Zweiter Teil: Gift in Körper und Seele von abgemeldet (Fortsetzung von "Du kennst mich nicht und doch hasst du mich") ================================================================================ Zurück auf die Beine! --------------------- Joey beeilte sich und erreichte den kleinen Spielplatz in nur zwanzig Minuten. Dafür keuchte und japste er aber ziemlich, als er sich auf die Schaukel sinken ließ und die Beine von sich streckte. Jetzt war er gehetzt! Hoffentlich hatte Duke das mit der halben Stunde nicht ernst gemeint und kam nicht erst in zehn Minuten. Joey musste unbedingt wissen, was er im Schilde führte. Erschöpft fuhr er sich durch den Schopf und blähte die Wangen auf. Da fiel sein Blick auf ein kleines, blondes Mädel, das neben ihm im Sandkasten hockte und nun die Schaufel sinken ließ, um ihn neugierig zu beäugen. Joey starrte zurück und nach wenigen Sekunden lachte das kleine Mädchen und reichte ihm tollpatschig ihr Eimerchen. "Du bist lieb, Onkel!", rief sie. "Kommst du spielen?" "Onkel?" Joey hob die Augenbrauen. "Ich bin erst siebzehn." "Spielst du trotzdem?" Der Eimer baumelte noch immer unter ihrer ausgestreckten Hand. Sie sah ihn erwartungsvoll an und Joey schöpfte tiefen Atem. Wieso nicht? Also nickte er, erhob sich und ließ das Handy in seine Hosentasche rutschen. Etwas Abwechslung tat ihm sicher gut. Er hockte sich neben das Mädchen an den Rand des Sandkastens und nahm das Eimerchen entgegen. "Backst du einen Kuchen für mich?" Sie lachte und klatschte in ihre kleinen Hände. "Klar bekommst du einen Kuchen." Joey legte den Kopf schief, atmete tief durch und griff auch nach der kleinen Plastikschaufel, die ihm das Mädchen sofort reichte. Während er dann gemächlich Sand in das Eimerchen füllte, sah er sich nervös um. Wann kam Duke endlich? Sein Weg war doch nicht viel länger! Seine Miene verzog sich. "Wehe dir, wenn du zu spät kommst", zischte er leise bei sich und stach das Schaufelchen wieder in den feuchten Sand. "Und wehe, wenn ich diesen Weg umsonst zurückgelegt und die Zeit verschwendet habe." "Du musst das anders machen." Das Mädchen rutschte näher und nahm ihm die Schaufel aus der Hand. Joey wurde abgelenkt und beobachtete sie, wie sie ihm auch den Eimer klaute. Dann atmete sie tief ein und sang: "Backe Backe Kuchen..." Ach ja, die alten Zeiten. Nur ungern erinnerte sich Joey an sie. Er schlang die Arme um die Knie und beobachtete, wie die Kleine ihren Eimer nun selbst füllte. Und dies mit der größten Hingabe, die existierte, die er sicher nie zu Stande gebracht hätte. Und dabei sang und sie lachte sie so heiter, dass Joey schwer ums Herz wurde. Wann war er zuletzt so glücklich gewesen? Lieber würde er in die Schule gehen und seinen gewohnten Tagesplan durchmachen. Wie gern würde er nun faulenzen. All die Sorgen drückten ihn nieder, zwangen ihn in die Knie und zehrten an seinen Kräften. Er wollte sich keine Sorgen mehr machen, nicht mehr in Todesangst leben und um das Leben derer kämpfen, die ihm sehr, ja, sehr wichtig waren. Nun schmerzte es ihm, das Mädel zu beobachten. Und er war erleichtert, als er Dukes Stimme hörte. "Joey!" Sofort drehte er sich um und da kam er angelaufen, völlig aus der Puste und verschwitzt. "Wo warst du denn!" Joey sprang auf und das Mädchen backte weiter an dem Kuchen. "Jetzt beruhige dich." Duke legte die Hand auf seinen Rücken und drängte ihn nach vorn. "Die wenigen Minuten werden uns nicht umbringen." Joey drehte sich kurz um und winkte dem Mädchen. "Und erklärst du mir jetzt, worum es geht?" "Klar." Duke ließ von ihm ab und ging eilig los. "Ich habe einen Kumpel, der hier wohnt. Er ist mir noch was schuldig und kann uns sicher helfen." "Wie denn das?" "Wirst du schon sehen." Er ging auf die Haustür eines kahlen Blocks zu und drückte sie einfach auf. "Komm, beeil dich." Hinter ihm betrat Joey das kühle Treppenhaus und nahm die Treppen in Anschlag. Hier wirkte alles etwas dreckig und heruntergekommen. Hatte Duke wirklich einen Kumpel, der hier wohnte? Joey wusste nicht, was er denken sollte. Hinter Duke stieg er bis in die letzte Etage hinauf. Und bevor Duke an eine der Türen klopfte, wandte er sich mit einem mahnenden Blick an ihn. "Bild dir kein vorschnelles Urteil. Der Typ mag völlig verrückt sein aber er ist ein gottverdammtes Genie." "Okay…?" "Gut." Duke wandte sich ab und klopfte laut und deutlich. Dann standen sie dort und warteten. Sie warteten fast eine halbe Minute und als Duke dann wieder klopfte, seufzte Joey. "Du, ich glaube, das Genie ist nicht zu Hause." "Er verlässt nie seine Wohnung." Duke stützte die Hände in die Hüfte und leckte sich die Lippen. "Er... ähm... braucht nur immer etwas." Und wirklich! Nach kurzer Zeit ertönten hinter der Tür schlürfende Schritte. Nun war Joey gespannt. Duke warf ihm einen triumphierenden Blick zu. Nun hörten sie auch ein heiseres Husten und dann öffnete sich die Tür. Das Erste, was Joey auffiel, war eine weiße Wolke, die zu ihnen ins Treppenhaus zog. Und sie roch verräterisch nach Hanf. Joey runzelte die Stirn und neigte sich etwas nach vorn, als er eine Gestalt in all dem Qualm ausmachte. Ein junger Mann, etwa in seinem Alter, trat lahm in den Türrahmen und musterte seine Gäste mit unendlicher Teilnahmslosigkeit. Sein Gesicht war zierlich, jedoch nicht im Besitz eines besonderen Ausdruckes. Die blaugrauen Augen standen auf Halbmast und zwischen den schmalen Lippen klemmte eine weiße Kippe. Die kurzen Haare waren schwarz und standen zerzaust zu Berge, verdeckten die Ohren, die von so einigen Ringen durchstochen waren. Gekleidet war er nur in Shorts und ein schlabberiges Shirt. Von Duke sah er zu Joey und dann wieder zurück. Erst dann bewegten sich seine Lippen und die Kippe sank auf und ab. "Hä...? Was'n los?" Sein müdes Nuscheln war kaum als Sprache anzuerkennen und Joey stand der Mund offen. Das sollte ein Genie sein? Eher wirkte dieser Typ wie ein durchgedrehter Junkie! Doch Duke schien sich leicht beherrschen zu können. Er grinste, trat vor und schlug dem jungen Mann heftig auf die Schulter. "Hey, du Frosch. Ich bin's!" "Hä?" Der Angesprochene rümpfte die Nase und musterte Duke von Kopf bis Fuß, Joey schenkte er nun keine Beachtung mehr. Erst, nachdem eine gewisse Zeit vergangen war, hob er langsam die Hand und zog sich die Kippe aus dem Mund. "Hamster...?", murmelte er überrascht. Duke lachte knapp, legte den Arm um seinen Hals und tätschelte seinen Bauch. "Ja, Hamster", lachte er. "Ich dachte, ich komm dich mal besuchen, alter Kumpel. Darf ich vorstellen?" Er wies auf Joey. "Das ist ein Freund von mir." "Hä..." Der junge Mann grinste abwesend. "Hi Freund, läuft noch alles?" "Häh?" "Na, kommt, kommt." Der junge Mann fuchtelte mit der Lunte und wandte sich ab, Duke ließ ihn los. "Kommt rein und begrüßt meine Mitbewohner." Dann schlürfte er davon und kratzte sich am aller Wertesten. Joey starrte ihm nach und Duke neigte sich zu ihm, hatte diese Reaktion erwartet. "Sein Name ist Alfons aber nenne ihn nicht so, sonst rastet er aus." "Du schleppst mich zu diesem Irren?", zischte Joey leise zurück. "Meinst du wirklich, dass wir für so etwas Zeit haben?" "Du wirst schon sehen." Duke drängelte auch ihn in die Wohnung. Der Flur war düster und schmal. Leere Bierflaschen und andere Dinge lagen in großen Mengen auf dem Boden und Joey musste über all das hinwegsteigen, bevor er den nächsten Raum betreten konnte. Hinter ihm schloss Duke die Tür und trat alles, was ihm im Weg war, einfach zur Seite. Er schien damit keine großen Probleme zu haben. Zögerlich und unzufrieden betrat Joey ein kleines Wohnzimmer, wo der Gastgeber auf sie wartete. Möbel, alles war da. Und doch herrschte eine grauenhafte Unordnung. Schimmel oder ähnliches konnte Joey glücklicherweise nicht entdecken. Nur leere Chipstüten und Aschenbecher, auf denen sich hohe Berge türmten. Hinzukommend roch es nicht allzu angenehm. Sobald Joey einen Platz zum Stehen fand, hielt er inne und sah sich weiterhin um. Der junge Mann warf ihm keinen einzigen Blick zu und erhob erst das Wort, als auch Duke eintrat. "Hamster", nuschelte er dann wieder und Duke stieß einen leisen Fluch aus. "Hör auf damit. Ich mag das nicht." "Hamster." Alfons gluckste leise und hob die Hand, um auf einige merkwürdig aussehende Pflanzen zu zeigen, die auf dem Fensterbrett standen. "Also... das ist Henry der I, Olga die II und Puppi, meine Lieblingspflanze." Joey streckte den Kopf vor. Waren das Hanfpflanzen? "Hallo Henry, Hallo Olga, Hallo Puppi." Duke nickte ihnen eilig zu und trat dann vor. Er kämpfte sich durch den Unrat. "Also Fröschchen, wir brauchen deine Hilfe." "Ah ja...?" Alfons nahm einen letzten Zug, blies den Rauch aus und schnippte die Kippe zur Seite, wo sie in einem breiten Blech landete. Joey sah ihr entgeistert nach. "Es ist so." Duke blieb neben ihm stehen und verschränkte die Arme. "Wir hätten zu jedem gehen können, hatten eine große Auswahl. Aber... nun ja... Tatsache ist nun einmal, dass du der Beste bist. Du kannst uns sicher helfen und uns aus der Krise helfen, hm? Nur du kannst es, Fröschchen." "Nur ich..." Alfons verzog sein Gesicht ganz merkwürdig, wandte sich ab und schlürfte davon. Joey hob die Hand, doch Duke bat ihn mit einer kurzen Geste, ruhig zu sein. Also schwieg er und sah sich erneut um. Und kurze Zeit später, ertönte die lallende Stimme ihres Retters. "N'Bier?!" "Nein, danke", antwortete Duke sogleich. "N'Johnny?!" Wieder dankte er ab und linste zu Joey, der nicht mehr wusste, was er denken sollte. "Also, was wollta?" Mit einem Bier, kehrte Alfons zu ihnen zurück, zog an ihnen vorbei und warf sich auf das Sofa. "Crack, Marihuana." Er zog die Nase hoch. "Kokain is zurzeit etwas schwer zu beschaff..." "Nein, nein." Duke lachte eilig, während Joeys Unterkiefer haltlos hinabsackte. "Es geht um etwas ganz anderes." Alfons rülpste, zog einen Schlüssel hervor und riss den Deckel von der Bierflasche. Duke rieb sich unterdessen die Hände, trat näher und ließ sich neben seinem Kumpel nieder. Dieser setzte die Flasche an die Lippen und begann in großen Schlücken zu trinken. "Du musst einen Mann für uns ausfindig machen." Alfons trank. "Wir wissen nur, wie er aussieht, brauchen aber seinen Namen und seine Adresse. Es ist wirklich sehr wichtig." Er lugte zur Seite... und Alfons trank. "Jetzt leg das Bier weg!" Duke nahm es ihm aus der Hand und stellte es auf den Tisch. "Die Sache ist wirklich ernst! Also hör auf zu trinken und konzentrier dich!" "Ich kann mich auch mit Bier konzentrier..." Alfons wollte wieder nach der Flasche greifen, aber Duke wischte seine Hand weg und richtete sich auf, um ihn anstarren zu können. "Du bist mir noch einen Gefallen schuldig! Also streng dich an und recherchiere etwas für uns! Uns bleiben noch drei Tage, bis eine schlimme Sache passiert und du bist vielleicht unsere einzige Hoffnung!" "Is ja gut", stöhnte Alfons und hob die Hände. "Wenn's weiter nichts is...?" "Du tust es?" "Klar..." Der junge Mann erhob sich schwerfällig vom Sofa, schlürfte um den Tisch herum und griff nebenbei nach der Bierflasche. Dann winkte er ihnen zu und verschwand in einem anderen Raum. Wortlos erhob sich Duke und folgte ihm, Joey mit sich ziehend. Sie betraten einen Raum, der mit Computern, Monitoren und anderem Krimskrams nur so voll gepackt war. Überall schlängelten sich Kabel, Steckdosen türmten sich zu Bergen und kleine Einzelteile nahmen den Rest des Raumes ein. Alfons ließ sich auf einen alten Drehstuhl fallen, als die beiden eintraten. Einer der Bildschirme flimmerte noch und er wandte sich ihm nach einem weiteren Schluck zu. Während sich Duke gleich zu ihm gesellte, blieb Joey noch stehen. "Wenn's weiter nichts is", wiederholte Alfons wieder, stellte das Bier ab und drehte sich zum Monitor. "Weiß nich, wie lang's dauern könnte..." "Du hast zwei Tage", sagte Duke. "Ich weiß nich, wie lange es dauern könnte!", wiederholte Alfons nachdrücklich und wirkte plötzlich wieder nüchtern. "Und auch wenn ich es nich schaffe... wir sin quitt." "Ja, ja." Duke drehte sich um und winkte Joey zu sich, der sich nur zögerlich näherte. Dann wandte er sich wieder an Alfons und räusperte sich. "Also, die Adresse und den Namen. Wie könntest du das herausfinden?" "Nur mit einer Beschreibung...?" Alfons zuckte einschätzend mit den Schultern. "Ich müsste mit der Suche nach seiner Arbeitsstelle anfang. Habt ihr denn ne leise Ahnung, was er so macht... beruflich?" "Wir denken, dass er Arzt ist", meldete sich Joey zu Wort und blieb hinter ihm stehen. Alfons legte den Kopf in den Nacken und sah ihn an. "Oder er arbeitet in einem Labor. Auf jeden Fall muss er sich mit Chemikalien und Medizin auskennen." Alfons brummte, richtete sich auf und wandte sich dem Bildschirm zu. Er begann flink zu tippen und die Bilder auf dem Monitor begannen sich schnell zu ändern. So schnell, dass Joey es mit dem bloßen Auge kaum verfolgen konnte. Und dabei saß Alfons sehr entspannt und schief auf dem Stuhl. Nur seine Finger blieben in ständiger Bewegung. Davon musste Duke gesprochen haben, als er Alfons ein Genie genannt hatte. Während sich Alfons ohne Probleme und binnen weniger Minuten in die Angestelltenlisten des ersten Krankenhauses hackte, wurde Joey zuversichtlich. Duke starrte auf den Bildschirm, Alfons schwieg beschäftigt und Joey grübelte. Für das kleine Genie war es sicher etwas völlig alltägliches, sich irgendwo einzuhacken, für ihn jedoch, war es sehr spannend und aufregend. Gleichzeitig schenkte es ihm Hoffnung. Als eine lange Liste auf dem Bildschirm erschien, wandte sich Joey zögerlich an den Hacker. "Wurdest du bei so etwas noch nie erwischt?", erkundigte er sich. Alfons klickte die erste Zeile an und ein Foto erschien, ebenso die Daten des Mitarbeiters. Müde wies er darauf. "Sagt, wenn ihr'n wieder erkennt. Und, ja. Man... so'n Scheiß. Einma wurde ich erwischt. Aber nur einma." Er ließ die Liste hinunterlaufen und die Beiden betrachteten sich jedes Foto genau. Alfons gähnte. "Wollte mich ma ind'n Hauptrechner der Kaiba-Corp. hacken. Kacke, man!" Das Erlebnis schien ihn bis in seine Träume zu verfolgen. Er kam nicht darüber hinweg. "Grad war ich dabei, mich nen bissl umzuschauen, da hatt'n se mich. Da bin ich zum ersten un letzten Mal umgezogen." Joey schluckte. "Man, diese Schweinehunde... ham mich fast ind'n Ruin getriebm, ind'n Knast gebracht un was noch alles. Die würdsch fertig machen, ham nur leider zu gute Geräte, die Jungs." Das Ende der Liste war erreicht und Alfons richtete sich auf, um nach der nächsten Liste zu suchen. Da meldete sich Joeys Handy. Der Bildschirm flimmerte kurz auf und Alfons brummte. Da entfernte sich Joey lieber etwas von den Geräten. Er ging fast bis zum Türrahmen, zog das Handy hervor und nahm ab. "Ja?" Wieder klackerten die Tasten unglaublich schnell, wieder änderten sich die Bilder und das nächste Krankenhaus wurde herausgepickt. Nach wenigen Handgriffen und einer kurzen Wartezeit erschien die nächste Liste und Alfons ließ sie wieder hinunterlaufen. Duke musste aufpassen, konnte nicht auf Joey achten, der lauschte und trübe nickte. Knapp einhundert Fotos sah sich Duke durch, doch keines war das Richtige. Als er den Kopf schüttelte, stöhnte Alfons und fuhr sich durch den Schopf. "Man, so komm wir nich weiter. Ich mach's anders, schneller. Kann aber nen bissl dauern." Mit diesen Worten begann er wieder zu tippen und zu klicken und was noch alles. Duke wandte sich in der Zwischenzeit ab und schickte Joey einen fragenden Blick, doch dieser wandte sich ab und nickte erneut. "Ja, in Ordnung. Ich tue, was ich kann." Mit diesen Worten legte er auf, ließ das Handy in die Hosentaschen zurückfallen und lehnte sich seufzend gegen den Türrahmen. "War es der Arzt?" Duke trat näher und er nickte. "Was hat er gesagt?" "Sie müssen die Krankheitszeichen noch untersuchen, und Medikamente oder Chemikalien zusammentragen, die diese Symptome verursachen könnten. Er hat gemeint, dass es vielleicht eine Möglichkeit gäbe, ein eigenes Gegenmittel zu entwerfen. Aber für dieses Projekt gibt es nur eine vage Hoffnung." Wieder seufzte er. "Es hörte sich eher nach einer Verzweiflungstat an." "Mach dir keine Sorgen, ja?" Duke schlug ihm auf die Schulter und ließ die Hand auf ihr liegen. "Irgendwie schaffen wir das schon. Schau, wir sind nahe dran." "Hm." In dieser Sekunde hob Alfons die Hand und fuchtelte mit ihr. "Beschreibung", rief er. Duke und Joey tauschten kurze Blicke und gesellten sich dann wieder zu ihm. "Cirka 1,80 groß", begann Joey dann zu erzählen und Alfons tippte. "Gewicht... tja, sagen wir mal..." "Fünfundsechzig", grübelte Duke laut und er nickte. "Blond, blauäugig." "Das reicht." Alfons schloss ab, schlug auf eine Taste und lehnte sich zurück. Der Bildschirm verdunkelte sich, kurz war eine Sanduhr zu sehen, dann hoppelte ein hässliches Kaninchen von links nach rechts, stolperte und stürzte. Dann verschwand es wieder und die Beiden tauschten erneute Blicke. Als es zum zweiten Mal herumhoppelte, wurde es plötzlich von einem herumfliegenden Granitblock zermalmt, dann von einer riesigen Bärenfalle zerquetscht und von Godzilla gefressen. Und dann erschoss es sich selbst. Vermutlich hatte es vom Sterben die Nase voll und vom Rest der Welt ebenfalls. Ein wirklich lustiges Pausenprogramm, wie Joey fand. Es erschoss sich noch dreimal, dann erschien wieder die Sanduhr, fiel hinunter und zerbrach auf dem Boden. Und sogleich nahm der Bildschirm wieder Farbe an und eine weitere Liste erschien. Alfons übersah sie kurz und runzelte die Stirn. "Laboratorien, Schulen, Versuchszentren, Kliniken, Krankenhäuser", murmelte er. "Voilá, zweihundertachtundsiebzig Leute passen auf diese Beschreibung." "Wie hast du das geschafft?" Joey staunte. "Ganz einfach." Alfons lugte zu ihm, seine Hand tastete nach der Bierflasche. "Bin halt gut." "Wow!" "Lasst uns anfangen", drängte Duke. "Je eher wir ihn haben, desto besser." Alfons tippte kurz und schon konnten sie sich ganz viele Männer betrachten, die ihrem geliebten Bekannten glichen. Während sie schauten und guckten, verkrümelte sich ihr Genie kurz nach draußen und kehrte wenige Minuten mit einem neuen Joint zurück. In Joey sprudelte währenddessen die Freude, gleichermaßen die Hoffnung. Nun mussten sie ihn finden. Manchmal grübelten sie und besahen sich einen Mann genauer. Doch sie entschieden sich stets für das stumme Kopfschütteln. Und die Liste wurde kürzer und kürzer. Wer weiß? Vielleicht war dieser Mann derzeit arbeitslos oder selbstständig? Daran wollte Joey überhaupt nicht denken. Nach jedem Foto wurde er zappeliger und Alfons fläzte neben ihnen, qualmte und konnte es sich nicht nehmen lassen, zu dem einen oder anderen einen Kommentar abzulassen. Doch keiner der Beiden achtete darauf - sie hatten Besseres zu tun, als über Frisuren, Nasen und Bärte zu quatschen. Ihre Augen waren gespannt auf den Bildschirm gerichtet. Und dann, nach mehreren Minuten der erfolglosen Suche sprangen sie auf. "Das ist er!!", riefen sie wie aus einem Munde und zeigten auf das Foto. Alfons erschrak so sehr, dass er den Joint fallen ließ und beinahe aus dem Stuhl kippte. "Man!" Während er sich aufrichtete und die Kippe auf dem Boden zertrat, raufte sich Joey aufgeregt die Haare. "Wir haben ihn! Duke, es hat geklappt!!" Jubelnd fiel er ihm um den Hals und lachte. "Ja! Man, bin ich fertig!" "Bleibt auf'm Boden." Das Genie gähnte, rutschte zum Computer und schob die Beiden zur Seite, um einen Blick auf die Daten zu werfen. "Yasojiro Hirayama... arbeitet im Krankenhaus am Nusashi-Platz." "Was…?" Joey ließ Duke los und fuhr herum. Auch Duke sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen. "In diesem Krankenhaus?!" "Hm." Alfons kratzte sich an der Stirn. "Adresse und so... alles da. Ich drucks aus." "Das kann doch nicht wahr sein!" Joey wandte sich hektisch an Duke. "Er arbeitet im selben Krankenhaus, in dem Kaiba liegt?!" "Wer liegt...?" Alfons lugte zu ihnen. "Niemand", sagte Duke schnell und er wandte sich desinteressiert ab. "Warum haben wir ihn dort nie gesehen?! Mein Gott, wir suchen nach ihm und machen uns verrückt und dabei ist es möglich, dass er im selben Gebäude war, wie wir?!" Nach wenigen Sekunden stieß sich Alfons samt Stuhl ab, rollte zur Seite und neigte sich zum Drucker. Er zog das Blatt heraus, rollte zurück und reichte es Joey, der es ihm sofort aus der Hand riss. "Man... ihr seid krass!" "Danke!" Während Joey den Zettel prüfend überflog, wandte sich Duke an seinen Kumpel. "Du hast vielleicht ein Menschenleben gerettet!" "Cool..." "Wir müssen zum Krankenhaus zurück." Joey zupfte hektisch an seinem Ärmel. "Mensch, vielleicht können wir die Sache noch heute hinter uns bringen?" "Das ist zu schön, um wahr zu sein." Duke rollte schwärmerisch mit den Augen und nickte seinem Kumpel ein letztes Mal zu. "Gute Arbeit! Wir müssen jetzt weg. Aber ich komme dich bald noch einmal besuchen, okay?" "Is gebongt." Nein, sie gingen nicht gemeinsam ins Krankenhaus. Nur Joey machte sich auf den Weg dorthin. Er nahm den Zettel mit und schickte Duke zur Polizei. Er sollte dort einige Dinge regeln, die Geschichte erzählen und dafür sorgen, dass auch nach diesem Yasojiro gesucht wurde - obgleich es keine Beweise gab. Einen Versuch war es jedoch wert. Sie trennten sich und beschlossen, sich zwei Stunden später, im Krankenhaus zu treffen. Duke war es also, der die ganze Arbeit übernehmen musste. Joey hätte nicht zugelassen, das er seinen Platz einnahm. Er erreichte den Nusashi-Platz schnell, stürmte das Krankenhaus und begab sich auf die Suche nach Dr. Johnson. Hoffnung war in Sicht, ja, zum greifen nahe! Er fuhr in die zweite Etage, dort, wo Kaiba lag und der Gesuchte möglicherweise seiner Wege ging. Zuerst klopfte Joey an seinem Büro und als sich niemand meldete, ging er einfach drauf los und fragte jeden Arzt, der ihm entgegen kam. Doch niemand wusste, wo Dr. Johnson war. Joey fand ihn erst einige Minuten später, wie er aus einem gewissen Zimmer trat, sich die Stirn rieb und sich mit einigen Unterlagen Luft zufächelte. Kein sehr zuversichtlicher Anblick. "Doktor!", sofort rief Joey ihn und eilte zu ihm. Das Blatt vergaß er für kurze Zeit, als er ihn erreichte. "Joey." Der ältere Mann runzelte die Stirn. "Was ist? Hast du etwas gefunden?" "Ist er wach?", stellte Joey eine aufgeregte Gegenfrage. Das Gesicht des Arztes verfinsterte sich. "Ja, aber geh besser nicht rein." "Warum?" Joey verstand es nicht. "Meinen Sie, ich würde den Anblick nicht aushalten? Blödsinn, ich gehe gleich zu ihm! Aber... warten Sie!" Er hob das Blatt und drückte es dem Mann in die Hände. "Schauen Sie! Das ist der Mann, der eine große Teilschuld trägt! Das ist er, da bin ich mir sicher! Yasojiro Hirayama! Er arbeitet hier im Krankenhaus auf Station 4! Kennen Sie ihn? Ist er hier? Sagen Sie doch etwas!" "Hirayama?" Dr. Johnson starrte das Blatt entsetzt an. "Ich... kenne ihn." "Von ihm bekommen wir das Gegengift!" Joey schlug sich ins Fäustchen. "Sie müssen die Polizei rufen und ihn verhaften lassen! Wir haben keine Zeit! Alles muss jetzt schnell gehen, sonst..." "Hirayama ist... nein, er ist nicht hier." Noch immer unter Schock stehend, schüttelte Johnson den Kopf. "Er hat seit mehrere Tagen Urlaub... und ich kann es nicht... kann es nicht fassen, dass er es..." "Er ist nicht hier…?" Joey erschrak. "Mein Gott, hätte ich das gewusst!" "Jetzt hören Sie auf damit!" Dadurch war Joey auch nicht geholfen. "Wir... ähm... wir veranlassen einfach, dass die Polizei ihn sucht, okay?! Er ist noch hier in Domino! Gestern habe ich ihn gesehen! Und... stehen Sie hier nicht herum, sondern tun Sie etwas!" "Jetzt beruhige dich erst einmal." Der Arzt hob abwehrend die Hände. Auch er war mit den Nerven am Ende. Ihm ging es nicht besser, als Joey und wollte nun nicht auch noch angeschrien werden, wo er doch um das Leben einer seiner Patienten kämpfte. "Mein Junge, diese ganze Sache ist nicht so einfach, wie du vielleicht denkst." "Warum nicht...?" Joey ahnte Schlimmes. Von einer Sekunde auf die andere beruhigte er sich und ließ die Hände sinken, mit denen er soeben noch wild gefuchtelt hatte. "Komm." Dr. Johnson hob den Arm und führte ihn fort. Verdattert drehte sich Joey noch einmal zu dem Zimmer um. "Aber ich... will ihn sehen." "Das kannst du nachher." Nach wenigen Metern blieb der Arzt stehen, öffnete eine Tür und schob Joey in einen kleinen, unbenutzten Behandlungsraum. Er sah sich irritiert um und beobachtete dann den Doktor, wie er die Tür schloss und sich händeringend an ihn wandte. Er wollte nicht hören, dass es für die Rettung bereits zu spät war! Er wollte, dass es noch Hoffnung gab, eine Lösung! Eine unbeschreibliche Angst brach in ihm aus, als Dr. Johnson aufblickte. "In drei Tagen wird das Gift seine vollendete Wirkung entfalten und dann können wir nichts mehr tun. Wir können zwar veranlassen, dass die Polizei nach ihm sucht aber ein Wunder müsste geschehen, dass die Suche in nur zwei Tagen einen Erfolg erzielt. Hinzukommend ist es nicht sicher, das Hirayama das Gegengift bereits parat hat. Vielleicht muss er es erst noch herstellen, vielleicht ist es sogar gar nicht möglich, ein Antiserum zu entwickeln? Ein Wunder ist es, was wir brauchen. Sonst ist alles verloren. "Dann...", Joey wandte verbissen den Blick ab, "… dann hoffen wir eben auf das Wunder! So einfach ist das! Es ist doch gut möglich, dass Hirayama der Polizei ins Netz geht? Er wirkte zumindest nicht wie ein erfahrener Ganove. Eher wie ein unterwürfiger Mitläufer, der es aus Verzweiflung tut." Er musterte den Arzt scharf. "Sagen Sie nicht, dass Sie aufgeben wollen!" "Aufgeben will ich nicht aber..." "Hören Sie!" Joey trat an ihn heran und stemmte die Hände in die Hüften. "Hoffen Sie auf dieses Wunder! Ein anderer Weg bleibt uns nicht. Und es wird Ihnen nicht gelingen, ein eigenes Gegengift zu erfinden! Das habe ich im Gefühl und das trügt mich nur selten. Noch schlimmer wäre es ja, wenn uns gar keine Möglichkeit bliebe und wir tatenlos auf das Ende warten müssten. Tun Sie alles, damit er unter keinen großen Schmerzen leiden muss und bitte erlauben Sie mir, bei ihm zu bleiben. Ich möchte ihn nicht allein lassen und meine Anwesenheit wird ihm vielleicht gut tun." Der Arzt schwieg. "Auch wenn er mich nicht mehr erkennen oder gar nicht bemerken sollte, will ich das." Joey las aus ihm wie aus einem offenen Buch, sprach aus, was er dachte. "Und sollte es nicht funktionieren, sollte alles verloren sein, dann müssen Sie sich keine Vorwürfe machen! Ich meinerseits, werde kämpfen, solange auch nur noch ein Fünkchen Hoffnung besteht! Wie steht es mit Ihnen?" Dr. Johnson räusperte sich leise, starrte auf den Boden und rieb das Blatt zwischen den Händen. Er grübelte verbissen, überdachte das Gesagte. Und Joey bangte in jeder Sekunde des Zögerns. Doch dann nickte Dr. Johnson, richtete sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und sah ihn ernst an. "Gut, hoffen wir auf das Wunder." Sofort erhellte sich Joey Gesicht. "So mag ich Sie, Doktor. Tun Sie alles was in Ihrer Macht steht und seien sie zuversichtlich, auch wenn Sie unrealistisch sein müssen. Sie sind nicht der Einzige, der Angst vor den Vorwürfen, vor dem Gift hat. Ich habe auch meine Probleme damit... das können Sie sich nicht vorstellen. Aber ich bin nun einmal ein Kämpfer-Typ. Werden Sie auch zu einem." Joey zwinkerte ihm zu. Unglaublich…! Jetzt musste er schon den Arzt aufheitern, obwohl es ihm selbst hundeelend ging! "Sagen Sie mir jetzt, wie es ihm geht?" "Natürlich." Dr. Johnson erwachte zum Leben. Noch immer niedergeschlagen hob er die Unterlagen und blätterte in ihnen. Joey wartete gespannt. "Redet er wieder wirres Zeug...?" "Er ist seit heute Morgen wach und hat noch kein einziges Wort gesprochen." "Wie ist sein Blick?", erkundigte sich Joey, um sich auf das Kommende vorzubereiten. „Wie sehen seine Augen aus?“ "Das weiß ich nicht", erhielt er zur Antwort. "Du kennst ihn besser als ich. Finde es heraus." "Und körperlich?" "Sehr schwach. Schmerzmittel verhindern aber das Schlimmste." "In Ordnung", schloss Joey ab. "Ich gehe jetzt zu ihm. Und Sie lassen den Kopf nicht hängen, ja?" Mit diesen Worten zog er an ihm vorbei und trat in den Gang hinaus. Der Arzt folgte ihm und sofort trennten sich ihre Wege. Joey kehrte zu dem gewissen Zimmer zurück und der Arzt steuerte auf sein Büro zu. >Reiß dich zusammen, Joey Wheeler!< Joey ballte die Hände zu Fäusten, als er die Tür näher kommen sah. >Fang nicht an zu heulen und bleib stark, egal, was er sagt!< Er kam immer und immer näher, wurde mit jedem Schritt nervöser und hielt inne, bevor er nach der Klinke griff. Er grübelte, ließ dann die Hand sinken und trat zurück. Natürlich…! Es gab ja noch etwas, das er erledigen musste! Er freute sich, einen Vorwand zu haben, den Besuch noch etwas zu verschieben. Er warf der Tür einen letzten Blick zu, suchte dann hastig nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Er musste Duke Bescheid geben und als er ihn endlich erreichte, wurde ihm eine gute Nachricht mitgeteilt. Die Polizei hatte sich dazu bereit erklärt, nach ihm zu suchen. Hirayama war schon oft vor dem Gericht gelandet, jedoch immer wieder freigesprochen wurden. Keiner der Polizisten konnte ihn leiden und noch weniger sehnten sie sich nach dem Tod des großen Seto Kaiba, der sozusagen und in gewissem Sinn über das Geschäftswesen Dominos herrschte. Noch heute würde die Suche beginnen und Joey dankte Duke, den Polizisten, war so glücklich, zuversichtlich... dass er nun mit einem derben Schlag ins Gesicht rechnete, einem neuen Grund, den Depressionen zu verfallen. So war es immer, große Freude wollte man ihm nicht gönnen. Aber jetzt konnte er zumindest mehr oder weniger beruhigt sein und sich Kaiba widmen. Er hatte getan, was in seiner Macht stand und es würde wohl nichts bringen, mit den Polizisten herumzufahren, Passanten auszuquetschen und jede Kneipe abzusuchen. Dadurch würde es ihm nur noch schlechter gehen. Jetzt schaltete er sein Handy aber erst einmal aus, damit er keinen Ärger bekam. Und dann näherte er sich wieder der Tür, atmete tief ein und öffnete sie, bevor er wieder einen Grund fand, um sich davor zu drücken. Nur zögerlich streckte er den Kopf in das Zimmer und richtete seinen Blick auf das hintere Bett. Nach den Tests lag Kaiba wieder auf dem Rücken. Weich war sein Kopf auf dem Kissen gebettet, die Hände hielt er unter der Decke verborgen, die ihn erst ab der Hüfte wärmte. Das Hemd war nun geschlossen, das Gesicht hatte er zum Fenster gewandt, so, dass Joey es nicht sehen konnte. Das gleichmäßige Piepen... All die Kabel, die sich auf der Matratze schlängelten... Leise trat Joey ein und schloss die Tür hinter sich, den Blick stets auf Kaiba fixierend. Dieser schenkte ihm keine Aufmerksamkeit, regte sich nicht einmal. Aber er war wach, dessen war sich Joey sicher. Vorerst blieb er vor der Tür stehen und schlüpfte vorsichtig aus dem Pullover. Anschließend atmete er erneut tief durch und näherte sich in sicheren Schritten dem Bett. Als er an dessen Fußende gelangt war, erblickte er wieder dieses bleiche Gesicht, den Schweiß, der auf der hellen Haut glänzte. Es hatte sich nichts geändert. Er ging noch zwei Schritte, dann blieb er stehen, so, dass Kaiba ihn ohne Schwierigkeiten sehen könnte. Doch dessen gerötete und glasige Augen blieben weiterhin nur auf das Fenster gerichtet, blickten ausdruckslos hinaus. Joey gab keinen Laut von sich, besah sich ihn gemächlich und legte den Kopf schief. Nun, da er ihn wieder sah, konnte er es sich nicht vorstellen, dass er sterben könnte. Er würde daran zerbrechen, daran war kein Zweifel erlaubt. Seine Gedanken endeten abrupt, als Kaiba plötzlich zwinkerte, als sich seine Pupillen bewegten und sich auf ihn richteten. Ein kaltes Schaudern durchfuhr seinen Körper, als er den Blick erwiderte. Er durfte seine Angst nicht zeigen, durfte ihn auf keinen Fall weiterhin beunruhigen. Er musste stark sein. Stark für sich und Kaiba. Sofort, als ihn dessen Blick traf, verschnellerte sich das Piepen und die geröteten Augen weiteten sich. Nein, er war bei Sinnen. Er hatte ihn erkannt und dementsprechend reagiert. Kein Schlag ins Gesicht? Joey fühlte sich ängstlich, bedrückt und zugleich erleichtert, als er diese Augen das erste Mal seit langer Zeit wieder sah. Ohne, dass er es bemerkte, zeichnete sich ein weiches Lächeln auf seinen Lippen ab und er trat näher, bis er direkt vor ihm stand. Kaibas Augen folgten ihm, das Piepen behielt den raschen Takt bei. Seine rauen Lippen öffneten sich einen Spalt weit und doch blieb er stumm. Nun verstärkte Joey das Lächeln, griff hinterrücks nach dem Stuhl und ließ sich auf ihm nieder. Er hielt dem Blick stand, fühlte sich in keiner Weise verunsichert. Nein, er genoss diesen Blickkontakt und ergriff nach einer kurzen Zeit des Schweigens, das Wort. "Ist lange her, hm?" Er sprach langsam und ruhig aber die Schnelligkeit des Piepens nahm nicht ab. Es belustigte Joey. Nach außen hin konnte Kaiba seine Gefühle verbergen aber eine Maschine, die sein Herz überwachte, konnte er nicht belügen. Kaiba wandte nicht den Blick ab, schien unglaublich überrascht und gleichzeitig entsetzt über diesen unverhofften Besuch zu sein. Wieder bewegten sich seine Lippen und unter der Decke begannen sich die Hände langsam und stockend zu regen. Dann hörte Joey den schnellen und schweren Atem, der bis jetzt zurückgehalten worden war. "Was... machst du hier?" Kaibas Stimme war nur ein heiseres Flüstern und doch trotzdem Joey jedes Wort. Das Lächeln verlor für wenige Sekunden an Kraft, kehrte dann jedoch umso gekräftigter zurück. "Ich wache über dich", sagte er. Wieder zwinkerte Kaiba, die Decke verblieb reglos. Nun schien er keine Worte mehr zu finden, wusste nicht, wie ihm geschah. Während er verzweifelt versuchte, einen Satz zu Stande zu kriegen, genoss Joey seinen Anblick, so erschreckend er auch war. Er sah ihn, er hörte seine Stimme. Was wollte er mehr? "Sagte ich nicht...", Kaiba blieb der Atem weg, er blieb hängen und haspelte, "… sagte ich nicht, dass ich dich..." "Du hast viel gesagt", antwortete Joey sanft und richtete sich auf. "Aber jetzt kenne ich den Grund dafür und es ist in Ordnung. Ich bin jetzt hier." "Grund?" Kaibas Gesicht begann zu zucken. "Was... für... einen..." "Tsch", beruhigte Joey ihn. Er rutschte noch weiter nach vorn, griff unter die Decke und umfasste Kaibas Hand. Sie fühlte sich warm und rau an, begann sich wieder zu bewegen, sobald sie die Berührung spürte. Joey drückte sie vorsichtig, stützte sich auf die Matratze und hob die andere Hand. Kaibas Pupillen folgten ihr verstört. Und als er sie auf seiner heißen Stirn spürte, zuckte er zusammen und starrte den blonden Jungen, der noch immer dieses warme Lächeln auf den Lippen trug, irritiert an. "Rede nicht so viel." Joey strich die verschwitzten Strähnen zurück, versenkte die Finger in seinem Schopf. "Zurzeit ist es nur wichtig, dass du wieder gesund wirst." Nun sagte Kaiba nichts mehr. Er blieb reglos liegen, erwiderte seinen Blick verunsichert, bald ausdruckslos. Er sah ihn lange an, wandte erst nach einigen Minuten den Blick ab und starrte an ihm vorbei. Und ungeachtet all der Sorgen, war Joey in genau diesen Sekunden glücklich. Er kraulte Kaibas Hand, streichelte sein Haar und besah sich dieses bleiche Gesicht, das an jeglicher Regung verloren hatte. Was für ein Glück war ihm nur zuteil geworden, Kaiba normal zu erleben. Er hatte ihn erkannt, mit ihm gesprochen, sich erinnert. Joey konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie unberechenbar und verstört er nach der Aussage Dr. Johnsons vor kurzer Zeit erst gewesen sein sollte. Vollkommenheit, Präzision, Exaktheit, Professionalität, Können, Wissen... das war die Welt, in der Kaiba gern lebte. Wie musste er sich nur fühlen, wo er all diese Dinge verlernt hatte und nicht wusste, woran es lag? Wie geplant, blieb Joey bei ihm. Er lauschte den schwachen Atemzügen des Kranken, hielt seine Hand und wartete, bis er einschlief. Dann öffnete er ihm sein Herz, sprach sich über alles aus. Kaiba hörte ihn, das wusste er. Nur wenige Ärzte störten ihn bei seinen Erzählungen. Sie kamen nur kurz, schauten hier, schauten dort und verschwanden. Joey erzählte ihm von der Entführung, der Begegnung mit Katagori, dem Hünen... und dem Arzt. Er hatte es nicht gewagt, es früher auszusprechen. Als Kaiba noch wach gewesen war. Er wusste noch nichts von dem Gift. Er wusste nicht, was mit ihm los war. Nun sagte Joey es ihm. Er erzählte von dem Kaffee, erzählte alles, was er wusste. Von seiner Verzweiflung gegenüber all den Geschehnissen, seinem Leiden, während sie getrennte Wege gegangen waren, seiner Sehnsucht nach ihm. Für kurze Zeit verschärfte sich der Ton, indem er sprach. Er machte ihm keine Vorwürfe, meinte jedoch, es hätte einen anderen Weg gegeben, als ihn so arg zu verletzen. Er erinnerte ihn an das Versprechen, das sie sich gegeben hatten und entschuldigte sich dafür, blind gewesen zu sein. Mit jedem Wort, das er aussprach, wuchs der Schmerz in ihm. Kaibas Anblick tat ihm weh, doch er sah ihn weiterhin an, hielt seine Hand und lächelte gezwungen, obgleich Kaiba es nicht sehen konnte. Auch den Namen Alfons oder "Fröschchen" nannte Joey. Und als er dessen Fluchen über seine frühere Niederlage in Bezug auf die Kaiba-Corporation erwähnte, konnte er sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Bald zog er Kaibas Hand ins Freie, hob sie an und umschloss sie mit den Eigenen. Kurz darauf begann er von Duke zu berichten, von dessen Mühen. Er hatte sich große Mühe gegeben und hatte hart einstecken müssen. Auch er war entführt worden. "Vielleicht wirst du dein Leben ihm zu verdanken haben." Endlich wandte Joey den Blick ab, biss sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen. Er legte die bleiche Hand ab, neigte sich langsam nach vorn und verschränkte die Arme auf der Matratze. Dann sank er in sich zusammen und verbarg das Gesicht. In dieser Nacht schlief er tief und lang. Er war sehr müde gewesen, hatte nicht viel Schlaf in der letzten Zeit gefunden. Und stets spürte er Kaibas Anwesenheit. Ja, er lag unmittelbar neben ihm. Joey träumte nicht, und als er dann wieder erwachte, hatte er das Gefühl, als seien nur wenige Minuten verstrichen. Er saß noch immer auf dem Stuhl, seinen Oberkörper hatte er auf der Matratze gebettet. Direkt vor ihm lag Kaiba. Er atmete tief ein, begann sich zu räkeln und öffnete dann die Augen. Das Erste, was ihm auffiel, war das gleichmäßige Piepen. Er hatte keine Lust, sich aufzurichten. Also blieb er liegen, schob lediglich die Hand ins Freie und begann zu tasten. Er fühlte Kaibas Rippen, schob die Hand höher und ließ sie träge auf seinem Bauch liegen. Dann bewegte er sich nicht mehr und schloss wieder die Augen. Langsam sank der flache Bauch auf und ab, Joeys Finger krallten sich langsam in den dünnen Stoff des Hemdes. Diesen Körper durchflutete das Gift? Joey konnte es sich kaum vorstellen. Er brummte leise, räkelte sich und entspannte seine Hand wieder. Da ertönte eine leise Stimme. "Hey? Joey...?" Sofort richtete sich der Angesprochene auf und erspähte Duke, der auf dem Nachbarbett hockte und ihn besorgt ansah. "Duke?" Verwundert hob Joey die Augenbrauen. "Seit wann sitzt du da?" "Weiß nicht. Vielleicht seit einer Stunde." "Wie spät ist es?" Joey rieb sich das Gesicht. "Gleich um zehn." Joey warf Kaiba einen flüchtigen Blick zu, dann erhob er sich vom Stuhl und zog sich das Shirt zu Recht. "Bringst du mir eine gute Nachricht...?" Duke seufzte leise, schob sich nach vorn und hockte sich auf die Kante des Bettes. "Die Suche ist im vollen Gange", erklärte er. "Die Polizei hat beinahe fünfzig Mann ausgesandt. Sie tut wirklich alles, was in ihrer Macht steht. Mehr können sie nicht tun. Und wir auch nicht." Joey nickte leicht, trat näher an ihn heran und blieb direkt vor ihm stehen. Er sah ihn müde an, machte dann noch einen Schritt und umarmte ihn. Seufzend erwiderte Duke die Umarmung und klopfte ihm tröstend auf den Rücken. Joey klammerte sich an, ließ den Kopf sinken und bettete das Kinn auf seine Schulter. In dieser Haltung verblieben sie, bis Joey das Wort ergriff. "Ich will nicht, dass er stirbt, Duke", flüsterte er beinahe lautlos. "Ich würde kaputtgehen." Er umarmte ihn noch fester und Duke schloss anteilnehmend die Augen. "Dass er stirbt, das will ich auch nicht", erwiderte er ebenso leise. "Glaub mir Joey, mir würde es auch sehr wehtun." "Aber...", Joeys Atem verschnellerte sich, "... aber was ist, wenn ihn die Polizei binnen zweier Tage nicht findet...?" "Noch ist nichts verloren." Duke rieb seinen Rücken und atmete tief durch. "Aber was ist, wenn es nicht klappt?" Sogleich öffnete Duke den Mund, um etwas zu erwidern. Dann jedoch, sagte er nichts und sein Blick fiel unweigerlich auf Kaiba, der blass und reglos im Nebenbett lag. "Das kann doch nicht sein Schicksal sein!" Joey begann zu keuchen, vergrub das Gesicht an seinem Hals. "Er hat das nicht verdient…!" Noch immer waren die grünen Pupillen nachdenklich auf Kaiba gerichtet. Wie würde ihr aller Leben nur weitergehen, wenn es keinen Kaiba mehr gab? Wessen genervtes Gesicht sollten sie sich betrachten? Mit wem sollten sie sich streiten? Wer würde die Rolle des ewigen Rivalen einnehmen? Wer würde die Lehrer auf Fehler aufmerksam machen und einen Krieg mit ihnen anzetteln? Wer würde eitel den Kaffeeautomaten der Schule verfluchen? Wem sollten die Mädchen schwärmerisch nachschauen? Wer würde die Berühmtheit Dominos darstellen? Das Genie der Schule? Wem sollten Klatsch Reporter auflauern? Wer sollte sich um einen neunjährigen Jungen kümmern, der außer seinem Bruder niemanden mehr hatte? Ohne ihn würde etwas fehlen.... "Hast du mit ihm gesprochen?", fragte Duke nach langen Überlegungen. Er wollte Joey ablenken und es gelang ihm. Er sprang auf ein anderes Thema um, ließ ihn jedoch nicht los. Duke spürte, wie er nickte. "Er hat mich erkannt und mit mir gesprochen. Er war überhaupt nicht verwirrt, wie die Ärzte gesagt haben, sondern..." "Er hat mit dir gesprochen?" Duke blickte auf. "Was hat er gesagt?" "Es war nicht viel." Joey ließ die Arme sinken und vor seinem Rücken baumeln. "Er war sehr schwach, weißt du?" Er wartete kurz, bevor er fortfuhr. "Er hat nur gefragt, was ich hier mache. Er war sehr überrascht, ist nach wenigen Minuten aber eingeschlafen." Er seufzte. "Es war so schön, seine Stimme zu hören." "Und glaubst du, dass er es auch genossen hat?" "Keine Ahnung", antwortete Joey nachdenklich und ließ die Augen kreisen. "Aber ich glaube... doch, es hat ihm auch gefallen, mich zu sehen." "Na, dann ist ja gut." "Wie man es nimmt, hm?" Jetzt ließ Joey ihn los, verschränkte die Arme und trat zurück. Vorerst ließ er den Kopf sinken, dann warf er einen flüchtigen Blick zu Kaiba und wandte sich wieder an Duke. "Ich muss kurz weg. Passt du bitte auf ihn auf, während ich fort bin? Ich geh nur etwas essen, fahr kurz nach Hause und kümmere mich dann um die Schule. Man, ich hätte jetzt wirklich keinen Nerv dazu." Duke nickte verständnisvoll und Joey brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. Dann erwiderte er das Nicken und schlug ihm auf die Schulter. "Danke, dass du da bist." "Hm." Nun lächelte auch Duke und als sich Joey abwandte und den Raum verließ, sah er ihm nach. Ohne sich umzuschauen, verschwand Joey im Gang und sobald sich die Tür hinter ihm schloss, traf Dukes Blick auf Kaiba. Er betrachtete ihn sich lange, schob sich dann von dem Bett und trat langsam auf ihn zu. Erst kurz vor ihm, blieb er stehen, warf den Maschinen einen flüchtigen Blick zu und schüttelte dann seufzend den Kopf. "Was machst du uns nur für Sorgen, Kaiba." Joey verschwendete keine Zeit. Zwei Minuten, um sich einen Hot Dog zu kaufen, eine Minute, um sich einen Zweiten zu besorgen und weitere zehn Minuten, um nach Hause zu kommen. Dort wartete sein Vater auf ihn. Dieser war nun plötzlich in alle Vorgänge eingeweiht und gab gern seine Zustimmung für die Entschuldigung in der Schule. Er verstand, dass es zurzeit wichtigere Dinge für Joey gab, als die Bildung. Er erkundigte sich kurz nach Kaibas Zustand. Joey jedoch, erwiderte nur, dass er nicht darüber sprechen wollte, bevor er keine Klarheit hatte. Er wollte nicht heulen und jammern, zog sich nur schnell um und suchte dann nach dem Zettel, den Alfons ihm ausgedruckt hatte. Glücklicherweise fand er ihn sehr schnell und knüllte ihn in seine Hose. Er band sich die Haare zu einem lockeren Zopf, zog sich ein Basekap über, grabschte nach seinem Rucksack und verabschiedete sich. Er hatte seinem Vater eine ordentliche Antwort verwehrt, weil er nicht auf all das Grauen angesprochen werden wollte. Die Anspannung und das Unwissen über die Zukunft quälten ihn genug. Er versuchte, keinen Gedanken an die Gefahr des Giftes zu verlieren, denn sonst würde er von einer auf die andere Sekunde in Tränen ausbrechen und nicht mehr aus dem Schluchzen hinauskommen. Eine trübsinnige Miene konnte er aber nicht unterdrücken und man sah ihm bereits an, wie er sich fühlte. Fragen waren überflüssig. Wieso stellte man sie an ihn? In eiligen Schritten machte er sich dann auf den Weg zur Schule. Er musste nur schnell die Entschuldigung für sich und Duke abgeben und würde dann sofort zurückkehren, um eine weitere Nacht bei Kaiba zu verbringen. Doch vor dieser Nacht graute es ihm, denn er befürchtete, Kaiba könnte Dinge sagen, die ihm schmerzten. Er betete, dass er nicht ausrasten, und ihm somit eine gehörige Angst einjagen würde. Einen Kaiba, der nicht wusste, was er sagte, konnte er sich nicht vorstellen. Und er wollte es auch nicht. Als er die Schule endlich erreichte, war die letzte Stunde noch im vollen Gange. Es war ruhig und Joey betrat das Gebäude ohne Bedenken, seinen Freunden zu begegnen. Er sehnte sich wieder nach dem Krankenhaus, als er in die erste Etage stieg und das Sekretariat betrat. Seit Kaiba die junge Sekretärin in seiner Gegenwart zur Brust genommen hatte, war diese außergewöhnlich schroff ihm gegenüber. Ach ja, Kaiba und seine ständige Unzufriedenheit. Immer musste er murren und brummen, seine Meinung zum Besten geben und meckern. Joeys Gedanken waren bei ihm, als er an den Anmeldetisch herantrat und mit den Zetteln fuchtelte. Sofort blickte Frau auf, rückte an ihrer Brille und lehnte sich Stirnrunzelnd zurück, nachdem sie Ausschau gehalten und bemerkt hatte, dass kein bösartiger Kaiba in Sicht war. "Das sind Zettel zur Schulbefreiung von mir und Duke Devlin", sagte er ohne Umschweife und legte sie hin. "Wir werden in der nächsten Zeit nicht kommen." Somit wollte er sich umdrehen, doch da erhob sich die Frau und stierte ihn mürrisch an. "Warum?", fragte sie. "Sie sehen nicht so aus, als wären Sie sehr krank." Das sagte sie, ohne auf die Kratzer und Schrammen zu achten, die sein ganzes Gesicht zierten. Auch die Binde um sein Handgelenk sah sie nicht. Joey hielt in der Bewegung inne, stöhnte leise und wandte sich wieder zu ihr. "Was geht Sie das an!" Er war nicht in der Stimmung, sich mit dieser Frau auseinanderzusetzen. Prinzipiell war er zurzeit leicht zu erzürnen, was wohl dieser Anspannung zu verdanken war. "Das sind Entschuldigungen! Nehmen Sie sie und stellen Sie keine Fragen!" Griesgrämig griff die Sekretärin nach den Zetteln, überflog sie kurz und ließ sie sinken. "Ich werde mich an den Schulleiter wenden! Es ist eine Unverschämtheit, was ihr euch erlaubt!" Sofort wollte Joey etwas erwidern, doch bevor ihm etwas herausrutschte, das fatale Folgen hinter sich herziehen konnte, schwieg er lieber und schnitt nur eine Grimasse. "Wenn es Ihnen danach besser geht?" Wieder wollte er zur Tür, doch wieder wurde er angesprochen und musste unzufrieden inne halten. Die Frau fuchtelte mit den Zetteln und beobachtete ihn bitter aus den Augenwinkeln. "Wir vermissen Seto Kaiba seit längerer Zeit. Was ist mit seiner Entschuldigung?" "Mit...", Joey blieb die Luft weg. Er starrte die Frau entsetzt an und hob sprachlos die Hände, "Entschuldigung?", krächzte er dann. "Tut mir leid, die äußerst wichtige Entschuldigung für die Schule müssen wir in all dem Trubel vergessen haben!" "Dann muss es ja wirklich etwas Wichtiges sein!" Die Frau rümpfte die Nase und nun grabschte Joey einfach nach der Klinke, riss die Tür auf und verließ den Ort des Schreckens. Er hörte sie nur schreien, schmiss die Tür in ihre Angeln zurück und stampfte davon. Schulbefreiung? Die war Joey scheißegal! Und Kaiba sicher auch! Als ob es nichts Wichtigeres gäbe, als diesen gottverdammten Blödsinn! Nun aber schnell zurück ins Krankenhaus, bevor er noch länger aufgehalten wurde. Aufgeregt eilte er durch die Gänge und stieg die Treppen wieder hinab. Da ertönte das leise Läuten und sofort verschnellerte er seine Schritte, um fort zu sein, bevor Yugi und die Anderen ihn erwischen konnten. Es tat ihm ja leid, sie im Unwissen zu lassen und ihnen Sorgen auszusetzen. Doch er durfte keine Zeit verlieren, konnte sich ein tiefgründiges Gespräch mit ihnen nicht leisten. Sie würden schreien, sich nach den Schrammen erkundigen und noch andere Fragen nach ihm schmeißen. Nein, er würde ihnen alles erklären, wenn das Grauen vorbei war. Und dies würde in nur zwei Tagen passieren. Nun, er würde nur mit ihnen sprechen, wenn alles gut ging. Wenn dem nicht so war, dann würde er sowieso tagelang in seinem Zimmer hocken und für niemanden ein offenes Ohr haben. Er schüttelte den Kopf, um diesen grausamen Gedanken loszuwerden und spurtete nach der nächsten U-Bahn. Nach wenigen Minuten stieg er aus, sprang die wenigen Stufen hinauf und hatte schon das riesige Krankenhaus vor sich. Nun war er knapp eine dreiviertel Stunde fort gewesen. Und in dieser Zeit konnte sich unmöglich etwas geändert haben. Er richtete sich wieder darauf ein, neben dem Bett zu sitzen und zu warten. Untätig zu sein und darunter zu leiden. In der Stadt tummelten sich mehr Polizisten, als sonst, das war ihm aufgefallen. Und es hatte ihm Beruhigung gebracht, zu wissen, dass sie alle nach diesem Arzt suchten. Unauffällig jedoch. Passanten hatte man nicht befragt, ebenso Zettel waren nicht ausgehängt wurden. So war dem Arzt keine Warnung zugekommen und Joey hoffte, dass er dumm genug war, um sein gewohntes Leben weiterzuführen, ohne etwas zu bemerken. Und das sollte er möglichst in den nächsten beiden Tagen tun! Mit wenigen Sätzen ließ er die nächsten Treppen hinter sich, erreichte die erste Etage und machte sich auf den Weg zum Zimmer. Bevor er dieses erreichen konnte, musste er jedoch erst durch einen langen Flur. Während ihm Kranke entgegenkamen, zog er sich das Basekap zu Recht, schulterte den Rucksack neu und ließ die Hände in den Hosentaschen verschwinden. Nervös sah er das besagte Zimmer näher kommen, unbewusst verschnellerte er die Schritte. Er wollte ihn so gern sehen. Als ihn nur noch wenige Schritte von der Tür trennten, wurde diese plötzlich aufgerissen und er blieb erschrocken stehen. Aufgeregt sprang Duke in den Flur, fuhr herum und schlug die Tür hinter sich zu. Und augenblicklich befiel Joey eine grausame Vorahnung. Er öffnete langsam den Mund und zog die Hände ins Freie. Da bemerkte Duke ihn… und schien irgendwie zu erschrecken. "Joey?!", ächzte er überrascht und starrte ihn an. "Duke...?" Zögernd trat Joey näher, der Tür einen ängstlichen Blick zuwerfend. "Was ist los?" Der Angesprochene schnappte gehetzt nach Luft, sah sich hektisch um und presste sich mit dem Rücken gegen die Tür. Beinahe beiläufig versperrte er ihm den Weg. "Duke." Joey wurde schnell nervös und trat näher. "Was zur Hölle ist los!" "Ich...", wieder sah sich dieser um, seine Hände schoben sich zittrig über das helle Holz, "ich... nun ja..." "Sag schon!" Vor ihm blieb Joey stehen. Und sein Herz machte einen entsetzten Sprung, als er aus dem Raum laute Geräusche vernahm. Etwas ging zu Bruch. Seine Augen weiteten sich und die Hand hob sich instinktiv zur Klinke. Duke jedoch, gab ihm nicht den Weg frei, schüttelte hastig den Kopf und starrte ihn mit einem verzweifelten Flehen an. "Bitte!", keuchte er aus. "Geh nicht hin..." Er verstummte, als ein gedämpfter Schrei durch die Tür drang. Er zuckte zusammen, doch Joey erwachte zum Leben. Ohne zu zögern packte er ihn an der Schulter, stieß ihn zur Seite und riss die Tür auf. Ein erneuter Schrei stieß ihm gellend entgegen. Ein Schrei, der einen solchen Schmerz ausdrückte, wie man es sich nur schwer vorstellen konnte. Sobald Joey ihn vernahm, erfror er in der Bewegung und blieb stehen. Seine Augen richteten sich erschüttert auf vier Ärzte, die um das hintere Bett herumstanden, sich nach vorn beugten und den bebenden Körper, der sich zwischen ihnen räkelte, auf die Matratze hinabpressten. Langsam öffnete Joey den Mund, seine Hand verharrte auf der Klinke. Kurz verstummte jeder Laut, die Beine, die zwischen zwei Ärzten zu erkennen waren, verblieben ruhig und sanken hinab. Joeys Atemzüge begannen zu rasen, seine Gesichtszüge zu zucken. Kaiba...?! Die Ruhe hielt nur wenige Sekunden an, dann schrie er wieder, schrie so laut er konnte und begann sich erneut gegen die Ärzte zu wehren. Er kämpfte regelrecht gegen sie, warf sich hin und her und versuchte sich loszureißen. Und er schrie, bis er keine Luft mehr bekam, dann hörte Joey nur noch ein leises Röcheln und anschließend einen Laut, der nach einem qualvollen Schluchzen klang. Zitternd atmete Joey aus, seine Augen begannen vor Nässe zu glänzen. Er wollte das nicht sehen…!! War aber nicht im Stande dazu, sich zu bewegen… war wie zu Eis erstarrt und verfolgte das Geschehen mit weichen Knien. "Haltet ihn fest!" Einer der Ärzte richtete sich auf und Joey erkannte Dr. Johnson, der sich hastig umwandte und nach einer Spritze grabschte, die er dann zitternd hob. Doch bevor er sich wieder zum Bett wenden konnte, erkannte er Joey. Und auch er vereiste in der Bewegungen und starrte ihn an. Joey jedoch, wurde plötzlich zur Seite gestoßen, denn zwei weitere Ärzte stürmten den Raum und stürzten zu dem Bett. Sie drängelten sich vor, packten seine Beine und sahen sich hektisch um. "Joey!" Dr. Johnson traute seinen Augen nicht, der Schreck saß tief in seinen Gliedern. Er hatte gebetet, dass er nicht kommen und diesen Anblick ertragen musste. Als Kaiba leise zu stöhnen und zu flehen begann, wurde Joey von hinten gepackt und aus dem Raum gezogen. Er war zu konfus, um sich dagegen zu wehren. Zu irritiert, um das alles zu verstehen. Zu entsetzt, um sich zu bewegen. Nun stolperte er nach hinten und bevor er sich versah, stand er wieder im Flur und Duke riss die Tür zu. "Joey!" Auch in seinen Augen glänzten Tränen, als er herumfuhr, näher trat und ihn krampfhaft umarmte. Er krallte sich an ihn und Joey kam wieder zu sich. Unentschlossen hob er die Hände, öffnete den Mund und starrte an Duke vorbei… auf die Tür, hinter der der Kampf nun weiterging. Und ein weiterer Schrei brachte ihn vollends in die harte Realität zurück. Sofort begann er sich zu bewegen, sich gegen die Umarmung zu wehren. "Lass mich los, Duke…!" keuchte er benommen und versuchte die Tür zu erreichen. Doch Duke hielt ihn mit aller Kraft zurück. "Ich will da rein…! Ich will zu ihm!!" "Bitte, bleib hier!" Duke krallte sich umso fester an ihn. "Lass mich los…!" Joey geriet in Panik und wehrte sich mit allen Mitteln, doch Duke drängte ihn schnell zurück, rammte ihn gegen die Wand und hielt ihn dort. Er löste die Hände von seinem Rücken, stemmte sie auf seine Schultern und drückte ihn zurück. "Was ist mit ihm?!" Joey streckte der Tür die Hand entgegen, wand sich in dieser Lage. "Was hat er?! Warum schreit er?!" "Er hat Krämpfe, Joey!", erwiderte Duke schnell und starrte ihn verzweifelt an. "Bitte, du kannst ihm nicht helfen!" "Ich will zu ihm!" Joey ließ die Hand sinken, zog die Nase hoch und erwiderte leidig Dukes Blick, an dem man deutlich erkennen konnte, dass es ihm nicht besser ging. "Mein Gott...", seine Stimme bebte unter einem trockenen Schluchzen, "… ich will doch nur zu ihm." Duke presste die Lippen aufeinander und blinzelte, worauf sich eine Träne den Weg über seine Wange suchte. Verbittert wandte er den Blick ab und Joey ließ den Kopf sinken. Er starrte auf den Boden und hörte Dukes schnellen Atem. Wie konnte er nur untätig herumsitzen und Hot Dogs essen, wenn Kaiba derartig litt?! Er fühlte sich widerlich, verabscheuungswürdig! Nun hatte er erkannt, zu was dieses Gift im Stande war. Und er befürchtete, dass es nicht das Letzte mal gewesen war. Im Flur, wie auch in jenem Zimmer, herrschte nun eine Totenstille. Die Ärzte und Patienten waren stehen geblieben und starrten die Beiden mit entsetzten Mienen an. Joey atmete tief ein, schloss verkrampft die Augen und stieß ein leises Schluchzen aus. Ermattet ließ er sich nach vorn sinken, hob die Arme und fiel Duke um den Hals. Dieser klammerte sich ebenfalls um ihn, presste das Gesicht auf seine Schulter und ließ all dem, was er bis jetzt zurückgehalten hatte, freien Lauf. ~* "Duke." Langsam ließ Joey die Arme sinken und richtete sich auf. Auch Duke ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und starrte zu Boden. Er war völlig am Ende mit seinen Nerven und machte den Anschein, sich umzudrehen und einfach fortzulaufen, all dem entfliehen zu wollen. Doch er blieb, würde die Sache gemeinsam mit Joey durchstehen. Dieser fuhr sich kurz über die geröteten Augen, räusperte sich leise und sah ihn dann entschlossen an. "Duke, es reicht mir nicht, auf die Polizei zu hoffen. Ich weiß, dass sie ihn in nicht finden werden. Und morgen ist der letzte Tag, der uns zur Verfügung steht. Danach ist alles verloren." " Worauf bist du aus?" Ihre Blicke trafen sich und Duke schien eine böse Vorahnung zu haben. Joey bestätigte sie. "Ich werde etwas unternehmen, Duke! Ich komme um, wenn ich hier herumsitze!" Er warf der Tür einen vorsichtigen Blick zu. "Ich werde Hirayama suchen und ein ernstes Wort mit ihm sprechen, wenn ich ihn gefunden habe!" "Joey." Duke schüttelte den Kopf. "Das bringt doch nichts. Wo willst du ihn denn suchen?" "Überlass das mir." Joey schluckte und wandte sich langsam ab, dabei schlug er Duke auf die Schulter und dieser seufzte leise, hielt das alles für eine sinnlose Verzweiflungstat. Doch Joey war fest entschlossen und das sagte er ihm, bevor er ging. "Bei Gott!", zischte er und ballte beide Hände zu Fäusten. "Ich schwöre dir, dass ich ihn finden werde! Morgen werde ich wiederkommen! Mit oder ohne Gegengift!" Er warf Duke einen letzten Schulterblick zu. "Ich werde nicht weglaufen." Duke nickte mutlos, nickte weiterhin und wandte sich lahm ab, um sich gegen die Wand zu lehnen und trübe auf den Boden zu starren. Die Zeit rann ihnen durch die Finger, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnten. Morgen würde sich entscheiden, was aus Kaiba wurde. Er sah Joey nicht nach, blieb dort stehen und rieb sich die letzten Tränen aus den Augen. Verlor Joey nun ebenfalls jetzt Angst und Hoffnungslosigkeit den Verstand? Er musste doch wissen, dass es ausgeschlossen war, Hirayama bis morgen zu finden! Und noch unmöglicher war es, das Gegengift in so kurzer Zeit zu besorgen! Hirayama hatte es noch nicht entwickelt, dessen war sich Duke sicher. Während sich die Tür des Zimmers langsam öffnete und der Arzt in den Flur hinaustrat, ließ er sich an der Wand hinabrutschen und blieb auf dem Boden sitzen. Mutlosigkeit verlieh seinem Gesicht Ausdruck und auch Dr. Johnson blieb nur stehen und schüttelte in wortloser Entmutigung den Kopf. Als Joey das Krankenhaus verließ und vor den Treppen stehen blieb, atmete er tief durch und zog den zerknitterten Zettel aus der Hosentasche. Dem Foto schenkte er keine Beachtung, vielmehr interessierte er sich für die Adresse. Er überflog das Angegebene kurz und sah sich dann sinnierend um. Der Name der Straße, in der dieser Hirayama wohnte, war ihm völlig unbekannt. Er machte sich nicht allzu viele Hoffnungen, erfolgreich zu sein aber wenn er etwas tat, dann hatte er keine Zeit mehr, sich Sorgen zu machen. Er wollte sich nicht quälen und alles in seiner Macht stehende tun. Kaibas Anblick hatte ihn wachgerüttelt. Wieder nahm er die frische Luft in sich auf, warf einen kurzen Blick auf seine Uhr und knüllte den Zettel dann in die Hosentasche zurück. Anschließend nickte er entschlossen, schulterte seinen Rucksack neu und ging los. Er ging zügig und machte keine Pausen, bis er an einer U-Bahnhaltestelle einen Stadtplan fand. Vor diesem blieb er stehen, um ihn zu studieren. Hirayama müsste im Besitz einer erstaunlichen Dummheit sein, wenn er nun zu Hause herumsaß und in aller Ruhe Fernsehen schaute. Also würde er ihn dort nicht vorfinden. Und dennoch nahm sich Joey fest vor, zu seiner Wohnung zu fahren. Nicht gerade Erleichterung war es, die ihn durchflutete, als er erkannte, dass Hirayama auf der anderen Seite Dominos wohnte, etwa zwanzig Kilometer entfernt! "Himmelherrgott." Verbissen wandte er sich ab, stützte die Hände in die Hüften und biss sich auf die Unterlippe. Dieser kurze Besuch würde in einer Reise enden! Auf der anderen Seite war es aber genau das Richtige für eine bekümmerte Seele, wie ihn. In die nächste U-Bahn, die vorbeikam, stieg er ein. Sie würde ihn nicht direkt vor Hirayamas Haustür bringen und so beschloss Joey, sich nachher einen Plan zu besorgen. Von der Stadt, in der er wohnte. Während er dann erschöpft und müde an einer Stange lehnte, sich an einem Lederriemen festhielt und trübe vor sich herstarrte, beflügelten ihn die grausamsten Fantasien. Bevor er sich versah, erblickte er ein düsteres Begräbnis vor seinem geistigen Auge. Menschen in langen schwarzen Regenmänteln standen inmitten vieler Grabsteine und starrten auf einen glänzenden, weißen Sarg, der vor ihnen aufgebahrt worden war. Joey driftete ab und verblieb reglos. Es regnete und stürmte, genau das richtige Wetter für eine Beerdigung. Keine der Gestalten konnte Joey direkt erkennen und trotzdem wusste er, wer sich eingefunden hatte. Rechts neben dem Sarg stand Pikotto, seine Hand lag auf Mokubas Schulter, dem Tränen über das Gesicht liefen. Yugi, Tea, Tristan, Bakura und Duke standen auf der anderen Seite, hatten die Köpfe gesenkt und schwiegen. Doch sich selbst konnte er nicht ausmachen. Nur andere Gestalten, die er nicht kannte. Der Pfarrer murmelte leise Gebete, der Regen nahm zu und das Firmengebäude der Kaiba-Corporation ragte nun über Dominos Häuser gleich eines schwarzen Schattens. Joey riss sich von diesen Vorstellungen los, blickte auf und sah sich flüchtig um. Würde der Zeitpunkt kommen, an dem diese Beerdigung wirklich statt fand? Er wusste, warum er sich nicht gesehen hatte. Er würde nicht kommen. Nicht zum Begräbnis, nicht zum Grab. Auf jeden Fall nicht sofort. Er blickte aus den Fenstern, starrte in die Dunkelheit des Tunnels. Hatte er sich jemals träumen lassen, in so ein Geschehnis verwickelt zu werden? Hätte er jemals gedacht, um das Leben der wichtigsten Person in seinem Leben kämpfen zu müssen? Solchen Sorgen ausgesetzt zu sein? Warum konnte alles nicht einfach so bleiben, wie es war? Hatte er mit Kaiba ein schweres Los gezogen oder war es nur eine der vielen Lehren des Lebens? Wurde er auf die Probe gestellt? Auf die Probe, wie viel er aushielt?? Lahm richtete er sich auf, schlürfte zu einem der freien Plätze und ließ sich kraftlos auf ihm nieder. Er streckte die Beine von sich, klammerte sich an seinen Rucksack und lehnte sich zurück. So blieb er sitzen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Neben ihm saß ein alter Mann, der sich auf einen Krückstock stützte und nun langsam das Gesicht zu ihm wandte. Er musterte ihn jedoch nur kurz, wandte sich dann jedoch wieder ab und zwinkerte. Schnell zogen die hellen Lampen des Tunnels an Joey vorbei. Ihre Lichter ließen sein Gesicht oft aufleuchten, überließen es aber schnell wieder der Dunkelheit. Ausdruckslos waren die braunen Augen auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet. Er bewegte sich nicht, saß nur dort und schwieg. Zwei weitere Haltestellen ließ die U-Bahn hinter sich, dann verschwand sie wieder im engen Tunnel und die Düsternis kehrte zurück. Der alte Mann blieb neben Joey sitzen, lehnte sich dann ebenfalls zurück und zog den Stock zu sich auf den Schoß. "Ich habe vieles in meinem langen Leben gesehen", erhob er dann plötzlich leise die Stimme. "Traurige Menschen habe ich auch oft getroffen." Endlich blinzelte Joey und lugte zur Seite. Dort saß der Alte. Er warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und starrte dann wieder vor sich hin. "Das Glück macht das Leben lebenswert", vernahm er weitere Worte. "Aber es hat zwei Seiten. An der einen kann man sich erfreuen und neuen Mut schöpfen. Aber die andere, die ist grausam und drängt die Menschen an den Abgrund, vorausgesetzt, sie wissen sich nicht zu helfen." "Ich habe immer gedacht, dass das Leben eines Menschen etwas Wichtiges und Wertvolles ist. Aber es kann so schnell enden." Joey zog den Rucksack fester zu sich und seufzte leise. "Gerade bin ich es, den es an den Abgrund drängt und natürlich weiß ich mir nicht zu helfen." "Du klingst wie jemand, der einen Menschen durch den Tod verlieren wird, den er liebt." Der Alte wandte sich nun direkt an ihn und musterte ihn erneut. Joey erwiderte seinen Blick nicht, nickte jedoch. "Er lebt noch, wird aber sterben, wenn ich nichts dagegen tun kann." "Und kannst du etwas dagegen tun?", erkundigte sich der Mann. "Weiß nicht." Joey zuckte mit den Schultern und begann nervös seine Füße zu bewegen. "Es... es sieht alles so hoffnungslos aus. Ich kann nicht tatenlos warten und sitze jetzt hier, um irgendetwas zu unternehmen. Aber man will mir die Hoffnung und das Glück einfach nicht gönnen und wenn es Schicksal ist, kann ich sowieso nichts daran ändern." "Da hast du Recht." "Aber wenn es Schicksal ist, dann ist es ungerecht. Er ist noch so jung, hat sein ganzes Leben noch vor sich und große Pläne, die er verwirklichen will. Sein Leben hätte einen großen Sinn und würde viele Menschen glücklich machen." Endlich drehte Joey wieder das Gesicht zu ihm und erwiderten seinen Blick verzweifelt. "Der Tod kann jetzt nicht sein Schicksal sein." "Ein Mensch stirbt nicht umsonst." Der Alte runzelte die Stirn. Er sprach leise. "Der Tod passiert nicht umsonst. Weißt du, warum man lebt, mein Junge?" "Nein, und zurzeit schon gar nicht", ächzte Joey und der Alte hob den Zeigefinger. "Man lebt, um zu lernen", predigte er. "Das ist der eigentliche Sinn des Lebens, den die Menschen in dieser Zeit nicht mehr erkennen. Aber was ist das Leben schon? Nur eine weitere Stufe, die man erfolgreich hinter sich lassen muss, um dem Leben endgültig entsagen zu dürfen. Und solange man nicht den Sinn des Lebens erfüllt, entkommt man der Endlosschleife nicht mehr, lebt immer und immer wieder, ohne sich fortzubilden." "Was wollen Sie mir damit sagen?" Joey verstand es nicht. "Sprechen Sie immer noch von derselben Sache? Wollen Sie mir sagen, dass Kaiba die Vorraussetzungen des Lebens nicht erfüllt hat und deshalb sterben muss?" "Nein, nein, nein." Der Alte schütte gemächlich den Kopf. "So ist es nicht. Ich meinte damit, dass es deinem Freund, diesem Kaiba, vielleicht nie vorbestimmt war, ein langes Leben zu führen. Möglich ist, dass er in seinem vorherigen Leben viel gelernt und sich weitergebildet hat, jedoch nicht alt genug wurde, um sein Wissen bis zu einem bestimmten Punkt weiterzuentwickeln. So wurde ihm ein weiteres Leben geschenkt, um diese Sache zu beenden. Nun hat er es vielleicht geschafft und kann dem Leben getrost Ade sagen." "Wollen Sie damit sagen, dass es mehrere Leben gibt, die ein Mensch zu durchlaufen hat?" Joey erschrak, doch der Mann lachte laut. "Mein Junge! Ein einziges Leben, was ist das schon? Natürlich genügt ein Leben nicht, um alle Aufgaben zu erfüllen, tugendhaft und aufrecht zu werden. Ein Leben ist nur der Anfang, und bis man das Ziel erreicht hat, wird man immer und immer wieder in diese Welt hineingeboren." War dieser Mann ein Verrückter oder war er ein Eingeweihter? Joey wusste nicht, was er denken sollte. Kurz schwieg er, um all das zu verarbeiten, doch der Mann fuhr fort. "Auf der anderen Seite ist es auch möglich, dass andere Menschen aus seinem Tod eine Lehre ziehen sollen, dass er nur ein Mittel zum Zweck war, verzeih mir, dass ich es so ausdrücke." "Was für eine Lehre sollte ich denn aus seinem Tod ziehen?" Joey stöhnte und rieb sich die Nase. "Ich würde daran kaputtgehen aber sicher nicht klüger werden." "Das musst du selbst herausfinden", murmelte der Mann mit seiner einmaligen Ruhe. "Das hilft mir aber nicht weiter!" Joey starrte ihn verzweifelt an. "Sagen Sie mir doch, was ich tun soll!" "Finde es selbst heraus." Der Alte wandte sich hartnäckig ab. "Drei Wege stehen dir zur Verfügung. Drei Tore, die du wählen kannst, ob nun freiwillig oder nicht." Wieder hob er den Zeigefinger und Joey lauschte aufmerksam. "Das erste Tor: Das Leben deines Freundes endet an dieser Stelle, wie es ihm vorausbestimmt war. Das zweite Tor: Er wird sterben, damit andere eine Lehre daraus ziehen können. Damit sich durch sein Ableben irgendetwas ändert, ob nun im positiven oder negativem Sinn. Und das dritte Tor?" Er linste zu ihm. "Rette ihm das Leben und ziehe somit deine Lehre aus dieser ganzen Sache." "Er beschäftigt sich nicht mit solchen Sachen." Joey schüttelte den Kopf. "Er glaubt nicht einmal an das Schicksal. Ich bezweifle also, dass er seine Lehre in diesem Zeitpunkt beendet hat. Und wenn ich ihn retten würde, würde ich eine größere Lehre daraus ziehen, als wenn er sterben würde." Plötzlich lächelte der alte Mann und nickte ihm zufrieden zu. "Dann ist es dein Schicksal, ihn zu retten." Joey starrte ihn an und öffnete den Mund. Ihre Blicke blieben aneinander hängen und wenige Sekunden später, erstrahlte Joeys Gesicht und an seinen Lippen zog ein mattes Lächeln. "Ja." Er nickte, noch immer ganz überwältigt. "Ja, ich werde ihn retten!" "Und ich hoffe, dass du es schaffen wirst." Der Alte erwiderte das Lächeln und lehnte sich gemütlich zurück. Joey jedoch, griff nach seinem Rucksack und erhob sich. Bei der nächsten Haltestelle würde er aussteigen aber davor musste er unbedingt eine Frage stellen. "Wer sind Sie, dass Sie soviel wissen?" Der Mann rollte mit dem Kopf, sein Lächeln schien stetig. "Nur ein alter Mann, der das Leben liebt." "Na gut." Joey lachte heiter und reichte ihm die Hand. "Ich danke Ihnen! Sie haben mir neuen Mut gemacht!" "Ich freue mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben." Der Alte griff zu und drückte seine Hand. "Die Freude ist ganz und gar auf meiner Seite!", erwiderte Joey keuchend. "Mein Gott! Ich werde ihn retten und alles wird so, wie es vorher war!" Mit diesen Worten schenkte er dem Mann ein glückliches Lächeln, ließ seine Hand los und wandte sich ab. Während er zur Tür ging, drehte er sich noch einmal um und beobachtete ihn. Dann öffnete sich die Tür und er stieg langsam aus, den Blick weiterhin auf den Alten fixierend. Auch, als er dann draußen stand, suchten seine Augen nach dem Mann. Er musterte ihn nachdenklich und als sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, sah er ihm nach, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Neuer Mut durchströmte ihn. Die Entschlossenheit hatte die Entmutigung verdrängt. Er seufzte schwer, schwang den Rucksack nach hinten und ging los, um Hirayama zu finden! Und mit ihm das Gegengift! ~*to be continued*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)