Dunkle Dämmerung von Perro (Kampf um die Götterschwerter *abgeschlossen*) ================================================================================ Kapitel 16: Dymeons Suche: Jessica ---------------------------------- So, ohne viel Gerede ein weiterer Teil^^ Wieder super vielen Dank an Elayne (ich hoffe dieses Kapi kann dich auch wieder so begeistern wie die anderen^^) und auch an Schattenthron und an alle, die diese Geschichte sonst noch mitverfolgen und sich vielleicht dazu erweichen lassen auch mal ein Kommentar zu schreiben *lieb guck* ^^ Und zu den Charakterbeschreibungen: Ich hadere auch jedes mal mit mir wie viel ich da reinschreiben soll, aber irgendwie sind sie ja doch eher so eine Art Feedback oder... Summary... Diejenigen, die die Geschichte eben noch ohne Spoiler lesen wollen, dürfen also nicht schon in die Charalterbögen gucken :P Jetzt aber viel Spaß beim Lesen: ------------------------------------------------------------------ Kapitel XIV - Dymeons Suche: Jessica Dymeon wanderte nach dem Zwischenfall an der Schnellstraße noch zwei Tage lang durch England, ehe er Londons erste Vororte und Randbezirke erreichte. Die Gassen, Straßen und Fußgängerwege waren von dem schweren Regen, der seit seiner Trennung von Caroline wieder tobte, überflutet. Überall huschten vereinzelte Passanten mit großen Schirmen beladen durch die Stadt, immer auf der Hut vor dem schrecklichen Unwetter von oben oder dem braunen Wasser, das aufspritzte wenn ein Auto zu schnell durch die nassen Straßen rauschte. Dymeon beachtete die Menschen kaum, sondern erhob seinen Blick zum gewaltigen Big Ben, der hinter den dichten Schleiern aus Regen nur schemenhaft zu erkennen war. Trotzdem erkannte er das riesige Ziffernblatt mit den großen Zeigern. Etwa 14.40 Uhr. Ich kann es nicht länger vor mir herschieben... Mit ausdruckslosem Gesicht beschleunigte Dymeon seine Schritte ein wenig, denn der kalte Regen wurde immer heftiger und ließ selbst durch den robusten Dämonenkörper eisige Schauer fahren. Frierend bog er in die Halm-Street ein. Hier reihten sich mehrere Einfamilienhäuser in einer langen Linie aneinander, so dass sich ihre Seiten berührten und sie eine undurchdringliche Fassade aus Gebäuden bildeten. Dymeon steuerte zielsicher auf ein weißes, zweistöckiges Haus mit überdachter Veranda und der Hausnummer 17 zu. Es hatte eine himmelblaue Tür und Fenster mit ebenso blauen Vorhängen. Trotz des Unwetters strahlte es eine spürbare Wärme und Friedlichkeit aus. Zögernd blieb Dymeon einen Augenblick lang davor stehen, ehe er seufzte und über ein halbes Dutzend Treppen auf die hölzerne Veranda trat. Seine schlammverkrusteten Stiefel hinterließen dunkle Abdrücke auf dem Boden und das Wasser tropfte gleichmäßig von seinen klatschnassen Haaren und den Enden seines Mantels. Er betrachtete die Flecken, die er anrichtete. Irgendwie schienen sie sein Auftauchen auf grausame Weise zu verkörpern... Plötzlich öffnete sich die Haustür noch bevor der Dämon geklopft hatte. Ein Mann mit kurzen, dunklen Haaren stand zwischen dem Türrahmen, einen gelben Müllbeutel in jeder Hand, und wirkte offensichtlich verwundert darüber jemanden auf seiner Veranda vorzufinden. "Hallo", begrüßte er verdutzt. "Wollen sie zu uns?" Helles Licht aus dem Inneren des Hauses drang nach draußen, begleitet von dem Lachen einer glücklichen Mutter, die mit ihren Kindern spielte. Dymeon bewegte sich einen Augenblick lang nicht, dann nickte er. "Ja. Ich möchte zu Jessica Mathuen." Der Mann runzelte nachdenklich die Stirn, warf einen Blick über seine Schulter und wollte gerade nach seiner Frau rufen, als diese auch schon von Neugier getrieben die Treppe herunterkam. "Wer ist denn da, Schatz?" Sie blickte über ihn hinweg auf ihren Gast. Sofort wich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht und alle weiteren begrüßenden Worte, die sie an den Ankömmling richten wollte, blieben ihr augenblicklich im Hals stecken. "Hallo Jessica", grüßte Dymeon tonlos. Das Prasseln des Regens verblasste im Hintergrund zu einem kaum hörbaren Geräusch. Es schien die Ohren des Dämons und die der beiden Bewohner der Halm-Street 17 nicht mehr zu erreichen. "Hallo... Dymeon", erwiderte Jessica leise. Sie schien mit aller Kraft zu versuchen die Überraschung und unbestimmte Furcht aus ihrer Stimme zu bannen. Ihr Mann bemerkte trotzdem, dass etwas nicht stimmte und sah seiner Frau in die Augen. Jessica verstand die unausgesprochene Frage, zwang sich zu einem Lächeln und strich ihm flüchtig über den Arm, um zu verdeutlichen, dass er sich keine Sorgen machen musste. "Er ist ein alter Freund... Lass ihn rein..." Offenbar widerwillig und immer noch misstrauisch machte Jessicas Ehemann die Tür frei, während er ganz leise den ungewöhnlichen Namen des Ankömmlings wiederholte. Erst dann fielen ihm wieder die beiden Müllbeutel in seinen Händen ein, die er zögerlich in einen Container auf der gegenüberliegenden Straße schmiss. Als er wieder zurückkam, ging er mit seiner Frau und Dymeon ins Haus, wo sofort das Lachen von Kindern aus dem zweiten Stock herunterschwebte. "Schatz, lässt du uns allein?" Jessicas Mann nickte und begab sich langsam nach oben. Dymeon und Jessica sahen sich einen Moment lang einfach nur schweigend an. "Lass uns... lass uns ins Wohnzimmer gehen", meinte Jessica schließlich unsicher. Der Dämon nickte zustimmend und legte vorsichtig seine schlammbespritzten Schuhe und seinen durchnässten Mantel im Eingangsbereich ab. Dann folgte er der Londonerin in das geräumige Wohnzimmer gleich nebenan und ließ sich dort auf einen olivgrünen Sessel nieder, während sie auf einem Sofa der gleichen Farbe Platz fand. Wieder herrschte schweigen zwischen Dämon und Mensch. Dymeon wusste, dass es eigentlich an ihm war das Gespräch zu beginnen, da er schließlich zu ihr gekommen war und sie um etwas bitten musste. Doch kein Wort kam über seine Lippen, während seine Augen interessiert über die Einrichtung des Zimmers wanderten, über die olivgrünen Polstermöbel, die hellen Holzmöbel auf denen Familienfotos lagen, die mit Büchern gefüllten Regale und der ovale Tisch, auf dem sich eine einzelne weiße Rose in einer Vase befand. Schließlich streifte sein Blick über Jessica, die die Hände in den Schoss gelegt hatte. Sie trug ein schlichtes, besches Oberteil und bequeme, dunkelblaue Jeans. Ihre Haare waren mit einer rubinroten Tönung gefärbt und fielen ihr glatt über Schultern und Rücken. Obwohl sich erste Anzeichen des Alters in ihrem Gesicht abzeichneten, war sie dennoch noch sehr attraktiv. "Seit wann... bist du aus Excaliburs Bann befreit?", fragte Jessica leise. Dymeon strich sich das feuchte Haar zurück, so dass sein blutrotes Stirnband unter den verfilzten Strähnen zum Vorschein kam. "Ich weiß es nicht genau... Es war Ende letzten Frühlings, also vielleicht vor sieben Monaten..." "Wieso kommst du dann gerade jetzt?" "Ich war schon einmal hier", gestand der Dämon, "Ich habe mich, kurz nachdem Excalibur aus meinem Leib gezogen wurde, auf den Weg hierher gemacht und blickte damals von draußen durch eines eurer Fenster. Ich habe dich gesehen. Und ich habe deine Kinder gesehen. Ihr saht so friedlich aus, dass ich euer Glück nicht mit meiner Anwesenheit zerstören wollte. Du hast die Lancelor vor langer Zeit, während ich schlief, verlassen und dir eine neue Existenz aufgebaut. Ich gehörte dort nicht hinein..." "Und doch bist du jetzt hier", meinte Jessica leise. "Und doch bin ich jetzt hier", wiederholte Dymeon gequält. Er lehnte sich zurück und seufzte und überlegte wo er mit seiner Geschichte anfangen sollte. Soviel war bereits seit seiner Erweckung geschehen... "Hat es etwas mit dem blonden Mädchen zu tun, das seit einer Weile auf Falcaniar lebt?" Dymeon war völlig überrascht von dieser plötzlichen Frage. Offensichtlich waren ihm seine Gefühle offen vom Gesicht ablesbar, denn Jessica hob leicht erstaunt die Augenbrauen. "Dieses Mädchen muss eine erstaunliche Wirkung auf dich haben. Früher konntest du deine Gefühle nicht so offen preisgeben..." "Woher kennst du sie?" Jessica lachte leise, auch wenn es nichts gab was sie wirklich witzig fand. "Ich bin vielleicht heute Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines liebevollen Mannes, doch ich bin auch gleichzeitig immer noch Lancelorin des dritten Ranges, Traumwandlerin und Expertin der Illusag, so wie vor fünfundzwanzig Jahren. In letzter Zeit hatte ich viele dunkle Träume, erhellt einzig und allein von diesem blonden Mädchen und einem breiten Schwert in ihren Händen. Man kann die Vergangenheit als Lancelor vielleicht hinter sich lassen, doch man kann sie niemals ganz ausblenden..." Sie betrachtete Dymeon eindringlich und fügte mit einem resignierenden Seufzer hinzu: "Nun, scheinbar kann man sie nicht einmal wirklich hinter sich lassen..." "Du hast also Zeliarina in deinen Träumen gesehen?" "Ist das der Name des Mädchens? Ja, ich habe sie gesehen. Viele Dinge offenbarten sich mir in letzter Zeit, doch das wundert mich nach deinem Erscheinen nicht mehr. Wenn du befreit wurdest, ist Excalibur wieder zugänglich für die Dämonen. Der Kampf um die Götterschwerter tobt wieder, deswegen war die Illusag in letzter Zeit so unruhig, nicht wahr? Sie spiegelt die Umstände in der Realität wieder. Sicher hat der Lancelor-Orden in den letzten Monaten fiel durchleben müssen..." "Ja, der Krieg ist in vollem Gange..." Der Satz hing eine Weile wie eine düstere Wolke im Raum, ehe Jessica endlich die Frage aussprach, die ihr schon die ganze Zeit im Kopf herumschwirrte: "Also Dymeon, was genau willst du jetzt von mir? Du bist sicherlich nicht nur gekommen, um nach sieben Monaten unser Wiedersehen zu feiern." "Nein, das stimmt... Der Orden braucht deine Hilfe..." Ohne eine Reaktion abzuwarten, zog Dymeon Azuransas aus der Gürtelschlaufe und legte es quer auf seine Oberschenkel, so dass Jessica es betrachten konnte. Die blaue Klinge glühte hell wie eh und je. "Die Lancelor und der Däezander kennen inzwischen die Identität aller Götterschwerter. Es sind sieben. Die Dämonen besitzen fünf, mir gehört die blaue Sonne Azuransas. Du sagtest, du hättest Zeliarina in deinen Träumen mit einem breiten Schwert gesehen. Das war das Donnerschwert Thundenstar, die siebte und letzte heilige Götterklinge. Als sie es aus einem Tempel der Alten Welt barg, wurde sie zur Wächterin Thundenstars. Das heißt, dass nur sie es nun führen kann. Nicht einmal Dämonen können es mehr in die Hände nehmen, es sei denn Zeliarina stirbt und ihr Wächterstatus erlischt. Vor kurzem sind wir deswegen mit ihr in die Ruinen von Tradan gegangen, um das Schicksal, das ihr als Schwertträgerin auferlegt wurde, zu erfahren. Dort begegneten wir einem Shetan und Assessina mit den Toxinklauen. Wir konnten die Dämonin töten, doch nicht bevor sie den Shetan schwer verletzte. Dieser nahm Zeliarina mit in die Illusag. Dann starb er, während sie sich dort aufhielten..." "Sie ist also ohne erfahrenen Führer in der Illusag?", überlegte Jessica nachdenklich. "Dann ist sie gefangen... Wie lange ist sie schon in der Traumwelt?" Ihr Interesse war plötzlich geweckt. Dymeon lächelte innerlich, denn auch wenn ihre Zeit als Lancelorin fünfundzwanzig Jahre zurücklag, konnte sie ihre Neugier über die Illusag scheinbar nicht ablegen. "Seit einer Woche..." "Das ist zu lang. Wenn ihr sie nicht bald wieder wach bekommt, wird sie sterben..." "Deswegen bin ich hier", bemerkte Dymeon. Er steckte Azuransas wieder weg und beugte sich in seinem Sessel ein Stück nach vorn, um seinen Worten mehr Eindringlichkeit zu verleihen. "Die Lancelor haben derzeitig keine fähigen Traumwandler mehr. Einige sind bei den andauernden Kämpfen gegen die Dämonen gefallen und die anderen sind zu unerfahren, um Zeliarina aus der Illusag zu holen. Wir brauchen deine Fähigkeiten. Du musst uns helfen..." Jessica wich dem Blick des Dämons aus, indem sie die Fotos auf den Holzregalen anstarrte. Das Lachen ihrer Kinder schwebte dabei zu ihnen herunter. Die ehemalige Lancelorin seufzte. "Ihr wollt also, dass ich wieder zum Orden komme?" "Ja... Schließe dich uns an. Die Lancelor ziehen alle ihre Kräfte zusammen. Sie rekrutieren immer jüngere Begabte und reaktivieren die alten Mitglieder, die wie du ausgestiegen sind. Wir brauchen jeden Mann, jede Frau, sogar jedes Kind für diesen Kampf." Angespannt verkrallte Dymeon seine Hände in die weichen Sessellehnen und stieß dabei beinahe durch den olivgrünen Stoff. "Ein Lancelor muss viel opfern. Ich weiß, du hast jetzt eine Familie und ein friedliches Leben, doch ich muss dich bitten mitzukommen." Das Gesicht des Dämons wurde hart, als würde er entgegen seines Gewissens handeln. "Ich wäre nicht hier, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe..." "Ich weiß", flüsterte Jessica beruhigend. Sie stand vom Sofa auf und strich Dymeon kurz über die verhärteten Muskeln seiner Wange. "Du warst schon immer so lieb, dass es einem wehtat dich zu sehen. Immer wolltest du die Qualen aller anderen auf dich nehmen. Solange nur du gelitten hast war alles in Ordnung... Doch du kannst nicht die ganze Welt beschützen. Auch ich muss meinen Beitrag dazu beisteuern..." Langsam ging sie hinüber zu den Holzregalen und nahm ein Foto ihres Mannes in die Hand. "Außerdem...welche Wahl habe ich denn? Wenn ich diesem blondhaarigen Mädchen nicht helfe, stirbt sie. Dann geht mit ihr die Hoffnung für die Lancelor und die Flut der Dämonen wird die Welt überschwemmen. Kein Mensch wird dann sicher sein. Alle werden ausgelöscht." Ihre Hand fing an zu zittern und sie legte das Bild schnell zurück auf seinen Platz, ehe sie es fallen lassen konnte. "Ich habe es in meinen Träumen gesehen... Ein siebenzackiges Steinpodest, aus dem ein schwarzer Drache fährt und die ganze Welt verdunkelt und alles zerstört, was an die Menschheit erinnert... Das kann ich nicht zulassen... Meine Familie soll leben..." Jessicas Stimme, die immer leiser geworden war, versagte nun ganz. Mit einem erstickten Schluchzen wandte sie sich von Dymeon ab. Obwohl sie die roten Haare vor ihre Augen fallen ließ, wusste der Dämon, dass sie weinte. Er erhob sich von seinem Sitz und bewegte sich auf sie zu, als plötzlich zwei kleine Gestalten an seinen Beinen vorbeihuschten. Lachend hängten sich Jessicas Kinder, ein Junge und ein Mädchen von etwa sechs Jahren, an ihre Mutter und blickten aus großen Augen zu ihr auf. Als sie die Tränen erkannten verzogen sie verwundert ihre Münder. "Warum weinst du denn, Mama?" "Es ist nichts", hauchte sie schwach zurück. Ihr Blick fiel wieder zurück auf Dymeon. Dabei floss eine Träne ihre Wange herab und ihr Mund war zu einem traurigen Lächeln verzogen. "Was bin ich nur für ein wandelndes Klischee? Ich könnte das Produkt eines zweitklassigen Mysteryromans sein. Die Kämpferin im Ruhestand..." Sei beugte sich zu ihren Kindern herunter, strich dem Mädchen sanft über die Wange und nahm dem Jungen sanft sein Halstuch ab. Dymeon erkannte das blaue Tuch mit den schneeweißen Symbolen. Es war das Tuch der Lancelor, das jeder nach erfolgreicher Prüfung erhielt. Jessica hatte es all die Jahre über aufbewahrt, so als hätte sie gewusst, dass es eines Tages noch gebraucht werden würde. Ihre zittrigen Finger banden es unsicher in ihre Haare. "Man kann die Vergangenheit nicht abschütteln. Das ist das Schicksal eines Lancelor, so wie ich einer bin..." Sie blieb kurz mit geschlossenen Augen stehen und atmete tief ein. "Ich komme mit dir. Aber vorher will ich mich verabschieden..." "Natürlich..." Unaufgefordert verließ Dymeon das Wohnzimmer, zog im Flur Stiefel und Mantel wieder an und ging hinaus auf die Veranda. Es regnete noch immer in Strömen. Die Tropfen klatschten hart auf das Dach der Veranda, rollten an ihm herab und liefen an der Kante herunter wie ein kleiner Wasserfall. Erschöpft vom Anblick der geplagten Jessica sank Dymeon an der Hauswand herab und blieb dort sitzen. Er konnte Stimmen wahrnehmen, nur leise, aber voller Liebe, und dazwischen immer wieder lange, schweigende Pausen. Schließlich kam Jessica eine Viertelstunde später aus dem Haus, einen dunkelgrünen Rucksack auf dem Rücken, das Band der Lancelor im Haar. Sie kam allein. Ihre Augen waren rot und verquollen von den vielen Tränen, die sie geweint haben musste. "Alles okay?", fragte Dymeon, auch wenn es offensichtlich nicht so war. Jessica nickte tapfer, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und setzte wieder ihr trauriges Lächeln auf. "Ja... Mein Mann hat es nicht verstanden, aber trotzdem akzeptiert. Er wusste schon immer von meinen Träumen und dass ich... "besonders"... bin. Er hat immer befürchtet, dass irgendetwas aus meiner Vergangenheit, von der ich nie erzählt habe, kommen und mich einholen würde..." Sie sah durch den Regenschleier hindurch in die Ferne. "Also los... gehen wir nach Falcaniar..." Sie fuhren mit Jessicas schwarzem Nissan zurück zum kleinen Hafen von Scarborough. Obwohl die Fahrt mehrere Stunden dauerte, sprachen sie nur wenig miteinander und wenn, dann über die zukünftigen Pläne der Lancelor und dem derzeitigen Stand des Kriegs gegen den Däezander. Kein Wort über die Vergangenheit fiel. Nur einmal, als die Autoinsassen in ein besonders langes und unangenehmes Schweigen gefallen waren, schnitt Jessica ein etwas weniger neutrales Thema an: "Es ist eine komische Ironie, dass ich ausgerechnet von dir zu den Lancelor zurückgeholt werde... Schließlich habe ich sie wegen dir verlassen..." Dymeon hielt seine dunklen Augen nachdenklich auf die Straße gerichtet, als Jessica ihm einen kurzen Seitenblick zuwarf. "Als du zum Tod verurteilt wurdest, habe ich tagelang geheult wie ein Baby. So sehr habe ich dich, deinen Mut, deine Stärke und deine Hilfsbereitschaft verehrt..." Die Augen der Lancelorin verdunkelten sich, doch sie sah wieder nach vorne, sodass es Dymeon entging. "Hasst dich Pendrian immer noch?" "Mehr als jemals zuvor... Es hat ihn schwer getroffen, dass er mich mit Excalibur aufspießen durfte und ich trotzdem noch lebe und jetzt sogar noch für die Lancelor arbeite." "Wer kann es ihm verdenken? Es war für alle ein großer Schock, als du sein Heimatdorf zerstört und ihn zum Orden gebracht hast. Ich erinnere mich noch heute daran. Du warst voller Blut..." Sie schauderte sichtbar und hielt das Lenkrad des Wagens fest umklammert. Sie warf wieder einen kurzen Seitenblick auf den schweigenden Dämon, ehe sie das Auto über einen kleinen Kiesweg lenkte. Er führte zu einer kleinen Anlegestelle mit vier Stegen, die in einiger Entfernung neben der eigentlichen Hafenanlage von Scarborough lag. Dichtstehende Birken, die sich mit ihren weißen Stämmen kaum vom umliegenden Schnee unterschieden, säumten ihn. "Wir sind da..." Der Kiesweg knirschte geräuschvoll, als die Reifen des schwarzen Nissans zum Stehen kamen. Jessica und Dymeon stiegen langsam aus und sahen sich um. Selbst jetzt, wo die Bäume in der Umgebung keine Blätter trugen, wurde der geheime Anlegeplatz gut vor neugierigen Augen verborgen. Nur die Lancelor und einige Einheimische kannten den Ort. An den Stegen schaukelten ein kleines Segelboot, zwei Ruderboote und ein schwarzes Motorboot mit dem Zeichen der Lancelor - drei gekreuzte Silberspeere - im Wasser. Dymeon sah außerdem schwere Fässer, die am Meerboden angebunden sein mussten und sich unruhig in den Wellen bewegten. Sie sollten verhindern, dass sich an diesem Ort zu leicht Eis bildete. Jessica steuerte ohne viel Umschweife auf das Boot der Lancelor zu, machte es vom Steg los und wartete, bis sich Dymeon im hinteren Teil ihres Transportmittels niedergelassen hatte. Jessica selbst übernahm das Steuer. Sie gab kräftig Gas, so dass hinter ihnen eine Wasserfontäne aufspritzte, und sauste schnurstracks aufs offene Meer. Sie war als Kind oft mit einem der Ordensboote gefahren und kannte deshalb selbst nach fünfundzwanzig Jahren noch den genauen Standort der Insel, die keinem Land der Welt angehörte und auf keiner Karte verzeichnet war. Bald ragte Falcaniar vor ihnen auf. Jessica hielt gespannt den Atem an, auch wenn ihre Hand das Boot sicher zur großen Anlegebucht navigierte. Wie lange hatte sie den Anblick des imposanten, grauen Bollwerks zur Verteidigung der Menschheit nicht mehr gesehen? Sie fürchtete sich vor dem, was dort auf sie wartete, doch gleichzeitig wuchs auch eine unbewusste Erregung und Freude darauf, endlich wieder dort zu sein, wo sie als "Besondere" hingehörte. Auch als sie die Bucht erreicht hatten, konnte Jessica dieses Gefühl nicht abschütteln. Am Strand ging sie sogar in die Knie und schöpfte liebevoll ein wenig von dem weißen, eiskalten Sand in die Hände. "Wie früher..." Mit geschlossenen Augen sog sie die frische Meerluft ein und lauschte dem Rauschen der Wellen, die an der Westseite gegen die hohen Felsklippen brandeten. Sie hatte es tatsächlich vermisst. Tränen wollten sich wieder in ihren Augen sammeln, ohne dass sie wusste warum. Erst nach einer Ewigkeit hatte sie sich weit genug gesammelt, um weiterzugehen. Dymeon beobachtete sie schweigend mit unergründlichem Blick und brachte Jessica dazu vor Verlegenheit leicht rot zu werden. Hastig lief die Londonerin in zügigem Tempo zur alten Feste. Dymeon folgte in kurzem Abstand. Als sie das Eingangsportal mit den altertümlichen Verzierungen erreichte, wartete dort bereits ein bekanntes Gesicht auf sie. "Dunkan!" Lächelnd begrüßte der Palas die Traumdeuterin mit einer freundschaftlichen Umarmung. "Es ist gut, dass du gekommen bist. Du siehst fabelhaft aus..." "Und du erst! Du bist keinen Tag gealtert!", erwiderte Jessica freudestrahlend. Dunkan nickte beiläufig, während er Dymeon mit einem kurzen, dankbaren Kopfnicken bedachte. "Das Blut der Macht, meine Liebe. Das Blut der Macht. Es scheint meine Zeliarina hat noch Großes für mich vorhergesehen, denn sie will mich einfach nicht gehen lassen..." Jessicas Lächeln verblasste ein wenig. Sie wusste von dem magischen Geschenk, das Dunkans Geliebte ihm vor langer Zeit vermacht hatte: Blut, das ihm ein unnatürlich langes Leben verlieh und alle Krankheiten und Verletzungen ebenso unnatürlich schnell besiegte. Seit 134 Jahren kämpfte der Palas nun bereits mit diesem Blut in den Adern, ohne sich jemals zu beschweren. Noch während sie sich von Dunkan ins Innere Falcaniars geleiten ließ, fühlte sie sich auf einmal schlecht. Was waren ihre Probleme schon gegen seine? Wenn er mit seinem schwierigen Schicksal fertig werden konnte, konnte sie das auch! "Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dich gerne sofort zu Zeliarina bringen..." Jessica nickte, war mit ihren Gedanken jedoch noch immer woanders. Sie betrachtete eingehend Dunkans Gesicht, das vom Alter völlig verschont geblieben war und friedvolle Wärme ausstrahlte. Vermutlich konnte der Palas deswegen soviel Hoffnung säen. Jeder, der seinen unerschöpflichen Willen kannte, setzte ihn sich zum Vorbild und wollte ebenso ohne Klagen weiterkämpfen. "Wir sind da..." Jessica sah überrascht auf. Sie standen vor der Tür zum Krankenzimmer, ohne dass sie richtig bemerkt hatte, wie sie dorthin gelaufen waren. Dymeon stand immer noch an ihrer Seite, doch als Dunkan die Tür öffnete, betrat der Dämon den Raum als Erster und setzte sich sofort auf das Fensterbrett neben dem einzigen belegten Bett. Ein junges Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren mit langem, blondem Haar lag darin. Nichts wies daraufhin, dass sie verletzt war, außer den knopfförmigen Elektroden, die an den wichtigsten Stellen von Stirn und Kopf angebracht waren um die Gehirnströme zu messen. Ihre Haut war kalkweiß. "Sie hatte schon immer helle Haut, doch jetzt wird sie von Tag zu Tag noch blasser", erklärte Dunkan bedrückt. Er betrachtete das Mädchen traurig, ehe er Jessica einen hoffnungsvollen Blick schenkte. "Meinst du, du kannst sie aus der Illusag befreien?" "Ich werde es versuchen", antwortete die Traumdeuterin unsicher. Vorsichtig ließ sie sich neben Zeliarina auf die Bettkante nieder und betrachtete ihr Gesicht mit ganzer Aufmerksamkeit. Die Blässe war leicht zu erklären. Ein Besuch in der Illusag war anstrengend und entzog einem das Leben aus dem Körper. Wenn man zulange dort blieb, wurde man entweder von den dortigen Erscheinungen verrückt oder starb daran, dass das Blut abkühlte und der Körper innerlich erfror. Jessica griff nach Zeliarinas Hand und nickte wie zur Bestätigung ihrer eigenen Vermutung. Die Hand, die mit merkwürdigen Runen überzogen war, fühlte sich an wie Eis. "Sie ist schon sehr lange in der Illusag... Ich muss ehrlich sein, ich weiß nicht ob ich sie erreichen kann. Sicher ist sie schon sehr tief in die Traumebene geraten. Es wird eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen..." Sie sah auf zu Dunkan, dessen Lippen ein schmaler, ernster Strich waren, und zu Dymeon, der seine Schutzbefohlene merkwürdig traurig musterte. Sie schenkte beiden ein aufmunterndes Lächeln. "Doch die Nadel ist nicht unerreichbar..." Zuversichtlich schob Jessica die blonden Haarsträhnen aus Zeliarinas Stirn und legte dort ihre Hand auf. Dann schloss sie die Augen und begann Worte in einer unbekannten Sprache zu sprechen. Es schien als verbänden sich diese Worte zu einer unzerreißbaren Kette, die Jessica mit Zeliarina verband. Immer weiter und immer länger schmiedete die Londonerin das Band zwischen sich und ihrer Patientin, bis sie plötzlich abrupt damit aufhörte. Ihr Gesicht verhärtete sich. Ihre Augenlider fingen an zu flattern, doch sie behielt sie energisch geschlossen und bewegte nur noch ihre Lippen, als würde sie noch immer die fremden Worte sprechen. Dann fing plötzlich das messingfarbene Gerät, das Zeliarinas Gehirnströme maß, wie wild an zu piepsen. Die elektronischen Anzeigen sprengten jegliche Skalen, während Zeliarina einen Augenblick später wie Jessica mit den Augenlidern zu flackern begann. Bei ihr wanderte das unkontrollierte Zucken jedoch schnell weiter und erfasste ihren gesamten Körper, der sich unter schweren Krämpfen auf dem Bett wälzte. Dymeon sprang herbei und versuchte sie festzuhalten, doch in ihrem Anfall entwickelte Zeliarina übermenschliche Kräfte. Sie entwand sich dem Griff des Dämons mit purer Muskelkraft und verpasste ihm gleichzeitig noch einen Elektroschock, der ihn gegen die Wand warf. Jessica bewegte noch immer lautlos ihren Mund, ihre Hand auf Zeliarinas Stirn, ihr Gesicht verzerrt als leide sie Schmerzen. Doch genauso schnell wie der Anfall gekommen war, verging er auch wieder. Zeliarinas Körper erschlaffte mit einem Schlag auf dem Krankenbett, Dymeon hielt ihre Hand besorgt noch eine Weile fest und Jessica brach auf der Bettkante in sich zusammen. Sie schien sich nur mit Mühe aufrecht halten zu können. Ihre Stirn war mit Schweiß benetzt und ihre Haut hatte die ungesunde graue Farbe von Haferschleim angenommen. "Ich...nein..." Dunkan beugte sich besorgt vor der Lancelorin auf ein Knie herab und blickte ihr einfühlsam in die weit aufgerissenen Augen. "Was ist passiert, Jessica? Ist alles in Ordnung mit dir?" Ein schwaches Nicken kam als Antwort. "Ich habe sie gesehen, die Nadel im Heuhafen", wisperte die Traumdeuterin kraftlos. "Sie sandte ein solches Strahlen aus, dass ich sie gar nicht wirklich suchen musste... Ich berührte sie... Und ich sah ein unsagbares Leid, dass jemand ihr in der Illusag zufügte... Ich spürte es, als wäre es mein eigenes Leid... Gefallene Freunde, verwundete Kameraden..." Jessica versagte kurz die Stimme. "Man fügt ihr Leid zu?", wiederholte Dymeon, ohne den Zorn aus seinen Worten verbannen zu können. Dunkan sah den Dämon kurz verwundert an, sagte jedoch nichts. Als er sich wieder Jessica zuwandte, schien sich diese etwas gefasst zu haben. "Ja, man fügt ihr Leid zu. Es ist als hätte jemand bei ihrem Eintritt in die Illusag einen Weg festgelegt, den sie beschreiten muss. Ich kann sie nicht von diesem Weg zurückholen, denn der, der ihn geschaffen hat, war mächtiger als ich. Doch dort erfährt sie nur Leid... Ich verstehe es nicht..." "Sabiduría?", mutmaßte Dymeon mit gerunzelter Stirn. Dunkan hob ahnungslos die Schultern. "Möglich... Vielleicht hat er vor seinem Tod diesen Weg in der Illusag erbaut, damit Zeliarina auch ohne seine Hilfe die Wahrheit erkennt, die er uns erst zeigen wollte..." "Sollten wir sie also vielleicht gar nicht zurückholen?", überlegte Dymeon weiter. Er schien mit dieser Idee keine wirkliche Freude haben, genauso wenig wie Jessica, die heftig den Kopf schüttelte. "Unmöglich! Noch mehr von dieser Qual und sie stirbt. Ich habe ihre Empfindungen nur kurz in der Illusag geteilt, doch sie haben mich beinahe zerstört..." "Was tun wir dann? Wir müssen Zeliarina endlich in die Realität zurückholen!", rief Dunkan. Keiner, nicht einmal die Traumdeuterin Jessica, wusste darauf eine Antwort. Schweigend betrachteten die drei Mitglieder des Lancelor-Ordens, wie die Wächterin Thundenstars erneut friedlich in ihrem Bett lag und zu schlafen schien. Nach einer Weile trat Dymeon an ihr Bett und strich ihr sanft über die eiskalte Haut und die blauen Lippen. "Ich habe als Schutzritter versagt...Ohne, dass ich etwas dagegen tun kann, verwelkt sie vor uns wie ein Blume", hörten sie ihn murmeln. Es war nur dieser eine kleine Satz, der etwas in Jessicas Erinnerung rief. Sie setzte sich ruckartig auf, als hätte sie einer von Zeliarinas elektrischen Schlägen getroffen "Es gibt eine Pflanze, die Zeliarina helfen könnte... Es ist mir erst jetzt eingefallen, aber sie könnte helfen. Sie soll jeden aus der Illusag holen können, egal wie tief derjenige in der Traumebene versunken ist..." Dunkan strahlte sie begeistert an und Dymeon hielt in seiner Bewegung inne, um ihr einen undefinierbaren Blick seiner dunklen Augen zu schenken. "Es gibt nur ein Problem", murmelte Jessica vorsichtig. "Es ist die weiße Sternenblume und sie wächst nur an einem Ort auf der Welt: auf der Spitze des Mount Everest..." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)