Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 32: ------------ Kein Laut war zu hören. Kein Atmen. Nicht mal das Rascheln des langen Gewandes. Es bewegte sich nicht. Nur ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. Doch dann drang sein leises Flüstern durch die sonst so vollkommene Stille der Finsternis. "Ich habe Dich endlich gefunden", stöhnte es. "Nach so langer Zeit habe ich Dich endlich gefunden. Tausend Jahre lang war ich auf der Suche. Und nun ... nun ist Deine unsterbliche Seele endlich wieder in greifbarer Nähe." Es verharrte. Es wartete. Eine Ewigkeit schon hatte es mit warten und suchen verbracht. Und nun, wo das Ziel gefunden war, wollte es lieber vorsichtig sein. Es durfte keinen Fehler begehen; nicht jetzt! Es musste sich gedulden. Es hatte seinem Herrn und Meister ewige Treue und ebenso ewigen Gehorsam gelobt. Wann immer es den Ruf seines Herrn und Meisters hörte, musste es diesem Ruf bedingungslos folgen. Und sei es in den Tod hinein. "Ich - darf - keinen - Fehler - begehen!" Nach so langer Zeit des Wartens besaß es auch noch genug Geduld, um weiter warten zu können. Jahrhunderte, wenn dies nötig war. Doch so lange würde es wohl nicht mehr dauern... "Mamoru!" Er wandte sich um und sah dem schönsten Wesen des Universums ins Gesicht. Wem wohl? Na klar... "Hikari", sagte er verblüfft. "Was ... was tust Du denn..." "Ich hab Dich schon gesucht!" Nun war sie endlich an ihn heran. "Was machst Du heute so?" "Hö?" Er war vollkommen überrascht. Er hatte nie und nimmer - oder zumindest nicht in absehbarer Zeit - damit gerechnet, überhaupt von diesem schönen, übernatürlichen Wesen auch nur angesprochen zu werden. Nun war genau dies doch eingetreten - und dann hatte der Wortwechsel gleich solch eine persönliche Note! Wie schon so oft zuvor schien sich ein seidiger, rosafarbener, dichter Nebel um sein Gehirn zu hüllen, der absolut alles aus seiner kleinen Traumwelt verbannte, was nicht in irgend einer Form zu Hikari gehörte. Der Laternenpfahl vor ihm war eindeutig zu dieser Kategorie zu zählen. Und er lief auch prompt dagegen. Mit einem kurzen Schrei, den er mehr der Überraschung halber als des wirklichen Schmerzes wegen ausstieß, torkelte er zurück und hielt sich die Stirn. "Himmel, hast Du Dir was getan?", fragte Hikari besorgt. "Lass doch mal sehen..." Es war nichts Ernstes. Er würde eine dicke Beule bekommen, aber nicht mehr. Wenn er sich früh genug darum kümmerte, würde noch nicht einmal das eintreten. "Sag mal, was sollte das gerade eben eigentlich?", fragte Hikari nach. In ihrer sanften Stimme lag ein belustigter Ton. "Ach, ich ... ähm...", stammelte Mamoru verlegen, "...tja, also ... das ... das war ... das war Absicht." "Wie bitte?" "Ja", erläuterte Mamoru im Brustton der Überzeugung. "Ich wollte mir damit ein bisschen was von Deinem Mitleid erheischen. Hat's geklappt?" Erst sah sie ihn verblüfft an. Dann begann sie zu kichern, und daraus wurde dann ein glockenhelles Lachen. "Ja, hat blendend funktioniert", verkündete sie. Die Freude, die sie empfand, wirkte ansteckend. Mamoru musste in dieses Lachen einfach einstimmen. Dabei hielt er sich die Hand vor die absichtlich eingerannte Stirn. Als er sich endlich wieder etwas beruhigt hatte, ließ er seine Hand wieder sinken und seufzte schwer. Seine Gedanken kreisten wie irr in seinem Kopf. Er lief hier neben der schönsten Frau der Welt die Straße entlang und hatte nichts besseres zu tun, als sich lächerlich zu machen. Er hatte doch noch so viel mehr drauf! Aber wenn Hikari in seiner Nähe war, dann konnte er irgendwie nicht mehr geradeaus denken. Sie war so einzigartig, so zauberhaft, so begehrenswert... Er warf einen kurzen Seitenblick auf sie. Sie hatte solch ein sanftes Gesicht, solch wunderschöne, rundliche Konturen, solch eine makellose Haut. Ihre Lippen schimmerten in prachtvollem Rot; so schön, wie kein roter Apfel auf Erden zu sein vermocht hätte. Selbst der berühmte Apfel aus dem Garten Eden, das Symbol der Versuchung schlechthin, der zum Verhängnis für Adam und Eva wurde, konnte kaum so beispiellos rot sein, wie Hikaris Lippen es waren. Freilich, sie hatte mit einem Lippenstift nachgeholfen, aber was zählte, war das Endergebnis! Und diese wunderschönen Augen! Kein Smaragd, kein Nephrit, überhaupt kein Schmuckstück auf diesem Planeten konnte diesem tiefen Grün das Wasser reichen. Mamoru war nicht dazu in der Lage, diese intensive Farbe zu beschreiben. Kein Wort in seiner Sprache - oder in irgend einer menschlichen Sprache! - konnte auch nur annährend ausdrücken, wie sehr man vom bloßen Anblick dieser schönen Augen verzaubert werden konnte. Auch die kleine Stupsnase war eine weitere dieser Einzigartigkeiten Hikaris. Sie wirkte so zart und zerbrechlich... absolut unbeschreiblich... Die langen, seidigen, schwarzen Haare perfektionierten das Gesamtbild. Sie wehten im Wind und wirkten dabei so unendlich leicht; fast so, als bestünden sie aus Farbe gewordener Luft. Alles an ihr - angefangen bei diesem göttlichen Gesicht, weiter über ihre so perfekt gearteten Brüste, bis hin zu den langen Beinen - wirkte so sinnlich und so wahnsinnig elegant. Jede einzelne Bewegung, jeder Atemzug, jeder Schritt, brachte Mamoru schier um den Verstand. Alles, absolut alles hätte er gegeben, um dieses Weib sein Eigen nennen zu dürfen. Wenn er sich vorstellte... Hikari in einem herrlichen, weißen Hochzeitskleid, mit einer einzigartig schönen Perlenkette um den Hals und einem riesigen Blumenstrauß mit weißen und blassblauen Blüten in der Hand; daneben Mamoru, in einem teuren, schwarzen Anzug und einer großen, weißen Blume am Revers; und so würden sie beide überglücklich lächelnd auf den Traualtar zuschreiten, eine Blaskapelle im Hintergrund würde dann für romantische Musik sorgen... "Mamoru?" Hikari war stehen geblieben und sah ihn nun aus ihren großen, grünen Augen an. "Ja?" Völlig verzaubert blieb Mamoru stehen und wandte sich ihr zu. "Nichts, vergiss es." Hikari kicherte und lief wieder weiter. "Hä?" Mamoru war verwirrt. Er fühlte sich wie aus einem tiefen Schlaf gerüttelt. "Was ist los?" Hikari warf ihm ein spitzbübisches Lächeln zu als sie erklärte: "Ich wollte Dich nur aus Deinen Träumen reißen, bevor Du auch noch gegen diesen Laternenpfahl hier läufst." Mamoru bekam leicht rote Wangen. "Ach was! Den hab ich natürlich gesehen", behauptete er nuschelnd und setzte sich wieder in Bewegung. Dabei musste er allerdings einen gewaltigen Schritt zur Seite machen, um nicht doch noch eine ungewollte Bekanntschaft mit dem Pfahl machen zu müssen. "Ja, sicher doch!", lachte Hikari. "Weißt Du, Du solltest vielleicht etwas mehr auf Deine Umgebung achten. Merk Dir das." "Ich achte doch auf meine Umgebung!", verteidigte sich Mamoru. Und wie er das tat! Zur Zeit zeichnete sich seine Umgebung eben aus durch endlos lange Beine, einen schier göttlichen Körper und diese wahnsinnig erregenden, großen Brüste, die... "Wenn Du mich schon mit Blicken ausziehen musst, dann versuch doch zumindest, es so zu tun, dass ich es nicht bemerke", meinte Hikari spitz. Als Mamoru nun endgültig einen knallroten Kopf bekam und diesen verlegen von ihr wegdrehte, lachte sie belustigt. "Oh, Junge, Du musst noch viel lernen!", feixte sie. "Aber so irgendwie find ich das ja ganz süß." "Hä? Meinst Du das ernst?", fragte er vollkommen perplex. Er konnte nicht recht fassen, was er da hörte. "Aber ja doch!" Sie bekräftigte ihre Worte durch ein Nicken. "Es ist in gewisser Weise so ... menschlich. Es wirkt nicht zu steif und perfekt, sondern eher - entschuldige das Wort - trottelig. Na ja, es... Was? Hab ich was Falsches gesagt?", unterbrach sie sich, als sie bemerkte, wie Mamorus Kopf noch mal ein um einige Stufen dunkleres Rot bekam. Als er nicht antwortete, kam sie selber drauf. Sie seufzte. "Ja, ich weiß, ich weiß. Wenn Jungs in Deinem Alter in der Nähe sind, darf man solche Worte wie einfach nicht in den Mund nehmen..." Das Rot auf seinen Wangen nahm bei den letzten sieben Worten sichtlich noch etwas weiter zu. "Ich bin ja schon ruhig." "Tschuldigung", nuschelte Mamoru kleinlaut. Das Ganze war ihm wirklich mehr als absolut peinlich. Doch noch während die beiden weiterhin die Straße entlang liefen und er damit beschäftigt war, sich in Gedanken einen Blödmann, einen Idioten und einen totalen Versager zu schimpfen, kühlte sich sein Gemüt langsam ab und sein Kopf nahm mit der Zeit wieder eine normale Farbe an. "Aber nun sag mal...", wandte sich Hikari ihm zu, "...Du hast mir noch immer nicht auf meine Frage von vorhin geantwortet. Was hast Du heute so vor?" Er zuckte mit den Schultern. "Der Schultag war anstrengend. Erst mal gehe ich nach Hause und schlage mir den Bauch voll. Und danach... Soweit ich weiß, hab ich nichts vor. Warum fragst Du?" "Ich hab auch nichts Besseres zu tun. Was würdest Du davon halten, wenn wir den Tag zusammen verbringen würden?" "Was? Wir beide? Du meinst ... Du und ich? Also ... wir?" "Klar! Was hast Du dagegen?" "Ich hab nichts dagegen! Ganz im Gegenteil", brachte Mamoru heraus. "Ich bin nur so ... überrascht. Ich hab nicht damit gerechnet." "Also? Was ist Deine Antwort?" "Hmm." Mamoru wusste absolut nicht, was er darauf antworten solle. Entweder, er hatte unwahrscheinliches Glück, und seine Tante hatte seinen Hausarrest inzwischen vergessen (woran er allerdings nicht wirklich glauben konnte) oder aber, er musste diese Göttin auf Erden versetzen. Diese Situation erinnerte ihn irgendwie stark an die berühmte Büchse der Pandora. Eigentlich konnte jede Entscheidung nur eine falsche Entscheidung sein. "Also? Was ist jetzt?" "Tja, ich weiß nicht...", druckste er herum. "Jetzt sofort?" Hikari zuckte mit den Schultern. "Warum nicht?" "Keine Ahnung", entgegnete er. "Was willst Du denn unternehmen?" Sie seufzte tief. Anscheinend hatte sie nicht mit annährend so viel Widerwillen gerechnet. "Kannst Du denn kein Stückchen spontan sein?" Er druckste ein wenig herum. "Doch ... eigentlich schon..." "Was hält Dich davon ab?" "Zum einen mein leerer Magen und zum andren die Tatsache, dass wir noch unsre Schuluniformen tragen. Ich persönlich finde die Dinger unpraktisch und absolut nicht zum Party machen geeignet." "Zum einen...", so erläuterte Hikari, während schon ein leicht gelangweilt klingender Ton in ihrer Stimme mitschwang, "...sind diese Anzüge auch nur Kleidungsstücke. Die Moto-Azabu-Oberschule ist eine renommierte Institution, deren Name sich sehen lassen kann. Du kannst stolz sein, auf diese Schule zu gehen. Und zum andren könnten wir ja zusammen Essen gehen. Hast Du Lust?" "Ähm...", machte Mamoru mangels eines passenderen Kommentars. Hikari schüttelte resigniert den Kopf. "Deiner Gesichtsfarbe nach zu schließen, sollte ich in Zukunft lieber höllisch auf meine Wortwahl achten, was?" Wieder schlich sich die Schamesröte in sein Gesicht. "Tut mir Leid..." Hikari winkte ab. "Vergiss es. Also?" "Tja, ich weiß nicht..." Nun wurde es Hikari anscheinend langsam zu bunt. Sie baute sich vor Mamoru auf, stemmte die Fäuste in die Hüften und donnerte: "Mamoru Chiba, was ist Dein Problem?" Als er sich wieder in ein <Ähm>, ein oder ein flüchten wollte, blaffte sie ihn an: "Spuck's schon aus! Schnell und schmerzlos. Was - ist - Dein - Problem?" Mamoru verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. "Mein Problem ist ein paar Köpfe größer als ich, blond, muskulös, und es trachtet so schon nach meinem Leben." Hikari verdrehte die Augen. "Ich glaub das nicht. Deswegen machst Du hier so ein Theater? Was soll das? Den hast Du doch schon mal in Grund und Boden gerammt; das schaffst Du doch immer wieder!" "Bei Dir hört sich das so an, als wolltest Du das...", meinte Mamoru. Er klang dabei sichtlich verstört. "Und außerdem ist das alles nicht so einfach, wie ich das vielleicht ganz gerne hätte. Überhaupt: Warum ausgerechnet ich? Und warum jetzt so plötzlich?" Hikari ließ ihre Fäuste wieder sinken. Sie wirkten nun irgendwie schlaff und nutzlos, fast wie unbrauchbare, überflüssige Anhängsel. Sie ließ auch die Schultern hängen und senkte den Kopf. Ihr Blick wanderte zu Boden. Ihre Mundwinkel zuckten leicht und zwischen ihren schön geschwungenen Augenbrauen entstand eine steile Falte. "Ach, so ist das", flüsterte sie. Dabei war sie so leise, dass Mamoru wirklich Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen. Zögerlich trat er einen kleinen Schritt auf sie zu und wusste nicht so recht, was zu tun sei. "Du misstraust mir", fuhr sie fort, und ihre Stimme schwankte leicht. "Ich dachte ... ich dachte, ich könnte ... einfach mal einen schönen Tag mit Dir verbringen. Ich dachte, Du freust Dich vielleicht, wenn ... wenn ich mal mit Dir was Nettes essen gehe, oder so. Und Du ... was tust Du? Behandelst mich wie Dreck. Ich weiß ja selber, ich bin nichts Besonderes. Aber mir dann so zu zeigen, wie sehr Du an mir zweifelst, das ist zu viel. Das ist entwürdigend. Ich hätte nie von Dir gedacht, dass Du so ein Scheusal sein kannst..." Sie drehte ihm den Rücken zu und schlug sich die Hände vors Gesicht. Ein leises Schluchzen drang über ihre Lippen. Mamoru indessen spürte einen dicken Klos in seinem Hals, der ständig zu wachsen schien. Er wollte was tun; irgendwas! Aber was konnte er schon machen, um sie zu trösten? Er schluckte heftig. Währenddessen fuhr Hikari immer weiter fort: "...das ist so gemein von Dir! Ich..." Sie schluchzte wieder auf und wischte sich über die Wangen. "...ich habe mich also doch in Dir getäuscht. Und dabei hab ich wirklich geglaubt, Du seiest nicht so furchtbar herzlos wie all die andren Kerle. Aber da hab ich ... mich anscheinend geirrt. Es tut mir Leid, dass ich so wahnsinnig naiv war. Aber jetzt, wo ich weiß, wie wenig ich Dir wert bin, und wie sehr Dich meine Anwesenheit zu stören scheint, da ... da kann ich ja genauso gut gehen. Und ich dumme Gans hab gehofft, zumindest ein bisschen attraktiv zu sein. Wie dämlich war ich doch!" Mamoru war immer noch damit beschäftigt, den dicken Klos in seinem Hals loszuwerden. Er atmete tief ein, ging langsam um Hikari herum, stellte sich vor sie und griff zaghaft an ihre Schulter. "Hikari...", sagte er leise in versöhnlichem, tröstendem Ton. Sie hob ihm den Kopf etwas entgegen und sah ihn aus verheulten Augen an. Tränen rannen ihr über die Wangen und verschmierten ihre Wimperntusche. Mamoru griff in seine hintere, linke Hosentasche und förderte eine Packung Papiertaschentücher zutage. Eines dieser Taschentücher zog er heraus und hielt es Hikari etwas unbeholfen hin. Mit einem leise gehauchten "Danke" nahm sie es an und fuhr sich damit über die tränennassen Wangen. Mamoru führte einen inneren Kampf gegen sich selbst. So irgendwie bereitete ihm der bloße Gedanke an Chikaras praktisch vorprogrammierte Rache schon beinahe körperliches Unbehagen. Zum andren allerdings hatte er die letzten Monate seines Lebens nur damit verbracht, sich ein derartiges Zusammensein zu wünschen. Er hatte sich doch so lange herbeigesehnt, etwas mit Hikari zu unternehmen und ihr nahe zu sein. Nun war sein Wunsch doch endlich erfüllt! "Hikari ... wenn ... wenn du immer noch möchtest ... ich würde wahnsinnig gerne mit Dir zum Essen gehen. Was sagst Du?" Sie wischte noch einmal über ihr Gesicht und sah ihn dann aus großen Augen an. Sie schniefte kurz auf. "Meinst Du das ernst? Oder sagst Du das nur, damit ich mir nicht mehr so blöd vorkomme?" "Ich meine es absolut ernst!", antwortete Mamoru und versuchte, sie zuversichtlich anzulächeln. Dabei machte er allerdings eher einen gequälten Gesichtsausdruck, als er grob im Kopf seine derzeitige Barschaft überschlug. Vielleicht, wenn beide nichts Teures bestellen würden, konnte er sie sogar einladen. Aber auch wirklich nur vielleicht. Zunächst einmal verschwand Hikari in einer öffentlichen Toilette, wo sie ihr Make-up frisch auflegte. Mamoru überlegte, in einer Telefonzelle zu verschwinden um seiner Tante Bescheid zu sagen, wo er sei, doch er konnte sich leibhaftig vorstellen, wie sie ihm durch den Telefonhörer hindurch den Hals herumdrehen würde. Nein, es war wahrscheinlich das Beste, wenn er sich einfach eine gute Ausrede einfallen ließ. Irgendwas in der Richtung von oder so. Das kam schon mal vor. Als Hikari dann also - geschlagene fünfzehn Minuten später - fertig war, und wieder so bezaubernd wie eh und je aussah, machten sich die beiden auf die Suche nach einem passenden Lokal. Sie klapperten so Einiges ab - von unbezahlbaren Restaurants (deren bloßer Anblick schon reichte, Mamoru eine gequälte Grimasse ziehen zu lassen, die unmissverständlich machte, dass dies einige Preisklassen über seinem Niveau lag) über verrauchte Kneipen und Fast-Food-Ständen bis hin zu diversen Bars. Schließlich fanden sie doch ein lauschiges Plätzchen und bestellten sich Nudelsuppen. Es dauerte auch nicht allzu lange, bis die beiden sich im Gespräch verloren. Man erzählte sich dies und jenes, man lachte, man lernte sich kennen. Und das kribbelige Gefühl in Mamoru, das er immer in Hikaris Nähe empfand - diese Empfindung der Spannung, der Aufregung, der Verliebtheit - wurde mit der Zeit stärker und stärker. Aber da war noch etwas, tief in ihm drin, das von Zeit zu Zeit immer mal wieder aus ihm hervorbrach: Zweifel. Irgendwie hatte Mamoru den Eindruck, Hikari würde ihm etwas verschweigen. Mit reiner Vernunft war dieses Empfinden nicht zu erklären, aber irgendein Faktor dieses Zusammenseins störte ihn. Er plagte sich mit der Frage herum: Was empfand sie, tief im Innersten? Was hatte sie dazu bewogen, zu ihm zu kommen? Was war es schlussendlich genau gewesen, das ihn für sie auf einmal so wahnsinnig attraktiv machte? Und davon abgesehen gab es noch etwas, das deutlich auf Mamorus Gemüt drückte. Es war dieses unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Es war schon ein paar Tage her, dass er immer wieder diesen seltsamen Schatten zu sehen glaubte. Nein, eigentlich war nicht der richtige Ausdruck. Es war mehr nur eine huschende Bewegung. So, als lauerte hinter jeder Ecke etwas Körperloses, das einfach etwas dunkler war als es Schatten eigentlich sein durften. Und es war schneller. Und bedrohlicher. Zumindest wirkte es so. Es schien, als sei das Ding nicht ständig in seiner Nähe. Manchmal sah er es so lange nicht, dass er es zwischenzeitlich wieder vergaß. Doch nur, weil er das unbekannte Etwas nicht andauernd sehen konnte, musste das nicht automatisch heißen, es habe sich nun endgültig verdrückt. Mamoru ließ sich diese Gedanken immer und immer wieder durch den Kopf gehen. Irgendetwas war absolut nicht so, wie es sein sollte. Das Problem war nur, dass er sich nie lange genug darauf zu konzentrieren vermochte. Wenn Hikari nur ein Mal den Blick aus ihrer Suppenschüssel hob und ihn mit einem zuckersüßen Lächeln ansah, so begann er daraufhin, überglücklich zu grinsen, und dann vergaß er alles, was zuvor noch in seinem Geist herumgespukt hatte. "Hikari? Darf ... ich Dir ... vielleicht ... eine Frage stellen? Etwas ... etwas ... Persönliches?" "Klar doch", antwortete sie und schob mit zufriedenem Gesichtsausdruck ihre inzwischen leere Suppenschüssel von sich. "Also, Du musst darauf nicht antworten, wenn Du nicht willst. Ich versteh das. Aber ... sag mal ... mich würde interessieren, aus welchem Grund Du Dich entschieden hast, den heutigen Nachmittag mit mir zu verbringen? Ich meine ... weswegen ist nicht - wie sonst auch immer - Chikara bei Dir?" "Tja, gute Frage." Hikari lehnte sich zurück, seufzte leise und schloss die Augen. Sie schien konzentriert nachzudenken und nach den richtigen Worten für eine Erläuterung zu suchen. "Du erinnerst Dich doch bestimmt noch an die Sache auf dem Sportplatz. Als dieses komische, golden leuchtende Ding erschienen ist und Du Chikara dann um Längen geschlagen hast. Er ist an diesem Tag ... ich sage einfach mal: Er ist ziemlich grob mit mir umgesprungen." Mamoru nickte bestätigend. Er erinnerte sich an diesen Moment noch sehr genau. Es hatte ziemlich schlecht um ihn gestanden. Hikari hatte versucht, Chikara davon abzuhalten, Mamoru das Genick zu brechen, und daraufhin hatte sie einen so derben Schlag abbekommen, dass sie zu Boden gegangen war. Nachdem Mamoru seinen Feind durch die Hilfe des Goldenen Kristalls besiegt hatte, war Chikara ziemlich sauer gewesen und hatte Hikari böse angeschnauzt. Sie hatte es sich nicht gefallen lassen und Chikara hatte sich wutentbrannt getrollt. "Wie auch immer", fuhr Hikari fort. Nun schlug sie ihre wunderschönen, tiefgrünen Augen wieder auf und sah Mamoru mit einem traurigen Blick an. Sie wirkte tief in ihrer Seele schwer verletzt; und es machte Mamoru rasend, dass er nichts von dem Schmerz in ihrem Inneren lindern konnte. "Nicht nur am fraglichen Tag, auch später noch hatten er und ich unsere Meinungsverschiedenheiten. Er sagt, er ist schwer in seinem Stolz verletzt. Und ich sage, er hat es nicht anders verdient. Der Kerl muss lernen, dass er eben nicht immer nur gewinnen kann! Chikara schränkt mich zu sehr ein. Er lässt mir nicht mal meine eigene, freie Meinung. Wir haben viel gestritten. Ich habe heute einfach mal etwas Abwechslung gebraucht. Da habe ich mir eben überlegt, womit ich wohl den Tag verbringen könnte, und ... na ja ... mein erster Gedanke ... warst Du!" "Ich? Wirklich?", fragte Mamoru fassungslos. Hikari nickte. "Ja, Du! Du bist etwas Besonderes. Das spüre ich mit jedem Tag etwas deutlicher. Ich kann es nicht erklären ... es ist so, als würdest Du Dich ... verändern! Du wirkst, im Gegensatz zu früher, irgendwie reifer und erwachsener auf mich. Ich verstehe es selbst kaum. Aber irgendwie fühle ich..." Ihre Wangen bekamen bei diesen Worten eine leichte Rotfärbung. "...fühle ich mich sehr wohl in Deiner Nähe. Du hast so eine beruhigende Wirkung auf mich. Als wärst Du so eine Art ... Schutzengel, oder so was. Ja, das klingt jetzt blöde und wahnsinnig kindisch, aber ich meine es ernst!" Er warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. Als er behutsam ihre Hand ergriff und tröstend darüber streichelte, sah sie ihn mit Erstaunen und - ja, man könnte sagen - Bewunderung an. Er lächelte sanft als er erklärte: "Nein, das klingt überhaupt nicht blöde oder kindisch. Es ist mir eine wirklich große Ehre, diese Worte aus Deinem Munde zu hören. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut! Du machst mich gerade wahnsinnig stolz damit, dass Du Dich mir so sehr anvertraust und Deine innersten Gefühle offenbarst - und dafür bin ich Dir wirklich dankbar. ...Hikari... Wenn es irgendetwas gibt, das ich für Dich tun kann, dann sag mir das. Ich würde gerne für Dich da sein. Sag mir, was ich machen soll. Ich tu absolut alles." Ihr stiegen Tränen der Rührung in die Augen. "Das ist so lieb von Dir", hauchte sie - und fiel ihm um den Hals. Mamoru fühlte den rasenden Herzschlag in seiner Brust. Tröstend legte er seine Arme um Hikari und fuhr ihr besänftigend über den Rücken. Als er durch den Stoff ihrer Uniform hindurch den dicken Verschluss ihres BHs spürte liefen seine Wangen wieder knallrot an, aber er bemühte sich, seine Konzentration auf Wichtigeres zu richten. Er lehnte seinen Kopf gegen ihre heiße Stirn und flüsterte ihr beruhigende Worte zu, während sie leise schluchzte und schwarz gefärbte Tränen der Mutlosigkeit und der Verzweiflung ihre Wangen entlang liefen. Er förderte ein weiteres Taschentuch zutage - nicht nur, um den Gentleman zu markieren, sondern auch, um seine Uniform vor den hässlichen Flecken zu bewahren, die frisch verflüssigte Wimperntusche wohl verursachen mochte. Sie tupfte sich vorsichtig die Wangen ab, um nicht noch mehr zu verschmieren, was so schon unrettbar war, als Mamoru leise fragte: "Und was soll nun weiter geschehen?" Sie zuckte hilflos mit den Schultern. "Keine Ahnung. Jedenfalls kann mir Chikara, dieser Menschenschinder, jetzt gestohlen bleiben. Was soll ich mit so einem herzlosen Monstrum? Den brauch ich doch nicht!" Sie schnäuzte in ihr Taschentuch. "Sag mal, Mamoru, das hast Du schon ernst gemeint, was Du vorhin gesagt hast? Also, dass Du für mich da sein willst?" Er schenkte ihr als Antwort ein warmes, sanftes Lächeln. Er konnte dem Impuls, der tief aus seinem Herzen kam, einfach nicht widerstehen. Er lehnte sich leicht zu ihr rüber und gab ihr einen zarten Kuss auf die Wange. Ihre Haut fühlte sich heiß an und es schien fast so, als würden elektrische Funken auf seinen Lippen tanzen. Sein Herz jagte fast schon schmerzhaft in seiner Brust und als er sich wieder zurückzog, da sahen ihn Hikaris vor Dankbarkeit glühende, smaragdfarbene Augen an und sagten ihm, er habe das Richtige getan. Einige Augenblicke noch lehnten die beiden an einander, dann bezahlte Mamoru das Essen und sie gingen mit leichten Herzen aus dem Lokal. Aus der Dunkelheit heraus betrachtete es sein Ziel. Es legte den Kopf schief. Denn es wusste nicht recht zu begreifen, was gerade mit dem Ziel geschehen war. Ein neuer, bislang unbekannter Faktor war eingetreten und hatte die Grundvoraussetzungen der Mission unter Umständen geändert; ja, vielleicht sogar völlig über den Haufen geworfen! Verunsichert musterte es sein Ziel. Es würde nun warten und darauf hoffen, dass sich der neue Faktor nicht als störend herausstellen würde für seine Mission. Falls doch, so musste dieser neue Faktor umgehend eliminiert werden. Doch es würde sich vorerst noch gedulden. Es würde warten und beobachten, wie es das schon in den vergangenen Jahrhunderten getan hatte. Lautlos zog es sich wieder in die zeitlose Finsternis zwischen den Dimensionen zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)