er atemlos innehalten - seine Lungen schmerzten bereits und er wollte Nico ja auch nicht ersticken.

"Ich mag dich trotzdem, Nico. Wenn du mich willst?", fragte er leise und mitfühlend, strich dem Kleinen sanft über die wieder geschlossenen Lider. Er konnte sich nicht helfen - natürlich sah es ungewöhnlich aus, dieses milchige Weiß, aber auch wenn er natürlich erschrocken war, schlimm fand er es nicht. Oder besser gesagt - er fand Nico deswegen nicht abstoßend oder dergleichen, denn es tat ihm schon leid, dass Nico nicht sehen konnte. Jetzt jedoch war er erst recht dazu entschlossen, Nico nicht mehr gehen zu lassen und ihm zu helfen.
 

Nicos Herz setzte aus, als er die weichen Lippen wieder auf seinem Mund spürte. Fast hätte er vor Glück Hisashis Frage überhört.

Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und schon wieder musste er weinen. Nun jedoch vor Glück. Hisashi war wirklich der beste Mensch auf Erden!

"Es... Es stört dich nicht?", fragte er noch einmal zaghaft, vergewisserte sich, dass er es auch ganz bestimmt nicht falsch verstanden hatte.

Er spürte wie sich Hisashis Oberkörper bewegte und ein ganz sanfter Luftzug über seinem Gesicht entstand - er musste wohl den Kopf schütteln.

"Nein", flüsterte der dann auch. "Aber ich bin froh, dass du sie mir gezeigt hast..."

Nico presste Hisashi so fest an sich, wie er nur konnte, vergrub glücklich sein Gesicht an Hisashis Hals. "Hisashi... Danke... Danke..."
 

"Warte! Nicht so fest - du tust dir doch weh!", rief er erschrocken und machte sich vorsichtig von ihm los, blieb aber weiter über ihm, nur eben, dass er sich mit den Ellenbogen abstützte, um Nico nicht zu schwer zu werden und seine Wunden nicht allzu sehr zu berühren. Die Verbände und Pflaster mochten ein wenig schützen, jedoch nicht sehr.

"Wie...", Hisashi stockte, wusste nicht, ob er weiterfragen sollte - durfte. Er wollte Nico nicht zu nahe treten. Schließlich fragte er: "Wie ist das geschehen? Ich, du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Sag mir bitte, wenn ich dir zu nahe trete! Ich möchte dich nicht traurig machen, hörst du?"

Ein zaghaftes Lächeln bildete sich auf Nicos Lippen, aber dann wurde er doch traurig und Hisashi verfluchte sich für seine Neugier.

"Meine Brüder... Sie nahmen mir mein Augenlicht..."

Hisashi starrte ihn vollkommen entgeistert an.

"Was?", hauchte er leise, nicht fähig Nicos Worte wirklich zu begreifen. "A-aber... _wieso_?"

Nico schluckte, flüsterte dann: "Weil ich einen Mann liebe..."

Hisashi starrte mit aufgerissenen Augen in das blasse Gesicht. Alles in ihm drehte sich und mit einem Schlag wurde ihm entsetzlich übel.

/Er... für ihn... ist das alles hier... nicht das... was es für mich ist... Er ist schon verliebt... er.../

Hisashi fühlte sich wie von Gottes Zorn durchbohrt, zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen, fand sich einen Moment später auf dem Boden am Fußende des Bettes wieder, stolperte rückwärts zur Zimmertür.
 

"Hisashi?", flüsterte Nico leise, blickte in die Richtung, aus der Hisashis Atemgeräusch an seine Ohren drang. "Hisashi?", wiederholte er verzweifelt.

/Gott! Bitte, was habe ich falsch gemacht?/
 

"Dieser Mann, dem dein Herz gehört... er muss der glücklichste auf Erden sein", erwiderte er bebend und fuhr auf der Stelle herum. Blind hastete er aus dem Zimmer, schnappte sich nur aus reinem Reflex die Schlüssel und ehe die schwere, selbstschließende Wohnungstür hinter ihm zugefallen war, war er auch schon außer Haus und rannte ohne aufzusehen, ohne irgendetwas wahrzunehmen durch die Stadt.
 

Nico weinte und konnte nicht mehr aufhören. Es tat so weh, Gott, es tat so weh. Warum war Hisashi gegangen? Was hatte er nur falsches gesagt?

Von heftigen Schluchzern geschüttelt krallte er die Finger in die weiche Sommerdecke, stand wackelig auf, tapste, humpelte ohne die Decke loszulassen zitternd und blind durch das Zimmer, stieß gegen eine Wand, tastete sich daran zur Tür vor.

Die Tür stand noch offen und der Parkettboden kam ihm unglaublich kalt vor, ließ ihn vor Kälte schaudernd. Sein Fuß pochte vor Schmerz, hätte ihm die Tränen in die Augen getrieben, wenn sie nicht schon dort gewesen wären und unaufhörlich wie Sturzbäche über sein Gesicht flossen.

"Hisashi?", flüsterte er leise. "Hisashi wo bist du?"

Nico hatte nur eine zufallende Tür gehört, aber da er die Geräusche von Hisashis Wohnung noch nicht kannte, wusste er nicht, welche.

Doch die unheilvolle Stille in dem großen Appartement konnte nur eines bedeuten...

Er war allein.

Und jetzt endlich wurde ihm klar, was Hisashi verstanden haben musste.
 

Nach einer halben Stunde fand sich Hisashi vor seiner Haustür wieder. Er war durch die gesamte Stadt gerannt - oder zumindest kam es ihm so vor - doch das Laufen hatte nicht wie sonst sämtliche Gedanken aus seinem Kopf verbannt, hatte ihm nicht das Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit gegeben, dass er sonst dabei empfand.

Irgendwo hatte er an einer Telefonzelle halt gemacht und auf der Arbeit angerufen, sich für heute krank gemeldet.

Hisashi hatte kein schlechtes Gewissen dabei, wie er es sonst gehabt hätte - er fühlte sich _wirklich_ krank, ihm war schlecht, ihm war schwindelig, kotzübel. Und das Rennen hatte es nicht sonderlich verbessert, auch wenn es ein wenig Sauerstoff in seinen Kreislauf gepumpt hatte, nachdem Hisashi fast glaubte ersticken zu müssen.

Keuchend lehnte er sich gegen die Wand.

"Herr Kigai? Meine Güte, Sie sehen aber wirklich nicht gut aus. Sie sollten es nicht so übertreiben mit dem Laufen. Nicht, dass Sie mir noch den Spruch ,Sport ist Mord' bestätigen...", hörte er plötzlich eine Stimme vor sich.

Außer Atem sah er auf, sah den Krankenhausdirektor, dessen Name im übrigen Manfred Hinrich war, mit drei vollgestopften Einkaufstüten vor ihm halt machen.

"Guten Morgen, Herr Hinrich", erwiderte Hisashi erschöpft. "Und es geht schon, machen Sie sich keine Sorgen."

Herr Hinrich bedachte ihn mit einem Stirnrunzeln, fragte dann aber stattdessen: "Frau Müller erzählte mir, dass es gestern einen Stromausfall gegeben hat?"

Hisashi nickte. "Ja."

"Ich war in der Klinik und habe Nachtschicht geschoben. Ein Glück, dass es nur in diesem Stadtteil war. Einen Stromausfall hätten wir wahrlich nicht gebrauchen können, auch wenn das Krankenhaus natürlich über Notfallgeneratoren verfügt."

Hisashi sah ihn zögernd an. "Herr Hinrich..."

Der Direktor kam ihm zuvor: "Herr Kigai, ich habe Blutspuren im Treppenhaus gesehen, die zu Ihrer Tür führen. Und auch an meinem Türklopfer..."

Hisashi sah ihn verlegen an. "Ich... Er ist ein Freund von mir. Und verletzt."

Hinrich hob fragend die Augenbraue. "Herr Kigai, ich muss mich doch sehr wundern! Er muss _sehr schwer_ verletzt sein, bei all dem Blut. Ich hätte erwartet, dass Sie ihn sofort in ein Krankenhaus bringen."

"Das wollte ich ja", antworte Hisashi hilflos. "Aber ich hatte mich verlaufen und ich dachte, vielleicht könnte ich Sie bitten... Mein Handy war ausgefallen und er mag keine Krankenhäuser, wissen Sie. Ganz und gar nicht."

"Ich könnte ihn mir ansehen", schlug Herr Hinrich vor, als er bemerkte, dass Hisashi die Sache sehr unangenehm war.

Hisashi sah ihn mehr als nur erleichtert an. "Vielen Dank, das wäre unglaublich freundlich von Ihnen, Herr Hinrich."

Jener winkte ab. "Ich bin Arzt oder? Das ist meine Pflicht, und ich tue es gerne. Geben Sie mir einfach Bescheid, wenn ihr Freund bereit ist und ich hochkommen soll."

"Vielen Dank", wiederholte Hisashi noch einmal, dann traten sie gemeinsam ein und fuhren mit dem Fahrstuhl hoch. Hinrich stieg in der vorletzten Etage aus und nickte ihm noch einmal zu. Dann schlossen sich die Türen wieder und Hisashi wurde mulmig zumute.

Gleich würde er Nico gegenübertreten müssen.

/Idiot! Wie konntest du ihn überhaupt allein lassen? Er ist blind, verletzt und kennt die Wohnung nicht! Was ist, wenn ihm in der Zwischenzeit etwas passiert ist?/

Mit einem Mal bekam er es mit der Angst zu tun, schnell trat er aus dem Fahrstuhl, stoppte vor der einzigen Tür auf dieser Etage - sein Penthouse nahm die Etage völlig für sich in Beschlag.

Hisashi schluckte, atmete noch einmal tief durch, steckte dann den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Mit einem leisen Klicken ging das Sicherheitsschloss auf.

Die Tür war noch nicht einmal zu einem Viertel geöffnet als er schon leise fragte: "Nico?"

Stille.

Seine Angst steigerte sich und er riss heftig die Tür auf, trat hindurch, ließ sie achtlos wieder zufallen. Sein Herz stockte, als er Nico auf dem Boden des kleinen Flurs liegen sah, der direkt in das geräumige Wohnzimmer überging, sah die schlanken Glieder wirr in Hisashis blutrote Bettdecke verwickelt.

Langsam ging er auf das zusammengerollte rotweiße Knäuel auf dem Boden zu.

"Hi-Hisashi?", drang plötzlich ein Wispern, leise wie ein Windhauch, der sich in einer Zimmerecke verfangen hatte, an seine Ohren. Unvermittelt blieb Hisashi stehen, konnte nur mit angehaltenem Atem auf den weißen Wuschelkopf blicken, der sich zu ihm umdrehte, sich in diesem Moment unter der Decke hervorwand, unbeholfen auf die Füße kam, dabei versuchte den linken nicht zu sehr zu belasten.

/Was jetzt?/, fragte sich Hisashi. /Was soll ich nur tun?/

Nico schlug plötzlich die Augen auf und auch wenn der Jüngere ihn ja unmöglich sehen konnte - sein Blick traf unmittelbar den seinen.

"Hisashi?", kam es wieder. "Bist du das? Hisashi, bitte!! Sag doch etwas!"

"Nico...", flüsterte Hisashi leise.

Nico fuhr auf der Stelle ganz um, wollte auf ihn zurennen. Hisashi sah wie in Zeitlupe, wie Nico mit dem linken Fuß auftrat, wie sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte, wie der rechte Fuß plötzlich in einer Falte der Decke hängen blieb, wie Nico die Arme hochriss und wild um Gleichgewicht rudernd auf ihn zufiel.

Erst im letzten Moment bekam Hisashi Nico zu fassen, fing ihn auf und schloss fest und beschützend die Arme um ihn.

"Nico... Es - es tut mir so Leid. Ich war nur so... Ich...", er brach ab. Seine Kehle war wie zugeschnürt, hielt ihn davon ab, die drei großen, schwerwiegenden Worte zu sagen.

/Verdammt ich kenne ihn nicht mal einen Tag lang, wie kann ich ihn da lieben?/, dachte er verzweifelt. /Außerdem ist er sowieso schon in einen anderen verliebt, also wieso musst du dich ausgerechnet in ihn.../

Er spürte wie Nico sich an seinem T-Shirt festkrallte und aus seiner etwas ungünstigen Position höher in Hisashis Arme zog.

Wieder fiel der erblindete Blick genau auf seine Augen und wieder hatte Hisashi das Gefühl, Nico könne ihn trotz seiner Behinderung tatsächlich sehen.

"Hisashi...", flüsterte Nico stockend.

Hisashi schloss die Augen, lehnte erschöpft seine heiße Stirn auf die kühle von Nico. "Ja...", erwiderte er leise.
 

"Der, dem mein Herz gehört...", begann Nico stockend - er schluckte hart, zwang sich dann weiterzureden. "Das bist... Du! Ich liebe dich, seit ich auch nur in meiner geringsten Form existiere! Ich... ich habe dich bereits geliebt, als ich noch nicht einmal von dir wusste!! Und ich habe darauf gewartet, habe ewig darauf gewartet, dass ich in deinen Armen liegen darf... Ich", verzweifelt krallte er sich an Hisashis Ärmel fest. "Du musst mich für verrückt halten, weil wir uns erst so kurz kennen und ich kein geregeltes Leben habe, so wie du, keine Wohnung, keine Familie. Aber ich... ich liebe dich - _nur_ dich! Du musst mir glauben, weil... es ist wahr."
 

Die einzige Antwort, zu der Hisashi noch fähig war, war ein tiefer Kuss. Und Hisashi antwortete...
 

Volume II
 

Nach einer Weile löste sich Hisashi mangels Sauerstoff bedauernd wieder von den wunderbar weichwarmen Lippen.

"Ich liebe dich auch. Und ich finde das gar nicht verrückt. Die Liebe lässt selbst in der Wüste Blumen wachsen...", er hauchte einen weiteren Kuss auf die rosenen Lippen. "Und in meinem Herzen erblüht gerade eine riesige Oase..."
 

Nico kuschelte sich glücklich an Hisashi.

/Ich habe es gesagt und er hat mich nicht zurückgestoßen! Er liebt mich! Oh Herr, er liebt mich!/

Plötzlich bemerkte er, dass der Verband nicht mehr so fest um seinen Fuß lag, wie er sollte.

"Uhm... Hisashi ich... der Verband geht ab...", flüsterte er verlegen und wackelte mit dem Fuß.

"Dann komm, ich mache ihn dir wieder fest", hauchte Hisashi sanft.

Abermals wurde Nico verlegen, schüttelte dann zaghaft den Kopf. "Nimm es mir nicht übel, aber ich würde es lieber selbst machen..."

Er konnte hören das Hisashi diese Antwort weh tat als jener bemüht gleichgültig antwortete: "In Ordnung, wenn du das wirklich alleine schaffst. Ich weiß ja selbst am Besten, dass ich Jura und nicht Medizin studiert habe..."

"Kannst du mich ins Bad bringen?", flüsterte Nico und legte einen entschuldigenden, schuldbewussten Gesichtsausdruck auf.

/Aber wenn er sehen würde wie weit meine Wunden schon geheilt sind... nicht auszudenken.../

"Okay", hauchte Hisashi versöhnlich an sein Ohr und Nico konnte das Lächeln an seinem Ohrläppchen spüren. Dann verlor er plötzlich den Boden unter den Füßen. Erschrocken stieß er einen leisen Überraschungsschrei aus und krallte sich an Hisashi fest, dann erst wurde ihm klar, dass Hisashi ihn hochgehoben hatte und nun ins Bad trug.

Tief atmete er den süßen Geruch von Flieder ein.

"Woher kommt der Fliederduft?", fragte Nico auch sofort.

Hisashi stellte ihn sanft auf seine eigenen Füße, führte ihn dann, die eine Hand um seine Hüfte, die andere um Nicos rechte Hand geschlungen, vorsichtig über kalte Fließen und einen wuschelig weichen Badezimmerteppich. Dann hob er seine Hand an und wenige Sekunden später fühlte Nico eine ganze Menge kleiner Blüten unter seinen Fingern.

"Hinter dem Haus steht ein Fliederbaum mit lilafarbenen Blüten", erzählte Hisashi. "Ich mag Blumen. So sehr, dass für den Flieder nur noch hier Platz war. Im Wohnzimmer steht noch ein Strauß weißer Orchideen. Und ansonsten habe ich ganz viele Topfpflanzen. Am liebsten blühende Sachen, aber ich habe zum Beispiel auch eine große Palme, aber nicht so eine Kokospalme, die mir schon vor Jahren wortwörtlich über den Kopf gewachsen ist. Nur gut, dass die Zimmerdecken hier so hoch sind..."

Nico lächelte und strich über den Flieder, fühlte die kleinen zarten Blüten und die großen Blätter.
 

Als Hisashi sah, wie Nico seine Nase zwischen die Blüten steckte, musste er lächeln. Nico trank den schweren Duft förmlich, als wäre es ein sehr guter Wein, den es zu genießen galt.

Er hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange, setzte ihn dann auf den Badewannenrand, während er das Verbandszeug herausholte.

Nico setzte sich schließlich doch auf die Fließen, verteilte alles auf dem Boden vor sich.

"Und du schaffst das wirklich alleine?", fragte Hisashi noch einmal.

Nico blickte zu ihm auf, und nickte beruhigend. Hisashi fand es wirklich erstaunlich, wie Nico ihn so zielsicher ansehen konnte, ohne ihn wirklich zu sehen.

"Na gut", sagte er widerstrebend. "Dann mach ich mir noch einen neuen Capuccino. Der andere ist ja jetzt schon kalt. Möchtest du auch?"

Nico schüttelte den Kopf. "Kakao, wenn du hast. Kaffee und so'n Zeugs mag ich nicht so..."

Hisashi lächelte und wuschelte ihm durch die Haare. "Ist gut, Kleiner", grinste er und machte, dass er davonkam.
 

Nico musste selbst lachen als er Hisashis letzte Worte hörte und, weil er ihm ja nicht hinterher _sehen_ konnte, lauschte den leiser werden Schritten und wie die Tür sich schloss.

Seufzend wickelte er den Verband von seinem Fuß und tastete vorsichtig darüber. Er verzog den Mund - es tat weh. Aber trotzdem - die Wunde war schon halb geschlossen.

/Wenn Hisashi das gesehen hätte, wäre er vermutlich in die Küche gestürzt um Knoblauch zu suchen/, dachte Nico mit einem schiefen Grinsen und verband sich den Fuß. Es war schon eine ganze Weile her, das Michael ihn geblendet hatte - die erste und letzte Warnung wieder auf den "rechten Weg" zu kommen. Mittlerweile fand er sich schon sehr gut zurecht und mithilfe seiner übermenschlich scharfen Sinne, die noch einmal intensiviert worden waren, als er das Augenlicht verloren hatte, und seiner Erfahrung bewerkstelligte er ein sehr zufriedenstellendes Ergebnis.

Er räumte die Sachen zurück - Nico hatte sich gemerkt, woher die Geräusche kamen, als Hisashi den Schrank geöffnet hatte - und ging dann langsam, mit tastenden Füßen und vorgestreckter ebenfalls tastender rechter Hand in Richtung Tür, während er mit der linken über den Badewannenrand strich, um die Richtung beizubehalten.

Er trat aus dem Bad, lauschte kurz, wo Hisashi sich befand und folgte der sanften leisen Stimme, die gerade fröhlich ein Lied, das aus dem Radio drang und das er nicht kannte, nachsang.

Lächelnd ertastete er den Türrahmen, blieb dort stehen und pochte gegen das Holz, um auf sich aufmerksam zu machen.

Sofort hörte er auf ihn zukommende Schritte und einen Moment später verlor er schon wieder den Boden unter den Füßen, wurde hochgehoben und lachend durch das Zimmer gewirbelt.

"Iek! Lass mich runter!!", rief Nico erschrocken. Nun, da er nicht mehr zwei Flügel hatte, legte er es nicht darauf an, die Bodenhaftung zu verlieren.

Hisashi ließ ihn lachend wieder runter, drückte ihn an sich und vergrub seine Nase in den Haaren des Kleineren.

"Was hast _du_ denn geschluckt?", fragte Nico zweifelnd.

"Mhh. Ein Wunderpille namens Nico", kam die Antwort. "Macht gleich beim ersten Mal süchtig. Nebenwirkungen: Frühlingsgefühle, absolutes Glücklichsein, Herzrasen, kurz: Liebe. Ist außerdem einmal genommen lebenserhaltend. Und man kann gar nicht genug davon kriegen..."

Nico lachte, dann nahm er Hisashis Gesicht zwischen seine Hände und betastete es vorsichtig, fuhr die feinen Konturen nach.

"Du... bist wunderschön", flüsterte Nico. Das was er ertastete, erinnerte Nico mit nur geringfügigen Änderungen an Hisashis Gesicht, das er erblickt hatte, als er noch sehen konnte. Nico konnte es genau vor sich sehen, wünschte sich, dass das lächelnde Gesicht, das vor seinen Augen schwebte, nie wieder verschwinden würde.

"Nicht so schön wie du", widersprach Hisashi lachend und führte ihn dann ins Schlafzimmer, wo ja immer noch ihr Frühstück auf sie wartete.

"Bin gleich wieder da", flüsterte Hisashi und Nico legte sich vorsichtig auf den Bauch, vergrub sein Gesicht glücklich in den nach Hisashi duftenden Kissen.
 

Lächelnd sah Hisashi auf die schmale Gestalt in seinem Bett herab, stockte dann plötzlich. Leise setzte er die Tassen ab, setzte sich dann neben Nico auf das Bett, der zum Zeichen, dass er ihn bemerkt hatte, nur leise schnurrte.

Vorsichtig fuhr er über das Tattoo auf Nicos rechtem Schulterblatt, das, wie er erst nach einem zweiten Blick bemerkte, eine lange gerade Narbe umschloss und sie so vor nicht allzu genauen Blicken versteckte.

Vorsichtig zeichnete er die wunderschöne Tribalversion eines Engelsflügels nach, strich sehr behutsam über die schon ziemlich verblasste, also wohl schon ältere Narbe.

"Unus ala", las Hisashi die Schrift unter dem Flügel. "Ein Flügel?"

Nico zuckte leicht zusammen, stemmte sich dann vorsichtig hoch, drehte sich schließlich, sodass er Hisashi im Schneidersitz gegenübersaß.

Er nickte leicht. "Ja. Mein ganzer Name lautet Nicome[1], das bedeutet soviel wie ,ein Flügel' oder ,der Eingeflügelte'. Aber na ja, sich seinen eigenen Namen zu tätowieren ist irgendwie blöd, deswegen auf Latein."

"Nicome", wiederholte Hisashi mit geschlossenen Augen, um dem Klang besser lauschen zu können. Lächelnd schlug er die Augen auf. "Ein wunderschöner Name."

Nico zuckte mit den Schultern, beugte sich dann vor und küsste ihn.

Und plötzlich war Hisashi nicht mehr in seiner Wohnung...
 

- - - - -

[1] sprich: Nii-co-mee; Himmlische Sprache für: Ein Flügel, Eingeflügelter

ACT THREE

Kommentar: Hier endlich der dritte ACT. Auf Nicos Erblindung bin ich näher eingegangen als zuerst geplant, aber es ist ein sehr wichtiger Teil aus Nicomes Vergangenheit und ich wollte nicht, dass ihr Michael und seine treuen Engelchen(das ist nicht verniedlichend gemeint, spielt eher auf ihr verhältnismäßig niedriges Alter und die daran gebundene Kindlichkeit, Naivität an) verurteilt oder missversteht. Ich hoffe es ist mir gelungen, denn Michael und die Engelchen liegen mir sehr am Herzen.

Tja und dann sind da noch Uriel und Raphael, diese Halunken -.-° Das ist echt nicht zu fassen - schleichen sich einfach so in die Story ein und übernehmen so eben mal mit dem kleinen Finger superwichtige Rollen für die Story. Dabei hatte ich vorher nicht einmal daran GEDACHT sie irgendwie mit einzubauen und jetzt. Und sowas nennt sich nun Engel *pff* Halunken sind das, jawohl! Einfach die gesamte Story zu ändern... Also nein... Aber obwohl sie sich ungefragt eingeschlichen haben... Irgendwie mag ich sie doch ^_~

Mh, der ACT ist doch recht dramatisch geworden, denke ich, aber er ist auch sehr wichtig - sowohl für die Story, als auch für mich persönlich. Mh, und bei Volume 2 ist unter umständen doch ein bisschen Konzentration nötig um alles zu verstehen... Aber ihr schafft das schon ^.^

Noch mal ein liebes Danke an alle Feedyschreiber und/oder Geburtstagsgratulanten (ich hab dieses Jahr soviel leckeren Kuchen gekriegt, dass ich jetzt gerade schon wieder meine Tastatur mit Schokoglasur einsaue... Mein Lieblingskleid kann ich wohl erst in zwei Jahren wieder anziehen >.<) ^__^ Hab euch ganz doll lieb *knuddeldiknuddel*

Und natürlich wird Feedy auch weiterhin gern (SEHR gern!) gesehen ^.^

Mh, wer ein bisschen BGM braucht. Also während des Schreibens habe ich folgendes gehört:

Linkin Park, Album "Meteora" (ouh, ich liebe es >.<): Volume I und II

HIM(*kreisch* Diese Stimme... Oh Gott, ich steeeerbe... ^_~ nein... Die einzig wahren sind letztendlich doch CA mit JD-sama *umfall*), Alben: "Love Metal" und "Razorblade Romance"(*träum*): Volume III
 

ACT III
 

Volume I
 

Hisashi starrte sprachlos auf die gigantischen, elfenbeinfarbenen Säulen, die sich in so schwindelerregende Höhen emporschwangen, dass man ihre Kapitelle mit bloßem Auge nicht mehr sehen konnte, starrte mehr als nur verblüfft auf den mit einem wunderschönen, sehr komplexen Mosaik ausgelegten Boden.

Ungläubig sah er wunderschöne Blumen und Ranken, ganze Täler mit detailliert wiedergegebener Flora und Fauna, sah Wolkenberge auf denen sich unglaubliche Gebäude und noch viel unglaublichere Lustgärten befanden, sah wunderschöne Engel mit prachtvollen Federflügeln - und das alles aus kleinen bunten Steinchen gelegt.

Und als er zwischen den Säulen nach draußen sah... da sah er das gleiche Bild. Das gleiche Bild - nur in der Realität.

Er prallte zurück, stolperte einige Schritte rückwärts, bevor er stehen blieb. So fest er nur konnte presst er die Augen zusammen, doch als er sie wieder öffnete, hatte sich das Bild nicht geändert.

Ein leises Rascheln lenkte ihn einen Moment von seinem Unglauben ab. Er verfolgte das Geräusch zu seiner Quelle - und stieß einen ungläubigen Laut aus.

"Nico?", hauchte er, konnte nicht glauben, was er da sah. Hatte er sich den Kopf angeschlagen oder bescherte ihm seine Fantasie nur einen besonders märchenhaften Traum?

Nico trat kaum 1 Meter von Hisashi entfernt zwischen den beiden Säulen hervor, die, da sie weiter auseinander standen und einen größeren Umfang hatten als die anderen, wohl den Eingang bilden mussten. Ängstlich blickte er zurück von wo ihm ein anderer Engel (anderer!?) aufmunternd aber unübersehbar genauso nervös zunickte. Wieder raschelte es, als Nico seine silbergoldenen Flügel - unpassend zu seinem Namen zwei Stück an der Zahl - furchtsam ein wenig ausbreitete, als würde er der Säulenhalle (Halle?) am liebsten den Rücken kehren und einfach bloß wegfliegen wollen, faltete sie dann aber wieder auf seinem Rücken zusammen, nestelte unsicher an einer Strähne seines langen, seidigschwarzen Haares.

Nico wandte sich um und für einen Moment fiel sein Blick genau in Hisashis Augen.

Hisashis Atem stockte. Diese Augen...

/Was ist das für ein Traum?/, fragte er sich betäubt. _Solche_ Augen _konnte_ man einfach nicht träumen. Den Himmel - okay. Wer träumte nicht einmal davon, einen Blick in das Paradies zu werfen, _bevor_ sein Name auf einer Liste als Mieter eines Wolkenappartements stand.

Aber solche _grünen_ Augen, mit den goldenen und silbernen Sprenkeln.

Nein.

Absolut unmöglich...

Hisashi schluckte. /Augen? Das sind keine Augen, das... das sind die schönsten silber- und goldbesetzten Smaragde, die ich je gesehen habe!!!/

Nico tat es Hisashi gleich und schluckte hart, bevor er die Schultern straffte, den Kopf wenigstens ein bisschen hob und dann mit kleinen, zögernden Schritten losging, die nicht das mindeste Geräusch verursachten, weil Nicos Füße wortwörtlich über den Boden _schwebten_.

Eine Ewigkeit lang konnte Hisashi die langsam kleinerwerdende Gestalt nur mit seinen Augen verfolgen, bevor er es schaffte, seine Füße dazu zu überreden, sich zu bewegen.

Doch Nico ging nicht sehr schnell, schien tatsächlich mit jedem Schritt langsamer zu werden, mit dem er sich einer Gruppe von Engeln näherte, die ihn bereits zu erwarten schienen.

"Sanami[1]", sprach ein Engel, scheinbar Nico meinend, mit wallendem kastanienbraunen Haar, das sich in perfekten, seidig glänzenden Wellen bis über die Schulterblätter ergoss, bis über die Ansätze dieser prächtigen, mächtigen Schwingen. Seine Stimme ließ Hisashi vor Ehrfurcht erzittern. Sie war eine wärmende Flamme, aber trotz allem doch noch heißes Feuer, an dem man sich verbrennen konnte, wenn man allzu nahe herankam. In eben dem Augenblick, in dem Hisashi ihn erblickte, war das Feuer jedoch fast heruntergebrannt und was übrig blieb war nur noch schwelende, klagende Glut.

Die anderen Engel, die sich in Aussehen wie Verhalten gleich kleiner Kinder um dieses unglaubliche Wesen, welches älter sein musste als die Sonne selbst, scharten, waren eng zusammengerückt, sahen beinahe ängstlich aus. Hisashi schien es, als wären sie alle treue Untergebene oder doch zumindest innig ergebene Anhänger des Ältesten, als würden sie ihn so sehr lieben, dass sie (fast?) alles für ihn getan hätten. Jeder einzelne der jüngeren Engel mit zarten Schwingen wie aus Kükenflaum drängte sich an den weisen und gütig erscheinenden Engel, als hätten sie Angst sie könnten sich verirren und nicht wieder zu ihrem Herrn(?) zurückfinden, als hätten sie Angst sich zu weit von ihm zu entfernen und vielleicht seine wärmende Nähe nicht mehr zu spüren.

Ein Engel, den Hisashi, wäre dieses Wesen ein Mensch gewesen, für kaum älter als fünf befunden hätte, obwohl er das Äußere eines jungen - und _wunderschönen_ - Mannes besaß, sah zu dem Älteren auf, blickte verzweifelt mit dem tränenüberströmten Gesicht, den überfluteten grasgrünen Augen auf.

Der braunhaarige Engel mit den atemberaubenden goldenen Augen sah unendlich traurig zu seinem bedeutend kleineren Zögling hinab, fuhr ihm beruhigend durch die himmelblauen Haare.

"Sh, kleiner Shiyunoue[2]", flüsterte der Erzengel leise. "Weine nicht, mein kleiner Engel."

Nein, für Hisashi bestand kein Zweifel, wen er da vor sich hatte. Mochte sein, dass er nicht Anhänger irgendeiner Religion war (außer seiner eigenen, kleinen Religion vielleicht), aber die Aura, das Wesen dieses Engels ließ ihn nicht einen Augenblick an der Richtigkeit seiner Vermutung zweifeln.

"Michael", hauchte Nico erstickt.

Michael ging auf _Hisashis_ kleinen Engel zu und die Trauer in seinen Augen vertiefte sich zu einem unerträglichen Schmerz. "Sanami, mein lieber Sanami... Warum nur? Warum ausgerechnet _du_?"

Nicome schloss gepeinigt die Augen. "Was soll ich tun, Michael? So sag es mir doch! Bitte... Du bist älter als die Menschen und ihre Welt, du bist weise... Sag mir, wie ich mich dagegen wehren soll - mich dagegen wehren soll, zu lieben, wo es doch das ist, wozu ich geschaffen wurde? Ich bin ein Engel, geboren um zu lieben, was ich schütze und zu schützen, was ich liebe. Und ich liebe Hisashi - ich liebe ihn wirklich und wahrhaftig, Michael...", einige Tränen quollen zwischen den langen schwarzen Wimpern hervor.

Hisashi erstarrte, als Nico seinen Namen nannte. Es ging um ihn? Nico weinte wegen _ihm_???

"Was ist mit GOTT?", fragte Michael leise.

Nico sah ihn traurig an. "Auch GOTT liebe ich - natürlich liebe ich ihn! Wie könnte ich auch anders? Er ist der, der ist, der, der war, und der, der sein wird. Der, der immer in den Herzen aller gewohnt hat, noch jetzt in jedem von uns wohnt und immer in uns wohnen wird... Er ist unser Vater, _mein_ Vater, wie könnte ich etwas anderes empfinden für ihn als Liebe?"

In Michaels Augen schimmerte es verdächtig, als er Nicos Wange streichelte. "Ich weiß, deine Liebe ist stark. Unendlich stark. Wäre ich ein Mensch, jeden Tag meines Seins hätte ich dich für die Kraft deiner Liebe beneidet. Doch deine Liebe, deine _wahre_ Liebe... sie kommt dem Falschen zu, Sanami."

"Warum?", hauchte Nico(?) verzweifelt. "Ist GOTT eifersüchtig, weil ich ihn nicht so sehr lieben kann, wie meinen Menschen, wie meinen Schützling Hisashi?"

Die Engelchen raschelten nervös, ja furchtsam mit ihren Flügeln als hätte Nico etwas unerhörtes ausgesprochen, das besser nicht an falsche Ohren drang.

Und Hisashi konnte sich auch denken was. /GOTT? Eifersüchtig auf MICH??/

"Sanami, kleiner Sanami", lächelte Michael traurig. "Du sollst lieben, was du schützt, du sollst den Menschen, der dir bestimmt wurde, mit ganzem Herzen schützen - mit allem was du bist. Selbst deine geringere Liebe zu unserem Herrn ist größer, als die meine es je sein könnte. Doch, was ich immer befürchtet habe, konnte ich nicht verhindern, wie sehr ich mich deiner auch annahm. Gegen das Schicksal zu kämpfen ist ein sinnloser Kampf, das hast du mich gelehrt. Ein sinnloser Kampf, den nicht einmal der Herr gewinnen kann. Deine Liebe ist stark - _zu_ stark. Engel wurden nicht dafür geschaffen, ihren Schützling so vollkommen zu lieben, wie du es tust, wir Engel sind nicht dazu bestimmt, ganz und gar nur für einen Menschen zu sein, all unseren Sinn und Zweck, unser ganzes Sein von einem einzigen Menschen ausfüllen zu lassen."

Nico blickte Michael nur todtraurig und verzweifelt an, schien die Tränen, die ihm über das Gesicht liefen, nicht wahrzunehmen. "Seit ich bin lehrst du mich, lehrt GOTT mich, zu lieben. Und nun, da ich liebe, ist es falsch zu lieben? Ist denn eine Liebe schlechter als die andere? Was macht eine Liebe gut oder schlecht und gibt es eine Liebe, die besser ist als all die anderen? Ist und bleibt Liebe denn nicht einfach Liebe?"

"Sanami, ich bitte dich, komm auf den rechten Weg zurück", flüsterte Michael. "Ich bringe es nicht fertig, zu tun, was der Vater von mir verlangt. Ich kann es nicht tun. Nicht dir, dem lieben, kleinen Sanami, den ich so oft in den Schlaf gewiegt habe, der mir so oft seine Zuneigung versichert, mich so oft glücklich angelächelt hat, als läge alles Glück in seinem Herzen versteckt."

Inzwischen war Hisashi neben Nicome(?) getreten, wagte es aber nicht, Nico tröstend zu berühren, so wie er es wollte. Der unendliche Glanz, das heilige Strahlen, das wie ein sanftes Licht aus Nico heraus erstrahlte und ihn durchdrang, sie hielten ihn davon ab, denn er hatte Angst, der ganze Traum (oder was auch immer es war) könnte sich in Luft auflösen, wenn er Nicome berührte. Gleichzeitig spürte er, dass dieser Traum etwas zu bedeuten hatte, dass er das alles nicht von ungefähr miterlebte, dass es wichtig war, zu sehen, worauf es hinauslief.

Nico klammerte sich an dem weiten Ärmel des Erzengels fest, sah flehentlich in die Augen, gut anderthalb Köpfe über ihm (und dabei war Nico im Vergleich zu den EngelCHEN sogar sehr groß). "Sag es mir! Michael, bitte!"

Hisashi sah es genau. In Michaels unergründlich tiefen Augen flackerte es.

Der Erzengel beugte sich hinab und Hisashi dachte, jener wollte ihn auf die Wange küssen, doch nur Hisashi konnte sehen, dass sich lediglich ihre Wangen leicht berührten, während Michael Nico kaum hörbar zuflüsterte: "Ich weiß es nicht mehr, Sanami. Vergib mir, aber ich weiß es nicht. Ich weiß, was Gott uns lehrt, aber nicht mehr, was mein eigenes Herz mir sagt. Der Herr hat sich verändert, er spricht nicht mehr zu mir, wie früher. Ich kann nicht einmal sagen, warum Gott ausgerechnet bei dir eine Ausnahme macht, versucht dich zu bekehren. Er hat es mir nicht gesagt, hat mir nicht verraten, warum ausgerechnet du die Gelegenheit erhalten sollst, dich zu bessern. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Engel von weit höherem Rang wurden gestürzt, weil sie diesen Fehler begingen. Sicher, kaum jemand hat ein so reines Herz, eine so reine _Liebe_ wie du und ich bin froh, dass du nicht verstoßen werden oder sogar verlöschen sollst, aber so etwas hat es nie zuvor gegeben. Und ich... ich weiß nichts mehr, Sanami. GAR nichts mehr."

Nicome starrte ihn ängstlich an, krallte sich noch mehr an ihm fest. "Aber..."

Michaels Kopf fuhr plötzlich hoch, dann zuckte er zusammen, schluckte hart, ließ von Nico ab. "Es ist soweit, Sanami", sagte er leise. "Der Herr wird sein Urteil verkünden..."

Der Angesprochene konnte nur stumm und in reiner Todesangst nicken.

Hisashi dachte an die Millionen wenn nicht Milliarden Menschen, die ihre täglichen Gebete an den Herrn dieser überirdischen Wesen richteten. Wenn schon seine treuergebenen Diener solche Todesfurcht vor ihm verspürten, wie konnten dann ungezählte Menschenmassen auf der Erde von "Gottes Gnade", "Gottes Barmherzigkeit" sprechen?

Mit einem Mal schien in und um Hisashi jedes einzelne Atome zu explodieren. Diese... _Stimme_, die eigentlich keine war, sie verschmolz mit ihm und teilte ihm wie allen anderen Anwesenden das Urteil mit. Nein, das war nicht richtig, er/sie/es ließ Hisashi an seinen... "Gedanken" teilhaben.

In Hisashi krampfte sich jeder einzelne Muskel zusammen, als er das Urteil "hörte".

Nicos Kopf fuhr zu Michael um, sah ihn entsetzt an. "NEIN! Bitte Michael, nicht meine Augen! Bitte, sag ihm, sag ihm, dass ich - ich-"

Michael hatte die Augen verschlossen, die Engelchen hatten sich ängstlich und allesamt weinend an ihren Lehrer gedrängt, suchten seine Nähe, wie das Neugeborene seine Mutter.

"Bitte...", hauchte Nico verzweifelt.

Michaels Antlitz wandelte sich vom einem Moment auf den anderen vollkommen, wirkte mit einem Mal völlig unbeteiligt, seine Bewegungen marionettenhaft, als könne er sich nicht mehr selbst kontrollieren.

"Der Herr hat entschieden, dir, Sanami, eine zweite - eine letzte - Gelegenheit zu gewähren, dich zu bessern und von deinem falschen Pfad zurück auf den richtigen Weg zu kehren. Höre - du sollst nicht zweifeln am Wort des Herrn und dich seiner Liebe glücklich schätzen, die dir die Gelegenheit gibt, die nie zuvor gegeben wurde. Du aber musst lernen, aus deinen Fehlern und so nehme ich dir dein Augenlicht, auf dass du nicht mehr geblendet wirst von glänzender Fassade, und zum Kern der Wahrheit durchdringen kannst." Hisashi täuschte sich nicht an der sorgfältig auf unbewegt getrimmten Fassade, ihm entging nicht der unendlich traurige Flor in den uralten Augen, nicht die Schatten, die seine Augen verdunkelten.

Die Engelchen hatte ihre Gesichter mit ihren Flügeln verhüllt als würden sie trauern, nein, als könnten sie Nicos Verzweiflung, seinen Schmerz nicht ertragen.

Auf einmal begann Michael ein leises Gebet für Nico, während er die Handteller nach oben hielt. Er hat die Augen geschlossen, seine Stirn war leicht gerunzelt, als bereite ihm etwas eine doch nicht unerhebliche Mühe.

Hisashi glaubte erst sich versehen zu haben, doch tatsächlich: rotschimmernde Schwaden stiegen aus Michaels Handflächen hervor, ballten sich kurz darüber zu Kugeln, die, je dichter sie wurden, immer mehr an Größen verloren, bis sie kaum noch die Größe von zwei Augäpfeln hatten.

Hisashi riss seinen Blick einen Moment von dem sonderbar beängstigenden Schauspiel los und sah besorgt zu Nico, der ängstlich zitternd nicht fähig war, seinen Blick von den nebligen Kugeln abzuwenden.

"Der Herr hat gesprochen und so soll es sein", flüsterte Michael mit zitternder Stimme.

Die Kugeln vereinigten sich zu einer größeren und schossen plötzlich auf Nico zu. Hisashi stieß noch einen erschrockenen Laut aus, dann verschwand die Kugel auf Höhe von Nicos Herzen in dessen Körper, während Nico selbst von dem Aufprall keuchend einige Schritte zurückgeworfen wurde und sich nur geradeso noch auf den Beinen halten konnte.

Und dann... geschah nichts.

Nico tastete unsicher über die Stelle, an der Michaels magisches Gebilde in seinen Körper übergegangen war, blickte dann beunruhigt zu dem Erzengel auf.

Der schenkte ihm einen verzweifelten Gesichtsausdruck, sah mit wachsendem Entsetzen auf seinen Zögling hinab. "Es tut mir Leid", hauchte er erschüttert, über sich selbst entsetzt, und dann...

"AAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHH"

...dann brach die Hölle los.

In Nico explodierte etwas wie eine Supernova und ihr rotes Licht strahlte aus ihm heraus, umgab ihn wie die Strahlen ihre Sonne. Doch obwohl die Strahlen aus seinem Inneren kamen, schienen sie nicht von innen nach außen, sondern von außen nach innen zu strahlen, als wären sie nur hervorgebrochen um ihren Verursacher zu blenden.

Und Nico schrie. Ein gellender Schrei, wie Hisashi einen entsetzlicheren nie in seinem Leben gehört hatte, ihn sich nicht einmal hätte _vorstellen_ können, hallte durch das Gebäude, brach sich und wurde in unzähligen verzerrten Echos zurückgeworfen.

Shiyunoue, von dem die ganze Zeit nur heftiges Schluchzen zu hören gewesen war, erhob auf einmal seine Stimme, begann mit schmerzverzerrtem Gesicht zu singen, stimmte ein lautes, verzweifeltes Klagelied an, dessen Botschaft nur ein Wort, eine Frage war: "Warum?"

Doch so laut Shiyunoue auch sang, Nicomes Schrei konnte er nicht übertönen.

Nicos Schrei verstummte wie abgehackt, allein die Echos gaben keine Ruhe. Das rote Licht erlosch, Nico taumelte zurück und in einer merkwürdigen Drehbewegung sackten ihm die Knie weg, er fiel zu Boden.

Fiel zu Boden... und bewegte sich nicht mehr...

Er war nicht tot - denn er atmete noch -, doch die geblendeten, nun milchigweißen, weit aufgerissenen Augen starrten leblos in den Raum und das Weiß seiner Haare erinnerte Hisashi mit einem Mal an totes, lebloses Kalkgestein.

"Vergib mir", murmelte Michael immer wieder, tränenerstickt. "Sanami, _vergib mir_."

Gebrochen sank er vor Sanami in die Knie, zog den leblosen Körper in seine Arme, umarmte ihn schluchzend.

Und auf einmal blickte er auf, mit tränenüberströmten Augen und schrie: "WIESO? GOTT, WIESO??"

Hisashi wurde schwindelig, in und um ihn begann sich mit einem Mal alles zu drehen, dann wurde ihm schwarz vor Augen und er kippte einfach zur Seite weg.
 

- - - - -

[1] sprich: Sa-NAA-mi; Himmlische Sprache für: "Der, der stark liebt." Oder "Der, der mit (göttlicher) Kraft liebt"

[2] sprich: SCHII-ju-nue; Himmlische Sprache für: "Reines Herz, frei von Zweifeln."
 

Volume II
 

Auf einmal verdrehte Hisashi die Augen und er kippte einfach zur Seite weg, direkt in Nicos Arme.

Ängstlich, zitternd presste Nico seinen Menschen an sich.

Er wusste nicht, was Hisashi hatte und wusste es doch. Er hatte es gespürt, hatte gespürt, wie Hisashis Geist während ihrem Kuss plötzlich an die Tür des seinen geklopft und jener ohne nachzudenken geöffnet hatte.

Nicome konnte Hisashi nur erstarrt in seinen Armen halten. Sicher, Hisashi war nicht einfach irgendwer, aber in die Erinnerungen eines Engels (/Eines _ehemaligen_ Engels/, korrigierte Nico traurig seinen Gedanken) zu gelangen, nein, das war...

Nico vergrub sein Gesicht schutzsuchend an Hisashis starker, nicht zu breiter Brust.

"Wach auf, Hisashi", flüsterte - nein, _flehte_ - er. "Wach auf... bitte... Lass mich jetzt nicht allein mit mir..."

Ein dezentes aber Aufmerksamkeit erregendes Klingeln ertönte und zerriss die unbehagliche Stille, die sich wie ein feines aber fast unzerreißbares Gazetuch über das Zimmer gelegt hatte.

Nicos Kopf fuhr hoch, während der Rest seines Körpers erschrocken zusammenzuckte.

"Hisashi", murmelte er verunsichert und stupste jenen an. "Komm schon, wach auf, ich kann doch nicht..."

Doch Hisashi tat ihm nicht den Gefallen, aus seiner Ohnmacht zu erwachen - noch nicht jetzt...

Nico biss sich auf die Unterlippe, während es ein zweites Mal klingelte.

Schließlich schluckte er und stand auf.

Wie schon einmal ging er geradeaus bis er an eine Wand stieß und tastete sich vorsichtig vorwärts, bis er die Tür erreichte, tat dasselbe im Wohnzimmer und den Flur entlang, bis er endlich die massive Holztür gefunden hatte, die Hisashis Wohnungstür sein musste.

Unsicher tastete er an der Tür entlang und fand zu seiner Erleichterung eine Kette, die er mit einigen Schwierigkeiten auch einhängen konnte, bevor er zögerlich die Tür öffnete.

Er konnte nur hoffen, dass der Klingelnde sich nicht an seiner spärlichen Bekleidung und den vielen Verbänden und Pflastern störte...

"Ja?", fragte Nico mit geschlossenen Augen. Der Person vor ihm würde schon früh genug klar werden, dass er blind war, außerdem mochte er seine Augen niemand anderem als Hisashi zeigen.

Die einzige Antwort, die er zunächst bekam, war ein heftiges, zischendes Luftholen.

Dann fing sich die Person vor ihm wieder und von über Nicos Kopf fragte eine freundlich klingende, männliche Stimme: "Sie sind Herr Kigais verletzter Freund, nehme ich an?"

Nico drehte einen Moment irritiert den Kopf in Richtung von Hisashis Schlafzimmer.

/Er hat von mir erzählt? Er hat von mir als einem _Freund_ erzählt?/

"Wer sind Sie und was wollen Sie?", fragte Nico leise. Er wollte nicht unhöflich sein, aber er hatte schließlich keine Ahnung, wer da vor ihm stand, was er sagen durfte und was nicht, und dass er nicht sehen konnte vereinfachte die Situation nicht gerade.

"Oh entschuldigen Sie bitte, wie unhöflich von mir. Meine Name ist Hinrich, Manfred Hinrich. Ich wohne unter Herr Kigai und hatte vorhin zwischen Tür und Angel ein kleines Gespräch mit ihm. Sie müssen wissen, ich bin Arzt, Krankenhausdirektor um genau zu sein, und Herr Kigai bat mich, mir ihre Verletzungen einmal genauer anzusehen, da sie anscheinend eine tiefe Aversion gegen Krankenhäuser hegen."

Nico schluckte. /Mein Gott, was soll ich denn jetzt machen? Sicher sagt er die Wahrheit, aber wie soll ich ihm erklären, dass Hisashi gerade ohnmächtig ist und meine Wunden schon zur Hälfte geheilt sind??/

Plötzlich fühlte Nico seine Hand ergriffen und geschüttelt und hörte Herrn Hinrich fragen: "Und Sie sind...?"

"Nicome", antworte der blinde Junge leise.

"Nicome...", Nico konnte Herrn Hinrich förmlich lächeln _hören_. "Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, auch wenn die Umstände gewiss nicht die erfreulichsten sind."

Nico nickte leicht, gab sich schließlich einen Ruck und trat zurück um die Kette abzunehmen.

"Sehr freundlich von Ihnen", antwortete Hinrich auf seine Tat hin, ohne die leiseste Spur Ironie in der Stimme.

"Darf ich fragen, wo Herr Kigai sich gerade befindet?"

Nico stockte. "Er... ich... er ist ohnmächtig", flüsterte er schließlich leise aber wahrheitsgemäß.

Einen Moment lang sagte Herr Hinrich einfach gar nichts, dann fragte er leiser, als würde er glauben, sich verhört zu haben, nach: "Ohnmächtig?"

"Ja. Und er wacht einfach nicht wieder auf", erwiderte Nico verzweifelt und klammerte sich unwillkürlich am Hemdärmel des Arztes fest, als er ihn durch Zufall berührte.

Herr Hinrich strich ihm beruhigend durch die Haare, als wäre er ein kleines Kind. Aber es machte Nico nichts, im Gegenteil - es erinnerte ihn an längst vergangene Tage, als Michael ihm mit seinen sanften großen Händen durch sein ehemals langes schwarzes Haar gestrichen hatte, wenn er sich einmal über irgendetwas erregt hatte.

"Vermutlich hat er es tatsächlich nur ein wenig mit dem Laufen übertrieben. Er hat sich wohl einige Sorgen um sie gemacht. Ich möchte Herrn Kigai ja um Gottes Willen nicht falsch beurteilen, aber wenn ich ihn laufen sehe, habe ich jedes Mal das Gefühl, dass er sich frei rennt, um Abstand von den Problemen des Alltags zu gewinnen oder dass er vor etwas wegläuft, dem zu stellen er sich nicht gewachsen fühlt..."

"Er... ist gelaufen?", fragte Nico leise. Das erklärte ihm dann zumindest, warum Hisashi so erhitzt und von einem leicht-warmen Schweißfilm bedeckt gewesen war.

"So ist es", bestätigte Herr Hinrich nur, fügte dann hinzu: "Geben Sie mir Ihre Hand? Dann kann ich Sie ins Schlafzimmer führen. Ich nehme doch an, dass er dort ist, oder? Sie scheinen mir noch ziemlich unvertraut mit dieser Wohnung. Aber wenn ich mir die Wohnung ihres Freundes so ansehe, dann verstehe ich das durchaus. Es dauert sicherlich einige Zeit, bis Sie alles ertastet und sich daran gewöhnt haben, nicht wahr?"

Nico "sah" verwundert zu ihm auf, vergaß in seiner Verwunderung sogar, die Augen geschlossen zu halten, während er langsam nickte.

Er spürte eine Hand an seinem Kinn, die es behutsam anhob. "Hmm, ja, dass sieht nach einem Unfall aus, oder irre ich mich da? Sicherlich keine schöne Sache, aber Sie scheinen ja das Beste aus Ihrer Situation zu machen. Bewundernswert, wirklich bewundernswert, Herr Nicome. Nicht jeder Mensch hat die Kraft dazu."

Ich bin ja auch gar kein Mensch, wollte Nico antworten, stattdessen erwiderte er nur: "Nicome, nur Nicome. Ich bin zu jung, als dass ein "Herr" passend wäre."

Der Arzt lachte leise. "Ja, da mögen Sie recht haben. Herr Kigais japanische Höflichkeit scheint langsam auf mich abzufärben..."

Nico musste warm lächeln. Er war offensichtlich nicht der einzige, der Hisashi mochte.

Herr Hinrich fasste ihn nun tatsächlich an der Hand und führte ihn rücksichtsvoll in das Schlafzimmer zurück, ließ ihn erst los, als er Nicos Handfläche auf die Matratze des großen Futonbetts gelegt hatte, sodass Nico selbst bestimmen konnte, wohin er sich nun wandte.

Kurzerhand krabbelte er über das Bett auf Hisashi zu und nahm dessen Hand in die seine, damit er sich nicht mehr ganz so verloren vorkam. Herr Hinrich hatte seine Behinderung und innere Unsicherheit längst bemerkt und Nico _wusste_ einfach, dass Herr Hinrich sich nicht an seiner tiefen Zuneigung für Hisashi stören würde.

Er spürte, wie die Matratze ein wenig nach unten gezogen wurde.

"Ich sehe mir kurz Herrn Kigai an, bevor ich zu Ihnen komme, in Ordnung? Nur um sicher zu sein, dass er sich tatsächlich nur ein wenig überanstrengt hat und es sich nicht doch etwa um etwas ernsteres handelt."

Nico nickte schweigend, fügte dann noch hinzu: "Ja. Bitte..."

"Ich befühle gerade seinen Puls. Mh, ja, das fühlt sich gut an. Kräftig und gleichmäßig. Ja... blass ist er auch nicht und... seinen Pupillen sind ebenfalls in Ordnung. Weder übermäßig geweitet noch beunruhigend stark verengt. Und... mh... hmhm... auch ansonsten keine Anzeichen auf einen besorgniserregenden Zustand. Man könnte fast denken, dass er nur schläft. Ich bin natürlich kein Spezialist auf dem Gebiet der Schlafforschung, aber wenn Sie mich fragen, dann würde ich meinen, er hat gerade eben geträumt..."

Nico blinzelte. "Geträumt?"

Natürlich! Warum war er nicht selbst darauf gekommen? Man konnte so etwas ja auch im Schlaf erleben! Sicherlich war er ziemlich plötzlich in diesen Schlaf- und Traumzustand geglitten, aber wenn der Arzt es sagte...

"Ja. So könnte man meinen... Nun, am besten bleiben wir gleich hier, so bemerken wir, wenn er wieder erwacht."

Nico strich Hisashi verunsichert über das im Schlaf(?) entspannt geglättete Gesicht. "Ich denke, ja... ich denke, dass ist eine gute Idee..."

"Also sind wir uns einig", hörte er Herrn Hinrich sagen. "Soll ich Ihnen die Verbände abnehmen oder möchten Sie das lieber selbst tun?"

Mit einem Mal zuckte Nico zusammen. Wie ein Faustschlag traf ihn die Erkenntnis, dass er tatsächlich bereits vergessen hatte, dass er zwar kein Engel mehr, aber auch _kein_ Mensch war.

Er konnte Herrn Hinrich förmlich die Stirn runzeln sehen. "Ist etwas nicht in Ordnung, Nicome?"

"Ich... ich", druckste Nico herum und rutschte unwillkürlich etwas mehr an Hisashi heran und etwas weiter von dem Arzt weg. "Ich möchte nicht..."

"Auch Unsterbliche sind manchmal nicht so unsterblich, wie sie selbst gerne glauben möchten... Sanami..."

Nico riss entsetzt die Augen auf und machte aus dem Sitzen heraus einen Satz nach hinten.

Doch bevor er noch unsanft auf dem Boden landen konnte, hatte ihn auch schon eine große Hand verbunden mit einem überrascht-erschrockenen Laut ergriffen und vor einem schmerzhaften Absturz bewahrt.

"NEIN!", konnte Nicome nur erstarrt keuchen.

"So beruhige dich doch, Sanami!", sagte "Herr Hinrich".

Plötzlich fühlte sich Nicome von warmen, sanften Winden umspielt, die Federn durch das Zimmer wirbelten und es mit einer urtümlichen inneren Ruhe erfüllten.

Er kannte diese alles besänftigende, so wohltuend beruhigende Aura, die sich nun langsam bündelte.

"Raphael...", hauchte er ehrfürchtig und völlig fassungslos.

"Ja", sagte der Engel mit den wunderschön ultramarineblauen, seidigen Haaren, die Nico immer so sehr bewundert hatte. Seine Stimme war nicht länger die von "Herrn Hinrich", der bewusstlos neben Hisashi gesunken war, als sich der Engel von ihm gelöst hatte, es war diese dem Engel eigene Stimme, so zart wie ein Windhauch, so wohltuend wie Balsam, alles heilend, alles belebend.

Lange, schlanke und sehr feingliedrige Finger strichen sachte über Nicos Wange, die sich errötend etwas mehr in die behutsam streichelnde Hand dieses so unglaublich sanftmütigen Engels schmiegte.

Raphael lachte leise: "Kleine Streicheleinheiten magst du also noch immer so sehr wie früher..."

Nico senkte verlegen den Kopf. "Warum seid Ihr hier, Raphael? Michael wird Euch entdecken und... Euch melden müssen. Ich will nicht, dass ihr wegen mir in Schwierigkeiten geratet..."

Raphael schüttelte den Kopf und obwohl Nicome es nicht tatsächlich sehen konnte, _sah_ er es doch.

"Echte Brüder verraten einander nicht, nicht einmal, wenn Gott es ihnen befielt..."

"URIEL!!!" Mit einem Aufschrei fuhr Nico herum und fiel dem seit Urzeiten immer ganz in Schwarz gekleideten, und ebenso schwarzhaarigen und -äugigen Engel um den Hals.

"Du hattest Recht, Raphael", lachte die warme, tiefe Stimme. "Und er fällt einem noch genauso überschwänglich um den Hals, wie immer..."

Nicome biss sich auf die Lippen, doch die Tränen ließen sich einfach nicht zurückhalten.

"Sh... Nicht weinen, Sanami", flüsterte Raphael und streichelte beruhigend über den Rücken des verhältnismäßig ziemlich kleinen Engel in den Armen seines dunkelhaarigen Bruders.

Nicome lachte bitter auf, verschluckte sich dabei beinahe an seinen eigenen Tränen, die ihm den Hals hinabzulaufen schienen.

"Sanami?", fragte er verzweifelt. "Ich bin nicht mehr Sanami! Ich bin Nicome, der... Eingeflügelte..."

"Für uns wirst du immer Sanami bleiben, kleiner Engel", widersprach Uriel vorsichtig, als er die so lange mühsam zurückgehaltenen Emotionen hervorbrechen sah.

"Ebenso, wie für Gabriel und natürlich... Michael."

Nico stockte der Atem. Er mochte Gabriel ebenso wie Raphael und Uriel wirklich, _wirklich_ sehr, aber Michael, Michael war ihm mehr ein Vater gewesen, als Gott es je gekonnt hätte - auch wenn er es sich nie eingestanden hatte, schließlich war seine "falsche" Liebe zu Hisashi schon _schlimm_ genug gewesen.

Bei diesem Gedanken "blickte" er rasch zu Hisashi und Raphael, der verstand, versicherte ihm, dass Hisashi nur etwas Kraft schöpfen musste, da so ein Traum doch ziemlich anstrengend für einen Menschen war.

"Wie... wie geht es Michael?"

Die beiden seufzten leise.

"Was... Was ist mit ihm?", fragte Nico zitternd.

"Du hast keine Schuld daran, hörst du? Michael hat Gott schon seit langem nicht mehr verstanden, war schon lange nicht mehr mit Gottes Vorgehensweise EINverstanden... Er war lediglich zu treu, war zu naiv, um deshalb mit Gott zu brechen. Er glaubte tatsächlich, wenn Gott sich plötzlich so sehr verändern konnte, dann könnte Gott sich auch so schnell ZURÜCKverändern. Er tat es nur nicht... Dein Schicksal hat Michael lediglich die Augen geöffnet...", behauptete Raphael, statt ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben.

"SAGT ES MIR!", schrie Nico verzweifelt auf. "WAS IST MIT IHM??"

Uriel holte tief Luft, murmelte dann langsam: "Wir werden es dir sagen, Nico, aber du musst dich beruhigen, in Ordnung? Wir alle brauchen jetzt einen klaren Kopf..."

Nicos Lippe blutete bereits, doch es hielt ihn nicht davon ab, seine Zähne noch etwas tiefer in sie zu versenken, bevor er sich schließlich geschlagen gab und kaum merklich mit dem Kopf nickte.

"Michael... als er dich damals geblendet hat, das war nicht wirklich _er_, verstehst du?", fragte Raphael leise, um Verzeihung für seinen Bruder heischend.

Nico schüttelte ehrlich den Kopf. "Nein." Doch er hatte Michael niemals wirklich gezürnt. Nicht Michael...

"Gott hat ihn gesteuert, hat ihn manipuliert wie eine Marionette, hat ihn dazu _gezwungen_, wenn du so willst...", erklärte Uriel bitter.

Nico sah ihn aus aufgerissenen Augen aus. "Ich... ich... ich verstehe nicht", stammelte er.

Der Engel mit nur einem Flügel spürte auf einmal den Blick der erdfarbenen Augen auf sich - es fühlte sich an, als würde Uriel im nächsten Augenblick etwas alles veränderndes sagen wollen... "Michael wollte es nicht. Michael hätte dir niemals ein Leid zufügen können. Du warst für ihn immer wie ein Sohn. Immerhin war er es, der dich im Garten der Feuerwinde fand, er war es, der Gott verheimlichte, dass eines von Lucifers Geschöpfen überlebt hatte, er war es, der sich dir annahm und dann seine Geschwister um Hilfe bat, damit er Gott täuschen konnte. Innerlich wusste Michael schon damals, als er dich fand, dass mit Gottes Begriff von der Liebe schon lange etwas nicht mehr stimmte, sonst hätte er auch bei dir Gottes Befehl gehorcht und den letzten der in Lucifers nie verblasstem Licht geborenen Liebesengel vernichtet. Doch er tat es nicht. Er brachte es einfach nicht übers Herz. Stattdessen nahm er sich deiner an, erfand für dich eine Vergangenheit, die dich zu seinem Zögling machen konnte, die dich in seine Obhut begab..."

Nicome starrte ungläubig in die Richtung aus der Uriels Stimme kam.

"I-i... ICH soll einer der legendären Liebesengel sein? Ein Geschöpf von Lucifer, Trägerin des Lichts... Gottes einzig wahrer Liebe?"

"So ist es, Sanami... Und wie deine Schöpferin, so hast auch du schnell erkannt, schneller als wir erkannt, dass der Herr sicherlich ein großes Werk vollbrachte, als er die Erde und die Menschen schuf, aber ebenso hast du erkannt, dass er längst nicht mehr die Kontrolle darüber hat, dass er nicht weiß, dass er seinen Geschöpfen nicht mehr einfach befehlen kann, weil es ihm gerade einmal so passt - besonders nicht, um ihnen zu schaden."

Nicome sog erschrocken die Luft ein. Nie hatte er Raphael so trotzig, so _rebellisch_ reden gehört.

"Wozu Gott nicht fähig war - das hast du geschafft. Du hast begonnen, sein Werk zu lieben, und ganz besonders einen bestimmten Teil dieses Werks...", führte Uriel weiter.

"Hisashi...", flüsterte Nicome.

"Richtig", nickte Uriel. "Innerlich wusste Michael das alles, doch er war Gott einfach zu treu ergeben. Er hat zu spät verstanden, dass man sich manchmal gegen seinen Vater wenden muss, um jenem seine wahre Liebe zu beweisen. Nicht immer ist der Ältere auch der Weisere, der Klügere. Auch Gott ist fehlbar, so unmöglich es auch klingen mag. Menschen sind nur Menschen, Menschen machen Fehler, weil auch Gott, ihr Schöpfer, nur er selbst ist, weil auch er fehlbar ist, wie wir alle, seine Geschöpfe, es sind."

Nico ließ Uriel langsam los, ließ sich schwer auf das Bett fallen. Was die beiden da sagten... Nein, das war einfach _zu_ unglaublich.

"Also hat Michael dich, ohne es zu wollen, geblendet. In der Zeit, in der du ohnmächtig vor dem Himmelsthron lagst, ständig unter Gottes Beobachtung, da hat Michael den Himmel verlassen, weil er Gottes Nähe nicht mehr ertragen konnte, weil ihm klar geworden ist, wie Recht du hast. Er hat erkannt, wie wichtig Liebe ist, und dass man sie nicht unterdrücken darf, so falsch sie im ersten Moment auch zu sein scheint..." Ohne es sehen zu können, _wusste_ Nico, dass Raphael traurig lächelnd auf Hisashi hinabblickte. "Erst als du fast erwacht warst, erhörte er unser Flehen und kehrte in den Himmel zurück, um dich vor Gott zu schützen. Uriel, Gabriel und ich hatten große Angst, dass Gott seine Meinung ändern könnte - und niemandem vertraut Gott, wenn es um die Menschen geht, so sehr wie Michael."

"Doch was wir auch unternahmen, noch einmal konnten wir Gott nicht täuschen. Ihm blieb nicht verborgen, dass seine Bestrafung nicht fruchtete. Also gab er den Befehl, dein Licht zu löschen. Und zum ersten Mal _weigerte_ sich Michael, Gottes Wort auszuführen. Gott war nicht nur zornig, doch Michael weigerte sich weiterhin. Also übergab Gott den Befehl Yutonee und hinderte Michael daran, den Himmel zu verlassen, um dir zu Hilfe zu eilen. Er musste hilflos mit ansehen, wie Yutonee, dieser Dummkopf, dir einen Flügel brach, wie du immer wieder flohst und wie er dich immer wieder verfolgte und fand, dich immer ein Stück mehr verletzte, so lange, bis der letzte Engelsfunken aus dir gewichen sein würde, damit er dich töten konnte."

"Denn Engel können ja keine Engel töten...", flüsterte Nicome, war sich nicht einmal sicher, ob er es tatsächlich flüsterte, oder nicht viel mehr dachte.

"Michael gibt sich die Schuld daran. Er wirft sich vieles vor, was nicht stimmt, woran _niemand_ Schuld hat... Nun sitzt er zwischen den Ästen des Weltenbaums, hat sich vollkommen zurückgezogen. Unser Bruder ist nicht mehr ansprechbar, streichelt nur gedankenverlorenen den kleinen Shyunoue, der nicht Tag nicht Nacht von ihm weichen will und sich nun ohne Unterlass die Augen ausweint, weil er dich und seinen alten Michael vermisst. Beide sind sie nun nicht mehr als schöne Puppen mit einem versteckt eingebauten Mechanismus, die langsam zwischen den Zahnrädern von Gottes großem Werk zermalmt werden..."

Stumme Tränen liefen über Nicos Gesicht. "Michael...", drang es zwischen seinen Lippen hervor. Doch es gelang ihm nicht, Hass für Gott zu empfinden. Gott hatte Michael und den kleinen Shiyunoue auf dem Gewissen, hatte sie benutzt, sie so lange gebogen, bis sie zerbrochen waren. Und Gott hatte seine Liebe zu Hisashi verurteilt...

Doch Hass... nein, den konnte er nicht empfinden.

Gott war ein Gefangener seiner selbst. Wenn Nicome ehrlich war, so hatte er immer vermutet, dass Gott Lucifer nie wirklich verwunden hatte.

Nein, vermutet war das falsche Wort - er hatte es _gewusst_.

Vielleicht hatte damals mehr Wahrheit in seinen Worten gelegen, als Nicome selbst geglaubt hatte. Vielleicht _war_ Gott eifersüchtig - vielleicht _konnte_ man nicht anders, wenn einem selbst die Liebe seines Lebens verwehrt wurde, während um einen herum überall nur Liebe war. Und umso mehr musste es Gott schmerzen, da er unsterblich war...

Uriel strich ihm sanft durch das kurze, weiße Haar. "Du hattest so schönes langes Haar... Schade, dass du es abgeschnitten hast... Aber vermutlich hätte ich an deiner Stelle dasselbe getan..."

Auch Raphael suchte ihn mit ein wenig Zuwendung zu beruhigen. "Wir sind nun im Jahr 2000, Sanami - die Revolution steht unmittelbar bevor. Lange spielte sich alles im Verborgenen ab, lange mussten wir verdeckt handeln. Doch nun... nun sind es nur noch wenige Monate nach der Zeitrechnung der Menschen. Nur noch wenige Monate bis zum Tag der Entscheidung."

"Viele Seelen werden ihren Weg zu mir in die Unterwelt finden, jedoch, meine Brüder und ich... wir haben Hoffnung. Und du, Sanami, warst es, der uns Hoffnung gegeben hat. Das Zeitalter der Liebe wird anbrechen und vergessen werden all die Tage sein, da wir trostlos und ohne Mut waren, da Liebe nicht mehr Liebe war und sich immerzu in ihr Gegenteil verkehrte... Wir werden kämpfen für ein Zeitalter der Liebe, auf dass die Liebe Flügel bekommt und in Freiheit fliegen darf, nicht länger in Ketten und Fesseln gelegt wird."

"Aber ich...", machte Nico.

"Es wird alles gut werden, Sanami", flüsterte Uriel. "Du wirst es... _sehen_... Gott hat dem Schicksal den Krieg erklärt, doch einen solchen Krieg kann man nicht gewinnen - nicht einmal wenn man Gott ist..."

Nicos Kopf ruckte ungläubig hoch.

"Wir müssen jetzt gehen, Sanami, aber vergiss es nicht... Ein Zeitalter, in dem du frei lieben darfst..."

Nico spürte wie die beiden Auren verwirbelt wurden, spürte wie ein Sog entstand.

"Du kannst dem Arzt vertrauen, Sanami. Er ist ein guter Mensch - er wird dich nicht verraten...", hörte Raphaels Stimme wie von sehr weit fern.

"Vergiss es nicht...", wisperte Uriel noch, dann verstummten ihre Stimmen.
 

Volume III
 

"Interessant", murmelte Herr Hinrich.

"Wie?", machte Nico erschrocken. Er war so in Gedanken gewesen, dass er nicht gemerkt hatte, dass Herr Hinrich wieder "voll funktionsfähig" war.

"Es war wie ein angenehmer Traum... Und so vollkommen anders, als ich es mir je hätte ausmalen können..."

Nico schloss traurig die Augen, antwortete dem Menschen nicht. /Michael... Willst du auch, dass ich kämpfe? Für ein Zeitalter der Liebe und... Hisashi?/

Wortlos begann Herr Hinrich ihm einen Verband abzuwickeln.

Nicome wehrte sich nicht, ließ es stumm geschehen. Allein Hisashis Hand wollte er während der ganzen Prozedur nicht loslassen.

Der Krankenhausdirektor verarztete ihn fachmännisch mit den mitgebrachten Utensilien, war schon bald fertig.

"Soweit ist alles in Ordnung. Die Wunden heilen gut, sicher werden sie bald nicht mehr zu sehen sein...", sagte er schließlich.

"Bitte, erzählen Sie es nicht Hisashi! Er würde es nicht verstehen. Bitte...", bat Nico ihn leise.

Der Arzt nickte. "Wie... du willst. Aber ich glaube, es würde ihm nicht viel ausmachen. Er mag dich - und ich finde, er hätte es auch verdient, die Wahrheit zu erfahren..."

Nico senkte den Kopf. "Ich weiß... Aber ich will nicht auch noch ihn da hinein ziehen..."

"Hnn... Nico?", drang plötzlich ein schwaches Wispern an seine Ohren.

"HISASHI!!", rief Nico und fiel seinem Schützling erleichtert um den Hals.

"Gnn.. Was... was ist passiert?", wollte jener stöhnend wissen, während seine Finger beruhigend zwischen Nicos weißes Haar glitten.

"Du bist einfach umgefallen...", erwiderte Nico leise.

Hisashi schüttelte sehr vorsichtig den Kopf, als hätte er Kopfschmerzen. "Nein... Ich... ich habe geträumt... von dir..."

Nico küsste ihn zärtlich auf den Mund. "Jetzt ist ja alles gut... Ich bin froh, dass du wieder wach bist..."

"Entschuldige...", brachte Hisashi mühsam vor. Er sah ein wenig mitgenommen aus. "Ich wollte dir keine Angst machen..."

"Hast du nicht... Ich weiß doch, dass du mich nie allein lassen würdest...", flüsterte Nico ihm liebevoll ins Ohr.

Herr Hinrich räusperte sich leicht verlegen. "Ich denke, ich gehe jetzt besser."

Hisashi zuckte unter Nico zusammen. "...Herr Hinrich?"

Er konnte Herr Hinrich praktisch lächeln _hören_: "Ich habe Nico bereits untersucht. Er ist bei bester Gesundheit und seine Verletzungen nicht so schlimm, wie es vielleicht auf den ersten Blick schien. Sicherlich alles andere als angenehm, aber auch nicht lebensgefährlich. Die Wunden mögen stark geblutet haben, aber Hunde, die bellen, beißen nicht. Und Sie, mein Lieber, übertreiben es mir nicht mehr so mit dem Laufen, haben Sie mich verstanden!? Wenn Sie mich wieder einmal besuchen kommen wollen, dann können sie statt sich zu Tode zu rennen doch auch ganz einfach nett anklopfen..."

Hisashi wand sich verlegen unter Nico, welcher in diesem Moment von ihm runterrutschte, um ihm nicht den Atem abzudrücken.

"Auf baldiges Wiedersehen, Herr Kigai", erwiderte Herr Hinrich fröhlich und eine halbe Minute später fiel die Tür ins Schloss.
 

Hisashi zog Nico seufzend wieder auf sich und fing diese so unglaublich weichen Lippen hungrig zu einem tiefen Kuss ein. Nie wieder wollte er diesen kleinen Engel auf sich missen...

Er hatte die Botschaft seines Traumes nicht recht verstanden (noch nicht?), doch eines hatte er unmissverständlich erkannt: Er wollte - er _konnte_ nicht mehr ohne Nicome leben. Er hungerte nach jedem noch so kleinen Lächeln, dass er bekommen konnte, dürstete nach jedem Kuss, gierte nach jeder noch so flüchtigen Berührung - er war süchtig nach der ältesten Droge der Welt: Liebe.

"Gott, ich liebe dich so....", murmelte er selbstvergessen und fischte nach einer weiteren Zärtlichkeit.

Nico seufzte leise auf unter den behutsamen Fingern, die ihn im Nacken kraulten.

Vorsichtig strich Hisashi über die weiche Wange des Jungen, als fürchte er, ihm weh zu tun. Nico gab ein wohliges Schnurren von sich und schmiegte sich näher an ihn.

"Nico?", fragte Hisashi leise.

"Hmm?"

"Du darfst dich nie wieder in Gefahr bringen, hörst du? Ich wüsste schon jetzt nicht mehr, was ich noch ohne dich tun sollte..."

Nico lächelte ihn an: "Also soll ich dich nie wieder küssen?"

Hisashi blinzelte ihn verdutzt an. "Wie?"

"Naja, wenn du mich küsst, muss ich doch immer Angst haben, dass du mich gleich auffrisst... Man könnte meinen, dass du kurz davor bist, zu verhungern..."

Hisashi wurde verlegen. Nico schien das zu spüren, denn er lachte leise: "Ich hab dich trotzdem lieb, Großer..."

Der "Große" drückte dem Kleineren einen liebevollen Kuss auf die Stirn und richtete sich langsam in eine Sitzposition auf, zog Nico auf seinen Schoß.

"Ich dich auch... so sehr...", flüsterte Hisashi und fuhr mit seiner Zungenspitze genüsslich den schlanken, blassfarbenen Hals entlang.

Gerade wollte er einen Überraschungsangriff auf Nicos linke Brustwarze starten als dessen Magen ihm zuvorkam und sich ärgerlich grummelnd bemerkbar machte, um ihnen in Erinnerung zu rufen, wie lange er nun schon vernachlässigt worden war.

Schlagartig färbten sich Nicos Wangen blassrosa.

Hisashi konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen (Nico konnte es ja ohnehin nicht sehen): "Ich bin anscheinend nicht der einzige, der gehungert hat..."

"Du bist gemein", schmollte Nico und brachte es fertig, einen vorwurfsvollen Blick in die milchigweißen Augen zu bringen.

"Nee, ich sage nur die Wahrheit", erwiderte Hisashi liebenswürdig und fischte nach dem Tablett auf dem Nachttisch. "Na komm, erstmal was essen - danach können wir _meinen_ Hunger immer noch stillen..."

Nico errötete schon wieder und wandte sich hastig dem Tablett zu, tastete nach und nach alles ab, bis er ein Brötchen gefunden hatte.

Hisashi nahm ihm kurzerhand das Brötchen und einen weiteren Kuss ab und fragte dann freudestrahlend: "Was möchten Monsieur essen?"

"Was Süßes", erwiderte Nicome fast sehnsüchtig und legte ein erwartungsvolles Gesicht auf.

Hisashi lachte. "Willst du dich etwa selbst essen? Das könnte unter Umständen aber etwas schwierig werden..."

Nico knuffte ihn ungeduldig in die Rippen. "Huuungeeer!!!", quengelte er.

Lachend machte Hisashi Nico sein Brötchen zurecht und schob ihm dann schnell eine Ecke in den Mund, brachte ihn so wirkungsvoll zum Schweigen.

Er selbst aß sein Vollkornbrötchen pur und schnappte sich dann noch schnell seinen Capuccino, der inzwischen schon wieder kalt geworden war...

Aber das war Hisashi nun auch herzlich egal. Viel wichtiger war der zufriedene Gesichtsausdruck von seinem kleinen Engelchen...
 

Als Nico schließlich gesättigt war und Hisashi abgeräumt hatte, legte er vertrauensvoll seinen Kopf in Hisashis Schoß und rieb mit seiner Nase durch den Stoff hindurch verspielt über den Bauchnabel des jungen Anwalts.

"Ich will Nachtisch", lächelte Nico und strich mit einem Finger Hisashis Gesichtskonturen nach, blieb schließlich bei den rosenblütenweichen Lippen hängen.

Jene schlossen sich neckisch um die Fingerkuppe, bevor Hisashi zartkitzelnd seine Zungenspitze zum Einsatz brachte.

"Ich auch...", flüsterte er, bettete Nico auf der Matratze bevor er sich vorsichtig auf ihn legte und begann, da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte.

Nico gab ein leises Keuchen von sich, als Hisashi seine Brustwarzen sanft mit Lippen und Zähnen bearbeitete, bis sie hart wurden.

"Du bist so wunderschön...", flüsterte Hisashi in Nicos Brustkorb, strich gedankeverloren über dessen Seiten. "Ich glaube, ich bin gerade der glücklichste Mensch auf Erden..."

Nico stöhnte verhalten auf, erbebte unter Hisashis Sanftheit. Gott, er wollte _fühlen_, er wollte diesen wundervollen Menschen spüren.

"Nicht aufhören...", hauchte er seinem Geliebten rau entgegen. "Mehr... das ist... so... _gut_... Hisashi..."

Dann schaltete sein Verstand übergangslos auf "Automatik" und Nico versank in bedingungsloser Hingabe, begann zum ersten Mal in seinem Leben zu entdecken, wozu die liebevollen Hände eines zärtlichen Geliebten alles fähig waren...

ACT FOUR

Kommentar: Nach zwei Unendlichkeiten (oder waren es doch drei?) hier der vierte ACT von One Wing. Das Kapitel beschreibt sozusagen die Ruhe vor dem Sturm und es passiert eben nicht so viel, es werden praktisch nur die (Gefühls-)Fronten geklärt, aber das muss auch sein ^-^ Nach den drei Story-Monaten ist Nico viel erwachsener geworden, wenn man es so umschreiben darf, aber auch selbstbewusster und er hat auch ein gesundes Selbstwertgefühl entwickelt, was sich natürlich auch auf die Beziehung zwischen Hisashi und seinem Engel auswirkt. Irgendwie finde ich es schön, zuzusehen, wie Nico Mut schöpft und sich endlich entfalten kann. Ich glaube, im Himmel hatte er nie die Möglichkeit dazu - wie auch, wenn er ständig Acht geben musste, seine wahre Liebe hinter der eher väterlichen Fürsorge zu verstecken, die er eigentlich für seinen Schützling empfinden sollte... Aber auch die vier Elementarengel mag ich sehr und ich denke einige werden von Uriel und Raphael ein wenig überrascht sein ^_________^

Während des Schreibens hab ich übrigens das Album "Verschwende deine Zeit" von Silbermond, "I'm nothing without you" von Placebo und "Wishmaster"(Dead Boy's Poem ist soo schön... aber die anderen auch) von Nightwish gehört ^-^
 

ACT IV
 

Volume I
 

Verträumt blickte er Nico an, der sich mit vertrauensvoll geschlossenen Augen an Hisashis Brust geschmiegt hatte.

"Ich liebe dich", flüsterte er noch immer selig lächelnd. Anfangs war er wirklich übervorsichtig und so sanft wie nur möglich gewesen, denn er hatte große Angst gehabt, dem Kleineren in irgendeiner Weise weh zu tun. Doch Nico war völlig entspannt gewesen und hatte ihn immer wieder mit kleinen Überraschungsangriffen verblüfft, bis er schließlich auch seine letzte Scheu überwunden hatte.

Und er bereute nichts. Es war absolut wunderschön gewesen. Nicht weniger aber noch viel mehr...

Als er eins mit Nicome geworden war, war ihm gewesen, als hätte er einen Flügel auf dessen Rücken gesehen, weit ausgebreitet, als wolle er im Moment des höchsten Glücks losfliegen und das Paradies suchen... und Hisashi sah ihn noch immer. Doch obwohl es ihn beunruhigen oder zumindest überraschen sollte, war er noch immer von der vollkommenen inneren Ruhe erfüllt, die der Jüngere ihm geschenkt hatte.

"Ich liebe dich noch viel mehr", nuschelte Nico halb in einem schönen Tagtraum gefangen.

Schmunzelnd küsste er die völlig glatte Stirn seines Kleinen, doch dann wurde er ernst. "Nico?"

"Hm? Was ist denn?", machte der Kleine, hob den Kopf und öffnete auch die Augen, als wolle er Hisashi ansehen. Ein flüchtiges, trauriges Lächeln stahl sich bei diesem Gedanken über seine Lippen, bevor er leise erwiderte: "Ich... ich möchte, dass du bei mir bleibst... Ich will dich nicht gehen lassen müssen..."

Der andere lachte hell und umarmte Hisashi stürmisch. "Kannst mich behalten, Großer. Nur ne rote Schleife musst du dir selbst besorgen!"

Mehr als bloß beruhigt zog er sein blindes Engelchen wieder fest in seine Arme.

/Wieso bin ich nur so erleichtert? Wie kann es sein, dass du mir in so kurzer Zeit so wichtig geworden bist, dass ich dich nicht wieder gehen lassen kann...?/

"Ich würde ja nur zu gerne wissen, womit du mich verzaubert hast...", sagte Hisashi dann auch auf seinen Gedanken hin, was der andere nur mit einem zufriedenen Grinsen quittierte.
 

"Sag ich nicht. Ein Magier verrät nie seine Geheimnisse", belehrte Nicome ihn schelmisch. "Außerdem will ich ja nicht, dass du einen Aufhebungszauber gegen meinen Bann findest."

Gott, er fühlte sich so unglaublich glücklich. Hisashi in sich zu spüren, mehr noch, sich mit ihm _verbunden_ zu spüren, das... das war das schönste gewesen, was er je gefühlt hatte. Und er würde es ganz bestimmt nie vergessen, da war er sich hundertprozentig sicher.

Niemals...
 

Volume II
 

Nicome lächelte glücklich. Drei Monate waren vergangen, seit sich Hisashi und er das erste Mal begegnet waren, und in diesen drei Monaten hatte sich sehr viel für sie verändert.

Mittlerweile beherrschte er einigermaßen die Blindensprache, konnte nun also auch Bücher lesen um sich die Zeit zu vertreiben und mithilfe einer speziellen Software konnte er auch Hisashis Computer benutzen und ein wenig schreiben, was er sehr gerne tat. Oder er ließ sich von der Computerstimme etwas von Hisashi vorlesen, der ebenfalls gerne schrieb, auch wenn er seine Texte nie zuvor jemandem gezeigt hatte.

/Nur mir... mir zeigt er sie und lässt mich an seiner Welt teilhaben/, dachte er glücklich und fuhr den Computer herunter.

Wie gerufen kam da auch schon Tamara, seine Blindenhündin, ins Zimmer gelaufen und scharwenzelte fröhlich bellend ein wenig um Nico herum.

"Und - bist du bereit?", fragte er und kraulte sie liebevoll hinter den Ohren. Es war Liebe auf den ersten Ton gewesen. Allein ihr freundliches Bellen hatte er hören müssen und das weiche Fell hatte sein übriges getan. Er hatte sich schlichtweg in das aufgeweckte Tier verliebt und für Tammy hätte er wirklich (fast) alles getan, um auch nur den kleinsten Teil ihrer Hilfe belohnen zu können.

Manchmal behauptete sein Schatz sogar, er würde die Hündin mehr lieben als ihn. Natürlich stimmte das nicht - wie könnte es auch? -, doch es war wahr, dass er Tammy fast genauso viel Aufmerksamkeit zukommen ließ, wie seinem "Großen". Aber eben nur fast...

Umso glücklicher war er, das Hisashi Tammy genauso sehr mochte, wie er selbst und auch Tammy hatte Nicos größten Schatz sofort akzeptiert und noch mehr als das...

Seine tierische Freundin stupste ihn an, um ihn wieder aus seinen Gedanken zu holen.

"Na dann wollen wir mal", lächelte er ein wenig nervös.

Noch einmal ging er alles durch, was ihm Sabine und Daniel geraten hatten, welche er bei einem Treffen für Sehbehinderte kennen gelernt hatte und die nun schon sehr gute Freunde für ihn waren. Noch immer konnte er Hisashi gar nicht genug dafür danken, dass jener sich schlau gemacht und ihn dann zu diesem Treffen gebracht hatte, denn es war beruhigend zu wissen, dass er nicht allein war, wenn die anderen auch keine ehemaligen Engel waren wie er, was tatsächlich auch keinen allzu großen Unterschied machte.

Dank seinem Liebling vergaß er diese Tatsache ohnehin fast die ganze Zeit lang. Hisashi liebte ihn und das war das einzig Wichtige.

Mithilfe von Frau Siebenbrunn und einem Japanisch-Kochbuch hatte Nico so gut es ging etwas für Hisashi gekocht, weil er wusste, dass jener sehr viel arbeite, aber auf Arbeit auch gleichzeitig zu wenig aß - außerdem hatte er heute einfach Lust gehabt mit seinem Liebsten zu Mittag zu essen. Besagte Frau war eine sehr nette ältere Dame und zudem auch die Vermieterin des Schwarzhaarigen mit den sanften grünen Augen, die er nie wieder sehen würde, so oft er ihren Blick auch auf sich ruhen spürte.

Eilig schob er diese Gedanken von sich. Natürlich war es nicht leicht, blind zu sein, aber er wusste genauso gut, dass es falsch war, etwas nachzutrauern, das nun ohnehin nicht mehr zu ändern war. Immerhin waren als Ausgleich seine übrigen Sinne mit der Zeit und einiger Übung umso schärfer geworden und er konnte jede einzelne Stelle von Hisashis Körper voll und ganz ertasten, ihn viel deutlicher spüren, dieses Gefühl jener atemberaubenden Nähe viel tiefer empfinden.

Aufgeregt lief er in die Küche, holte das in einem bruchfesten und wärmespeichernden Behältnis verpackte Essen hervor und verstaute es sicher in seinem Rucksack, bevor er nach Tammy rief und sie für ihr kleines Großstadtabenteuer rüstete.

Aufgeregt überprüfte er in Gedanken noch einmal, ob er alles hatte was er brauchte, nickte dann zufrieden und zog sich an. Nachdem er abgeschlossen hatte und mit dem Aufzug hinunter gefahren war, bedankte er sich noch einmal kurz bei Frau Siebenbrunn und dann ging er mit Tammy als Geleitschutz zur Bushaltestelle.

Nico konnte hören, dass der Busfahrer doch ziemlich überrascht war, aber er war auch sehr hilfsbereit und versprach, es Nico zu sagen, wenn er an seinem Ziel angekommen war, sodass er nicht einmal die Haltestellen zählen musste, so wie der Blondschopf es sonst getan hätte. Stattdessen kraulte er zappelig die Hündin und versuchte irgendwie, seine Aufregung abzuschalten - was sich _ganz unerwarteterweise_ als _leicht_ unmöglich herausstellte...

"Wir sind gleich da", rief ihm der Fahrer freundlich zu. Nico bedankte sich noch einmal und stand dann mit strahlendem Gesicht auf. Die Busfahrt hatte er geschafft und von der Haltestelle aus waren es nicht einmal hundert Meter bis zu Hisashis Kanzlei, was er wusste, da er einmal mit Frau Siebenbrunn durch dieses Viertel spaziert war und sie es ihm genau erklärt hatte.

Damals hatte er sich nicht getraut, mit ihr hineinzugehen, hatte befürchtet, dass sich Hisashi ärgern könnte, wenn er ihn bei der Arbeit störte; doch mittlerweile wusste er sich dessen Liebe sicher, wusste was er tun durfte und was er lieber lassen sollte, wusste worüber sich sein Geliebter freuen würde und worüber eher nicht.

Ja, er war ohne Zweifel glücklich mit Hisashi und auch wenn sicher jeder Außenstehende meinen würde, dass sie sich ihre Liebe viel zu früh gestanden hatten, so wussten _sie_ beide doch sicher, dass es nun mal einfach so war. Und warum etwas verleugnen, dass so gewiss war?

Und er war so glücklich, dass er selbst durch den letzten Rest seines mit dem einen Flügel verbliebenen sechsten Sinns nicht die schemenhaft flüchtige Gestalt bemerkte, die ihm wie ein zweiter Schatten folgte und erst wieder im Nirgendwo verschwand, als Nico den Klingelknopf der Kanzlei drückte und hoffte, dass er auch wirklich richtig war.
 

Hisashi seufzte leise. Es war mal wieder viel zu tun und sein Assistent hatte heute einen Tag frei genommen um irgendeinen sehr wichtigen, privaten Termin wahrnehmen zu können. Nicht dass er sich beklagen wollte, soviel Arbeit zu haben, denn das war doch deutlich besser, als _keine_ oder zumindest zu wenig Arbeit, aber es schlauchte auch sehr und im Moment sehnte er einfach nur Nicos schlanke Finger herbei, die zärtlich durch seine Haare fuhren oder ihm die durch die Arbeit entstandenen Verspannungen herausmassierten.

Aber der Kleine war zu Hause und heckte dort zusammen mit seiner Vermieterin irgendetwas aus, und so sehr er sich seinen kleinen Engel auch herbeiwünschte, wollte er doch nicht, dass Nico allein hierher zu finden versuchte, weil er zugegebenermaßen große Angst hatte, Nico könnte etwas passieren oder sich verlaufen und sonst wo landen. Schließlich waren auch bei weitem nicht alle Menschen _Engel_ mit nur einem Flügel so wie der Blondschopf... Er wusste, Nico würde dass nicht ewig mitmachen, würde sicher irgendwann einmal auch allein größere Entfernungen zurücklegen wollen, so gut er konnte, doch im Moment war es ihm lieber, wenn der Jüngere mit Tammy noch ein bisschen auf kürzeren Strecken übte, die er ganz genau kannte.

Er streckte sich müde. Sein Kopf rauchte und eigentlich hätte er eine Pause machen sollen, aber er wollte weder einfach mitten in der Arbeit aufhören, um nicht den Faden zu verlieren, noch hatte er wirklich noch die Lust und Nerven weiterzumachen.

Es klopfte leise und seine Sekretärin, Frau Eichler, eine fürsorgliche schon etwas ältere Dame steckte den Kopf zur Tür hinein. "Ich möchte Sie ja nur ungern stören, Herr Kigai, aber ich finde wirklich, sie sollten langsam einmal eine Pause einlegen und etwas essen..."

Der Schwarzhaarige lächelte ihr müde zu und rieb sich, während er sich in seinem Bürosessel zurücklehnte, die Schläfen. "Schon in Ordnung, Frau Eichler. Aber danke, dass Sie sich so um mich sorgen."

Die Frau kommentierte das nur mit einem strengen Blick, gab diesen aber schnell wieder auf, da sie wusste, dass dies bei ihrem Chef ohnehin nicht mit Erfolg gekrönt sein würde, und schloss die Tür mit einem leichten Kopfschütteln.
 

Ein dezentes Summen ertönte und das Türschloss sprang auf, sodass Nico die Tür aufschieben und mit Tammy hindurchschlüpfen konnte.

"Guten...", die weibliche, doch schon etwas reifer klingende Stimme stockte, setzte dann neu an: "Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"

"Ich möchte zu Hisa- Ich meine, ich möchte mit Herrn Kigai sprechen."

Er hörte es förmlich, wie ihn die Frau überrascht und wohl auch ein wenig hilflos ansah. "Es tut mir Leid, aber Herr Kigai hat gerade seine Mittagspause. Möchten Sie vielleicht später wieder kommen? Ich könnte Ihnen einen Termin machen... oder haben Sie vielleicht schon einen?"

Nico schüttelte lächelnd den Kopf. "Nicht direkt, nein. Aber wenn Sie ihm vielleicht sagen könnten, dass Nicome da ist..."

Einen Moment war es still und der innere Kampf von Hisashis Sekretärin war regelrecht in der Luft zu spüren. "Also gut, ich werde es ihm mitteilen."

Sie tat irgendetwas und ein leises Klicken erklang, bevor sie Nicos Schatz erklärte, dass ein gewisser "Nicome" hier sei und mit ihm sprechen wolle.

"Nico?", rief Hisashi.

"Nun...", machte die Sekretärin hörbar verdutzt als sie ihren Chef so überschwänglich hörte.

"Ja", sagte Nico mit einem Lächeln und kaum eine Sekunde verging, bevor irgendwo vor ihm eine Tür aufgerissen wurde und Tammy freudig zu bellen begann. Genau gleichzeitig hörte er eine wohlbekannte Stimme "Nico! Tammy!" rufen und wurde einen Augenblick später schon freudig an Hisashis Brust gedrückt.

"Hi", sagte Nico leise, traute sich nicht, _seinen_ Großen zu küssen oder auf ähnlich überdeutliche Art und Weise zu berühren, schließlich wollte er seinen Liebsten vor seinen Angestellten nicht in Verlegenheit bringen.

"Was machst du überhaupt hier?", fragte der erstaunt, hatte ihn noch immer nicht losgelassen.

Sanft machte sich Nicome los und holte den mit Kunststoff umkleideten Behälter hervor. "Ich hab dir dein Mittagessen mitgebracht", grinste Nico ihn zufrieden an, spürte wie sein Herz überglücklich in seinem Brustkorb klopfte ob Hisashis rührender Freude.

"Mittagessen?", wiederholte der - zumindest auf der Erde - Ältere verständnislos und Nico konnte die Sekretärin leise lachen hören.

"Ich weiß zwar nicht wer Sie sind, aber jetzt sind Sie mir auf jeden Fall sympathisch", erklärte sie mit deutlicher Belustigung in der Stimme.

Hisashi grummelte irgendetwas, erklärte nur kurz: "Frau Eichler - das ist Nico, er wohnt bei mir..." und zog ihn und Tammy dann einfach mit sich, sodass er sich wenige Augenblicke auf einem bequemen Stuhl wiederfand, während Hisashi hinter ihm die Tür schloss.

Beschwörend drehte sich Nico auf seinem Sitzplatz zu ihm um und bekam endlich seinen so sehnsüchtig erwarteten Kuss, schlang sofort seine Arme um den Hals des Größeren und zog ihn auf diese Weise näher zu sich. Gott, nur wenige Stunden waren sie voneinander getrennt gewesen und schon sog er diesen Kuss in sich auf, wie eine Wüstenblume den Regen, die innerhalb weniger Sekunden zu voller Pracht erblühte.

Er zog sich an dem jungen Anwalt hoch nur um diesen auf den Stuhl zu drücken und sich auf seinen Schoß zu setzen, damit sie endlich gleichauf waren und er hungrig diese süß-zartbittere Mundhöhle plündern konnte, lauschte dabei genüsslich Hisashis leisem Seufzen, während ihn die große Hände des anderen lüstern und hemmungslos an sich pressten. Unbeherrscht drängte er sich an den Größeren, versuchte ihm so gierig seiner wundervollen Wärme zu berauben.

"Ich habe dich so vermisst", flüsterte er atemlos, als ihnen die Luft ausging und sich zumindest ihre Münder unwillig voneinander lösen mussten.

"Ich dich noch viel mehr", hauchte Hisashi neckend zurück und strich mit seinen Lippen zärtlich über Nicos Augenlid. "Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr..."

Zärtlich fuhr der Blonde die Konturen dieses sowohl innerlich als auch äußerlich wunderschönen Mannes nach, verwöhnte und betrachtete ihn zugleich - auf seine ganz eigene Weise. "Liebst du mich, Shi?", fragte er fast lautlos, auch wenn er die Antwort kannte, doch er hörte die Worte einfach so gern aus dem Mund des anderen.
 

"Mehr als das, Nico...", Hisashi fuhr mit seinen langen, sanften Fingern begehrlich unter das Hemd seines Engels, strich mit leichtem Druck über dessen Rücken, bevor er einfach nur sein Gesicht in die fast weiße Halsbeuge vergrub und seinen Geruch einsog.

"...nie wieder...", murmelte er liebestrunken, "...ich lass dich nie wieder gehen..."

Nico lächelte sein sanftes Engelslächeln. "Und trotzdem habe ich noch immer kein Halsband..."

Entrückt, verzückt, durch Nicos Anwesenheit beglückt, streichelte er mit seinem Mund die Ohrmuschel des Kleineren, knabberte mit lustgeröteten Lippen an dem heißen Ohrläppchen, meinte von innen her verbrennen zu müssen. "Brauche ich das denn?", erkundigte er sich, glitt langsam über die hohen Wangenknochen.

"Nein... denn ich kann... ohnehin nicht mehr fort... von dir, weil... ich süchtig nach dir bin... ", stöhnte der Blondschopf leise, fuhr mit einer Hand in Hisashis Nacken und zwischen sein Haar, vergrub die andere unterdessen über seiner Brust in das dunkelblaue Hemd.

Liebevoll sog der Grünäugige die volle, schon leicht geschwollene Unterlippe zwischen seinen Mund. "Dann ist es gut..."
 

Volume III
 

Niedergeschlagen lief Raphael durch den Mondgarten, beachtete nicht die vielen wunderschönen Wasserlilien, die um ihn herum im Mondlicht erblühten. Für jedes Element und seinen Engel gab es einen "Garten" und dieser hier war der seine - und doch wusste er nicht mehr wo er war in diesem scheinbar endlosen Land der Winde, wo niemals die Sonne aufging und zu jeder Zeit der Mond am Himmel stand, was dem Garten schließlich auch seinen Namen verliehen hatte.

"Raphael...", seufzte Uriel, tauchte urplötzlich hinter ihm auf und zog die viel grazilere, schlanke Gestalt des Windengels rücklings in seine kraftvollen Arme. "Du verirrst dich noch in deiner eigenen Schwermut."

Bedrückt drehte er sein Antlitz zur Seite, bettete seine Wange unglücklich an das kräftige Schlüsselbein, gab dem Elementarengel der Erde damit die größtmöglichste Fläche für dessen auf seine Haut gehauchten Küsse. "Michael und Shiyunoue machen mir große Sorgen... Langsam habe ich wirkliche Angst um sie... Wenn Gabriel den Schlüssel des neuen Zeitalters nun nicht bald gefunden hat und zurückkehrt, wird Michael in absehbarer Zeit nicht einmal mehr ein Schatten seiner selbst sein..."

"Sh...", machte Uriel sanft. "Lass ab von deinen niederdrückenden Gedanken... Nicome und Hisashi sind sichtlich glücklich - selbst Michael beginnt dies langsam zu verstehen... Und ich denke - also gut, ich hoffe -, dass er dann bald endlich auch seine Schuldlosigkeit erkennen wird..."

"Hoffentlich hast du Recht", flüsterte Raphael bekümmert.

"Raphael, _bitte_", flehte der Größere, "Ich mag nicht zusehen, wie du dich vor Gram verzehrst. Kann ich denn gar kein Lächeln mehr auf deine Lippen zaubern?"

Erschrocken sah der Kleinere der beiden zu dem Engel mit den warmen, erdfarbenen Augen auf.

"Ich habe das Gefühl...", flüsterte der Elementarengel mit schmerzlich verzogenem Gesicht und nicht fähig den Blauhaarigen anzusehen. "...dass du dich immer weiter von mir entfernst... Oder bin ich es, der sich von dir entfernt? Du schwingst dich mit deinen sehnsuchtsblauen Flügeln in Höhen zu denen ich dir nicht mehr folgen kann. Ich bin zu nichts mehr gut... ich kann dich nicht mehr stützen, dich nicht trösten und dich nicht durch die Lüfte tragen. Das einzige, was mir bleibt, ist, verzweifelt zuzusehen, wie du immer höher aufsteigst und zu hoffen, dass ich dich auffangen kann, wenn du fallen solltest..."

"Uriel...", hauchte der Windengel hilflos und drehte sich in dessen Griff vollends zu ihm, umschlang ihn mit seinen schlanken Armen, verschränkte seine Hände im Nacken des Größeren, drückte den Schwarzhaarigen so fest an sich wie er nur konnte. "Sag doch so etwas nicht. _Alles_ an mir - mein Herz, meine Seele! - gehört dir - wie also könnte ich mich von dir abwenden, dich gar verlassen? Habe ich dich tatsächlich vergessen lassen, dass ich ohne dich nicht existieren kann?" Sanft drückte er einen liebevollen Kuss auf die blutroten Lippen, deren Weichheit und Süße er so liebte. "Vergib mir, mein Herz..."

"Nein, du musst mir vergeben. Es war egoistisch... ich wusste genau, wie sehr es dir zu schaffen macht und habe dich noch zusätzlich bedrängt..."

Der Engel mit den violett-meerblauen Augen schüttelte den Kopf. "Nein... Es ist gut, Uriel. Ich bin froh, dass ich dich habe, dass du in diesem Augenblick bei mir bist... Lass uns jetzt nichts mehr sagen, wir finden ohnehin nicht die richtigen Worte..."

Der Erdengel seufzte leise, auch ein wenig erleichtert, dass Raphael wieder zu sich gefunden hatte und breitete seine beiden mächtigen, seidig erdbraunen Schwingen gleich denen eines Adlers aus, umschloss sie beide hütend und schirmte sie so von ihrer Umwelt ab.
 

Volume IV
 

"Einen Moment, bitte", erwiderte Frau Eichler der Frau am anderen Ende der Leitung und drückte eine Taste der Freisprechanlage um Herrn Kigai über den Anruf zu informieren und sich zu erkundigen, ob sie die Frau trotz seinem Besuch und der Mittagspause durchstellen sollte.

Bevor sie jedoch dazu ansetzen konnte, zu sprechen, hörte sie auf einmal einen leisen, sehr zufrieden klingenden Seufzer und sie wollte sich schon erkundigen ob die Herren gut gespeist hätten, aber dann hörte sie wie ihr Chef ein zärtliches "Ich liebe dich" hauchte und ihre Finger fuhren von der Taste weg als hätte sie sich sehr schmerzhaft daran verbrannt.

"Es tut mir sehr Leid, aber Herr Kigai führt im Moment ein sehr wichtiges Gespräch und möchte nicht gestört werden. Vielleicht hinterlassen Sie mir einfach Ihre Telefonnummer und Herr Kigai ruft Sie dann persönlich zurück?"

"In Ordnung", gab sich die Frau glücklicherweise einverstanden und gab ihre Nummer durch.

Frau Eichler ließ den Telefonhörer sinken und starrte dann die Freisprechanlage an, als wäre ihr ein Geist erschienen. Sie kannte Herr Kigai zwar als sehr freundlichen, meist ruhigen aber zuweilen - wenn ihm die Arbeit genügend Energie dafür ließ - auch sehr leidenschaftlichen jungen Mann, doch immerhin war er ihr Chef und ihr wurde bewusst, dass sie die Tatsache, dass auch Herr Kigai solche Gefühle wie Liebe und so etwas wie ein Privatleben besitzen könnte, doch ziemlich vor den Kopf stieß. Irgendwie hatte sie angenommen, dass er von null Uhr morgens bis 24 Uhr in der Nacht einfach nur ihr Chef war und nichts anderes tat als Essen, Schlafen und Arbeiten, obwohl sie sich doch öfter über irgendwelche etwas privateren, wenn auch im Grunde genommen noch immer ziemlich belanglosen Dinge unterhalten hatten. Es war ein richtiger Schock für sie, aber andererseits störte sie die Tatsache, dass sich Herr Kigai zur Männerliebe bekannte, überhaupt nicht. Sie hatte ohnehin immer nach dem Leitmotiv der "freien Liebe" gehandelt und beurteilt und es beruhigte sie, zu wissen, dass es jemanden gab, bei dem ihr Chef auch mal abschalten und seine Arbeit vergessen konnte, denn manchmal machte sie sich zugegebenermaßen doch Sorgen, dass er sich zu sehr in sie hineinsteigerte, besonders, da er zu meinen schien, er müsse seinen Eltern irgendetwas beweisen...

Natürlich fragte sie sich im Geheimen doch, wie alt dieser Nicome wohl war, denn er war auf gar keinen Fall älter als zwanzig, eher um einiges jünger, aber der junge Rechtsanwalt würde schon wissen was er tat und die wahre Liebe hatte sich ohnehin noch nie an irgendwelchen unbedeutenden Zahlen gestört. Frau Eichler fand den jungen Blondschopf in der Tat geradezu niedlich und dass den Schwarzhaarigen Nicomes Blindheit ganz offensichtlich nicht störte, war sicherlich auch ein gutes Zeichen dafür, dass es keine schon an Oberflächlichkeiten scheiternde Beziehung war, die einzig und allein zur Triebbefriedigung diente.

Simone Eichler musste über ihre nächsten Gedanken lächeln. Sie hatte doch tatsächlich gerade eben das Aussehen und ihre Eindrücke der beiden miteinander verglichen und war zu dem Schluss gekommen, dass die beiden trotz allem, das aus oberflächlichen weltlichen Augen gesehen scheinbar zwischen ihnen stand, wie für einander geschaffen schienen.

Und mit einem breiten Lächeln beschloss sie, dass es mal wieder Zeit war, ihre Mittagspause nach auswärts zu verlegen...

Buch II

ONE WING
 

ZWEITES BUCH
 

somewhere
 

Lost in the darkness

Hoping for a sign

Instead there's only silence

Can't you hear my screams?
 

Never stop hoping

Until you know where you are

But one thing's for sure

You're always in my heart
 

REF:

I'll find you somewhere

I'll keep on trying

Until my dying day

I just need to know

Whatever has happened?

The truth will free my soul
 

Lost in the darkness

Tried to find your way home

I want to embrace you

And never let you go
 

Almost like you're in heaven

So no one can hurt your soul

Living in agony

Cause I just did not know

Where you were
 

REF
 

Wherever you are

I won't stop searching

Whatever it takes me to go
 

REF
 

~by Within Temptation~

ACT FIVE

Kommentar: Lang, lang ist's her, aber da bin ich wieder...

Endlich kriegt auch der letzte der vier Elementarengel, nämlich Gabriel, seinen Auftritt. Ich hoffe, das klingt nicht zu sehr nach Eigenlob, aber ich mag meine Version von diesem Engel sehr. Um ehrlich zu sein mochte ich seine Darstellung in anderen Geschichten und so eigentlich nie... Er wurde immer als verhältnismäßig schwach dargestellt, obwohl ich das Wasser für das stärkste der Elemente halte. Sogar noch mehr als Feuer und Erde (dafür ist Michael für das Feuer der leidenschaftlichste, Uriel für die Erde der mysteriöseste und Raphael für den Wind der poetischste und freundlichste, hilfsbereiteste Engel [meiner bescheidenen Meinung nach]...). Was es anrichten kann, kann man ja gerade in Südostasien sehen (ich hoffe, ihr spendet, wenn es euch möglich ist!!). Aber das ist nicht der Grund. Wasser hat diese Erde geformt, Täler gebildet und kilometerhohe Gebirgszüge vollständig abgeschliffen... Wasser dringt in jeden noch so kleinen Spalt, der sich ihm bietet, Wasser reinigt und erfrischt, das Wasser weint mit uns (das ist auf den Regen bezogen) bzw. wir weinen (durch) das Wasser, Wasser kann sogar das Feuer löschen, und... Wasser spendet Leben... Aber natürlich mag ich auch die anderen Elemente. Wir könnten ohne keines leben. Das Wasser, das in uns ist, aus dem wir bestehen und ohne dessen ständige Zufuhr wir nicht lange überleben, das Feuer, stellvertretend für die Wärme unseres Körpers, welche uns zu dem macht, was wir sind, der Wind, für die Luft, die wir atmen und uns jede Sekunde unseres Lebens umgibt wie tausend liebevolle Hände und natürlich die Erde... die uns Halt gibt, die unsere Umwelt bildet, uns Boden zum Leben gibt und uns schließlich zur letzten Ruhe bettet...

Während ich diesen Act schrieb, habe ich übrigens begonnen die Mangaserie "Yami no matsuei" zu lesen. Der vierte Band (am meisten Kapitel 5-6 - Fujisawa war so cool... und leeckeer >.< Den hätt ich bestimmt nicht von der Bettkante geschubst... ^^° Aber am schönsten fand ich seltsamerweise das Bild auf Seite 174 wo sich Mitani und Izuri küssen, obwohl letzterer ja nur noch ne wortwörtlich lebende Leiche war und auch so aussah[dass sich Mitani nicht vor seinem halb verwesten Körper geekelt hat muss von wahrer Liebe zeugen ^^°]... aber irgendwie... ich finde das Bild hat seine eigene Romantik... Liebe - bis über den Tod hinaus... ) hat mich dabei besonders inspiriert, (aber auch die Kapitel um Muraki in Band drei waren nicht ganz unbeteiligt) vielleicht weil er so schön dramatisch ist? Naja, ich habe halt eine Schwäche für Dramatik ^^° Okay und zugegeben waren die Lemonszenen auch nicht gänzlich ohne, bei meiner Fantasie *pfeif* Inspiriert hat mich aber viel mehr die Frage von Lehrer Mitani: "Aber... warum hat Gott uns diese Gefühle gegeben... wenn sie verboten sind?" Ich habe sehr lange über sie nachdenken müssen (aber die Antwort, die ich gefunden habe, behalt ich für mich - ich glaube die Antwort auf diese Frage muss wirklich jeder für sich selbst finden...) - sie ließ mich einfach nicht mehr los... Und seine letzten Worte (" Mehr als jeden anderen... mehr als Gott... habe ich dich geliebt...") haben mich dann doch stark an Nicome erinnert, auch wenn der Zusammenhang natürlich ein ganz anderer (und doch so ähnlich...?) ist und es das Manga schon vor OW gab ^^°...

Musik: Within Temptation "The Silent Force", HIM "Love Metal" + "Deep Shadows and Brilliant Highlights"

Noch ein Hinweis: Wer nicht mehr weiß, wer "Yutonee" ist, sollte sich noch mal ACT III, Vol. II zu Gemüte führen...
 

ACT V
 

Volume I
 

Nico schlenderte mit einem träumerischen Lächeln und Tammy an der Hand durch die Straße. Natürlich konnte er die strahlende Sonne nicht sehen, aber zumindest spüren konnte er sie und die Wärme der Sonnenstrahlen fühlte sich mindestens genauso gut an. Außerdem hatte seine Erblindung immerhin den Vorteil, dass er von dieser Helligkeit nicht geblendet werden konnte.

Nein, nicht einmal der Gedanke an seine nutzlos gewordenen Augen konnte ihn in diesem Moment niederdrücken, so wunschlos glücklich wie er gerade war.

Er hatte mit Hisashi gegessen, hatte mit ihm gekuschelt und rumgealbert, einfach nur mit ihm geredet, die ANspannung, die durch die Arbeit in seine Muskeln geschlichen war, hatte er in ENTspannung verwandelt und ein wunderschönes Lächeln der weichen Lippen unter seinen Fingern hatte er genießen dürfen, während leise aber umso ernster gemeinte Liebesbekundungen an sein Ohr schwebten. Was also wollte er mehr?

Noch immer schien es ihm wie ein Zauber, der Hisashi nicht nur zu ihm geführt, sondern auch schon so bald in Nicomes Arme gelegt hatte. Manchmal war es so wunderbar, dass der Weißhaarige sogar an ihrem Glück zu zweifeln begonnen hatte und es ließ ihn straucheln, sich fragen, ob Hisashi nicht einfach spürte, dass es sein Schutzengel war, denn er da so liebevoll umarmte und ob es nicht vielmehr Dankbarkeit war, die er Nico entgegenbrachte, als wahre Liebe.

Doch so stark Zweifel zuweilen werden konnten, hatten sie hier doch ihren Machtbereich verlassen: Hisashi hätte unendliche Dankbarkeit und diese höhere Empfindung der Geborgenheit, die er ihm so oft so verträumt beschrieb, vielleicht mit Liebe verwechseln können, aber ein Mensch empfand kein Begehren und Verlangen nach einem Engel, wenn da nicht mehr war. Hätte Shi ihn instinktiv und _nur_ als seinen Schutzengel erkannt, so wäre er etwas Reines, eine höhere Macht, etwas Heiliges für ihn gewesen. Und etwas so Reines wollte man nicht beflecken, man wollte nicht mit etwas Heiligem schlafen. Das wäre geradeso, als hätte Nicome den Wunsch ausgesprochen, mit Michael oder gar Gott ins Bett zu gehen - eine völlig unmögliche, außer Frage stehende Absurdität.

Doch der Schwarzhaarige _schlief_ mit seinem Engel - oft und gern. Er sah seinen blinden Freund nicht als etwas Höheres, Unerreichbares an, sondern zog ihn lächelnd in seine Arme und sprach den Wunsch aus, Eins mit ihm zu werden. Und wie konnten zwei Dinge zu einem Ganzen werden, wenn sie im Grunde nicht dasselbe waren, vielleicht von unterschiedlicher Gestalt, doch nahtlos zueinander passend?

Ja, er war sich Hisashis Liebe sicher, so wie jener sich der Liebe des ehemaligen Engels gewiss sein konnte. Und er war glücklich.
 

Volume II
 

Gabriel blickte noch einen letzten Moment in den Spiegel der Weisheit, sah zu, wie sich ein seliges Lächeln auf Sanamis Lippen ausbreitete.

/Nicome! Er heißt jetzt Nicome!/, korrigierte er sich, aber es half nichts. Für ihn würde der junge Engel immer Sanami bleiben, der liebenswerte, manchmal ein wenig naive, dafür aber umso aufrichtigere, herzensgute Zögling seines geliebten Michael.

Er seufzte. Michael...

Wie sehr vermisste er ihn doch. Kaum einer von den ohnehin wenigen, die von ihrer Liebe wussten, hatte zuerst glauben mögen, dass diese Beziehung zwischen ihnen beiden auf die Dauer gut gehen könnte, da sie so gegensätzlich waren wie... ja Feuer und Wasser eben.

Aber gleichzeitig waren sie auch wie Yin und Yang. Sie ergänzten sich perfekt. Schließlich zogen sich Gegensätze an und abgesehen von ihren Unterschieden hatten sie ja auch einige Gemeinsamkeiten, angefangen bei der Tatsache, dass sie beide Engel waren und beide liebten, wahrhaftig liebten, obwohl dies Engeln eigentlich verboten war.

Schon ein halbes Jahrtausend der Menschen lang kannte er nun seine Gefühle für den Engel des Feuers. Eine lange Zeit und doch war es ihm unbegreiflich wie er die noch bedeutend längere Zeit davor so blind hatte sein können... Wie oft hatte er mit Michael geredet und sich ungewöhnlich gut in seiner Nähe gefühlt und war einfach davon ausgegangen, dass er jenen eben besonders sympathisch fand?

Während er zwar ein wenig wechselhaft aber eher von ruhiger Stärke war, war Michael immer ein aufbrausender Charakter gewesen, den offensichtlich nur Gabriel zu besänftigen vermochte. Erst vor wenigen Jahren hatte Michael seine Liebe dann endlich erwidert... doch schon bald war er nicht mehr der stolze Feuerengel von einst gewesen...

Hatte ihn Gottes sich stetig steigernde Zurückgezogenheit verängstigt und am Boden zerstört, so war sein Liebster förmlich zusammengebrochen nach der Sache mit Sanami...

Alles, an das Michael geglaubt hatte, war mit einem Schlag vernichtet worden.

Dies war auch der Grund, warum er sich anfänglich strikt geweigert hatte, diesen Auftrag durchzuführen. Er hatte seinen Geliebten unmöglich in so einer schweren Zeit allein lassen können. Jedoch, nach und nach hatte er lernen müssen, dass er Michael nur helfen konnte, indem er ihm zeigte, dass Nicome das Opfer seiner Erblindung wert war, dass es ihm nun tausendmal besser ging, als es ihm im Himmel und sehend je hätte gehen können.

Und es war eine verletzende, bittere Erfahrung gewesen, dass man selbst demjenigen, den man liebte, nicht durch die bloße eigene Anwesenheit helfen konnte.

Monate waren mittlerweile ins Land gegangen. Keinen Augenblick hatte er etwas anderes getan als in den verzauberten Spiegel am Grund der Himmelssee, seinem "Garten", zu blicken. Nur er allein konnte ihn benutzen, ja überhaupt sehen, denn er war aus seinen Federn und seinem Wesen geschaffen, war vor allen Dingen von Gabriel _selbst_ geschaffen worden. Unermüdlich, mit dem Herzen immer bei Michael, hatte er in der Menschenwelt nach dem Schlüssel gesucht, der das Zeitalter der Liebe einläuten würde. Leider hatten sie dabei nur zwei Hinweise: Nämlich, dass er sich auf der Erde befand und Sanami als ein Liebesengel sich früher oder später ganz instinktiv in seine Nähe begeben würde.

Doch er hatte versagt. Oder vielleicht war die Zeit dazu auch einfach noch nicht reif. Denn Fakt war, der Tag, an dem sich der Neuaufbau der Welt ereignen würde, war noch fern. Die vier Elementarengel konnten dies regelrecht spüren. Vielleicht war es sogar gefährlich, allzu früh den Schlüssel zu kennen, bestand doch die Gefahr, dass sie ihn so unwillentlich verraten könnten, was sie unter allen Umständen umgehen mussten.

So hatte er sich also damit begnügen müssen, Sanami hier und da ein wenig zu verfolgen. Er zweifelte nicht, dass jener ein leibhaftiger Liebesengel war. Die zärtlichen aber auch leidenschaftlichen Gefühle, die zwischen ihm und dessen Liebsten hingen, waren förmlich greifbar.

Doch es gab auch zwei Dinge, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten: Zum einen war da erst vor wenigen Stunden etwas gewesen. Gabriel wusste nicht, ob er sich nicht vielleicht doch bloß getäuscht hatte, aber er meinte jedenfalls einen... _Schatten_ gesehen zu haben, der dem blinden Weißhaarigen scheinbar folgte... Zum anderen waren da seltsame Schwingungen zwischen Hisashi und Sanami auszumachen. Schwingungen, die er nicht einordnen konnte. Nie zuvor hatte er etwas Derartiges erlebt. Er konnte es sich höchstens durch Sanamis Wesen erklären, denn er kannte ja nur diesen einen Liebesengel und hatte keine Vergleichsmöglichkeiten, aber... selbst ihr Blut, dass ja zu einem großen Teil auch aus seinem Element, dem Wasser, bestand, schien außer der normalen, gespeicherten Wärme noch etwas Anderes auszustrahlen... Fast war es nur eine Ahnung und doch... war sie da...
 

Michael wiegte Shiyunoue sanft vor sich hin, starrte mit leerem Blick in die fernen Weiten. Von diesem Ast des Weltenbaumes konnte man bis in seinen Garten der Feuerwinde hinabblicken... Und auf die Oberfläche der Himmelssee.

Eine einsame Träne floss über seine Wange, tropfte schließlich von seinem Unterkiefer auf einen der beiden gefalteten Flügel des kleinen Engelchens auf seinem Schoß.

"Michael", flüsterte Shiyunoue leise, kaum hörbar, drückte ihn noch fester.

"Ja, mein Kleiner, ich weiß..."

Doch jener schüttelte den Kopf, sodass sein hellblauer Schopf durch die Luft wogte.

"Nein, Michael. Ich habe es endlich verstanden... Dabei wusste ich es schon die ganze Zeit... - tief in meinem Herzen. Sanami... er ist blind und ich werde nie verstehen können, nie _verzeihen_ können, dass ihm... _das_ angetan wurde."

Die Gesichtszüge des Älteren entgleisten, verzerrten sich, während er schmerzlich die Augen schloss und den Kopf abwandte.

Doch auch dies ließ der Jüngere nicht zu, ließ ihn nicht ausweichen. Nicht mehr. Mit seiner kleinen, zarten Hand drückte er sanft gegen seine Wange, sodass Michael ihn wieder ansehen musste.

"Aber... ich... ich klage nicht _Euch_ an, Michael. Ihr tragt keine Schuld. Bitte versteht das doch! Raphael und Uriel waren bei Sanami und seinem... Geliebten. Sie haben mir von ihm erzählt. Er ist _glücklich_, Michael", rief Shiyunoue ein wenig verzweifelt.

Doch der Elementarengel konnte ihn nur stumm anblicken. Was sollte er darauf antworten?

"Sanami ist sogar mehr als glücklich - überglücklich!", fügte er hinzu - _er_, Gabriel, Engel des Wassers und Michaels ewige Liebe...

Sein Herz schien still zu stehen als Michael die Augen aufriss und er starrte seinen Liebsten nur fassungslos an, während Shiyunoue angesichts seines noch recht kindlichen Gemüts aufsprang und zu Gabriel rannte um ihn an den Hals springender Weise zu begrüßen. Dann jedoch, nach einem letzten Blick auf seinen Lehrer, verließ er sie, um sie miteinander allein zu lassen...

Die vertraute Gestalt wurde von ihrem hüftlangen Haar umwogt, dass wie gesponnenes Glas oder elastisches Wasser schien. Fast völlig durchsichtig und doch vollkommen blickdicht und nur dem leichten Silberschimmer und dem Sonnenlicht, das sich an ihrer Oberfläche spiegelte, war es zu verdanken, dass man es sah - seine Haare schienen zeitweise aus reinem Licht zu bestehen. Wurden sie jedoch in Wasser getaucht, schienen sie fast darin überzugehen, sich aufzulösen und Eins mit ihm zu werden.

An den Stamm dieses ältesten Baumes, den es je gegeben hatte, gelehnt, seine Augen, die manchmal wie flüssiges Silber und manchmal so blau wie Veilchen waren, auf ihn gerichtet, stand er da, wie eine Erscheinung, und schien Michael wunderbarer als Gott selbst...

Ja, Gabriel war wahrhaftig ein Engel... und auch, wenn er Gott für seine Anwandlungen nicht verzeihen konnte, so dankte er ihm jede Sekunde seines Lebens für Gabriels Erzeugung...

Eine merkwürdige Schwäche ergriff Besitz von Michaels Körper, ließ ihn zu Boden gehen, ohne die Kraft wieder aufzustehen und seine Brust war von unerträglichem Schmerz erfasst, der sein ganzes Wesen aus ihm herauszusaugen schien...

"Michael!", rief Gabriel entsetzt und einen so kurzen, dass kaum fassbaren Bruchteil eines Augenblicks später wurde sein Kopf auf den warmen Schoß seines Geliebten gebettet.

"Gabriel", hauchte Michael und schloss in Erleichterung die Augen. "Ich hatte solche Angst um dich... die Zeit verging und verrann und du kamst einfach nicht wieder, niemand hörte etwas von dir... Aber nun bist du wieder bei mir... Ich liebe dich so sehr - bitte lass mich nie wieder so lang allein..."

Der Wasserengel beugte sich zu ihm herunter und einen Moment später spürte der Braunhaarige ein unglaublich weiches Lippenpaar auf seinem Mund.

"Michael... komm wieder zu mir... tauche auf aus deinem Meer aus Tränen und finde zurück ans Licht... Du trägst keine Schuld mehr, hast sie nie getragen. Sieh hier... ich habe ein Bild für dich in das Wasser gebannt... Sag mir, sieht so jemand aus, der sein Leben - oder seine Liebe - bereut?"

Der Angesprochene schlug bei den Worten seines Liebsten überrascht die Augen auf und sah in die Wasserkugel, die ihn an eine jener Glaskugeln der menschlichen "Hellseher" erinnerte.

"Sanami!", rief er.

Ja, sein kleiner Sanami war darauf zu sehen, wie er seinen schutzbefohlenen Menschen und Auserwählten Hisashi küsste und Gabriel hatte Recht... - er sah glücklich aus.

Tränen stiegen ihm in die Augen, die Gabriel zärtlich wegküsste, als sie über seine Wangen rannen.

"Dein Schützling hat dich immer geliebt und verehrt, Michael. Unsere Brüder waren bei ihm und haben mit ihm gesprochen - ich habe alles gesehen. Und weißt du, wie er reagiert hat, als sie auf dich zu sprachen kamen? Er hat geschrieen, weil er sich solche Sorgen um dich macht. Er hat dir nie seine Erblindung zugeschrieben und dich erst recht nie deswegen gehasst. Vielmehr war er verzweifelt, als er hörte, wie schlecht es dir geht... Du bist ihm immer ein Vater gewesen, du standest ihm näher als jeder andere hier im Himmel... und nun ist er glücklich... und da er glücklich ist und ich glücklich bin, endlich wieder bei dir sein zu können, solltest auch du glücklich sein, mein Herz..."

Für einen Augenblick schien das unglaubliche Silberblau seiner Augen die Zeit einzufangen, als Michael ihn in einem Ruck zu einem heftigen Kuss an sich zog und dann... dann blieb die Zeit wirklich stehen...

Nur für sie allein...
 

Volume III
 

Da! Da war etwas...

Nicome spürte es deutlich.

Ihm war vielleicht nur noch ein Flügel verblieben, aber auch der reichte, um die überirdischen Schwingungen zu erfühlen, die sich in der Luft um ihn herum ausbreiteten. Sie machten ihm Angst. Er hatte das Gefühl sie zu kennen, auch wenn sich irgendetwas in seinem Gehirn querlegte, um die Erinnerung in seinem Kopf einzusperren - und sie waren furchteinflößend. Beinahe wie die eines Engels, jedoch so... _dunkelschwarz_ wie die puren Hasses selbst.

Unsicher drehte er sich herum, aber natürlich war diese Handlung Unsinn. Er konnte nicht mehr sehen und sein sechster Sinn konnte selbst durch Wände hindurch und in alle Richtungen zugleich fühlen. Das _Problem_ war, dass er selbst bei einem sehr schwachen Impuls mindestens eine grobe Richtung hätte spüren müssen, doch dieses... _Etwas_ war _überall_, obwohl es nur einen einzigen Auslöser gab. Verzweifelt drehte er sich um seine eigene Achse, spürte die Panik in sich aufsteigen und ihm die Kehle zuschnüren.

Er kannte das alles. Nicome hatte es schon einmal erlebt. Er hatte es nur verdrängt...

Der blinde Engel schloss die Augen. /Nein/, dachte er. /Nein, dass kann nicht wahr sein. Nicht _jetzt_./

Doch er wusste, dass es wahr war - und das sie sich bereits in unmittelbarer Nähe befanden.

Es nutzte nichts, er würde seinen sechsten Sinn aktiv benutzen müssen, auch wenn die _anderen_ ihn so würden spüren können. Aber er konnte Tamara nicht in Gefahr bringen... - die er ohnehin nur brauchte, solange sein sechster Sinn inaktiv war, und der er soviel verdankte, dass er sie _ihm_ niemals würde ausliefern können.

"Lauf weg, Tammy", hauchte er leise, verstärkte seinen Befehl durch eine Art Gedankenübertragung, spürte gleichzeitig die bekannte Furcht seine Wirbelsäule hinauf mitten in seinen Kopf und von da an in seinen ganzen Körper kriechen.

Tammy winselte, sah ihn unsicher an, drehte den Kopf hin und her, tapste unruhig auf der Stelle. Sie schien zerrissen, zwischen gehorchen und bei ihrem liebgewonnen Herrchen bleiben, wusste sie doch, dass jenes sie brauchte... Vielleicht spürte sie durch ihre feinen Hundesinne sogar selbst die Gefahr.

"TAMMY!", flüsterte er eindringlich und die Hündin, welche gelernt hatte, wie LEBENSwichtig Gehorsam werden konnte, begann zögernd loszulaufen. In einigen Metern Entfernung wandte sie noch einmal kurz den Kopf zu ihm um, dann verschwand sie um eben jene Ecke, um die sie vor weniger als einer Minute gebogen waren.

Nicome zwang sich dazu ruhig und tief durchzuatmen. Er hoffte, dass Tammy sich den Weg gemerkt hatte und zurück zu Hisashi finden würde. Sie _musste_.

Sie musste, denn...

Der Gedanke - nein: die Wahrheit, die einzige WAHRHEIT von _Bedeutung_ - entglitt ihm im selben Augenblick, indem _er_ sich Nicome zeigte.

/FLIEH!/, sagte sein Instinkt.

"Nein", antwortete er leise und mehr zu sich selbst. "Diesmal werde ich nicht fliehen."
 

Vor dem Fenster seines Arbeitszimmers hörte er ein wohlbekanntes Geräusch.

Ein Bellen.

Hisashi riss die Augen auf. "NICOME!"

Auf einen Schlag wurde alles unwichtig. Denn eines war ihm mit jeder Sekunde mehr zur Gewissheit geworden: Er liebte Nico. Nein, sogar noch mehr, er _brauchte_ ihn. Ohne Nicome würde es die - _seine_ - Zukunft nicht geben.

Denn ein Schlüssel war nutzlos - wenn es kein Schloss gab.

Der Stuhl kippte um, Akten wirbelten durch das Zimmer als er kurzerhand den Weg über den Tisch wählte, den angelehnten Fensterflügel aufriss und heraussprang, ehe durch die Freisprechanlage Frau Eichlers besorgte Stimme erklang.

"Herr Kigai? HERR KIGAI!!"
 

Nicomes Lider zuckten nach oben und obwohl er blind war, wusste er genau, dass der Blick seiner milchigweißen Augen den des Engelsoffiziers zielsicher traf. Ein schmales, kaltes Lächeln kroch auf seine Lippen.

"Lange nicht gesehen... Yutonee..."
 

Volume IV
 

"Gabriel!", flüsterte Michael und strich _seinem_ schönen Engel liebevoll über den flachen Bauch.

"Hm-mh?", machte jener nur und blickte ihn verträumt lächelnd mit den wunderschön ritterspornblauen Augen an.

"Er braucht unsere Hilfe."

Gabriel starrte ihn einen Moment ausdruckslos an, nickte dann, ohne irgendwelche zeitvergeudenden Fragen zu stellen.

"Wie viel?"

"Nicht lange..."

"Du weiß was das bedeutet..."

"Ich werde es überleben. Gott vertraut mir."

Gabriel verzog den Mund. "Gott vertraut niemandem mehr. Nicht einmal sich selbst..."

"Wie lange?"

"Es ist nicht ganz leicht, aber... eine Minute. Höchstens."

"Dann lass uns anfangen...", sagte Michael und spürte seine geheime innere Flamme endlich wieder vollends auflodern, als er seine Hände auf die Gabriels legte und seine Magie, seine Kraft, sein _Wesen_ mit dem des Wasserengels verband.
 

Volume V
 

"Nicome...", sein himmlischer Gegner spie seinen neuen Namen regelrecht aus. "Nun, du wirst diesen Namen nicht mehr lange tragen, dessen darfst du dir sicher sein. Noch einmal werde ich dich nicht entfliehen lassen - jetzt wirst du endlich deine gerechte Strafe erhalten!"

Plötzlich spürte der blinde Engel einen stechenden Schmerz in sich und eine unbestimmte Trauer befiel ihn, nahm den Platz des kalten Hasses in ihm ein. Nein, er sollte nicht hassen. Wenn es stimmte, dass er ein Liebesengel war, dann war ihm von Geburt an ein schweres Schicksal vorherbestimmt worden und es _war_ schon ein Wunder, dass er überhaupt bis zu diesem Augenblick überlebt hatte und all die Stunden des Glücks zusammen mit Hisashi hatte erfahren dürfen. Er sollte dankbar für das sein, was ihm gegeben worden war. Aber er wusste auch, dass er jetzt nicht einfach sterben durfte, dass er noch eine Rolle in dem höheren Plan zu erfüllen hatte, von dem er früher einmal geglaubt hatte, dass er von Gott geschaffen worden war. Ihm war nicht klar, welche Rolle dies sein würde, aber schon allein für Shi musste er leben. Denn jener eine Tag, dessen Katastrophe zu verhindern er ursprünglich auf die Erde gekommen war, noch bevor er auch nur zu träumen gewagt hatte, sein Mensch könne ihn ebenfalls lieben, jener eine schicksalhafte Tag in Hisashis Zukunft... er war noch nicht gekommen. Und er würde nicht zulassen, dass sich _dieses_ Schicksal erfüllte. Er würde zu Hisashis Schicksalsdieb werden - selbst wenn... Er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken.

"Meine gerechte Strafe _wofür_, Yutonee?", fragte der Weißschopf traurig, erinnerte sich an Tage, da er in völliger Eintracht neben Yutonee gesessen und ihrem gemeinsamen Lehrer und verehrten Idol Michael gelauscht hatte. Sie waren nie _sehr_ enge Freunde gewesen, aber es hatte doch eine zarte Sympathie zwischen ihnen geherrscht, aus der durchaus noch eine starke Freundschaft hätte entstehen können.

Nun aber stand ihm Yutonee als wortwörtlich erbitterter Todfeind gegenüber, um in Gottes Auftrag über ihn zu richten. Und um Michael zu rächen.

Denn Nico wusste: Was Raphael und Uriel ihm _nicht_ vorgeworfen hatten, das warf der rot- und schwarzhaarige Engel ihm vor. Yutonee war vom Engel des Feuers als Racheengel im Zeichen dieses heißen Elements ausgebildet worden und neben Nicome dessen größter Bewunderer. Er machte ihn für Michaels Verzweiflung verantwortlich, schien dessen Schwäche nicht ertragen zu können. Das und, wie Nicome erst jetzt bewusst klar wurde, seine eigene Eifersucht. Es hatte immer einen kleinen Wettstreit um Michaels Gunst gegeben, jeder hatte versucht, der bessere Schüler zu sein. Für Nicome jedoch war es stets ein _freundschaftlicher_ Wettstreit gewesen, weil er nie an Michaels Zuneigung für sie _beide_ gezweifelt hatte. Doch wenn er nun darüber nachdachte... _er_ war von Michael nicht nur ER- sondern auch AUFgezogen worden wie ein Sohn. Yutonees "Vater" dagegen war in einem der Kriege zwischen Himmelreich und Hölle gefallen und fortan war der Engel, dessen Augen so schwarz waren, wie die eine Hälfte seiner Haarsträhnen, auf sich allein gestellt gewesen, hatte einen neuen Erzieher dankend abgelehnt, versichert, er würde es auch so schaffen, ein Racheengel im Gefolge des Feuers zu werden, auf den Michael, der Himmel und Gott stolz sein würden.

Obwohl er ein Liebesengel sein sollte, hatte er nie erkannt, wie verzweifelt Yutonee in Wahrheit gewesen sein musste, wenn Nicome einmal für kürzere oder längere Zeit die Oberhand in ihrem _Spiel_ gewann... Wie _ernst_ es für ihn gewesen sein musste.

Und plötzlich verstand er auch, dass er für Yutonee immer derjenige gewesen sein musste, der ihm Michael _geraubt_ hatte und vielleicht glaubte er, dass er ihm seinen Lehrer _ganz_ wegnehmen würde, wenn er nun nicht eingriff.

Und tatsächlich: der Rotschwarzhaarige antwortete nicht - viel lieber griff er stattdessen an.

Die brennende Klinge hinterließ einen unfassbaren Schmerz auf seiner linken Wange und seinem Bauch, schnitt - zum Glück _nur_ - in seine Haut wie durch Butter - und doch... Nicome mochte es kaum glauben, aber nur zwei Dinge retteten ihm das Leben: Dass er nicht erneut zu fliehen versuchte, wie Yutonee wohl vermutet hatte, und dass Hisashi auf seine Teilnahme am Selbstverteidigungskurs für Blinde bestanden hatte. Denn so wenig Yutonee die Möglichkeit durch Nico angegriffen zu werden wohl in Betracht gezogen hatte - dass der eingeflügelte Engel ihn nach Art der _Menschen_ angriff hätte er niemals vorhergesehen.

Der Kurzhaarige verschaffte sich ein wenig Luft, indem er Yutonee sein in Flammen stehendes Schwert aus der Hand prellte und ihn mit einem Hebelgriff über seine Schulter warf. Er hörte ein bedrohliches Knacksen und erst jetzt wurde Nico bewusst klar, dass der andere die ganze Zeit mit weit ausgebreiteten Flügeln vor ihm gestanden hatte. Doch, obwohl Yutonee ganz kurz ein leises Wimmern unter den unerträglichen Schmerzen entfuhr, _sah_ Nico mithilfe seines Flügels, wie der Zweiflügelige sofort wieder auf die Beine kam, obwohl ihm soeben beide Schwingen gebrochen worden waren und ihm zusätzlich zu den unmenschlichen Qualen bis auf die seines Schwertes einstweilen jegliche Magie genommen war.

Er erinnerte sich zu gut an den alles vernichtenden Schmerz als ihm eine seiner beiden Schwingen abgehackt worden war und daran, wie er sich jeden einzelnen Sekundenbruchteil, bevor Hisashi ihn gefunden hatte, nur gewünscht hatte endlich zu sterben - und für einen schier endlosen Augenblick bekam der Jüngere Angst vor sich selbst, machte einen unsicheren Schritt zurück, während er leise und ein wenig verzweifelt wiederholte: "_Wofür_?"

"Für deine Sünden und das, was du Michael damit angetan hast", zischte sein ehemaliger Mitschüler hasserfüllt und Nico konnte mithilfe seines Flügels beobachten, wie sich der andere sein - was er zwar nicht spüren konnte, aber _wusste_ - _dunkelblaues, golddurchsetztes_ Blut von den Lippen wischte - denn Nachtblau und Gold waren die Farben des Blutes jener, die noch zwei oder mehr Flügel hatten und Gott folgten. Er registrierte auch, dass der Ältere leicht zitterte, was ob der Schmerzen nur zu verständlich war, doch er war sich ebenso bewusst, dass sein Hass Yutonee jede Stärke geben würde, die er brauchte um Nicome umzubringen, sobald jener auch seinen rechten Flügel verloren hatte.

"Sünde?", wiederholte der Weißhaarige leise. /Ist es das wirklich... ist Liebe wirklich eine _Sünde_?/

"Du bist ein Sünder des Fleisches, der noch dazu Liebe und die Ehre des Himmelreiches, der GOTT verspottet - und das werde ich nicht zulassen! _Niemals_!!"

Nicome sah wie ernst es Yutonee war und doch schlich sich ein nachsichtiges, wenn auch sehr trauriges Lächeln auf seine Lippen: "Du glaubst das wirklich, nicht wahr? Dann... Dann, Yutonee, will ich dir vergeben für das, was du mir angetan hast..."

Er hörte und _spürte_ wie der Engel mit dem brennenden Schwert, welches ihm seinen rechten Flügel genommen hatte, scharf die Luft einsog. "Ich brauche nicht das Mitleid eines Sünders, der nicht die Seele liebt, sondern einzig und allein das Fleisch!"

Für einen Moment war Nicome von der Erschütterung in der Stimme seines Gegenübers überrascht, dann wurde ihm klar, dass es für ihn noch immer wie Spott klingen musste und ihn wohl mehr die Tatsache, dass ein _Sünder_ das Wort _vergeben_ ohne sofortige Strafe in den Mund nehmen konnte, erschütterte, als dass Nico ihm den Verlust seines Flügels nicht länger nachtrug.

Er seufzte leise. "Ach Yutonee... So ist es nicht. Ich liebe weder _nur_ die Seele, noch _nur_ das Fleisch. Ich liebe Hisashi als _Ganzes_. Ohnehin solltest du Lust und fleischliche Liebe nicht verurteilen, denn sie sind wunderschön - und vielleicht ist das auch der Grund, warum sie Engeln verboten ist. Weil sich ihr sonst jeder hingeben und - trotz seiner Himmlischkeit - niemand mehr Gott so folgen würde wie es seine geflügelten Diener tun..."

Yutonee schwieg, doch Nicome spürte den Blick seiner geweiteten Augen auf sich ruhen. Nicos... _Blasphemie_ - wenn man es so nennen wollte und so es denn _überhaupt_ welche war - schien ihm schlicht die Sprache verschlagen zu haben. Da Yutonee noch Kraft sammeln musste und Nico _noch_ keinen Angriff zu befürchten hatte, sprach er ruhig weiter: "Und ist es denn nicht nur wahre Liebe, wenn du deinen Auserwählten - oder deine Auserwählte - völlig und ganz liebst - und ihn akzeptierst für _alles_ was er ist? Wie also kannst du ihn vollkommen lieben, wenn du nur seine Seele verehrst, seinen Körper jedoch als etwas Unreines verstößt? Ist die wahre Liebe nicht das Ideal der völligen Vollkommenheit für uns? Wie kannst du dann von Liebe reden, wenn du nur der Seele das Recht der Vollkommenheit zusprichst? Warum hat Gott uns eine Hülle und die _Möglichkeit_ zu dieser Art der Liebe, die du so sehr verachtest, gegeben, wenn nicht auch sie rein sein können soll?"

Das war zuviel für Yutonee.

"SCHWEIG!", schrie er, hatte plötzlich sein Schwert wieder in der Hand, und griff praktisch ohne Vorwarnung an.

Nicome ließ sich ohne nachzudenken fallen und rollte sich im selben Augenblick, da er auf den Boden auftraf, ab und hechtete zur Seite, um praktisch sofort wieder fest auf beiden Füßen zu stehen.

Etwas wie Panik stieg in ihm auf. Er hatte selbst in Anbetracht des brennenden Schwertes die weit größeren Chancen, aber /ICH WILL IHN NICHT TÖTEN!/ Doch so wie es aussah, würde Yutonee ihm gar keine andere Wahl lassen, wenn er _leben_ wollte.

Dann plötzlich änderte sich etwas.

Er hörte ein aufgeregtes Rufen, noch weit entfernt, doch er kannte die Stimme des Rufenden - er spürte Hisashis Herannahen.

Noch bevor der Schwarzäugige reagieren konnte, war Nico herumgewirbelt und rannte so schnell ihn seine Beine trugen. Er konnte nicht kämpfen, wenn Hisashi in der Nähe war, bestand doch die Gefahr, dass er versuchen würde, Nico zu helfen und dabei schlicht und einfach _aus Versehen_ verletzt wurde... Er wusste jedoch, dass Yutonee seinen Geliebten zumindest nicht willentlich verletzen konnte und er nun, da die Flügel des anderen mindestens drei Tage nur nutzloser Ballast für den anderen Engel waren, gute Chancen hatte zu entkommen.

Nein, er hatte nicht nur gute Chancen, er _musste_ entkommen und er _würde_ - für Hisashi.
 

Längst war seine einstmalige Selbstsicherheit dieses ungleiche Wettrennen zu gewinnen in nackte Angst umgeschlagen. Erinnerungen holten ihn ein, die noch zu frisch waren, als dass er sie ignorieren und verdrängen konnte. Trotz des Wissens um Yutonees gebrochene Flügel wartete er jede Sekunde darauf, dass der schwarzäugige Engel wie ein Falke vom bereits dunklen Himmel stieß und seine Beute erlegte.

Doch nichts geschah.

Nicome rannte bis er nicht mehr konnte und als er sich schließlich in einer kleinen, schmutzigen sowie namenlosen Gasse zwischen Häusern mit blinden oder zerstörten Fenstern und Türen einfach zu Boden fallen ließ, sich erschöpft gegen eine kalte, von Ruß geschwärzte Hauswand lehnte, die Knie eng an den Körper gezogen und von seinen schmalen Armen umschlungen, schienen mit einem Mal alle Kraft, jeglicher Mut, ja die Hoffnung selbst aus ihm zu weichen - in den Tränen gelöst, die stumm über seine Wangen perlten und zu Boden fielen.

Er schluchzte leise, wiegte sich wie ein kleines verängstigtes Kind immer wieder hin und her und wünschte sich nichts mehr als seinen Geliebten zu sich, damit er in dessen Arme sinken und wieder ihre sanfte, Geborgenheit versprechende Wärme genießen durfte und wusste doch gleichzeitig, dass er jetzt nur noch eine _Gefahr_ für Hisashis Leben darstellte, welches zu beschützen er sich bei allem was ihm wichtig war geschworen hatte.

"Shi...", drang es immer wieder schwach zwischen seinen Lippen hervor bis er in eine allumfassende Schwärze hinabglitt, von der er nicht wusste, ob sie Schlaf oder Bewusstlosigkeit bedeutete. "Hisashi..."

Er spürte nicht mehr wie sich ein Gemisch aus sanfter Wärme und sanfter Kühle um ihn legte, Feuer und Wasser zugleich, ihn abschirmte von fremden Blicken und langsam aber stetig seine Wunden berührte und heilte.

ACT SIX

Kommentar: Gehört hab ich dieses Mal Within Temptation, A Perfect Circle, HIM und Apocalyptica. Auch wenn bei Letzteren das Meiste des Albums "nur" instrumental ist, liebe ich diese vier >.< Und Bittersweet ist doch echt der Hammer >.< Waah ich krieg immer eine Gänsehaut, wenn ich Valos dunkle Stimme und dann mitten im Lied diese höhere Stimme von ihm höre *schauder* Waaahnsinn! Ich finde aber irgendwie auch, dass das Lied gut zu OW passt... am besten vielleicht zu meiner hier dargestellten Version von Gott, so wie er sich nach Lucifer sehnt... Hm ja, das könnte passen... Aber eigentlich finde ich ja eh, dass das ganze Album von der Stimmung her irgendwie passt... ach es ist einfach gute Musik, was soll man da noch sagen ^-^

Tut mir Leid dass ich so lange gebraucht habe, um diesen Teil zu schreiben, aber ich war ja dauernd krank oder hatte Stress und musste/wollte ja dann erst einmal Absolutely Black Rain fertig kriegen, weil ich an einer Stelle diesen Kapitels lange zu knabbern hatte. Ich wusste zwar wie es weitergehen soll, aber nicht wie ich das in Worten umsetzen soll, habe zig Varianten ausprobiert und mit keiner war ich zufrieden... Nun ja ich hoffe ich habe jetzt doch die richtige Lösung gefunden und dass es euch gefällt natürlich auch. Also viel Spaß beim Lesen und schreibt mir doch Mal ein kleines Feedback, damit ich weiß ob jetzt letztendlich alles zusammen passt oder doch nicht.
 

ACT VI
 

Volume I
 

Hisashi rannte so schnell er konnte und war im Moment äußerst dankbar für seine durch das Joggen antrainierte Kondition, denn diese würde er eindeutig auch brauchen: Er konnte Nicos Gefühle spüren, seine Angst und Verzweiflung, _hörte_ ihn seinen Namen rufen - immer und immer wieder. Der junge Mann wusste nicht wie dies möglich war, aber solange es möglich _war_, interessierte es ihn auch herzlich wenig. Längst wusste er, dass Nico kein gewöhnlicher Mensch war und vielleicht auch _überhaupt kein_ Mensch. Die leise, stetig lauter und klarer werdende Stimme in ihm blieb dabei, dass er jenen _Traum_ damals nicht von ungefähr gehabt hatte, ebenso wie es kein Zufall sein konnte, dass er immer wieder diesen wunderschönen weißen Flügel aus Nicomes Schulterblatt ragen sah, wenn ihre Körper es ihren Seelen gleichtaten und sich vereinigten oder mittlerweile sogar auch noch in ganz anderen, beinahe alltäglichen Situationen, in denen er sich dem Kleineren einfach nur nahe fühlte.

Er hechtete geradezu um die nächste Ecke und stolperte, als er vor dem Anblick, der sich ihm bot, erschrocken zurückprallte.

Dann beruhigte er sich zumindest halbwegs wieder, da er nur Sekundenbruchteile später seinen Irrtum erkannt hatte: Dieses... Wesen, dieser... Engel (?), der dort mitten auf dem verwaisten Gehweg lag, mit gebrochenen Flügeln und einer blaugoldenen Flüssigkeit, die wie Blut aus unzähligen Wunden floss und langsam aber sicher den steinernen Boden unter ihm bedeckte... - es war _nicht_ Nicome. Allein die Flügel hatten ihn einen Augenblick lang irritiert, aber es blieb dabei: Sein Nico hatte keine _zwei_ Flügel - wenn er denn überhaupt welche hatte und Hisashi nicht einfach nur halluzinierte - und auch kein abwechselnd von schwarzen und weißen Strähnen durchzogenes Haar, sah überhaupt ganz anders aus und strahlte auch eine ganz andere... Aura aus.

Unsicher blieb er einen Moment stehen. Vielleicht war dieser... dieses _Etwas_ ja ein Freund seines Lieblings und konnte ihm sagen, wo jener sich befand?

Vorsichtig kam er näher und beugte sich zu dem vor Schmerzen winselnden Geschöpf, dem hyazinthenblaue Tränen über die Wangen rannen, berührte... ihn/sie/es mit den drei mittleren Fingern seiner Rechten.

"Ich...", Hisashi wusste nicht, was er sagen oder fragen sollte, aber das musste er auch nicht - denn bevor er überhaupt _irgendetwas_ tun konnte, fuhr die wimmernde Gestalt heftig zusammen, streckte erschrocken die Hände von sich und in Hisashis Richtung. Jedoch nicht etwa, um ihn von sich wegzustoßen, sondern um... ihn anzugreifen. Ähnlich wie Michael anno dazumal die roten Nebelkugeln auf Nico losgelassen hatte, schossen von einer Sekunde auf die andere gelborange Kugeln wie durch ein unsichtbares Gefäß in Form gebrachte Lava auf ihn zu, ließen ihm gerade noch die Zeit, seine gekreuzten Handgelenke mit den abwehrend aufgerichteten Handflächen schützend vor sein Gesicht zu heben, und dann...

Eine unglaubliche Explosion, gleich dem Urknall selbst, konzentriert auf weniger als drei Meter ging hoch - und Hisashi war mittendrin. Er glaubte zugleich erblindet, verstummt und ertaubt zu sein. Oder nein, eigentlich glaubte er gar nichts, hatte nicht einmal die _Chance_ auch nur zu _denken_.

Plötzlich hörte er einen Schrei, jedoch nicht aus seinem eigenen Munde. Irgendwie schaffte er es die schützend geschlossenen Augen aufzubekommen und erneut versuchte sein Verstand, sich ins Nichts abzuseilen.

Die Annahme, er sei _mitten in_ der Detonation war zwar richtig, aber vielleicht nicht ganz vollständig. Um genau zu sein, war er nämlich der _Mittelpunkt_ selbst. Nahe seiner Haut, scheinbar etwas dichter wie eine Art Nebel und fast als wäre es verdunstendes Blut, das aus jeder einzelnen Pore seines Körpers drang, umgab ihn dunkelrotes Licht, dass von Hisashis Körper weg in allen Farben des Spektrums gebrochen wurde und eine Art Ball bildete, der wie eine Sonne so starkes reines Licht abgab, das jedem, der außerhalb stand wie eben dieses junge Wesen, jegliches Sehen unmöglich machte - und nicht nur das.

Fassungslos ließ er die Hände sinken, während gleichzeitig die Nova um ihn herum abschwächte und schließlich ganz verschwand. Nur ein erstarrter Junganwalt, der sich gerade in einen Science-Fiction-Film versetzt fühlte, und ein lebloser, beflügelter Körper, der auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte, blieben zurück.

Entsetzt berührte er erneut das Wesen, das Nico so ähnlich und doch ganz anders zu sein schien, spürte zu seiner Erleichterung, wie das Blut unter der dünnen, elfenzarten Haut heftig pulsierte. Ohne nachzudenken lud er sich das unbekannte Geschöpf auf die Arme, war nicht wirklich überrascht, dass es ebenso leicht wie Nico war - nämlich _viel_ zu leicht für einen Körper mit diesen Maßen.

Dann begannen sich seine Beine wieder wie von selbst in Bewegung zu setzen, Nicos _Ruf_ zu folgen.
 

Volume II
 

Michael fuhr zusammen.

Gerade eben hatten sie den Schutzbann um Nicome zuende gewoben, als er die Augen auf unnatürliche Art verdrehte und am Rande einer Bewusstlosigkeit, benommen und eine ganze Ewigkeit lang nicht mehr ansprechbar, zu Boden sank, Gabriel in seiner Angst und gequält vom Ungewissen fast in den Wahnsinn trieb.

"Gab... riel...", stöhnte Michael kaum lauter als ein leiser Windhauch, mehr zu erahnen als wirklich hörbar.

"Ich bin hier, Schatz", flüsterte er sanft, versuchte vergeblich den bebenden Körper und die völlig verängstigte Seele zu beruhigen. "Was ist geschehen?"

"Ich... bin... mir nicht... sicher... Hitze... plötzlich diese unglaubliche... Hitze... heißer als Gottes Zorn, alles niederbrennend und vernichtend und gleichzeitig so... schön... so unendlich süß... so süß, dass es schmerzt... so unglaublich schmerzt, dass man glaubt... bei lebendigem Leibe verglühen zu müssen und... trotzdem nicht will, dass es aufhört...", flüsterte der Braunhaarige, immer noch mehr bewusstlos als bei Sinnen.

Unsicher starrte das Wasser in Person auf seinen ganz persönlichen Engel hinab. Wusste Michael was er sprach oder redete er in diesem Augenblick nur wirres Zeug?

"Es hat irgendeinen meiner... Schützlinge getroffen, aber... ich habe ihn verloren..."

Erschrocken starrte er auf die roten Lippen. "Du meinst, er ist tot?"

Leicht bewegte Michael den Kopf nach rechts und links um ein Kopfschütteln anzudeuten. "Der Kontakt zu ihm... ist abgebrochen... aber er ist nicht... gestorben... Das hätte sich anders angefühlt..." Endlich schlug der Engel des Feuers wieder die Augen auf, versteckte nicht länger das wunderschöne Gold hinter den leicht flatternden Lidern.

Gabriel nickte langsam und als Michael ihm die Hand reichte wollte er diesen schon wieder hochziehen, doch er kam gar nicht dazu, wurde stattdessen nach unten gezogen. Verwirrt spürte er, wie Michael all seine noch übrige Kraft sammelte um einen kleinen, aber starken Bannkreis um sie zu errichten, riss die Augen auf, als sein Liebling hastig flüsterte: "Der Schlüssel. Es war der Schlüssel, Gabriel, ich bin mir sicher!", bevor der Bannkreis mangels genügend Energie seines Errichters auch schon wieder in sich zusammenbrach.

"Bist du sicher?", flüsterte er.

Michael nickte stumm, wisperte noch leise, "Ich bin so müde... lass mich ein wenig schlafen, ja?", und verlor das Bewusstsein.
 

Volume III
 

Keuchend lief er durch die Straßen, rannte bis über die Grenze der Erschöpfung hinaus. Langsam begann sich selbst das Fliegengewicht dieses fremdartigen Jünglings in seinen Armen bemerkbar zu machen und er war sich auch nicht sicher wie lange er noch würde rennen können, bevor er Seitenstechen bekam und so bald darauf gezwungen sein würde, langsamer zu laufen.

Zwar spürte er seinen Geliebten schon ganz in der Nähe, jedoch waren die Gassen immer enger und verstrickter geworden und auch die Gegend stand, dem Stadium ihres Verfalls nach, jener, in der er einst den weißhaarigen Jungen gefunden hatte, der sein Leben ändern sollte, in keinster Weise nach.

Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, als er an der nächsten Kreuzung abzweigte: Das was er sah war zu überwältigend, als dass man nicht einige Sekunden benötigte, es aufzunehmen und zu verarbeiten.

Sehr langsam setzte er sich wieder in Bewegung, näherte sich vorsichtig jener vertrauten Gestalt, welche von einem Energieball umgeben war, ähnlich einer Seifenblase aus Feuer und Wasser zugleich, der jenem, welchen Hisashi offensichtlich aus Selbstschutz erzeugt hatte (auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, woher diese... _Gabe_... auf einmal kam und wie er sie überhaupt benutzt hatte), ganz ähnlich war. Aber zugleich war er auch viel... sanfter!? Die reine Magie um sein blindes Engelchen strahlte selbst bis zu Hisashi, der gerade wieder stehen geblieben war, um den Knaben auf seinen Händen vorsichtig auf den Boden zu legen. Sie fühlte sich jedoch alles andere als bedrohlich, viel mehr sanft, heilend und freundlich an - einfach _schützend_.

Angespannt trat er auf das magische Gebilde zu, wie man auf ein wildes Tier zuging, dass eigentlich scheu und zahm war, in der Panik aber leicht zu einem tödlichen Biest werden konnte.

"Nico?", fragte er leise, doch sein Kleiner schlief entweder oder aber er hatte das Bewusstsein verloren: Gleichmäßig hob sich die schmale Brust, um die Lungen mit Luft zu füllen und wieder freizugeben. Die zarten Lippen standen leicht offen und bewegten sich manchmal als würde er im Schlaf reden.

Noch einmal atmete er tief durch, dann streckte er seine Fingerkuppen nach dem wärmenden, bunten Lichtnebel aus, dazu bereit, sie jederzeit hastig zurückzuziehen.

Zu seinem Erstaunen wurde er jedoch nicht abgestoßen, so wie der Junge mit dem schwarzweißen Haar und den gebrochenen Flügeln. Viel mehr glitt seine Hand mit einer Leichtigkeit hindurch als würde sie im Gegenteil sogar ein wenig hineingesogen.

Alle Zweifel beiseite schiebend betrat er also schließlich das unirdische Gebilde. Er verspürte ein leichtes Ziehen in seinem Körper und gleichzeitig ein Gefühl als würde er sehr langsam durch ein sehr feines Sieb, gleich einem Seidenschleier, gehen, das ihn Zelle für Zelle geduldig auseinander nahm und neu ordnete. Hisashi _spürte_, dass er ein anderer Mensch war, als er endlich bei Nicome angelangt dessen feine Haut berührte, tatsächlich ein leises Murmeln vernahm, denn der Kleine wisperte beständig seinen Namen, geradeso wie ein Mantra.

Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er sanft durch das dichte, silbrig glänzende Haar fuhr.

"Wach auf, Liebling, du wirst dich sonst erkälten!", flüsterte er ihm liebevoll ins Ohr, bedeckte den einladend rosigen Mund mit zärtlichen Küssen, wartete geduldig auf eine Reaktion, während er die elfenhaft zarte Gestalt in die Arme schloss und beschützend an sich drückte.

Und schließlich hob Nicome tatsächlich sehr langsam die Lider, so als fiele es ihm unendlich schwer, blinzelte ein wenig, bevor er sie wieder schloss, dafür jedoch seine Hand hob um die kalten Fingerkuppen über Hisashis Gesicht huschen zu lassen.

"Shi... Bist du es wirklich?", kam es leise und verunsichert, als habe er nicht damit gerechnet, ihm je wieder zu begegnen.

"Ja, Nico, ich bin es."

Der schöne Jüngling ließ die Hand sinken, doch ihr Zittern entging Hisashi nicht. "Sh... Es ist alles wieder gut, hörst du?"

"Aber... was ist mir dir? Du... bist ohne Schwierigkeiten durch diesen... Schutzbann hindurchgekommen, obwohl du ihn und mich nicht einmal sehen dürftest! Du hättest zumindest beim Betreten verletzt werden oder den Bann ausgelöscht haben müssen und du... _leuchtest_!", widersprach sein Schatz aufgeregt und doch verunsichert, strich dieses Mal über die Unterarme sowie Hände des Grünäugigen. Zu seiner maßlosen Überraschung entdeckte jener aber auch einen grünlichsilbern schimmernden Lichtnebel um die Finger des anderen, sah wie kleine elektrische Entladungen zwischen ihnen hin und her wechselten, ohne dass sich auch nur ihre Fingerspitzen berührten oder es auf irgendeine Weise unangenehm gewesen wäre. Im Gegenteil kitzelte und kribbelte es sogar leicht auf seiner Haut, wie ein angenehmer Schauer, der den Rücken hinablief.

/Woher weiß er, dass ich leuchte? Das kann er doch nicht sehen.../, überlegte er einen Moment erstaunt, sparte es sich aber einstweilen nachzufragen. Er hätte Nico ja doch nur in Verlegenheit gebracht und im Augenblick wohl auch nicht die Wahrheit erfahren.

"Ich weiß", erwiderte er daher schlicht, schauderte leicht als Nico die Hände in seinem Nacken verschränkte, um sich eng an ihn zu drücken, geradeso als wolle er sich in Hisashi verkriechen wie in einem schützenden Schneckenhaus.

"Aber... warum?", fragte er, schien fasziniert von seinem leuchtenden Liebhaber, dessen Licht auch eine leichte, angenehme Wärme abstrahlte.

Der Schwarzhaarige zuckte unschlüssig mit den Schultern. "_Das_ ist eine der Dinge, die ich leider _nicht_ weiß... aber vielleicht... vielleicht _will_ ich es auch gar nicht wissen... Würde es denn etwas ändern?"

Langsam schüttelte sein blinder Freund den weißen Schopf. "Nein. Es hat mich nur so überrascht..."

"Du meinst, so wie du mich jeden Tag überraschst?", fragte er und wagte es zum ersten Mal Nicos Flügel zu berühren.

Die Federn sahen aus wie die eines Falken, nur eben in einem strahlenden, reinen Weiß und zudem so flaumig weich wie die Daunen eines jungen Küken. Ein Schauer voller Wärme durchlief Hisashi, erfüllte ihn mit einem nicht greifbaren Wohlgefühl, das ihn leicht erbeben ließ. Er konnte ihn _wirklich_ fühlen und damit wusste er, dass es keine Halluzination war, dass er sich all die Male nicht getäuscht hatte. Aber es machte ihm auch nichts aus. Sein Herz gehörte Nicome und da war es egal, ob er ein Engel, ein Dämon oder doch etwas völlig anderes war.

Nico jedoch zuckte erschrocken zusammen.

"Entschuldige!", rief der Grünäugige, fast noch mehr erschrocken, und zog seine Hand hastig zurück. "Habe ich dir wehgetan?"

Wie benommen schüttelte sein Engel den Kopf, öffnete die Augen und richtete die milchigweißen Perlen, die ihn, obwohl sie nicht sehen konnten, trotzdem zu erfassen schienen. "Du... siehst... ihn?", krächzte das geschwächte Bündel in seinen Armen hörbar erschüttert.

"Aber ja... schon lange", bestätigte er verwundert.

"Du... wieso... das hast du niemals gesagt!!"

"Weil...", begann Hisashi überrascht von der heftigen Reaktion, "...du hast nie gefragt und ich dachte es sei normal - nun ja, jedenfalls so normal wie es eben sein kann, das man am Schulterblatt seines Geliebten noch einen Engelsflügel sieht..."

"Shi...", wisperte der Silberschopf, strich mit seinen Händen sanft über das Gesicht des jungen Anwalts, hielt jedoch den Kopf gesenkt, so als wolle er einen von Hisashis Hemdknöpfen bewundern.

"Ja, Liebling?", versuchte der Angesprochene ihn sanft zum Weiterreden zu bewegen.

"Du bist so ein Idiot..."

Hisashi blinzelte verdutzt, verzog dann schmollend den Mund.

"Ein Idiot, der dich liebt, falls du es vergessen hast! Also wirklich! Da macht man sich wahnsinnige Sorgen und dann..."

"...stürzt man sich in Lebensgefahr. Ist es das, was du sagen wolltest?!", rief sein Engel anklagend, streckte den Flügel aufgeregt noch etwas in die Höhe. "Egal, was du getan hast, es war bestimmt kein Honigschlecken!! Wie konntest du dich in solche Gefahr begeben? Du weißt doch gar nicht was hier gespielt wird!"

"Ich sage es gern noch einmal, Nicome: Ich liebe dich. - Und das ist alles was ich wissen muss", erwiderte Hisashi ruhig und küsste die glatte Stirn.

"Idiot", hauchte Nicome leise, hob den Kopf und noch bevor Hisashi besorgt sein konnte, wegen den Tränen der Rührung, die über die schneeweiße Haut perlten, drückten sich zwei weiche Lippen noch zaghaft und doch liebevoll auf die seinen.

"Vielleicht", murmelte der Schwarzhaarige an den kleinen Mund. "Aber wenigstens bin ich _dein_ Idiot, mein Engel..."

Buch III

ONE WING
 

DRITTES BUCH
 

one last breath
 

"One last breath
 

Please come now I think I'm falling

I'm holding on to all I think is safe

It seems I found the road to nowhere

And I'm trying to escape

I yelled back when I heard thunder

But I'm down to one last breath

And with it let me say

Let me say
 

Hold me now

I'm six feet from the edge and I'm thinking

That maybe six feet

Ain't so far down
 

I'm looking down now that it's over

Reflecting on all of my mistakes

I thought I found the road to somewhere

Somewhere in His grace

I cried out heaven save me

But I'm down to one last breath

And with it let me say

Let me say
 

Hold me now

I'm six feet from the edge and I'm thinking

That maybe six feet

Ain't so far down"
 

~Creed~

ACT SEVEN

Kommentar: Dieses Kapitel widme ich all meinen "Haustieren", aber besonders dem Chibiwölfchen (LM3 ist soo schön und das süße Kätzchen sitzt jetzt auf meinem Monitor damit ich es immer sehe - danke!!! *.*), meinem Flatterkätzchen (*flausch* danke für die CD - das Zwei-Seiten-Bild hängt leider noch nicht... begleitet mich aber jeden Tag in meiner Zeichenmappe ^^) und auch dem Baumwollschäfchen ^^ Ihr wart sooo süß >.<

Außerdem meinem Hofzeichna Leza (*flausch* hoffe, es ist wieder schön in Japan - aber komm bald zurück), Musics (du wirst Kay mit deinem Geknipse irgendwann noch Konkurrenz machen *auf ihre Fotos starr und sie schnell wegsperr*) und last but NOT least: meinen Betas Netti, Loony und Nele ^^

BGM war Ellegarden, X-Japan, Creed, Nightwish, Rosenstolz, Alanis Morissette (alles abgespielt mit einem wunderschönen Shounen-Ai-Winamp-Skin von Yami no Matsuei *schwärm* wer von euch ebenfalls winamp hat und benutzt, muss sich den unbedingt mal anschauen! Er heißt "YnM - Toxic Romance", aber ich hab auch noch einundreißig andere ^^° sehr schön finde ich da auch "Desert_of_the_GAARA", "QUINCY_ARCHER" und "Last_Scene". Die findet man alle bei den Skins im Ordner "Animation" oder so ähnlich)
 

"Gesprochen"

/Gedacht/ (Im Zwiegespräch mit sich, kennzeichnet das "-" die Sätze der "inneren Stimme")

_betontes Wort_
 

ACT VII
 

Volume I
 

"Lass uns gehen... Das ist nicht der richtige Ort für kleine süße Engelchen wie dich!" Lächelnd strich er einige der silberweißen Strähnen aus Nicomes Gesicht und stand dann langsam auf. "Sonst erkältest du dich wirklich noch..."

Aber der hatte in jenem Augenblick ganz andere Sorgen. "Wa-was hast du... gesagt?"

Der Jüngere spürte, wie seine Wange gestreichelt wurde, der irritierte Hisashi ihn dann langsam auf die Beine zog, nur um Nico gleich darauf in seine starken Arme zu ziehen und sanft an sich zu drücken.

"Was meinst du?", fragte er leise und hörbar ahnungslos.

"Nichts!" Seufzend schüttelte er den weißen Schopf und testete etwas unsicher, ob seine Beine ihn auch ohne Shis Hilfe trugen. /Du solltest aufhören, an jeder Ecke Gespenster zu sehen! Er nennt dich doch ständig seinen Engel und außerdem kann er Gott weiß warum den Flügel sehen!/, schallte er sich, rief damit jedoch nur eine Stimme in seinem Hinterkopf auf den Plan: /Ach, und Yutonee war auch bloß ein böser Geist, oder wie?/

Störrisch schüttelte er den Kopf um die Stimme zu vertreiben und sich wieder auf seinen Geliebten konzentrieren zu können.

"Wohi-", mit einem entsetzten Keuchen prallte er zurück. "Nein... Da-das... kann doch nicht-"

Seine Stimme versagte, panisch krallte er seine Finger in Hisashis Arm fest.

"Nicome?", sofort sah der Schwarzhaarige ihn scharf und besorgt an, berührte seine Hand. "Was ist mit dir?"

Als sein Geliebter nicht reagierte, folgte er dessen Blick - rein theoretisch eine völlig unsinnige Handlung bei einem Blinden, nur _praktisch_ eben nicht... Denn zielsicher hatte der Weißhaarige den erbärmlichen Anblick des besinnungslosen Bündels gefunden, das fast von der teils rot[1], teils schwarz gefärbten Haarpracht begraben wurde wie von einer schweren Decke - jedenfalls nahm Hisashi an, dass es gefärbt war, denn, so natürlich die Farben auch wirkten, wer hätte je von einem Mensch mit solcher Naturhaarfarbe gehört?

"Oh", machte der Ältere nur, gestand dann beschämt: "Er war schon so als ich ihn gefunden habe - ich dachte, er könnte vielleicht ein Freund von dir sein, weil er auch Flügel hat und... jetzt hab ich ihn tatsächlich vergessen vor lauter Sorge um dich."

Denn ohne sagen zu können, warum, war er sich sicher, dass sein Schatz dieses menschenähnliche Wesen wenn nicht mit den Augen, so doch auf irgendeine andere Art wahrnehmen konnte. Es hätte ihn kaum noch gewundert, nachdem der Jüngere von einem Schutzbann gesprochen und Hisashi selbst eine Art kleine Supernova erzeugt hatte, ohne je gewusst zu haben, dass er so etwas überhaupt konnte. Und schließlich war der Kleine auf dem Boden schon der zweite, bei dem Hisashi Flügel wahrnahm.

Dennoch schwieg Nicome noch immer, was Hisashi nun doch zu beunruhigen begann, machte nur einen einzelnen Schritt auf das bewusstlose Geschöpf zu.

"Du kennst ihn wirklich?", vermutete der Anwalt mit scharfem Blick.

Erst jetzt reagierte sein persönlicher Engel, wandte den Kopf leicht, wenn auch nicht vollends in seine Richtung, nickte in genau jenem Moment schwach, als ein leises Stöhnen den zitternden Lippen entfuhr.

- - - - - -

[1] Mir ist in Act VI ein Fehler unterlaufen *schäm* Yutonee hat natürlich rot-schwarzes und nicht schwarz-weißes Haar... *noch mehr schäm* das kommt davon, wenn man x Stories mit unzähligen Engeln drin schreibt... man bringt sie ganz ungewollt durcheinander, besonders wenn sie sich ähnlich sind...
 

Volume II
 

Ängstlich zuckte Nicome zusammen, fuhr keine Sekunde zu früh herum.

Er hörte nur noch ein leises Wimmern, dann spürte er die Druckwelle auf sich und Hisashi zurasen. Ohne nachzudenken warf er sich vor seinen Liebling und wehrte den Angriff ab.

Es gelang ihm mühelos, denn auch wenn es ihn überraschte, dass Yutonee mit gebrochenen Flügeln überhaupt noch zu ein wenig Magie fähig war, war diese doch nur noch ein sehr schwacher Abglanz von jener Macht, die sich der Zweiflügelige angeeignet hatte, um so schnell ein guter Racheengel und Offizier der Himmelsarmee zu werden.

Hisashi jedoch keuchte erschrocken auf, während der schwarzäugige Engel bereits wieder in Ohnmacht fiel. Die Anstrengung war einfach zuviel für ihn gewesen.

Heftig wurde er von Hisashi zurückgerissen, als er einen weiteren Schritt auf Yutonee zu machen wollte.

"Warte, Nicome! Wer ist er? Dein Feind?", rief der Grünäugige entgeistert.

Verwundert hob der Angesprochene den Kopf. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment, er könnte Shis Augen sehen, um dessen Gefühle in ihnen zu lesen. Das Gefragte konnte doch nicht alles sein, was er wissen wollte! Nicome hatte alle Vorsicht in den Wind geschrieben, um Hisashi zu schützen und seine verbliebene Magie zu nutzen. Wenn Hisashi den Schutzbann und die Flügel sah, dann _musste_ er auch die beiden unterschiedlich gefärbten Druckwellen gesehen haben, die Nico nur noch spüren konnte.

Und doch... er stellte keine Fragen.

"Ich sage es gern noch einmal, Nicome: Ich liebe dich. - Und das ist alles was ich wissen muss", hatte Shi gesagt - und er schien es wirklich ernst zu meinen.

Eine ungeahnte Wärme durchströmte ihn in jenem Augenblick. Zum ersten Mal konnte er bewusst fühlen, dass er anders war als die anderen Engel, die er kannte und - heftig drehte er sich um, lief zu Yutonee und besah sich sein Blut.

Es war fast golden, das Nachtblau, welches normalerweise überwog, allenfalls zu erahnen, auch wenn es langsam wieder zurückzukehren schien. /Also haben Uriel und Raphael die Wahrheit gesagt.../

Dann atmete er tief durch und stand auf, trat zu Hisashi, der ihm sofort gefolgt war, legte seine Hand beruhigend auf Hisashi Brust, spürend wie schnell jenes wundervolle Herz schlug, das er liebte. "Nein...", antwortete er langsam auf die Frage des Grünäugigen, schüttelte bedächtig den Kopf.

"Aber er...", begann Shi hilflos und ungläubig zu protestieren, doch Nicome unterbrach ihn sanft, indem er seine Finger auf die weichen Lippen legte, dann ernst erwiderte: "Er ist nicht _mein_ Feind... Er ist sein eigener..."

"Wie?" Sein Geliebter schwieg völlig ratlos.

"Können wir ihn mitnehmen... bitte? Nur für einen Tag? Es passiert auch bestimmt nichts mehr - ich verspreche es dir! Er wird die ganze Zeit nur schlafen und-"

Nicome hörte wie Hisashi seufzte, fühlte kaum eine Sekunde später dessen weichen Mund. "Schon gut", murmelte der Schwarzhaarige an seine Lippen, dann verfolgte der ehemalige Engel mithilfe seines sechsten Sinnes wie sich sein Mensch den bewusstlosen Yutonee auf die Arme lud. "Komm...", sagte er einfach und setzte sich daraufhin langsam in Bewegung.

Fassungslos lief Nicome ihm hinterher, bekam kein Wort heraus vor Überraschung. /Er hat gar nichts dazu gesagt. Schon wieder nicht!/

"Warum... warum fragst du nicht?", sprach er seinen Gedanken schließlich unsicher aus, als er endlich auf gleicher Höhe mit seinem Geliebten lief.

"Weshalb sollte ich?", kam prompt die Gegenfrage.

Hilflos zuckte der Weißhaarige mit den Schultern. "Na, weil... das alles...", versuchte er auszudrücken, was er meinte, stockte aber gleich wieder.

"...ist so wie es ist und ich kann es nicht ändern", führte Hisashi seinen Satz weiter. "Was ich jedoch ändern kann, ist, dich von hier wegzubringen und dich dahin zu stecken, wo du hingehörst - in ein schönes warmes Bett!"
 

Volume III
 

Angestrengt versuchte Yutonee jeden Schmerzenslaut zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht. Der Schmerz, der ihn erfüllte, war so unerträglich, dass man ihn beim besten Willen nicht verdrängen, geschweige denn ignorieren konnte.

"Gott, hilf mir", flüsterte er leise und versuchte die bleischweren Lider zu heben, um zu sehen, wo er war.

"Der Herr ist nicht bei uns, Yutonee. Nicht mehr...", sagte eine ihm seltsam vertraute Stimme leise. "Der, den du nun Gott nennst, ist nicht mehr der, dem du deine ewige Treue und Liebe geschworen hast..."

Entgeistert schlug der Engel mit den gebrochenen Flügeln die Augen auf. "Nicome!", rief er erstickt, als er den Weißhaarigen erblickte, der mit seinen blinden Augen auf ihn hinabsah, während er mit einem feuchten Lappen über Yutonees Stirn strich.

Der Ältere nickte leicht, befeuchtete behutsam seine Wangen. "Ja", wisperte er schließlich und ließ seine Hand sinken, vergrub die Finger tief in dem feuchten Stoff.

Der Schwarzäugige schluckte mühsam, hielt verstört den Atem an. Es war als hätte man ihm das Herz herausgerissen und ein neues eingesetzt, er verstand sich selbst nicht mehr.

Warum traf es ihn auf einmal, als der leere Blick dieser milchigweißen Perlen unstet umherirrte? Warum zuckte er zusammen, wann immer er von ihm gestreift wurde, als hätte man ihm einen Speer aus reinem Feuer in die Brust gerammt??

...was war es, was ihm den Atem nahm, hektisch doch erfolglos um Luft ringen ließ, als ihm klar wurde, dass sich Nicome um ihn, ausgerechnet um _ihn_ kümmerte?

Nein, nicht Nicome - _Sanami_! Der Engel, der zusammen mit ihm gelernt, mit ihm gelacht und manchmal auch geweint hatte. Sein Freund.

Der einzige, den er je gehabt hatte...

Yutonee begann zu zittern. /Nein, dass... er ist ein Verräter, er... er.../ Bebend versuchte er sich hochzustemmen, um von Sanami wegkriechen zu können, wollte einfach nur weg von dem Kurzhaarigen - egal wie, solange er nur _jetzt sofort_ von hier wegkam. Doch mit seinen Flügeln war auch jegliche Kraft in ihm gebrochen, jeglicher _Wille_.

So brach er wimmernd zusammen, die Finger lagen zuckend auf dem weichen Bett, als eine Welle heißen Schmerzes über ihm zusammenschlug, ihn mit sich in die Tiefen der Unendlichkeit riss.

Er wollte schreien, weinen, irgendetwas, doch nicht einmal dazu hatte er noch Kraft. So schloss er die Augen, versuchte den letzten Ausweg zu nehmen, den er sah, versuchte sich in die hintersten Winkel seiner Selbst zu verkriechen.

Niemals! Niemals würde er sich von Sanami-

Und plötzlich schien die Zeit von vorne anzufangen, das Meer des Vergessens begann sich vor ihm zu teilen, bis er an das andere Ufer blicken konnte und auf einmal Jahrhunderte ungeschehen waren, vor ihm die Bilder seiner Vergangenheit erschienen. - _Ihrer_ Vergangenheit.

"NEIN! FINEE, DU DARFST DICH NICHT BEWEGEN!!", hörte er Sanami erschrocken rufen, spürte wie er mit sanfter Gewalt hektisch wieder auf dem Bett zurecht gerückt wurde. Willenlos ließ er es geschehen, gleich einer Puppe, nur noch eine Hülle und vollkommen leer, seine Augen wurden stumpf.

Er hatte es gehört, hatte gehört, wie etwas in ihm zerbrochen war, als Sanami seinen alten Rufnamen ausgesprochen hatte. Der Weißhaarige selbst hatte ihn einst gewählt, da er der Meinung gewesen war, dass "kleine Narzisse" besser zu dem Rotschwarzhaarigen passte, als "schwarze Narzisse", die Bedeutung seines wahren Namens. Yutonee hatte sich damals nicht einmal an dem "klein" gestört, obwohl er nur geringfügig jünger war, körperlich sogar größer. Er hatte ja gewusst, dass Sanami ihn so nannte, weil er ihn einfach gern hatte.

Doch diesen Namen nun wieder zu hören, ausgerechnet jetzt...

"_Warum_?", fragte er leise und zitternd. "Warum tust du das? Wieso wachst du über mich, statt mich umzubringen?"

Scharf sog der andere die Luft ein, griff nach seiner Hand. "FINEE! Wie kannst du so etwas sagen!?", rief Sanami entsetzt, schien völlig schockiert. "Ich- ich würde dich doch niemals töten! Das- nein, selbst aus Notwehr nicht! Ich wollte dich nicht einmal _verletzen_, bis du mich angegriffen hast! Ich... ich könnte doch nicht... nicht..." Er schüttelte heftig den Kopf, der ganze schmale Körper verkrampfte sich, ebenso wie die Finger um Yutonees Hand. "Ich würde... könnte... nie..."

"WARUM??? WEGEN MIR HAST DU EINEN FLÜGEL VERLOREN UND ICH HABE NUN SCHON SO OFT VERSUCHT, DICH UMZUBRINGEN! WIE KANNST DU DA NOCH MITLEID MIT MIR HABEN, wie? ICH verstehe ES NICHT!!", schrie der Jüngere ihn wütend an. Wie konnte Sanami ihm das je verzeihen? Er sollte ihn auf der Stelle ersticken, erstechen, erwürgen, Yutonee vollständig auslöschen, und was tat der Weißhaarige? Er kühlte ihm die Stirn!

Das Ziel all seines Hasses, von dem er sich _sicher_ gewesen war, dass es kein Gewissen haben konnte, geschweige denn, dass es so etwas wie Barmherzigkeit kannte! Von allen gottlosen Sündern dieser Welt musste ausgerechnet Sanami es sein, der den Racheengel so gründlich aus der Bahn warf, nur indem er ihm sanft und tröstend über die Wange streichelte.

Alles, an das er geglaubt hatte, selbst das fundamentalste Wissen schien auf einmal unter ihm wegzubrechen und in ein tiefes Loch ohne Boden zu fallen - und der, der ihn davor bewahrte, ebenfalls hineinzufallen, war Sanami und nur Sanami allein.

"Ich habe kein Mitleid", flüsterte der Kleinere plötzlich. "Ich möchte dir helfen, ja - aber nicht aus Mitleid, sondern weil es mir ein inneres Bedürfnis ist und weil... weil ich nicht mit ansehen kann, wie du leidest..."

"Ja... Das konntest du nie...", erinnerte sich auch "Finee" schmerzlich.

Damals hatte er geglaubt, dies sei eine Schwäche seines Freundes und immer hatte er darauf achten müssen, dass Sanami nicht deswegen ausgenutzt wurde - schließlich war nicht jeder Engel wirklich ein Engel in jenem grundguten Sinne, in dem die Menschen von ihnen dachten...

Aber ganz bestimmt hätte der Schwarzäugige niemals geglaubt, dass diese "Schwäche" ihm einmal das Leben retten würde - und dass er aufgrund dieser Schwäche beginnen würde zu zweifeln...
 

Volume IV
 

Die Ziffern auf Hisashis Funkwecker schalteten gerade auf sechzehn Uhr fünfzehn um, als sich in den geschmackvoll aber überraschenderweise nicht sehr prunkvoll eingerichteten Gemächern des Engels Anael [1] plötzlich einige Erzengel manifestierten: Gabriel, Michael, Raphael und Uriel.

Nun, da sie höchstwahrscheinlich wussten, wer der Schlüssel war, hatten sie ihren Verbündeten um ein Treffen gebeten, das ihnen praktisch sofort gewährt worden war, obwohl der andere im Moment eine Menge zu tun hatte.

"Ah, pünktlich wie immer!", rief Anael fröhlich, begrüßte dann jeden einzeln.

"Schön, dass du wieder da bist, Gabriel", lächelte Anael schließlich. "Michael hat dich sehr vermisst..."

Während der Feuerengel rot wurde, lächelte Gabriel nur und umarmte den Gastgeber kurz, dann zog er Michael zu ihrem Prinzen.

Der Engel mit dem langen Haar so blütenweiß wie seine Flügel, und den Augen, die wie flüssiges Silber in dem bronzefarbenen Gesicht schimmerten, umarmte auch ihn vorsichtig, flüsterte ihm dabei leise ins Ohr: "Es ist gut, dass du aufgehört hast zu trauern, Michael... Ich bin mir sicher, dass Sanami sich richtig entschieden hat und seinen Weg gehen wird... Außerdem hat mein Kleiner sich schon Sorgen um Shiyunoue gemacht - und ich mir um dich..."

Der Braunhaarige nickte leicht und dankbar, sah auch freundlich zu Anaels "Kleinem" hinüber, der schnell die Augen niederschlug, bevor das rothaarige Engelchen hastig das Zimmer verließ, kaum verständlich etwas von Getränken murmelnd[2].

Mizaya[3] war also noch immer so schüchtern wie damals, als Anael ihn bei sich aufgenommen hatte. Was ihr Prinz jedoch offenbar nur getan hatte, um sich Hals über Kopf in den jungen Engel zu verlieben, wie Michael und seine Brüder wussten...[4]

Aber man konnte dem Jüngsten seine Scheu wohl nicht verdenken. Aus einer seltsamen Laune heraus hatte er von jeher nur einen reinweißen Flügel gehabt - denn der andere war so rabenschwarz wie seine hübschen Knopfaugen und hatte ihm viele Hänseleien unter den jüngeren Engeln eingebracht. Allein Michaels kleiner Shiyunoue, mit dem der Rothaarige lernte und für Prüfungen übte, war ihm immer ein gleichaltriger unvoreingenommener Freund gewesen...

Jäh wurde der Feuerengel aus seinen Gedanken gerissen, als er ein schweres Seufzen seitens seines Prinzen hörte. Aufrecht und anmutig stand er da, jeder Zentimeter voller Würde, verhüllt in ein langes in viele Falten gelegtes Gewand von strahlend saphirfarbener Seide, das seine schlanke aber kraftvolle Statur, seine Unbeugsamkeit, seine Ausstrahlung hervorhob. Auch seine markanten Gesichtszüge wirkten gefasst - aber sie vermochten es nicht, auch den goldäugigen Elementarengel zu täuschen. Jener sah die Gram, die in den silbernen Tiefen lag, spürte die Hoffnungslosigkeit, die Michael bis vor kurzer Zeit selbst verspürt hatte, wenn auch aus einem anderen Grund.

"Er wird seine Scheu schon noch überwinden. Mach dir keine Sorgen darum", befand Raphael mit einem Mal sanft lächelnd und legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter, meinte dabei wohl vor allem die Scheu Mizayas vor dem wirklich beeindruckenden Weißhaarigen.

Doch der schüttelte nur leicht den Kopf. "Ich hoffe es... aber... trotzdem, ich..."

"Sei unbesorgt...", mischte sich nun auch Michael ein. "Ich spüre, dass er dich nicht wirklich hasst... im Gegenteil: er mag dich, Anael..." Als ein Engel der Liebe und Leidenschaft vernahm er tatsächlich sehr deutlich die zart-freundlichen Schwingungen des Kleineren, wenn dieser seinen "Herrn" ansah, und fast konnte er spüren wie der kleine Engel vorsichtig seine Fühler nach dem dunklen, schön geformten Gesicht ausstreckte, es vorsichtig betastete, wie um herauszufinden, ob der wohlgeformte Mund ihn anlächelte oder verkniffen war vor Verachtung.

"Ich kann dir zwar nicht sagen, _wie_ sehr er dich mag, und dennoch...", sinnierte er weiter. "Weißt du, ich glaube, es ist wie bei mir als ich erkennen musste, dass Gott nicht mehr der ist, der er einmal war... er ist schlicht und einfach verwirrt... er weiß nicht, was er darf und was er nicht darf, weiß nicht, dass er sich manchmal einfach über Gottes Gebote hinwegsetzen kann, wenn ihm das gut tut und niemand darüber Schaden nimmt... Außerdem weiß Mizaya nicht das, was wir wissen, und auch nichts von unseren Plänen... Aus seiner Sicht wäre diese Art der vollkommenen, hingebungsvollen Liebe, zu der du ihn verführen willst, eine große Sünde... Und ich nehme an, dass man es ihm daher nicht verdenken kann, wenn er Angst hat..."

Auf einmal, ganz unerwartet, konnte man Anael ansehen, wie alt er tatsächlich war: Wirkte er sonst wie ein Sechsundzwanzigjähriger, spürte man nun ganz deutlich die Äonen, die auf seinen Schultern lasteten, sie sichtbar niederdrückten.

"Ich weiß", flüsterte ihr Prinz leise und strich mit undeutbarem Blick über die Kante seines hölzernen Schreibtisches. "Und manchmal denke ich, dass es tatsächlich eine Sünde wäre..." Verzweifelt sah er auf, die Finger hilflos geballt. "Er ist doch viel zu jung!!"

"Sprecht Ihr von mir, Herr?", erkundigte sich plötzlich eine leise, sanfte Stimme fast zaghaft, während Mizaya mit dem Fuß vorsichtig die schwere aber gut in den Angeln liegende Holztür aufstupste und dann das Tablett hereintrug.

Michael jedoch war nicht entgangen, wie der Kleinste in ihrer Runde für wenige Sekundenbruchteile unsicher zu Anael hoch gelinst hatte, bevor er den Blick hastig senkte, sich ein rosener Schleier auf seine Wangen legte.

Ja, er war sich ganz sicher, dass Anael dem Kleineren etwas bedeutete...

Der Älteste jedoch wirbelte im selben Moment unangenehm überrascht herum, schien sich ertappt zu fühlen. "Mizaya!", rief er - und ehe sich dieser versah, waren die ausladenden weißen Schwingen auch schon gegen die Kristallkanne und die passenden Gläser gerauscht, sodass Mizaya erschrocken das Tablett losließ, die Augen fest zusammengekniffen.

Dass letztendlich trotzdem nichts zerbrach oder verschüttet wurde, hatten sie allein der schnellen Reaktion von Michaels Brüdern zu verdanken: Während Gabriel auf das Getränk achtete, lenkte Raphael einen Wind so, dass das Tablett samt Service durch die Luft schwebte und heil auf dem Tisch ankam.

Uriel indes kümmerte sich nun um den leicht zitternden Jungen, beugte sich mit einem freundlichen Blick leicht zu ihm hinunter. "Komm setz dich, kleiner Engel... Es ist ja nichts passiert..." So wurde Mizaya mit sanftem Nachdruck von dem Erzengel auf einen Platz des hibiskusroten Sofas befördert, dann holte Michael tief Luft und ging vor ihm in die Hocke, damit der junge Engel nicht zu ihm aufschauen musste.

"Hör mir zu, Mizaya... Ich habe auf der Erde die Spur einer meiner Schützlinge verloren und muss wissen, wer es ist und wie es dazu kommen konnte... Doch dazu brauche ich deine Gabe...", erklärte er langsam. Er wusste, wie viel er verlangte, denn den jungen, ungeübten Engeln raubte das gezielte Einsetzen ihrer Gaben eine Menge Kraft, konnte sie zuweilen sogar in eine Ohnmacht treiben.

Doch bevor der Schwarzäugige sich dazu äußern konnte, war ihr Prinz auch schon entsetzt dazwischen gefahren.

"MICHAEL, NEIN!!", rief der Weißhaarige heftig. "DAS GEHT NICHT!!"

Und so brach Gabriel in eben jenem Moment sein Schweigen, trat mit energischer Bestimmtheit hervor, fasste seinen Prinzen bei der Schulter. "Irgendwann wird er es ohnehin erfahren, Anael...", versuchte er ihm verständlich zu machen, Uriel und sein blauhaariger Geliebter nickten nur zustimmend, während der Feuerengel abwartete, was Gabriel bewirken konnte.

"Aber..." Gehetzt blickte sich der Regent des zweiten Himmels um und Michael spürte sein Mitgefühl mit diesem. Er wusste, wie sehr der stolze Anael um jedes kleine Quäntchen Zuneigung seines jungen Engelchens rang, ahnte, wie groß seine Angst war, das bisschen Vertrauen wieder zu verlieren, das er sich so hart erarbeitet hatte.

Doch schon ein Satz machte all dessen Hoffnungen, ihre Revolution noch verheimlichen zu können, zunichte: "Ich... ich weiß es doch schon längst..."

Michael hörte wie Anael scharf die Luft einsog, dann... beängstigende Stille. Nicht einmal die vier Brüder brachten einen Laut hervor, bis es schließlich Uriel war, der nach einer kleinen Unendlichkeit zuerst das Wort erhob, nur milde überrascht schien, geradeso als hätte er es fast geahnt. "Tatsächlich", sagte er nur mit einem leichten Lächeln.

Dann fand Anael seine Stimme wieder...

"Mizaya! Hast du mich... etwa belauscht??", rief er fassungslos, nein, vollkommen _erschüttert_. Endgültig hatte sich jetzt das pure Entsetzen auf sein Gesicht gemalt - eine Unbeherrschtheit, die Michael so nicht von seinem Prinzen kannte.

... und die auch Mizaya zu ängstigen schien: "Ich... nein, Herr, ich...", stammelte der kleine Rothaarige ängstlich, drückte sich tiefer in die weichen Polster. "Ich... ich habe doch nur... Ich kann nichts dafür! Es... ist einfach so-"

Kraftlos ließ sich Anael auf einen nahestehenden Sessel fallen, starrte haltungslos zu Boden. "Deswegen hast du dich also so seltsam benommen", murmelte er und schüttelte ungläubig den Kopf. "Kein Wunder, wenn du es die ganze Zeit wusstest! ...Aber warum hast du uns nicht gemeldet? Immerhin sind wir Verräter und du schuldest mir nichts!"

Der Kleine sprang unruhig auf. "Ich... ich weiß es noch nicht lange, Herr", versuchte Mizaya betreten zu erklären. Doch während der Prinz immer mehr an Energie und Glanz zu verlieren schien, sichtlich in sich zusammensank, fiel Michael sehr plötzlich etwas auf... Ein wenig überrascht sah er hoch, begegnete zufällig dem scharfen Adlerblick seines schwarzhaarigen Bruders Uriel. Und jener nickte leicht...

Ein bitteres Lachen hallte durch den Raum. "Verstehe...", stieß der weißhaarige Erzengel hervor, dann ließ er seinen Kopf trostlos in die Hände sinken, die Ellenbogen auf den Knien abgestützt.

"Nein! Herr, ich... ANAEL!!", rief Mizaya verzweifelt, überschlug sich beinahe.

Und Anael... schwieg...

Schwieg vor ehrlicher Verblüffung, denn alle Erzengel in diesem Raum wussten, dass es Anaels größter Wunsch gewesen war, endlich seinen Namen aus diesem kleinen Mund zu hören, statt dem zwar korrekten aber ebenso unpersönlichen "Herr".

"Ich... ich hätte Euch doch nicht verraten...", flüsterte der Schwarzäugige kaum verständlich, sank mit vor Anstrengung geröteten Wangen vor dem Prinzen zu Boden, die Arme um sich geschlungen. "Nein, dass hätte ich nicht. Bestimmt nicht! Bitte... glaubt mir... Anael..."

- - - - - -

[1] Anael gehört zu den sieben Engeln der Schöpfung. Er ist zudem Prinz der Erzengel (normalerweise kennen wir zwar nur vier Erzengel, unter Theologen ist es aber durchaus üblich von sieben oder auch neun Erzengeln zu reden, besonders wenn es um das Judentum und die Kabbala geht. Dann wird z.B. auch Metathron, der Angel-Sanctuary-Lesern sicher ein Begriff ist, zu ihnen gezählt) und herrscht über die Engel des Freitags. Weiterhin wacht er über den Planeten Venus und ist daher auch zuständig für die menschliche Sexualität. Als Prinz der Erzengel regiert er außerdem den zweiten Himmel [Anm.: der Himmel der normalen Engel ist der erste und unterste, danach kommen die Erzengel und ganz oben - abgesehen von Gott - stehen die Seraphim] und ist dort für alle Gebete verantwortlich. Auf der Erde kontrolliert er die Königreiche und ihre Könige und last but not least wacht er über den Mond.

Nja und außerdem passt sein Name doch irgendwie zu einer yaoi-story - ihr wisst schon Ana(e)l... *drop*

[2] Ich weiß, dass es eher ungewöhnlich ist, Engel als fast menschenähnlich darzustellen. Also menschenähnlich insofern, dass sie auch trinken, etc. Aber mir gefiel der Gedanke einfach, weil es sie auf eine unbestimmte Art und Weise greifbarer macht, was ich persönlich sehr wichtig finde für eine Geschichte... Und irgendwie ist die Vorstellung von einem Engel mit Cola-Dose in der Hand (oder glaubt ihr, im Himmel gibt es auch Dosenpfand? ^_~) lustig... Ich erinnere mich ja nur an die alten Cola-Werbungen mit den sexy Männern, die jeweils immer die Coladosen in das Büro voller schmachtender Frauen geschleppt haben... Und jetzt stellt euch das doch mal mit Uriel vor... so oben ohne und mit ausgebreiteten Schwingen... *in Sabber zerfließ*

[3] sprich: MI - sa - ja NICHT mi - SA - ja

[4] Sobald ich One Wing fertig habe, wird es übrigens (jedenfalls höchstwahrscheinlich und irgendwann) noch eine Geschichte zu Anael und Mizaya geben ^__^ Außerdem wird es sicherlich auch noch kleine Sidestories Fortsetzungen geben, um die Beziehungen zwischen den Erzengeln zu beleuchten... die Pairings waren ja überraschenderweise(?) auch sehr beliebt...
 

Volume V
 

Gedankenverloren "sah" Nicome sich mit seinem sechsten Sinn um, betrachtete Finee und schenkte auch dem Wecker Beachtung, denn nachdem er Hisashi versprochen hatte, dass nun nichts mehr passieren konnte, war dieser widerwillig zurück zur Arbeit gegangen. Allerdings nicht ohne ihm zu schwören, dass er heute ausnahmsweise pünktlich sechzehn Uhr Schluss machen und auch keinen Papierkram mehr erledigen würde, um so schnell wie möglich wieder bei ihm zu sein.

Das es nun eine Viertelstunde nach Vier war, bedeutete also, dass Hisashi in wenigen Minuten die Tür aufschließen würde, wenn ihm nicht doch noch etwas seine Pläne durchkreuzte.

Bei dem Gedanken an seinen besorgten Geliebten leicht lächelnd, besah er sich wieder Finee. Dessen Flügel waren nun transparent, was soviel hieß wie, dass Nico und jeder andere entsprechend Begabte sie zwar noch sehen konnte, sie jedoch materiell gesehen nicht mehr auf der Erde gegenwärtig waren, sondern in eben jener Parallelwelt, in der sich das befand, was von den Menschen gemeinhin als Himmel und Hölle bezeichnet wurde.

Diese Transparenz war für Finee momentan insofern nötig, als dass er auf diese Weise nicht auf seinen gebrochenen Flügeln liegen musste - auch wenn Nicome aus eigener Erfahrung wusste, dass die mit den Schwingen verbundenen Schulterblätter Finee nicht weniger schmerzen mussten, auch wenn sie selbst nicht beschädigt waren.

Doch es ging leider nicht anders, da Finee die Bauchlage im Moment verwehrt war.

Denn Nicome hatte zwar nicht die geringste Ahnung _wie_ sich das alles wohl zugetragen haben mochte, aber die Vorderseite dieses schlanken aber doch kräftigen Oberkörpers war von eben jenem magischen Lichtnebel bedeckt, der von Hisashi ausgegangen war als jener in den Schutzbann eingedrungen war, welcher den Weißhaarigen auf eine seltsame Art und Weise an Michael und Gabriel erinnert hatte. Nur das Gesicht und die Beine Finees waren verschont geblieben und solange sich das Licht nicht von selbst aufgelöst hatte, war zu befürchten, dass schon eine einzige Berührung den jungen Engel vor Schmerz wahnsinnig machen könnte.

Denn woher auch immer Shi diese Energie nahm, von der er vorher nicht einmal etwas _geahnt_ hatte - sie war schier unendlich stark...

... und dennoch konnte der Weißhaarige nicht sagen, dass sie ihm Angst machte. Viel mehr verwirrte sie ihn, da solch eine gewaltige Kraft nicht einmal jenem heiligen Seraphim[1] gegeben war, der Nico in ihrer Welt gejagt hatte, weil er als einer der Gottes-Nächsten die Erde nicht betreten durfte. Aber Angst... nein, nicht einmal _Furcht_ fühlte er, da die Intensität dieser Magie zwar schon irgendwie erschreckend war, die Energie selbst jedoch zugleich etwas sehr Sanftes, Beruhigendes, ja, Liebevolles ausstrahlte.

"Du warst immer mein Freund, Finee - und ich weigere mich, dich jetzt als jemand anderen anzusehen", erklärte er plötzlich, richtete seine Augen fest auf das Gesicht des Engels aus, auch wenn er mit ihnen nicht mehr sehen konnte.

"Wie kannst du jemanden als Freund bezeichnen, der dir soviel Schmerz und Angst bereitet hat?", hauchte der Rotschwarzhaarige erschüttert und ergriff seine Hand um ihn noch näher zu sich herunter zu ziehen. "_Wie_?"

Mit einem zaghaften Lächeln und einem Herz, das sich vor Freude fast überschlug, ob dieser kleinen Geste, streichelte er sanft die etwas größere und bedeutend kräftigere Hand, die ihn so bestimmt, aber nicht schmerzend festhielt. "Ebenso wie ich Michael immer lieben werde, obwohl er mir mein Augenlicht nahm..."

Seufzend nahm Nicome wahr, wie der Griff um seine Finger sich verstärkte und starr wurde, "sah" wie Finee fast noch eine Nuance blasser wurde als er durch die Schmerzen ohnehin schon war. Doch eine Antwort bekam er nicht. Kein "Es war die Entscheidung Gottes, nicht Michaels und du hast nicht das Recht, ein Urteil über den Herrn zu fällen..." oder etwas dergleichen. Rein gar nichts - außer Schweigen.

"Weißt du", nahm Nico also schließlich vorsichtig den Faden wieder auf, "es ist nicht so, als hätte ich keine Angst vor dir gehabt. Im Gegenteil, ich dachte ja immer, ich müsste sterben, wenn du mich das nächste Mal fändest - und sterben wollte ich nicht...

Aber gehasst... gehasst habe ich dich deswegen nie, genauso wenig wie Michael... Ich - ich _konnte_ euch einfach nicht hassen. Zuviel habt ihr mir bedeutet, als dass ich jemals dazu fähig gewesen wäre... Und das, obwohl mir erst viel später klar wurde, dass ihr beide nichts für all das konntet..."

"Wie... meinst du das?", brach Finee hörbar verwirrt sein Schweigen und ließ seine Hand locker, sodass es nun Nicome war, der die schlanken Finger hielt, während er sie mit der anderen Hand weiterhin sanft liebkoste, wie er es früher getan hatte, wenn seinen Freund etwas bedrückt hatte und er ihm zeigen wollte, dass er für ihn da war. Doch der Größere sagte nichts dazu, entzog ihm auch nicht die Finger, ließ es sich still gefallen, genoss es vielleicht sogar ein wenig.

Auch Nicome war einen Moment lang still, überlegte, ob er Finee davon erzählen konnte und ob der ihm überhaupt glauben würde, doch dann entschied er, dass "Yutonee" es erfahren musste. "Weißt du, was mir aufgefallen ist, nachdem du mich noch einmal angegriffen hast?", fragte er also und antwortete sich gleich selbst: "Dein Blut war fast wie reines Gold und nur ganz schwach bläulich... nach und nach verlor sich der Goldschimmer jedoch fast völlig und seit ich deine Wunden säuberte, ist es beinahe vollständig dunkelblau..."

"Und?", machte Finee scheinbar verständnislos.

Doch auch wenn Nico blind war, war ihm das leichte Beben nicht entgangen, das plötzlich von dem anderen Körper Besitz ergriffen hatte. "Du weißt genau, dass das Goldene im Blut von Engeln der Gottesfunke ist, Finee!", tadelte er ihn nicht ohne sanften Nachdruck. "...aber wusstest du auch, dass Michael mir nie das Augenlicht nehmen wollte? Dass er sich geweigert hat und Gott ihn dazu _zwingen_ musste? Ich weiß es nun - und deshalb bin ich mir sicher, dass er auch über dich die Kontrolle übernommen hat - in eben jenem Moment als dein Blut golden war, bis deine Flügel brachen..."

Traurig fühlte er, wie ihm die Hand blitzartig entzogen wurde, als hätte Finee sich an ihm verbrannt, hörte das entsetzte Keuchen.

"Wie... WIE KANNST DU SO ETWAS SAGEN!!", rief der Jüngere ängstlich und zugleich fassungslos. Schon allein die Vorstellung daran schien ihm völlig absurd.

Aber konnte Nicome es ihm verübeln? Früher - das hieß, vor Hisashi - hätte er es ja selbst nie in Betracht gezogen...

"Uriel und Raphael haben mich das über Michael wissen lassen...", wisperte der Eingeflügelte leise, aber hörbar sanft.

"WAS???", fuhr Finee geschockt auf. "ABER IM HIMMEL HERRSCHT AUSGANZSSPERRE - UND SIE HATTEN NICHT DIE ERLAUBNIS AUF-"

Ruhig redete Nicome weiter, unterbrach den anderen so. "...und ich weiß, dass du mir die Schuld an Michaels Zustand gegeben hast, gegeben haben _musst_!", erklärte er und nahm die Hand des anderen wieder auf, drückte sie fest, bevor er hinzufügte: "Aber ich weiß auch, dass du mich niemals aus freiem Willen umbringen würdest..."

"Woher nimmst du diese Gewissheit? Wie kannst du so etwas _jetzt_ noch behaupten? Wer sagt dir, dass ich dich nicht im nächsten Augenblick ermorde?", hauchte Finee verzweifelt.

"Du kannst doch im Moment kaum den kleinen Finger heben, Dummkopf", erwiderte er schlicht, doch mit einem sanften Lächeln und strich über den vom Fieber schon ganz heißen Kopf. "Aber ernsthaft: Du selbst warst das. Du selbst hast mir einmal versprochen, mit all deiner Kraft auf mich aufzupassen und mein Leben zu schützen...

Und ich vertraue dir."

Doch Finee lachte nur sehr bitter und wenig humorvoll auf. "Ich konnte dich ja nicht einmal vor mir selbst beschützen!!" - Und bevor Nicome es verhindern konnte, hatte er sich auch schon auf die Seite gedreht, prallte sofort wieder zurück auf seine Schulterblätter, nur damit sein Leib sich reflexartig aufbäumte, während er gellend aufschrie vor Schmerz.

Dann verstummte der Schrei wie abgehackt, nur ein leises Röcheln war noch zu hören, als der zuckende Körper erschlaffte.

"FINEE!", rief Nicome angsterfüllt. Und ohne noch weiter darüber nachzudenken nahm er die beiden Hände, murmelte etwas in der himmlischen Sprache, immer und immer wieder, als seine Hände plötzlich in einem grünlich-silbernen Lichtdunst zu flackern begannen. Sofort lenkte Nicome seine gesamte Energie auf Finee, bis jener vollständig davon umhüllt war und sie langsam durch dessen Haut in den kraftlos-nachgiebigen Körper eindrang. Solange er nur konnte hielt der Blinde die Verbindung aufrecht, um seinem Freund den Schmerz zu nehmen und ihm von der eigenen Lebenskraft zu geben.

Schließlich sank er mit einem lautlosen Seufzer zurück und Finees Hände entglitten ihm, sodass ihre Verbindung unterbrochen wurde. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn, ahnte, dass er sich übernommen hatte, doch er sagte nichts dazu, wollte er den Engel doch jetzt nicht noch mehr verschrecken.

"...danke...", hörte er Finee plötzlich krächzen.

Zur Antwort küsste er nur dessen heiße Stirn, sank dann erleichtert ein wenig zusammen, war froh darüber, dass er hatte helfen können.

Auf einmal aber ertönte ein gedämpftes Bellen, dann hörte man wie Hisashi ihrer Hündin gut zusprach: "Ruhig, Tammy! Sonst weckst du noch Nicos Freund auf!"

Erfreut fuhr der Blinde ein wenig auf. Endlich! Endlich war sein Geliebter wieder da!

Jedoch... Finee schien das weniger zu freuen: Der Einflügelige konnte deutlich spüren, wie die Laune seines Freundes schlagartig sank und zugleich fast etwas wie Verzweiflung in ihm aufzukommen schien.

"Es gefällt dir noch immer nicht, dass ich Hisashi liebe", stellte Nicome leise und traurig fest. Der verletzte Engel antwortete nicht darauf - aber sein Schweigen war Antwort genug... Bedrückt schloss der Kurzhaarige die Augen. /Warum? Warum kannst du mich nicht verstehen?/, dachte er leidend.

Dann aber richtete er sich entschlossen auf. "Weißt du, seit ich bei Hisashi bin habe ich sehr viele menschliche Schriften gelesen...", begann er. "Aber am besten ist mir etwas im Gedächtnis geblieben, das ich im Internet von einer klugen jungen Frau gelesen habe... Es ging so:

>>Neid, Zorn, Trägheit, Wollust, Habsucht, Völlerei und Hochmut.

Aber gibt es eine größere Sünde, als den Verrat an sich selbst?

Wenn ein höheres, vollkommenes Wesen uns mit Stolz erschaffen hat,

uns als einziges Wesen mit dem Bewusstsein unserer Selbst und dem freien Willen,

den selbst die hohen Engel nicht besitzen, gesegnet hat

- was ist es dann, außer _der einzigen, wahrhaftigen_ Todsünde,

die zum Absterben der Seele - dem kostbarsten, das wir besitzen - führt,

wenn wir aus freiem Willen entscheiden,

uns selbst, unser Inneres,

zu verleugnen?<<[2]

Und ich finde, sie hat Recht mit dem, was sie schrieb..."

"Aber wir Engel _besitzen_ einen freien Willen!", protestierte der geschwächte Racheengel sofort.

Nichts anderes hatte der Weißhaarige erwartet und so nickte er schnell und beruhigend. Dennoch freute er sich insgeheim sehr über die Wortwahl seines Freundes: /..."wir".../

"Natürlich haben wir den... Aber das macht dieses Zitat ja gerade erst so wahr..."

Finee runzelte nur noch verwirrt die Stirn, sah ihn fragend an. "Was willst du damit sagen?"

"Ich will damit sagen, dass man uns von jeher gesagt hat, wir seien dazu geschaffen worden, zu lieben... Aber wenn wir dazu geboren wurden und man uns immer wieder predigt, zu lieben... warum wird es uns dann im selben Atemzug wieder verboten? Auch Gott hat einmal geliebt, liebt Lucifer ganz sicher noch immer! Wie aber kann Liebe dann noch eine Sünde sein? Und warum, frage ich dich, darf dann nicht auch ich lieben, wieso soll ich meine Gefühle verleugnen? Warum darf ich Hisashi nicht jeden Tag meine Liebe schenken und glücklich mit ihm sein, warum?", gab Nico leise zurück und wartete angespannt auf eine Reaktion.

Doch der Schwarzäugige sagte zunächst nichts, schien tatsächlich verunsichert, während er Nicome mit offenem Mund anblickte.

"Vielleicht will Gott uns ja einfach vor Enttäuschungen bewahren...", antwortete er schließlich sehr leise.

Überrascht "sah" Nico seinen Freund an. Er hatte weitere Proteste erwartet, nicht, dass der andere seine Worte offenbar stillschweigend annahm, ihnen vielleicht sogar innerlich Recht gab. So dauerte es einige Sekunden bis er sich wieder gefangen hatte, um zu antworten: "Aber muss denn nicht jeder seine eigenen Fehler machen? Und gibt es nicht genügend Menschen auf der Erde, die uns zeigen, dass es auch anders geht? Dass man auch einen Leben lang glücklich sein kann mit dieser Liebe, bis in den Tod hinein?"

"Du hast Recht", sagte Finee. Doch dann nahm er Nicomes Hand und fügte leise hinzu: "Doch das Leben eines Menschen währt nur kurz... Das unsere aber kann für immer bestehen... Was also wirst du tun, wenn du eines Tages den alten, verbrauchten Körper deines Geliebten in den Händen hältst und zusehen musst, wie er stirbt? Du würdest auf ewig mit diesem Schmerz leben müssen... Selbst wenn er zu jenen gehören sollte, deren Seelen wiedergeboren werden, so wird der Schmerz nur noch unerträglicher werden bei jedem seiner Tode, den du nicht verhindern kannst... Und...", er stockte, senkte schluckend den Blick, "ich will nicht, dass dir das geschieht, Sanami..."

Gerührt sah Nicome auf den jungen Engel, küsste ihm schnell die Wange. Jetzt wusste er, dass er Recht gehabt hatte: Finee war noch immer sein Freund - und er würde es auch bis in alle Ewigkeit bleiben.

"Lieber lebe ich mit der Erinnerung an ein vergangenes Glück, als mit dem unerträglichen Gedanken, das Glück der Liebe nie erfahren zu haben, Finee...", gestand er schließlich, zögerte kurz, bevor er erklärte: "Aber mir wird das nicht geschehen... Denn ich möchte mein Leben lang glücklich sein..."

Zitternd drückte der Jüngere Nicos Hand, stieß einen leisen, erstickten Laut aus, geradeso als stünde er kurz davor zu weinen. "Ich wünsche es dir so sehr, Sanami, glaub mir! Aber... das... wie kannst du dir so sicher sein? Soviel könnte passieren!"

Vorsichtig beugte sich Nicome über ihn, umarmte ihn so sacht, dass er ihn kaum berührte, und wisperte ihm leise ins Ohr: "Vertrau mir einfach, Finee. Bitte glaube meinen Worten und verzeih mir, so wie ich dir verziehen habe. Ich wollte dir niemals weh tun..."

"Ich weiß...", schluchzte der Junge erstickt - und dann kamen ihm wirklich die Tränen...

- - - - - -

[1] Ein Herr namens Pseudodionysius hat die Engel irgendwann mal in eine Hierarchie aus neun Chören eingeteilt, die da wären (von den "höchsten", Gott-Nächsten und stärksten zu den "niedrigsten" und schwächsten): Seraphim, Cherubim, Throne, Herrschaften, Mächte, Gewalten, Fürstentümer, Erzengel und Engel

[2] (c) by Crave *flausch dir*
 

Volume VI
 

Angestrengt atmend starrte er auf seinen goldäugigen Bruder und den kleinen Liebling ihres Prinzen. Mit ineinander verschränkten Fingern standen sich ihre Körper gegenüber und die Augen waren geschlossen, doch ihre Seelen waren nun an einem weit entfernten Ort, unerreichbar für Raphael und die anderen drei Erzengel.

Da Mizaya dem Feuer zugeordnet war, konnte er Michael, der Personifikation dieses Elements, auf diese Reise in die Vergangenheit mitnehmen, um ihrem Bruder zu zeigen, was auf der Erde geschehen war. Dazu war es jedoch nötig, dass die beiden Engel ihre Kräfte synchronisierten und dann in vollem Maße einsetzten, was bei einem so mächtigen Engel wie seinem Bruder nicht einmal für eine Sekunde unentdeckt geblieben wäre.

Das einzige, was der Engel des Windes also im Moment tun konnte, war, den abschirmenden Bannkreis um sie herum so lange aufrecht zu erhalten, bis die beiden fertig waren, sodass sie von Gott und den anderen Engeln nicht aufgespürt wurden.

Das Problem dabei war, dass Raphael außerhalb und nicht wie sonst üblich innerhalb des Bannes stand, weil er sonst von Michaels ungezügelter Energie nicht nur gestört, sondern wortwörtlich umgehauen worden wäre. Doch für einen Bannkreis von derartiger Stärke benötigte man viel Energie und das bedeutete, dass er gleichzeitig noch einen zweiten, wenn auch ungleich schwächeren, Bann aufrecht erhalten musste, damit auch _seine_ Machenschaften nicht zurückverfolgt werden konnten.

Und zwei Bannkreise von einer solchen Gesamtstärke über einen Zeitraum mehrerer Minuten aufrecht zu erhalten - das war nichts, was man immer wieder und wieder tun konnte, ohne seine Energie vollends aufzubrauchen und sich damit selbst umzubringen.

Daher war es auch nicht mehr weiter verwunderlich, dass seine Finger bereits stark zu zittern begonnen hatten. Und natürlich war der blauhaarige Engel dankbar dafür, dass jede Stunde, welche die beiden in der Vergangenheit miterlebten, in der Gegenwart nur etwa einen Zehntel ausmachte, in der ihre erstarrten Körper abgeschirmt werden mussten. Aber mittlerweile spürte er jede einzelne Sekunde ganz deutlich an seinen Kräften zehren und er wusste nicht, wie lange er das noch durchstehen konnte.

Zwar hatte Uriel ihn geradezu darum angefleht, ihm helfen zu dürfen, aber er musste die ganze Arbeit trotzdem allein machen. Denn da die vier Brüder schließlich nicht nur in der Welt der Menschen das Machtspiel der vier Elemente regulierten, wäre es einfach zu auffällig gewesen.

Fehlten nämlich mehr als zwei Elementarengel, geriet auch im Himmel das Gefüge durcheinander. Zwar setzten dann automatisch die Kräfte jener Engel ein, die unter dem Zeichen des jeweiligen Elements geboren worden waren, um das besagte Gefüge zumindest für eine Weile wieder zu stabilisieren, aber dasselbe war es deswegen noch lange nicht und somit wurden alle möglichen magischen Vorgänge gestört - auch die wirklich wichtigen.

Einmal, kurz bevor Lucifer gefallen war, war dadurch der schlimmste Fall überhaupt eingetreten: das totale Chaos. - Ein Zustand, von dem sich selbst Gottes Reich nicht von einem Tag auf den anderen wieder erholt hatte.

Seitdem waren Raphael und seine Brüder im Normalfall dazu verpflichtet, sich unter Angabe des Grundes eine Erlaubnis dafür einzuholen und es auch den restlichen Himmelsbewohnern anzukündigen, wenn sie zu dritt oder zu viert die Erde oder einen Bannkreis betraten. Taten sie dies nicht, weil sie aus irgendeinem Grund dazu gezwungen waren, sofort zu handeln, wurden ihnen sofort eine Art himmlische Suchhunde hinterhergeschickt, um herauszufinden, was geschehen war, und wie lange der Himmel versuchen musste, ohne sie auszukommen.

Sie konnten es sich also nicht leisten, die Bannkreise zu zweit zu erhalten, wenn sie nicht auffliegen wollten, bevor die Revolution überhaupt stattgefunden hatte. Und da Raphael mehr Erfahrung im Umgang mit Schutzmagie hatte als alle anderen in diesem Raum zusammen, war er es nun, dessen Gesicht vor Anstrengung schon ganz fahl geworden war...

"Halt durch, Raphael...", hörte er Uriel besorgt außerhalb des zweiten Bannkreises rufen und musste warm lächeln, auch wenn er kaum noch die Kraft dazu hatte.

Ja, allein für seine Liebe zu Uriel würde er durchhalten, auf dass er ihn eines Tages ganz einfach umarmen und küssen konnte - egal, wie viele Engel zusahen...

Dann sackten die beiden Gestalten vor ihm zu Boden und er selbst brach nach einem weiteren Augenblick gleich seinen beiden Bannkreisen zusammen. Kaum Sekunden später fühlte er die vertraute Umarmung seines Geliebten, genoss leise, liebevolle Worte, die ihm ins Ohr geflüstert wurden, während er völlig geschwächt zusah, wie Gabriel mit seinem langen, wehenden Umhang gleichenden Haar zu Michael stürmte, um ihn sorgenvoll zu bemuttern, während Anael sein bewusstloses Engelchen zum Sofa trug und beunruhigt die erschreckend blassen Wangen streichelte.

"Wie geht es Mizaya?", stöhnte Michael leise.

Doch als der rothaarige Engel eine Sekunde später die Augen aufschlug, antwortete er nur mit einer kaum wahrnehmbaren Gegenfrage: "...war er das? ...der Schlüssel?"

...und schon konnte Raphael nicht mehr sagen, wer nun der blassere von ihnen war: Mizaya oder Anael.

"Du... von ihm weißt du auch?", ächzte ihr Prinz kreideweiß und erstickt - Raphael konnte es ihm nicht verdenken. Denn selbst Uriels scheinbar unerschütterliche Gleichmut bekam plötzlich Risse: Wenn Mizaya so einfach so viel herausgefunden hatte, ohne dass sie es bisher auch nur _geahnt_ hatten, was war dann mit all den Seraphim und Cherubim, mit denen sie täglichen Umgang pflegten??

Nervös drehte sich der Blauhaarige mit den amethystfarbenen Augen in Uriels Umarmung, drängte sich näher an die Brust seines Geliebten, der selbst unter den ältesten Engeln nur als Riese bezeichnet werden konnte, sogar Gabriel noch in den Schatten stellte, welcher Michael und Raphael immerhin um einen halben Kopf überragte...

Doch auch dem Kleinsten unter ihnen schien es nicht besser als Raphael zu gehen. Alles was er zur Antwort hervorbrachte war ein unverständliches Gestammel, das nur durch sein Nicken Sinn bekam.

"Woher?", fragte Anael leise und der Engel des Windes war sich sicher, dass sein Prinz noch nie so schicksalsergeben und hoffnungslos geklungen hatte.

Mizaya dagegen wandelte seine Nervosität in Überraschung über die Frage ab. "Wisst Ihr nicht mehr, der Abend an dem es mir plötzlich so schlecht ging, dass ich fast ohnmächtig wurde und Ihr mich zu Bett tragen musstet?", fragte er als würde das wirklich alles erklären. Doch Raphael für seinen Teil verstand kein Wort...

Und Anael schien es ähnlich zu gehen, denn er sah sich unsicher nach den vier Brüdern um, bevor er stirnrunzelnd antwortete: "_Natürlich_ weiß ich das noch! Schließlich habe ich mir große Sorgen um dich gemacht! Aber was hat das damit zu tun?"

"Ich hatte Euch zuvor am Unterarm berührt um Eure Aufmerksamkeit zu erlangen... und dabei ganz plötzlich eine Vision...", war die leise Erwiderung.

Stille trat ein zwischen den verdatterten Erzengeln.

Natürlich! Wie hatten sie so unvorsichtig sein können?

Ein Engel der in die Vergangenheit zurückblicken konnte, war logischer Weise fähig, einfach _alles_ zu erfahren, was er über ihre Pläne wissen wollte!

Gabriel schien Raphaels Gedankengänge zu teilen:

"...in der du alles gesehen hast", führte er vermutend weiter.

Doch dieses Mal schüttelte Mizaya den Kopf, sah unsicher zu Anael, der nunmehr die Augen geschlossen hatte und sich ausschwieg. "Nein", sagte er dann. "Ich glaube nicht, dass ich _alles_ gesehen habe... Aber es war genug um zu verstehen..."

"Was zu verstehen?", wandte Michael verwirrt ein, während er sich vor Anstrengung zitternd von Gabriel aufhelfen ließ.

Mizaya schlang die Arme um sich, als wäre ihm kalt, rückte offenbar unwillkürlich näher zu Anael. "Dass Gott uns verlassen hat...", sagte er mit erschreckend leerem Blick.

Aber Michael schüttelte nur sanft den Kopf. "Er hat uns nicht verlassen, Mizaya", versuchte er zu erklären. "Er hat sich nur in sein Innerstes zurückgezogen..."

"...und sich hoffnungslos darin verlaufen", ergänzte Anael leise....
 

Volume VII
 

Lautlos schwang die Schlafzimmertür auf und Sanamis Geliebter betrat leise das Zimmer.

"Ist er wach?", hörte Yutonee diesen Hisashi fragen und sah wie sich der Einflügelige nach ihm umdrehte, langsam nickte.

"Ja, dass ist er. Es geht ihm sogar ganz gut für seinen Zustand..."

/Nur, weil du mir deine Energie gegeben hast/, dachte Yutonee, sprach es aber nicht aus, weil es seinem älteren Freund wohl peinlich gewesen wäre. Außerdem traute er diesem Hisashi nicht, denn auch wenn er die Aura eines normalen jungen Menschen ausstrahlte, war er ganz sicher alles andere als _normal_ - oder seit wann hatte ein einfacher Mensch plötzlich eine derartige Kraft, so mächtig wie alle Seraphim und Cherubim zusammen?

Erleichtert - erleichtert? - lächelnd kam der Mensch heran, stellte sein Tablett mit Verbandsmaterialien sowie Salben, aber auch etwas zu trinken auf den Nachttisch und beugte sich zu Sanami hinab. Ganz zart nur küsste der Schwarzhaarige die Lippen seines Lieblings, streichelte ihm unglaublich liebevoll durch das weiße Haar und über die Wangen.

Schlagartig wurde Yutonee rot, als er sah wie sich Sanami instinktiv streckte und näher an die liebkosende Hand schmiegte. Er erinnerte sich, dass sein Freund schon immer sehr verschmust gewesen war, und dennoch rutschte er ein wenig von den beiden weg, erschrocken über die Natürlichkeit, mit der sie miteinander umgingen, obwohl das was sie taten doch eine Sünde war.

Trotzdem sagte er nichts dazu, konnte nur schweigen, denn ganz unerwartet hatte er an Sanamis Worte denken müssen: /Ja... wie kann Liebe eine Sünde sein...?/

So registrierte der Engel kaum, dass Sanamis Blindenhündin zögerlich eine Pfote vor die andere setzend das Zimmer betrat und aufmerksam schnüffelnd auf sie zutapste.

"Dann lass mich jetzt auf ihn aufpassen und ruh dich endlich selbst ein wenig aus, Schatz!", bat Hisashi seinen Liebling, während er sich neben ihn auf das große Bett setzte.

Doch wie nicht anders zu erwarten schüttelte Sanami nur dankbar lächelnd den Kopf: "Nicht nötig, Shi, mir geht es gut... Außerdem bist du doch selber müde von deiner Arbeit..."

Ein hörbares Seufzen hallte durch das Zimmer als der Grünäugige die Hände des Kleineren nahm und in der seinen barg, sanft zudrückte. "Nico, bitte! Mach mir keine Sorgen! Du bist ja schon ganz blass und ein wenig Ruhe kann dir ganz sicher nicht schaden, selbst _wenn_ es dir tatsächlich gut gehen sollte!"

Doch bevor Sanami etwas antworten konnte, erregte die Hündin ihre Aufmerksamkeit.

Sich mehr als unwohl fühlend dachte Yutonee daran, wie oft er die Hündin, die Sanami praktisch nie von der Seite wich, verwünscht hatte. Denn wie alle Tiere war sie fähig, auch Engel, die sich verbargen, wenn nicht zu sehen so doch wenigstens viel leichter zu erspüren, als es einem Menschen möglich war. Und außerdem konnte man die Sinne eines Blindenhundes nun einmal auch nicht gerade als "abgestumpft" bezeichnen...

Sanft stupste das Tier Sanamis Hand mit seiner Nase an, welche sogleich begann die Hündin sanft hinter den Ohren zu kraulen. Doch "Tammy", wie der einflügelige Engel sie immer rief, winselte nur und tappte mit einer Pfote nach ihrem Herrchen.

Überrascht blinzelnd wollte sich dieser zu der Hündin hinunterbeugen - und sackte auf einmal in sich zusammen, sodass Hisashi ihn nur noch knapp erwischte und den Sturz bloß teilweise abfangen konnte: Sanami war einfach bewusstlos geworden.

"Was hat Nami?", rief Yutonee, benutzte dabei unwillkürlich den Spitznamen des Weißhaarigen, so sehr hatte es ihn erschreckt. Er versuchte sogar sich aufzurichten, um seinen ohnmächtigen Freund besser sehen zu können, sank jedoch mit einem schmerzverzerrten Stöhnen ganz schnell wieder zurück auf das Laken.

"Eine Menge Schlaf nötig, das hat er", seufzte Hisashi, lächelte ihm jedoch dabei zu und ohne dass Yutonee sagen konnte warum, fühlte er sich beruhigt. "So wie du auch - also leg dich bitte wieder hin, sonst macht sich Nico nachher nur wieder Sorgen..."

Dann legte er seinen ganz persönlichen Engel vorsichtig und liebevoll neben Yutonee auf das große Bett, deckte sie beide sorgfältig zu.

"Du... du liebst ihn wirklich, oder?", fragte Yutonee langsam. Plötzlich war ihm klar geworden, dass sein Freund Recht gehabt hatte: Niemals hätte er Sanami aus freiem Willen getötet - nicht einmal als der Schmerz um ihren gemeinsamen Lehrer am größten gewesen war und Yutonee fast seines Verstandes beraubt hatte. Natürlich hatte er wirklich geglaubt, was er Sanami an den Kopf geworfen hatte - doch selbst dann hätte er nicht die Hand gegen einen alten und so treuen Freund erheben können, auch wenn er manchmal tatsächlich eifersüchtig auf ihn gewesen war.

"Ja. Und ich glaube nicht, dass ich mir vorstellen kann, wie man etwas anderes tun könnte...", erwiderte der Größere schlicht, lächelte sanft dabei, wiederholte dann noch einmal: "Ja, ich liebe ihn! Von ganzem Herzen..."

"Aber das darfst du nicht!", rief Yutonee unwillkürlich, bevor er sich davon abhalten konnte.

Doch Hisashi nahm es ihm nicht übel, schüttelte nur verständnislos den Kopf: "Warum sollte ich Nicome nicht lieben dürfen? Er ist der wundervollste Mensch, den ich kenne... Und darf wahre Liebe nicht alles?"

Yutonee antwortete nicht, keuchte nur und riss die Augen auf.

/"MENSCH"? HAT NAMI ES IHM ETWA NICHT GESAGT??/



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jean1384
2007-06-26T10:18:48+00:00 26.06.2007 12:18
klasse kap schick mir bitte ne ens wenns weiter geht
Von: abgemeldet
2006-04-07T08:56:32+00:00 07.04.2006 10:56
Ohay-o ^^y
""Wahnsinnig guuut""
auch wenn dass eine Ältere FF von dir ist bekommst du ein Kommi...
diese Idee von dir eine Geschichte über Engel zu schreiben und diese so toll umzusetzen,Grandios...
es ist eine wunderschöne sehr nachdenkliche FF geworden...
was mir sehr gut gefällt...
deine Erklärungen zwischen drin machen es auch für Nichtwisser punkto Engels-Hirachy sehr gut verständlich...
eine sehr sehr schöne FF...ich liebe Sie...
schreibst du die eigentlich noch weiter ?_?
wäre schön...*smile*
mata ne


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