Die Judenküsserin von abgemeldet (Ein großes DANKE an Nessi für die schönen, neuen Charakter-Bilder ^^) ================================================================================ Wo sind wir? ------------ ::Kapitel 2:: Als die Zellentüre von zwei Gestapomännern aufgerissen wurde, war ich absolut gefasst. Ich hatte mir selbst versprochen zu kämpfen und dieses Versprechen würde ich einhalten! "Anastasia Peters? Mitkommen, bitte sehr!!" rief einer der Männer, als gäbe es nicht wichtigeres auf Erden, als mich von hier wegzubringen. Der Andere packte mich am rechten Arm, zog mich blitzschnell hinaus auf den Gang und schlug die Türe hinter mir zu. Ich hatte nicht einmal Zeit Hannah noch ein letztes Mal anzusehen, bevor mir kühle, silberne Handschellen angelegt wurden. "Wehe Ihnen! Spielen Sie bloß nicht die Heldin! Folgen Sie ganz ruhig." "Schon klar..."murrte ich launisch. Diese Männer führten sich hier tatsächlich auf wie Gott persönlich. Wieder wurde ich den kahlen, feuchten Kellergang entlang geführt und wieder starrte ich auf den Boden: Grauer Granit... Immer noch. Nichts hatte sich hier im Gefängnis geändert, nichts in Wien, aber alles in mir. Der Kampf hatte begonnen, der unendliche Kampf. Draußen war das Wetter wunderbar. Es war ein berauschend schöner September-Nachmittag, die Sonne strahlte wie eh und je, ein warmer Wind fegte über den Asphalt und wirbelte ein paar einzelne Blätter eines nahen Ahornbaumes durch die Luft. "Na, jetzt haben Sie's aber geschafft, Fräulein. Jetzt sitzen Sie endgültig in der Scheiße" meinte einer der beiden übermütig. "Ja... Ist eigentlich schade um Dich. So ein schönes Gesicht!!" fügte der andere scherzend hinzu. Beide lachten, ich war ganz still. Erst jetzt fiel mein Blick auf ein schwarzes Auto, das am Straßenrand parkte. Geheime Staatspolizei... Einer der beiden Männern lies mich los und stieg vorne, bei der Fahrertür, ein. Der andere stieß mich hastig auf die Hinterbank und setzte sich neben mich." "Wohin geht's?" fragte ich in meinem breitesten Wiener Dialekt. "Ins Lager... Schön arbeiten." Hatte ich es doch gewusst... "Dachau?" "Keineswegs." "Wo sind die Mosers?" "Im Osten, alle im Osten." antwortete nun der fahrende Gestapo-Mann lachend. Wir fuhren eine ganze Weile quer durch Wien. Vorbei an zerbombten Wohngegenden, grünen Parkanlagen und dem wirren Stadtleben. Die Räder ratterten unter mir, die Hitze staute sich merklich im Auto. Mir wurde übel... Ich schloss die Augen und dachte nach. Wohin würden die mich bringen? Neben mir scherzten die Männer, lachten, blickten wieder zu mir herüber und waren wieder still. Plötzlich blieb das Auto ruckartig stehen, die Männer rissen die Türen auf und zerrten mich wieder hinaus in die Sonne. Ich stolperte beinahe über meine eigenen Füße, blickte dann aber auf und tatsächlich: Wir befanden uns am Wiener Hauptbahnhof. "Wo ist der Transport...?" fragte der eine den anderen. "Gleis 8, soviel ich weiß." "Auf geht's Mädel!" rief einer und zog mich mit sich. Ja, der Hauptbahnhof... Überall standen SS-Männer, Zivilisten und Soldaten herum. Das tägliche Stimmengewirr lag über dem großen Gebäude, das seinen dunklen Schatten auf die Straßen warf. Hastig liefen wir über den Bahnhof, die Gestapo-Männer hatten es anscheinend sehr eilig. Immer wieder kam ich, durch das grobe Ziehen der Männer, ins stolpern. Immer weiter liefen wir. Vorbei an Güter- und Passagierzügen, bis wir plötzlich vor einem nicht besonders langen, braunen, schmutzigen Zug der Reichsbahn stehen blieben. Trauben von Menschen warteten vor den Eingängen der Bahn. Viele von ihnen waren Juden, Juden mit ihren gelben Sternen. Sehr viele Männer waren dabei, aber auch Frauen und einzelne Kinder drängten sich in die Waggons. Da standen die SS-Männer und stießen eine Person nach der anderen in den Güterzug. "Na los..." murrte einer der Männer, die mich begleitet hatten, während der andere meine Handschellen öffnete. Schließlich schubsten sie mich zu den anderen. Dann gingen sie weg. Sie gingen einfach, ohne noch ein Wort zu sagen. Sie waren einfach plötzlich nicht mehr da. Und so stand ich dort. Vollkommen allein. Umringt von hundert fremden Menschen. Wieder fassten mich fremde, kalte Hände und zerrten mich in den Zug. Doch diesmal wehrte ich mich kein bisschen. Was hätte ich auch tun sollen? Die Männer waren sowieso zu stark für mich. Als alle im Zug waren, wurden die Türen ruckartig verschlossen, und es war dunkel. Heiß, stickig und dunkel. Durch das mit Stacheldraht abgesicherte kleine Fensterchen drang weder viel Luft noch Sonnenlicht in den Waggon. Die Menschen um mich herum zerdrückten mich fast, und es verschlimmerte sich noch, als der Zug dann endlich abfuhr. Alle Leute keuchten nach Luft, ich hatte das Gefühl, dass ich und alle um mich herum bald in Ohnmacht fallen würden. Mir wurde immer schwindliger und ich sah alles verschwommen, doch in Ohnmacht fiel ich nicht, dafür wurde mir wieder speiübel. Ratternd für der Zug weiter, immer weiter und weiter. Alles um mich herum zitterte über den rostigen Gleisen, die sich quer durch das deutsche Reich zogen. Irgendwo in einem staubigen Winkel des Waggons konnte ich ein kleines Kind weinen hören. Ansonsten war alles still, bis plötzlich eine junge Frau neben mir keuchend fragte: "Wo... wo bringen die uns hin...?"niemand antwortete. Keiner von uns wusste es in diesen Stunden, doch wir alle ahnten, dass es für uns kein guter Platz sein würde. "In Deutschland sind wir auf jeden Fall noch... Es ist alles komplett zerbombt da draußen..."antwortete endlich ein älterer Herr, der vor dem kleinen Fensterchen stand. Plötzlich konnte ich ein Schluchzen hören, dass sich bald in ein leises Weinen verwandelte. Es kam von einer dunkelhaarigen Frau, die keinen Stern trug. Sie redete mit leichtem Akzent: "Ich... Ich habe gehört, es soll schreckliche Lager geben... Die Leute sollen angeblich gezwungen werden, sehr hart zu arbeiten, und es soll dort schlimme Krankheiten und viele Tote geben...""Das kann nicht sein! Das würde die nicht tun!" rief jemand dazwischen. "Ich glaube, die würden noch ganz andere Dinge tun.." murmelte ich leise vor mich hin. "Von wo wollen Sie das wissen?" fragte die eine junge Dame schüchtern. "Ich hörte es von jemandem, der jemanden kennt, der dort war." meinte die Dunkelhaarige knapp. "Nein... ! Das - Das kann ich, nein, das will ich nicht glauben..."sagte wieder jemand. "Ich hab auch nicht gesagt, dass ich es glaube, ich habe nur gesagt, dass ich es gehört habe." erklärte die dunkelhaarige Frau. "Lassen wir das! Es nützt eh nichts!! Aber wir sollten nun unbedingt versuchen uns etwas zu organisieren!" rief ein Mann mittleren Alters der in der Mitte das Waggons stand. "Also... Weiß jemand, wie lange die Fahrt dauern wird...?" "2 oder 3 Tage. Das ich habe ich am Bahnhof von einem SS-Mann erfahren." Diese Antwort kam von einem jungen, sehr hübschen Jungen, der vielleicht ein paar Jahre älter war als ich. Er saß zu meiner rechten. "Oh mein Gott..."flüsterte die Dunkelhaarige. "Gut... Ich schlage vor, wir funktionieren eine der Ecken des Waggons zu einer Toilette um." Meinte der Mann vorsichtig. "In diesen zwei Winkeln befinden sich Mütter und Kinder, in dem da ältere Leute... Ich schlage also vor, wir verwenden diesen da." Er wies auf den Winkel rechts neben der Waggontüre. Widerwillig rückte eine Gruppe Männer, welche sich in dem Winkel befand, weiter in die Mitte des Waggons. "Wir... Wir haben einen Suppetopf dabei, den man als Toilette benützen könnte." rief eine etwas dickliche, rothaarige Frau. "Ausgezeichnet! Würden Sie ihn bitte herüber reichen? Vielen Dank!" Die Sonne warf ihr rötliches Abendlicht in den Waggon, der ratternd immer weiter fuhr. Hin und wieder riefen ein paar Männer Ortsnamen auf, die sie durch das kleine Fenster erhaschen konnten oder jemand stieg eilig über uns, die wir Großteils auf dem schmutzigen Boden saßen, hinweg um unsere "Toilette" zu benutzen. "Darf ich fragen warum Du hier bist?" fragte der hübsche Junge neben mir höflich. "Ehrlich gesagt weiß ich das selbst nicht so genau... Die Nazis sind wohl mit meiner Weltanschauung unzufrieden." "Das kenne ich... Ich bin Sozialist. Mein Name ist übrigens Stephan." Antwortete er lächelnd. "Ich heiße Anastasia. Wie alt bist du den? Ich bin 16 ½..." "Ich bin 18 Jahre alt. Hast du Familie?" "Aber ja. Ich habe zwei Brüder und meine Mutter. Sie sind alle in Wien... Ich konnte mich nicht einmal von ihnen verabschieden." "So ging es mir auch. Gehst du das erste Mal ins Lager?" fragte er sehr vorsichtig. "Natürlich. Du etwa nicht?" Er schüttelte abwesend den Kopf. "Nein, ich war bereits einen Monat in Dachau. Ich weiß nicht warum, aber dann haben mich die Deutschen da raus geholt und nach St. Pölten gebracht. Dort wurde ich nochmals verhört und jetzt... Jetzt fahr ich mit euch ins Nirgendwo." "Und? Wie war's in Dachau? Im Lager mein ich." "Das willst Du nicht wissen, glaub es mir... Ich kann nur für uns alle hier hoffen, dass das Lager, in das wir fahren, besser ist als Dachau. Wenn ich Dir einen Tipp geben darf: Wenn ich Du wäre, würde ich mir die langen Haare gleich hier im Zug ein ganzes Stück kürzer schneiden. Sonst läufst Du in Gefahr, dass man Dir im Lager die Haare komplett abschneidet. Wegen der Läuse, verstehst Du?" Ich antwortete nicht. "Soll ich sie Dir abschneiden, Anastasia? Vielleicht hat jemand eine Schere dabei..." Ich nickte still. "Aber nicht zu kurz, hörst Du?" "Entschuldigen Sie bitte, haben Sie zufällig eine Schere dabei?" fragte Stephan die dunkelhaarige Frau. "Leider nein." "Stephan, ich hab eine!" rief einer der Männer am Fenster zu uns herüber. Er begann seinen Rucksack zu durchsuchen und zog schließlich tatsächlich eine kleine, spitze, silberne Schere heraus. "Vielen Dank, Jakob." meinte Stephan und kletterte durch den Waggon, um die Schere in Empfang zu nehmen. Ich schloss die Augen. Meine geliebten Haare... Sie waren mir immer das Wichtigste meines Äußeren gewesen. Nie hatte ich mir von Mutter mehr als die Spitzen schneiden lassen. Ganz kurz öffnete ich die Augen, ich konnte sehen wie mein blondes Haar zack, zack in dicken Strähnen auf den dreckigen Holzboden fiel. Schnell schloss ich meine Augen wieder. Im Waggon war es ganz still, selbst die paar Kinder die mit uns reisten hatten aufgehört zu weinen. Zack, zack konnte ich die Schere schneiden hören bis Stephan sein Werk schließlich beendete. "Ich bin fertig. Du kannst die Augen wieder aufmachen." Ich fühlte vorsichtig nach meinen Haaren. "Schulterlang.... Wie sieht's aus?" fragte ich die dunkle Frau neben mir. "Sehr hübsch... Mein Name ist im übrigen Nitra. Ich bin eine Roma." "Was ist mit Ihrer Familie?" fragte ich zögernd. "Ich weiß es nicht... Ich wurde alleine verhaftet, als ich versuchte etwas zu essen aufzutreiben." "Wenn Sie wollen, kann ich Ihr Haar auch abschneiden..."meinte Stephan. "Nein, nein. Schon gut, Junge. Ich sehe, Sie machen das sehr fein, aber meine Haare behalte ich." Langsam brach die Dunkelheit an und wir fuhren immer noch weiter und weiter ohne Ende in Sicht. "Ich schlage vor, wir fertigen eine Liste mit den Namen aller Personen in diesem Abteil an!" rief nun wieder der Mann in der Mitte des Waggons. "Hat jemand Stift und Papier?" "Ja, hier!" die Antwort kam von einem sehr unscheinbaren Mann Mitte dreißig. "Gut... Fangen wir also an. Ich denke, wir gehen von links nach rechts." Und so rief einer nach dem anderen seinen Namen auf. "Zitter Erich, aus Wien" "Zitter Hans Paul, auch aus Wien" "Sachansky Rudolf, St. Pölten" "Templer Rebekka, Wien" "Lutzig Frieda, aus Passau" Und so weiter, und so weiter. Schließlich war Nitra an der Reihe. "Stojka Nitra, Staatenlos, bis zu letzt aber heimatlich in Wien" Als nächstes war ich an der Reihe. "Peters Anastasia Sophia, Wien" "Hotz Stephan, aus Berlin." Gerade als der letzte Lichtstrahl den Waggon verließ war auch der letzte Name von Leon Hirt, dem Mann in der Mitte der Waggons, notiert worden. "Im Waggon befinden sich 34 Männer, 21 Frauen und 6 Kinder." "61 Personen..."murmelte Stephan leise. "Kein Wunder, dass es so eng ist." Antwortete ich ihm und legte meinen Kopf auf seine Schulter. "Ich darf doch?" "Klar. Kein Problem." Ich drückte Miriams Rucksack fest an mich und schloss die Augen. Das gleichmäßige Rattern des Zuges wog mich sanft in einen seligen Schlaf. Ruckartig blieb der Zug stehen und riss mich aus dem Schlaf. Erschrocken begann eines der Kinder bitter zu weinen. "Was ist los...?" fragte die dickliche, rothaarige Herta Brunner. Ein paar Männer standen immer noch, oder schon wieder, am Fenster und versuchten etwas in der Dunkelheit zu erkennen. "Ich glaube... Wir sind in Prag." sagte Jakob. "Wo bringen die uns bloß hin...?" "Mir ganz egal. Hauptsache nicht nach Polen!" antwortete Jakob. "Wieso? Ich glaub Miriam ist in Polen..." "Wer ist Miriam?" fragte Stephan etwas überrascht. "Meine Freundin!" "Ist sie Jüdin?" "Ja, wieso?" Stephan sagte nichts mehr. Still starrte er vor sich hin in die Dunkelheit. "Was ist denn jetzt?! Was ist in Polen?!" rief ich mit belegter Stimme. Keine Antwort. Stille. "Komisch... Scheint so, als würden wir nicht mehr weiterfahren." Sagte einer der Männer am Fenster. "Woher kennst Du eigentlich diesen Jakob?" fragte ich Stephan. Ich wollte ihn etwas ablenken. "Wir waren zusammen in Dachau und St. Pölten. Ich glaube, die Nazis vermuten, dass wir in der gleichen Bewegung tätig waren." "Und? Seid Ihr das nicht?" Stephan schüttelte den Kopf. Ich spürte, dass ich langsam aber sicher auf die Toilette musste. Eigentlich hatte ich vorgehabt, es mir während der Zugfahrt zu verkneifen, aber das stelle sich bald als unmöglich heraus. So fasste ich mir schließlich ein Herz und begann über die Leute hinweg zu steigen. Zum Glück war der Suppentopf fast leer. Die Männer, welche aus der Ecke abrücken mussten, hatten den Topfinhalt in den letzten Stunden immer wieder zum Fenster hinausgeleert. Eine wohl sehr grässliche Arbeit. Ich schämte mich zwar etwas, aber schließlich zog ich doch den Rock nach oben, die Unterhose nach unten und kauerte mich über den Topf. "Ich finde, wir haben das mit dem Topf gut getroffen." meinte Stephan, als ich wieder an meinem Platz zurückkam. "Stell dir vor, wir hätten kein Gefäß aufgetrieben!" "Ja, Gott sei Dank war Frau Brunner so kooperativ." "Ach es ist schrecklich... Wie soll man denn hier nur schlafen?" Das war Nitra. "Sie haben ja gar keinen Koffer oder Rucksack dabei." bemerkte ich mitleidig. "Ja. Die Deutschen haben mich, wie schon gesagt, bei der Suche nach Essen überrascht. Ich konnte nichts mitnehmen." "Wollen Sie ihren Kopf vielleicht auf meinen Rucksack legen?" "Ach nein, Anastasia, den brauchst du doch selbst." "Unsinn, ich habe doch Stephans Schulter." "Ja, wirklich. Das ist kein Problem, nehmen Sie ruhig Anastasias Angebot an." So reichte ich Nitra Miriams Rucksack und sie nahm ihn dankbar in Empfang. "Ihr wärt so ein liebes Pärchen..."murmelte diese vor sich hin. "Oh nein. Ich habe schon eine Freundin!" flüstere ich. "Miriam?" "Genau." Und was ist mit Ihnen, Stephan? Haben Sie Interesse?" fragte Nitra kichernd. Stephan blickte mich grinsend an und sagte schließlich "Der Tag ist noch jung, Nitra." Er blinzelte mit seinen schönen, grünen Augen. Ich konnte sehen, dass es ein Scherz war. ~ Fortsetzung folg ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)