Dritter Teil: Das Licht der Welt von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich" und "Gift in Körper und Seele") ================================================================================ Kapitel 10: Entschärfung ------------------------ Den Arm des Blonden über die eigene Schulter gezogen, dessen Leib fest umklammernd, kämpfte sich Daniel durch den Wald. Sein Atem fiel schnell und schwer, sein Gesicht wirkte verbissen und zornig, als verfluche er in diesen Minuten die ganze Welt. Kein einziges Mal schickte er Joey einen prüfenden Blick, kein einziges Wort hatte er bisher an ihn gerichtet. Er starrte stur geradeaus, stieg über hohe Wurzeln hinweg und zog den Blonden mit sich. Dieser war imstande zu laufen, hielt den Kopf jedoch gesenkt und erweckte den Anschein, nur körperlich anwesend zu sein. Die braunen Augen waren nur einen Spalt weit geöffnet, ausdruckslos nach unten gerichtet, während sich seine Beine unsicher und stolpernd bewegten, sein Körper in die wärmende Decke geschlungen war. An seinem Gesicht, an seinem Verhalten konnte man nicht erkennen, ob er sich darüber bewusst war, was in diesen Minuten mit ihm geschah. Ob er wusste, dass nicht Lee ihn hielt, sondern dass Daniel ihn durch den Wald schleppte. Dass der Halb-Chinese nicht mehr bei ihm... oder sogar, dass er frei war. Er regte sich nicht, nur seine Lippen formten hin und wieder stumme Worte, als flüstere er in sich hinein. Seit einigen Minuten waren sie unterwegs, seit einigen Minuten entfernten sie sich weiter und weiter von dem Ort, der Daniel und Lee seit drei Jahren als geheimer Treffpunkt gedient hatte... an dem sie sich vielleicht nie wieder sehen würden. Daniel hielt den Atem an, schloss kurz die Augen und schluckte. Man konnte nicht mit Worten beschreiben, was in diesen Sekunden in ihm vorging, doch der heitere junge Mann, der nur Blödsinn anstellte, stets lachte und sich scheinbar des Lebens erfreute, war verschwunden... war fort, als hätte es ihn nie gegeben. Nur einen gab es noch, der mit den Tränen kämpfte und sich mit jedem Schritt weiterquälte. Nur leises Keuchen war zu hören, als sie langsam eine Anhöhe hinab stiegen und zum Stehen kamen. Sie hatten den Waldrand erreicht, befanden sich in sicherer Entfernung, sicher genug, um die schützenden Bäume verlassen zu können. Hektisch suchten die glänzenden grauen Augen die Umgebung ab, richteten sich auf ein kleines gepflegtes Häuschen, welches von sauberen Büschen umgeben war, etwas abseits von den anderen stand. Er starrte es an, verstärkte den Griff um Joeys Leib und hielt dessen Handgelenk sicherer. Kurz öffnete er den Mund, schnappte nach Luft und musterte die Umgebung mit abwägendem Blick. In dieser Ecke des Dorfes herrschte so gut wie kein Leben, also hielt sich die Gefahr, dass jemand sie sehen würde, in Grenzen. Dennoch ließ er sich bei der Beobachtung viel Zeit, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und in schnellen Schritten aus dem Wald auf eine Wiese hinaustrat. Immer wieder sah er sich aufgeregt um, verlangsamte das Tempo nicht und gönnte Joey nicht die geringste Pause. Nahezu reglos hing dieser in seinem Arm, nur die Beine hatten ihren Dienst noch nicht verwehrt, schleifend setzte sich ein Fuß vor den anderen, kraftlos baumelte der Arm über dem Boden. Nach kurzer Zeit verließen sie die Wiese und erreichten einen schmalen unauffälligen Schotter-Weg. Und Daniel steuerte mit Joey genau auf den Eingang des kleinen Häuschens zu, vor dem sich ein kleiner Lattenzaun entlang zog. Die Gegend wirkte recht friedlich, die Vögel zwitscherten und in weiter Entfernung erspähte Daniel einen kleinen Knaben, der mit einem anderen Fußball spielte. Er beobachtete ihn nur kurz, verschnellerte seinen Gang und erreichte den Zaun. Hastig löste er die Hand von Joeys Handgelenk, griff mit ihr über den Zaun und drückte die kleine Klinke hinab, wodurch sich die Tür leicht öffnen ließ. Flink hielt er Joey wieder fest, betrat das kleine Grundstück und duckte sich unter dem tiefen Ast einer kleinen Tanne, als er auf die Eingangstür des Häuschens zuging. Erneut blickte er sich um, erneut raffte er den schwachen jungen Mann höher und drückte die Klingel. Anschließend wartete er ungeduldig, warf Blicke nach allen Seiten und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Und als nach kurzer Zeit nichts geschah, klingelte er erneut. Mit jeder Sekunde wurde er nervöser und endlich ertönten langsame Schritte hinter der Tür. Eilig leckte sich Daniel über die Lippen, presste sie aufeinander und drehte sich kurz um, um den Weg zu mustern. Nun ertönte ein leises Geräusch und die Tür öffnete sich. Eine ältere Frau mit grauem Haar und freundlichem Gesicht trat in den Türrahmen, besah sich den Besucher mit überraschter Miene und beide Hände, als sie auch den Blonden entdeckte. Nun wirkte sie vielmehr entrüstet und ihre geweiteten Augen richteten sich auf den Schwarzhaarigen, der ihren Blick hilfesuchend und flehend erwiderte. "Hi." Hauchte er leise und hinter der alten Frau erschien ein ebenso alter Herr, der sich neben sie schob und nicht weniger entsetzt wirkte. "Daniel?" Die Frau trat einen Schritt näher, sah von ihm zu Joey. "Meine Güte..." "Was ist denn passiert?" Erkundigte sich der Mann besorgt. "Kann ich reinkommen?" Fragte Daniel nervös und sofort wurde ihm mit einem Nicken geantwortet. "Natürlich." Die beiden traten zur Seite und Daniel schob sich flink an ihnen vorbei, brachte sich in Sicherheit. "Ach, du meine Güte wer ist dieser junge Mann?" Die Frau schloss die Tür und anschließend traten sie beide an Daniel heran, der im Flur stehengeblieben war und Joey noch immer hielt, sich allmählich zu entspannen schien und sich flüchtig umsah. "Ich brauchte einen Unterschlupf. Tut mir leid, wenn ich gestört habe, aber..." "Nicht doch." Die Frau tätschelte seine Schulter, schüttelte schnell den Kopf. "Es ist alles in Ordnung." "Wir haben doch gesagt, dass du zu uns kommen kannst, wenn du ein Problem hast." Pflichtete der Mann bei und griff nach Joeys anderem Handgelenk, um es sich ebenso über die Schulter zu ziehen, Daniel etwas zu entlasten. "Ist er verletzt?" Die Frau rieb beide Hände aneinander, trat von einem Bein auf das andere. Daniel grübelte kurz, bevor er antwortete. "Nein, er braucht nur eine Dusche und etwas Ruhe." "Gib ihn mir." Der Ältere legte den Arm um Joeys Rücken, zog ihn zu sich und hielt ihn auf den Beinen. "Wir kümmern uns um ihn." Beschwichtigte die Frau unterdessen, legte die Hand unter das Kinn des Blonden und hob dessen Gesicht etwas an. Joeys Augen waren entspannt geschlossen, nur seine Lider zuckten etwas. "Schau dir diesen armen Jungen an, Paul. Scheinbar hat er viel durchgemacht." Daniel wandte sich ab, rollte verspannt mit den Schultern und rieb sich den Hals. Aufmerksamkeit ließ er Joey nicht mehr zukommen. Nur kurz drehte er sich zu dem älteren Ehepaar um. "Danke." Flüsterte er und die Beiden öffneten eine Tür und verschwanden mit Joey in dem dahinterliegenden Raum. Mit gesenkten Schultern und schleppenden Schritten, schlürfte Daniel durch den schmalen, angenehm eingerichteten Flur und während hinter ihm die Tür in ihr Schloss zurückklickte, bog er nach links und betrat so die Küche. Leer und müde waren seine Augen auf den Boden gerichtet, als er einen kleinen Schrank erreichte, benommen nach einem kleinen Schubfach tastete und dieses aufzog. Ohne einen Blick darauf zu werfen, griff er hinein, zog eine Zigarettenschachtel hervor und wandte sich ab. Ebenso abwesend griff er auch nach einer Flasche Wein, die einsam auf einer kleinen Ablage stand. Matt ließ er sie hängen, drehte sich langsam um und trottete zurück in den Flur, wo er geradeaus weiterging, einen kleinen Gang hinter sich ließ und die Schulter gegen eine Tür drückte, worauf sich diese öffnete und er in den kleinen, mit Liebe gepflegten Garten, hinausschlürfte. Er betrat einen kleinen Weg aus Backsteinen, trat einen Schritt zur Seite und ließ sich nach hinten fallen. So lehnte er mit dem Rücken an der rauen Wand, ließ sich plump zu Boden rutschen und legte die Flasche auf dem Schoss ab. Den Blick abwesend nach vorn gerichtet, hob er die kleine Schachtel zum Mund, zog sich mit den Zähnen eine Zigarette heraus und ließ sie anschließend unachtsam zur Seite fallen. Er starrte weiterhin nach vorn, seine Hand tastete in einer der Hosentaschen und kurz darauf zückte er ein Feuerzeug, mit dem er den Tabak anbrannte. Sogleich nahm er einen langen Zug, blinzelte schläfrig und zog die Flasche näher zu sich. Währenddessen atmete er den Rauch aus, zog den Korken aus der Flasche und hob auch diese zum Mund, um sich einige kräftige Schlucke zu gönnen. Er hustete leise, schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über den Mund. Und dennoch trank und rauchte er weiter und als er bereits die Hälfte der Flasche geleert hatte, öffnete sich neben ihm die Tür und der alte Mann trat zu ihm auf den Weg hinaus. Er musterte ihn flüchtig und überrascht, blieb stehen und ließ beide Hände in den Hosentaschen verschwinden. Zusammengekauert hockte Daniel vor ihm, trübe auf einen nicht existenten Punkt starrend, die Flasche sicher in der Hand haltend und die dritte Zigarette zwischen den Lippen. "Ich dachte, du hättest aufgehört?" Daniel reagierte erst nach wenigen Sekunden. Seine Augen erwachten zum Leben und er sah sich flimmernd um, die Flasche erneut zum Mund hebend. "Was soll´s." Nuschelte er, bevor er wieder trank und das Gesicht verzog. "Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Is doch egal, ob ich´s nun mit Saufen oder Rauchen verschwende." Der Mann hob die Augenbrauen, begann zu grübeln und sah sich etwas um, betrachtete sich die herrlichen Blumen, die dennoch keinen Trost spendeten. Er schien Mut sammeln zu müssen, bevor er eine Frage stellte. "Ist etwas... mit Lee?" Sogleich stoppte Daniel in jeglichen Bewegungen, starrte geradeaus und schwieg. Eine kurze Zeit verging in dieser Stille, dann schüttelte der junge Halb-Amerikaner den Kopf, hob die Flasche und trank. Der Mann hatte seine Reaktion aufmerksam verfolgt, griff nun unter einem leisen Seufzen nach einem Stuhl und zog ihn zu sich, um sich auf ihm niederzulassen. "Was ist mit ihm, Daniel?" "Tse." Verbissen ließ Daniel den Kopf sinken und nahm einen langen Zug. "Habt ihr euch wieder getroffen?" Erkundigte sich der ältere Mann vorsichtig. "Hat sich sein Zustand weiterhin verschlechtert?" Er seufzte erneut, faltete die Hände vor den Knien und besah sich den jungen Mann, der langsam in sich zusammen kroch, das Gesicht zwischen den Armen verbarg und tief Luft holte. Weitere Fragen waren nicht angebracht und er stellte sie nicht. Er schloss sich Daniels Schweigen an und lange Zeit saßen sie dort, bis der junge Mann erneut nach Luft schnappte. Die Hand, die die Zigarette hielt, ballte sich zu einer Faust und ein hastiges Schlucken war zu vernehmen. Der Ältere schlug die Augen nieder und von einer Sekunde auf die andere, brach Daniel in leises Schluchzen aus. Sein Körper erbebte, zitterte, die freie Hand krallte sich verkrampft in den dünnen Stoff der Hose und in diesen Sekunden schien alles aus ihm hervorzubrechen, was sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte. Er schluchzte lauter, schüttelte den Kopf und kroch weiterhin in sich zusammen, als wolle er sich von den Welt abschotten. Von der Welt, von jedem. Der ältere Mann jedoch, kam auf die Beine, hockte sich langsam neben ihn und legte den Arm über seine Schulter. Mit der anderen Hand griff er nach der Zigarette, zog sie aus den verkrampften Fingern und warf sie neben sich auf den Weg. "Sch... ist gut." Beruhigend rieb er Daniels Rücken und rutschte etwas näher, worauf sich Daniel sofort zur Seite wandte und sich an ihn krallte. Und in einer festen Umarmung, weinte er. Joey lag bequem. Sein Körper wurde von einer angenehmen Wärme durchflutet. Das Gesicht war leicht zur Seite gedreht, die Augen entspannt geschlossen. Leicht zerzaust, verdeckten die blonden Strähnen die blasse Stirn des jungen Mannes. Auf der ebenso bleichen Wange stach eine Schramme hervor, auch die Unterlippe war etwas gerissen, blutete in der Zwischenzeit jedoch nicht mehr. Entspannt lag er in einem weichen Bett, die Decke wärmte ihn vom Hals an, die linke Hand lugte etwas unter der Decke hervor. Sein Atem fiel ruhig und gleichmäßig, seine Lippen waren einen Spalt weit geöffnet. Neben dem Bett stand ein Fenster offen, das friedliche Zwitschern der Vögel drang in den kleinen Schlafraum, ebenso der Duft der Blumen, der Duft der Natur, der Duft der Freiheit. Hin und wieder schlängelte sich ein milder Windhauch durch die dünnen Gardinen. Durch einen etwas stärkeren, fiel eine lange blonde Strähne in das blasse Gesicht und somit schien in den jungen Körper neues Leben einzufließen. Das Gesicht begann etwas zu zucken, die Nase rümpfte sich unter den kitzelnden Haaren und auch die Hand begann sich zu bewegen. Langsam räkelte er sich, streckte die Beine aus und rollte sich zur Seite. Nebenbei erreichte die Hand das Gesicht und streifte die störende Strähne zurück. Anschließend tastete sie auch nach der Decke, erfasste sie und zog sie höher, bis über das Gesicht. Ein leises, undefinierbares Murmeln ertönte. Bald zogen sie Wolken weiter und es dauerte nicht all zu lange, da fiel ein gleißender Lichtstrahl in das Zimmer und warf einen hellen Schatten auf die Dielen des Bodens. Das Zwitschern der Vögel nahm zu, unter einer Brise rauschten die Blätter der Bäume. Einige Blätter lösten sich von den Ästen. Tänzelnd und springend gelangten auch sie in den Raum, wieder regte sich Joey, wieder tauchte die Hand auf und tastete sich stockend über die weiche Matratze. Sie ließ nur eine kurze Strecke hinter sich... verharrte plötzlich reglos. Gekonnt hüpfte ein kleiner Spatz von einem Ast zum anderen, drehte sich und streckte das Köpfchen in die Höhe, um laut und auffallend zu zwitschern. Sogleich wurde ihm geantwortet und eine weitere Wolke schob sich vor die Sonne. Das Haus des alten Ehepaares wurde in leichten Schatten gehüllt. Vorerst verstummten die Vögel, auch die Blätter der Bäume schwiegen unter einer Windstille. Kurz zuckten die Finger der Hand, kurz zuckte der Leib, der sich unter der Decke verbarg, und unter einem lauten Aufschrei, fuhr Joey in die Höhe. Sein Atem raste, seine Augen waren geweitet, während sich seine Hände in das Bettlaken und in die Decke krallten. Keuchend saß er dort, blinzelte und drehte den Kopf zur Seite. Noch immer herrschte diese Dunkelheit um ihn herum... Erneut blinzelte er, vorsichtig entspannten sich seine Hände und eine hob sich kurz darauf, um hektisch über das Gesicht zu wischen. Er hielt den Atem an, lauschte in die Stille und brach kurz darauf wieder in jenes Keuchen aus. Langsam wagte er es, sich weiterhin zu bewegen. Zögerlich tasteten seine Hände nach der Decke, ziellos streiften seine Augen durch das Zimmer. In dieser Sekunde fiel ein warmer Sonnenstrahl durch das Fenster, die Vögel begannen ihr Lied erneut und auch das Rauschen der Bäume setzte ein. Zuerst verwirrt, dann ungläubig, verzogen sich die hellen Augenbrauen des jungen Mannes,die Lippen bewegten sich stumm und er verharrte wieder reglos, während er den ungewohnten Geräuschen lauschte. Zwitschern...? Das Rauschen der Blätter...? Er atmete tief ein. Dieser Duft... Unsicher atmete er aus, drehte das Gesicht zur anderen Seite und löste die Hände aus der Decke, um mit ihnen um sich zu tasten. Die Wand... In den letzten Tagen hatte er dort nur feuchte Tapete gefühlt. Jetzt jedoch...? Zittrig tasteten sich die Hände weiter. Nun spürte er eine saubere Holzmaserung. "Was...", mit einer schnellen Bewegung drehte er sich zur anderen Seite, zischte jedoch laut auf, als sich ein reißender Schmerz in seiner Hüftgegend meldete. Hastig schlang er die Arme um den Leib, biss die Zähne zusammen und beugte sich etwas nach vorn. In dieser Haltung verharrte er lange Zeit mit geschlossenen Augen. Nur langsam zog sich der Schmerz zurück und während Joey dort kauerte, begann sich sein Gedächtnis allmählich aufzufrischen. Es war, als würde sich ein riesiges Knäuel entfitzen, langsam begann er sich zu erinnern und als er die Finger vorsichtig aus dem weichen Stoff des Hemdes löste, kehrte er vollends in die Realität zurück. Er öffnete die Augen, starrte geradeaus und hielt die Luft an, den Unterleib weiterhin umschlingend. Leise Geräusche begannen in seinen Ohren zu schallen. Erst unauffällig, dann lauter. Viele Geräusche... und doch konnte er jedes zuordnen. Stimmen, Schreie, das Kratzen des Schlüssels im Schloss, lautes Keuchen, Rufe... Er würgte ein schweres Schlucken hinunter. Noch eine Stimme... Ja, da war noch eine, die sich zuerst unauffällig mit den anderen Lauten vermischte, sich jedoch schnell von ihnen hervorhob. Das Gesicht des jungen Mannes verlor weiterhin an Farbe. Die Augen weiteten sich... "Was? Du willst nicht?!" Langsam öffneten sich die Lippen des Blonden. "Das werden wir ja sehen!!" Ein eiskalter Schauer raste durch seinen Körper und er zuckte erneut zusammen, drehte den Kopf zur Seite und begann hektisch seinen Bauch zu betasten. Keuchend betastete er auch die Rippen, die Brust, den Hals... Letzten Endes grabschte er nach der Decke und presste sie an sich. Er fühlte sich, als hätte er die letzten Stunden nur in leichter Benommenheit mitbekommen, als wäre all dies nur ein Traum gewesen... Ein Alptraum... Seine Finger pressten sich tiefer in die Decke, wieder schluckte er. Doch diese Schmerzen... Sie waren der Beweis, dass das Erlebte kein Alptraum gewesen war. Nein, alles war Realität. Als stünde er durch diese Einsicht unter Schock, blieb er sitzen, versuchte seinen Atem zu beruhigen und blinzelte nach langer Zeit. War wirklich das passiert, vor dem es ihm so gegraut hatte? War wirklich das eingetroffen, vor dem er solch eine Furcht verspürt hatte? >Das war es also...< Seine Gedanken erwachten zum Leben. >Jetzt ist es passiert. So fühlt es sich also an... Chester, dein Werk wurde vollendet.< Zögerlich lockerte er die Arme, schob sie unter die Decke und begann sich erneut zu betasten. >Habe ich mir das so vorgestellt?< Kurz schloss er die Augen, presste die Lippen aufeinander und schüttelte stockend den Kopf. >Was verändert sich jetzt? Habe ich Seto hintergangen...? Habe ich mich nicht genug gewehrt...?< Er hob eine Hand, betastete die Schramme auf seiner Wange, glitt tiefer zu den Lippen und anschließend zum Hals. Er meinte, er könnte die fremdartigen Berührungen noch immer spüren, als würden sie erst jetzt auf sich aufmerksam machen. Anders als während der Vergewaltigung, bei der er sich verkrampft und all die Geschehnisse nur halbwegs registriert hatte. Ja, er hatte sich geweigert, mit allen Mitteln verhindert, sich in den Augenblick zu vertiefen. Noch immer betastete er seinen Hals und vergrub die Hand anschließend in dem weichen Stoff des Hemdes. >Ich fühle mich dreckig.< Seine Schultern hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug. >Aber ich lebe... und das ist die Hauptsache... ja, Joey... sieh nur die positiven Dinge.< Er rieb sich das Gesicht, hielt dann jedoch in jeglichen Bewegungen inne lauschte dem Zwitschern, den ungewohnten Lauten, die an seine Ohren drangen. >Wo bin ich?!< Erneut ertastete er neben sich das Holz. Das Bett... alles war anders. Das Hemd, welches er trug... er war angenehm und weich. Verwirrt sah er sich um und rief nach dem ersten Namen, der ihm in den Sinn kam. "Lee?!" Was war passiert?! Er konnte sich nur an das Geräusch erinnern. Als sich die Tür öffnete und die schweren Schritte, die anschließend folgten. Die Berührungen, die Schmerzen... all dessen war er sich bewusst. Doch was war anschließend passiert? Er musste das Bewusstsein verloren haben. All seine Erinnerungen auf die darauffolgenden Geschehnisse... gelöscht, nicht vorhanden. Er schnappte nach Luft. "Lee?!" Plötzlich hörte er Geräusche. Leise Schritte, die sich gedämpft näherten. Sofort verharrte er reglos und kurz darauf drückte sich die Klinke hinab und die Tür öffnete sich. Und Joey lauschte mit angehaltenem Atem. Jemand betrat sein Zimmer! Er konzentrierte sich auf die Schritte, versuchte den Atem des Anderen wahrzunehmen und kam zu einem Entschluss. Langsam neigte er sich zurück. Das war nicht Lee! Den Blick auf ihn gerichtet, lehnte sich Daniel in den Türrahmen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Seine Augen waren noch immer gerötet, als er den Blonden abfällig musterte. Dieser starrte in seine Richtung und so brach ein langes Schweigen über sie herein. Nervös zupfte Joey an der Decke, in seinem Kopf rasten die Gedanken und nach knapp einer Minute verzogen sich seine Augenbrauen verwirrt. "Daniel...?" "Mh-hm." "Du bist es wirklich!" Joey traute seinen Ohren nicht. Konfus, völlig perplex und verwirrt, richtete er sich etwas auf. "Aber du... was machst du... wo ist Lee?!" Daniel wandte den Blick ab, richtete ihn verbissen auf den Boden und schwieg. "Daniel!" Unter Schmerzen kämpfe sich Joey auf die Knie. "Was ist passiert?! Wo ist Lee?!" "Nich hier!" Antwortete Daniel etwas gereizt und nagelte den Blick regelrecht an den Boden, als wolle er Joey nicht in die Augen sehen. "Du bist in Sicherheit, okay?! Also stell keine dämlichen Fragen!" "Was zur Hölle...", hastig streifte sich Joey das Haar zurück. "Kannst du mir mal erklären, was passiert ist?! Warum bin ich in Sicherheit?! Und-wo-ist-Lee?!" "Ts." Daniel schüttelte den Kopf, erweckte den Anschein, als führe er diese Unterhaltung alles andere als gern. "Mach dich frisch, oder was auch immer. Ich bring' dir noch´n paar Sachen un dann machen wir uns auf´m Weg." Mit diesen Worten drehte er sich langsam um. "Auf den Weg?" Joey schnitt eine verwirrte Grimasse. "Wohin...?" "Zu wem wohl." Kurz hielt Daniel noch inne. "Zu deinem Schmusebär!" "Wa...?" "Was dachteste denn. Auf irgendwelche friedlichen Spaziergänge habe ich zur Zeit keine Lust." Somit ging er endgültig und Joey wusste überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Mit offenem Mund hockte er dort, wollte seinen Ohren kein Vertrauen schenken. >Zu... Seto? Das heißt... er ist wirklich noch hier?!< Perplex verengte er die Augen und ließ sich vorsichtig zurücksinken. Nach einer langen Benommenheit kam er zu sich, traf auf jemanden, den er am wenigstens erwartet hätte und befand sich ebenso an einem völlig fremden Ort. Was mit Lee war, wusste er schon gar und der, der dazu fähig war, alles aufzuklären, ging ihn an und hatte darauf keine Lust?! Er war nicht mehr in dem heruntergekommenen Haus?! Er war irgendwo?! Hauptsache in Sicherheit und mehr musste er nicht wissen?! Seine Hände ballten sich zu Fäusten... Und jetzt würde er Kaiba wiedersehen, von dem er sich innerlich bereits verabschiedet hatte?! Ein gequältes Stöhnen drang aus seinem Hals. Was zur Hölle sollte das?! Er ließ sich vornüber sinken, tastete nach der Decke. Das ging alles zu schnell... viel zu schnell, er kam nicht hinterher und das einzige, das er wusste, war, dass er völlig überfordert mit der Situation war! Er dachte nicht an die Vergewaltigung, nicht an Lee, nicht an die drei Männer, nicht an Daniel, nicht an Kaiba! Er dachte nur an dieses riesige Gewirr und kämpfte mit den verhedderten Gedanken, denen er vor Daniels Erscheinen noch halbwegs problemlos nachgehen konnte. Nun konnte er nichts ordnen, nichts schlussfolgern oder nachvollziehen. Das alles hatte einfach keine Sinn! Selbst die scheinbare Freiheit konnte er sich nur mit Verwirrung betrachten. Wieder vernahm er Schritte und kurz darauf betrat Daniel den Raum erneut. Mit einem Kleiderbündel trat er zu ihm ans Bett und warf das Bündel neben ihn. Joey richtete sich etwas auf. "Äh..." Daniel stützte die Hände in die Hüften, rieb sich die Nase und sah flüchtig aus dem Fenster, Joeys Augen wieder geschickt umgehend. Währenddessen regte sich der Blonde nicht, bewegte nur stumm die Lippen und zog konfuse Grimassen. "Beantworte mir eine Frage." Hörte er Daniels Stimme. "Weshalb bist du blind?" "Was...? Blind?" "Jaaaa, blind." Sarkastisch weitete Daniel die Augen. "Ich... ehm... na ja..." Joey begann mit einer Hand zu gestikulieren, doch da schüttelte Daniel schon den Kopf. "Vergiss es." Brummte er. "Steh auf, ich zeige dir das Bad." "Was...?" "Komm schon." Daniel verdrehte genervt die Augen, streckte die Hand nach Joey aus und packte diesen grob am Handgelenk. Sobald Joey diese brüde Berührung spürte, machte sein Herz einen entsetzten Sprung und mit einer hektischen Bewegung zog er die Hand weg, schnappte nach Luft und schob sich etwas zurück, bis er an der Wand lehnte. Daniel hatte die Hand sinken gelassen und starrte den keuchenden jungen Mann mit leichter Irritation an. Aufgeregt schlang dieser die Arme um den Bauch, japste leise und zog die Nase hoch. Konfus starrte er um sich und Daniel richtete sich langsam auf. "Hey... is ja gut." Er hob die Hände, unterdrückte ein ungeduldiges Stöhnen. "Ich wollte dir nur helfen, aber wenndes auch allein schaffst...?" Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. Joey antwortete nicht, schien noch in einen eigenen Kampf verstrickt zu sein. Er versuchte die unbeabsichtigte Reaktion zu verstehen, schloss die Augen und rieb sich zittrig die Stirn. Zusammengekauert blieb er hocken und Daniel rollte mit den Augen. "Soll ich dich jetzt zu ihm bringen, oder nich?" "Was...?" Joey blickte auf, ein entsetzter Ausdruck befiel sein Gesicht und nach einem verdatterten Grübeln schüttelte er den Kopf. "Nein." Keuchte er, als hätte er regelrecht Angst vor einem Wiedersehen. "Nein!" "Was heißt hier nein." Daniels Geduld ging ihrem Ende entgegen. "Ich... nein, ich kann das nicht!" "Klar kannste." "Du verstehst du das nicht!" Joeys Stimme zitterte. "Ich kann ihm so nicht gegenübertreten!" "Deswegen sollste ja auch duschen." Murrte Daniel. "Schau, ich hab dir neue Sachen gebracht und scho wirkste wieder fit." Joey verzog die Augenbrauen. "Was?!" "Und wennde ihn nich wiedersehen willst, dann isses nich mein Problem! Dann lade ich dich halt bei der Polizei ab und du kannst selbst entscheiden, wann sie sich bei ihm melden sollen. Jedenfalls kannste nich hierbleiben!" "Verdammt nochmal, Daniel!" Joeys Stimme schien sich zu stabilisieren, wirkte nun annähernd wütend. "Ich verlange kein Mitgefühl von dir! Aber du könntest die Tatsache, dass du meine Anwesenheit nicht erträgst, wenigstens hübsch verpacken! Verflucht! Ich habe Lee auch kennen gelernt und ich verstehe deine Abneigung gewissen Dingen gegenüber! Aber lass es sein, uns alle in dasselbe Boot zu werfen, das ist eine Beleidigung! Denkst du, nur weil ich einen Freund habe, bin ich genauso wie diese Männer?! Ich hasse sie genauso sehr wie du und ich leide auch unter dem, was sie Lee antun, also behandel mich nicht, als wäre ich einer von ihnen!!" "Ts!" Verbissen wandte sich Daniel ab. "Was soll das nun wieder heißen?! Kannst du mir mal normal antworten?? Wenn du mir schon nicht erzählst, was passiert ist, wenn du mich schon der Unwissenheit und der Verwirrung überlässt, dann hör wenigstens auf, zusätzlich noch auf mir herumzuhacken!! Ich bin zur Zeit für so etwas nicht empfänglich und wenn du es genau wissen willst, geht es mir auch verdammt beschissen!" Ruppig zerrte Joey die Decke zur Seite und schob sich zur Bettkante. Er verzog das Gesicht, biss die Zähne zusammen und kam stockend und etwas schwankend auf die Beine. Die Hand legte sich zittrig auf den Bauch. "Dann bring mich zum Bad und schon bin ich weg!" Daniel presste die Lippen aufeinander, holte tief Luft und nickte langsam. Er schien sich etwas beruhigt zu haben, schob sich an Joey vorbei und griff nach den Kleidern. Anschließend griff er nach Joeys Hand. Diesmal vorsichtig, hob er sie an und legte sie sich auf die Schulter. In langsamen Schritten und mit gesenktem Kopf, ging er auf die Tür zu und trat in den Flur hinaus. >Ich werfe niemanden in dasselbe Boot, ich verallgemeinere es nicht!< Dachte er sich währenddessen verbissen. >Es ist Tatsache!< Nach einem kurzen Weg erreichte er das Ziel, öffnete die Tür und trat ein. Joey folgte ihm etwas humpelnd, die Hand krallte sich verunsichert in das Shirt des Halb-Amerikaners. Dieser warf die Kleider auf einen kleinen Stuhl, griff nach Joeys Hand und zog sie von seiner Schulter. Anschließend hob er sie in die Richtung des Stuhles. "Da liegen deine Sachen." Murmelte er, trat einen Schritt zurück und streckte Joeys Hand nach vorn. "Da ist die Dusche." Der Blonde lauschte seinen Worten konzentriert und nickte etwas zögerlich. Währenddessen ließ Daniel ihn los, griff nach einem Handtuch und drückte es Joey in die Hände. Somit murmelte er etwas unverständliches, wandte sich ab und verließ das Bad. Mit dem Handtuch blieb Joey stehen und hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloss. Grübelnd waren die braunen Augen nach vorn gerichtet, den dicken Stoff presste er in den Händen. Er stand lange dort, biss sich auf die Unterlippe und kämpfte mit vielen Gedanken. Zuerst versuchte er einzusehen und zu realisieren, dass er nicht mehr in Gefahr war. Und als ihm dies zögerlich gelang, kam er auf Lee zurück, bei dem sich alle Einfälle und Grübeleien im Nichts verliefen. Er wusste nicht, wo Lee war. Er wusste nicht, wie es ihm ging. Er wusste nicht einmal, wie er dort raus gekommen war! Langsam tat er einen Schritt nach vorn, ertastete den Kleiderhaufen und legte das Handtuch neben ihm ab. >Versuch nicht, weiterhin nachzudenken.< Dachte er sich kurz darauf, stützte sich ab und ließ matt den Kopf hängen. Noch immer hatte er Schmerzen, bei jedem Schritt, bei jeder Bewegung. >Denk an nichts! An gar nichts! Nur so behältst du einen kühlen Kopf!< Leidend verzog sich sein Gesicht, die Zähne bissen aufeinander. >Ich dusche jetzt und denke an nichts... ganz ruhig, Joey!< Vorsichtig streifte er sich das Shirt vom Kopf, schlüpfte auch aus der dünnen Hose. Anschließend drehte er sich langsam um, hob unter einem tiefen Atemzug die Hände und gingen tastend voran. Welche Richtung...? Hier...? Ja, er wurde fündig, seufzte erleichtert und trat in die Dusche. Sofort suchte seine Hand nach der Seife und nachdem er die Brause angestellt hatte, ließ er sich vorsichtig auf den Boden der Dusche sinken, hockte sich hin und begann sich zu schrubben. In diesen Sekunden dankte er seiner Blindheit. Er musste seinen Körper nicht sehen... er wollte ihn nicht sehen... er hielt sogar die Augen geschlossen, während er sich wusch. Das warme, beinahe heiße Wasser tat ihm gut. Das Gefühl, dreckig zu sein, erstarb auf diesem Weg für einige Minuten. Zum dritten Mal seifte er seinen Bauch und den Hals ein und griff etwas zittrig nach der Bürste. Und der Plan, an nichts zu denken, scheiterte. >Seto...< Er hielt in jeglichen Bewegungen inne, ließ die Hände sinken und ließ das Wasser auf sich hinabprasseln. >Ich... ich dachte, ich sehe ihn nie wieder.< Er spuckte etwas Wasser aus, krallte sich um das Stück Seife. >Wie soll ich ihm denn gegenübertreten? Ich habe es mir so sehnlich gewünscht, noch einmal bei ihm sein zu dürfen... und nun graut es mir davor!< Er hatte gewartet. Stunde um Stunde hatte er auf den Mann gewartet, der all das, was geblieben war, zerstören würde. Der alles zunichte machte, was er sich aufgebaut hatte. Die Liebe zu Kaiba! Die Treue zu diesem! Der alles zunichte machte, was er sich erkämpft hatte. Den starken Willen, der jegliche Angst verdrängte. Wo war er?! Hatte er sich verzweifelt gefragt. Langsam hob er die Seife, führte sie geistesabwesend über seine Oberschenkel. Immer und immer wieder. Das Leben bestand aus wichtigen Grundsteinen, ohne die es nicht existieren konnte. Einer der Bausteine war Kaiba. Ein großer Baustein, der die Last der anderen auf sich trug. >Ich habe mit einem anderen geschlafen. Ich weiß nicht wie er auf diese Nachricht reagieren würde. Bei Chester... er hätte ihn umgebracht, wäre ich nicht dazwischen gegangen. Und dabei kam Chester nicht weit. Doch nun? Um ehrlich zu sein, will ich seine Reaktion überhaupt nicht erfahren.< In schnellem Takt tropfte das Wasser von seiner Nase, über seine Schultern lief es in breiten Rinnsälen. Nass verdeckte das Haar sein Gesicht. Und seine Hand führte die Seife weiterhin über den Oberschenkel. Und in dieser Sekunde kam ihm ein Ereignis ins Gedächtnis. Wie ein Dejavue, an jedes Wort konnte er sich erinnern. Er hörte sie regelrecht in seinem Kopf. Die Stimme... Seine eigene Stimme... "Wir mussten den Konflikt mit uns allein ausmachen. Wir hatten einander nicht und haben aller Welt bewiesen, das wir nicht den Anderen brauchen, um uns durch zuschlagen! Und das ist gut, denn man sollte es nicht übertreiben und hilflos ohne den Anderen sein!" Ja, er erinnerte sich. Diese Worte hatte er an Kaiba gerichtet. Vor knapp einem Jahr, als dieser nach der erfolgreichen Entgiftung noch im Krankenhaus gelegen und unter großer Mutlosigkeit gelitten hatte. Sprach er sich jetzt selbst Mut zu? Kamen daher diese plötzlichen Erinnerungen? "Du bist das wichtigste, das ich habe." Hörte er sich wieder sagen. "Ohne dich kann ich nicht leben, verstehst du? Und ich flehe dich an, stoße mich nicht von dir, nur weil..." Die Worte verschwammen und bald gab es nur das Rauschen des Wassers. >... ich untreu war.< "Von so einer Kanake können wir uns doch nicht das Leben zerstören lassen." Es stimmt. Katagori hatten sie nicht an ihr Glück heran gelassen. Vor und nach seinem Ableben hatten sie mehr oder weniger zusammengehalten und waren nur kurz getrennte Wege gegangen. Nun, Katagori konnte nichts zerstören... doch vielleicht schaffte es der jetzige Zustand? >Ich will ihn wiedersehen, ich werde verrückt, wenn ich es nicht kann. Dieser Wunsch ist stärker als jede Angst. Und ich werde nichts zerstören! Ich werde dafür sorgen, dass sich zwischen Kaiba und mir nichts ändert!< "Möchtest du noch einen Kaffee?" Zusammen mit dem älteren Ehepaar, saß Daniel an dem gemütlichen Küchentisch, stützte die Stirn in die Handfläche und schüttelte langsam den Kopf. Seit beinahe einer halben Stunde saßen sie nun hier. "Und... hast du vielleicht Hunger?" "Nein." Daniel fuchtelte träge mit der Hand. "Sobald er fertig is, bring ich ihn zu seim´ Freund und kehre ins Camp zurück." Das ältere Ehepaar nickte einsichtig. "Es ist lange her, seit du uns das letzte Mal besucht hast." Die Frau hob eine Tasse zum Mund, ihr Mann nickte beipflichtend. "Warst du vor kurzem noch einmal zu Hause?" Daniel schüttelte den Kopf. "Mh-hm." Brummte er. "Vor nem halben Jahr zum letzten Mal." "Und macht sich Sun keine Sorgen um dich?" Wieder folgte ein knappes Kopfschütteln. "Meine Mum versteht das." "Mm." Die Beiden nickten. Somit schwiegen sie kurz und der Mann erhob erst nach einem zögerlichen Räuspern die Stimme. "Und... wie lange willst du noch bleiben?" "Solange es nötig is." Ertönte ein müdes Nuscheln. Daraufhin wechselten die beiden verständnisvolle Blicke. Plötzlich hörten sie leise Schritte und Daniel ließ plump die Hand sinken. Sofort kam die ältere Frau auf die Beine und ging hinaus in den Flur. Ihr Mann folgte ihr sogleich und auch Daniel stand langsam auf. Vorsichtig tastete sich Joey durch den Türrahmen in den Flur, hielt inne, als er ebenfalls Schritte vernahm. Gekleidet war er in eine schwarze Hose und ein dunkelgrünes Shirt. Auch Schuhe hatte Daniel ihm gebracht. Das blonde Haar war noch etwas nass, die braunen Augen richteten sich verunsichert auf die Richtung, aus der sie auf ihn zukamen. "Okay." Ohne Joey anzusehen, schob sich Daniel durch das ältere Ehepaar. Der Blonde erkannte seine Stimme, entspannte sich etwas und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. "Ich bringe ihn erst einmal weg." "Kommst du dann noch einmal kurz zu uns?" Erkundigte sich die ältere Frau, die Joey lange und besorgt gemustert hatte. "Mm, kann ich machen." Daniel nickte. "Danke für alles." "Gern geschehen." Die Beiden lächelten und der Halb-Amerikaner griff nach der Hand des Blonden, der den Stimmen leicht irritiert zugehört hatte und sich nun stockend aufrichtete, den Anschein erweckte, als wäre er für diesen Schritt noch nicht bereit. Als würde er sich vielmehr dazu zwingen. Dennoch wirkte seine Miene im Gegensatz zu seinen Bewegungen entschlossen, seine Hand wurde wieder auf der Schulter abgelegt. Somit wandte sich Daniel ab, öffnete die Tür und verließ das Haus in wenigen Schritten. Er hob noch kurz die Hand zum Abschied, während Joey zögerlich hinter ihm einher stolperte. Das ältere Ehepaar trat in den Türrahmen und sah den Beiden nach, bis sie das kleine Tor hinter sich gelassen hatten und auf dem schmalen Weg vor dem Haus verschwanden. Joey fühlte sich etwas gestärkter und wohler. Seine Knie waren kräftiger, hielten sein Gewicht nahezu problemlos. Nur das Herz raste in seiner Brust und vereinzelte Stellen an seinem Körper schmerzten durch übertriebenes Schrubben. Daniel schwieg, während er Joey die Straße hinabführte. Noch immer umgab sie das Zwitschern der Vögel, noch immer schien die Sonne, obgleich es schon in den frühen Abendstunden war. Joey konnte diesen herrlichen Geräusche keine Beachtung schenken. Er wirkte unentschlossen, öffnete hin und wieder den Mund um etwas zu sagen und verblieb doch stumm. Er rieb sich die Nase, streifte sich träge das Haar zurück und holte erst nach einer langen Zeit Atem. "Weißt du... wo er ist?" Fragte er leise. "In diesem Dorf." Murmelte Daniel zurück. "Und dieses Dorf hat nur eine richtige Herberge." Joey nickte, hatte mit dieser Antwort jedoch nicht das erreicht, worauf er aus war, weshalb er zögerte. "Daniel?" "Mm." "Tust du mir einen Gefallen?" Lange starrte Kaiba auf die Uhr, ohne sich zu rühren. Er saß zusammengesunken auf einem Stuhl, hatte die Beine von sich gestreckt und lauschte dem leisen Ticken des Zeigers, der sich unbeständig bewegte, wie eine Zeitbombe wirkte. Es war bereits halb 6... in einer halben Stunde würde das Treffen stattfinden. Das Gesicht des jungen Geschäftsmannes wirkte abwesend, die Lider waren schwer, drohten hinabzusinken. Drei Tage ohne Schlaf. Stattdessen die erbitterte Suche, die erfolglos endete. Und nun das Warten auf die letzte, und zugleich gefährlichste Chance. In dem Aschenbecher, der neben ihm auf einem kleinen Tisch stand, häufte sich ein wahrer Berg aus Zigarettenstummeln, unter dem Tisch lag eine leere Flasche Wein. Flimmrig und trübe starrten die einst so kühlen Augen auf die Uhr. Der Zeiger drehte sich noch weitere dreimal im Kreise. Und erst dann begann sich Kaiba zu regen. Er hob die Hand, die das Handy hielt, wendete es lahm und drückte eine Taste, um es anschließend zum Ohr zu heben. Es klingelte... Noch immer verfolgten die Augen abwesend den Zeiger, vor den Fenstern seines Zimmers verloren die Sonnenstrahlen bereits an Kraft, die Dämmerung war nahe. Es klingelte oft, bevor sich Pikotto in der Leitung meldete. "Ja?" Kaiba schwieg, rieb sich mit der anderen Hand über das gesamte Gesicht und blinzelte schläfrig. "Kaiba? Bist du es?" Kraftlos richtete sich der junge Mann auf. "Pikotto, hör zu, ich..." "Ich dachte, du meldest dich gar nicht mehr!" Wurde er sofort aufgebracht unterbrochen. "Ich mache mir verdammte Sorgen! Was ist los?!" Kaiba zog eine Grimasse, hielt das Handy etwas entfernter vom Ohr und wandte endlich den Blick von der Uhr ab. "Pikotto." Ächzte er erschöpft. "Beantworte mir einfach nur eine Frage, ja? Der kleine Sender... ist er noch aktiv?" "Der, den du stets bei dir trägst?" Kam die Gegenfrage. "Genau der." Kaiba nickte langsam. "Warte kurz." Hektische Geräusche ertönten. Kaiba schloss die Augen und rieb sie. In der Leitung ertönte flinkes Klackern, Rascheln und wenige leise Signale. "Er ist aktiv." Kam kurz darauf die Antwort. "Kaiba? Weshalb hast du ihn mitgenommen?" "Du sagtest es doch... ich trage ihn immer bei mir." Beiläufig streckte Kaiba die freie Hand zum Tisch und griff dort nach einem winzigen Gerät, das einem Knopf ähnelte. Er nahm es, besah es sich und unterdrückte ein Gähnen. "Und du empfängst das Signal?" "Ja... ja, natürlich." Kaiba führte die Hand zum Mund, schob den Sender hinein und griff anschließend nach einem Glas Wasser, das ebenfalls auf dem Tisch stand. So trank er ein paar Schlucke, stellte das Glas auf den Tisch zurück und wartete kurz. "Immer noch?" "Ja." Pikotto stöhnte. "Kaiba, ich bitte dich! Klär mich auf! Ich ertrage dieses tatenlose Herumsitzen und Warten nicht! Du hast doch irgend etwas vor!" "Natürlich habe ich das." Träge kam Kaiba auf die Beine. "Hör mir zu. Mit dem Sender ortest du mich in einem Radius von fünfzig Metern. Behalte mich gut im Auge und wenn ich dich morgen nicht anrufe, dann meldest du dich bei Lenzich und hetzt ihn mit seiner ganzen Meute auf dieses gottverdammte Dorf." "Was hast du vor!" Ertönte Pikottos Stimme wütend. "Willst du dich in Gefahr begeben?!" Wieder lugte Kaiba zur Uhr. "Hast du das verstanden?" "Ja, aber..." "Gut." Somit ließ er das Handy sinken, warf es hinter sich auf den Stuhl und atmete tief ein. Seine Schultern hoben und senkten sich, seine Hände fuhren langsam durch den brünetten Schopf und so setzte er sich wankend in Bewegung. Unterdessen ertönten im Flur Schritte, die sich langsam seiner Tür näherten. Erneut unterdrückte er ein Gähnen, streckte die Hand nach der Klinke aus und drückte diese hinab. Als er die Tür öffnete, erreichten ihn die Schritte und als er aufblickte... hielt er inne. Er bewegte sich nicht, ließ die Hand auf der Klinke liegen und starrte auf den, der ihm da gegenüberstand. Das... das konnte doch nicht wahr sein! Er traute seinen Augen nicht! "Hey Schätzchen... is was?" Die knorrige Oma mit dem Putzeimer pulte sich zwischen den Zähnen, starrte grantig zurück und spuckte etwas zur Seite. "Hab ich vielleicht was im Gesicht?!" Kaiba hob die Augenbrauen und verzog leicht die Miene. Es wäre zu schön, hätte sie etwas im Gesicht gehabt. Nun, ihr fehlte ein Auge... Nachdem sich Kaiba von diesem Schrecken erholt hatte, räusperte er sich leise, schloss die Tür hinter sich und schob sich an der Omi vorbei, die wieder pulte und anschließend den Wischmopp in den Eimer rammte. In zügigen Schritten machte sich Kaiba auf den Weg zu jenem Treffpunkt. Zum Park, der nicht allzu weit entfernt lag. Hier, von seiner Herberge, der einzigen, die in diesem Dorf existierte. Schnell ließ er den Flur hinter sich, erreichte die altersschwache Treppe und tastete sich an dem Geländer entlang. Bereits als er sein Zimmer verlassen hatte, hatte er jegliche Grübeleien abgestellt. Er würde pünktlich sein! Er würde sich mit dem hilfsbereiten Mann und seinen Freunden treffen. Was danach geschehen würde, lag in Gottes Hand. Er wollte es nur hinter sich bringen, sehnte sich nach Klarheit, suchte nach Fakten! Und wenn Joeys Verschwinden nicht etwas mit diesen Männern zu tun hatte... dann... Als er auf die dämmernde Straße hinaustrat, hielt er nach wenigen Schritten erneut inne, blickte sich kurz um und begann in seinen Hosentaschen zu suchen. Flüchtig tastete er sie ab, ballte die Hände zu Fäusten und verdrehte die Augen. Warum zur Hölle hatte er das Handy auf den Stuhl zurückgeworfen? Er biss sich auf die Unterlippe und drehte sich zu der alten Herberge um. Er hatte seine Handy immer dabei. Weshalb sollte er es nun hier lassen? Eilig fuhr er sich durch den Schopf und faltete beide Hände hinter dem Hals. Sollte er es noch holen? Er blähte die Wangen auf, eine kühle Brise erfasste ihn. Nein... weshalb? Er blieb stehen, streifte den Ärmel seines dünnen Hemdes höher und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde... "Wie spät ist es...?" "Mm." Daniel verlangsamte die Schritte und besah sich seine Armbanduhr. Er starrte auf das Ziffernblatt, schnitt eine Grimasse und schüttelte das Handgelenk. "Keine Ahnung. Die Uhr hat ne Macke." Brummte er und ließ die Hand zurück in die Hosentasche rutschen. "Vielleicht ist es halb sechs, oder viertel vor oder sogar schon um." Joey nickte matt. Noch immer lag seine Hand auf Daniels Schulter und sie waren seit einiger Zeit unterwegs. Steile Straßen hinauf, steile Straßen hinab, bis sich seine Knie wieder wie Gummi anfühlten und er sich nur nach einer Pause sehnte. Und das sagte er, nachdem sie um weitere zwei Ecken gebogen waren. "Können wir uns kurz ausruhen?" Hauchte er müde und Daniel blieb stehen. "Ich kann nicht mehr, will mich nur kurz setzen." "Meinetwegen." Somit zog Joey die Hand von der Schulter des Halb-Amerikaners. Dieser lehnte sich in der Zwischenzeit um die nächste Ecke und kurz darauf war ein leises Nuscheln zu hören. "Ey." Er streckte die Hand nach Joey aus, zupfte an dessen Shirt. "Die Herberge is gleich hier um die Ecke. Noch fünfzig Meter un wir sin da." "Ja...?" Kraftlos richtete sich Joey auf und Daniel drehte sich zu ihm um. "Jahaa, komm, steh auf. Die wenigen Meter schaffste noch." Der Blonde schloss die Augen, rieb sich die Stirn und brachte ein gebrochenes Nicken hervor. Weshalb das Wiedersehen hinauszögern...? Er war nicht bereit. Bereiter wurde er jedoch nicht. Schleppend kam er auf die Beine und rieb sich kurz den Bauch. Daraufhin wurde seine Hand wieder auf der Schulter platziert und in gemächlichen Schritten bogen sie um die Ecke und betraten einen kleinen unauffälligen Platz, auf dem die kleine, ebenso unauffällige alte Herberge stand. Flüchtig blickte sich Daniel um. Kurz glaubte er, jemanden in eine Gasse verschwinden zu sehen, doch er konzentrierte sich vielmehr auf die Herberge. Währenddessen flüchteten sich Joeys Augen von einer Seite zur anderen. Mit jedem Schritt wurde er nervöser. "Das, worum du mich gebeten hast." Sagte Daniel da plötzlich. "Warum willst du das?" Joey schwieg, Daniel wartete und so erreichten sie die Herberge. Lässig schob Daniel die alte Tür auf und trat in den kleinen Rezeptionsraum, hinter dessen Theke ein älterer Mann mit einer Zigarre hockte und gelangweilt in einer Zeitschrift blätterte. "Hast du schon einmal einen Menschen mehr geliebt, als dich selbst?" Flüsterte Joey beinahe lautlos, als sie durch den Türrahmen gingen. Daraufhin schwieg Daniel, nicht einmal seine Miene verriet eine Antwort und Joey zog seine Schlüsse daraus. "Dann würdest du es sowieso nicht verstehen." Murmelte er, als sie die Theke erreichten. Daniel schickte ihm einen knappen Blick über die Schulter und wandte sich anschließend entspannt an den Mann. "Verzeihung?" Sagte er in beinahe akzentfreiem Deutsch. "Ist hier ein Mann namens Seto Kaiba abgestiegen?" Der Mann blickte auf, nahm sich die Zigarre aus dem Mund und musste nicht lange überlegen. Denn zur Zeit gab es hier nur einen einzigen Besucher. Und er nickte. Joey lauschte währenddessen angespannt, seine Finger klammerten sich fester und fester in Daniels Shirt. "Ja", der Mann sah zur Tür, "aber ich war gerade eine Weile im Hinterraum. Da ist er hier durchgekommen. Weiß nicht, ob er hoch oder raus ging." Joey hielt den Atem an und schloss die Augen. >Bitte lass ihn nicht mehr hier sein.< Dachte er sich verbissen. >Ich brauche noch ein bisschen Zeit!< "Dann schauen wir einfach mal." Daniel zuckte mit den Schultern. "Welche Zimmernummer hat er?" "Die 12." Daniel nickte dankend und drehte sich um. >Bitte, Kaiba, mach nur einmal etwas richtig und sei hier!< So gingen sie auf die altersschwache Treppe zu. Unbewusst ging Joey langsamer, hielt den anderen etwas mit der Hand zurück, der sich wiederum in die andere Richtung stemmte und die Treppe hinaufstieg. >Jetzt reiß dich zusammen, Joey! Du musst ihm nicht einmal in die Augen blicken!< Die freie Hand des Blonden ballte sich langsam zu einer Faust und so erreichten sie die erste Etage. Kurz verschaffte sich Daniel einen Überblick und bog nach links, Joey folgte ihm zögerlich und etwas humpelnd. Das erste, was Daniel auffiel, war eine alte Frau, die damit beschäftigt war, den Gang zu putzen. Leise fluchend und knurrend machte sie ihre Arbeit, bekam jedoch nicht all zuviel Aufmerksamkeit. Hoffend musterte Daniel die Zimmernummern. 9, 10, 11... Als er stehenblieb, machte Joeys Herz einen entsetzten Sprung, hastig drückte sich die Hand auf den Mund und verzweifelt versuchte er den schnellen Atem zu unterdrücken. >Ich kann das nicht! Doch... doch, ich schaffe es!< Er schnappte nach Luft, biss die Zähne zusammen. >Aaah... verdammt, warum muss es gerade jetzt so abgöttisch schmerzen!< Ohne zu zögern und ohne auf Joey zu achten, hob Daniel die Hand, führte sie an das Holz heran... und klopfte. Joey hielt den Atem an und Daniel ließ die Hand sinken, wartete und lauschte. Doch hinter der Tür tat sich nichts. Nur wenige Sekunden wartete Daniel bis zu dem zweiten Versuch. Wieder klopfte er, biss sich auf die Unterlippe und verdrehte die Augen. >Komm schon, du kannst doch nicht weg sein!< >Bitte! Bitte... sei nicht da!< Und plötzlich ertönten schnelle Schritte hinter der Tür. Wieder spürte Joey einen stechenden Schmerz in der Nähe seines Herzens. Das Gefühl der Panik brach in ihm aus. Nun, da es kein Zurück mehr gab. Kaiba war da! Daniel stöhnte erleichtert auf und nur eine Sekunde später, wurde die Tür aufgerissen und ein junger Mann, der augenscheinlich mit den Nerven am Ende war, erschien im Türrahmen. "Was denn?!" Daniel hob die Augenbrauen und winkte lustlos. "Hi." Sobald Kaiba ihn erkannt hatte, hielt er in jeglichen Bewegungen inne, machte den Anschein, zu Eis erstarrt zu sein. Reglos stand er dort, starrte jedoch an Daniel vorbei. Dieser tat das Seinige dazu, trat einen Schritt zur Seite und bot Kaiba somit den völligen Anblick. Dessen Gesicht verlor binnen der kürzesten Zeit den Rest der Farbe, die geweiteten Augen waren auf Joey gerichtet, der Mund leicht geöffnet. Der Blonde unterdessen, hielt die Hände locker in den Hosentaschen, bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen und sah nach unten. Stockend gaben die Finger das Handy frei und als dieses auf dem Boden landete, wurde die Putzfrau auf das Szenario aufmerksam. Schlürfend drehte sie sich um und stützte sich auf den Mopp. Noch immer stand Kaiba dort wie eine Salzstatue, noch immer hielt Joey den Kopf gesenkt und kämpfte darum, einen entspannten Anblick zu bieten. Daniel lehnte sich in der Zwischenzeit seitlich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Flüchtig sah er von einem bleichen Gesicht zum anderen. Dann holte er tief Luft. "Hab ihn heute Morgen im Wald gefunden." Murmelte er plötzlich. "Hat sich ganz schön verlaufen und hatte Glück, dass ich ma wieder unterwegs war." Kaibas Augen schienen allmählich zu brennen, also blinzelte er hastig. Und er hielt den Blick weitere Sekunden auf Joey gerichtet, bevor er langsam das Gesicht zu Daniel drehte und diesen mit der größten Perplexität und Ungläubigkeit anschaute. "Was...?" Seine Stimme war nicht mehr als ein verstörtes Hauchen. Daniel nickte bestätigend. >Seine Stimme...< Joey schluckte. >Mein Gott... das ist sie!< Kaiba klammerte sich in den Türrahmen, erweckte den Anschein, jede Sekunde zusammenzubrechen. "Nein..." "Doch." Daniel verdrehte die Augen. Erneut richteten sich die blauen Augen auf Joey und dieser zwang sich, das Gesicht zu heben. Zögerlich richtete er sich auf, pustete sich eine kitzelnde Haarsträhne aus dem Gesicht und zwinkerte. Unweigerlich fielen Kaiba die braunen Pupillen auf. Die braunen Pupillen, in denen stets ein kämpferisches Feuer geflackert hatte. Die Pupillen, die nun leer und leblos wirkten, abwesend an ihm vorbeischweiften und sich auf einen unbedeutenden Punkt richteten. Das pure Entsetzen schien Kaiba zu ergreifen. Er schnappte nach Luft, bewegte stumm die Lippen und trat wie benommen in den Flur hinaus. Joey spürte, wie sich Kaiba näherte. Er wusste es, ohne es zu sehen und kurz verlangte es ihm danach, zurückzuweichen, um möglichen Berührungen zu entgehen. Doch er blieb stehen, klammerte sich verzweifelt an die Lässigkeit. "Tja." Meinte er leise und zwang sich zu einem schmerzhaften Grinsen. "Ist ein bisschen blöd, blind durch den Wald zu rennen, nicht?" In dieser Sekunde kam Kaiba direkt vor ihm zum Stehen. Noch immer starrte er in die braunen Augen und benötigte eine lange Zeit, um die richtigen Worte zu finden, oder um überhaupt etwas sagen zu können. "Du... du hast dich verlaufen...?" Hauchte er völlig konfus, Joey spürte seinen warmen Atem auf dem Gesicht. Das Grinsen verlor etwas an Kraft. "Drei Tage lang...?" Daniel verfolgte das Geschehen aufmerksam, scheinbar in eigene Grübeleien vertieft, während sich die Omi weiterhin auf den Mopp stützte und nicht weniger interessiert wirkte. So etwas bot sich ihr nicht alle Tage. "Mm." Joey setzte eine unschuldige Miene auf. "Ich..." "Gott sei Dank!" Kaiba stieß ein lautes Keuchen aus, hob die Arme und schloss Joey in eine feste, beinahe übertrieben starke Umarmung. Der Blonde wurde regelrecht nach vorn gezogen, gegen den anderen Leib gepresst und sobald er die Arme spürte, verkrampfte sich sein gesamter Körper, der Atem stockte ihm und mit panisch geweiteten Augen starrte er ins Leere. ~*To be continued~* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)