Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 17: Steig aus der Asche deiner Existenz ----------------------------------------------- Langsam öffnete sich sein Mund, schleppend nahm die Lunge Sauerstoff in sich auf und er senkte die Lider. Der Raum war beinahe dunkel, nur eine kleine Schreibtischlampe brannte in der Ecke und sendete mattes Licht aus, warf dennoch zwei Schatten an eine kahle Wand. Nur leise waren die Worte zu vernehmen, die gesprochen wurden, beinahe lautlos, als würde die Dunkelheit sie verschlucken. Nur einem der Schatten waren knappe Bewegungen anzusehen, während der Andere völlig reglos verharrte. "Ich habe ihn heute Morgen im Wald gefunden. Er hat sich ganz schön verlaufen und hatte Glück, dass ich unterwegs war." Du lügst. "Ich war der felsenfesten Überzeugung, er hätte etwas mit deinem Verschwinden zu tun." Meine Sinne täuschen mich nie. "Mir geht es gut." Aber natürlich... "Nur ein paar Kratzer und die machen mir nichts aus." Und der Rest? Macht er dir auch nichts aus? "Ich stehe lieber." Und ich weiß, warum. "So schlimm ist es gar nicht, blind zu sein." Weil es dir dadurch leichter fällt, gewisse Dinge nicht zu sehen? "Eigentlich ist es hier ganz okay. Und außerdem sehe ich das kahle Zimmer nicht." Hör auf zu scherzen! "Es geht mir gut." Hast du nicht gehört? Hör auf! "Joseph... ich habe Mist gebaut." Nicht nur ich... "Ich habe gelogen, indem ich die Wahrheit verschwieg. Doch ich habe es nur getan, um keine Sorgen zu wecken. Und doch habe ich damit das Gegenteil erreicht." Wieso sagst du nichts? "Ich habe geschwiegen und alles unter den Teppich gekehrt, obwohl es sich um eine so ernste Sache gehandelt hat. Eine Sache, die jeden etwas anging, nicht nur mich. Eine Sache, die ich hätte leichter ertragen können, hätte ich es nicht verschwiegen." Hörst du? "Ich bin mir sicher, man wäre mir eine Hilfe gewesen und man hätte es gemeinsam durchgestanden. Dann wäre es erst gar nicht soweit gekommen." Ja, alles wäre anders gekommen... Du bist dumm, Joseph! Und ich auch... Langsam neigte sich Duke nach vorn, verbarg das Gesicht in den Handflächen. Die langen Strähnen des schwarzen Haares sanken hinab, als er unscheinbar und matt den Kopf schüttelte. Die blauen Augen des Anderen waren abwesend auf einen nicht existenten Punkt gerichtet. "So erfuhr ich es", flüsterte er leise. "Aus dem Mund eines Anderen. Und glaub mir..." Das ist kein fairer Ausgleich... Die Rechnung wurde zu hoch bezahlt. Den Preis war sie nicht wert. Vielleicht habe ich falsch gehandelt, doch eine solche Bestrafung... die kann ich nicht verdient haben. Dukes Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. Sein Gesicht war noch immer gesenkt, die Hände erhoben. Und Kaiba schwieg. Seit einer geraumen Zeit herrschte Stille in dem Zimmer. Kaiba war tief in den Sessel gerutscht, hielt die Hände auf dem Bauch gefaltet und betrachtete sie sich abwesend. Allmählich begann die bloße Wahrheit in dieser Welt zu herrschen. Lügen wurden zugegeben... Sie wurden zerschmettert, auch wenn es schmerzte. Doch jegliche Schmerzen vergingen. Es war nur eine Frage der Zeit. Und dann? Dann folgte ein Verständnis, wie es mit Geheimnissen nicht existieren konnte. Ohne auch nur das geringste Detail verschwiegen zu haben, hatte Kaiba gesprochen. Von Beginn an alles erklärt, die Wahrheit offen präsentiert und sich zu Worten gezwungen, die diese Wahrheit kleideten. Und nun fühlte er sich besser, wenn auch eine niederdrückende Atmosphäre in dem Zimmer herrschte. Er spreizte die Finger, zog die Nase hoch und richtete den Blick unausweichlich auf den jungen Mann, der ihm schräg gegenüber saß, augenscheinlich noch immer mit sich zu kämpfen hatte und in einer zusammengesunkenen Haltung verharrte. Lange Zeit sah er ihn an und schwieg, bis er die letzten Worten aussprach, die ihm auf der Seele brannten. "Ich bitte dich," sagte er leise. "Schau nach ihm, kümmere dich etwas um ihn... ich kann es nicht." Ein gedrungenes Ächzen war aus Dukes Richtung zu vernehmen, bevor sich dieser endlich zu regen begann. Das erste Mal seit einer halben Stunde. Erneut schüttelte er den Kopf, ließ etwas plump die Hände sinken und richtete sich benommen auf. Er lehnte sich zurück, rieb sich das Gesicht und schloss kurz die Augen, um die Gedanken zu ordnen. Er benötigte lange, um es halbwegs zu bewerkstelligen und anschließend erwiderte er Kaibas Blick. "Sei ein weiteres mal ehrlich, Kaiba." Seine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. "Hast du mir das alles nur erzählt, um mich darum bitten zu können?" Der Angesprochene blinzelte, biss sich auf die Unterlippe und rieb sich flüchtig die Stirn. "Ich habe vielleicht verheimlicht, aber ich lüge nicht", antwortete er gedrungen. "Und ich habe dir die Wahrheit gesagt, weil ich es dir schuldig bin." Eine kurze Zeit sah Duke ihn noch schweigend an. Aufmerksam schien er den Ausdruck in Kaibas Augen zu studieren, nach etwas zu suchen, das Zweifel an dieser Aussage zuließ. Dann jedoch begann er zu nicken. Erst leicht, dann auffälliger. Und anschließend erhob er sich schweigend, fuhr sich durch den Schopf, ließ den Kopf sinken und ging. >Was soll ich denken? Wie soll ich handeln?< Langsam schwenkte Kaiba den Wein im Glas, griff mit der anderen Hand nach der Zigarette, die im Aschenbecher lag. Er saß in der Dunkelheit seines Zimmers, in dem Sessel vor dem Tisch, auf dem eine leere Weinflasche stand. Auch eine andere, schon zur Hälfte geleert. Die Vorhänge waren zugezogen, kein Mondlicht drang in den Raum. Die Füße auf den Tisch gehoben und tief in die Polster des Sessels gerückt, starrte er auf den finsteren Kamin. >Soll ich mich hintergangen fühlen und mich nur auf mich selbst konzentrieren? Auf meine Probleme, die durch diese Lüge entstanden sind? Soll ich mich in meinem Haus oder meiner Firma verstecken und es vermeiden, ihn zu sehen? Soll ich die ganze Verantwortung wirklich in Dukes Hände legen? Soll ich mich vor einer Aussprache verstecken? Oder soll ich...< Er hob das Glas zum Mund, leerte es in einem Zug und stellte es auf den Tisch zurück. >Oder soll ich mich auf Joseph konzentrieren? Auf das, was er durchgemacht hat? Würde ich mich in seine Lage versetzen, dann würde ich vielleicht Verständnis für das entwickeln, was er getan, oder doch eher nicht getan hat. Er hat geschwiegen und dadurch eine Lüge aufgebaut. Die Frage ist nur, warum er es getan hat. Aus Scham? Aus Angst vor Mitleid? Weil er nicht erträgt, welche Schmerzen man ihm zugefügt hat? Dass er erniedrigt wurde? Ist er stolz genug, um aus diesem Grund zu schweigen?< Beiläufig tastete die Hand nach der Weinflasche und träge schenkte er sich nach. >Oder hat er geschwiegen, um mich vor der Wahrheit zu schützen? Wollte er verhindern, dass ich mir Sorgen um ihn mache? Ihn vielleicht anders behandle, als sonst? Hat er vielleicht sogar befürchtet... dass ich es ihm übelnehmen könnte? Das es etwas an meinen Gefühlen verändert?< Ein gemartertes Stöhnen kam über seine Lippen, bevor er das Glas wieder zum Mund führte und in großen Schlucken trank. >Ich kenne ihn doch, weiß doch meistens, was in ihm vorgeht und kann ihn einschätzen. Warum bin mir dann so unsicher, weshalb er es getan hat! Das einzige, was ich weiß, ist, dass er in diesen Stunden mehr Hilfe braucht, als ich. Aber ich kann ihm diese Hilfe einfach nicht geben, weil ich nicht weiß, was in ihm vorgeht. Noch nie stand unsere Beziehung so auf Messers Schneide. Aber eigentlich... ja, eigentlich ist es wie immer. Joseph litt und ich grübelte. Er erfuhr Schmerzen und ich hörte nur von ihnen. Er stand Ängste durch und ich ahnte sie nur. Er quälte sich... und ich linderte die Schmerzen. Während ich plante, Katagori umzubringen, quälten ihn Sorgen. Ich glaube, er versuchte viel und ich stieß ihn von mir. Er tat viel... warf sich vor mich und wurde angeschossen. Und was tat ich? Ich versteckte mich, wagte es nicht, zu ihm zu gehen. Während er unter körperlichen Schmerzen litt, litt ich unter Schuldgefühlen. Was ist wohl schlimmer? Und trotzdem war er es, der mir neuen Mut gab. Im Krankenhaus, das Blut voll Schmerzmittel... und trotzdem baute er mich auf. Dann, als Katagori zurückkehrte und ich das Gift zu mir nahm... er rettete mir das Leben, obwohl es hoffnungslos schien. Wieder machte er Ängste durch, litt körperliche Qualen ubd erhielt trotzdem keinen Dank, als es mir besser ging. Nein, wieder tat er alles und ich tat nichts. Ich spielte ihm sogar etwas vor, um nicht mit ihm sprechen zu müssen! Und anschließend war es mein Verdienst, dass er, der doch so erschöpft war, sich erneut in die Gefahr stürzte. Nur durch mich erschoss er einen Menschen und stürzte sich dadurch in noch größeres Leid! Und mir? Mir blieb nichts anderes übrig, als die Wunden zu versorgen. Ist das nicht erstaunlich? Jeder von uns spielt seine Rolle und es wiederholt sich. Immer und immer wieder... bis jetzt.< Langsam ließ er den Kopf sinken. >Am Anfang hat er mein Leben durch sein bloße Existenz verbessert. Er stand mir bei, als Katagori seinen Hass auf mich auslebte. Und er rettete mir das Leben. Anschließend machte er mir neuen Mut. Und dann rettete er mir erneut das Leben und machte dafür so viel durch, dass es für die Existenz von vier Menschen genügt. Und als ich auf dem Weg der Besserung war, machte er mir wieder Mut. Und als ob das noch nicht genügen würde, erschoss er einen Menschen, um mir das Leben zum dritten Mal zu retten!< Kaiba schnappte nach Luft, die Hand ertastete etwas zittrig die Stirn. >Und das Einzige, was ich tat, war, ihn von mir zu stoßen, ihn zu verletzen, ihm Katagoris Rückkehr zu verheimlichen und ihn sich selbst zu überlassen!< Verkrampft presste er die Lippen aufeinander, ballte die Hand zu einer Faust und ließ sie sinken. Seine Augen richteten sich erneut auf den Kamin, diesmal jedoch mit einem anderen Ausdruck. >Wäre es nicht an der Zeit, die eigenen Probleme zu begraben, mich voll und ganz auf ihn zu konzentrieren und ihm alles zu verzeihen? Vorausgesetzt, es gibt etwas, dass verziehen werden muss. Nach allem, was er für mich getan hat... bin ich es ihm nicht schuldig?< 'Joey und du...', hörte er plötzlich Daniels Stimme im Kopf, '... ihr seid also ein festes Paar.' Kaiba atmete tief durch, seine Hände betteten sich entspannt auf den Lehnen des Sessels und kurz darauf nickte er sicher. >Ja...< 'Du stehst dazu?' Wie ein Echo hallten die Worte des Halbamerikaners wider. Kurz schloss Kaiba die Augen, lugte anschließend zur Seite und richtete sich langsam auf. Die Hände falteten sich auf den Knien ineinander. >Ja.< 'Und... du liebst ihn wirklich?' Ausdruckslos betrachtete sich Kaiba die Decke des Zimmers, befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Nach einem kurzen Blinzeln drehte er sich etwas zur Seite, schob die Hand zielstrebig über den glänzenden Tisch und näherte sich so dem Glas. Bedächtig umfasste er den dünnen Schaft, zog es zu sich und starrte auf den blutroten Wein. Sein Gesicht verlor an Ausdruck, die Augen blieben reglos auf das Getränk gerichtet und nur die Lippen bewegten sich kurz, brachten ein leises Flüstern hervor. "Genug, um für ihn zu sterben..." Und bis du das begriffen hast, Joseph... Bis dahin werde ich für dich sehen. Ich werde dein Augenlicht sein, deine Führung, deine Sicherheit! Ich werde mich um dich sorgen, so wie du es bereits oft für mich getan hast. Ich werde mich für all das erkenntlich zeigen und es genießen, für dich da zu sein! Ich werde deine Ängste ausmerzen, dir Schutz spenden, dir Sicherheit vermitteln. Alles wird so, wie es einmal war. Du musst mir nur vertrauen... Es am frühen Morgen des nächsten Tages, als sich das Telefon meldete und Kaiba aus dem Schlaf riss. Sofort, als das erste Klingeln ertönte, begann er sich zu regen. Er war in dem Sessel eingeschlafen, richtete sich nun stöhnend auf und rieb sich die Stirn. In seinem Kopf brach augenblicklich ein strafender Schmerz aus, die Folgen des übermäßigen Alkoholgenusses in der Nacht. So rieb er sich auch die Schläfen und neigte sich aus dem Sessel, um nach dem Telefon zu greifen. Unsicher tastete er nach dem Hörer, bekam ihn erst beim dritten Versuch zu fassen und hob ihn ab. Verschlafen und müde ließ er sich gegen die Lehne zurückfallen und legte den Hörer an das Ohr. "Ja, hier Kaiba", nuschelte er zertreten, wirkte kurz darauf jedoch sofort wacher. Er blickte auf, ließ die Hand von der Schläfe sinken und nickte langsam. "Ja, Herr Lenzich..." Er räusperte sich leise, warf einen flüchtigen Blick zu den Weinflaschen und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen, während er in den Hörer lauschte. Herr Lenzich schien viel zu erzählen zu haben und Kaiba unterbrach ihn kein einziges Mal, nickte nur hin und wieder und wagte es für wenige Sekunden nicht einmal zu atmen. Er starrte auf den Boden, atmete tief durch und schloss unter einem langsamen Kopfschütteln die Augen. Herr Lenzich schien keine allzu angenehmen Nachrichten zu überbringen. Wenige Minuten dauerte das Telefon, dann richtete sich Kaiba langsam auf. "Und die Männer... die haben Sie, oder?" Er lauschte kurz, nickte und fuhr sich müde über den Nacken. "Ja, ich bereite mich darauf vor. Ja, in Ordnung." Somit ließ er den Hörer sinken, schob ihn über den Tisch und legte ihn auf dem Telefon ab. Anschließend stieß er ein träges Ächzen aus, fuhr sich etwas tapsig durch das Haar und kam auf die Beine. Beiläufig griff er nach seinem Mantel, der zerknautscht auf dem Tisch lag, schliff ihn hinter sich her und näherte sich so der Tür. In schlürfenden Schritten zog er durch den Flur, schob die Hand in die Hosentasche und zog sein Handy hervor. Müde klappte er es auf, wählte eine Nummer und hob es zum Ohr. Er betete, dass er diesen Tag heil überstand und ihn erfolgreich beenden würde. Viel hatte er sich vorgenommen... Er wartete nicht lange, lehnte sich gegen die Badtüre und drückte diese auf. "Hier Kaiba", meldete er sich, als er auf das Waschbecken zutrottete. "Es gibt Neuigkeiten." Er lehnte sich über das Waschbecken und stellte den Wasserhahn an, wieder wurde seine Miene von einer offensichtlichen Nachdenklichkeit befallen. "Nein, nicht am Telefon. Wo bist du?" Er hielt die Hand unter das Wasser, bewegte sie in der kalten Frische und nickte. "Ich komme zu dir." Somit ließ er das Handy sinken, legte es neben dem Waschbecken ab und hielt erst einmal den Kopf unter das Wasser. Kurz darauf verließ er seine Villa. Mit schnellen Methoden hatte er das Gewitter in seinem Kopf bekämpft und sich erfrischt. Um all die Pläne in die Tat umzusetzen benötigte er einen klaren Kopf, viel Ausdauer und dabei vor allem Mut. In einer bequemen schwarzen Hose und einem weißen Hemd, nahm er die Autoschlüssel von Jeffrey entgegen, öffnete die Tür des Maybach und stieg ein. Geschwind warf er den Mantel auf den Nebensitz, schob den Schlüssel in das Zündschloss und startete den Motor. Heute hatte er viele Wege vor sich. Als er das Tor hinter sich gelassen hatte, setzte er sich eine Sonnenbrille auf die Nase und zog sich eine Zigarette aus der Halterung, die er in dieser Situation dringend nötig hatte. Ohne eine Pause einzulegen, ließ er Dominos Innenstadt hinter sich und erreichte bald eine etwas abgelegenere, jedoch hübsche Gegend. Dort, vor einem kleinen Hotel, brachte er den Wagen zum Stehen. Nachdem er den Motor ausgeschaltet hatte, lehnte er sich erst einmal zurück, fuhr sich durch das Haar und zog die Sonnenbrille von der Nase. >Jetzt liegt es also bei mir, all das zu regeln.< Dachte er sich, als er sich auch den Hals rieb, abschließend den Kopf schüttelte und ohne sich weiteren Grübeleien hinzugeben, die Tür öffnete und ausstieg. >Dann spiele ich mal meine Rolle.< In zügigen Schritten betrat er den Rezeptionsraum des Hotels, ging geradewegs zu den Fahrstühlen und rief die Kabine. >Es ist doch kaum zu glauben, oder?< Er stemmte die Hände in die Hüften und blähte die Wangen auf. >Seit ich Joseph näher kennen gelernt habe, gibt es viele Menschen, um die ich mich kümmere, in deren Probleme ich mit einbezogen bin, um deren Probleme ich mich kümmere. Früher hätten mich all diese Dinge nicht interessiert.< Die Kabine kam und er stieg ein. >Nun, auch wenn ich eine kleine Rolle spiele... die Rolle bringt unglaublich viel Verantwortung mit sich.< Als sich die Türen schlossen und sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, lehnte er sich an die Wand. >Und dabei ist das einzige, was ich will, dass alles so wird wie früher.< Schnell erreichte er die zweite Etage des Hotels und steuerte zielstrebig auf eine Tür zu, an der er ohne zu Zögern klopfte. >Und das wird es, wenn ich diesen Tag meister und meine Pläne in die Realität umwandle!< Schritte ertönten und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Mit einem Glas O-Saft in der Hand, erschien Daniel im Türrahmen, musterte Kaiba kurz und bat ihn dann mit einer stummen Kopfbewegung, einzutreten. Kaiba tat es, zog an ihm vorbei und hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde. Daniel schien nicht besonders nach Reden zumute zu sein. Er schwieg noch immer, als er Kaiba in langsamen Schritten folgte und sich an die Kante des Tisches legte. Währenddessen sah sich Kaiba etwas um. Und das mit einer Miene, die nichts verriet, in der man keine Nachricht lesen konnte. Sonst wirkte er recht entspannt, hielt die Hände in den Hosentaschen und besah sich kurz die hübsche Einrichtung. Währenddessen hob Daniel das Glas zum Mund, trank einen Schluck und starrte auf den Boden. Ja, es gab Neuigkeiten und er wusste genau, welche Worte er aus Kaibas Mund hören würde. Kurz rieb er sich das Kinn, leckte sich über die Lippen und sah den Brünetten erwartungsvoll an. Er wollte nicht länger warten. Kaiba blieb stehen, wandte sich ihm zu und unterzog auch ihm eine kurze Musterung. "Wie geht es dir?", erkundigte er sich zuerst und Daniel zuckte nur mit den Schultern und entfloh dem Blickkontakt. "Die Neuigkeiten", erinnerte er und Kaiba nickte. "Vor kurzer Zeit meldete sich Lenzich." Daniel nickte stumm. "Er rief aus Thüringen an." Kaiba sprach ohne die geringste Nervosität. Seine Worte klangen sicher und seine Miene hatte sich nicht geändert. "Heute Nacht hat er mit seinen Männern den Eingriff durchgeführt." Auch das schien Daniel nicht unter einer Neuigkeit zu verstehen. Er bewegte sich nicht, starrte auf den Saft und bewegte ihn im Glas, während Kaiba ihn erneut ansah. Prüfend und abwägend, so als wären ihm seine Reaktionen sehr wichtig. "Unser Plan ist aufgegangen", fuhr er fort, diesmal jedoch etwas leiser und langsamer, als wolle er Daniel seine Worte verinnerlichen. "Drei Männer wurden verhaftet. Übermorgen wird ihnen in Deutschland der Prozess gemacht. Sie haben sie." "Mm." Daniel senkte den Kopf noch tiefer, bearbeitete den Piercing mit den Zähnen und schwenkte das Glas weiterhin in der Hand. Somit legte Kaiba eine kurze Pause ein. Schweigend löste er die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte die Arme vor dem Bauch, bevor er Luft holte und Daniel weiterhin fixierte. "Aber nicht nur die drei Männer wurden gefunden." Die Bewegung der Hand verlangsamten sich und Kaiba hob die Augenbrauen. Daniels Gesicht konnte man nicht sehen, lange schwarze Haarsträhnen verdeckten die Stirn und er verharrte reglos. Unterdessen räusperte sich Kaiba leise, rollte mit den Schultern und trat etwas näher an ihn heran. "Es gibt noch jemanden", sagte er. "Einen Überlebenden." Sofort gaben die Finger das Glas frei. Es fiel zu Boden, schlug auf den Fliesen auf und ging zu Bruch. Niemand schenkte ihm Beachtung. Daniels Hand blieb erhoben, der Atem des Schwarzhaarigen versagte und er wirkte, als wäre er in der Haltung erfroren. Kaiba schien von dieser Reaktion nicht sehr überrascht zu sein. Vor ihm war er stehengeblieben. "Hast du das verstanden, Daniel?" Er legte den Kopf schief. "Dein Freund lebt... und er ist frei." Endlich kehrte das Leben in den Körper des Halbamerikaners zurück. Langsam, scheinbar etwas benommen, richtete er sich auf, starrte Kaiba an und schob sich an dem Tisch zur Seite. Und nach wenigen Schritten schüttelte er den Kopf. "Du lügst...", flüsterte er mit kraftloser Stimme und wich um weitere Schritte vor Kaiba zurück. "Du lügst..." Aufmerksam besah sich Kaiba die grauen Augen. Sie waren geweitete, vor Fassungslosigkeit, vor Entsetzen. Und in ihnen lag das pure Flehen, diese Aussage zu widerrufen. Doch Kaiba tat nichts dergleichen. "Ich war mir sicher, dass er noch lebt", sagte er stattdessen. "Ich wusste es, obwohl ich ihn nicht kenne. Ich wusste es schon, als wir Lenzich anriefen." "Das is doch... das is doch ausgemachter Blödsinn!", demonstrierte Daniel und stützte sich auf die Lehne eines Stuhles. Annähernd wirkte er panisch, als würde er sich mit allen Mitteln dagegen wehren, eine Tatsache anzuerkennen. Eine Tatsache, die nicht gerade als schlechte Neugigkeit zu bezeichnen war. "Das kann nich sein!", rief er wieder. "Sie müssen ihn umgebracht ham! Ich glaub dir kein Wort! Lee is tot!!" "Nimm dir Zeit, um zu realisieren, dass es nicht der Fall ist." Kaiba gab sich noch immer ruhig, antwortete mit entspannter Stimme, während sich Daniel die Hand auf den Mund presste und immer wieder den Kopf schüttelte. "In diesen Sekunden befindet er sich bereits in einem Krankenhaus, in dem man gut für ihn sorgt." "Nein..." Daniel beugte sich über die Lehne. "Das heißt, du wirst ihn wiedersehen. Und das, ohne unter ständiger Spannung zu stehen und dir Sorgen machen zu müssen." Langsam wandte Kaiba ihm den Rücken zu, die Hände verschwanden wieder in den Hosentaschen. "Es ist schwer, Dinge wachzurufen, die man bereits begraben hat, ich weiß. Viele Wege, die richtig sind, sind auch schmerzhaft. Du musst dich auch mit Dingen beschäftigen, die dir nicht gefallen." >Nicht nur du musst das<, dachte er sich. In der Zwischenzeit hatte sich Daniel mit den Ellbogen auf die Stuhllehne gestützt und verbarg das Gesicht zwischen den Armen. Kaiba sah ihn nicht mehr an. "Versuch es von der positiven Seite zu sehen. Und wenn du das eingesehen hast, dann werden bessere Zeiten folgen." >Und nicht nur für dich...< "Willst du noch einen Saft?" Duke richtete sich im Stuhl auf. Vor ihm im Bett saß Joey. Mit gesenkten Schultern lehnte er sich in das Kissen und wendete einen leeren Becher in den Händen. Völlig abwesend und teilnahmslos waren seine Augen nach unten gerichtet, apathisch wirkten auch seine Bewegungen. Und wie in der letzten Stunde auch, reagierte er nicht. Als wäre Duke überhaupt nicht anwesend, drehte er den Becher weiterhin, betastete ihn und hielt den Kopf gesenkt. Duke rieb sich die Stirn und lehnte sich wieder zurück. >Er macht mir Angst<, dachte er sich, als er die Hände auf dem Bauch ineinanderfaltete und Joey beobachtete. >So habe ich ihn noch nie gesehen. Es ist, als wäre er für nichts mehr zugänglich, was in der reellen Welt geschieht. Er reagiert nicht, antwortet nicht, erweckt nicht einmal den Anschein, als wüsste er, dass ich hier bin. Wir müssen etwas unternehmen... ich habe Angst um ihn.< Er verzog die Augenbrauen, rutschte etwas tiefer und legte den Hinterkopf auf die Lehne. >Ich verstehe es nicht, nein, ich kann es nicht glauben, dass er uns allen etwas vorgespielt hat, all die Tage, einen halben Monat lang! Er hat den Zufriedenen, ja, den Glücklichen gemimt, während er in seinem Inneren so aussah.< Er wandte den Blick ab, seine Finger begannen sich zu bewegen und er knackte mit den Knöcheln. >Und Kaiba überträgt mir die gesamte Verantwortung! Lässt mich mit einem Menschen allein, mit dem ich nicht umgehen kann! Von dem ich nicht im geringsten weiß, was in ihm vorgeht! Mir geht es nicht besser als ihm und dennoch meint er, er hätte das Recht, sich zurückzuziehen?!< Gequält verzog sich Dukes Miene und unter einem erschöpften Stöhnen kam er auf die Beine. >Hier muss ganz schnell etwas passieren! Irgendetwas muss unternommen werden, sonst...< Er hielt den Atem an, ließ matt die Hände sinken und drehte das Gesicht zu Joey, um diesen mit einer Mischung aus Angst und Unsicherheit anzustarren. >... sonst werden wir Joey für immer verlieren.< Somit wandte er sich ab, kehrte Joey den Rücken zu und trottete zu der Wand, gegen die er die Stirn legte. >Was soll ich machen?! Soll ich ihm einen Arzt besorgen?! Soll ich die gesamte Verantwortung einfach weiterreichen und mich genau wie Kaiba, irgendwo verkriechen?! Nur, weil ich nicht weiterweiß?! Gottverdammt! Kann das nicht irgendwann aufhören?! Ich werde noch verrückt!< Plötzlich öffnete sich neben ihm die Tür und augenblicklich löste er sich von der Wand und blickte auf. Er musste zugeben mehr als überrascht zu sein, als er Kaiba sah. Und noch merkwürdiger war dessen Verhalten. Völlig entspannt und zielstrebig betrat er den Raum, ließ die Tür hinter sich offen und nahm direkten Kurs auf Joeys Bett, ihm jedoch kurz grüßend zunickend. Duke hob die Augenbrauen, wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. "Kaiba...?" Joey hatte in der Bewegung inne gehalten, als er jenen Namen gehört hatte. Reglos saß er dort und lauschte. Und Kaiba erreichte sein Bett, griff nach der Decke, die auf dem unbenutzten Nebenbett lag und zog sie mit sich. "Danke Duke, jetzt kümmere ich mich um ihn." Ohne Joey auch nur zu mustern, griff er nach dem Becher, nahm ihn dem jungen Mann ab und warf ihn zum Fußende der Matratze. Anschließend fasste er Joey am Arm. "Steh auf." "Wa..." Verwirrt trat Duke näher und auch Joey wirkte recht entsetzt, als er sich zögernd zu bewegen begann. "Kaiba, was hast du..." "Keine Angst." Der Angesprochene warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und wandte sich an Joey. "Na los." Seine Stimme hatte etwas Befehlendes an sich und klang dennoch nicht kaltherzig. Joey hatte sich irritiert aufgerichtet, hielt nun jedoch inne und sträubte sich gegen den Griff. "Lass mich los." "Na gut." Ohne zu zögern packte Kaiba die Decke, schlug sie zurück und schob den Arm unter Joeys Kniekehlen. Den anderen legte er um dessen Rücken und trotz aller Gegenwehr hob er ihn einfach hoch und zog ihn aus dem Bett. Duke konnte nur sprachlos daneben stehen und Joey machte den Anschein, nicht weniger verstört zu sein. "Du sollst mich loslassen!", fauchte er leise und bevor er sich versah, folgte Kaiba dem Wunsch. Flink ließ er seine Beine auf den Boden sinken und Joey blieb orientierungslos stehen. Bevor er realisieren konnte, was geschehen war, bekam er die Decke über die Schultern gezogen und spürte wieder den vorsichtigen und doch energischen Griff an seinem Handgelenk. Er zuckte augenscheinlich zusammen und versuchte seine Hand zu befreien. "Was soll das!" Kaiba schenkte ihm keinerlei Beachtung, zog ihn einfach mit sich und drehte sich noch einmal kurz zu Duke um. Lässig winkte er. "Ich rufe dich heute Abend an. Mach´s gut." "Lass mich los!" Nervös grapschte Joey nach der Decke, versuchte die andere Hand noch immer zu befreien und stolperte hinter Kaiba her, direkt auf die Tür zu. "Ich will das nicht!" Mit offenem Mund stand Duke da und schaffte es nur, die Hand zu heben. Und schon öffnete Kaiba die Tür, trat in den Flur hinaus und zog den schreienden Joey mit sich. Noch lange hörte Duke die verzweifelte Gegenwehr, ließ stockend die Hand sinken und schluckte. >Ach...< Er legte den Kopf schief. >Na, wenigstens hat er gesprochen und ihm Aufmerksamkeit geschenkt... wenn das mal gut geht.< Als die den Haupteingang des Krankenhauses erreicht hatten, hielt Joey endlich den Mund. Mit einer völlig entgeisterten Miene stolperte er hinter Kaiba her, wehrte sich nur noch ein bisschen gegen den Griff. "Stufen", murmelte Kaiba nur, bevor er ihn gnadenlos über die Treppen zog. Nun stemmte sich Joey erneut in die andere Richtung, ächzte und wurde letztendlich dennoch zum Weitergehen gezwungen. Zielstrebig ging Kaiba auf den Wagen zu, zog den Schlüssel aus der Hosentasche und entriegelte die Türen. Einige Menschen blieben stehen und sahen dem nach, was einer kaltblütigen Entführung glich. Irritierte Blicke folgten Kaiba, als er die Tür des Wagens öffnete und Joey hineinschieben wollte. Dieser klammerte sich an dem Dach fest, stemmte sich gegen ihn und stieg erst ein, nachdem Kaiba seine Ellbogen nach unten gedrückt hatte. Und bevor er sich versah, schloss sich die Tür neben ihm und Kaiba schlenderte um die Motorhaube herum. >Gut, eines der Probleme wäre gelöst. Wenden wir uns nun dem Größeren zu!< Gemächlich öffnete er die Fahrertür, warf sich in den Sitz und linste kurz zu Joey. Keuchend presste dieser die Decke an sich, schnappte nach Luft und fuhr zu ihm herum. "Wo willst du mit mir hin!", stieß er atemlos aus und starrte an ihm vorbei. "Ich will ins Krankenhaus zurück! Das darfst du nicht!" Kaiba antwortete nicht, blähte nur die Wangen auf und startete den Motor. Geschmeidig setzte sich der Wagen in Bewegung und so begann die Fahrt. Hastig drehte sich Joey zum Fenster, verkrampft versenkten sich seine Finger in der Decke und er schluckte, bevor das aufgeregte Keuchen wieder aus ihm heraus brach. "Ich will nicht mit dir reden!", zischte er anschließend und Kaiba warf einen beschäftigten Blick in den Rückspiegel, kümmerte sich überhaupt nicht um ihn. Diesmal nahm er einen großen Bogen um die Hauptstadt, fuhr durch unbewohntere Gegenden und nutzte bald eine unauffällige Landstraße, scheinbar mit einem direkten Ziel vor Augen. Sein Beifahrer beließ es währenddessen bei leisen Flüchen und zerrte immer wieder an der Decke. Direkt an Kaiba wandte er sich nicht mehr und das hätte sowieso nichts gebracht. Nach ungefähr zwanzig Minuten Fahrt, begann Kaiba mit den Fingerkuppen einen leisen Takt auf dem Lenkrad zu trommeln, bewegte stumm die Lippen und sah sich an einer kaum befahrenen Kreuzung um. >Ich mache das wirklich nicht gerne<, dachte er sich, als er die rechte Straße wählte und das Lenkrad drehte. >Aber was sein muss, muss sein.< In der Zwischenzeit hatte er eine ländliche Gegend erreicht, zu beiden Seiten der Straße zogen sich große kahle Felder bis in weite Ferne, die Häuser, die sich auf ihren anderen Seiten befanden, waren klein wie Würfel. Kaibas Schultern hoben und senkten sich unter einem schwerfälligen Atemzug, seine Augen waren konzentriert auf die einsame Straße gerichtet und in seinem Kopf schienen die Gedanken zu rasen. Kurz darauf zog er sich eine Zigarette, die er scheinbar dringend nötig hatte. Flink klemmte er sie zwischen die Lippen, verbrannte den Tabak und fuhr das Fenster hinunter. Er rauchte in tiefen Zügen, bearbeitete die Unterlippe alsbald mit den Zähnen und wurde auf einen zweispurigen Weg aufmerksam, der direkt zwischen zwei riesigen Feldern hindurchführte. So verlangsamte er das Tempo, bog in diesen Weg ein und fuhr gemächlich weiter. Eine kahle erdige Fläche umgab sie nun weitreichend, in weiter Entfernung scharten sich winzige Bäume um die Felder und Kaiba fuhr weiter, bis er die Mitte der riesigen Fläche erreichte. Entschlossen brachte er den Wagen zum Stehen, zog die Handbremse, schaltete den Motor aus und blieb zurückgelehnt sitzen. Noch immer widmete er Joey keine Aufmerksamkeit, wandte sich sogar ab und rauchte die Zigarette. Der Blonde hatte langsam den Kopf gehoben und starrte orientierungslos um sich. Er wusste nicht, wo er war, wirkte etwas nervös und gleichermaßen sehr vergrämt. Kaibas Blick schweifte unterdessen über die unendlich erscheinende Flur, ruhig und fast entspannt. Ein letztes Mal hob er die Zigarette zum Mund, schnippte sie durch das Fenster nach draußen und stieg aus. Als Joey verwirrt das Gesicht zur Seite drehte, schloss sich die Tür bereits und Kaiba war auf dem Weg zu ihm. Kurz streifte Kaibas Hand die Motorhaube, bevor er nach rechts bog und die andere Tür erreichte. Ohne zu zögern öffnete er sie, griff nach Joeys Handgelenk und zog den jungen Mann aus dem Wagen. Stolpernd und unsicher kam der Blonde auf die Beine, presste die Decke an sich und sah sich um. Schon wurde die Tür hinter ihm geschlossen und ohne ihn anzusehen zog Kaiba ihn wieder mit sich. Zielstrebig betrat er eines der riesigen Felder und ging weiter. Barfuß strauchelte Joey über die trockene Erde. >Ich habe Angst. Angst um Joseph, Angst um sein Wohlbefinden. Ich habe Angst vor dem, zu was er sich durch all das Schweigen machen könnte. Es ist undenkbar, was für schlimme Ausmaße diese Verdrängung nehmen könnte. Und ich werde etwas dagegen tun, solange ich noch die Möglichkeit habe. Bevor er sich vollständig in sich selbst verkriecht, darf ich keine Mittel scheuen, um ihn in die Realität zurückzuholen. Auch wenn diese grässlich sein sollte! Es tut mir leid, Joseph... Aber ich tue es für dich.< Kaiba hielt kein einziges Mal inne, ging in zügigen Schritten weiter, ließ den Wagen immer und immer mehr hinter sich. Und erst, als die Flur sie weitreichend umgab, ließ er Joeys Hand los, ging noch einige Schritte und blieb dann stehen. Auch Joey hatte sofort inne gehalten, zog die Hand zurück und presste sie, wie die andere auch, in die Decke. Hastig starrte er um sich, seine Füße rutschten kurz auf der Erde ab, bevor er festen Stand erreichte. Und nun sah Kaiba ihn an, lange und aufmerksam studierte er die Mimik des Blonden, las pure Verunsicherung und doch eine sture Verbitterung, die in den Augenwinkeln zuckte. Sein eigenes Gesicht hingegen verblieb kühl, annähernd unbeteiligt, als er die Arme vor dem Bauch verschränkte und tief Luft holte. Joey räusperte sich, duckte sich etwas und machte den Anschein, als gäbe es hier nichts, das ihm angenehm war. "Wo bin ich...?", erkundigte er sich vorsichtig und fühlte den merkwürdigen Boden unter den Füßen. "Auf einem Feld", verriet Kaiba entspannt. "Wir sind mutterseelenallein." "Ach." Die Miene des Blonden verzog sich verbissen. "Und was soll das werden?" Kaiba zuckte mit den Schultern, hob die Nase in den sanften Wind und genoss die saubere Luft. "Merkst du es? Hier ist nichts. Kein Mensch, kein Geräusch, keine anderen Störfaktoren. Nur der Wind." "Ja, super!" Joey linste verstohlen zur Seite. "Wenn du mich an diesen herrlichen Ort des Friedens entführt hast, um mit mir zu reden, dann vergiss es sofort! Ich habe keine Lust und werde auch auf keine deiner Maschen hereinfallen!" >Und schon wird er aggressiv und stellt sich auf Verteidigung ein.< "Ort des Friedens?" Kaiba hob die Augenbrauen. "Uns umgibt karges Ödland, Joseph. Der Boden auf dem wir stehen, ist unfruchtbar, wird von niemandem mehr als Ackerland benutzt. Das ist kein Ort des Friedens, sondern der Einsamkeit und da du dich sowieso mit ihr anfreunden willst, ist das doch der perfekte Vorgeschmack." "Du redest Blödsinn!", fauchte Joey. "Und meinetwegen kannst du das auch weiterhin tun! Ich höre dir nicht zu, also lass es am Besten gleich sein und bring mich sofort..." "Weißt du", unterbrach Kaiba ihn entspannt, ohne auf ihn einzugehen, "wenn du dich hier hinsetzt, dann wird dich niemand stören. Niemand wird zu dir kommen, niemand wird mit dir sprechen und das, weil du dich hier an einem unerreichbaren Ort befindest. An einem Ort, an dem du niemandem auffällst." "Hey", Joey verengte die Augen, "kannst du mir mal sagen, was das soll?! Du schleppst mich gegen meinen Willen aus dem Krankenhaus, fährst mit mir spazieren und zerrst mich auf irgendein gottverdammtes Feld, um mir so einen Blödsinn zu erz..." "Was glaubst du, wie lange du es auf diesem Feld aushalten würdest, hm?" Kaiba unterbrach ihn erneut und Joey biss die Zähne zusammen. "Wie lange könntest du hier sitzen? Wie lange könntest du die Menschen beobachten, die in weiter Entfernung ihrer Wege gehen? Unerreichbar sind? Und stell dir vor, das einzige, was du tun müsstest, wäre aufzustehen und zu ihnen zu gehen... und sie anzusprechen." "Oder ich bleibe sitzen, bis Gozilla auftaucht und mich zertrampelt!" Die Augen verdrehend, rollte Joey mit dem Kopf. "Hey, du hast mir die Geschichte von dem Rotkäppchen noch nicht erz..." "Was würde dich daran hindern, aufzustehen?", murmelte Kaiba nachdenklich und Joey ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Decke fest in ihnen ein und verzog die Miene. "Ist es dummer Trotz oder existieren dafür noch andere Gründe?" "Ist mir scheißegal!", schnaubend wandte sich Joey ab, zerrte die Decke mit sich und stampfte davon. In die falsche Richtung, die nur eine weite Flur für ihn offen hielt. In gemächlichen Schritten folgte Kaiba ihm. "Es ist schwer, herauszufinden, was in einem Menschen vorgeht", raunte er nebenbei. "Obwohl man den Menschen seit langer Zeit kennt und meinte, alles über ihn zu wissen. Aber in manchen Fällen müsste man wohl die Fähigkeit des Gedankenlesens besitzen, um allwissend zu sein." "So ein Pech aber auch", hörte Kaiba den Blonden knurren und sogleich verlangsamte er die Schritte, blieb nach kurzer Zeit stehen und sah Joey nach, der orientierungslos weiter strauchelte. "Wie geht es dir eigentlich seit der Vergewaltigung?" "Wie es einem Vergewaltigten eben geht!", antwortete Joey ohne das geringste Zögern. Er stampfte weiter, hielt nach wenigen Schritten jedoch ebenfalls inne und drehte sich ruppig zu ihm um. "Ist das alles, was du wissen wolltest?!" Kaiba musste zugeben, dass er über diese freizügige Antwort etwas überrascht war. Seines Erwartens nach, hätte Joey diese Frage nicht einmal beantwortet, so getan, als hätte er sie überhört. Und nun diese schnelle Reaktion...? Glücklicherweise konnte Joey die Miene des Anderen nicht erkennen. Sie veränderte sich kurz, verfestigte sich jedoch schnell und ließ zu, dass Kaiba seine Rolle auch weiterhin spielte. "Wie es einem Vergewaltigten eben geht?", wiederholte er Joeys Worte. "Wie geht es denn so einem?" "Leg´s doch einfach drauf an und finde es heraus?", zischte Joey hinterhältig und raffte die Decke höher. >Er reagiert anders, als ich es erwartet hatte.< Kaiba biss sich auf die Unterlippe, wandte kurz den Blick ab und rieb sich das Kinn. "Ich glaube, das wäre nicht klug", antwortete er nach einem sicheren Grübeln. "Es muss unbeschreibliche Qualen mit sich bringen." "Möglich?" Joey weitete die Augen. "Aber vielleicht auch nicht?" "Das kann nicht sein." Kaiba schüttelte entschieden den Kopf. "Immerhin ist es nicht nur eine Erniedrigung, sondern auch eine unmenschliche Folter, die neben den seelischen und psychischen Schäden auch körperliche Verletzungen nach sich zieht." Joey legte den Kopf schief. "Wow, vor mir steht ein Genie!" >Und trotzdem geht er nicht auf mich ein<, dachte sich Kaiba. >Er beantwortet all meine Fragen rein rhetorisch, plappert inhaltslos vor sich hin. So komme ich nicht weiter.< "Also stimmt es?" Er stemmte die Hände in die Hüften. "Unter was leidest du? Hast du Alpträume?" "Tse!" "Ich meinte damit, verfolgt es dich, wenn du die Augen schließt? Erinnerst du dich daran? An die Schmerzen? Die Angst?" "Ja, ich mache sogar ins Bett!" Joey schnitt eine Grimasse. "Wirklich?" Kaiba weitete die Augen und Joey sah doch wirklich so aus, als würde er sich für eine kurze Zeit außer Kontrolle geraten. Seine Lippen bewegten sich stumm, seine Hände führten verworrene Gesten aus, doch ebenso schnell, wie er die Kontrolle verloren hatte, erhielt er sie auch zurück und brachte es zu einem verächtlichen Grinsen. "Blödsinn!" >Gut, jetzt hat er schon widerrufen.< Eine stärkere Brise erfasste sie. Joeys Decke bäumte sich kurz auf, wurde jedoch schnell wieder zurechtgezerrt, während Kaiba erneut zu grübeln schien, leicht nickte und etwas in die Knie ging. "Ich kann nicht glauben, dass man danach keinerlei Gedanken mehr daran verschwendet, immerhin ist es ein einschneidendes Erlebnis." Plötzlich hielt Kaiba inne, langsam hob er die Hand, stützte sie unter der Kinn und verengte sinnierend die Augen. "Oder ist es gar nicht so schlimm? Vielleicht habe ich es mir immer nur falsch vorgestellt? Vielleicht tut es nicht einmal weh, ist sogar auch eine völlig harmlose Sache? Ohne jegliche Folgen?" "Natürlich." Plötzlich erschien jenes verächtliche Grinsen auf Joeys Lippen. "Verkauf mich nicht für dumm, Kaiba. Das ist eine Masche, die dir wie auf den Leib geschnitten ist. Jetzt soll ich wohl anfangen zu schreien und völlig ausrasten, nicht wahr?" "Warum solltest du das denn tun?" Kaiba blickte zu ihm auf. "Hättest du irgendeinen Grund dazu?" "Oh... nein, nein, nein." Joey fuchtelte mit dem Zeigefinger. "Vergiss es. Darauf werde ich nicht antworten." Angespannt schloss Kaiba die Augen und ballte die Hand zu einer Faust. "Ich werde jedenfalls nicht auf diese Provokation hereinfallen. Ich weiß genau, worauf du aus bist! Du kannst mir nichts vormachen und ich sage dir gleich, dass daraus nichts wird!" "Das ist keine Provokation", verteidigte sich Kaiba mit aufgezwungener Ruhe. "Ich habe nur alle Möglichkeiten in Betracht gezogen." "Was du nicht sagst." Nun war es Joey, der sicherer zu sein schien und das Grinsen hielt an, wirkte nun jedoch vielmehr belustigt als verächtlich. "Und die Möglichkeit, die am grausamsten ist, wählst du, um besonders auf sie einzugehen. Bis ich an deinen Worten zerbreche und alles aus mir rauslassen, nicht wahr?" >Was... was soll das?!< Kaiba traute seinen Ohren nicht. >Wie tief sitzen alle diese Dinge, dass er so etwas problemlos erwähnen kann?!< Nun schwieg Joey. In die Decke gehüllt, stand er vor Kaiba, starrte jedoch zur Seite. >Ich muss mir etwas anderes einfallen lassen! So komme ich nicht weiter!< "Na dann." Er schlug sich auf die Knie und kam auf die Beine. "Dann werde ich dieses Gewäsch wohl unterlassen und dir etwas anderes erzählen." "Tue dir keinen Zwang an." Joey zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und ging weiter. "Habe ich dir gegenüber schon einmal einen Mann namens Lenzich erwähnt?" "Deutscher Polizeipräsident, guter Freund, toller Mann... bla bla bla", murrte Joey nur und stiefelte weiter. Und wieder folgte Kaiba ihm. "Und an Daniel Ray erinnerst du dich auch noch?" "Mm... ja, habe zwar ein Kurzzeitgedächtnis, aber der Name ist mir ein Begriff!" "Wir haben ihm viel zu verdanken." Kaiba fuhr sich durch den Schopf. "Oh ja!" Der reine Sarkasmus sprach aus Joeys Stimme, als er sich tiefer in die Decke mummelte und eine andere Richtung einschlug. "Zum einen hätte ich nie von deinem Malheur erfahren und wäre weiterhin im Dunkeln getappt. Du hättest zwar deinen Spaß gehabt aber das wäre ja nicht das Wahre gewesen." Darauf antwortete Joey nicht und Kaiba zog seine Schlüsse aus dem Schweigen. "Es ist verständlich, dass du nun wütend auf ihn bist. Nun, da er dich der Realität näher gebracht und dich an Dinge erinnert hat, die du am liebsten vergessen hättest. Aber zum einen gehört auch ein zweites. Und weißt du, was das ist?" "Tut mir leid, meine hellseherischen Fähigkeiten sind noch nicht gut genug entwickelt!" Kaiba schenkte den zornigen Kommentaren keine Beachtung mehr. Dazu war er viel zu neugierig auf Joeys baldige Reaktion. "Nun, zum zweiten war er daran beteiligt, dass wir einen gewissen Lee befreien konnten." Kaiba glaubte zu sehen, wie sich Joeys Schritte kurz verlangsamten, sprach jedoch weiter, bevor dieser wieder etwas Bissiges loswerden konnte. "Und wie ich gehört habe, ist er schon wieder auf den Beinen. Er hat nur ein paar kleine Blessuren, aber sonst..." Er verstummte, als Joey plötzlich inne hielt und sich ruppig zu ihm umdrehte. Die pure Wut stand dem Blonden ins Gesicht geschrieben, als er die Augen verengte und langsamen die Hände sinken ließ. "Lügner!" "Warum sollte ich lügen?" "Dass er frei ist, das ist eine Lüge!", fauchte Joey. "Und dass du auch nur das geringste über ihm weißt, auch!" "Wie kommst du darauf?" >Komm schon... sag nicht das Falsche! Allmählich weiß ich nicht mehr weiter!< "Weil Lee Aids hat und es ihm unmöglich gut gehen kann!" >Danke.< "Es ist sogar unmöglich, dass er noch am Leben ist!", fuhr Joey aufgebracht fort, während Kaiba erleichtert den Kopf sinken ließ. "Er ist längst tot, also erzähl mir nicht so einen Mist!" "Er hat Aids?" "Natürlich hat er!", fauchte Joey zurück. "Und wenn er nicht umgebracht wurde, dann ist er schon längst daran gestorben!" "Und du?" Kaibas Miene wurde von einer vorsichtigen Ernsthaftigkeit befallen. "Wie steht es mit dir? Bist du infiziert?" "Es geht hier nicht um mich!" Joey schüttelte aufgebracht den Kopf. "Du hast mich angelogen, darum geht es!" "Woher weißt du, dass er unter dieser Krankheit leidet? Hast du sein Leiden mitbekommen?" "Wäre schwer gewesen, es nicht zu tun!" Joeys Miene verfinsterte sich. "Mm...", Kaiba senkte den Kopf, "... und hast du auch nur ein einziges Mal daran gedacht, was wäre, wärst du wirklich infiziert?" Darauf antwortete Joey nicht sofort. Er starrte vor sich hin, zog kurz darauf eine Grimasse und wandte sich ab. Er kehrte Kaiba den Rücken zu, ging jedoch nicht weiter. "Ich habe gesagt, ich werde nicht darüber reden!" "Und dabei ist es eine verdammt ernste Sache." Kaibas Stimme senkte sich, machte auf eine tiefe Besorgnis aufmerksam. "Du hast recht, Lee ist nicht wieder auf den Beinen, aber frei ist er trotzdem." ~*To be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)