Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 11: ... und wir schweigen --------------------------------- "Joseph... verdammt!" Mit geschlossenen Augen senkte Kaiba den Kopf, schmiegte sich an das blonde Haar und atmete genüsslich den vertrauten Geruch ein. Das Herz raste in seiner Brust, seine Finger krallten sich den Stoff des T-Shirts. Völlig erleichtert und aufgelöst spürte er Joeys Reaktion nicht, spürte nicht, wie dieser reglos verharrte, die Hände langsam zu Fäusten ballte und den Atem anhielt. >Reiss dich zusammen, Joey!< Er regte sich nicht, kämpfte dagegen an, sich gegen diese Umarmung zu wehren. Gegen die Umarmung, die er in allen anderen Fällen unbeschreiblich genossen hätte. Die Umarmung, die ihm nun nichts als Qualen bereitete und so unangenehm war, unter der er litt. >Endlich sehe ich ihn wieder! Ich weiß nicht, wie lange es her ist... ich habe ihn doch vermisst? Weshalb wünsche ich mir jetzt, er würde mich sofort loslassen...?< Er spürte ein kaltes Zittern, während Kaiba sich fest an ihn schmiegte, hob nach einem langen Zögern unentschlossen die Hand und tätschelte zurückhaltend seinen Rücken. Und sobald er dies getan hatte, löste Kaiba die Umarmung, trat zurück und packte ihn nervös an den Schultern. Joey biss sie Zähne zusammen. >Lass mich los! Bitte!< "Joseph!" Besorgt starrte Kaiba ihn an, musterte ihn flüchtig von Kopf bis Fuß und schüttelte noch immer konfus den Kopf. "Geht es dir gut?!" "Mm?" Joey blinzelte, wobei er selbst gegen eine große Verwirrung ankämpfte. "Ja... ja, alles in Ordnung." Die Putzfrau seufzte gerührt, während Daniel nur die Nase rümpfte und den Blick abwandte. "Du bist verletzt...?" Vorsichtig streifte Kaiba die Schramme mit der Hand, legte die andere auf den Nacken des Blonden und begutachtete die gerissene Unterlippe. Diese Berührungen...! Joey konnte nichts dagegen tun. Er nickte knapp, drehte das Gesicht zur Seite und wich um einen langsamen Schritt zurück. "Ist nicht schlimm." Murmelte er leise und vergrub die Hände nervös im Stoff des T-Shirts, das Gesicht dabei stets gesenkt haltend. Irritiert verzogen sich Kaibas Augenbrauen und er wollte sofort antworten, vielleicht, um zu widersprechen oder um Zweifel zum Ausdruck zu bringen, doch in dieser Sekunde begann sich Daniel zu regen. Träge löste er sich von der Wand und lenkte somit Kaibas Aufmerksamkeit auf sich. "Also, ich hau´ jetzt ab." Der Halbamerikaner erwiderte Kaibas Blick kurz und ausdrucklos, stieß ein leises Stöhnen aus und zog an den Beiden vorbei. Als würden ihn diese Worte erschrecken, zuckte Joey zusammen und blickte auf. Er wollte etwas hastiges sagen, brachte jedoch kein Wort hervor. Ganz anders Kaiba. "Daniel...?" Dieser verzog die Miene. "Hey, bleib stehen." Das Gesicht des Angesprochenen verfinsterte sich genervt. Letzten Endes tat er es jedoch und drehte sich langsam um. "Was is." Kaiba starrte ihn an, hob etwas unentschlossen die Hände und lugte knapp zu Joey, der etwas perplex dortstand und stumm die Lippen bewegte. >Er will gehen?! Ich... ich will aber wissen, was mit Lee ist! Er hat mir auf keine meiner Fragen geantwortet und will plötzlich verschwinden?! Ich werde ihn nie wiedersehen!! Doch... in Setos Anwesenheit... kann ich nicht mit ihm sprechen! Es geht nicht! Seto würde sofort Verdacht schöpfen! Soll ich schweigen und so tun, als würde mich das alles nichts angehen?!< Verkrampft presste er die Hände, seine Miene verzog sich unauffällig und er schloss die Augen. Daniel wartete ungeduldig und bald sahen sie sich wieder an. Kaiba wirkte etwas verunsichert, schien keine Worte für das zu finden, was er fühlte. Es gelang ihm nur ein einziges. "Danke." Hauchte er leise und Daniel erwiderte nichts. Er musterte ihn desinteressiert, musterte auch Joey und wandte sich unter einem leichten Schulternzucken ab. Man sah ihm kurz nach. Die Putzfrau schmatzte und verfolgte das Geschehen noch immer mit unbeschreiblichem Interesse... bis man auch auf sie aufmerksam wurde. Kaiba linste zu ihr, atmete schnell ein und schloss kurz die Augen. Er schüttelte auch den Kopf, um seine Gedanken zu ordnen und trat anschließend wieder näher an Joey heran. "Komm." Flüsterte er leise, griff sachte nach den Handgelenken des jungen Mannes und trat zurück, wobei er ihn vorsichtig mit sich zog, ihn in das Zimmer führte. In stockenden und langsamen Schritten verließ Joey den Flur, trat durch den Türrahmen und bemerkte bald, wie sich die milden Griffe lösten, hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde, rasch und doch leise. Anschließend nahm er ein erschöpftes Stöhnen war, lauschte angespannt den Schritten, die sich ihm näherten. Kaiba zog an ihm vorbei, ihn erneut besorgt in Augenschein nehmend. Und als er vor ihm stand, besah er sich erneut die braunen Pupillen, die so leblos und starr geradeaus gerichtet waren, ohne irgendwo hängen zu bleiben. Seine Miene wurde von bloßer Schwermut befallen, als er erneut die Hand hob, sie zögerlich zu dem Gesicht des Blonden führte und eine lange Strähne zurückstreifte. Joey zwinkerte daraufhin, biss sich auf die Unterlippe und senkte die Lider. "Du siehst furchtbar aus." Kaiba wurde auf die Schrammen an seinen Armen aufmerksam, die durch das kurzähmliche T-Shirt zu sehen waren. "Du musst völlig erschöpft sein. Besser, du setz dich erst einmal hin." Somit wollte er nach einem Stuhl greifen, doch Joey schüttelte ohne zu überlegen den Kopf. "Ich stehe lieber." Verdattert hielt Kaiba in der Bewegung inne, starrte ihn an und richtete sich stockend auf. "Und mir geht es gut." Fuhr Joey mit beinahe fester Stimme fort und hob kurz die Hände. "Nur ein paar Kratzer. Und die machen mir nichts aus." Kaiba schien einjedes der Worte haarscharf zu durchdenken, stand lange schweigend dort und schien die Mimik des Blonden genau zu studieren. Er sinnierte tiefgründig, blinzelte und holte tief Atem. Und erst nach einer geraumen Zeit, schüttelte er langsam den Kopf. "Es tut mit leid, Joseph." Flüsterte er, senkte das Gesicht und rieb sich die Augen; der Blonde hob die Brauen. "Wenn ich besser auf dich Acht gegeben hätte, wäre das alles nicht passiert." Unscheinbar veränderte sich Joeys Miene, wirkte nun annähernd konzentriert und alsbald etwas skeptisch. "Und ich dachte, ich hätte dir diese ewigen Schuldzuweisungen ein für allemal ausgetrieben." Murmelte er etwas spitz, seine Pupillen wanderten zur Seite. "Es ist nun einmal... passiert..." Kaiba stemmte die Hände in die Hüften und nickte nach einem langen Zögern. "Ja...", hauchte er, "...aber zumindest ist dir nichts zugestoßen." "Mm." Joey rieb sich den Oberarm. "Mein Gott." Sich die Haare raufend, drehte sich Kaiba einmal um die eigene Achse. "Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht und dachte, dir sei sonst etwas passiert! Ich habe mich an die Polizei gerichtet, habe das gesamte Dorf abgesucht! Und nun stehst du plötzlich vor meiner Tür...?" Er ächzte überfordert, Joey bearbeitete unterdessen die Zähne mit der Zunge, saugte an ihnen. "Ich kann es nicht fassen. Das alles erscheint mir so unglaublich unrealistisch und konfus! Ich glaubte sogar, eine sichere Fährte gehabt zu haben, dachte, du seist entführt worden!" Joey hielt in jeglichen Bewegungen inne. "Ich habe mich so auf diesen Typen konzentriert, mich verdammt verrückt gemacht und dabei hast du dich nur verlaufen!" "Auf den Typen...?" Flüsterte Joey leise. "Rick Schäfer." Antwortete Kaiba erschöpft. Stockend blickte der Blonde auf. "Ich war der felsenfesten Überzeugung, er hätte etwas mit deinem Verschwinden zu tun und wollte mich gerade auf den Weg machen, um mich mit ihm und seinen Freunden zu treffen!" "Was...?" Joeys Stimme war nicht mehr als ein entsetztes Keuchen, doch Kaiba hatte so sehr mit der Verwirrung und gleichermaßen mit der Erleichterung zu kämpfen, dass es ihm entfiel. "Joseph." Keuchte er stattdessen und verzog wehleidig die Augenbrauen. "Ich kam beinahe um den Verstand vor Sorge! Für einen kurze Zeit dachte ich sogar, ich würde dich nie wieder sehen! Ich... habe dich verdammt vermisst!" Der Blonde schloss die Augen, seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug und er antwortete aus tiefstem Herzen. "Ich dich auch." Kaiba presste die Lippen aufeinander, starrte ihn an und schien erneut zu grübeln. "Ich habe das Bungalow verlassen, weil ich eine wage Vorahnung wegen deinen Augen hatte." Meinte er dann. "Ich habe befürchtet, dass du erblindest..." Er senkte die Stimme und Joey murmelte etwas Abstruses. "Mm... ich bin nur dumm drauf los gelaufen, habe lange gebraucht, um es zu verkraften. Aber... man gewöhnt sich daran." "Nein." Ein kurzes erschrockenes Grinsen zerrte an Kaibas Lippen. "Nein, Joseph. Gewöhn dich nicht daran... bitte. Wir kehren nach Domino zurück. Ich besorge dir die besten Ärzte... du wirst wieder sehen können, das schwöre ich!" Bei diesen Worten erwachte eine starke Sehnsucht in Joey. Es verlangte ihm danach, die Arme zu heben, sie um Kaibas Leib zu schlingen, sich an ihn zu pressen und nie wieder loszulassen. Er wollte in Tränen ausbrechen, schreien... und alles beichten. Doch neben dieser Sehnsucht existierte ein anderes, ein stärkeres Gefühl, welches er nicht überwinden konnte. Unentschlossenheit... Angst vor Kaibas Nähe. Er wollte ihn umarmen, doch sein Körper regte sich nicht, nicht einmal das unscheinbarste Zucken, auf das er die Starrheit überwinden könnte. Er blieb stehen, mit gesenkten Armen, ebenso gesenktem Kopf und schwieg verbissen in sich hinein. Er wollte nicht über das Vergangene nachdenken, wollte es verdrängen und hinter sich bringen, ohne dass Kaiba je davon erfuhr. Nein, er sollte es nicht wissen! Er sollte nie von den Empfindungen erfahren. Dem Gefühl, als ob der Körper entwei gerissen, als ob er jeglicher Freiheit beraubt wird. Das Gefühl, zu sterben, kaum atmen zu können... und dennoch bei Bewußtsein zu sein. Die fremdartigen Berührungen... Die Schmerzen... Die Demütigung... Joey wollte all dies vergessen, ohne je ein Wort darüber zu verlieren! Langsam ballten sich seine Hände zu Fäusten. "Seto...", seine Lippen bewegten sich beinahe stumm, "... ich will weg hier." Spätestens jetzt bemerkte Kaiba, wie die Stimme seines Freundes zitterte und nach einem langen Zaudern, nickte er. "Ja, wir kehren nach Domino zurück. Jetzt gleich." Joey erwiderte das Nicken knapp und Kaiba wandte sich ab. Dabei hafteten seine Augen so lange an ihm, wie es möglich war. Dann drehte er sich um, ging in stockenden Schritten zu den beiden Reisetaschen und öffnete die von Joey. Er griff in ein kleines Fach, zog Joeys Handy hervor. Und sofort sah er wieder zu dem Blonden und beobachtete ihn lange, bevor er eine Nummer wählte und das Handy behäbig zum Ohr hielt. Und während er wartete und den Rufsignal lauschte, wendete er den Blick kein einziges Mal von dem Blonden ab. Endlich wurde abgenommen und eine ebenso erschöpfte Stimme meldete sich. "Ja?" Kaiba presste die Lippen aufeinander, fixierte Joeys Miene aufmerksam. "Ich bin es." "Kaiba?!" Es klang, als würde etwas zu Boden gehen. Leises Scheppern ertönte. "Was ist los?!" Der stellvertretende Firmenchef der Kaiba-Corperation klang völlig aufgelöst und Kaiba zwinkerte, hob die Hand und rieb sich das Kinn. "Wir kommen nach Hause." Sagte er leise. "Ihr?" Eine kurze verwirrte Stille. "Kaiba, du hast Joseph gefunden?!" "Ja, er ist bei mir." "Wie hast du das geschafft?!" Verlangte Pikotto sofort zu wissen. "Was ist passiert?! Ist er verletzt?" "Verletzt?" Wiederholte Kaiba leise und Joey wandte sich lahm ab, ging wenige Schritte und blieb stehen. Auch dabei wurde er aufmerksam beobachtet und letzten Endes räusperte sich Kaiba nur leise. "Pikotto, schick den Jet los. Wir werden in zwei Stunden in Leipzig sein." "Gut." Pikotto stellte keine weiteren Fragen, schien von der plötzlichen Erleichterung ebenso übermannt, wie Kaiba. "Ich werde alles veranlassen. Der Jet wird in knapp zweieinhalb Stunden dort sein." "In Ordnung." Somit legte Kaiba auf, warf das Handy auf den Stuhl und fuhr sich müde durch den Schopf. Joey stand noch immer mit dem Rücken zu ihm, er konnte sein Gesicht nicht sehen. >Ich verstehe es nicht.< Dachte er sich verwirrt. >Das ist alles zu einfach. Ich kann nicht glauben, dass ich mir umsonst Sorgen gemacht habe! Dass er sich nur verlaufen hat, während ich dachte, man würde ihn gefangen halten!< Langsam ging er in die Knie und griff nach einer Flasche Wasser, mit der er sich gemächlich auf den Weg zu Joey machte. >Ich darf mich keinen Zweifeln zuwenden! Joseph ist wieder bei mir! Und er ist blind... das Befürchtete ist also eingetreten.< Er erreichte Joey, sprach ihn leise an und legte die Flasche in seine Hände, worauf der Blonde zögerlich und dankbar nickte. >Denk an das Positive!< Er ging zu den Taschen zurück. >Wenn ich in den letzten Tagen auch machtlos war... ich werde dafür sorgen, dass er sein Augenlicht zurückerhält! Wenn es sich um eine abgeschwächte Form der Erbkrankheit handelt, dann ist es sicher möglich. Und lieber sehe ich ihn blind, als gar nicht mehr!< Er hob die Taschen an, trug sie zur Tür. Auch er wollte dieses Dorf verlassen. Dieses Dorf... und Deutschland. Auch er wollte nur weg. >Er spricht wenig, wirkt abwesend und verunsichert. Ich weiß auf all das keine Antwort, kann mir sein Benehmen kaum erklären. Es muss die Überanstrengung sein. Die körperliche und psychische. Natürlich hat auch er unter Ängsten gelitten. Blind und einsam im Wald, ohne die geringste Orientierung, eine andere Sprache sprechend, in einer scheinbar auswegslosen Situation. Ich muss ihm Zeit lassen, seine zurückerlangte Sicherheit zu realisieren. Genau so, wie ich seine plötzliche Rückkehr verstehen muss. Es ging zu schnell, während die letzten Tage nur schleppend an mir vorbeizogen. Auch ich bin müde und überfordert, weiß nicht, was ich in seiner Gegenwart sagen soll. Seiner Gegenwart, die ich so lange vermisste und unvorhergesehen wieder genießen kann. Wir brauchen Zeit... Ja, Zeit, um zu uns selbst zurückzufinden. Zeit, um die letzten Tage und das schlagartige Glück zu begreifen. Zeit, um zu erfassen, dass sich all die Sorgen, unter denen wir litten, verflüchtigt haben. Bis ich das begriffen habe... Und bis du das begriffen hast, Joseph... Bis dahin werde ich für dich sehen. Ich werde dein Augenlicht sein, deine Führung, deine Sicherheit! Ich werde mich um dich sorgen, so wie du es bereits oft für mich getan hast. Ich werde mich für all das erkenntlich zeigen und es genießen, für dich da zu sein! Ich werde deine Ängste verjagen, die Schutz gewähren, dir Sicherheit vermitteln. Alles wird so, wie es einst war. Du musst mir nur vertrauen...< Flink öffnete Kaiba die Tür des Reisetaxis, trat zur Seite und hob die Hand, um sie auf Joeys Schulter zu legen, ihn sicher zu geleiten. Zögerlich und tastend trat dieser an den Wangen heran und schob sich hinein. Vorsichtig schob er sich über die Sitze, rutschte zum anderen Fenster und blieb dort etwas verkrampft sitzen. Währenddessen beugte sich Kaiba leicht zu ihm, legte eine warme Decke auf dem Schoß ab und richtete sich noch einmal auf, um sich an den Fahrer zu wenden, der in diesen Augenblicken ihr Gepäck im großen Kofferraum verstaute. Er schickte ihm einen kurzen Blick, zog den Mantel enger und stieg ebenfalls ein. Hinter sich schloss er die Tür, drehte sich sofort zu Joey und war diesem dabei behilflich, die Decke zu entfalten, sie über ihn zu ziehen. Sobald der Blonde seine Bemühungen spürte, zog er die Hände zurück, als wolle er selbst die kleinsten Berührungen vermeiden. Nicht darauf achten, deckte Kaiba ihn zu. Kurz darauf fuhr das Taxi an und Joey ließ sich versteift und stockend tiefer sinken, drehte das Gesicht zum Fenster und verzog es unter einem zerrenden Schmerz. Unter der Decke krallten sich die Hände in den Stoff des T-Shirts und Kaiba sah aus dem Fenster. Betrachtete sich die kleinen Häuschen, die flink an ihnen vorbeizogen. Besah sich das Dorf... Das herrliche Klassenfahrtsziel. >In diesen Sekunden könnte ich mich mit ihm treffen... mit Rick Schäfer, den ich verdächtigte. Doch auch jetzt noch, bin ich mir sicher, dass er nicht die Unschuld vom Lande ist. Nein, er führte etwas im Schilde. Ich war dazu bereit, mich überraschen zu lassen, blindlings in mein mögliches Verderben zu laufen. Was auch immer er und seine Kumpanen mit mir vorhatten. Dies alles hat mich nun nicht mehr zu interessieren. Es ist mir gleichgültig, welches dreckige Spiel sie spielen. Joseph ist bei mir. Joseph, der den einzigen Grund darstellte, weshalb ich mich für ihn interessierte. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen. Es ist abgeschlossen und spätestens wenn wir Domino erreichen, werden wir alles hinter uns gelassen haben.< Die Fahrt war geprägt von tiefem Schweigen. Ein Schweigen, das jedoch nicht unangenehm wirkte. Vielmehr gab es die Möglichkeit, den eigenen Gedanken nachzugehen. Und die Beiden taten es auch. Während Kaiba geistesabwesend aus dem Fenster blickte, hatte sich Joey noch tiefer rutschen gelassen, sich zurückgelehnt und die Decke bis zur Nase hinauf gezogen. Seine Augen blieben beinahe die gesamte Fahrt über geschlossen und während er den Anschein erweckte, entspannt und ruhig zu sein, tobten in seinem Kopf Ängste und Sorgen. Ja, sie verließen Thüringen. Sie verließen den Ort des Grauens. Und auch wenn sie Domino erreicht hatten... er hatte es nicht überstanden, nicht hinter sich gelassen, nicht verarbeitet! Es ging gerade erst los, ohne das ein Ende in absehbarer Ferne zu sehen war. Die Panik beherrschte Joey, sein junger Leib zitterte unauffällig und seine Glieder verblieben so reglos, als wären sie gelähmt. >Ich werde wieder sehen? Werde ich das Licht der Welt wieder erblicken? Werden Ärzte mich heilen können? Und wenn... Will ich es überhaupt? Will ich mir meinen Körper betrachten? Die Wunden sehen? Es genügt, wenn ich sie spüre. Will ich... Seto in die Augen blicken? Kann ich es überhaupt? Bin ich dazu bereit? Schaffe ich es, ohne daran zu zerbrechen? Werde ich weiterhin schweigen können, wenn er mich ansieht? Wenn er mich ansieht, als wäre die Welt in Ordnung. Wenn sein Gesicht so entspannt und erfüllt von Freude ist. Als gäbe es nichts, worunter er leidet. Will ich seine Sorglosigkeit zerstören? Will ich ihn mit meinem Leiden belasten? Und werde ich die Kraft besitzen, es allein für mich zu bewahren? Ich will nicht, dass er traurig ist, will ihm nicht zeigen, nicht offenbaren, was in mir vorgeht, wie dreckig und abscheulich ich mich fühle. Ich will nicht weinen und somit sein Lachen zerstören. Ich will, dass er zufrieden ist. Ich will ihm nicht zumuten, die Wahrheit zu erfahren. Ich will, dass er zufrieden ist... Mehr nicht.< Die Helligkeit des Tages war gerade dabei, sich der Dunkelheit der Nacht zu ergeben, als das Taxi den Leipziger Flughafen erreichte. Es herrschte ein mildes Klima und auf den Parkplätzen waren nur wenige Menschen unterwegs. Geschäftsmänner, die mit ihren Aktenkoffern umhereilten, nur wenige Familien. Ruhig kam der Wagen zum Stehen und das erste Mal seit langem, begann sich Kaiba zu bewegen. Er richtete sich auf und ein weiteres Mal richtete sich sein Blick auf Joey, der reglos dortsaß, die Hälfte des Gesichtes unter der Decke verbarg und zu schlafen schien. Während der Fahrer einige Knöpfe auf einer kleinen Anzeige tippte, streckte Kaiba die Hand nach Joey aus, berührte kurz seine Schulter und sofort öffnete Joey die Augen. Übertrieben schnell richtete er sich auf. "Was?" "Wir sind da." "Wo?" Fragte Joey konfus. "Am Flughafen." Erklärte Kaiba ruhig. "In knapp einer halben Stunde wird uns der Jet abholen." Daraufhin nickte Joey heftig, räusperte sich nervös und kämpfte die Decke zur Seite. "Komm." Kaiba lächelte sanft, öffnete die Tür und trat auf den sauberen Asphalt hinaus. Etwas unbeholfen schob sich Joey über die Sitze, tastete nach draußen... und umschloss reflexartig die Hand, die ihm hilfreich entgegengestreckt wurde. Er griff einfach zu, spürte einen Gegendruck und hielt in jeglichen Bewegungen inne. Mit geweiteten Augen blieb er sitzen und Kaiba verfolgte die Reaktion mit ausdrucksloser Miene. Es schien, als müsse sich Joey zusammenreissen, als würde er sich mit wenigen entschlossenen Gedanken zu etwas zwingen. Und bevor sich Kaiba in die gewohnten Zweifel vertiefen konnte, gelang dem Blonden ein leichtes Lächeln. "Danke." Er ließ sich helfen, löste den Griff jedoch, sobald er aufrecht stand. Anschließend verbarg er die Hände in den Hosentaschen, drehte sich etwas und atmete die Luft frische ein. Keine Waldluft... Hier roch es anders. Währenddessen schlüpfte Kaiba aus dem Mantel und legte ihn vorsichtig über Joeys Schultern, der ihn sofort etwas enger zog und etwas Dankbares murmelte. In der Zwischenzeit hatte der Fahrer das Gepäck aus dem Kofferraum gehievt und Kaiba zückte sein Portmonee, um ihm daraufhin einige Scheine zu reichen. Der Mann nickte zufrieden, verabschiedete sich knapp und schlürfte zur Fahrertür zurück. "Joseph?" "Mm?" Der Angesprochene hatte den Hinterkopf in den Nacken gelegt, stand sicher und ruhig neben ihm. "Hast du Hunger? Sollen wir noch etwas essen?" Bevor er ausgesprochen hatte, wurde ihm mit einem Nicken geantwortet und nachdem sie alsbald einen Gepäckträger auf sich aufmerksam gemacht hatten, bewegten sie sich auf das Flughafengebäude zu. Zurückhaltend hatte sich Joey bei Kaiba eingehakt. Verunsichert blickte er um sich, als sie die riesige Halle mit den vielen Läden betraten. Von überall her, drangen Geräusche an seine Ohren, ohne dass er deren Quellen ausmachen konnte. Er hörte Stimmen, wieder das gewohnte unverständliche Gemenge aus den merkwürdigsten Worten. Es verwirrte ihn, jagte ihm beinahe Angst ein und doch hielt er einen beinahe übertriebenen Abstand zu Kaiba. Dieser sorgte kurz dafür, dass das Gepäck für den Abflug bereitstand, der bereits mit dem Flugpersonal des Flughafens vereinbart worden war. Wie versprochen, Pikotto hatte schnell gehandelt. ~*To be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)