Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 25: ------------ "", murmelte Mamoru vor sich hin und drehte das Kassetten-Album selbigen Namens zwischen seinen Fingern hin und her. Das Cover zeigte eine ziemlich irrsinnig aussehende Band, die, teils an der Gitarre, teils am Schlagzeug, anscheinend gerade damit beschäftigt war, Musik oder zumindest etwas Derartiges zu produzieren, wobei das Bild durch Totenköpfe und diverse diabolische Symbole "verschönert" worden war. Diese Gruppe trug den kurzen aber prägnanten Namen . Zum siebenhundertzweiundachtzigsten Mal besah sich Mamoru die Kassette und wurde dabei immer nervöser. Zum einen mag das an den chaotischen Gesichtsmalereien gelegen haben, die diese Musikanten trugen. Zum anderen waren es aber auch die Zweifel, die Mamoru plagten. Er versuchte sich krampfhaft zu erinnern. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ihm Motoki von dieser Band vorgeschwärmt. Mamoru glaubte - nein - hoffte inständig, dass es diese Gruppe gewesen war. Er hatte, wenn er im Nachhinein ehrlich war, kaum mit einem Viertel seiner Aufmerksamkeit zugehört. Der Musikstil entsprach nicht wirklich seinem Geschmack. Aber Motoki war davon begeistert. Er hatte damals irgendwas vom neuesten Album gefaselt, für das er leider kein Geld hatte, das er sich aber mehr als alles auf der Welt wünschte. Nun, er soll es bekommen. Mamoru stand auf dem Campus der Moto-Azabu-Oberschule und warf den nächsten zweifelnden Blick auf die Kassette. Es würde nicht mehr allzu lange dauern, dann würde der Unterricht anfangen. Ein schwerer Seufzer kam über Mamorus Lippen. Die Schlägerei, die er sich mit Motoki geliefert hatte, tat ihm furchtbar Leid. Er konnte sich nicht mal wirklich klar daran erinnern, was genau geschehen war. Er selbst hatte sich von diesem Kampf diverse blaue Flecken und einige Kratzer hier und da eingefangen, aber soweit ihn sein Erinnerungsvermögen nicht im Stich ließ, hatte Motoki schwer was abbekommen. Mamoru hatte das vage Bild des blutigen rechten Knies vor sich, das Motoki sich zugezogen hatte, als er nach einem gekonnten Schulterwurf meterweit über den Asphalt geschliddert war. Mamoru hatte schon relativ genau geplant, wie das Treffen mit Motoki verlaufen könnte ... oder besser: sollte. Dementsprechend hatte er sich schon ein paar nette Worte zurechtgelegt. In seiner Vorstellung betrat Motoki den Schulhof - doch wohl hoffentlich nicht auf Krücken?! - und Mamoru würde ... ja, eigentlich nur zu ihm gehen, sich entschuldigen, ihm die Kassette schenken, ihm in den Arsch kriechen und mit ihm wieder gut Freund sein. So viel zur Theorie. Mamoru versuchte allerdings gleichzeitig, sich nicht zu viele Hoffnungen zu machen. Denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Er stand einfach nur da, etwas am Rand des großen Vorhofs zum Hauptgebäude seiner Schule, drehte wiedereinmal die Kassette hin und her, als sei sie eine Schatzkarte, die er nicht lesen konnte, und murmelte immer mal wieder "." "Das Album soll ja ganz toll sein", ertönte hinter ihm eine Stimme. Mamoru machte einen erschrockenen Satz nach vorne, vollführte eine hundertachtzig Grad Drehung und starrte in das lieblichste Gesicht dieser Erde: in das von Hikari. Er presste theatralisch die Hand auf sein Herz. "Du hast mich zu Tode erschreckt!", beschwerte er sich keuchend. "Mach das nie wieder!" "Tut mir Leid", meinte Hikari lächelnd. Dann sah sie wieder auf die Kassette in seiner Hand. "Ich wusste nicht, dass Du so was hörst?" "Tu ich nicht", murmelte er, ebenfalls auf den Datenträger schauend. "Die hab ich für Motoki besorgt." Hikari sah ihn überrascht an. Dabei sah es so wahnsinnig schön aus, wie sich ihre tiefgrünen Augen auf ihn richteten. Sie schienen so sanft, so wunderschön, so einzigartig... "Für Motoki?", fragte sie nach. "Hat er Geburtstag, oder so was?" "Nöh, das dauert noch", antwortete er und schenkte Hikari ein kleines Lächeln. Sie war zu ihm gekommen, um mit ihm zu reden! Wahrhaftig! Nicht so wie sonst! Diesmal war es umgekehrt! Mochte es sein, dass ihr Interesse für ihn doch noch erwacht war? Hatte diese schier göttliche Schönheit schlussendlich doch eingesehen, dass dieser blonde Pseudosoldat nicht zu ihr passte? , meldete sich eine kleine Stimme in seinem Inneren. Eine halbe Sekunde dachte er darüber nach. , meinte er dann zu sich selbst. "Na ja", meinte da die göttliche Schönheit, "es geht mich ja eigentlich auch nicht wirklich was an. Ich wollte nur mal schauen, was Du hier so treibst." Er gab sich alle Mühe ein Grinsen zu unterdrücken und beschäftigte sich lieber damit, einen 0,25 Nanosekunden-Blick auf ihre wunderschönen, prallen Brüste zu werfen. Er atmete tief durch, um seine Gedanken wieder unter Kontrolle zu bekommen. "Und, was hast Du so als nächstes vor?", erkundigte er sich; einfach nur, um irgendwas zu tun. Sie zuckte mit den lieblichen Schultern. "Ich denke, ich setze mich einfach hier irgendwo hin und warte auf Chikara. Kann aber, glaub ich, noch etwas dauern. Und Du?" Er warf einen kurzen Blick auf das weite Eingangstor. "Ich warte noch auf Motoki. Ich hoffe mal, dass das nicht allzu lange dauern wird, bis er kommt." "Na dann, viel Vergnügen!", wünschte sie ihm. Sie winkte ihm zu und schritt anmutig von dannen. "Wir sehen uns dann nachher drinnen", rief sie ihm noch nach. "Wohin ich auch schaue, ich sehe sowieso immer nur Dich", flüsterte er lächelnd. Dabei färbten sich seine Wangen leicht rosa und sein Blick blieb an ihrem Hintern haften. Beinahe hätte er vor lauter Geistesabwesenheit die Kassette fallen gelassen. Er atmete tief durch, wandte sich wieder dem Eingang zu, ließ seinen Blick über die anderen Schüler wandern und stockte, als ihm ein blonder Schopf verdächtig bekannt vorkam. Motoki schien Mamoru bemerkt zu haben. Denn der Weg, den er gerade entlangging, war nicht der direkte, geradlinige Weg vom Eingangstor zur Tür des Hauptgebäudes, sondern eine deutliche Kurve zeichnete sich darin ab, so als sei Motoki einige Meter auf Mamoru zugekommen, hätte es sich dann anders überlegt und hätte wieder die Richtung auf die Tür des Hauses eingeschlagen. Er war nicht mehr weit entfernt vom Hauseingang. , überlegte Mamoru. Motoki humpelte tatsächlich ein wenig, wie Mamoru auffiel, aber er hatte wohl dennoch keine Krücken nötig. Mamoru wuchtete sich seine Schultasche auf den Rücken und rannte auf Motoki los. "Hey, warte doch mal! Motoki! Bleib stehen!", rief er ihm zu. Motoki blieb tatsächlich stehen, wandte sich Mamoru allerdings nicht zu sondern starrte weiterhin geradeaus. "Wozu?", fragte er. "Damit Du mir das andere Knie auch noch zertrümmern kannst? Oder hast Du vielleicht vor, meine Nase diesmal wirklich zu brechen? Ehrlich gesagt wundert es mich, dass Du mich überhaupt bemerkt hast. Hast Du nicht vielleicht was Wichtigeres zu tun? Frauen verführen, oder so was?" Mamoru blieb wie angewurzelt stehen und starrte Motoki geschockt an. Er hatte zwar erwartet, dass Motoki ihm nicht unbedingt überschwänglich um den Hals fallen würde, aber mit einer derartigen Giftigkeit und Feindschaft hatte er dennoch nicht gerechnet. "Ähm", machte er, "wie geht es Deinem Knie? Sehr schlimm? Ich mein ... das wird doch wieder, oder?" "Oh, ja, ganz toll", zischte Motoki in sarkastischem Ton. "Ich bin Dir wirklich dankbar, dass Du mich auf diese Art und Weise vom Sportunterricht entschuldigst. Genau was ich mir immer gewünscht habe." Er schnaubte verächtlich. Noch immer konnte er Mamoru nicht in die Augen sehen. Er atmete einige Male tief durch und beruhigte sich langsam wieder. "Ja, es wird schon wieder", antwortete er endlich. "Hat geblutet wie blöd, und es wird wohl ne Weile dauern, bis alles wieder ganz in Ordnung ist, aber es ist zum Glück nichts ernsthaft verletzt." "Da bin ich wirklich froh", meinte Mamoru erleichtert. "Ich ... ich hab ... ich wollte das nicht. Ehrlich! Ich weiß selber nicht, was in mich gefahren ist. Ich ... es tut mir wahnsinnig Leid. Was meinst Du, kannst Du mir verzeihen?" Motoki seufzte und sah betreten zu Boden. Er schien erst ernsthaft darüber nachdenken zu müssen. Schließlich zuckte er mit den Schultern. "Ich weiß nicht", meinte er zögerlich. "Immerhin ... die ganze Sache ist kein Pappenstiel. Du hast mir wirklich sehr wehgetan, und das nicht nur körperlich. Kannst Du Dir vorstellen, wie es für mich war, Dich mit meiner Freundin rumknutschen zu sehen?" Mamoru musste darüber einen Moment lang stumm nachdenken. So irgendwie konnte er es ja schon ein Stück weit verstehen. Er selbst wurde jedes Mal halb wahnsinnig, wenn Hikari und Chikara auch nur ein paar Worte miteinander wechselten. Und Chikara war alles andere als Mamorus bester Freund. Aber andererseits war er ja nicht wirklich mit Hikari zusammen. Er war nie mit jemandem richtig zusammen gewesen. Er wusste beim besten Willen nicht zu sagen, ob die Gefühle dann nicht vielleicht eine noch viel höhere Intensität hatten. Mamoru schüttelte sachte den Kopf. "Ich glaube nicht. Es muss unvorstellbar hart sein. Ich werde das wohl nie wieder richtig gut machen können, was?" "Was heißt hier nie wieder?", murmelte Motoki und zuckte dabei hilflos mit den Schultern. "Ich denke schon, dass ... nun ja ... dass nicht alles völlig verloren ist. Ich brauche vielleicht nur etwas Zeit, um das alles zu verdauen. Oder so. Ach, keine Ahnung." Mamoru nickte. Er ließ kurz seinen Blick über die Umgebung schweifen. Der Strom derjenigen Schüler, die das Gebäude betraten , wurde immer dichter, und er und Motoki standen so ein wenig im Weg. "Komm mit", schlug er vor, "wir machen mal ein bisschen Platz hier. Ich hab's lieber, ungestört reden zu können. Ich trag Dir Deine Tasche." Motoki wollte zuerst widersprechen, aber dann sah er ein, dass es doch eine große Entlastung für sein Knie war, wenn er Mamoru die schwere Tasche tragen ließ. Es war immerhin so was wie der erste Schritt zur Versöhnung oder so. Mamoru führte Motoki zu einer der Bänke, die auf dem Schulhof standen. Sie waren somit sehr nah am Rand des Campus; zwischen ihnen und der hohen Steinmauer, die das Hochschulgelände umschloss, gab es nur noch eine Reihe karger Hecken. Mamoru half Motoki, sich zu setzen. Dieser starrte auch weiterhin unablässig den Boden an. Er schien einen innerlichen Kampf auszufechten. , so entschied Mamoru, Er umklammerte die Kassette etwas fester mit den Fingern. "Ähm, Motoki? Ich hab ... ähm ... ich...", stammelte er. "Nur raus damit", ermutigte ihn Motoki, der den Campus beobachtete, während er noch immer mit Grübeln beschäftigt war. "Weißt Du, es ... es tut mir wirklich, wirklich wahnsinnig Leid. Ich hab echt totale Scheiße gebaut. Und ich möchte mich von ganzem Herzen entschuldigen. Ich meine ... ich ... ich brauche Dich doch." Er glaubte, ganz kurz ein leichtes Lächeln in Motokis Mundwinkeln gesehen zu haben. Das ermutigte ihn, weiter zu reden. Er schluckte heftig, atmete tief ein und fuhr fort, seine kleine Rede zu halten. "Du und ich ... wir sind doch schon seit so langer Zeit befreundet. Soweit ich zurückdenken kann, bist Du immer da gewesen. Und ich will unsere alte Freundschaft wirklich nicht so ohne weiteres aufgeben. Das Ganze tut mir wirklich wahnsinnig Leid. Und ich ... ich möchte es wieder gutmachen. Na ja ... also ... was ich sagen will ... hier. Nimm das." Behutsam reichte er Motoki die Kassette. Überall klebten schweißnasse Fingerabdrücke, obwohl die Luft hier draußen immer noch saukalt war. Motoki hob die Augenbrauen an, nahm dann die Kassette und drehte sie einige Male in seinen Fingern hin und her. Mamoru konnte absolut nichts im Gesicht seines Gegenübers lesen, es war völlig ausdruckslos. Das konnte einfach alles bedeuten. "Was ist das?", wollte er wissen. "Na ja ... Du hast mir doch von dieser Band vorgeschwärmt", erzählte Mamoru verunsichert. "Hast mir von diesem Album berichtet. Dass Du kein Geld dafür hättest und so. Darum hab ich's Dir gekauft. Warum fragst Du?" Motoki atmete tief ein und aus. "Mamoru", begann er schließlich zögerlich, "sag mir, was genau bedeutet für Dich Freundschaft?" "Hä?" Mamoru war etwas verwirrt über diese Frage. Er zuckte kurz mit den Schultern, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. "Ich weiß nicht. Vielleicht für einander da sein?" "Und was noch?", hakte Motoki nach. "Nun ja ... sich gegenseitig gut kennen, hilfsbereit sein, zusammen Spaß haben, solche Dinge eben. Wieso?" "Was noch alles?", beharrte Motoki. "Was noch? Also..." Mamoru wurde immer nervöser. Was wollte Motoki damit nur ausdrücken? Worauf zum Teufel wollte er hinaus? "Also ... ähm ... Rücksicht nehmen, trösten, verzeihen ... ähm ... sich gegenseitig Sachen ausleihen, vertrauen ... na ja ... einander zuhören..." "Einander zuhören?", fragte Motoki nach. Noch immer wanderte sein Blick über den Schulhof. Noch immer blieb sein Gesicht ausdruckslos. Noch immer konnte man nichts Außergewöhnliches aus seiner Stimme heraushören. Und genau das beunruhigte Mamoru mehr als alles andere. "Ja. Einander zuhören. Warum?" Motoki schloss die Augen, als würde er konzentriert nachdenken. Er ließ sich gegen die Rücklehne der Bank sinken und atmete einige Male ruhig ein und aus. "Und warum hast Du mir dann nicht zugehört?", wollte er endlich wissen. "Was?", flüsterte Mamoru tonlos. Das blanke Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Ganz recht", antwortete Motoki. Er öffnete die Augen nun wieder. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass er Mamoru direkt ansah. Und der reine Zorn sprühte aus seinem Blick. "Du hast mir nicht zugehört. Und zwar überhaupt nicht. Ich hab Dir zwar von Diesem Album erzählt. Ja. Aber nicht, weil ich es haben wollte, sondern weil ich es mir gerade gekauft hatte! Es war genau die Kassette, die ich Dir am fraglichen Tag vorgespielt habe! Ich sagte nicht, ich habe kein Geld dafür, sondern ich sagte, ich musste das Geld lange dafür ansparen und jetzt hab ich sie endlich gekauft! Tja, mein Lieber, soviel zu Deinen Vorstellungen von Freundschaft!" "A ... aber ... aber...", stotterte Mamoru sprachlos vor sich hin. Na wunderbar! Das hatte er ja sauber vermasselt. "E ... es ... es tut..." "Komm mir jetzt bloß nicht mit ! Vergiss es! Komm Du mir nicht mehr unter die Augen, verstanden?" Wütend arbeitete sich Motoki von der Bank hoch, packte sich seinen Schulranzen, warf Mamoru die Kassette wutentbrannt vor die Füße und stürmte, halb humpelnd, halb auf einem Bein hopsend, davon. Das hätte ja ein lustiges Bild abgegeben, wäre Mamoru nicht so niedergeschmettert gewesen. Ganz langsam hob er die Kassette vom Boden auf und wischte fast schon liebevoll mit den Fingern den Staub ab. Ein winziger Sprung war in einer Ecke der Plastikhülle entstanden. Das perfekte Symbol für eine kaputte Freundschaft. Er seufzte verzweifelt auf. "Was soll ich denn jetzt bloß tun?", flüsterte er leise vor sich hin. Ihm war sterbenselend. Er bereute sein Tun wirklich. Noch immer schmerzten die Verletzungen und die blauen Flecke an seinem Körper, die er sich bei diesem absolut sinnlosen Kampf zugezogen hatte. Noch dazu hatte er richtig hart arbeiten müssen um sich das Geld zu verdienen, mit dem er dieses Album gekauft hatte. Und es war wirklich alles andere als preiswert gewesen! Nun war es wertlos. Nichts weiter als ein Stück Plastik mit einem Sprung an einer Ecke. Es war zum Ausrasten! Mamoru machte sich wahnsinnige Vorwürfe. Er hatte doch gewusst, dass er sich nicht ganz sicher war! Er hätte ja mal ganz nebenbei nachfragen können. Oder er hätte sich eben etwas anderes einfallen lassen sollen. Und jetzt war es zu spät. Mamoru schulterte seinen Schulranzen. Zu Tode betrübt lief er ziellos hin und her, während er sich in Gedanken ausschimpfte. Er nahm seine Umgebung kaum noch wahr. Was er allerdings noch wahrnahm, war Hikari, die in einigen Metern Entfernung auf Chikara zurannte und ihn stürmisch begrüßte. Mamoru wäre am liebsten tot umgefallen. Wie kann ein einziger Mensch nur so viel Pech haben? Er ging langsam auf die beiden zu. Die Kassette in seiner Hand schien schwerer und immer schwerer zu werden. Er musste diese Last loswerden. Und wenn Hikari dieses verfluchte Ding nicht haben wollte, dann würde es eben im Müll landen. Was soll's? Mit diesem hässlichen Sprung würde auch kein Laden der Welt den Datenträger wieder zurücknehmen. Und so hatte Mamoru endlich die einzigartige Chance, von Chikara umgebracht zu werden. Es würde wohl lang und grausam werden, aber Mamoru verdiente es auch nicht anders. So zumindest seine Sicht in seiner todunglücklichen Situation. "Hikari?" Sie wandte sich ihm zu. Ein bezauberndes Lächeln lag auf ihren Lippen. Ihre smaragdfarbenen Augen sprühten schier vor Lebensfreude. Sie kicherte vergnügt, während sie sich an Chikaras Arm festklammerte. Sie war ja so wunderschön... "Ja? Was gibt's?", fragte sie. "Genau, was gibt's, Würstchen?", knurrte Chikara dazwischen. "Wenn Du den Kindergarten suchst, der ist ein paar Blocks weiter. Oder darfst Du noch nicht alleine über die Straße gehen?" Mamoru überging diese Beleidigung geflissentlich. "Ich wollte Dich fragen, ob Du nicht vielleicht Interesse an der Kassette hättest?" Hikari nahm das verfluchte Ding mit sichtlicher Verwirrung entgegen. "Aber...", machte sie und richtete den Blick ihrer herrlichen Augen direkt in seine. "Aber ich dachte, die wäre..." Mamoru winkte ab. "Planänderung", erklärte er. Er zwang sich zu einem kleinen Lächeln, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. "Sagen wir einfach, die Idee war ein Schuss in den Ofen. So was kommt vor." Hikari schenkte ihm dafür ein strahlendes Lächeln. Wie konnte ein einziger Mensch nur so perfekt sein? Sie ließ Chikaras Arm los, drückte dafür die Kassette an ihr Herz - wobei Mamoru in diesem Moment sehr gerne mit dem hässlichen Plastikding getauscht hätte - und bedankte sich überschwänglich. "Kein Problem", antwortete Mamoru. "Sei Dir da mal nicht so sicher", knurrte Chikara dazwischen. Die Eifersucht schien ihm direkt aus den Gesicht zu springen. Er spannte seine gewaltigen Muskeln an. Natürlich war das nur ein Akt der Angeberei. So mutig Chikara auch war, er suchte sich weit weniger besuchte Orte, um seinem Gegenüber zu zeigen, wer der Boss war. Dennoch verfehlte diese Geste ihre Wirkung nicht. Mamoru wich einen großen Schritt zurück. Er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er wirklich schon sterben wollte. "Ach, Kara, halt doch die Klappe!", fuhr Hikari ihn an, wobei sie ihren Blick nicht von der Kassette nahm. "Was?", fragte Mamoru nach. "Kara?" "Ja", erklärte Hikari kurz, "sein Spitzname." Jetzt konnte sich Mamoru das Grinsen nicht verkneifen. "Ich dachte, das ist ein schottischer Mädchenname..." "Nimm Dir nicht zu viel auf einmal raus, Waschlappen!", donnerte Kara. "Lass doch mal!", mahnte ihn Hikari. "Würdest Du uns einen Augenblick alleine lassen? Bitte?" Darauf verzog Chikara eine Miene. "Aber... Du willst doch nicht... dieses Würstchen..." Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu, der seinen Widerstand in Nullkommanix zertrümmerte. "Na gut", seufzte er resignierend. Zu Mamoru gewandt grummelte er: "Wehe, Du gehst zu weit!" Er rempelte Mamoru grob an und stapfte wie ein tobsüchtiges Nashorn auf das Schulgebäude zu. Hikari schüttelte seufzend den Kopf. "Manchmal ist er so ... so besitzergreifend", entschuldigte sie sich. Mamoru nickte. "Kein Thema." "Sag mal..." Hikari trat einen Schritt näher an Mamoru heran. Er glaubte sogar ganz leicht den süßlichen Duft ihres Parfüms zu riechen. "Warum schenkst Du mir das? Du hast doch gesagt, die Kassette ist für Motoki? Und überhaupt; ich weiß, wie teuer dieses Album ist. Also?" Mamoru zuckte mit den Schultern und seufzte dabei. "Motoki..." Er suchte nach den richtigen Worten. "Sagen wir einfach, er hat sich nicht so drüber gefreut, wie ich das geplant hatte. Shit happens." "Ah, ja", machte Hikari. Mamoru fuhr fort: "Tja, und da habe ich gedacht, Du könntest vielleicht mehr damit anfangen." Hikari nickte. Dann entstand eine schon fast peinliche Stille. Mamoru starrte auf seine Füße, als wolle er mit bloßem Blick die Schnürsenkel aufmachen. Hikari sah auf die Uhr. "Vielleicht sollten wir so langsam mal..." "Ich kann es mir nicht vorstellen", wurde sie von Mamoru unterbrochen. "Hä? Wie bitte?", fragte sie verwirrt nach. "Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass Du mit Chikara wirklich so glücklich bist. Obwohl Du mir alles erklärt hast - dass er Dich liebt und sich um Dich kümmert, und so weiter - nun, ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass ... er Dich so sehr liebt ... wie ich es tue." Hikari hob ungläubig die Augenbrauen. "Das tust Du? Immer noch?" Mamoru nickte. Er nahm endlich seinen Blick vom Boden und sah Hikari an. Er sah irgendwie traurig aus. Man spürte einfach, dass er es wahnsinnig ernst meinte. Hikari runzelte die Stirn. "Also, Du bist entweder ziemlich stur, oder ziemlich dumm." Erneut zuckte er mit den Schultern und antwortete: "Wahrscheinlich beides." Sie stand da und starrte ihn an, während sie über seine Worte nachdachte. Doch er ließ ihr nicht wirklich genug Zeit für eine Antwort. "Gehen wir", schlug er vor, nahm ihre Tasche, ging zur Tür, hielt sie seiner Angebeteten auf und blickte sie erwartungsvoll an. Nur einen Moment später, nachdem sie schweigend neben einander durch das Schulhaus gegangen waren, erreichten sie das Klassenzimmer. Zuerst stellte Mamoru Hikaris Tasche an ihren Platz, dann setzte er sich auf den seinen. Dabei fiel ihm allerdings die Leere auf, die sich schier greifbar breitgemacht hatte. Verwirrt sah er sich um und fand endlich Motoki. Er hatte sich einige Reihen weiter nach vorne neben Shôgai gesetzt. Mamoru war in diesem Augenblick der einsamste Mensch im weiten Umkreis. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)