Kapitel 18
Mondlicht
Kapitel 18
Ich hatte gewusst, dass es nicht einfach werden würde, Draco im Unterricht zu sehen und mir immer wieder die quälende Frage stellen zu müssen, ob es zwischen uns endgültig vorbei war. Ob unsere Beziehung, die gerade am Aufblühen gewesen war tatsächlich so ein abruptes Ende gefunden hatte. Aber dass es so schwer werden würde, hätte ich nicht vermutet.
Er ignorierte mich vollkommen. Vielleicht wäre es etwas leichter gewesen, wenn wir uns wie früher gezankt hätten, wenigstens ab und zu. Doch der Eisprinz von Slytherin zeigte mir die kalte Schulter. Sprach nicht mit mir, sah mich nicht an. Nie. Es war, als würde ich plötzlich gar nicht mehr existieren. Als wäre meine Existenz völlig ausgelöscht in seiner Welt.
Die Blickduelle, die wir uns früher geliefert hatten, fehlten mir. Und unsere Wortgefechte, die Art, wie er sein Kinn etwas anhob, wenn er einen gehässigen Kommentar zurück schoss. Das herausfordernde Funkeln seiner Augen, das mich immer weiter anstachelte. Das winzige, kaum sichtbare Lächeln, das seine Mundwinkel in letzter Zeit umspielt hatte und das sich ein wenig vertieft hatte, wenn sich unsere Blicke quer über den Gang trafen.
Jeder Tag zog sich endlos dahin, wie zäher, alter Kaugummi. Ich kämpfte mich Schritt für Schritt voran, doch schon bald spürte ich, wie mich meine Kraft nach und nach verließ. Ron und Hermine klopften mir aufmunternd auf die Schulter und versuchten mich zu trösten, doch dass sie miteinander turtelten, wann immer sie sich unbeobachtet fühlten, half mir ganz und gar nicht. Es erinnerte mich an das, was ich verloren hatte und das ließ mein Herz noch mehr schmerzen.
Ich wollte das nicht. Ich wollte ihn nicht so vermissen, ich wollte nicht, dass sich mein Leben so leer anfühlte, ich wollte mich nicht so schwach und angreifbar ohne ihn an meiner Seite fühlen und doch tat ich es. All die Gefahren, die ich bisher überstanden hatte und die nicht unwesentlich dazu beigetragen hatten, dass ich selbstbewusst durch das Leben gegangen war, in der Annahme, ich wäre nahezu unverwundbar und würde alles überstehen, waren plötzlich unbedeutend.
Alles in mir schrie nach Draco. Ich hatte das sichere Gefühl, dass in naher Zukunft etwas Furchtbares geschehen würde, das wir nur überleben konnten, wenn wir fest zusammen standen und Seite an Seite kämpften.
Ich versuchte mir zu sagen, dass das nicht das Ende der Welt war, wenn Draco sich gegen mich entschied, dass ich damit klar kommen würde, aber es half nichts. Es machte die Trennung nicht leichter zu ertragen. Immer wieder und wieder fragte ich mich, ob ich etwas tun konnte, doch es lief alles darauf hinaus, dass es Dracos Entscheidung war. Ob er zu mir- zu uns- stehen wollte oder ob seine Gefühle dafür nicht stark genug waren.
Verdammt! Das Warten würde mich noch umbringen!
ooOoOoo
Er fehlte mir. Er fehlte mir so sehr, dass ich nachts nicht schlafen konnte, weil ich immer nur an ihn und unsere gemeinsame Zeit dachte. Ich spürte seine Abwesenheit mit meinem ganzen Sein. Mein Herz war einsam und kalt und auch mein Körper verlangte nach seiner Berührung. Nach seinen zärtlichen Fingern, nach seinem weichem Mund, nach seinem eigenen, warmen Körper.
Ich hätte nicht erwartet, dass es mir tatsächlich so schwer fallen würde, ihn nicht mehr zu sehen. Zunächst dachte ich, das würde sich legen, doch auch nach 2 Wochen blieb die Sehnsucht. Ich mied ihn so gut es ging, denn wann immer er im selben Raum war, wanderte mein Blick zu ihm und ich wollte nichts sehnlicher tun, als meine Hand nach ihm auszustrecken, meine Finger in seinem kohlrabenschwarzen Haar vergraben, ihn an mich ziehen und ihn küssen, wie ich noch nie jemanden geküsst hatte.
Es war erbärmlich. Ich war ein Slytherin und vielmehr noch ein Malfoy. Gefühle sollten in meinem Leben- wenn überhaupt- eine untergeordnete Rolle spielen. Ich sollte das alles mit einem Schulterzucken abtun und zur Tagesordnung übergehen können. Ich sollte ihn nicht so vermissen. Ich sollte mich nicht so verlassen ohne ihn fühlen. Und vor allem sollte ich mich nicht so schwach ohne ihn fühlen.
Was war das nur für eine düstere Vorahnung, die mir zuflüsterte, dass einem von uns beiden etwas Schreckliches passieren würde, wenn wir nicht zusammen waren? War es Einbildung? Entsprang dieser Gedanke der puren Sehnsucht? Suggerierte mein Unterbewusstsein mir das, um mich zu ihm zurückzutreiben?
Aber was, wenn es stimmte? Könnte ich ohne ihn weiterleben? In der Gewissheit, dass sein Tod hätte abgewendet werden können, hätte ich nur mehr Mut gehabt? Die Antwort darauf war einfach: Nein, niemals.
Aber was sollte ich tun? Sollte ich meiner Intuition vertrauen, diesem fremden und wenig erforschten Teil meiner Selbst? Diesem Gefühl, dass ich nie zugelassen hatte und über dessen Verlässlichkeit ich nichts sagen konnte?
Denn der Schritt, den es erforderte, um ihn wieder an mich zu binden, hatte weit reichende Konsequenzen. Ich war ein Slytherin und ein Todesser. Führte ich eine Beziehung mit Harry Potter, Gryffindor und Voldemorts Erzfeind, würde ich auf einen Schlag alles Ansehen in meinem Haus verlieren und könnte meiner Familie nicht mehr unter die Augen treten.
Syltherins waren verschlagen und sie würden vermutlich versuchen, mir das Leben zur Hölle zu machen, doch damit würde ich klar kommen. Ich mochte niemanden von ihnen genug, um traurig darüber zu sein, wenn er mir den Rücken kehrte und gerissen und verschlagen war ich auch. Und zwar wesentlich mehr als die meisten von ihnen.
Was mir Sorgen bereitete war meine Familie und Voldemort. Ich wäre dann offiziell ein Ausgestoßener. Voldemort würde Jagd auf mich machen und meine Familie würde nie wieder ein Wort mit mir sprechen dürfen. Vor allem für meine Mutter wäre das ein herber Schlag. Sie würden mich enterben müssen und trotzdem würde dieses größenwahnsinnige Monster sie wahrscheinlich noch bestrafen.
Aber... wenn Harry den Dunklen Lord besiegte, wenn er uns von diesem Dunklen Fluch, aus dem Joch dieses grausamen Herrn, befreite, dann würde es alles anders werden. Vielleicht würden meine Eltern als Anhänger Voldemorts ins Gefängnis müssen, doch wahrscheinlich konnten sie sich wie auch schon beim seinem letzten Fall irgendwie herauslavieren und irgendwo untertauchen. Zu wissen, dass die Familie in Sicherheit war und dass wir nicht mehr auf verschiedenen Seiten standen, wäre eine große Erleichterung, selbst wenn wir uns nicht sehen konnten.
Und eigentlich konnte ich ohnehin nicht mehr zurück in den Kreis der Diener Seiner Dunklen Lordschaft, nachdem ich Harry befreit und beim letzten Treffen nicht erschienen war. Meine einzige Option war also, Harry bei seinem Kampf zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass er siegte. Mit allen Mitteln.
Wenn ich an all das dachte, was seit Weihnachten geschehen war, fragte ich wie mein Leben so schnell aus den Fugen hatte geraten können. Gerne würde ich Harry alle Schuld daran zuschieben, doch die Wahrheit war, dass ich zu einem wesentlichen Teil selbst Schuld daran war. Es waren meine Entscheidungen, die mich an diesen Punkt gebracht hatten und wenn ich ehrlich war, bereute ich es nicht.
Ich hatte schon immer einen starken Widerwillen bei dem Gedanken empfunden, dem Dunklen Lord dienen zu müssen, hatte aber nicht gewagt, aufzubegehren, als er mich in seinen Dienst rief. Erst Harry hatte mir genügend Kraft gegeben, mich gegen ihn zu wenden. Harry war die Motivation gewesen, die ich brauchte, um meinem unterdrückten Wunsch nach Freiheit Ausdruck zu verleihen.
Und dass ich dieser Versuchung nicht hatte widerstehen können, war der Grund, weshalb mein Leben ins Chaos gestürzt war. Und obwohl ich weniger denn je wusste, was auf dem Weg, den ich nun beschritten hatte lag, und was die Zukunft für mich bereithalten würde, war ich… glücklich.
Ich hatte mich nie zuvor als unglücklich betrachtet, aber nun war mir klar, welch himmelweiter Unterschied zwischen bloßer Zufriedenheit ein wirklichem Glücklichsein lag. Für meine eigenen, egoistischen Wünsche und Ziele hatte ich mein Leben ins Chaos gestürzt und Harry hatte mich aufgefangen und mir mein Gleichgewicht zurückgegeben.
Und als Dank dafür, hatte ich nicht einmal den Mut aufgebracht, das öffentlich zuzugeben. Hatte ihn zurück gewiesen und verletzt. Seit 2 Wochen wartete er auf eine Antwort, auf meine Entscheidung. Es war wohl an der Zeit, ihn um Vergebung zu bitten und zu hoffen, dass er zu mir zurückkam.
ooOoOoo
Nach langem Hin- und Herüberlegen war mir schließlich doch noch etwas eingefallen, was ich tun konnte und ich ärgerte mich, dass ich nicht früher darauf gekommen war. Wenn derjenige, der es auf uns abgesehen hatte, gefasst würde, dann wären nächtliche Treffen wieder ungefährlich. So ungefährlich wie sie eben sein konnten, wenn Snape durch die Schule schlich und nur darauf wartete, herumstreunenden Schülern Strafarbeiten für den Rest ihres Lebens zu verpassen. Also musste ich alles daran setzen, den Unbekannten zu enttarnen und zu fassen.
Ich trödelte nach der Stunde Verteidigung gegen die Dunklen Künste bis alle anderen bereits aus dem Raum waren und ging dann nach vorne an den Lehrertisch, um Professor Lupin erneut auf den Vorfall vor 2 Wochen anzusprechen. Ich hatte bereits gleich an dem Tag getan, an dem Lupin nach dem Vollmond wieder in der Klasse aufgetaucht war, doch damals sagte er mir, der Vorfall werde noch untersucht.
„Professor Lupin?“
Er sah von den Papieren auf, die er gerade ordnete und lächelte mich ein wenig schief an. „Was gibt es Harry?“
„Ich wollte wissen, ob sich wegen dem Vorfall inzwischen etwas ergeben hat. Hat man herausgefunden, wer es war oder warum der Wolfsbanntrank nicht gewirkt hat?“
Lupins Hände verkrampften sich um den Stapel Blätter, den er hielt, und es tat mir leid, ihn an diese Nacht erinnern zu müssen. Ich wusste, dass er sich furchtbar deswegen grämte. Hermine hatte in Erfahrung gebracht, dass er gleich am Tag nach Vollmond bei Dumbledore gewesen war, um zu kündigen. Glücklicherweise hatte sich der Schulleiter geweigert, seine Kündigung anzunehmen.
Aber das war der einzige Anhaltspunkt, den ich im Moment hatte. Ich wusste, dass die Untersuchungen zu dem explodierten Kessel und zu dem Angriff im Gemeinschaftraum der Slytherins nichts ergeben hatten. Also blieb nur noch dieser Vorfall.
„Zucker“, sagte er schlicht und ich echote überrascht: „Zucker? Zucker im Wolfsbanntrank?“
Lupin nickte und seine Kiefermuskeln spannten sich. „In einer so geringen Konzentration, dass man ihn nicht geschmeckt hat, aber es ausreichte, um den Trank wirkungslos werden zu lassen.
„Aber...“, setzte ich perplex an, doch konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn die Gedanken wirbelten wild durch meinen Kopf. Das konnte nicht... Snape würde nicht... aber niemand hatte Zutritt zu seiner allerheiligsten Hexenküche. Niemand durfte diese Räumlichkeiten betreten, solange er Zaubertränke braute und gerade bei einem so komplizierten und einem so wichtigen Trank würde er es niemandem gestatten. Und selbst wenn er gerade nicht da war- sein Labor war durch alle möglichen Hexereien und Flüche geschützt.
„Ich glaube nicht, dass Severus der Schuldige ist, Harry“, sagte Lupin leise und musterte mich aufmerksam. Meine Gedanken mussten mir wohl offen ins Gesicht geschrieben gestanden haben. „Wenn Severus dir ein Leid hätte zufügen wollen, hätte er mehr und andere Gelegenheiten gehabt. Er hätte schon viel früher zugeschlagen.“
Natürlich hätte er andere Gelegenheiten gehabt. Er hätte uns zum Beispiel damals im Tropfenden Kessel einfach an die Todesser ausliefern können. Stattdessen hatte er uns sicher nach Hogwarts gebracht. Und wäre er tatsächlich so dumm, einen Anschlag zu verüben, den man sofort auf ihn zurückführen konnte? Dazu war er zu gerissen. Er würde es wie einen Unfall aussehen lassen. Und Zucker im Wolfsbanntrank war ganz sicher kein Unfall. Es war geradezu plump.
„Falls sich irgendetwas ergibt, werde ich dich informieren Harry“, versprach Lupin mir und komplimentierte mich aus dem Raum, damit ich nicht zu spät zur nächsten Unterrichtsstunde, Geschichte der Zauberei bei Binns, kam.
Es kam nicht oft vor, aber heute war ich sehr froh, dass er uns unterrichtete, denn so konnte ich ungestört meinen Gedanken nachhängen. Es blieb also dabei: Der Unbekannte war nicht zu fassen. Das konnte doch nicht wahr sein! Wie konnte man so oft zuschlagen, ohne Spuren zu hinterlassen? Oder waren sie einfach übersehen worden?
Langsam ging mir dieser Mensch wirklich auf die Nerven. Ständig versetzte er mich in Angst und Schrecken um Draco und mein eigenes Leben und entwischte doch jedes Mal. Vermutlich lachte er sich ganz in der Nähe ins Fäustchen. Es war so frustrierend!
Schlecht gelaunt stiefelte ich nach der Stunde noch vor Ron und Hermine aus dem Raum, um hinunter zum Mittagessen zu gehen. Die Gänge waren brechend voll und ständig rempelte mich irgendjemand an. Normalerweise konnte ich das ertragen, aber heute verspürte ich nur den Wunsch, wild um mich herumzuhexen.
„Harry!“, hörte ich Hermine rufen, als ich gerade vor der großen Halle angekommen war und drehte mich um, um zu sehen, dass sie und Ron sich tapfer durch die Menge zu mir nach vorne kämpften.
„Was ist los, Harry? Du bist heute ja richtig mies gelaunt“, schnaufte Ron, als sie es endlich zu mir geschafft hatten.
Mit einem Seufzen fuhr ich mir durch die Haare und machte sie damit noch unordentlicher. „Tut mir leid, aber es ist einfach also so unendlich frustrierend. Ich war vorhin bei Lupin, aber sie haben immer noch keine Spur. Ich meine, irgendwann muss doch mal Schluss sein, oder? Es gibt eine Grenze, wie oft man mit fehlgeschlagenen Anschlägen davon kommt!“
Hermine zog besorgt die Augenbrauen zusammen. „Allerdings. Wer immer es ist, er ist unheimlich geschickt im Verwischen der Spuren. Ich verstehe trotzdem nicht, warum sie ihn nicht finden. Dass er immer wieder innerhalb der Schule zuschlägt, kann doch eigentlich nur bedeuten, dass er sich innerhalb dieser Mauern aufhält.“
Ich nickte. Das erschien mir logisch. Und wenn Hermine darauf gekommen war, dann war es Dumbledore sicher auch. Sogar ich hatte es geschafft. Der Schluss war nicht schwierig. Und trotzdem entwischte der Angreifer immer wieder? Das war einfach unglaublich!
Ich atmete tief durch. „Lasst uns etwas essen gehen. Es macht hungrig, sich aufzuregen.“ Doch in dem Moment, in dem ich mich abwenden wollte, kam Draco die Treppe herunter und ich erstarrte.
An seinem Arm hing eine strahlende Pansy und ich spürte wie heiße Eifersucht in mir aufflammte. Natürlich war das Bild nicht ungewöhnlich, genauso waren sie auch schon früher gegangen, doch nun wollte ich nicht mehr, dass jemand anderes außer mir ihn berührte.
Am Fuß der Treppe stoppten die beiden, flankiert von Crabbe und Goyle und Draco sagte etwas zu ihr, woraufhin sie lachte. Sie ließ seinen Arm los und ich wollte gerade aufatmen, da legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm von der Seite einen Kuss auf die Wange.
„Harry!“, hörte ich Hermine erschrocken rufen und Ron griff blitzschnell nach meinem Arm. Verblüfft stellte ich fest, dass ich meinen Zauberstab in der Hand hielt und einen Schritt auf Pansy und Draco zugemacht hatte, in der festen Absicht, sie ins Nirwana zu fluchen, ohne dass ich es bewusst registriert hatte.
Verlegen ließ ich den Zauberstab rasch wieder in meiner Robe verschwinden und spürte plötzlich das lang entbehrte Kribbeln auf meiner Haut, das nur von Dracos Blick verursacht wurde. Ich sah auf und tatsächlich ruhten seine Augen auf mir. Endlich wieder! Unsere Augen trafen sich und für einige Momente verharrten wir völlig reglos. Dann geschah das Unfassbare.
Draco lächelte sein unwerfendes Halblächeln, schüttelte Pansys Hand mit einem eleganten Schulterzucken ab und kam auf mich zu. Rasch blickte ich mich noch einmal um, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht irrte, aber nein, er kam wirklich geradewegs auf mich zu. Zur Mittagszeit, in der überfüllten Vorhalle, wo uns alle sehen konnten. Und er lächelte.
Das war zu schön um wahr zu sein. Ich träumte. Oder lag im Koma. Oder war gestorben und nun im Himmel. Ja, das musste es ein. Ich war tot. Der echte Draco würde so etwas nie tun. Er war zu sehr auf Diskretion bedacht, als dass er seine Gefühle vor der ganzen Schule präsentieren würde.
Ein Arm umschlang meine Taille, die Hand des anderen hob mein Kinn sanft mit dem Zeigefinger an und ich konnte nicht mehr tun, als sprachlos in seine silbergrauen Augen zu starren und mich mit den Händen an seiner Schuluniform festzuhalten, denn meine Knie drohten, nachzugeben. Das war nicht wirklich… das konnte nicht-
Dann lagen seine Lippen auf meinen und ich hörte auf zu denken. Wen interessierte schon, was wirklich war und was nicht, solange es sich so gut anfühlte? Wohlig seufzend schmiegte ich mich an ihn, tauchte mit allen Sinnen in seine lang entbehrte Präsenz ein. Spürte das Schlagen seines Herzens, die Wärme seines Körpers, seine weichen Lippen und seine feuchte Zunge, die mit meiner spielte. Oh, das könnten wir bis in alle Ewigkeit weiter machen! Sein vertrauter Geruch umhüllte mich, wie eine weiche Decke und die Zeit verlor ihre Bedeutung. Wer wir waren, wo wir waren, war in diesem Augenblick so unwichtig. Ich spürte nur, dass wir waren. Ich seiner Umarmung fühlte ich mich so lebendig wie nie zuvor.
Dann lösten sich seine Lippen langsam, zögerlich und beinahe unwillig von den meinen und noch während ich nach Luft schnappte, hauchte leise er mir ins Ohr. „Ich war ein Idiot, Harry. Es tut mir leid.“
In dem Moment wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Jetzt war alles gut, wir brauchten uns nicht mehr zu verstecken. Wir waren offiziell ein Paar und nicht mehr auf heimliche Treffen im Schutze der Nacht angewiesen. Und er hatte mir soeben eine Liebeserklärung gemacht. Vor allen hatte er mich geküsst und sich dann auch noch entschuldigt. Mehr Beweise brauchte ich nicht, dass er mich liebte.
Ich spürte, wie mir Tränen des Glücks in die Augen sprangen und lehnte meinen Kopf mit geschlossenen Augen gegen seine Schulter und wartete, die Hände immer noch in seinen Pullover verkrallt, darauf, dass dieser Moment vorüber ging.
Draco räusperte sich leise und als ich aufsah, sah er etwas verlegen aus und schob mich ein wenig von sich. Das nutze ich, um mich umzusehen und ich begriff, was ihn in Verlegenheit gebracht hatte.
Alles Leben in der Halle war erstarrt und alles gaffte zu uns herüber. Einigen Schülern waren die Dinger, die sie in den Händen gehalten hatten, entglitten. Ich sah Federn auf dem Boden, Bücher, Papiere, die wild durcheinander lagen und ein Erinnermich, das vergessen durch die Menge rollte. Der ohrenbetäubende Lärm, der gerade noch geherrscht hatte, war verklungen und hatte totaler Stille breit gemacht.
Betreten schaute ich erst zu Boden und dann zurück zu meinen Freunden. Ron starrte uns fassungslos mit offenem Mund an und seine Augen fielen ihm beinahe aus dem Kopf. Hermine hatte die Hände vor den Mund geschlagen und ich konnte nicht genau identifizieren, ob sie nun ebenso entsetzt wie Ron war oder sich freute. In jedem Fall war sie mindestens genauso sprachlos und perplex wie alle anderen.
Nun räusperte auch ich mich. „Nun… wir wollten essen, oder?“
Ron starrte uns immer noch an, als wären wir Wesen aus einer anderen Dimension und nur Hermine schaffte es, sich zu einem schwachen Kopfnicken durchzuringen. Seite an Seite mit Draco ging ich gefolgt von meinen Freunden in den Großen Saal, er lächelte noch einmal kurz und dann gingen wir getrennt zu unseren Haustischen.
Kaum hatten wir die Flügeltüren passiert, brach hinter uns die Hölle los. Der Lärm explodierte geradezu, als alle auf einmal anfingen, sich über das Geschehene zu unterhalten und sich zu versichern, dass sie nicht halluzinierten. Diejenigen, denen ihre Sachen zu Boden gefallen waren, bückten sich rasch, um sie wieder aufzuheben und viele Mädchen rannten einander fast über den Haufen, in ihrer Eile zu den Haustischen zu kommen, um ihre Freundinnen, die nichts mitbekommen hatten, von dieser neuen Entwicklung zu unterrichten.
Bald summte der Große Saal wie ein übervoller Bienenstock und alle Blicke wanderten zwischen mir und Draco hin und her. Die meisten ungläubig, einige feindselig. Doch das machte nichts, mit ein paar Neidern und Homophobiekern würden wir fertig werden, jetzt, nachdem Draco diese große Hürde überwunden hatte. In der Tat fühlte ich mich so stark wie nie zuvor.
Hermine hatte inzwischen ihre Zunge wieder gefunden. „Harry.. das ist… das freut mich für dich. Ich hätte nie erwartet, dass er… aber… oh, ich freue mich wirklich für dich!“
Ich lächelte zurück. „Danke Hermine. Das bedeutet mir viel.“
„Du... strahlst ja gerade zu von innen heraus“, würgte Ron hervor, doch ich nahm ihm seinen Tonfall nicht übel. Von dieser Verbindung zu wissen, weil man es erzählt bekam, war eins. Es mit eigenen Augen zu sehen, war eine ganz andere Sache. Ich wusste, wie tief verwurzelt sein Hass Draco gegenüber war und mir war klar, dass er viel Zeit brauchen würde, um sich daran zu gewöhnen.
Ich lachte einfach nur, schlug ihm auf die Schulter und bediente mich dann am reichhaltigen Essen. Zwischen Hähnchenkeule und Kartoffelbrei wanderten meine Augen hinüber zum Lehrertisch und begegneten Dumbledores Blick. Der Schulleiter prostete mir schmunzelnd mit seinem Weinkelch zu und ich strahlte zurück.
wird fortgesetzt…
Das sollte eigentlich das letzte Kapitel werden… aber es gab noch so viel zu erzählen, dass ich mich entschlossen habe, an dieser Stelle Schluss zu machen, um euch nicht mit einen 20-Seiten-Roman zu erschlagen. Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass das Kapitel so kurz geworden ist ^^