Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 16: Stillstand ---------------------- "Seto." Seine Stimme kam nur als schwaches Hauchen über seine Lippen, als er zögerlich die Hände hob und sich in langsamen Schritten der Geräuschquelle näherte. "Warum...?" Schluchzend schüttelte Kaiba den Kopf, seine Hände ballten sich zu zitternden Fäusten, sein Leib bebte unter heftigen Atemzügen. "Warum?!" Joey näherte sich ihm langsam, blieb direkt neben ihm stehen und ging in die Hocke. Er ertastete den Rücken des jungen Mannes, beugte sich über ihn schob eine Hand weiter zu Kaibas Hals, um die er sie vorsichtig legte. Seine Miene wandelte sich ins Ausdruckslose, als er Kaiba langsam zu sich zog. Völlig aufgelöst, presste sich dieser gegen seinen Leib, während zwei Arme etwas stockend den Seinen umschlangen. Etwas kraftlos hielt Joey ihn fest, spürte den heißen Atem, der alsbald durch den dünnen Stoff seines Shirts drang, sich warm auf seine Haut legte. Zusammengesunken blieb Joey hocken, seine Hände auf Kaibas Rücken und seiner Schulter verblieben reglos und immer wieder presste Kaiba ein Wort hervor. "Warum!" Die Mimik des Blonden verblieb passiv, keine Tränen glänzten in seinen Augen, nicht einmal die geringste Anteilnahme war in ihnen zu erkennen. Warum? Joey senkte die Lider, das lange blonde Haar verdeckte sein Gesicht. Langsam vergruben sich seine Finger in dem Stoff des Mantels, unter einem tiefen Atemzug hoben und senkten sich seine Schultern. Ja, warum... Tief in den Stuhl gerutscht, saß Daniel Ray im Wartezimmer des Krankenhauses. Die Beine von sich gestreckt, die Hände auf der Hüfte gefaltet, den Blick auf den kahlen Boden fixiert. Er war hierhergekommen, nachdem Kaiba aus dem Büro gestürmt war. Und nun? Nun saß er seit knapp einer halben Stunde hier. In nicht allzuweiter Entfernung war Joeys Zimmertür; er konnte sie sehen, wenn er das Gesicht zur Seite drehte. Es war kein Fehler, sagte er sich immer wieder. Er hatte richtig gehandelt und auch wenn es schmerzte, die Barriere war gebrochen, das, was hinter ihr lag, stand der Welt offen, würde mit derer Hilfe gelöst und verarbeitet werden, bis es nicht mehr existierte. Langsam begann er den Lippenpiercing mit den Zähnen zu bearbeiten und wie so oft in den letzten Minuten, schweiften die grauen Pupillen zur Seite, richteten sich auf jene Tür und blieben an ihr haften. Hinter ihr herrschte Stille, er hörte keinen Laut. Als er eingetroffen war, hatte er Kaibas Stimme vernommen, nun jedoch... Er presste die Lippen aufeinander. Seit langer Zeit hörte er nichts mehr. Auch um ihn herum war nicht viel Betrieb. Nur hie und da eilten Ärzte von einer Tür zur anderen, beinahe Lautlosigkeit umgab ihn und diese Tatsache ließ eine wirklich merkwürdige Atmosphäre entstehen. Was taten Kaiba und Joey in diesem Moment? Sprachen sie sich aus? Schwiegen sie sich an? Was geschah hinter jener Tür? Nach wenigen weiteren Minuten kam er stöhnend auf die Beine, rieb sich die Stirn und schlenderte zu einem Getränkeautomaten, der nicht weit entfernt stand. Leise Lippen flüsterten stumme Worte, als er den Kopf schüttelte und in seiner Tasche suchte. Würde Joey ihn hassen? Würde er ihn mit keinem einzigen Wort achten? Wie würde es weitregehen? Daniel wusste, dass diese Entscheidung nicht mehr in seinen Händen lag und dennoch war es schwer, sich als Unbeteiligten zu sehen. Er war nicht unbeteiligt, nein, er war mitten in den Geschehnissen, auch wenn er es nicht wollte. Und dennoch war er gern dazu bereit, zu tun, was in seiner Macht stand, um zu helfen, um daran mitzuarbeiten, dass alles wieder so wurde, wie es vor dieser Klassenfahrt gewesen war. Er holte tief Luft, blähte die Wangen auf und begann Geld einzuwerfen. Und während sich ein Becher mit heißem Cappuchino füllte, drehte er sich wieder um, blickte zu jener Tür. Was taten die Beiden seit einer halben Stunde? Es fiel ihm nicht leicht, sich davon abzuhalten, die Tür zu öffnen und nachzuschauen. Ging es den Beiden gut? Die Augen verdrehend, griff er nach dem Becher, lehnte sich an die Wand neben dem Automaten und blies über das heiße Getränk. Er blieb dort lehnen und betrachtete sich die Menschen, die an ihm vorbeieilten. Nur, um sich abzulenken, um auf andere Ideen zu kommen. Eine alte Frau im Rollstuhl, ein junger Mann in Schlafanzug und Krücken, der sich einen Apfelsaft holte. Ärzte in weißen Kitteln, Krankenschwestern... Er musterte, leerte seinen Becher binnen weniger Minuten und wurde anschließend erneut von der Nervosität überfallen. Händeringend kehrte er zu seinem Stuhl zurück und ließ sich auf diesem nieder. Und nachdem er an dem Versuch, positive Gedanken zu entwickel, gescheitert war, legte er den Hinterkopf gegen die Wand und starrte hinauf zu einer der großen Lampe. Wenn Joey wirklich nicht mehr mit ihm sprach...? Was soll´s, er war sich keiner Schuld bewusst. Obgleich die Gefangenschaft nur drei Tage angedauert hatte, sie war ein tiefer Einschnitt in das Leben des jungen Mannes. Ein Einschnitt, der sich nicht verleugnen ließ. Viel zu schmerzhaft war er, um dies bewerkstelligen zu können. Und wenn man nicht begann, ihn schnell zu versorgen, ihn der Heilung entgegenzuführen, so würde er sich verschlimmern, vergrößern wie eine infizierte Wunde, die sich brennend durch das Fleisch fraß. Daniel hatte es kommen gesehen, wie Joey sein Leben weiterführte, lachend und scherzend, während in ihm eine Wunde brannte. Wie das Grinsen mit jedem Tag aufgezwungener wirkte, wie es mit jedem Tag schwerer herzustellen war, alsbald einer verkrampften Maske glich. Wie er die Lügen an sich krallte, sich selbst im Stich ließ und seine Psyche aus den besorgten Gedanken ausschloß. Wie er sich mit jedem Tag veränderte, sich abschottete, da die innere Kraft abgeschwächt, ihrem Ende nahe war. Und dennoch weiterlog... Log, bis er innerlich zerbrach, bis alles, was er sich bewahrt hatte, einstürzte und er sich aus eigenem Willen der Dunkelheit auslieferte, in der alles und jeder verloren war. Und alles war besser, als das zu durchleben. Schmerzen, Leid, Scham, all dies galt es durchzustehen, um die Wunde zu heilen. Eine schwere Zeit, um besseren Tagen entgegenblick zu können. Tage, die nie endeten, ganz anders als die Pein. Aus den Augenwinkeln nahm Daniel eine Bewegung wahr. Sogleich schreckte er hoch, kehrte in die Realität zurück und drehte sich zur Seite. Mit hängenden Schultern und benommenen Schritten verließ Kaiba den Raum. Als wäre er abwesend, suchte seine Hand nach der Klinke und drückte die Tür hinter sich zu. Daniel blieb sitzen, beobachtete ihn jedoch aufmerksam und wurde sich darüber bewusst, dass nicht nur auf Joey schmerzvolle Tage zukamen. Dann blieb Kaiba in dem Gang stehen, ließ den Kopf sinken und stützte die Stirn in die Handfläche. Den anderen Arm schlang er um den Bauch und so verharrte er einige Sekunden. Länger als eine halbe Stunde war er in dem Raum gewesen und Daniel wurde das Gefühl nicht los, dass binnen dieser Zeit nicht viele Worte gewechselt worden waren. Etwas angespannt lehnte sich der Halbamerikaner nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. Kurz ließ er den Kopf hängen und als er nach wenigen Sekunden wieder aufblickte, hatte Kaiba das Gesicht zu ihm gedreht. Ihre Blicke trafen sich, Daniel Ray schürzte die Lippen und nachdem der Brünette ihn eine Weile angestarrt hatte, näherte er sich ihm in langsamen Schritten. Schon aus dieser Entfernung konnte Daniel das bleiche Gesicht erkennen, die erschöpfte Haltung, die kraftlose Mimik mit einem leisen Hauch Verbitterung. Und als Kaiba vor ihm stehen blieb... die geröteten, glasigen Augen. Unentweicht sah Daniel ihn an, faltete die Hände und schwieg. Der junge Geschäftsmann erweckte den Eindruck, als könne er in diesen Sekunden keinen klaren Gedanken bilden, als wüsste er nicht, was er denken, was er tun sollte. Er wirkte unentschlossen, nervös, und brach den Blickkontakt nach kurzer Zeit ab. Schweigend presste er die Lippen aufeinander, stemmte die Hände in die Hüften und drehte das Gesicht zur Seite. Auch Daniel starrte auf den Boden zurück. Kaibas Atem fiel langsam und ruhig, als sich seine glasigen Augen durch den kahlen Gang tasteten, nirgends hängen blieben, sich scheinbar ziellos ihren Weg bahnten. Er schien noch nicht bereit, seine Gefühle in Worte zu fassen, benötigte scheinbar noch etwas Zeit. Doch diese konnte Daniel ihm nicht geben. Die Nervosität und gleichermaßen die Neugierde drängte ihn dazu. So war er also dazu bereit, das lange Schweigen zu brechen. Wieder richteten sich seine Augen auf Kaiba und nach einem Räusern erhob er leise die Stimme. "Habt ihr... gesprochen?" Kaiba reagierte nicht. Als hätte er die Worte nicht wahrgenommen, starrte er weiterhin in jene Richtung. Daniel atmete tief durch, rieb sich das Kinn und erkannte kurz darauf ein unauffälliges langsames Kopfschütteln. Diese Antwort nahm er mit Verständnis auf, kommentierte sie mit einem leichten Nicken und lehnte sich wieder zurück. "Und wie soll´s jetzt weitergehen?" Nach einem langen Hadern wandte sich Kaiba ihm zu. Er ließ die Arme sinken, zog die Nase hoch und erwiderte Daniels Blick ausdruckslos. "Willste bei ihm bleiben?" Flüsterte dieser. ... und wieder schüttelte Kaiba den Kopf. >Was geht in ihm vor?< Der Halbamerikaner schloss die Augen. >Welche Gedanken kreisen in sei´m Kopf? Wie fasst er all dies auf? Will er ihn vielleicht sogar...< Wieder falteten sich die Hände ineinander. >... verlassen...?< Als er ein leises Räuspern wahrnahm, öffnete er die Augen, sah, wie Kaiba die Unterlippe mit den Zähnen bearbeitete. Und die Mimik seines Gesichtes hatte sich verändert. Eine leise Entschlossenheit funkelte in seinen Augen, als er Daniel taxierte. Dieser sagte nichts und machte ein langes Schweigen durch. "Daniel." Auch Kaibas Stimme hatte einen Teil ihrer Festigkeit zurückerlangt, bestätigte den Verdacht auf jene Entschlossenheit, die Kaiba in sich trug. "In diesen Sekunden gibt es nur eine Sache, die ich tun will." Daniel hob die Augenbrauen und Kaibas Gesicht zuckte kurz. "Nein, ich WERDE sie tun!" "Was meinste?" Hauchte Daniel. Kaiba stieß einen schnellen Atem aus, drehte sich zur Seite und fuhr sich kurz durch den Schopf. "Die Geschichte, die du mir erzählt hast...", murmelte er, "hast du jegliche Wahrheiten ausgelassen?" "Nein." Sofort schüttelte Daniel den Kopf. "Weder ausgelassen, noch dazuerfunden." "Aha." Wieder stemmte Kaiba die Hände in die Hüften, sein Blick richtete sich aus den Augenwinkeln auf den Schwarzhaarigen, blieb lange an ihm hängen, ohne das weitere Worte fielen. "Kaiba?" Daniel wurde nervös. "Was haste vor?" "Wem habe ich es zu verdanken, dass Joseph frei ist?" Unterbrach Kaiba ihn fast beiläufig. "Das hab ich dir doch erklärt." Da Daniel sowieso nicht mehr stillsitzen konnte, kam er auf die Beine. "Lee hat ihn..." "Ich werde dafür sorgen, dass seine Gefangenschaft ein Ende findet." Augenblicklich verstummte Daniel. Seine Lippen bewegten sich noch, doch kein Ton kam über sie, während sich die Augen weiteten, Kaiba ungläubig anstarrten. "Du... du willst was?" Flüsterte er beinahe lautlos. "Ich werde ihn befreien." Wiederholte Kaiba mit der gleichen Entschlossenheit. Kurz verharrte Daniel vollkommen reglos. Weder Erleichterung noch Freude waren in seinem Gesicht zu finden, nur bloßes Entsetzen, welches beinahe an Angst grenzte. Zögerlich tat er einen Schritt, trat an Kaiba vorbei und wich etwas zurück. Und nachdem er hastig nach Luft geschnappt hatte, schüttelte er den Kopf. "Nein..." Kaiba hatte sich mit ihm gedreht, musterte ihn mit der selben Ausdruckslosigkeit, mit der er ihm begegnet war. "Nein." Daniel schüttelte den Kopf heftiger. "Hör zu, ich... ich hab gern geholfen, okay? Un ich bin auch froh, dass des jetzt weißt. Aber...", er hob abwehrend die Hand, "... du musst keine Wiedergutmachung leisten." "Ich sehe es nicht nur als Wiedergutmachung an." Erwiderte Kaiba ruhig. "Der Grund, der mich antreibt, heißt Gerechtigkeit. Ich bin nicht dazu bereit, untätig zu sein, wenn ich es weiß und etwas dagegen unternehmen ka..." "Ich will´s nich!" Unterbrach Daniel ihn plötzlich stur. "Nein, ich will´s einfach nich! Das is meine Angelegenheit, nich deine. Du musst dich nich drum kümmern, okay? Es is wirklich alles beim Besten! So wie´s jetzt is, isses gut!" Diese Überzeugung schien Kaiba nicht zu überraschen, brachte seine Entschlossenheit nicht dazu, zu verblassen. Er fixierte Daniel weiterhin, brachte ihm ein leichtes Kopfschütteln entgegen. "Seit drei Jahren, sagtest du? Seit drei Jahren dauert dieser Alptraum an? Waren das nicht deine Worte in meinem Büro?" "Ich-will-es-nich!" Zog Daniel einen strikten Schlussstrich und untermauerte ihn mit einer ebenso entschlossenen Handgeste. "Du hast dich da nich einzumischen, Kaiba!" "Und ich verstehe deine Einstellung." Kaiba ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden und senkte den Kopf. "Nach drei Jahren voller Besorgnis bist du nicht mehr auf Rettung eingestellt. Es tut mir leid, wenn ich es so sagen muss, aber ich glaube, du hast jegliche Hoffnung aufgegeben. Ist es nicht so?" Daniel setzte an, um zu schreien, doch schnell riss er sich mit allen Kräften zusammen. Seine Zähne bissen aufeinander, die Hände ballten sich zu Fäusten und nach einem tiefen Luftholen, entspannte er sich. "Ja, ich hab die Hoffnung verloren." Antwortete er etwas verbissen. "Doch bevor Lee Joey berfreit hat, besaß ich se noch." Er sah Kaiba an. "Und weißte, weshalb?" "Sag es mir." "Weil ich auch an Gerechtigkeit glaube." Daniel verengte bittend die Augen, näherte sich Kaiba zögernd. "Ich hielt´s für unrealistisch, einfach alles! Immer wieder sagte ich mir, wie kann´s sein, dass nen Mensch, der´s gesamte Leben noch vor sich hat, eingesperrt un gequält, ja, gefoltert wird! Es is zu grausam, um real zu sein! Und dennoch ist es seit drei Jahren so? Ich habe immer dran geglaubt, dass es irgendwann vorbei is, dass die Gerechtigkeit siegt! Ich hab alles versucht, wirklich alles, um ihm zu helfen! Ich hab die Hoffnung nie aufgegeb´n, hab versucht, ihn zur Flucht zu überreden. Un Möglichkeiten hatten wir viel. Doch stets ging er zurück. Und weißte warum?" Kaiba schüttelte den Kopf und Daniel hob die geballte Faust. "Weil für ihn die Gerechtigkeit gestorben war!" Seine Stimme begann zu zittern. "Weil er an nichts mehr glaubte, weil er sich nach nichts sehnte... außer nach´m Tod! Weil er mich nich belasten wollte, nich wollte, dass ich seh, wie er stirbt!" Kaiba blinzelte, rieb sich das Kinn und wandte den Blick ab. "Er war vom Aids zerfressen!" Vor ihm blieb Daniel stehen. "Un das einzige, was ich für ihn tun konnte, war, ihm nachzugeben, ihn geh´n zu lassen!" "Du sprichst von ihm, als wäre er bereits tot." Mit scheinbar viel Überwindung sah Kaiba ihn an und er ließ die Hand sinken, schüttelte langsam den Kopf. "Kaiba...", hauchte er, "...er is tot." "Woher willst du das wissen." Auch Kaibas Stimme klang gedämpft und leise. "Indem er Joey rettete, machte er´n letzten Schritt, erreichte sein Ziel." Antwortete Daniel heiser. "Er verabschiedete sich, bevor er ging... er is tot, glaub mir Kaiba, er is tot." Somit ließ er den Kopf hängen und rieb sich den Nacken mit beiden Händen. "Ich... ich spüre es. Sie haben ihn umgebracht." Kaiba atmete tief durch, räusperte sich erschöpft und wandte sich ab. Eine lange Stille brach über sie herein. Mit geschlossenen Augen standen sie dort, schüttelten die Köpfe und versuchten, ihre Gedanken zu ordnen. Ärzte zogen an ihnen vorbei, leise Gespräche wurden geführt, Türen öffneten sich, Türen schlossen sich und sie verharrten reglos. Und diesmal war es Kaiba, der die Stille brach. Er linste zu dem Anderen. "Daniel? Bist du bereit, dich für die Gerechtigkeit einzusetzen?" Der Angesprochene schüttelte den Kopf. "Lee is tot." "Vielleicht ist er es." Kaiba trat an ihn heran. "Doch auch wenn wir nicht mehr retten können... wir können bestrafen." "Was?" Ihre Blicke trafen sich erneut. "Auch Bestrafung ist Gerechtigkeit, Daniel." Kaiba legte den Kopf schief. "Hilf mir, die Männer zu bestrafen, die dafür verantwortlich sind." "Ich... ich weiß nich..." verunsichert schüttelte Daniel den Kopf. "Erzähl mir nicht, dass es keinen Hass in dir gibt." Kaiba musterte ihn aufmerksam, studierte einjede seiner Bewegungen. "Du besitzt Hass, ich die Möglichkeiten, ihn zu tilgen. Hast du Angst, auf Überraschungen zu stoßen?" "Er is tot!" Fauchte Daniel nervös. "Was lässt dich dann zögern?" Fragte Kaiba. "In weniger als einem Tag könnten die Männer dingfest gemacht sein und kurz darauf säßen sie im Gefängnis. Freiheitsberaubung, Entführung, Körperverletzung, Prostitution, vielleicht auch mehrfacher Mord? Vorrausgesetzt, vor deinem Freund gab es schon andere. Such es dir aus. Wenn du willst, mache ich keinen Finger krumm, auch wenn es mir nicht gefällt. Entscheide selbst, ob du zulassen willst, dass sie ihre dreckigen Verbrechen fortsetzen oder lebenslang sitzen. Und ich sage dir, das werden sie, wenn ich den richtigen Anwalt einsetze." Daniel kaute nervös auf der Unterlippe. "Und wie willste das bewerkstelligen?" Murmelte er kurz darauf. "Das ist kein Problem." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Der deutsche Polizeipräsident ist ein guter Bekannter, stets dankbar für Informationen und dazu bereit, hart durchzugreifen. Schon morgen könnte er ganz Thüringen auf den Kopf stellen, ich muss ihm nur Bescheid geben. Doch dazu... brauche ich deine Hilfe, Daniel. Wie du weißt, habe ich einen von ihnen kennengelernt, kenne also auch seinen Namen, jedoch nicht ihr Versteck. Bei dir ist es anders." Wieder holte Daniel tuf Luft, wirkte, als müsse er sich überwinden. Nervös drehte er sich um die eigene Achse, rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und stöhnte. "Und du bist sicher, dass es klappen würde?" "Ich habe meine Kontakte und den nötigen Einfluss, um gewisse Dinge durchzuringen und in Bewegung zu setzen." Bestätigte Kaiba. "Und", ein Unterton schlich sich in Daniels Stimme ein, "... könnten wir nicht... Selbstjustiz walten lass..." "Nein." Unterbrach Kaiba ihn. "Wenn du das vorhast, stehst du sofort alleine." "Aber..." "Ich apelliere an deine Vernunft." Kaiba sah ihn eindringlich an. "Und ich sage dir, dass Selbstjustiz in jedem Fall die falsche Entscheidung ist. Ich weiß es aus eigener Erfahrung und bevor ich mich auch nur in irgend einer Art und Weise beteiligen würde, würde ich mir die Kehle durchschneiden!" Daniel starrte ihn leicht entsetzt an. "Tote leiden nicht unter Schuldgefühlen." Fuhr Kaiba ernst fort. "Tote sind frei von jeglichen Sorgen, gelöst von dieser Welt. Doch im Gefängnis werden sie leiden! Verstehst du? Sie werden leiden und das zu wissen, ist besser, als jede Selbstjustiz!" "Dann versprich mir, dassde´s schaffst, sie lebenslänglich einzusperren!" Daniels Miene verdunkelte sich. "Sie sollen bis an ihr Lebensende schmoren!" "Also kann ich mit deiner Hilfe rechnen?" Daniel sah ihn an. "Du hast recht, Kaiba. Es gibt Hass in mir. Un auch wenn ich´n nie völlig verbannen werde, kann ich ihn mildern. Und das lieber auf diesem Weg, bevor ich durch die falsche Entscheidung auch noch Selbsthass auf mich lade!" Flink öffnete Kaiba die Tür zu seinem Büro, trat ein und steuerte direkt auf seinen Schreibtisch zu, Daniel folgte ihm, wirkte etwas nachdenklich. Während sich Kaiba hinter dem Schreibtisch niederließ, blieb Daniel auf der anderen Seite stehen, rieb sich die Hände und musterte ihn grüberlisch. Kurz holte der junge Geschäftsmann Luft, bevor er eine Taste des Telefons betätigte und zwei Kaffee´ bestellte. "Setz dich." Bat er anschließend und begann in einem Schubfach zu wühlen. Daniel nickte langsam, zog sich einen Stuhl zurecht und ließ sich nieder. Kaiba zog unterdessen ein schwarzes Adressbuch hervor und kurz darauf traf auch der gwünschte Kaffee ein. Daniel runzelte die Stirn und ließ sich tiefer rutschen. "Und de Polizei würde wirklich noch heute eingreifen?" "Nicht die Polizei." Kaiba blätterte. "Von denen habe ich die Nase voll. Für so etwas ist das SEK zuständig." Daniel hob die Augenbrauen, biss sich auf die Unterlippe und starrte auf eines der vielen Zertifikate. Erneut versank er in Grübeleien und Kaiba wurde alsbald fündig. "Dann wollen wir mal." Der Brünette nahm einen Schluck, wählte eine Nummer und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Auch Daniel richtete sich auf und rieb sich das Kinn. Ein knapper Blick traf ihn, während das Rufsignal ertönte. Ales in Ordnung?" "Mm." Der Halbamerikaner nickte. "Ich will´s nur hinter mich bringen." In dieser Sekunde wurde der Anruf entgegengenommen. Ein Mann meldete sich in der Leitung und Kaiba antwortete in aktzenfreiem Deutsch, während Daniel etwas angespannt zuhörte. "Hier Seto Kaiba, stellen Sie mich zu Herrn Lenzich durch." Ein kurzes Rascheln ertönte in der Leitung. "Es tut mir Leid, Herr Kaiba. Doch Herr Lenzich befindet sich in einer Besprechung." "Das ist mir egal." Kaiba zuckte mit den Schultern. "Sagen Sie ihm, dass ich ihn unverzüglich sprechen will." Der Mann zögerte kurz, wieder ertönte Rascheln. "In Ordnung, gedulden Sie sich kurz." Somit ertönte eine von den Wartemelodien und Kaiba rieb sich die Stirn. "Nen guter Bekannter?" Daniel griff nach seinem Kaffee. "Woher kennste den Polizeipräsidenten?" "Wir sind uns öfters begegnet." Erwiderte Kaiba ruhig. "Für kurze Zeit habe ich auch mit seinem Bruder zusammengearbeitet. Lenzich ist ein könnender Mann, hat nur zuviel Arbeit." "Mm." Ein leises Klicken beendete die Melodie. "Herr Kaiba? Ich stelle Sie durch." "Wow." Daniel wackelte mit dem Kopf. Es ertönte ein weiteres Klicken, dann würde abgenommen. "Hier Lenzich." Es meldete sich eine rauhe, sehr streng wirkende Stimme in der Leitung. "Verzeihen Sie, dass ich Sie störe." Antwortete Kaiba professionell und ruhig. "Es handelt sich um ein wichtiges Anliegen." "Kaiba." Die Stimme verlor einen Teil ihrer Härte. "Keine Ursache, bei Ihnen kann ich mir wenigstens sicher sein, dass ich nicht umsonst gestört werde. Worum geht es?" Also schilderte Kaiba die Fakten unmissverständlich. Er holte nicht weit aus, sagte, was er wusste und sorgte so für eine gespenstige Stille in der Leitung. Lenzich unterbrach ihn kein einziges Mal, lauschte seinen Worten genau und schien selbst ertst realisieren zu müssen. "Wir haben Beweise noch und nöcher." Nach knapp drei Minuten zündete sich Kaiba eine Zigarette an. "Wir haben Zeugen, mich eingeschlossen, direkt Betroffene und den genauen Standpunkt des Grundstückes, auf dem sich all das abspielt." "Sie sagten, seit drei Jahren?" Lenzichs Stimme schlug um, hörte sich nun wieder verbittert und streng an. Kaiba lugte zu Daniel. "Oder länger." "In Thüringen!" Ein dumpfes Keuchen. "Wenn mir das ein anderer erzählt hätte, hätte ich denjenigen als Schwätzer beschimpft und verjagt! Sagen Sie mir, auf welches Gebiet ich die Suche fixieren soll! Geben Sie mir Hinweise!" Das übernahm Daniel. Er wirkte, als wäre ihm in der eigenen Haut unwohl, als er eine genaue Bschreibung lieferte und als Lenzich anschließend zu wüten begann, immer wieder murrte, dass er das nicht glauben könnte und Kaiba seine Zigarette rauchte, befasste er sich mit seinem Kaffee und hielt sich aus allem heraus. Die Worte des Polizeipräsidenten waren unglaublich aufbauend und vielversprechend. Vielleicht etwas zu aufbauend für ihn. Der Verhaftung der Männer stand nichts mehr im Weg und dennoch brachte er kein erleichtertes Lächeln zustande. Reglos saß er in dem Stuhl, schwenkte das schwarze Getränk in der Tasse und beobachtete Kaiba aus den Augenwinkeln. Dessen Miene wirkte professionell, so als würde er kurz davor sein, einen Vertrag zu unterschreiben, als würde er an einem Projekt arbeiten, welches nur gelingen konnte. Während Lenzich anscheinend die wartende Besprechung längst vergessen hatte und fluchte und immer wieder versprach, dass er es diesen Typen zeigen würde, nickte Kaiba nur oder brummte zustimmend. Auch er hatte keine Lust auf ein ausgeweitetes Gespräch, seine Augen verrieten sogar, dass er mit den Gedanken schon längst nicht mehr anwesend war. "Verlassen Sie sich auf mich, Herr Kaiba." Kam Lenzich endlich dem Ende entgegen. "Ich werde so früh wie möglich durchgreifen." "Und ich bitte um sofortige Benachrichtigung." Kaiba drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. "Natürlich, sobald es Neuigkeiten gibt, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Ich danke Ihnen für diese Information." "Mm." Kaiba tastete nach dem Telefon. "Wiederhören." "Wiederhören." Somit wurde endlich aufgelegt. Kaiba zupfte kurz an seinem Mantel, zog die Nase hoch und räusperte sich leise. Er setzte sich auch wieder gemütlicher, kam bald zu einem selbstbestätigenden und zufriedenen Nicken. "Er will so früh wie möglich durchgreifen?" Sagte Daniel mit einem Anflug von Skepsis. "Was soll´n das heißen?" "Stell es dir so vor." Kaiba Fingernägel klackerten über den Tisch. "In diesen Sekunden wissen es mindestens sieben weitere Personen. Und da es sich um ein unglaubliches Malleur handelt, um eine Sache, die man sich nie hätte träumen lassen, wird Lenzich keine Zeit vergeuden." "Und noch heut eingreif´n." Flüsterte Daniel. "So ist es." Die Hände des Halbamerikaners fanden die Armlehnen des Stuhles, schlossen sich etwas verkrampft um das teure Leder. "Ich hab drei Jahre für seine Freiheit gekämpft." Hauchte er verbittert und schloss die Augen. "Drei Jahre hab ich alles getan, was in meiner Macht stand un jetzt regelste alles mit nem Telefonanruf!" "Der Unterschied zwischen uns ist nur", Kaiba besah ihn ernst, "dass er bei dir eine Wahl hatte. Bei mir jedoch nicht." Wie durch ein Signal, richtete sich Daniel auf. "Du sprichst, als wär er noch am Leben!" Fauchte er leise und kam auf die Beine. "Ich will was nich hörn!" "Gut." Kaiba zeigte sich einsichtig und Daniel begann etwas hektisch in seiner Hosentasche zu wühlen. "Ich such mir jetzt nen Hotel." Er zog einen Zettel hervor und legte ihn auf dem Schreibtisch ab. "Da, meine Handynummer. Versprich mir, mich sofort anzuruf´n, wenn was is." Kaiba richtete sich auf und griff nach dem Zettel. Nickend nahm er ihn entgegen und Daniel wollte sich umdrehen, um zu gehen. Doch inmitten der Bewegung hielt er inne, als würde er sich zu etwas entscheiden, das ihm viel Überwindung kostete. Er presste die Lippen aufeinander, stemmte die Hände in die Hüfte und blickte ziellos um sich, bevor er sich wieder zu Kaiba umdrehte. Dieser verstaute den Zettel in der Hosentasche, blieb jedoch sitzen, als gäbe es in der nächsten Zeit nichts, das er vorhatte. Er lehnte sich zurück, bemerkte Daniels Blick und erwiderte ihn erwartungsvoll. "Hey." Daniels Stimme hatte sich beruhigt. Zögernd löste er die Hände von den Hüften und ließ sie stockend in den Hosentaschen verschwinden. "Ich weiß, dasses mich nen feuchten Käse angeht. Un ich sollte mich auch echt nich einmischen, aber...", er stoppte, starrte Kaiba lange und schweigend an, "wie soll´s jetzt weitergeh´n... mit dir und Joey." Kaiba öffnete den Mund, um zu antworten. Doch scheinbar stieß er auf keine gebräuchliche Antwort. Also räusperte er sich nur und wandte den Blick ab, um ihn grüblerisch auf den Boden zu richten. Seine Miene verriet nicht, an was er dachte, ebenso wenig seine Augen. "Du musst nich drauf antworten." Daniel atmete tief durch. "Ich verstehe, wennde´s mir nich sagen willst, aber..." er brach ab, obgleich Kaiba weiterhin schwieg. Wartend, beinahe schon flehend musterte er ihn und Kaiba beendete die Stille mit einem langsamen Kopfschütteln. "Wenn ich wüsste...", sagte er leise und zuckte etwas hilflos mit den Schultern, "... ich weiß es aber nicht. Ehrlich, ich habe keine Ahnung." Daniel nickte verständnisvoll und Kaiba gestikulierte knapp mit der Hand. "Ich glaube... ich muss erst realisieren... brauche noch etwas Zeit." "Mm, okay." Daniel senkte die Lider, klemmte den Piercing zwischen die Zähne und drehte sich erneut um. "Ich glaube, n´bissl Zeit könnten wir alle gebrauchen." Unter einem tiefen Seufzen ließ sich Kaiba in den Stuhl rutschen und faltete die Hände auf dem Bauch. Daniel hob kurz die Hand. "Ich bin dann ma weg." "Gut." Ohne Daniel weitere Aufmerksamkeit zu schenken, drehte sich Kaiba samt Stuhl zum Fenster und sah hinaus. Kurz darauf klackte die Tür und er war alleine. Der Himmel über Domino begann bereits an Helligkeit zu verlieren; es dämmerte zum Abend und die Sonne sank hinab zum Horizont, der irgendwo zwischen den hohen Häusern verborgen lag. Auf den Straßen herrschte noch geschäftiges Treiben. Autos reihten sich vor den Ampeln, Fußgänger schlenderten an den Läden vorbei, im Park tummelten sich die Kinder, auch viele Jugendliche in Schuluniformen waren zu sehen. Kaiba achtete nicht auf all das, einzig und allein auf den Himmel blieben seine Augen gerichtet. Und noch immer ließen sie nicht die geringste Ahnung auf seine Gefühle zu. Sie blieben verschlossen, erweckten gemeinsam mit der entspannten Haltung den Eindruck, als wäre alles in Ordnung. Als handle es sich hier um einen ganz normalen Tag in Domino. Schule, Firma, Arbeit... Und doch war alles anders. Seit heute Mittag, als sich alles in die entgegengesetzte Richtung gewendet hatte. An diesem Tag hatte sich alles verändert, die Situation hatte Bahnen angenommen, deren Ende im Unbekannten lag. Unbekannt, ungewiss, unsicher... Geistesabwesend starrte Kaiba auf den Himmel, der allmählich eine rote Farbe annahm. Scheinbar völlig in ihr versunken, bemerkte er nicht, wie sich hinter ihm die Tür öffnete und Pikotto eintrat. Mit der gewohnten Zigarette im Mundwinkel, mit gemächlichen Schritten und einer leicht misstrauischen Miene, näherte er sich dem Schreibtisch. Kaiba sog an seinen Zähnen, räkelte sich kurz auf dem Stuhl und wollte gerade beginnen, auch seine Fingernägel zu bearbeiten, da räusperte sich Pikotto. "Mm?" Kaiba richtete sich etwas auf, wandte sich mit dem Stuhl dem Schreibtisch zu und hob die Augenbrauen. "Was ist?" Pikotto runzelte die Stirn, griff nach der Zigarette und ließ sie sinken. "Das wollte ich dich fragen." Murmelte er. "Seit wann bist du so abwesend." Kaiba winkte lässig ab. "Ich habe nur ein wenig nachgedacht." Somit kam er auf die Beine und griff nach seinem Handy. Pikotto verfolgte seine Bewegungen irritiert. "Willst du weg?" "Ja, ich habe noch etwas zu erledigen." Langsam um den Schreibtisch schlendernd, zog Kaiba den Mantel straff und knöpfte ihn zu. "Wie kannst du jetzt gehen?" Hastig drückte Pikotto die Zigarette im Aschenbecher aus und folgte seinem Chef in schnell Schritten zur Tür. "In zehn Minuten treffen die Gäste ein." "Welche Gäste." Kaiba öffnete die Tür. "Die Gäste für die Besprechung." Erklärte Pikotto. "Welche Besprechung." "Kaiba!" Pikotto blieb stehen. "Erzähl mir nicht, dass du es vergessen hast! Erst heute Morgen haben wir noch geplant!" Auch Kaiba hielt inne, seine Hände glitten in die tiefen Taschen des Mantels und mit einer langsamen Bewegung drehte er sich um. "Nein." Sagte er nach einem schnellen Grübeln. "Ist mir nicht entfallen. Du musst sie trotzdem allein leiten." "Was?" Pikotto traute seinen Ohren nicht. "Kaiba, diese Besprechung ist von großer Wichtigkeit!" "Dann leite sie gut?" Kaiba zuckte mit den Schultern. "Ich habe Dinge zu erledigen, die noch wichtiger sind." "Dinge, die noch wichtiger sind?" Etwas aufgebracht, blieb Pikotto neben ihm stehen. "Weißt du, was es für Folgen haben könnte, wenn etwas während der Besprechung schief läuft? Ich verstehe, wenn du verspätet dazukommen würdest, aber überhaupt nicht kommen?" "Ich fahre dann gleich nach Hause." Kaiba schlug den Kragen des Mantels hoch. "Das geht doch nicht! Wir haben uns für heute noch soviel vorgenommen. Es gibt so viele Dinge, die wir noch erledigen müssen! Wir haben es seit langem vor, haben es ebenso lang geplant und jetzt plötzlich, willst du einfach nach Hause fahren?!" "Hör zu." In Kaibas Stimme schlich sich ein leiser Unterton ein, als er zu Pikotto lugte. "Die Besprechung wird nicht länger als eine Stunde dauern und da du sowieso anwesend gewesen wärst, macht es doch keinen Unterschied, ob du sie leitest, oder nicht." "Ja, aber..." "Die Gäste werden sich ebenso mit dem Stellvertreter zufrieden geben." Unterbrach Kaiba ihn emotionslos. "Die geplante Arbeit können wir ebenso gut später erledigen und außerdem", er hob die Augenbrauen, "die Kaiba-Coperation gehört mir. Ich bin der Chef und wie du weißt, drücke ich mich nicht vor der Arbeit. Nein, das habe ich noch nie getan. Ich nehme mir auch so gut wie keinen Urlaub und mache ebenso viele Nächte durch, wie du. Ich erhebe kaum Anspruch auf meine Rechte als Firmeninhaber. Und auch wenn heute ein schlechter Zeitpunkt ist, heute tu ich es! Ich habe driftige Gründe und das weißt du. Ich übertrage dir die Verantwortung für die Besprechung und werde morgen pünktlich wieder hier sein. Aber heute", Kaiba schüttelte entschlossen den Kopf, "heute habe ich keinen Nerv dafür!" Pikotto wusste darauf keine Antwort. Doch diese war nicht nötig, denn Kaiba nickte ihm knapp zu und ging. Gemächlich verließ Duke seine Wohnung und lehnte sich über das Geländer, unter dem sich direkt der große Laden befand. Kurz suchten seine Augen die Gänge ab, anschließend warf er einen kurzen Blick auf eine große Uhr, die an einer der Wände angebracht war. >Zeit, zu schließen.< Einen Gähnen unterdrückend, fuhr er sich über den Schopf, drehte sich um und kehrte in seine Wohnung zurück. Nachdem er die Schlüssel gefunden hatte, stieg er die Treppe zu dem Laden hinab. Die zwei letzten Angestellten waren soeben dabei, diesen zu verlassen, Feierabend zu machen. Er verabschiedete sie knapp und steuerte auf die Eingangstür zu. Nach einem anstrengenden Tag sehnte auch er sich nach Ruhe und etwas Erholung. Hinzukommend warteten noch Hausaufgaben darauf, erledigt zu werden. Er senkte den Kopf, suchte nach dem richtigen Schlüssel und erreichte kurz darauf sein Ziel. Er streckte die Hand aus, wollte nach der Klinke greifen, um die Tür zu schließen, da wurde diese von außen aufgeschoben und er hielt inne. "Wir haben geschloss..." als er den Besucher erkannte, verstummte er. Kaiba stand im Türrahmen. Irritiert ließ er die Hand sinken, verzog die Miene und legte den Kopf schief. Sehr erfreut wirkte er nicht über diese Überraschung. Kaiba erwiderte seinen Blick nur kurz, fuhr sich durch das vom Wind zerzauste Haar und räusperte sich leise. "Hallo." "Hi." Erwiderte Duke murrend und alles andere als begeistert. Die Hände wieder in den Manteltaschen vergrabend, schwieg Kaiba eine kurze Zeit. Er runzelte die Stirn und atmete tief durch. "Können wir reden?" "Wüsste nicht, dass wir was zu bereden hätten." Brummte Duke. "Joey hat mir schon alles gesagt. Ich weiß Bescheid." "Gesagt?" Kaiba sah ihn zweifelnd an. "Was hat er dir gesagt." Duke verdrehte die Augen. "Die Wahrheit, im Gegensatz zu dir. Was in Thüringen wirklich passiert ist! Das, was du uns verschwiegen hast!" "Ah." Kaiba weitete die Augen. "Also haben wir uns nichts mehr zu sagen." Duke beugte sich an Kaiba vorbei und griff nach der Klinke. "Tschüss." Somit wollte er die Tür schließen, Kaiba nach draußen drängen. Dieser jedoch, rammte die Hand gegen die Tür, hinderte ihn problemlos daran. "Was soll der Scheiß!" Fluchend trat er zurück und verengte die Augen. "Wenn ich nicht mit dir reden will, dann bleibt es dabei! Lass die verfluchte Tür los und hau ab! Ich habe keine Lust auf deine..." "Könntest du vielleicht für einen Moment die Klappe halten?" Unterbrach Kaiba ihn scharf. "Du benimmst dich wie ein Kind!" "Hör zu!" Duke stach mit dem Zeigefinger nach ihm. "Ich habe allen Grund, wütend zu sein! Und du kannst sagen was du willst, verleugnen kannst du deine Schuld nicht! Wenn du nicht einmal dazu imstande bist, mir die Wahrheit zu sagen, dann..." "Die Wahrheit?" Fiel Kaiba ihm wieder ins Wort. "Du willst die Wahrheit wissen?" "Ich wollte sie wissen, ja!" Allmählich wurde es Duke zu bunt. "Danke, jetzt habe ich sie von einem anderen erfahren! Was zur Hölle willst du noch hier!" "Du kennst die Wahrheit nicht." Plötzlich schüttelte Kaiba den Kopf. "Du kennst sie kein bisschen." "Was zum Teufel soll das heißen!" Fauchte Duke. "Um deine netten Fragen zu beantworten", Kaibas Miene verfinsterte sich, "du hast die falsche Wahrheit erfahren. Und ich bin hier, um dir die richtige mitzuteilen!" "Hä?" Duke schnitt eine Grimasse. "Drück dich deutlicher aus, verdammt nochmal!" "Das werde ich erst, wenn du dich einverstanden erklärst, mir zuzuhören!" "Hey, wenn es noch eine zweite Wahrheit gibt, dann werde ich ganz sicher nicht dich nach ihr fragen!" Duke stemmte die Hände in die Hüften. "Sollte sie existieren, erkundige ich mich besser gleich bei Joey, bevor du mir wieder irgend einen Mist erzählst!" "Ja, geh zu ihm." Kaiba nickte. "Geh zu ihm und frag ihm nach dem, was er selbst mir verschwiegen hat!" "Was...", hadernd beugte sich Duke nach vorn, "... hey, ich verstehe überhaupt nichts!" "Ich habe die Wahrheit nicht von ihm erfahren! Er hat es mir verschwiegen und hätte es vielleicht bis an sein Lebensende getan, wäre nicht ein Zufall dazwischen gekommen! Es ist alles anders gelaufen, als ich dachte, ja, als wir alle dachten." "Oh." Duke hob die Augenbrauen. "Er hat dir also etwas verschwiegen? Na so etwas!" Man sah dem jungen Mann an, dass er ein gehässiges Grinsen unterdrückte. "Das gibt es ja nicht! Und? Wie fühlst du dich? Geht´s gut?" Daraufhin wollte er dem Grinsen freuen Lauf lassen. Es zog bereits an seinen Mundwinkeln... ließ jedoch nach. Kaiba starrte ihn auf eine Art und Weise an, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Etwas geduckt stand der Brünette vor ihm, die Hand hatte sich um die Türkante geklammert, das Gesicht zuckte vor Verbitterung und dennoch brachten die Augen etwas anderes zum Ausdruck. Das war es, das Duke fremd war. Das erscheinende Grinsen erlosch, machte Platz für eine kurze erschrockene Irritiertheit. Sprachlos erwiderte er den angsteinflössenden Blick, schaffte es jedoch bald, sich zusammenzureissen, sich an die Wut zu erinnern, die Kaiba in ihm zum Leben erweckt hatte. "Tze." Mit einem leisen Hauch von Verachtung, wandte er den Blick ab. "Erwartest du jetzt Mitleid von mir? Du hast es verdient, ganz egal, was es ist. Jetzt weißt du wenigstens, wie ich mich gefühlt habe!" Kaiba antwortete nicht, nicht einmal die unauffälligste Bewegung war zu erkennen, ebenso das Gesicht... es war, als wäre es versteinert. Es verharrte in dem merkwürdigen Ausdruck und Duke wagte nicht, es anzuschauen. Verbittert blieben die grünen Augen auf den Boden gerichtet. "Wenn du es nicht von Joey erfahren hast." Brummte er kurz darauf. "Von wem dann!" "Daniel." Antwortete Kaiba gedrungen und endlich blickte Duke auf. "Daniel Ray? Hier in Domino?" Und Kaiba nickte. "Na gut?" Nach einem unsicheren Zögern, zuckte Duke mit den Schultern. "Dann frage ich eben ihn!" "Duke." Unter einem tiefen Atemzug ließ Kaiba den Kopf hängen, lehnte sich in den Türrahmen und rieb sich das Gesicht. Der Angesprochene schwieg stur. "Ich habe es verdient." Unauffällig richteten sich die grünen Pupillen aus den Augenwinkeln auf ihn. "Das mir dasselbe widerfahren ist, ist eine Lehre." Kaiba verharrte geduckt, die Worte kamen nur leise über seine Lippen. "Das ich daran zerbrochen bin, ist die Strafe. Und das alles selbst in Worte fassen zu müssen... wird eine weitere Qual. Und ich werde diese Qual nur ein einziges Mal auf mich nehmen, das ist Sühne genug." Von diesen unvorhergesehenen Worten schien Duke etwas entsetzt. Nie hätte er damit gerechnet, etwas derartiges aus dem Munde des kühlen Geschäftsmannes zu hören. Und durch die Tatsache, dass Kaiba zusammengesunken vor ihm stand, die Worte scheinbar nur mit viel Überwindung hervorbrachte, versetzte ihn in eine unbeschreibliche Verwirrung. >Was bei allen Göttern kann so furchtbar sein, dass er sich mir gegenüber so benimmt?! Dass er keine Fassade trägt, die Gefühle so offen zeigt und eine Schwäche unter Beweis stellt, die ich ihm nie zugetraut hätte??< "Du... du bist daran zerbrochen...?" Jegliche Wut verlor sich aus Dukes Stimme. Etwas konfus verzog er das Gesicht, trat zögerlich einen Schritt näher. >So habe ich Kaiba noch nie erlebt! Ich kann mir keinen Grund dafür vorstellen!< Stockend richtete sich Kaiba auf, seine Augen richteten sich auf Duke und dieser spürte einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Dieser Ausdruck... "Meine eigenen Tränen habe ich heute zum ersten Mal gesehen." Beinahe lautlos sprach er diese Worte aus und ein eiskalter Schauer lief über den gesamten Körper des Schwarzhaarigen. >Etwas, das Joey selbst ihm verschwiegen hat?! Ihm, dem er sonst alles, aber auch wirklich alles sagt?! Den er in alles einweiht?! Etwas, das ihn in Tränen ausbrechen ließ, als er es erfuhr?!< Duke schluckte schwer. Schweigend standen sie sich gegenüber. >Will ich... es überhaupt... wissen...?< Verkrampft biss er die Zähne zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und brachte sich mit einem tiefen Durchatmen dazu, sich wieder zu entspannen. Langsam hob er den Arm, griff erneut nach der Klinke. "Komm rein." ~*To be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)