Urlaub und andere Grausamkeiten von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich hatte sie ja schon mal hier hochgeladen.... Aber dann gabs ein durcheinander bei der Kapitelverteilung und da ich eine absolute Null bin in solchen Sachen hab ich sie einfach gelöscht - und jetzt kommt sie wieder - in neuem Design und mit etwas weniger Rechtschreibfehlern... ^_^ URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN "Ich bin wieder da!" Türeknallend betrat ich die Wohnung. Schnurstracks lief ich in mein Zimmer, entledigte mich unterwegs meines Rucksacks und meines Sweatshirts, das mir am Körper klebte. "Mandy?" Meine Mutter steckte ihren Kopf in mein Zimmer. Sie war mal wieder beim Frisör gewesen, bei ihrer Pagenfrisur lag ein Haar exakt neben dem anderen, alle Millimeter genau gleich lang geschnitten. "Na, wieder Tratschen gewesen?", flachste ich. "Wieso, sieht man, dass ich beim Frisör war?" "Nicht nur, man riecht es." "Du riechst aber auch komisch", behauptete meine Mutter, während ich im Schrank nach frischen Klamotten kramte. "Nach Arbeitsschweiß", gab ich ziemlich gereizt zurück. Mir war, als müsste ich gleich aus der Haut fahren. Ich fühlte sich wie auf einem Ameisenhaufen, am ganzen Körper juckte und kribbelte es. "War's denn so anstrengend?", fragte Mutter mitfühlend und hob eine Hand, der ich ansah, dass sie mir mütterlich und fürsorglich übers Haar streichen wollte. "Rühr mich bloß nicht an! Ich muss gleich unter die Dusche", sagte ich und meine Mutter ließ im Zeitlupentempo ihre Hand sinken. Mir war schon klar, das dieses unangenehme Gefühl auch unter fließendem Wasser nicht verschwinden würde. Ich kannte das von früher, oft hatte ich mich deshalb als Kind wundgekratzt. 'Wasser! Eine unendliche Wasserfläche, in die ich ganz eintauchen kann, damit es endlich nachlässt!' Meine Mutter folgte mir mit etwas Abstand ins Badezimmer. In der Badewanne stand ein vollgehängter Wäscheständer, der weder unter einem genervten, noch morddrohenden Blick verschwand. Sehnsüchtig dachte ich an Karstens elegantes Elternhaus, in dem es drei Bäder gab. Karsten und ich besuchen die gleiche Klasse seit der Grundschule und waren die besten Freunde. Wie gerne wäre ich jetzt bei ihm und in seinem Gästebad. Meine Mutter räumte eilig den Wäscheständer hinaus während ich mich meiner Jeans entledigte. Ich stöhnte auf. 'Autsch! Meine Arme, meine Schulter! Verflucht, alles tut weh!' "Ist es denn so schlimm?", fragte Mutter und drehte ohne abzuwarten den Wasserhahn der Badewanne auf. "Schlimmer", sagte ich, "Aber deshalb musst du mich noch lange nicht wie ein Kleinkind behandeln!" Ich hatte mir so um meinen zwölften Geburtstag herum geschworen, mich nie wieder betütteln zu lassen, auch wenn sich meine Mutter wohl nur schwer daran gewöhnen würde. Meistens funktionierte das auch ohne Probleme, jedenfalls solange mein Vater da war und die ganze Aufmerksamkeit meiner Mutter beanspruchte. Sie musste ihm dann den Bart rasieren, die Haare schneiden, mindestens einmal in der Woche mit Hilfe einer Spezialpinzette Kakteenstacheln aus den Händen ziehen und Pickel, an die er nicht herankam ausdrücken. Lauter widerliche, ekelerregende Aktivitäten. Ich fragte mich oft, wie meine Mutter das nur aushielt. Leider war mein Vater verreist, auf einer seiner unzähligen und ewig andauernden Exkursionen mit seinen Studenten. Diesmal war er auf Sizilien. Meine Mutter und ich mussten also mal wieder die Sommerferien alleine verbringen, deshalb hatte sie nun auch viel Zeit, mich zu verhätscheln. Zum x-tausendsten Mal fragte ich mich, warum mein Vater seine dämlichen Exkursionen aber auch ausgerechnet in den Ferien machen musste, anstatt mit seiner Familie oder wenigstens mit seiner Frau zu verreisen. Seufzend setzte ich mich in die inzwischen halb volle Wanne, ließ das heiße Wasser auf meinen schmerzenden Körper niederprasseln. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass meine Mutter das Badezimmer verlassen hatte, erst als sie mir eine dampfende Tasse Tee unter die Nase hielt bemerkte ich sie. Dampf erfüllte das kleine Badezimmer und ich konnte die Frau, die sich nun an den Türrahmen lehnte, kaum noch erkennen. "Peter hat angerufen", erzählte sie. "Und?" "Er hat gesagt, er würde bald vorbei kommen." "Schön für dich." Ich schloss die Augen und ließ mich unter dass heiße Wasser gleiten, meine Mutter zog die Tür zwischen uns zu. Peter war mein Bruder, zur Zeit ist er beim Bund. Unsere Mutter geriet immer völlig aus dem Häuschen, wenn er mal wieder einen seiner - zum Glück - kurzen Besuche ankündigte. Sie verhielt sich dann immer so, als hätte sie ihren armen Sohn jahrelang nicht mehr gesehen und als käme er direkt aus einem Krieg zurück. Tatsache war jedoch, dass er fast jedes Wochenende nach Hause kam und dann ständig das Badezimmer mit einem Berg schmutziger Wäsche blockierte. Während unsere Mutter sich darum kümmerte verschwand er zu seiner Freundin und lässt sich immer nur zu den Mahlzeiten blicken - oder auch nicht. Ich finde, dass Peter Mutter ausnützt und schon fast ein solcher Egoist ist, wie unser Vater. Aber Mutter schein davon nicht mitzubekommen. Echt, sie lässt sich total von den beiden unterdrücken. Unter der Dusche oder in der Badewanne kommen mir immer solche Gedanken. Manchmal denke ich, in so einer Situation könnte ich ganze Revolutionen planen. Aber bei meiner Machofamilie hatte ich schon längst die Hoffnung aufgegeben, dass sich da noch irgend etwas ändern würde. Wenigstens bin ich nicht so wie die anderen männlichen Mitglieder! *** Von Kopf bis Fuß mit Babyöl eingerieben und in einen weichen, kuscheligen Bademantel gehüllt saß ich eine halbe Stunde später mit feuchten Haaren im Wohnzimmer. "Tee und Gebäck stehen in der Küche, Lasagne ist auch noch im Backofen, falls du möchtest", sagte meine Mutter, während sie ihre Noten in der Tasche verstaute. "Und föhn dir die Haare, sonst wirst du noch krank!" Ich brummelte nur etwas vor mich hin während ich beobachtete, wie sie ihren berühmten Blick aufsetzte, den sie immer bekam wenn sie in Richtung Chorprobe verschwindet. Unschlüssig blieb sie jedoch noch an der Schwelle stehen und drehte sich zu mir herum. Das ist ja mal was ganz neues. "Ist noch was?", fragte ich. "Ja, eigentlich... wir sollten mal miteinander reden." 'Häh, was is'n jetzt los?' Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und brachte es auch nicht fertig, zu fragen, über *was* wir denn reden sollte, also zuckte ich nur die Schultern. "Dann bis später", sagte sie noch, ehe sie entgültig verschwand. Ich stapfte in die Küche, schnappte mir das Gebäck und schnupperte am Tee. 'Hmm, Vanilletee!' Mit diesen Köstlichkeiten beladen ging ich zurück ins Wohnzimmer, schaltete mit dem großen Zeh die Stereoanlage an und hätte beinahe alles fallen lassen, als in voller Lautstärke Modern Talking ertönte. Meine Mutter hatte heute also die Wohnung geputzt. Viel zu faul jetzt nach einer 'richtigen' CD zu suchen schaltete ich diese furchterregende Musik wieder ab und kuschelte mich auf das Sofa. Während ich den - noch viel zu heißen - Vanilletee trank und ab und zu nach einem Keks griff dachte ich über das Verhältnis meiner Eltern nach. Konnte man dazu überhaupt Verhältnis sagen? Mein Blick fiel auf das hell erleuchtete Aquarium, das fast die ganze Fensterseite des Wohnzimmers einnahm und beinahe gleichzeitig dachte ich an die nahezu hundert verschiedenen Kakteenarten im Gewächshaus. 'Mit seinen dämlichen Kakteen und Fischen verbindet Paps wohl viel mehr als mit Mama! Wenn er so was wie Leidenschaft besitzt, dann entwickelt er sie wohl nur für diese ekelhaften, glubschäugigen Monster und die stachligen, gemeingefährlichen Kakteen!' Mein Vater verbrachte mit der Pflege dieser Kreaturen und Pflanzen die meiste Zeit zu Hause, oder wertete an seinem Mikroskop und eigens dafür angeschafften Computer Meeresbodenproben aus. 'Ob meine Eltern wohl überhaupt manchmal miteinander Sex hatten?' Nein, der Gedanke war so abwegig, dass ich ihn gleich wieder verwarf. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, sie jemals in einer Umarmung oder bei einem Kuss beobachtet zu haben. Aber ich hatte auch ehrlich gesagt keine gesteigerte Lust darauf. 'Ob sie wohl je so was, wie ein Liebespaar waren?' Mussten sie wohl, sonst würde es mich und meinen dämlichen Bruder ja nicht geben. Aber irgendwie war der Gedanke seltsam, so unwirklich. Ich starrte in die Unterwasserlandschaft aus Korallen, Meeresfarnen und Steinen. Ab und zu schwamm einer dieser ekligen Fische in mein Blickfeld. Verliebtsein fand ich sowieso eher albern. Schließlich war Selbstfindung doch das Wesentliche, oder? Nun hatte ich entgültig genug von meinen destruktiven Gedanken. Sie zogen mich nur herunter und änderten doch nichts. Ich ließ alles stehen und liegen und ging in mein Zimmer, zog mir meinen weichen Pyjama an und kuschelte mich in mein Bett. Es war zwar erst halb zehn, aber schließlich hatte ich morgen wieder einen harten Tag vor mir. Von wegen Ferien! *** Der Tag lief wie die vorherigen genau so qualvoll. Meine Arme fühlten sich an, als hätte ich in einem Ameisenhaufen gewühlt. Ich fühlt die mitleidigen Blicke der anderen auf mir, die waren das ja schon gewohnt! 'Nur noch drei Wochen, nur noch drei Wochen, nur noch drei Wochen...' Gedanklich versuchte ich mich anzuspornen, vor allem als ich sah, wie Manuela neben mir die Kartons ohne größere Anstrengungen in sekundenschnelle packte. Es konnte schließlich nicht angehen, dass ein *Mädchen* damit keine Probleme hatte und ich als Junge kläglich versagte. Auch nicht, wenn das Mädchen Oberarmmuskeln wie Arnold Schwarzenegger hatte! Was tut man nicht alles für seinen Traum. *** Die Mittagspause war für meinen Geschmack viel zu kurz und so hatte ich das Gefühl, gar keine gehabt zu haben. Zu allem Unglück fiel ich auch noch über so einen verdammten Karton und prellte mir den Arm. Mir war zum Heulen zumute und ich spielte mit dem Gedanken, alles stehen und liegen zu lassen und mit diesem verfluchten Ferienjob Schluss zu machen. Dann dauerte es halt länger, bis ich mir meine Japanreise leisten konnte, na und? Gott sei Dank war der Bandleiter ein echt netter Kerl, denn als er merkte, dass ich für diesen Job absolut ungeeignet war schickte er mich zur Personalabteilung. Dort wurde ich dann auch gleich weiter geschickt in die Postabteilung zu Herrn Frick. Der zeigte wenig Begeisterung über mein Erscheinen und der Tatsache, dass ich ihm helfen sollte, aber das war mir so was von egal. Hauptsache keinen Job am Band! Herr Frick hatte Hasenzähne, fettige Haare und abgenagte Fingernägel. Er trug einen dämlichen Arbeitskittel aus steifen, blauen Drillich. Die Sympathien, die wir füreinander hatten waren auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt und bewegte sich so im Nullerbereich. "Und wie lange wollen Sie bleiben?", fragte er mürrisch, als ich mich vorgestellt und mein Anliegen vorgebracht hatte. "Drei Wochen", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Dann brauchen Sie gar nicht erst anfangen, Fräulein. Das kapieren Sie in der Zeit eh nicht." Er lachte höhnisch und ich sah es nicht ein, ihn über seinen Fehler aufzuklären. Es war - zu meinem Leidwesen - nicht das erste Mal, dass man mich für ein Mädchen hielt. Wer gab seinem Sohn auch den beschissenen Namen *Mandy*? Leider klang mein Name nicht nur wie der eines Mädchens, ich sah auch noch so aus. Hatte einfach zu viel von meiner Mutter vererbt bekommen: die schmale Gestalt, die zierlichen Gliedmaßen, die helle Haut und diesem sanften Gesichtsausdruck. "Wie meinen Sie das?", fragte ich stattdessen. "Das System meine ich. Wie die Post sortiert wird." "Und was ist daran so schwer zu verstehen?" Er starrte mich aus grauen Äuglein an, als hätte ich die ganze Welt in frage gestellt. "Ich mache das hier nun seit mehr als zwanzig Jahren, Fräulein, da werden Sie mir doch sicher glauben, wenn ich sage, dass so ein junges Ding wie Sie das niemals in einer Woche lernen kann." 'Wozu mich mit dem alten Ekel anlegen? Ganz ruhig bleiben!' Ich erwiderte also nichts, sah ihm nur zu wie er die Post sortierte. Soweit ich es mitbekam waren die einzelnen Abteilungen mit schlichten, arabischen Zahlen auf Aktendeckeln vermerkt. Als er mit dem sortieren fertig war, schob er die Postwanne zu mir herüber, sah mich mit in die Seiten gestemmten Hüften an und sagte: "Na dann teilen Sie das mal aus." Echt, beinahe hätte es mich aus den Latschen gehauen, der Korb war mindestens genau so schwer wie eine dieser verdammten Kisten, die ich sonst geschleppt hatte. Herr Frick lachte. "Na, was habe ich Ihnen gesagt?" Davon war zwar nie die Rede gewesen, aber das schien ihn nicht zu stören. Stöhnend ließ ich den Korb wieder fallen und fragte: "Gibt es dafür denn keinen Wagen oder so?" "Wagen, Wagen", brummelte er, "Ich trage die Post nun schon seid zwei Jahrzehnten in die Abteilungen - ohne Wagen." Dann nahm er die Hälfte der Post wieder aus dem Korb und meinte: "Machen Sie eben die Abteilungen eins bis sechs und ich mache den Rest." Mann, freuten die sich, wenn ich auftauchte. Jeder dieser Bürofritzen versuchte witzig und/oder geistreich zu sein. Und was tat ich? Ich lachte wie ein Honigkuchenpferd, redete den gleichen Quatsch zurück und sammelte nebenbei die Poststücke ein, die zur Weiterbearbeitung in andere Abteilungen mussten. Als ich von meinem ersten Rundgang zurückkam saß Herr Frick in der Poststube und knabberte an einer Stulle. "Und, wie war's?", fragte er mich - erwartungsvoll? "Anstrengend", sagte ich. "Haben Sie auch nichts verkehrt gemacht?" Ich fragte ihn ernsthaft, was man hätte verkehrt machen können. Er schien mir deswegen ein wenig frustriert, aber das war mir total egal. Alles, was ich jetzt noch wollte, war nach Hause, ein warmes Bad und dann ins Bett. *** Gerade als ich die Tür aufschloss läutete das Telefon. Mama schien nicht da zu sein, also nahm ich gezwungenermaßen ab. "Hier spricht Lucas Berger", meldete sich jemand. "Ja, wen wollen Sie sprechen?" "Ich bin ein Freund Ihres Sohnes, gnädige Frau." Arg, wenn ich nicht wäre wer ich bin, hätte ich das wohl lustig gefunden, so regte es mich aber nur auf. Innerlich stand ich kurz vor der Explosion, ich konnte nicht glauben, dass ich mich selbst am Telefon wie ein Mädchen anhörte. "Ich bin nicht meine Mutter, ich bin nur der *Sohn*", sagte ich frostig. "Oh." Stille. "Dann bist du's, Mandy." Auf einmal schien es Klick zu machen und mein Gedächtnis meldete sich wieder. Natürlich, Lucas, mit dem war Peter doch in einer Klasse und spielt auch heut noch hin und wieder Basketball mit ihm. Wenn er sich von seiner Freundin losreißen konnte. "Hab' deinen Familiennamen noch nie gehört", sagte ich. Es kam mir irgendwie vor wie eine Entschuldigung, aber was besseres fiel mir nicht ein. "Tja, woher solltest du ihn auch kennen, wir haben uns ja eh so gut wie nie gesehen und richtig unterhalten schon gleich gar nicht." Eigentlich war mir das ja so ziemlich egal, aber seine Stimme hörte sich echt sympathisch an, irgendwie weich und wie Musik. Mir fiel ein, was Peter mal über ihn gesagt hatte, nämlich dass er stockschwul sei. 'Vielleicht deshalb die sanfte Stimme?' "Du wolltest sicherlich Peter sprechen?", fragte ich. "Eigentlich ja. Es war kürzlich davon die Rede, dass er nach Berlin fährt." 'Eigentlich?' "Davon weiß ich nichts, aber er kommt Freitag zurück. Sonst noch was?" Mir war nicht danach, die Angelegenheiten meines ach so tollen Bruders zu regeln, ich wollte viel lieber baden, essen und dann schlafen. "Bleib noch dran", bat Lucas. 'Hä? Wieso?' "Wieso?" "Na ja, ich versuche mir gerade vorzustellen..." Pause. "Was?" "Wie du jetzt wohl aussiehst." Bitte? Was sollte denn das jetzt? Auf dem Wohnzimmertisch entdeckte ich eine Schüssel Nudelsalat, eine Coke und Weintrauben, die mich irgendwie anzubetteln schienen, zu ihnen zu kommen und aufzuessen. "Du, ich hab echt außerordentlich wenig Zeit", log ich und versuchte dabei, meiner Stimme einen ernsthaften Klang zu geben. Ich versagte wohl kläglich, denn es hörte sich spöttisch an, als Lucas sagte: "Wenig Zeit? Du sitzt sicher mit einer Cola und einer Familienpackung Salzletten vor dem Fernseher." Hahaha. Wie witzig. "Zufällig nicht und jetzt muss ich leider auflegen", sagte ich frostig. "Früher tatest du das jedenfalls", bemerkte er noch schnell. "Ich meine vor dem Fernseher hocken und so weiter - bist du immer noch so dick?" Jetzt reichte es mir! Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? "Ja, wenn du's schon wissen willst. Und außerdem habe ich Akne, Körpergeruch und Depressionen!" Das alles war eine faustdicke Lüge, aber was besseres fiel mir in der Eile nicht ein. Lucas lachte leise. "Aha, das dachte ich mir schon. Du Ärmster, könntest du Peter ausrichten, dass ich angerufen habe? Oder nein, sag ihm lieber, dass ich am Samstag mal vorbeischaue!" "Okay, sonst noch was?" "Sonst nichts", sagte dieses ausgemachte und vollendete Ekel, "und noch viel Spaß - beim Fernsehen." Ohne noch etwas zu sagen legte ich den Hörer auf und ging in das Wohnzimmer. Neben der Schüssel lag eine Mitteilung meiner Mutter: "Bin bei der Ortschaftsratsitzung, du weißt schon. Komme so gegen halb neun. Würstchen sind im Backofen. Kuss, Mama" Außerdem lag noch ein Stoß bunter Reiseprospekte auf dem Tisch. 'Nanu, wofür denn das?' Ich wollte mir gerade die Würstchen holen, als ich merkte, dass mir irgendwie der Appetit vergangen war. Ob das an dem Anblick des verhassten Aquariums lag, das fröhlich vor sich hin blubberte? Oder an dem beschissenen Telefongespräch mit diesem Möchtegern-Macho? Ich setzt mich mit dem Rücken zu den Fischen, damit mich wenigstens nicht ihr sinnloses hin und her schwimmen nicht ablenkte und widmete mich ganz den Prospekten. Was hatte meine Mutter wohl dazu bewogen all diese Prospekte mit nach hause zu schleppen? Spielte sie etwa mit dem Gedanken, in Urlaub zu fahren? Undenkbar. In Sachen Urlaub betrieben meine Eltern wahrlich keinen Luxus. Jedenfalls nicht, wenn ich das mit den anderen vergleiche: Jennifer und Mark beispielsweise waren letztes Jahr mit ihren Alten in Amerika. Eine Woche New York und dann mit einem Wohnmobil quer durch nach L.A.! Und wir? Mit den Rädern durch das Altmühltal. Und die ganze Zeit regnete es. Wenn ich nur daran denke, wie wir versuchten die Zeltkrampen in den Morast zu schlagen, wird mir heut noch schlecht! Das Telefon klingelte schon wieder. Hoffentlich war es nicht schon wieder Lucas, dem noch etwas dämliches eingefallen war. Gleich darauf erschrak ich, weil die Stimme meines Vaters so laut dröhnte, als stünde er direkt neben mir im Wohnzimmer. "Mandy? Kannst du Mutter holen?" "Sie ist nicht da." "Mama ist nicht da?" Pause. Verwunderung und erstaunen von Sizilien bis nach Stuttgart. "Wann kommt sie denn wieder zurück." "Keine Ahnung." Kein Wort von der Ortschaftsratssitzung. Ein bisschen Sado musste schließlich sein und würde meinem Vater auch nicht schaden. Da ich sowieso fand, dass Mama sich viel zu viel von ihm gefallen ließ. "Richte ihr bitte aus, dass wir einen Maschinenschaden haben und immer noch im Hafen liegen. Dadurch verzögert sich logischerweise nun das Auslaufen um ein paar Tage." "Aha." "Bist du noch dran, Mandy? Ich kann dich kaum verstehen." "Ich sagte nur 'aha'." "Ich werde Montag Abend wieder anrufen. Sag ihr bi-..." Knack. Knack. Aus. Die Leitung wurde unterbrochen. Ich schwöre hoch und heilig das ich nicht *absichtlich* auf die Gabel gedrückt habe. Montagabends hatte meine Mutter schon seit ich denken kann Chor, alle Welt wusste dass, nur mein lieber Herr Papa schien davon nichts mitbekommen zu haben. Ich machte es mir auf der Couch bequem und zappte durch die Fernsehprogramme. Überall nur Quatsch, politische Eierköpfe die sinnlos diskutierten. Schließlich blieb ich an einem Programm hängen, an dem die Ansagering gerade "Let's talk about sex!" verkündete. Wie es sich herausstellte ging es um Verhütungsmittel und Ähnliches. Ein Mädchen, das bestimmt jünger war als ich, laberte eine viertel Stunde über ein Diaphragma, das die Liebeslust nicht beeinträchtigen würde, viel besser als die Pille sei und das wunderbarste Ding zu sein schien, das dieses Mädchen kannte. Kopfschüttelnd schaltete ich ab. Wie konnte man über so ein Thema nur so offen seine Meinung verbreiten? Mir war unsagbar langweilig, also ging ich ins Badezimmer und ließ heißes Wasser in die Wanne. Ein Blick in den Spiegel war ernüchternd. Ich sah richtig bleich aus, total fertig und abgebrannt. 'Das kommt alles nur von dieser dämlichen Schufterei!' Selbst meine Igelfrisur schien heute total trostlos. Vielleicht fehlte aber auch nur ein neuer Akzent - den Hinterkopf ausrasieren oder einen Irokesenschnitt. Oder einfach nur mal färben. Irgendwie schlich sich das Gefühl von Verlassenheit bei mir ein und wehmütig dachte ich daran, dass Karsten und Mark jetzt bestimmt jede Menge Spaß und Action erlebten. Und wahrscheinlich gabelten sie gerade jede menge scharfe Mädels auf. Nicht, dass mich das interessiert hätte, aber es war immer amüsant, den beiden beim baggern zuzusehen. Sie waren die absolutesten Mädchenschwarme und es gab kaum eine, die sie nicht rumkriegen würden. Was man von mir nicht behaupten konnte. Mein Aussehen war nur durchschnittlich, viel zu mädchenhaft und ich galt als absoluter Softie. Ich war noch nie verliebt, hatte noch nie eine Freundin und das hat mir noch nie etwas ausgemacht. Ich wollte niemanden. Wenn ich mir so die Mädels aus meiner Klasse ansah, verging es mir wieder und ich konnte wirklich verstehen, warum manchen Jungs schwul waren. Da war zum Beispiel diese Zicke namens Jasmin, deren Röcke nie kurz genug sein konnten und somit jede Menge dickes Bein freigab. Oder Sandra, die sich ständig darum riss, Klassen- oder Schülersprecherin zu werden, die war eine richtige Streberin. Oder Cornelia, auch Conny genannt, die ständig damit beschäftigt ist, ihre Nägel zu reinigen und zu feilen. Und die meist Zeit leuchteten widerliche rote Pickel an ihrem Hals und ihren Schultern. Ich weiß das genau, weil sie genau vor mir sitzt und ich die ganzen deprimierenden Einzelheiten betrachten kann. Und trotzdem besaß ich noch Überlebenswillen, denn mein Blick fiel auf die nun mit heißem Wasser und Schaum gefüllte Badewanne. Ich versenkte meinen Körper in Schaumbergen, lehnte mich zurück und schloss genießerisch die Augen. *** Ich war gerade dabei mich mit Babyöl einzureiben, als ich hörte, wie der Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde. Gleich darauf klopfte meine Mutter an die Türe ehe sie diese öffnete. Ich hatte keine Probleme damit, unbekleidet vor meiner Mutter zu stehen. Schließlich war sie ja meine Mutter und nicht irgendeine Frau. Sie sah aus, als wolle sie gleich mit etwas wichtigem loslegen. "Papa hat angerufen", sagte ich noch bevor sie anfangen konnte. "Schade, dass ich nicht da war." "Er hat nur gesagt, dass es wegen eines Schadens länger dauert, da sie nicht auslaufen können." "Ach so", sagte sie und klang enttäuscht. "Tut mir leid Mama, aber er ruft Montag wieder an." "Montag?" Unschlüssig stand sie an der Türe. "Weißt du, ich überlege, ob ich nicht einfach für ein paar Tage verreise." Sie sah mich fragend an. "Mach das", riet ich ihr, "Sicher geht's dir dann wieder besser. Ich finde es ausgezeichnet, dass du dir auch mal was gutes gönnst!" "Aber was wird Papa dazu sagen?" "Pff. Der wird natürlich dagegen sein. Aber er fragt dich schließlich auch nicht, wenn er mit seinen Studenten wochenlang unterwegs ist." "Und Studentinnen...", murmelte Mama gedankenverloren. Irgendwie bestätigte mir das mein Gefühl, dass es in der Ehe meiner Eltern schon länger kriselte. "Wo willst du denn hin?" "Ach, weißt du, ich hätte Lust, mal wider das Meer zu sehen. Es ist schon ewig her, dass ich über einen Strand gelaufen bin und den Sonnenuntergang beobachten habe." "Dann fahr ich mit!" Ich verschwendete nicht einen Gedanken an meinen Ferienjob oder irgend etwas anderes. Ich wollte auch mal wieder ans Meer und überhaupt, mir würde ein richtiger Urlaub auch mal gut tun. "Du würdest wirklich mit wollen?", fragte Mama ungläubig. "Himmel, ja! Ich brauch das!" "Aber dein Ferienjob?" "Pah, ich geh da jetzt noch eine Woche hin und dann sag ich denen halt was von einem Trauerfall in der Familie und ich dringend zu einer Beerdigung fahren müsste. Oder so was ähnliches halt." "Und was machen wir mit den Fischen?" "Peter hat doch Urlaub. Also kann er statt die ganze Zeit bei Susi zu hocken zur Abwechslung mal bei uns im Wohnzimmer sitzen und auf die dämlichen Viecher achten." "Ob sie das machen würden? Vielleicht finden wir in der Eile nichts passendes? Und natürlich muss ich vorher noch mit Papa reden." "Hey, ich dachte, ihr Frauen hätten vor Jahren mal um Gleichberechtigung und so was gekämpft", frotzelte ich. "Natürlich haben wir das." "Na, dann kann es Papa ja egal sein, ob wir fahren oder nicht. Du muss das jetzt endlich mal durchsetzen!" *** Die nächsten Tage verliefen richtig angenehm. Der Ferienjob war um einiges besser geworden, seit ich *nur* die Post austeilen und einsammeln musste - ich hab die Leute dort immer noch nicht darüber aufgeklärt, dass ich ein Junge war und somit hatte ich ein paar von den jungen Azubis am Hals, die mich ständig blöd von der Seite anmachten. Ich stellte mir immer die dummen Gesichter vor, wenn ich ihnen bevor ich gehe offenbaren würde, mit *wem* sie da die ganze Zeit - einseitig, wohlgemerkt - geflirtet hatten. Als ich Freitag nach Hause kam stolperte ich beinahe über einen Berg Schmutzwäsche im Flur. Peter war also angekommen. Er ist nicht unbedingt das, was man als gutaussehend bezeichnen würde. Oder doch? Als Bruder habe ich kein besonderes Gefühl dafür. Ältere Damen, einschließlich Mama, liebten ihn jedenfalls. Er ist sehr groß, mindestens 1,95 Meter. Sein Gesicht ist nicht perfekt, er hat viel zu dicke Lippen, die ihm den Ausdruck eines kleinen Jungen verliehen. Vielleicht ist es ja sein Lächeln. Er lächelt ständig. Oder die Augen. Blau sind sie, allerdings nicht so tief und lebendig wie meine, eher ein wenig verwaschen. Seine kurzen, blonden Haare sind exakt gleich lang. Irgendwie wird er unserem Vater immer ähnlicher. Ich verschwand in meinem Zimmer und zog mich um. Wenn man nämlich den ganzen Tag mit dieser verdammtem Post durch die gegen rennt ist man abends wie ein Langstreckenläufer durchgeschwitzt. Durch die geöffnete Zimmertüre konnte ich das Gespräch zwischen Peter und Mama hören. Schließlich rief mich Mama, ob ich denn nicht auch ein Stück Käsekuchen haben möchte. Ich stolperte also über diesen Wäscheberg in Richtung Küche. Peter saß am Tisch, ein geöffnetes Bier und Kuchen vor der Nase - eine ekelhafte Kombination. "Oje, du hast dich wohl prima angepasst - Bier aus der Falsche", begrüßte ich ihn. Mama schob mir ein Stück Käsekuchen zu. "Du sagst es, Brüderchen. Ich komme gut klar. Ich liebe unser Vaterland, ich liebe unseren Verteidigungsminister und ich liebe das Natobündnis. Aber das Neueste wisst ihr noch nicht!" Mama betrachtete ihn, als wollte sie ihn aus lauter Liebe auffressen, ich zog nur skeptisch die Nase kraus. "Ich habe mich für ein paar Jahre verpflichtet." "Was?" Mamas Augen wurden so groß wie Untertassen. "Als was?", wollte ich wissen. "Als Mediziner. Ich habe mich für die Laufbahn eines Sanitätsoffiziers entschieden, das ist eine klare Sache. Keine Probleme mit dem Studienplatz. Der Bund zahlt die Ausbildung, danach werde ich Stabsarzt, später sieht man weiter." Ich war kurz vor dem Ausrasten. "Du als Arzt?", schrie ich. "Wo du doch kein Blut sehen kannst und keine Scheiße..." "Mandy, ich bitte dich!", mischte Mama sich ein. "Ist doch wahr. Vielleicht erinnerst du dich noch: als wir uns über Wehrdienstverweigerung, Altenarbeit und Katastrophenschutz unterhielten." "Man entwickelt sich eben weiter.", erklärte Peter und Mama sah in an, als würde sie ihm glauben. "Da wird Susi sich aber freuen - und Papa erst. Mein Bruder bekommt ein Stipendium von der Bundeswehr. Also nee!" "Warum nicht?", sagte Peter und widmete sich nebenher einem weiteren Kuchenstück. "Schließlich ist es egal, was man macht und wo man arbeitet. Drinnen oder draußen. Am Menschen oder am Computer." "Medizin zu studieren ist doch keine schlechte Idee.", unterstützte Mama Peter. "Mama, nicht für jemanden, der kein Blut sehen kann und Menschen nicht anfassen mag!" "Hab ich nie gesagt!" "Doch, hast du." "Ist doch auch egal. Jedenfalls hab ich einen festen Arbeitsplatz und das ist immerhin viel wert." Ich bezweifelte, dass Peters Entscheidung entgültig war. Vor zwei Jahren wollte er unbedingt Sportlehrer werden, letztes Jahr hat er von der Absicht geträumt, in den Entwicklungsdienst irgendwo in Afrika zu gehen und jetzt das. Peter betrachtete mich wissend mit seinen verwaschenen blauen Augen. 'Wie schön für uns, dass wenigstens *er* sooo schlau ist!' "Ich hab noch was zu erledigen. Wenn ihr nichts dagegen habt, nehm ich die Teekanne mit in mein Zimmer.", murmelte ich. Als ich an der Türschwelle stand läutete das Telefon und Peter hastete an mir vorbei in den Flur. Er brachte sogar das Kunststück fertig, nicht über seine eigene Schmutzwäsche zu stolpern. Er war noch keine zehn Minuten zu Hause und schon rief *seine* Susi an. Die beiden waren schon ewig zusammen und wahrscheinlich war ich der Einzige in unserer Familie, der Peters Freundin absolut grässlich fand - eine Spießerin, immer anständig angezogen in Spießerklamotten, mit blonder Pagenfrisur. "Denk dran deiner Liebsten zu sagen, dass sie einen Teil des Urlaubs an Papas Fische abgeben muss.", erinnerte ich Peter. Der drehte sich prompt zu mir um und zischte giftig: "Darüber müssen wir uns noch unterhalten. *** Es war Samstag Nachmittag. Genießerisch lag ich auf der Couch und trank meinen Vanilletee. Herrlich, einfach mal nichts zu machen! Meine Mutter kam unüberhörbar vom Einkaufen zurück, stöhnend ließ sie die vielen Tüten auf den Küchentisch sinken. Neugierig kam ich rüber, aber als ich die Menge betrachtete fiel es mir schlagartig ein: Ausverkäufe! Ich wollte schon wieder den Rückzug antreten, als Mama mich entdeckte und mich freudig anlachte. Gequält lächelte ich zurück. Verdammt, jetzt musste ich mir die ganzen Einkäufe anschauen. Als erstes zog sie Frotteebetttücher hervor. Mitten im Sommer! Die Vorstellung, wie die sich jetzt wohl auf der Haut anfühlen würden war absolut widerlich. Badelatschen in grässlichem Pink. Eine ekelhaft geblümte Textile. Mir schwante übles. "Was ist das?", fragte ich angewidert. "Bermudas - für dich. Ich dach-..." "Nein!", unterbrach ich sie. "Mama, wie oft soll ich dir es denn noch sagen, dass ich so was nicht anziehe. Blümchenkram ist höchstens was für Mädchen und Weicheier. Ich will nichts mit Streifen, Blümchen, Karos und sonstigen Mustern. Einfach einfarbig!" "Na, macht nichts, dann zieh *ich* sie eben an. Gut, dass wir die gleiche Größe haben." Das muss man sich mal vorstellen. Ich konnte ohne Probleme die Klamotten meiner Mama anziehen und umgekehrt. Welcher 17jährige Junge konnte das sonst noch behaupten? Heute Morgen hatten wir bereits unseren Urlaub gebucht. Nicht weit vom Mittelmeer entfernt in Italien. Natürlich war so gut wie alles ausgebucht, aber ein Reisender hatte von seinem Rücktrittsrecht gebrauch gemacht und so kamen Mama und ich nun in Genuss dieses Urlaubs. Und Mama meinte, jetzt noch alles mögliche dafür einkaufen zu müssen. Papa wusste noch nichts davon, er hatte sich noch nicht gemeldet und wenn er anrief war es dann sowieso zu spät. Und Peter? Ich glaube, wenn es nach ihm gehen würde, würde er Papas heißgeliebtes Tropenaquarium im 'Sperrmüll'[1] anbieten. Aber Peter ist gottlob ein wohlerzogener Sohn also wird er nun wahrscheinlich eine Woche lang knutschend mit Susi auf unserer Wohnzimmercouch sitzen. "Glaubst du, dass ich so was noch tragen kann?", fragte Mama in meine Gedanken hinein und hielt sich ein Bikinioberteil vor den Busen, auch so ein grässliches Ding in Blümchendesign in Rosa und Lila. Die dazugehörige Hose hatte Beinausschnitte bis unter die Achselhöhlen. "Das ist doch nicht dein Ernst?", fragte ich, als es draußen klingelte. Bevor meine Mutter sich rühren konnte ging ich zur Tür - nicht, dass es ihr noch in den Sinn kam, mit vorgehaltenem Büstenhalter den Briefträger zu empfangen. Es war leider nicht der Briefträger, sonder Lucas, bei dessen Anblick mir siedend heiß einfiel, was ich Peter hätte ausrichten sollen... Ich hatte es vergessen. Er betrachtete mich von oben bis unten, schien irgendwie überrascht. "Hey - Mandy?" "Ja, immer noch. Tag Lucas. Peter ist nicht da." Lucas sah nicht so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er sah nett aus. Nee, Quatsch, das traf die Wirklichkeit nicht im mindesten. Er sah überdurchschnittlich gut aus. Enge Jeans, ein Sporthemd, das breite Schultern bedeckte und eine etwas aufgeschrammte Lederjacke, die er lässig über einer Schulter trug. Er sah irgendwie aus wie ein Typ auf einem Werbeplakat für Girokonten. Mich traf ein Blitzschlag oder etwas in der Richtung. Und ich musste ziemlich erschrocken ausgesehen haben. "Ist was passiert?", fragte er mich. "Nein, ich bin nur überrascht", sagte ich und bemühte mich, meiner plötzlich kieksenden Stimme einen normalen Klang zu geben. "Ich hatte dich nur ganz anders in Erinnerung." "Ich dich auch", antwortete er und ließ seinen Blick mit übertriebener Gründlichkeit erneut über mich wandern. "Als wir uns das letzt Mal gesehen haben, hattest du eine rote Schniefnase, in die du dir dauern irgendwelche Nasentropfen eingefüllt hast." Über diese Darstellung musste ich lachen. "Daran kann ich mich gar nicht erinnern." "Doch, doch. Und du warst ganz hibbelig damals, vor zwei Jahren." "So, war ich das?" "Und wie. Du bist in Panik geraten, wenn man dich nur ganz kurz angeschaut hat. Du weißt doch noch, auf der Party von Tobias! Hast dich aber ganz schön verändert, wie ich sehe." Noch einmal betrachtete er mich intensiv und pfiff dann Anerkennend durch die Zähne. "Schon gut, schon gut! Der Mensch ist auf Veränderungen angelegt", sagte ich möglichst lässig. Ich konnte spüren, wie sich eine leichte Röte in meine Wangen schlich. Er lachte auf eine sympathisch Art und zwinkerte mir zu. Er hatte lange dichte Wimpern, die unwahrscheinlich geschwungen waren. "Und wie geht's dir so? Was macht dein Liebesleben?" "Alles bestens, danke der Nachfrage - und deines?" Jetzt waren wir beide irgendwie nicht mehr ernst zu nehmen. Komplett durchgeknallt. Wir quatschten einfach so, was uns gerade einfiel. Eigentlich verabscheute ich diese Art der Unterhaltung, man wusste im Grunde nie, woran man war. "Willst du's wirklich wissen?", fragte Lucas plötzlich ernst. "Quark, war doch nur so dahergequatscht!" "Ich verrate es dir trotzdem", sagte er mit einer Stimme, die mir bei unserem Telefongespräch schon sympathisch war und auf die ich reingefallen bin. "Ich bin total abgefahren auf eine Frau!" Das war der zweite Blitzschlag an diesem Tag. Mit großem Aufwand versuchte ich zu verhindern, dass man mir irgendwelche Gefühle ansehen konnte. Gott sei's Gedankt, mein Unterbewusstsein funktionierte noch und so hörte ich mich auch gleich antworten: "Aha, du Glücklicher." Es konnte mir doch egal sein und ich ärgerte mich, dass ich mich ärgerte. Er erzählte einfach weiter: "Stell dir vor - ausgerechnet im Zug kennen gelernt. Ich meine, da fährst du ahnungslos in einem Intercity durch die Lande und dann trifft es dich plötzlich mittendrin." Ich achtete darauf, dass mir meine Gesichtszüge nicht entgleisten. "Sie heißt Sue, ist rabenschwarz und besitzt die aufregendste Stimme der Welt." Was sollte ich darauf nur antworten? Ohne es recht zu merken rutschte mir dann dieser ekelhafte, total bescheuerte und ätzende Satz über die Lippen: "Komisch, ich dachte immer, du wärst schwul." Nachdem ich das gesagt hatte, hätte ich mich kurzerhand am liebsten geohrfeigt. Einen Moment lang war Lucas still und sah mich mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen an, dann strich er sich im Zeitlupentempo eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. "Aha, ein paar Vorurteile hast du also doch noch." Es klang bissig. "Gar nicht", sagte ich. "Und Sue ist bestimmt um die Fünfunddreißig und du bist ihr vierzigster Liebhaber." Jetzt lachte Lucas wieder. "Gar nicht so übel, deine Schätzung. Sie ist Blues-Sängerin, vierunddreißig und macht gerade eine Tournee. Augenblicklich ist sie in Berlin." "Und da willst du jetzt auch in." "Genau. Als ich von Peter erfuhr..." "Peter ist nicht da", unterbrach ich ihn schroff. Ich fühlte mich miserabel. Gut, dass meine Mutter auftrat und die Szene in den Griff bekam. "Tag, Lucas - ich hab Sie ja schon ewig nicht mehr gesehen." "Sie können mich ruhig weiterhin duzen.", sagte dieser und lächelte gewinnend. "Warum steht ihr denn hier draußen rum? Komm doch rein. Peter wird sicher auch gleich da sein, den Kuchen nachmittags lässt er selten ausfallen. Wie wäre es, wenn du einfach mitisst? Mandy, hol doch noch ein Gedeck." Mama führte Lucas ins Wohnzimmer, der ihr auch gehorsam hinterher trottete. Schnell zog ich die Tür der Küche zu, in der auf dem Tisch immer noch Mamas Warenlager ausgebreitet lag. Ich kam gerade ins Wohnzimmer als ich Mutter fragen hörte: "Cinzano oder ein kleiner Sherry? Mandy, du auch einen?" "Ja, einen Sherry!" Ich würde mich sinnlos zudröhnen, mit mindestens zwei Sherry! Dann stießen wir auch noch mit diesen unpraktisch kleinen Gläsern an, als gebe es etwas zu feiern und Lucas prostete mir mit einem Augenzwinkern zu. So ein Arsch! Es war ganz schön anstrengend und ich wäre Peter vor Freude beinahe um den Hals gefallen, als er endlich kam. Mama kam zwar noch auf die unglaublich bescheuerte Idee, Lucas zum Abendessen einzuladen, aber dieser lehnte das vernünftiger Weise ab. Erleichtert zog ich mich in mein Zimmer zurück, Peter und Lucas Stimmen konnte ich nur noch als unverständliches Gemurmel ausmachen. *** Manchmal, wenn etwas echt wichtiges in meinem Leben passierte, schrieb ich das in mein Tagebuch. Es ersetzte mir manches Gespräch. Ich hatte es zu meinem dreizehnten Geburtstag von Karsten geschenkt bekommen, es war aus marmoriertem Papier. Zuerst war ich sehr erstaunt, so ein Geschenk ausgerechnet von ihm, aber er erzählte mir, dass er auch eines führte. Das erstaunte mich noch mehr. Karsten, der obercoole Mädchenschwarm führte Tagebuch?! Wow! Der erste Eintrag fiel auf den 27. Juni zurück. Karsten hatte seine erste feste Freundin und nicht mehr so viel Zeit für mich wie früher. Da war ich unglaublich Eifersüchtig auf das Mädchen - Tina hieß sie - und wünschte ihr alles Böse dieser Welt. Heute könnte ich mich darüber nur amüsieren, aber damals war es das Ende der Welt. Ich blätterte weiter und musste grinsen. Damals war alles anders, ich glaubte Probleme zu haben, die keine waren und heute in meinen Augen einfach nur komisch waren. Dann kam die Sache mit meinem ersten - und bisher einzigsten - Kuss. Es war auf Karstens Geburtstagsparty, es gab Alkohol und ich hatte zu viel getrunken. Das Mädchen - ich weiß schon gar nicht mehr, wie sie hieß - fand mich ganz toll und irgendwann hatte sie mich an die Wand gedrückt und geküsst. Es war einfach nur ekelhaft. Danach war ich schlagartig nüchtern und bin einfach gegangen. Daraufhin fing die Phase an, in der ich eigentlich ständig vor der Spielkonsole oder dem Fernseher hockte und ungesundes Zeug in mich reinstopfte. Das Ergebnis war, dass ich um einiges zunahm. Ich wurde nicht wirklich dick, pummelig beschreibt es besser. Aber auch das ging vorbei und jetzt sah ich gar nicht mal schlecht aus. Ich stand vom Bett auf und ging zu meinem Schrank, an dem ein großer Spiegel eingelassen war. Ich bin nicht sehr groß, gerade mal 1,73 Meter, dafür zierlich und schmal. Meine Augen waren groß und meerblau, je nach Lichteinfall glitzerten sie manchmal. Mein hellbraunes Haar war ungefähr zehn Zentimeter lang und fiel mir über die Augen. 'Bevor ich in den Urlaub fahr lass ich es noch mal schneiden!' Vielleicht sogar färben, wer weiß? Ich ging zurück zum Bett und blätterte weiter. Nach dieser Fressphase kam die Zeit, in der ich so gut wie gar nichts aß. Ich nahm rapide ab, wog viel zu wenig. Meine Mutter machte sich wahnsinnige Sorgen um mich, schleppte mich dann auch noch zu einer Ärztin für Essstörungen. Die meinte jedoch nur, dass das alles an der Pubertät liege und wenn diese vorüber sei, wäre alles wieder ganz normal. Sie gab mir ein Rezept für Vitamin- und Mineralientabletten, die meinem Körper fehlten. Und dann begann ich nachzudenken. Darüber, was *mir* fehlte. Nicht diese dämlichen Vitamine, Mineralien oder so, sonder etwas anderes, etwas tieferes. Der Sinn. Ein Sinn für alles, was ich tat: für die Schule, für Freundschaften, für Liebe. Wieder ging es zu einer Ärztin, wieder war die Pubertät dran schuld. Es würde einen Sinn geben, sagte die Dame, und wenn die Pubertät vorbei wäre, würde ich schon sehen, welchen. So ein Herzchen! Als ob sie mit solchen dämlichen Sprüchen Selbstmörder von einem Hochhaus runter bekommen würde. Eigentlich sollte man meinen, dass jemand einem in dieser Phase beistand, aber das war leider nicht so. Von Mutter lernte ich nur, wie man sich am besten anpasst, von meinem Vater, wie man sich am besten verdrückte und von meinem Bruder gar nichts. Der einzigste, der wenigstens Versuchte mir zu helfen war Karsten - bis er eine neue große Liebe fand und wieder keine Zeit für mich hatte. Ich merkte, wie diese negativen Erinnerungen mich wieder hinunter in meine Depressionen zog. Jetzt könnte ich wirklich jemanden zum reden gebrauchen. Schade, dass Karsten nicht da war. *** "Papa ist gar nicht begeistert von unseren Reiseplänen.", berichtete mir Mama, als ich Montagabend total kaputt nach hause kam. Ich hatte am Albträume gehabt, war unausgeschlafen und von der Arbeit auch nicht gerade aufgewacht. Sie sah sorgenvoll aus. "Na, und? Hast du etwa was anderes erwartet?" "Er denkt an nichts anderes als an seine blöden Fische." "Du bist erwachsen und kannst tun und lassen, was du willst." "Warum wir unsere Reise ausgerechnet dann machen müssen, wenn er nicht zu Hause sei, hat er gemeint. Warum nicht in den Herbstferien?" "Lass dich von ihm bloß nicht rum kriegen!" "Werde ich auch nicht. Außerdem sind die Hälfte der Reisenkosten schon gezahlt." Soll Papa doch grollen, vielleicht lernt er daraus auch was für die Zukunft. Mir war ganz wohl bei der Vorstellung, dass ein Mann in seinem Alter und mit seiner Bildung noch was zu lernen hatte. Inzwischen hatten wir alles hervorragend geregelt. Am Samstag würden wir vor dem Bahnhof in den Bus, am Sonntag wollte Peter aus Berlin zurück sein und würde dann bis zu unserer Rückkehr zu Hause sein. Also wären die glubschäugigen Objekte nicht länger als einen verfluchten Tag unbeaufsichtigt. Und für diesen einen Tag hatte Mama Frau Voigt gewonnen. Zwei Stunden lang hatte sie minutiös unserer Nachbarin die Fressgewohnheiten der kleinen, glitschigen Biester erklärt und ihr die Schlüssel zu unserem Heiligtum anvertraut. "Ich kaufe noch was für Peter ein", holte Mama mich aus den Gedanken. Eben fiel mir auf, dass sie Jeans anhatte. 'Steht ihr gut.' "Die Jeans stehen dir gut, Mama!", lobte ich. "Passen gut zu deinen Augen und überhaupt." Mamas Augen leuchteten. "Danke. Mir gefällt die Farbe auch, aber normalerweise ist wenig Gelegenheit sie zu tragen." Normalerweise, das bedeutete, wenn Mama unterrichtete und wenn Papa da war, er fand Jeans an *seiner* Frau nämlich unanständig. Sie verabschiedete sich und ging zum einkaufen, während ich mir Badewasser einließ. Schon komisch, aber seid ich diesen Ferienjob hatte, badete ich eigentlich jeden Abend. *** Ich lag gerade genüsslich unter massenweiße Schaum in einem inzwischen nur noch lauwarmen Wasser, als das Telefon klingelte. Lautlos die schlimmsten Flüche die ich kannte - was nichts hieß - vor mich hin murmelnd wickelte ich mich in ein flauschiges Handtuch und tapste zum Telefon. "Hier spricht der automatische Anrufbeantworter der Nummer sieben-sechs-null-null-eins", sagte ich und betonte jede Silbe übertrieben. "Wir sind im Augenblick nicht errei-..." "Ja, ja, und hier spricht die Telefonseelsorge von Berlin! Lass den Scheiß und gib mir Mama!" Peter klang gereizt, das versprach nichts gutes. "Die ist leider noch nicht zu Hause. Was steht an? Ich richte es aus." "Ähm, nein, ich möchte es ihr lieber selbst sagen, ich ruf um sieben noch mal an." Mir schwante schreckliches. Er würde uns doch nicht etwas mit diesen dämlichen Fischen sitzen lassen? "Wo bist du eigentlich?", fragte ich vorsichtig. "In Berlin, wo den sonst? In der Pampa direkt vor'm Haus? Ich gebe ab, bleib dran." "Hallo, Mandy?" Eine fremde und doch so bekannte Stimme. "Es ist nicht so, dass ich Mädchen nicht mag", sagte sie. "Es müssen auch nicht immer vierunddreißigjährige Leute sein, im Gegenteil: eigentlich sind mir jüngere lieber." "Ich weiß nicht, wovon du redest", sagte ich und umklammerte den Hörer. "Schade, dass du's nicht weißt. Ich dachte nur, ich sag's dir einfach mal." Ich musste grinsen. Lucas, das verrückte Huhn. "Danke", ging ich auf seine Flachserei ein. "Sie haben mir wirklich sehr geholfen. Was ist eigentlich mit Peter?" "Manchmal entwickeln sich die Dinge anders als erwartet.", war die vieldeutige Antwort. "In seinem wie in meinem Fall." "Aha, hat wohl nicht hingehauen mit Sue." "Davon später. Hier steht so ein Gorilla und drückt sich die Nase an der Scheibe platt und ich muss dauernd in seine widerliche Visage sehen. Eigentlich wollte ich dir noch was Nettes sagen, aber das schiebe ich lieber auf später auf, bis du wieder zurück bist." "Vorsicht, Telefonzellen sind aus Glas und manche Leute können Lippenlesen!" Mein Herz klopfte heftig und freudig erregt gegen meine Rippen - warum nur? Ich hörte Lucas leise lachen. "Ja, der Kerl macht mir andauernd schöne Augen, ich werde Mühe haben ihn abzuschütteln. Aber ich habe Joggingschuhe an, er nicht." Jetzt alberte er wieder und das mochte ich überhaupt nicht. Mein Herzklopfen reduzierte sich abrupt wieder auf Normalzustand. "Noch was Wichtiges?" "Ja, pass auf mit den Italienern! Du weißt doch - diese Latin Lovers sind nur auf das eine aus." "So? Kläre mich bitte auf! Auf was denn?" "Auf deine Geldbörse." So ein Kotzbrocken! "Mach dir keine Sorgen, da ist nichts drin.", erklärte ich abschließend, was Vernünftiges war von dem ja eh nicht mehr zu erwarten. Am Ende unseres Gesprächs hatten wir wieder mal beinahe gestritten, aber aus unerklärlichen Gründen war ich trotzdem froh, mit ihm geredet zu haben. *** Es fiel mir doch schwerer, als ich dachte, in der Firma bescheid zu sagen, dass ich ab nächster Woche nicht mehr kommen würde. Am Mittwoch fing ich an, wie eine wandelnde Trauerweide rumzulaufen, benutzte sogar das Make-up meiner Mutter um mich ein wenig blasser zu schminken und Augenringe hervorzuheben. Herr Frick war natürlich der Erste, dem es auffiel und mich darauf ansprach. "Nanu, was ist denn mit Ihnen los? Gestern Abend zu lange weg geblieben oder was?" Dabei zog er eine dämliche Grimasse. "Nicht das ich wüsste", sagte ich kühl und erklärte ihm etwas von einem im Sterben liegenden Onkel an der Nordsee. Er betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue und sagte misstrauisch: "Na, wenn das mal stimmt." Arschgesicht! Er würde mich auf keinen Fall hier halten, so viel war sicher. Bei meinen Rundgängen durch die Büroetagen traf ich jede Menge Leute. Um es kurz zu machen: am Donnerstagnachmittag wusste jeder Bescheid und die Lady von der Personalabteilung rief mich zu sich. Ich würde wirklich nicht gut aussehen und ob ich denn nächste Woche nicht lieber zu Hause bei meiner Familie wäre, als hier. Es wäre kein Problem, die Papiere bis morgen fertig zu machen. Wie kam ich eigentlich auf die bescheuerte Idee, man würde mich nicht gehen lassen? Sie würden bis morgen die Papiere machen und ich könnte mich dann immer noch entscheiden, ob ich nächste Woche arbeiten wolle. Prima Leute hier, irgendwie tat es mir schon fast leid, zu gehen. Am enttäuschtesten schien Herr Frick zu sein. "Dass sie mir das antut!", murrte er vor sich hin. "Gerade jetzt, wo sie doch das mit der Weiterbearbeitung und den Ausgängen kapiert hat!" Er amüsierte mich wirklich. Vor zwei Wochen hätte er mich am liebsten auf den Mond oder sonst wohin geschossen und jetzt erklärte er mir, wie willkommen ich doch in der Postabteilung sei und das ich jederzeit wiederkommen könne. Nicht mal das 'Geständnis' das ich ein Junge sei, konnte ihm in dieser Situation etwas ausmachen. Anders sah es da bei den jungen Bürofritzen aus. Die meisten waren regelrecht entsetzt als ich ihnen sagte, dass ich kein Mädchen sei. Einige glaubten es mir aber auch erst, als ich mein T-Shirt ausgezogen hatte. Das verbreitete sich wie ein Lauffeuer und als ich meinen letzten Rundgang machte war von den Typen, die sonst immer um mich herumscharwenzelten nichts mehr zu sehen. Bevor ich nach Hause fuhr ging ich in die Personalabteilung, verabschiedete mich und holte meinen Lohn ab. Mit dem Geld waren die Hin- und Rückflugtickets nach Japan schon gezahlt! Ich fuhr schleunigst mit dem Fahrrad nach Hause, ließ mir den Wind durch die Haare wehen und genoss das Gefühl, Geld in der Tasche zu haben. Und ich freute mich schon echt auf Mamas und meinen Ferientrip. *** "Eigentlich sind wir noch nie zusammen verreist", meinte Mama, nachdem sie sich auf ihrem Sitzplatz im Bus häuslich eingerichtet hatte. "Doch einmal schon, aber das ist schon Ewigkeiten her", entgegnete ich. "Wir sind damals mit der Bahn an die Ostsee gefahren und Peter und Papa eine Woche später." Sie ließ ihr Italienischwörterbuch auf den Schoß sinken und starrte aus dem Fenster. "Stimmt, aber mein Gedächtnis lässt nach, ich kann mich kaum noch daran erinnern." Danach sprachen wir über Gedächtnis-Trainingsprogramm, Gentransfer und darüber, ob man mit fast fünfzig noch Japanisch lernen kann oder nicht. "Am besten lernt man eine Sprache, wenn man verliebt ist", behauptete Mama. "Man schreibt sich Liebesbriefe und bei jedem Wort muss man nachschlagen." "Warst du eigentlich mal in Papa verliebt?" Die Frage rutschte mir raus, bevor ich darüber nachdenken konnte. "Seltsam, daran musste ich auch gerade denken", meinte Mama. Sie sah wieder aus dem Fenster, dann zu mir. "Damals bin ich allein in die Toskana gefahren, obwohl Papa dagegen war. Da waren wir aber noch nicht verheiratet und ich wollte mich prüfen." "Auf das du dich ewig bindest?" "Genau das. Und prompt hab ich mich auf dieser Reise verliebt. Und das so richtig." Bei dieser Erinnerung lächelte sie. "Am Ende wollte ich nicht mehr nach Deutschland zurück." "Zu Papa?" Jetzt wurde ich richtig neugierig. "Das kann ich mir gar nicht vorstellen." "Wieso nicht?" "Na ja, du und Papa, ich dachte immer, ihr seid schon im Laufstall miteinander verlobt gewesen und so." "Unsinn, dein Vater war mir damals noch ein bisschen Fremd und am Ende der Reise sogar ziemlich schnuppe." Die Geschichte fing an mir richtig Spaß zu machen. "Lass mich raten wie deine Urlaubsliebe hieß. War er Italiener?" "Er fuhr auch Motorrad", sagte Mutter zusammenhangslos. Ich blickte aus dem Fenster und sah ein Trupp Motorradfahrer, die den Bus überholten. Ihre pechschwarzen Helme und Maschinen blitzten im Sonnenlicht. "Er hieß Luciano." Fast augenblicklich fiel mir der Name Pavarotti ein und ich musste mir auf die Zunge beißen, das nicht laut auszusprechen. "So ein Mastroianni-Typ mit weichen Zügen wie die Engel auf den Gemälden Raffaels.", schwärmte sie. "Einfach bildschön!" Bevor wir das interessante Gespräch weiterführen konnten fuhr der Bus auf einen Rastplatz und wir wurden unterbrochen. Später sagte Mama dann: "Ich habe damals dann einen Italienischkurs gemacht, damit wir uns schreiben konnten. Der dauerte drei Monate und zum Abschluss sind wir italienisch Essen gegangen. Tagelang war mir danach übel und ich stellte fest, dass ich schwanger war." "Oh, von Luciano?" "Nein, natürlich von deinem Vater, damals war Peter unterwegs." "Und was war dann mit Luciano?" "Nichts. Ich habe aufgehört, ihm Liebesbriefe zu schreiben und später Papa geheiratet." "Schade." "Wieso schade? Ohne Papa gäbe es dich doch gar nicht." Das bezweifelte ich. "Es ist mein Karma, auf der Welt zu sein. Egal ob Papa oder Luciano mich gezeugt hätte.", erklärte ich meiner Mutter. "Ich glaube, ich werde wieder anfangen, Italienisch zu lernen", meinte Mama, worauf ich wusste, dass sie mir - mal wieder - nicht zugehört hatte. Das gleichmäßige Gebrumme des Reisebusses schläferte mich ein und nach kurzer Zeit war ich auch schon im Land der Träume - worauf ich liebend gerne verzichtet hätte! Ich träumte von braunen Körpern und verführerischen Augen. Leider waren es alles Kerle und schweißgebadet wachte ich auf. Warum zum Teufel träumte ich *solche* Träume? Und warum ausgerechnet von *männlichen* Wesen? Was stimmte nicht mit mir? Oder lag es einfach daran, dass mir Lucas nicht mehr aus dem Kopf ging? Ich grübelte vor mich hin und merkte gar nicht, dass ich schon wieder am einschlafen war. Diesmal träumte ich nicht. *** Als ich aufwachte waren wir endlich in der Toskana. "Hier hat sich manches verändert", sagte Mama. "Wie lange bin ich schon nicht mehr hier gewesen!" Die Reise hatte uns alle ganz schön durchgeschüttelt und als wir so gegen dreiundzwanzig Uhr ins Freie stolperten und mit samt unserem Gepäck vor einer weißen Häuserfassade abgeladen wurden, da wünschte ich mir nichts so sehr wie mein eigenes Bett. Und das, obwohl ich die Hälfte der Fahrt verschlafen hatte. Der Name unseres Urlaubsorts stand in grellweißer Neonschrift und wirkte bei aller Vorstellungskraft nicht so romantisch, wie es in den Prospekten ausgesehen hatte. Nicht, dass ich viel für Romantik übrig hatte. Unsere Mitfahrer - und wahrscheinlich wir selbst auch - sahen unter dieser unvorteilhaften Beleuchtung aus wie eine Gruppe Untoter, direkt angereist aus Transsylvanien. Nun, unsere Zimmer passten wunderbar zu unserer Erscheinung: es roch widerlich nach Fisch, Schimmel und abgestandenem Wasser; die Dusche tropfte fröhlich vor sich hin und es gab ein ziemlich schmales Ehebett, das sich wohl auch nicht mit einer Säge oder ähnlichem in zwei Einzelbetten teilen ließ. An der Decke baumelte eine kahle 25-Watt-Birne die alles steril anleuchtete. Meine Mutter sah unter diesem Licht bleich und abgespannt und viel älter aus, als sie wirklich war. Gott sei Dank musste ich mir selbst nicht ins Gesicht sehen, sonst hätte mich wohl der Schlag getroffen. Übermüdet und schlecht gelaunt ließen wir uns auf das Bett nieder. "Wenigstens quietscht es nicht.", versuchte meine Mutter einen Vorteil aus dieser Lage zu ziehen. "Hmm, hoffentlich ist das Essen hier nicht genau so schlecht wie die Apartments.", motzte ich vor mich hin. Das schien wohl das Stichwort gewesen zu sein, den mein Magen gab lautstark knurrend ein Kommentar dazu. "Ich hab auch Hunger. Am besten gehen wir gleich essen." Schön, dass Mama und ich uns einig waren. Unser Apartment lag ziemlich weit vom Schuss und so mussten wir ein ganzes Stück zurücklaufen. Im Freien roch es richtig gut, nach Pinien und Meer, außerdem war die Luft noch angenehm warm. Der Speisesaal war noch schlimmer als unser Zimmer. Er war total kahl, keine Vorhänge, Blumen oder sonstige Verzierungen und wirkte so steril und gemütlich wie ein Operationssaal. Das Essen war auch nicht gerade die Wucht, aber was sollte man um diese Uhrzeit auch schon großartiges erwarten? Also würgten wir diese 'kulinarischen Köstlichkeiten' mit Hilfe zweier Krüge Rotwein hinunter. Dermaßen Beflügelt machte es mir auch nichts aus, mit meiner Mutter ein kleines Ehebett in einem ekelhaft riechenden Raum zu teilen. Außerdem ließen wir die Fenster offen, so dass es wenigstens ein bisschen nach Meer und Frischluft roch. *** [1] Sperrmüll = Das ist so ne Zeitung, in der man alles loswerden kann, was man nicht mehr braucht. Möbel, Bücher und so was. Ende Teil 1 Kapitel 2: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 2 Bei Tageslicht betrachtet sah es nicht ganz so schlimm aus, aber ich war dennoch froh, als wir uns endlich in Richtung Strand bewegten. "Vielleicht war es doch eine Kateridee, hierher zu fahren", unkte Mama. Würde ich so etwas sagen, würden gleich alle behaupten, ich hätte keine Spur von Optimismus und Lebensfreude in mir. Tja, so war das eben. Der Strand war nicht gerade sensationell, recht schmal und bereits zu so Früher Stunde - wir hatten erst neun Uhr morgens - zu zwei dritteln mit Badetüchern, Luftmatratzen und riesigen Gummitieren belagert. Ach ja, nicht zu vergessen die windschiefen Strohschirme, die wenigstens etwas Schatten spenden sollen. Meine Mutter war gerade dabei, ihren Badeanzug unter ihrem Rock hochzuziehen, da baute sich vor unseren Augen auch schon ein paar männlicher Beine auf, in alten Joggerschuhen ohne Schnürsenkel, wie ich es von meinen herzallerliebsten Klassenkameraden kannte. Lakritzebraun und mit fast genau so vielen Schrammen wie ekelhaften schwarzen Haaren ausgestattet. Ich verspürte nicht die leiseste Neugier herauszufinden, was zu diesen FC-Mailand-Beinen noch so dazugehörte. Wenn jemand eklige Beine hatte interessierte mich der oberste Stock schon gar nicht. "Hey, Laydies, you must pay", sagte er kurz und bündig in furchtbarem Englisch und wedelte dabei mit einem schweinchenrosa Zettel vor unserer Nase herum. Na toll, da wurde ich im Ausland auch schon für ein Mädchen gehalten und das auch noch am ersten Tag! Wie aufmunternd. "Pay what?", wollte Mama wissen, nachdem sie sich in ihre Träger gewurstelt hatte - zum Glück hat sie sich gegen ihren Bikini entschieden - in ebenso abartigem Englisch. "Ombrella", kam die unfreundliche und ungeduldige Antwort. "Quanto?", fragte meine Mutter während sie nach ihrem Geldbeutel sucht. Die Antwort des braungebrannten Hünen bekam ich nicht mit, mich beschäftigte viel mehr das azurblaue Meer, das in seichten Wellen zum Strand rollte. Erst das entrüstete "Sechs Euro? Das zahle ich nicht!" meiner Mutter brachte mich wieder in die Realität zurück. Der Adonis-Verschnitt rang die Hände und palaverte irgend etwas auf italienisch, was ich nicht verstand und meiner Mama offensichtlich völlig schnuppe war, denn sie meinte nur: "Komm, lass uns woanders hin gehen!" Wohin war allerdings nicht so klar. Mittlerweile gab es so gut wie kein freies Plätzchen Strand mehr. Der Mafioso - so wie der sich verhält war ich mir da absolut sicher - schoss noch ein paar Wörter hinter uns her und ich war mir sicher, dass die nicht zu einer Liebeserklärung gehörten. Wir gingen ein Stück den Strand entlang und meine Mutter schimpfte noch etwas von einem gierigen Halsabschneider vor sich hin. Schließlich entdeckten wir ein altes Ruderboot mitten auf dem Sand und entschlossen uns, dort zu bleiben. Eine Zeitlang lagen wir stumm nebeneinander, genossen die Sonne und den Geruch des Meeres. Bis meine Mutter dann meinte, ihren dämlichen Bikini anziehen zu müssen. Das war mir dann echt zu peinlich. Wie das aussah! Weiß mit rosa und lila Blümchen und dann war sie auch noch so käsig. Echt furchtbar. "Ich geh ins Wasser!", meinte ich nur und verschwand auch schon. "Schwimm nicht so weit raus", rief sie mir - sorgenvoll? - hinterher. Als ob ich was von schwimmen gesagt hätte! Das Wasser sah nicht ganz so klar aus, wie ich es gerne hätte, war aber angenehm warm. Mit mir tummelten sich noch eine Millionen Kleinkinder im seichten Wasser. Ich watete bis zu den Knien ins Wasser, wahrscheinlich musste man noch zig Kilometer in Richtung Elba latschen, bevor es wirklich tief wurde. Oder lag dort Sardinien? Meine Erdkundekenntnisse lassen zu wünschen übrig, aber es interessierte mich eh nicht. Da ich vergessen hatte, mich mit Sonnenschutzcreme einzuschmieren und ich schneller einen Sonnenbrand bekam als mir lieb ist, verzichtete ich darauf, meine Shorts und mein T-Shirt auszuziehen. Es war ein angenehmes Gefühl, das Wasser um die Beine streichen zu spüren und ich watete noch ein Stückchen weiter hinaus, bis ich bis zur Hüfte von seichten Wellen umgeben war. Ich legte mich rücklings aufs Wasser und ließ mich treiben. Wahrscheinlich wäre ich eingeschlafen, wenn mich nicht ein Schrei in die grausame Wirklichkeit zurückriss. "Ma~andy!!!!" Nee, konnte man denn nirgends seine Ruhe haben? Und überhaupt, wie konnte sie es wagen *so* nach mir zu brüllen? Ich bin schließlich kein Kleinkind mehr, auf das man ständig acht geben musste. Grummeln richtete ich mich auf und drehte mich zu Strand herum. Ich sah Mama bis zu den Knien im Wasser stehen und sich nach mir suchend umzusehen. Wahrscheinlich dachte sie schon, ich sei ertrunken oder sonst was. Ich winkte ihr kurz zu, damit sie wusste, dass ich noch am Leben war und begann langsam in ihre Richtung zu waten. Ich hatte absolut keine Lust, jetzt schon aus dem Wasser zu gehen. Den nächsten Schritt bereute ich die ganze Woche über, denn kaum hatte ich den Fuß aufgesetzt durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ich kippte einfach ins Wasser. Bei jedem anderen hätte ich gelacht, aber das fand ich nun echt nicht komisch. Meine Mutter war noch etwa zwanzig Meter von mir entfernt, als schon jemand anderes vor ihr neben mir war, mir unter die Arme griff und nach oben zog. Ich merkte erst, dass mir Schmerzenstränen in den Augen standen, als ich realisierte, warum ich die Umgebung so verschwommen sah. Als ich wieder aufrecht stand - auf einem Bein - legte dieser Jemand sich meinen Arm um den Hals, hob mich einfach so hoch und lief in Richtung meiner Mutter. Diese redete aufgeregt auf mich ein, was ich nur am Rande mitbekam und mir auch völlig egal war. Ich wollte mich nur noch hinsetzen, oder besser hinlegen, denn mittlerweile war mir ganz schön schwummrig. Irgendwie kam ich mir vor wie der letzte Idiot. Der Typ, der mich bis zum Strand getragen hatte und mich dort nun vorsichtig absetzte beugte sich über mich und besah sich meinen Fuß. "I'm Pietro", sagte er und tippte sich dabei bekräftigend auf die behaarte Brust, als hätte er es mit einem zurückgebliebenen Kleinkind zu tun. Ich konnte ihn nicht leiden. Meine Mutter und er beugten sich gemeinsam über meinen schmerzenden Fuß und ich konnte zwei schwarze Stachel knapp unterhalb der Zehen ausmachen. Als dieser Blödmann daran tippte, war ich drauf und dran abzuheben vor Schmerz. Sofort fing er an, meiner Mutter alles zu erklären: "Bad fish, lies under sand and..." Auf Englisch kam er nicht mehr weiter also fing er gestenreich an, in seiner Muttersprache zu reden. Mama nickte nur und lächelte ihn strahlend an, bedankte sich zig mal. Überhaupt, die zwei schienen sich blenden zu verstehen, während ich hier schwerverletzt und halb weggetreten im Strand saß und auf den Abtransport in Form eines Rettungshubschraubers wartete. Zudem begann mein blöder Fuß auch noch anzuschwellen. Da zerrte mich auch schon dieser Grobian hoch, nahm mich auf die Arme und sagte zu meiner Mutter: "We take her to the doctor." Bumm. Das saß. Waren hier denn alle bescheuert? Ich trug ein *weißes* völlig *durchnässtes* T-Shirt und er hielt mich trotzdem für ein Mädchen? Wie blöd kann man eigentlich sein ohne das es weh tut? Mama schien davon nichts zu merken, sie lächelte Pietro immer noch strahlend an. Sie lief neben uns her bis ihr einfiel, dass unsere Sachen noch unbewacht beim Ruderboot lagen und sie kehrtmachte. Mein 'Retter' lief meilenweit mit mir über den Sand. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nirgends ein Hospital oder ähnliches sehen. Wahrscheinlich würden wir hier kläglich in der Hitze verdursten und als Abendessen für irgendwelche Geier dienen - wo auch immer die dann her kamen. Zig Leute kamen uns entgegen, die meisten betrachteten uns neugierig. Es war mir verdammt unangenehm, von einem *Kerl* durch die Gegend getragen zu werden, aber was blieb mir im Moment anderes übrig. Pietro roch nach unangenehm viel Aftershave gepaart mit Sonnenöl und mit jedem seiner Schritte wurde ich fester an seine behaarte Brust gedrückt. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Brustbehaarung ekelhaft fand? Na ja, wäre ich nicht auf ihn angewiesen gewesen, hätte ich bestimmt was in diese Richtung zu ihm gesagt, aber so... Nach Stunden - wie es mir jedenfalls vor kam, in Wahrheit waren es nur zwanzig Minuten - stießen wir endlich auf ein weißgetünchtes Strandhäuschen mit einem unübersehbaren Roten Kreuz. Und einem braungebrannten Sanitäter. Meine Notoperation geschah auf einem wackligen Holzstuhl, bei dem ich hätte schwören können, dass er jeden Moment einkrachen könnte. Dabei lachten die beiden Idioten und erzählten sich - für mich unverständliche - Witze. Ohne auf mein schmerzerfülltes Aufstöhnen zu achten zog dieser Sanitäter mir die Haifischzähne aus dem Fuß. Ein Sado - als er sie mir auf seiner Handfläche unter die Nase hielt lachte er immer noch. Noch nie war ich so erleichtert, als meine Mutter endlich kam. Sie bedankte sich mindestens hundert mal bei dem Sanitäter und Pietro, was diese aber als Selbstverständlichkeit abwehrten. Pietro hätte mich sogar wieder zu unserem Platz zurückgetragen, aber so schlecht ging es mir nicht mehr, als das ich das zugelassen hätte. Ich zog es vor, einbeinig humpelnd zwischen den beiden zu gehen. Während sich die beiden angeregt über meinen Kopf hinweg unterhielten überlegte ich mir, was ich alles in den nächsten Tagen machen sollte. Großartig bewegen konnte ich mich ja nicht, ich musste also einen anderen Weg finden, die Zeit totzuschlagen. Wenn wenigstens Karsten hier gewesen wäre. Mit ihm hätte ich bestimmt auch so einiges machen können! Als wir an 'unserem' Platz angekommen waren ließ ich mich ächzend in den warmen Sand fallen und Pietro schob mir Mamas Badetasche mit der Erklärung, ich müsste mein Bein jetzt eine Zeit lang hochlegen, unter. Dann entfernte er sich zum schwimmen. Ich hasste das Meer. Ganz besonders dieses, wo massenweise Ungeheuer wie dieses nur so darauf warteten, das ich mich hinein begab! "Armes Spätzchen, tut's noch sehr weh?" Ich machte mir nicht die Mühe zu antworten. Da versuchte man jahrelang seine Selbstständigkeit durchzusetzen und zu beweisen und dann reichten ein paar jämmerliche Sekunden um mich wieder völlig ins Kleinkindalter zurück zu katapultieren. Aus und vorbei mit meiner Eigenständigkeit bis mindestens Weihnachten. "Ich sag's ja immer: kaum lässt man dich mal für ein paar Sekunden aus den Augen, passiert dir auch schon etwas", sagte Mama, doch dann fesselte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Ich folgte ihrem Blick. Aha. Pietro. Pietro und eine ansehnliche, braungebrannte Blondine in schwarzem Bikini mit beträchtlicher Oberweite. "Ein netter Mann, er hat gesagt, er hätte einen Motorroller, mit dem könnte er dich zu unserem Bungalow fahren", erzählte Mutter in Gedanken. Gerade wollte ich dagegen protestieren, als auch schon Pietro strahlend auf uns zu lief, sein Körper vom Schwimmen feucht glänzend. Er schüttelte sein schwarzes Haar, zog den Bauch ein und streckte die Brust raus als er sich abtrocknete - die typische Latin-Lover-Pose um den Frauen zu imponieren. 'Ah, was für ein Schöner. *Würg*' Aus den Augenwinkeln beobachte ich Mama und musste feststellen, dass unser Schönling sie nicht unberührt ließ, eher im Gegenteil. Gut, vom Alter her lag er zwischen uns, so um die Anfang dreißig, schätzte ich, aber das konnte mir ja schließlich völlig schnuppe sein. Schließlich hatte ich keine Ambitionen in *diese* Richtung, auch wenn ich letzte Nacht sehr *eindeutige* Träume hatte. Aber das war sicher nur so eine Phase, nichts weiter. Ohne mich noch groß zu fragen wurde ich von den Beiden zu einem Motorroller mitgeschleppt und ehe ich mich versah saß ich schon hinter Pietro. "Und halt dich ja gut fest", wiederholte Mama noch einmal und sagte in Richtung Pietro etwas, wie das sich anhörte wie: Mandy denkt immer erwachsen zu sein und dann passieren solche Sachen. Ich hätte sie lynchen können! *** Später beim Essen meinte Mama dann ganz beiläufig: "Ob er wiederkommt?" "Ob wer wiederkommt?" "Du weißt schon wer, tu doch nicht so. Pietro natürlich." "Ach der." So, so, unsere Urlaubsbekanntschaft hatte also gehörigen Eindruck auf Mama hinterlassen. "Wo ist er denn langgefahren? Hat er noch etwas gesagt?" "Pff. Was man halt so sagt. Ich hab nicht darauf geachtet." Pietro hat zwar wirklich die ganze Zeit irgend etwas auf Englisch und Italienisch vor sich hin gebrummelt, aber das war mir total egal. Das Einzige, was mich interessiert hatte, war, wie schnell ich an unserem Bungalow war und meinen Fuß hochlegen konnte. "Fünf ganze Tage", seufzte Mama. "Ich hätte richtig Lust, mal wieder tanzen zu gehen." "Und ich will nur auf einem Liegestuhl liegen." Was war nur mit Mama los? Sooo groß konnte Pietros Eindruck nun auch nicht sein. Oder? 'Und überhaupt, so toll sah der behaarte Lackaffe nun auch nicht aus. Sogar Lucas sieht noch viel besser aus.' Ups, hatte ich das gerade wirklich gedacht? Wie komm ich jetzt bloß auf den Widerling? Ich glaub, ich hab auch noch einen Sonnenstich, sonst würde ich ja nie auf solche Gedanken kommen. Mama unterhielt sich gerade mit einem Ehepaar vom Nachbartisch. Mann, der Typ labert ja auch bloß Stuss vor sich hin. Ich hörte ein Weilchen zu bis mir beinahe der Kragen platzte. Wie kann eine einzige Person nur so viel Stumpfsinn verzapfen? So von wegen Killeralgen und so? Noch ein Wort und ich kipp ihm sein Glas Rotwein in die Visage. Sieht dann vielleicht sogar schöner aus. Also verabschiedete ich mich schleunigst von den drei und ging zurück zu unserem Apartment - mit Ratschlägen meiner Mutter zur Versorgung meines Fußes bewaffnet. *** Ich bekam nicht mit, wie meine Mutter ins Zimmer kam - ein kaltes Handtuch wirkte wunder und ich war fast sofort eingeschlafen. Als ich von ein paar Sonnenstrahlen im Gesicht geweckt wurde, war von meiner Mama nichts zu sehen und nichts zu hören. Ächzend stand ich auf und humpelte zum Tisch, auf dem ich einen Zettel entdeckt hatte. "Guten Morgen Mandy. Bin schon am Strand zum Schwimmen. Warte mit dem Essen nicht auf mich, ich gehe anschließend direkt zum Speisesaal. Mach's dir bequem, Mama." Toll, bequem machen. Und wo denn, bitteschön? Etwa auf dem abgeblätterten Liegestuhl draußen etwa? Ich bewegte mich Richtung Bad und ärgerte mich. Über mein Gehumpel, über Mama, über das Meer, über dämliche Touristen mit Killeralgen und über meine unangenehmen Träume, die leider immer deutlicher wurden. Solche Augenblicke waren für mich gefährlich. Um so viel Ärger abzubauen musste ich etwas tun, etwas Destruktives, etwas Negatives. Zum Beispiel meine Fingernägel so kurz schneiden, wie es nur ging. Oder auf meine Haare losgehen. Gut, dass ich vor Reiseantritt noch ein paar Haarfärbemittel in verschiedenen Farben eingekauft hatte. Hmm, rot, lila, schwarz oder blau? Ich entschied mich für lila. *** Weitaus besserer Laune saß ich eine Stunde später mit intensivlila Haaren und einer Igelfrisur im Speisesaal und machte mich über mein Frühstück her. Ich sah Mama schon von weitem und musste mir ein Grinsen verkneifen, als sie in Anbetracht meiner Haarfarbe die Augen entsetzt aufriss. Sie verbarg es gut und fiel nicht gleich über mich her. "Hast du noch Schmerzen?", wollte sie wissen. Auf sinnlose Fragen gebe ich keine Antwort. Natürlich hatte ich noch Schmerzen, was glaubte die denn? Das sie nach einer Nacht voller *Alpträume* einfach so verschwinden? "Wo warst du bloß so lange?", landete ich also eine Gegenfrage. "Och, am Strand, im Wasser, in einer Bar..." Sie lächelte glücklich. "In einer Bar??" "Ja genau, in einer schnuckeligen kleinen Strandbar." "Allein?" "Nein, nicht allein. Mit Pietro. Er kam vorbei und lud mich dann ein, etwas mit ihm zu trinken." Aha. Da hatten wir's ja! Das verschlug mir jetzt irgendwie die Sprache. Ich lag hier einsam und verlassen in einem Land, dessen Sprache ich nicht beherrsche, leide qualvolle Schmerzen und meine Mutter ließ sich von so einem bescheuerten Möchtegern-Provinz-Casanova anmachen?! "Du scheinst überrascht zu sein?" "Kein bisschen", log ich. "Ich hab mich nur gefragt, wo du so lange bleibst." "Dann kannst du jetzt ja verstehen, wie mir immer zumute ist, wenn du nicht rechtzeitig zu Hause bist." Oho, das hatte sie schlau angestellt. "Und worüber habt ihr euch so lange unterhalten?" "Ach, über alles. Über alles, was das Leben halt so ausmacht: Beruf, Geld und Familie." "Aber du kennst ihn doch gar nicht", sagte ich, "und da redet ihr schon über so persönliche Dinge." "Na und? Tut ihr jungen Leute doch auch." "Quatsch! Bevor ich jemanden mal was über mich erzähle! Da müsste schon jemand ganz Besonderes kommen!" "Ist er doch auch!" Platsch! Ich dachte, mich knutscht ein Elch. "Wenn das Papa hören würde", versuchte ich Mama von ihrem Trip runterzuholen. Sie tat so als hätte sie mich nicht gehört. "Ich meine - welcher junge Mann hilft einem schon sofort, wenn es darauf ankommt?" "Wahrscheinlich ist er eh nur von der Heilsarmee", sagte ich grob. Meine Laune war wieder gesunken, das eigentlich recht appetitliche Frühstück blieb mir auf einmal im Hals stecken. Wenn ich es recht besah, war ich einfach nur gnadenlos neidisch auf meine Mama. Ich brauchte immer ewig, bis ich mit jemandem Kontakt aufnahm und sie machte das einfach so mal eben. Ich hätte das aber nie zugegeben, also ging ich mit ihr zusammen zu unserem Apartment zurück und beobachtete sie dort, wie sie sich zurecht machte. Sie zog einen verdammt knappen Mini an - für eine Frau von fast fünfzig, wohlgemerkt. Dann kämmte sie sich ihre Pagenfrisur so gegen den Stich, dass alle Haare aufgeplustert vom Kopf abstanden und es einen irgendwie an eine Löwenmähne erinnerte. Als sie dann zu ihrem Make-up griff, hielt ich es nicht länger aus. "Sag mal, hast du heute noch etwas besonderes vor, oder warum putzt du dich so raus?" "Oh, du weißt es ja noch nicht. Pietro hat uns zum Mittagessen eingeladen. Also mach dich bitte auch fertig." Oh Mann, der Typ macht mich fertig. Was fiel dem eigentlich ein. Er konnte doch nicht so einfach eine *verheiratete* Frau so blöd anmachen! "Ich überleg's mir noch, mir ist noch nicht so ganz wohl", gab ich Bescheid. "Ach was, natürlich kommst du mit! Du kannst doch nicht den ganzen Tag hier alleine rumsitzen." "Du bist ja ganz aufgeregt!" Diese boshafte Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen. "Bin ich nicht, Mandy. Keineswegs." Oh ja, das klang natürlich richtig glaubhaft! Seufzend kramte ich nach ein paar Klamotten im Schrank und entschloss mich, morgen Postkarten zu kaufen und Mark und Karsten eine zu schicken. Die würden nämlich übermorgen wieder zu Hause sein und wussten ja noch nichts von meinem spontanen Urlaubsglück. Ich entschied mich für eine schwarze, eng anliegende Samthose und ein weiches, ebenfalls schwarzes T-Shirt aus dem selben Stoff. Während ich mich umzog sah ich, wie Mama sich ihrem Finish zuwandte: Ohrringe, Kette, Armreif und natürlich ihr Make-up. Ich war echt sprachlos. Noch nie hatte sich meine Mutter so aufgestylt. Gut, was die konnte, konnte ich schon lange. Ich schnappte mir also ihren schwarzen Kohlkajal und zog mir gnadenlos einen breiten Strich unter die Augen, was diese zu meinem Leidwesen eher betonte als irgendwie abschreckend zu wirken. Ich hatte das von ein paar Jungs aus der Klasse über mir gesehen, einer Gruppe Raver, die jeden Tag so gestylt rumliefen. Während ich mein Gesicht nun so im Badezimmerspiegel betrachtete, schwor ich mir, mich heute nicht mehr aus der Fassung bringen zu lassen. Weder von Macho-Italiener oder Mama. "Bis du endlich so weit?" "Ja, ja, ich komme sofort." Mit einem letzten Blick in den Spiegel löschte ich das Licht und trat ins Zimmer. Gerade als wir das Apartment verließen kam Pietro auch schon um die Ecke, ein breites Grinsen im Gesicht. Fröhlich begrüßte er uns und erklärte, dass er heute mit Daddys Auto hier sei, schließlich konnte man zu dritt nicht auf dem Motorroller fahren. Das Restaurant in das er uns brachte war klein und gemütlich. "Baby is okay?", fragte er mich, nachdem wir uns gesetzt und bestellt hatten. "Sonja was so worried about you." Bumm. Ich hörte wohl nicht richtig. Baby?? Und Mama hat ihm ihren Vornamen verraten? "My name is Mandy", klärte ich ihn auf. Von wegen Baby. Pietro lachte auf eine einnehmende, sympathische Art, so dass man seine strahlen weißen Beißerchen sehen konnte und zog etwas aus der Hosentasche. "For your little leg", erklärte er und schob es mir zu. Das Geschenk sah ganz nach Apotheke aus. "Nun sieh mal, wie lieb er an dich gedacht hat", strahlte Mama. "Ja, ganz im Gegensatz zu dir, die die essigsaure Tonerde vergessen hat." "Oh, das tut mir leid." Mama machte ein schuldbewusstes Gesicht. Zum Glück kam da unser Essen und unser Gespräch wurde unterbrochen. Das schmeckte wirklich vorzüglich und ich übersah deshalb großzügig die schmachtende Blicke, die Pietro mir zuwarf und die den selbigen anstrahlende meiner Mutter. Die beiden unterhielten sich über alle möglichen Dinge ihrer Gesammelten Erwachsenenerfahrung und irgendwann schaltete ich ab. Ich hasste Gespräche, bei denen ich nicht mitreden konnte und driftete deshalb in meine Fantasie, um erst wieder aufzutauchen, als ich etwas über moderne Tänze hörte. "Do you like dancing?" wollte Pietro wissen. Wahrscheinlich fühlte er sich jetzt dazu verpflichtet, mit mir zu reden, nachdem bis jetzt nur Mama dran war. Aber ich hatte keine großartige Lust, ihn über meine Leidenschaften aufzuklären, ernsthaft interessierte es ihn ja eh nicht. "Es geht, aber am liebsten tanze ich eh alleine", erklärte ich ihm also. Daraufhin schien Pietros Interesse auf jeden Fall geweckt. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und wollte dann doch ernsthaft wissen, ob ich ein normales *Mädchen* sei und ob das Schwarz etwas zu bedeuten hatte. Ich konnte ihn schlecht vor all den Leuten hier anbrüllen, obwohl ich nichts lieber als das getan hätte. Also klärte ich ihn darüber auf, dass das Schwarz nichts zu bedeuten hätte und das ich ein völlig normaler *Junge* sei. Pietro sah nach dieser Offenbarung etwas verwirrt aus, brachte nicht mehr als ein "Oh!" raus. Meine Mutter merkte das und warf Gott sei Dank ein: "Die jungen Leute haben ein total verändertes Lebensgefühl. Die Welt ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Die Technik, der Verkehr,..." Pietro hatte seine ganze Aufmerksamkeit wieder Mama gewidmet, sah sie aus haselnussbraunen Augen an und nickte verständnisvoll. Er hielt sie wohl für sehr schlau. Wenn der wüsste! Mama hatte inzwischen ihr zweites Glas Rotwein geleert und bekam schon rosige Wangen. Sie machte Anstalten auf die Toilette zu gehen und Pietro nahm seine Hand von ihrer. Er sah ihr hinterher, wie sie in ihrem engen, kurzen Rock durch den Raum ging. "Do you want another 'Angelo', Mandy?" Aha, Angelo hieß wohl dass Getränk mit der Orangenscheibe und dem Zuckerrand. Ich schüttelte nur den Kopf. Daraufhin fuhr er mir mit der Hand vorsichtig über die Stacheln an meinem Kopf, so als würden sie kaputt gehen, wenn er zu stark zulangte. Plötzlich legte er seine Hand auf meine. "Deine Mutter ist eine sehr charmante Frau", erklärte er mir überraschend auf Deutsch, "aber du bist ein schöner Junge." Hilfe!! Was ging den jetzt ab? Hat den irgendetwas gebissen? Bekam ihm der Alkohol nicht? Mir begann ein Brummkreisel im Kopf zu drehen und auch mein Magen entschloss sich zu einer atemberaubenden Achterbahnfahrt, während ich nicht wusste, wohin ich gucken soll. Er machte mich verlegen und ich musste an meine Träume der vergangenen Nächte denken. Was hatte das nur zu bedeuten? Meine Fantasie war mächtig am rotieren, aber da kam zum Glück Mama zurück und rettete mich. Pietro wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu und sie verabredeten sich für den übernächsten Abend. *** Es war schon halb eins, als wir endlich in unserem Apartment ankamen. Pietro hatte uns nach dem Essen noch ein wenig die Sehenswürdigkeiten der Umgebung gezeigt und war noch mit in einer Strandbar. Kurz gesagt, ich hatte an diesem Tag mehr Alkohol getrunken als in meinem ganzen bisherigen Leben und dementsprechend fühlte ich mich auch morgens, als ich so gegen zehn - alleine - aufwachte. Die Nacht war furchtbar, Mama und ich hatten beide schlecht geschlafen. Der Versuch, sich an der Außenkante des schmalen Bettes fest zu halten war immer wieder fehlgeschlagen und so fanden wir uns mehrmals Seite an Seite schwitzend und schimpfend in der Bettmitte wieder. Das Frühstück war ebenfalls furchtbar, es war wirklich kein guter Start in den Tag. Mama und ich beschlossen also, diesen Tag in der Stadt zu bummeln und einzukaufen. Ich humpelte zwar noch immer, aber ich hatte noch weniger Lust, den Tag ganz allein zu verbringen und mich zu langweilen. Die Einkaufsmeile wirkte nicht gerade sehr belebt. Nur ein paar Touristen, die vor den Cafes saßen und sich hinter Zeitungen versteckten oder Ansichtskarten schrieben. 'Eigentlich total langweilig hier. Kaum Jugendliche in meinem Alter. Zum Glück bleiben wir nur noch zwei Tage, länger würde ich es hier wahrscheinlich nicht aushalten.' Mama entdeckte einen Laden mit Hüten und musste natürlich unbedingt nach einem passenden suchen, während ich Ausschau nach ein paar Ansichtskarten hielt. Schließlich fand ich welche und kaufte zwei, die nicht ganz so scheußlich waren. "Findest du, der passt zu mir?", fragte Mama und drehte sich wie eine Mannequin vor mir, um mir einen Hut zu präsentieren. Hüte interessierten mich nicht besonders, aber es gab weitaus schlimmere als den, den meine Mutter trug. Nachdem sie ihn dann tatsächlich gekauft hatte und wir eine Zeitlang vor einem Cafe Milchshake geschlürft hatten, gingen wir wieder in unsere Behausung zurück. Mama bekam Bauchkrämpfe und überlegte, ob ihr niedriger Blutdruck oder das drückende Wetter daran schuld war. Sie schluckte ein paar Tabletten und lag im Bett. Ich nutzte die Zeit, nur mit Shorts bekleidet auf der Terrasse zu sitzen und die Ansichtskarten für Mark und Karsten zu schreiben. Zum Abendessen wollte Mama dann auch nicht. "Soll ich versuchen, Cola und Salzstangen für dich aufzutreiben?" wollte ich wissen, doch sogar das lehnte sie ab. Schade. Mit hatten Cola und Salzstangen schon unzählige Male das Leben gerettet. Also ging ich allein zum Abendessen und fand, dass ich das auch hätte ausfallen lassen können. Es gab verkochten Fisch mit ebenfalls verkochten Bohnen und es schmeckte mal wieder überhaupt nicht. *** "So weit von zu Hause kommen einem schon manche Gedanken", sagte Mama, nachdem ich wieder da war. Das hörte sich schicksalsträchtig an. "Wenn ich daran denke: Papa auf der einen Seite des italienischen Stiefels und ich gleichzeitig auf der anderen..." Oh je, mir schwante Schreckliches. Mama war im Begriff, mich als Therapeuten zu benutzen und ihr Seelenleben auszuquetschen, etwas, dem ich im Moment absolut nicht gewachsen war. Also startete ich ein Ablenkungsmanöver indem ich sie auf den morgigen Abend mit Pietro ansprach: "Ich weiß gar nicht, was ich morgen zu dieser Gala anziehen soll." Es klappte. "Hmm, daran hab ich auch noch nicht gedacht. Lass doch mal sehen, was du alles dabei hast." Ich räumte also den gesamten Inhalt meines Schrankes aus und präsentierte ihn. Leider - oder zum Glück - war nichts passendes dabei. *** Mama und ich erlebten wieder mal eine Horrornacht. Wenn sie nicht gerade auf dem Klo saß, rollte sie in die Mitte des verfluchten Bettes, wo ich schon lag und keine Macht der Welt konnte uns aus dieser verhassten Lage befreien. Und jedes Mal, wenn ich kurz davor war, vor Erschöpfung einzuschlafen, versuchte ein verdammter Moskito in meinem Gesicht zu landen. Kein wunder also, das diese Nacht meine Alpträume um einiges deutlicher waren als jemals zu vor und die Kerle mir sogar alle bekannt vor kamen. Am Morgen fühlte ich mich wie zerschmettert. Mama saß auf der Bettkante und starrte mich an. "Und?", fragte ich. "Beschissen", antwortete Mama und es musste ihr wirklich schlecht gehen, wenn sie solche Ausdrücke der Vulgärsprache verwendete. "Wirst du zum Frühstück gehen?" "Werd ich wohl. Ich brauch Wasser, Wasser, Wasser", klagte sie. "Das wird schon wieder", versuchte ich sie aufzumuntern, aber in Wirklichkeit wünschte ich mir, wir hätten diese Reise nie unternommen. Aber auch nach dem Frühstück heiterte sich ihre Begräbnismiene nicht auf. "Hör zu, dir ist wohl klar, dass sich meine Aktivitäten heute auf eine einzige beschränken werden." Mir war klar was sie meinte. Wow, sie besaß auch noch in der Situation Galgenhumor. "Und was wirst du tun?" Gute Frage. Ich dachte nach. Mein Fuß schmerzte kaum noch, nur wenn ich mein ganzes Gewicht auf ihn verlagerte. "Vielleicht ans Meer gehen oder mich umschauen. Was weiß ich." Mama vertiefte sich wieder in ihr Lieblingsbuch, Portrait einer Leidenschaft. Ich hatte mal reingeschnuppert, weil ich unbedingt wissen wollte, was daran so interessant war. Es war ein ziemlicher Mist, fand ich. Es ging da um eine Schauspielerin, die vor einem Theaterdirektor strippen und dann im Evakostüm auf dem Tisch tanzen musste. Ich war einigermaßen erstaunt, dass meine Mutter so etwas las, schließlich war sie ja Deutschlehrerin. Und ich überlegte damals auch, ob Frau Seibold, die uns mit der Jungfrau von Orleans und dem Prinz von Homburg triezte, auch wie Mama im Urlaub einen satten Porno verschlang. "Nur um das Thema zu beenden", sagte Mama, als ich gerade gehen wollte, "mit dem geplanten Ausflug heute Abend wird es wohl nichts, jedenfalls so weit es mich angeht." "Okay, mach dir keine Gedanken, ruh dich lieber aus." "Und du solltest es dir auch noch mal überlegen", rief sie mir hinterher. Alles klar. Wenn sie nicht darf, darf ich auch nicht. Aber ich würde mich davon nicht beeinflussen lassen, wenn ich Lust drauf hätte, würde ich heute Abend auf jeden Fall ausgehen. Ich lief also in Richtung Strand, genoss die warme Luft und den Geruch nach Meer. Ein krebsrotes Alfacoupe fuhr haarscharf an mir vorüber und die vier Typen, die drin saßen fanden das offenbar lustig. Einer von der Rückbank drehte sich sogar noch nach mir um und warf mir eine Kusshand zu. Idiot. Allerdings verwehte der Wind seine Haare so, dass ich unwillkürlich an Lucas denken musste, der sich seine langen Stirnfransen in auf die gleiche Art nach hinten strich. Immer wenn ich an ihn dachte, gab es in meinem Inneren einen Ruck. In meinen Träumen geschah so alles Mögliche: wir gingen über einen einsamen Strand im Sonnenuntergang, befanden uns auf einer friedlichen Lichtung mitten im Wald oder fuhren mit unseren Rädern am Fluss entlang. Und anderes, woran ich nicht mal denken möchte! 'Mandy, was ist nur mit dir los?' Ich musste zu Hause unbedingt mit Karsten darüber reden. 'Oder vielleicht doch nicht!', dachte ich in anbetracht an den Traum, den ich gestern hatte. Ich setzte mich in den warmen Sand und dachte nach. Konnte es wirklich sein, dass ich schwul war? Ich hatte mich zwar nie wirklich für Mädchen interessiert, aber trotzdem. Nein, das lag bestimmt an irgend etwas anderem, dass ich solche Träume hatte. Aber warum, verdammt noch mal, stellte ich mir dann dauernd vor, wie es wohl wäre, wenn Lucas mich küssen würde? War es einfach nur Neugier oder steckte doch mehr dahinter? Aber warum hab ich es dann nicht schon viel früher gemerkt? "Scheiße, das darf doch alles nicht wahr sein!" Frustriert schlug ich mit der Faust in den Sand. War wohl doch keine so gute Idee, allein was zu unternehmen. So musste ich ja unwillkürlich *darüber* nachdenken. *** Kaum war ich wieder bei meiner Mutter und hatte mir den Sand vom Körper gewaschen, als auch schon Pietro vor der Tür stand. Mann, und in Schale war der! Blütenweiße Hose und blütenweißes Hemd, garantiert neuestes Armani-Design. Mama erklärte ihm gerade, dass es ihr schlecht ging und sie unmöglich ausgehen konnte, heute Abend. Er wirkte sehr enttäuscht, hatte er doch Karten für ein ganz bestimmtes Ereignis, zu dem die ganze Stadt angeblich unterwegs sei. Dann blieb sein Blick an mir hängen und hellte sich wieder etwas auf. Ob ich denn nicht mit wolle. Tja, neugierig gemacht hatte er mich schon. Also sagte ich kurzerhand ja, schnappte mir ein paar Klamotten und zog mich ins Badezimmer zurück. Ich hatte zwar nicht so edle Kleider wir er, aber was machte das schon. Zehn Minuten später kam ich in violetter, weiter Samthose und einem gleichfarbigen Hemd - passen zum lila meiner Haare - aus dem Bad, meine blauen Augen wurden wieder mit schwarzem Kohlkajal betont. Statt wie sonst in Form von Stacheln in alle Richtungen abstehend ließ ich meine Haare dieses Mal ungegelt, so dass sie mir weich ins Gesicht fielen - ich war nämlich doch nicht mehr beim Frisör gewesen. Mamas Miene zu meinem Outfit übersah ich geflissentlich, wünschte ihr einen guten Abend und machte mich mit Pietro auf den Weg. So ausgegangen bin ich noch nie, schon gar nicht mit einem Kerl, deshalb wusste ich auch gar nicht, was ich mit ihm reden sollte. Normalerweise wäre es mir sicher peinlich gewesen, aber 1. war mir einfach danach zu Mute, 2. hatte ich eh nichts besseres vor und 3. kannte mich hier ja eh keiner. Er legte seinen Arm um meine Schulter und ich könnte schwören, dass er mindestens eine halbe Flasche Eau de Toilette verwendet hatte. Überhaupt duftete der ganze Mann wie ein Douglas-Laden. Mit der Unterhaltung haperte es weiterhin, er stellte auch nicht gerade sehr intelligente Fragen. "Wie alt bist du?" und "Wie alt ist Sonja?", "Hast du eine Freundin?" und "Ist dein Fuß okay?" Dann erzählte er mir, dass ich ihn an ein Mädchen von früher erinnern würde, an Franca, und er betonte jeden Buchstaben ihres Namens so, als wäre es eine Liebeserklärung. "What a sexy girl!", sagte er und deutete in Richtung einer Rothaarigen mit großer Oberweite und zu knappen Klamotten. "Like you!" Arschloch! Leider fiel mir nichts besseres ein, als ihn schnippisch daran zu erinnern, dass ich *kein* Mädchen sei, worauf er nur lachte. Jetzt fehlte ja nur noch, dass er meine Oma auch noch sexy fand, aber leider hätte er ja eh keine Gelegenheit, sie kennen zu lernen, weil sie schon tot war. Dann wollte dieser eingebildete Schnösel auch noch wissen, ob ich etwa eifersüchtig sei. Was glaubte der denn? Ich war schließlich nur zum Tanzen mit. Allerdings fragte ich mich bereits ernsthaft, ob ich diesen Abend je überleben würde. Schließlich blieben wir vor einem Glitzerpalast stehen, der nicht gerade so aussah, als könnte sich ein normalsterblicher mehr als eine Cola leisten. Das hier war mit Abstand der größte Discoclub, den ich je gesehen hatte, oben offen mit tollem Blick auf den Sternenhimmel. Ein livrierter Portier nahm uns die Eintrittskarten ab, die sicher ziemlich teuer gewesen sind. Als wir uns gerade an einen kleinen Tisch mit Windlichtern setzten wollten, traf Pietro auch noch Bekannte. Einen Mann, mindestens so alt wie Papa und eine Frau mit Doppelkinn unter welchem ein riesiges Diamantenkollier hervorlugte. Ob das überhaupt echt war? Die Dame musterte mich nur kühl und dann gingen die beiden ihres Weges. Pietro sagte irgend etwas zu mir, aber ich hörte gar nicht zu, war viel zu sehr damit beschäftigt, alles genau anzuschauen. Die meisten kleinen Tische waren schon besetzt und ich konnte nur die Leute in unmittelbarer Nähe erkennen. Jede Menge Paare und eines aufgemotzter als das andere. Pietro bestellte Alkohol vom Feinsten und prostete mir mit einem Augenzwinkern zu. Ich sah nur wenige Leute in meinem Alter, die meisten schienen so alte Angeber wie der Typ vorhin zu sein, die mit ihren Damen hier zu sein schienen. Alkohol vertrage ich nur schlecht und dieser hier schlug ein wie ein Blitz. Und dann auch noch diese Musik, zuerst fetzige Gassenhauer zum Warmwerden, so laut, dass ich die Bässe und Drumms in meinem Magen spüren konnte. "You like to dance?" Pietro zog meinen Kopf zu sich herüber um mir diese Frage ins Ohr hauchen zu können und ich spürte, wie eine Gänsehaut über meinen Körper schoss. Tanzen? Klar, Mann, wozu waren wir denn sonst hier, auch wenn die Band und dieser rose glitzernder Sänger einem fast das Gehirn aus dem Kopf pusten konnte bei dieser Lautstärke. Besonders gut tanzen konnte ich zwar nicht, vor allem nicht zu zweit, aber das war mir im Moment völlig schnuppe. Genau so wie die Tatsache, das wir beide männlich waren. Pietro zog mich näher an sich, erzählte mir irgend etwas davon, dass ich sehr gut tanzen könnte. Das konnte man von ihm auf jeden Fall auch behaupten! Wie dieser Mann tanzen konnte! Unglaublich. Pietro probierte alle möglichen tänzerischen Kunststückchen mit mir aus, hatte aber auch keine Probleme, sich mal mir anzupassen. Nach was weiß ich wie vielen Tänzen und Liedern verstummte die Band und sie machten ihre wohlverdiente kurze Pause. Pietro hatte einen Arm um mich gelegt und bevor ich mich setzt hauchte er mir noch einen kurzen Kuss auf die Wange. Mir wurde warm im Bauch und die Wärme stieg durch meinen ganzen Körper bis hin zu den Haarwurzeln. Wahrscheinlich hatte ich jetzt so widerlich rote Backen wie ein Alete-Baby. Aber das schien den Italiener in keinster Weise zu stören, der war irgendwie voll abgedreht, er bekam schon solche unbeschreiblichen Augen. Glücklicher Weise sagte nun eine elegant gekleidete Dame irgend etwas in ein Mikrofon und Pietro konzentrierte sich darauf. Oh Mann, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? *** Ende Teil 2 Kapitel 3: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 3 Die Ansage betraf das Programm des Abends und auf Pietros Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, das mir überhaupt nicht gefiel. 'War keine gute Idee, mit zu gehen...' Gleich darauf lief jemand zwischen den Tischen hin und her und verteilte weiße Nummernschilder aus Stoff, die sich die Frauen um den Hals legen ließen. Irgendwie hatte ich eine schlechte Vorahnung und ich hätte schreien können, als Pietro nach einem Stoffschild griff und es mir um den Hals hängte. Die Nummer sechzehn. Dabei murmelte er etwas wie: nur für heute und nur so aus spaß. Okay, gut, ich gab mich geschlagen. 'Was soll's, hätte auch schlimmer kommen können...' Wir begaben uns also auf die Tanzfläche und die Band begann erneut zu spielen. Zuerst tanzten wir ganz bequem, nicht so übertrieben wie manch anderes Paar. Später ging es dann richtig los. Der absolute Wahnsinn! Die Lichter ringsum begannen zu kreisen und Pietro und ich brauchten uns nur anzurühren, nur anzutippen, mehr nicht. "Das ist ein Tänzerpaar", hörte ich jemanden auf Deutsch sagen, war mir aber nicht sicher, ob es auf uns gerichtet war. War mir aber auch egal. Ich sah nur noch seine Augen, sie wirkten irgendwie magisch anziehend. Nun gab es kein Entrinnen mehr. Hoffentlich würde mich die gute alte Schwerkraft auf dem Boden halten, ich war kurz vor dem Abheben. Stopp. Die Musik verstummte und Nummern wurden aufgerufen. Unsere war nicht dabei, wir durften also weiter tanzen. Mann, wenn ich das nachher Mama erzählen würde... Nachher? Oh Shit, ein Blick auf meine Uhr holte mich in die Realität zurück. Es war schon elf und wir hatten Mama versprochen, um zwölf da zu sein. Wie lange das wohl noch dauerte? Wir waren noch mindestens fünfzehn Paare auf der Tanzfläche. Und wenn jede Runde nur drei Paare ausstiegen, würde es noch Ewigkeiten dauern - oder auch nicht und wir waren schon bei der nächsten Runde out. Also ging es weiter. Bei langsamen Tänzen legte Pietro seine Wange an meine und sein Arm presste meinen Oberkörper an seinen, dass mir die Luft wegblieb. Zuerst stemmte ich mich noch dagegen, aber dann wurde in mir alles so butterweich, da gab ich es auf. Ich konnte es selbst nicht glauben: dass ich Spaß an diesem engen Getanze hatte und das auch noch mit einem *Kerl*. Als die Musik endete, wurden auf der Bühne von Tanzgirls Nummern auf weißen Pappschildern hochgehoben. Ich hatte unsere Nummer schon längst vergessen und war der festen Überzeugung, wir seien out. Pietro hingegen jubelte und wirbelte mich einmal im Kreis. "We are in the competition!" Nur noch acht Paare durften den nächsten Durchgang mitmachen. Und wir waren dabei. Die restlichen verbliebenen Paare fingen an, sich kritisch zu mustern. Wohl um abzuchecken, wer die größte Chance hätte zu gewinnen. Ich fand das total bescheuert, das hier war doch eh nur Spaß, aber die meisten schienen es voll ernst zu nehmen. Es ging also weiter und es wurde ein Rap gespielt, den ich von unserer Schulband kannte und so legte ich noch einmal richtig los, lies meine Hüften und Schultergelenke kreisen. Und ich hätte wetten können, dass mindestens die Hälfte der Konkurrenz versuchte, mir das nachzumachen. Einmal stießen wir bei einem meiner obergeilen Manöver mit einer alten blonden Tussi zusammen, deren hellblaues enges Kleid so um ihre Rundungen drapiert war, das es mich an den Vorhang im Foyer unseres Stadttheaters erinnerte. Sie schoss einen Laserstrahl auf mich ab. Ich spürte, dass sie mich beneidete oder verachtete oder beides. Egal, schließlich war das hier nur just for fun. Und weiter? Megamäßiges Glück, denn Pietro und ich waren beim Siegertrio dabei. Mit uns noch ein nett aussehendes blondes Mädchen mit ihrem Partner und - du kriegst die Motten - die drapierte Tussi. "We shall win and you will be the queen!", flüsterte Pietro mir zu und ich war so gut drauf, dass ich ihm die Bezeichnung *queen* verzieh. Es ging weiter und ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Mich hatte ein Schwindel erfasst. Diese Superlocation, die ganze Deko, das ewige Tanzen mit Pietro, seine Anmache... und dann auch noch der Alkohol, die heiße Nacht und über uns dieser unglaubliche Sternenhimmel. Alles drehte sich um mich und ich hatte die Kontrolle über meine Schritte verloren. Nur gut, dass Pietro mich so fest im Griff hatte. Der letzt Ton verebbte und Pietro blieb in einer Umarmung stehen, starrte zum Mikrofon hinüber, das nun leise knackte. Es war längst nach eins, als die Ansagerin ans Mikro herantrat um das Ergebnis zu verkünden. Pietro packte meine Hand, zog mich ein bisschen näher in Richtung Bühne. Endlich wurden die Siegernummern vorgelesen und ehe ich reagieren konnte hatte Pietro mich schon ganz vor an die Rampe. Wir hatten gewonnen. Es dauerte ein Weilchen bis ich das realisierte. Plötzlich stand ich auf den Podest und starrte geblendet in das Dunkel vor mir, sah die im Scheinwerferlicht blass wirkenden Gesichter von Pietro und den anderen. Mir wurde ganz heiß in dem grellen Licht. Der Applaus war *mein* Applaus! Dann wurde mir ein blaues Seidenband mit Goldschrift umgelegt. Unentwegt lächelte ich, in die glücklichen Gesichter der anderen Siegerinnen und in die Blitze der Fotografen. Die Ansagerin drückte uns Geschenke in den Arm, Blumensträuße, Konfektschachteln und eine kleine blaue Schatulle auf der in Goldschrift 'Miss Bellezza e Moda' stand. Und diese Miss war ich! Ich dachte nicht eine Sekunde daran, dass ich mich normalerweise darüber aufregen müsste, dass ich es nicht leiden konnte, als Mädchen bezeichnet zu werden, aber das war mir im Moment egal. Ich erwartete, dass jeden Augenblick ein Blitz in den Boden vor mir fahren würde, gefolgt von einem grausamen Donnerschlag und ich würde schweißgebadet in meinem Bett aufwachen. Ich kniff mir in den Arm, hatte ganz menschliche Empfindungen dabei. Dieser Abend *war* echt, die Blumen, der Händedruck der Gratulanten, das Megawattgeflimmer. Genau so wie Pietros heiße Umarmung später draußen auf der leeren Straße. Er flüsterte etwas auf Italienisch und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. Ich fühlte mich wehrlos mit all den Geschenken im Arm. Ich wollte nicht, dass er weiter machte und gleichzeitig wünschte ich es mir doch. Das holte mich schlagartig von meinem Höhenflug zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Verdammt, wir waren viel zu spät dran und so langsam spürte ich auch wieder die Schmerzen in meinem Fuß. "Wir sollten uns beeilen, Pietro, meine Mutter wartet bestimmt." Ich drückte ihm das Bukett in den Arm, so dass er mit seiner Umklammerung aufhören musste. Er hatte nur noch einen Arm frei, den er auch schon sofort um mich gelegt hatte. 'Pha, der hat sich bestimmt schon ne schöne Lovestory für uns ausgedacht, dieser Idiot. Am kühlen Strand und nur den herrlichen Sternenhimmel als Beobachter. Tja, wenn Mama nicht gewesen wäre!' Unterwegs öffnete ich die Schatulle, die offensichtlich meinen Gewinn enthielt. Wäre mein Kiefer aus Gummi, wäre mein Unterkiefer sicher schmerzhaft auf den Boden geknallt. Ein Armband aus Gold lag auf hellblauem Samt, bestehend aus drei schimmernden Bänder, die mit einem Verschluss zusammengehalten wurden. Mama würde staunen. Und die zu Hause erst! Kurz vor dem Clubgelände hielt Pietro an, legte die Blumen auf eine Bank und umfasste mich um die Hüfte, zog mich eng an sich. "Ein Kuss noch", hauchte er. Er küsste wie ein Weltmeister, wie er auch getanzt hatte. Sicherlich tat er auch das *andere* wie ein Weltmeister, aber jetzt war wirklich nicht die Gelegenheit, sich das auszumalen. Scheiße, ich konnte ja nicht mal behaupten, dass ich betrunken war, als ich mich von ihm hab küssen lassen - und zwar so richtig! Das und die Tatsache, dass ich mich gleich in die Höhle einer wilden, beinahe unbesiegbaren Löwin begeben musste reichte aus, um mich entschlossen gegen ihn zu stemmen. Den würde ich sicher nie wieder mehr als zwanzig Meter an mich ran lassen. Und überhaupt, was fällt dem ein, mich zu küssen. Ich stand schließlich nicht auf Kerle, schon gar nicht auf so einen Idioten. Das mir mein Gefühl einreden wollte, dass mir der Kuss durchaus gefallen hatte und ich ihn auch nicht gerade sehr entsetzt erwidert hatte, übersah ich einfach. Wer hörte schon auf sein Gefühl. Pietro ließ mich sichtlich ungern gehen, aber Mama wartete nun mal... Auf geht's... *** Als ich an der Tür unseres Bungalows angekommen war, spürte ich, wie sich mein Pulsschlag bestimmt verdoppelte. Warum eigentlich? Trotzig drückte ich die Klinke und machte mich innerlich auf eine Standpauke gefasst, wie ich sie wahrscheinlich noch nie gehört hatte. Mama schließ - wie erwartet - nicht, sondern saß mit einer Zeitung in der Hand auf dem Bett, aufrecht wie eine Eins. 'Vielleicht ist das auch gar nicht meine Mutter, dieses keifende Weib', mutmaßte der krankeste und paranoideste Teil meines Hirns, der wirklich selten zum Vorschein kam. "Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!", schnauzte sie, als ich mich meiner Siegertrophäen entledigt hatte. "Ich weiß, dass es spät ist." "Wie kannst du mir so etwas nur antun?" Aha, da hatte man es wieder. Aber *sie* durfte das immer, ja?! "Lass es mich erklären, Mama! Das war s-" "Und dieser infame Kerl, dem werd ich auch noch was erzählen!", unterbrach sie mich. "Mein Gott, da lässt man dich auch nur ein Mal allein." 'Kein Zweifel, die wurde ausgetauscht und hat jetzt irgendwelche spleenige Ideen. Wahrscheinlich denkt sie...' Ich ließ mein konfuses Hirn gar nicht erst zuende denken, das was dabei rauskommen würde, würde mir sicher nicht gefallen - oder vielleicht eher doch?? "Es kam, dass wir bis zum Schluss bleiben mussten.", versuchte ich es ihr zu erklären. "Ich wollte schon die Polizei einschalten, täglich passier so etwas!" Sie hörte mal wieder nicht zu. Ob sie Peter jemals so niedergemacht hatte?? "Mama, ich habe gerade ein Goldarmband gewonnen!", versuchte ich sie zu besänftigen - und hätte mich gleich darauf am liebsten geohrfeigt. Mama starrte mich an, als wäre ich ein Zombie, ein Mörder oder was weiß ich was für ein Monster. "Um Himmels Willen!", hauchte sie entsetzt. Allmählich langte es mir. Was soll diese Szene, vertraute sie mir etwa überhaupt nicht? Also trat ich zu ihr, hielt ihr die meerblaue Schatulle unter die Nase und öffnete sie. Im Schein der Zimmerbeleuchtung schien das Goldband noch mehr zu strahlen als zuvor unter dem Mondlicht. Aber Mama war wohl vor Frust und Zorn blind und taub. "Davon will ich nichts wissen", sagte sie mit einer Stimme, als wollte ich ihr ein schreckliches Geheimnis anvertrauen. "Das dir das passiert ist, ausgerechnet dir!" "Häh?" Spinnt die? Die dachte doch jetzt nicht wirklich...? Oh Mann, die dachte!! Die traute mir also allen ernstes zu, dass ich mit einem Kerl, den ich erst ein paar Tage kenne, in die nächstbeste Kiste hüpfe?? Mit einem *Kerl*? Und so was war meine Mutter? "Dass du dich darauf eingelassen hast! Dass du dich auf ihn eingelassen hast!" jammerte sie auch weiter. Jetzt reicht's!! Das muss ich mir nicht geben!! "Du täuscht dich da ganz gewaltig! Denkst du etwa wirklich... Mann, du bist auf der falschen Fährte, wenn du wirklich glaubst, ich hätte es mit *ihm* getrieben!" 'Der ist nämlich nicht mein Typ... Wenn er wenigstens ein *bisschen* wie Lucas wäre...' Ich war so damit beschäftigt, meine Mutter anzubrüllen, dass ich diesen Gedanken, der sich da so ganz ohne mein Zutun eingeschlichen hatte, glatt übersah. "Es gab einen Tanzwettbewerb, kapierst du? Nur einen einfachen, guten, alten Tanzwettbewerb. Und wir haben halt mitgemacht! Und gewonnen! Deshalb hat das so lange gedauert, wir konnten doch nicht mittendrin einfach abhauen!" Mama sah mich aus leeren Augen an, sie konnte einem wirklich leid tun. Aber ich war nicht in der Stimmung, darauf einzugehen. "Kapierst du endlich?" Sie beobachtete die - inzwischen wieder geschlossene - Schatulle, als würde sie jeden Moment aufspringen und eine Vogelspinne hervorzaubern. "Ist das wahr?" Wenigstens schien sie wieder sprechen zu können. "Ja, auch wenn du es mir vielleicht nicht zutraust. Alles was wir getan haben war tanzen, tanzen und nochmals tanzen! Und dann war es auf einmal halb zwei und ich war Sieger!" "Und danach ist nichts passiert?", wollte sie misstrauisch wissen. "Doch! Als Sieger wurde mir dieses Schmuckstück überreicht!" Ich deutete auf die Schatulle mit dem Armband. "Und er ist wirklich nicht zudringlich geworden?" Aha, Mama hatte also doch wirklich gemerkt, dass Pietro auch dem gleichen Geschlecht nicht abgeneigt war. Aber das sie mir das ebenfalls zutraute war irgendwie erschütternd. Ich dachte immer, Eltern würden es schrecklich finden, wenn ihr Kind sich als Homosexuell entpuppte. Oder zumindest würden sie es nicht so einfach hinnehmen. Aber meine Mutter schien ja davon auszugehen, dass ich schwul war. 'Also, irgend etwas läuft hier nicht so richtig wie es soll!' 'Wieso, wäre es dir lieber, deine Mutter würde versuchen, dich mit allen möglichen und unmöglichen Mädchen bekannt zu machen und zu verkuppeln?' 'Nein!! Aber trotzdem... Wie kommt sie darauf, dass ich schwul bin? Ich stehe nicht auf Jungs!' 'Ach ja? Und wie kommt es dann, dass du ständig *davon* träumst? Das es dir gefallen hat, diesen Kerl zu küssen?' 'Klappe! Was mischt du dich hier eigentlich ein? Du hast dich sonst ja auch immer raus gehalten, also mach das du weg kommst, sonst...' Die Diskussion mit meinem inneren Schweinehund beendend, registrierte ich, dass Mama immer noch auf eine Antwort wartete. Ich musste kichern. "Mama, ist er nicht. Aber selbst wenn..., Mann, ich bin siebzehn Jahre alt, glaubst du nicht auch, dass ich mich wehren könnte, wenn es gegen meinen Willen geschehen würde?" Klar, als ob ich Schwächling gegen Pietro eine Chance hätte, träum weiter! "Und außerdem, jeder in meiner Klasse hat schon mal mit jemanden geschlafen und du denkst, ich müsste bis in alle Ewigkeit meine Unschuld bewahren, oder was! Hey, in welchem Zeitalter lebst du denn?" Hach, ich war so richtig schön in Rage, nichts und niemand konnte mich stoppen! "Und eins sag ich dir, irgendwann werd ich's auch ausprobieren, ich werd nicht mehr lange warten!" Mama guckte irgendwie komisch. "Aber doch nicht mit jemandem x-beliebigen, mit so einem alten..." "Gestern fandest du Pietro aber nicht alt...", sagte ich vieldeutig. Während unserer 'Unterhaltung' hatte ich mich ausgezogen und stand nun in Boxershorts vor dem Badezimmerspiegel und entfernte die letzten Make-up-Reste. "Erlaube mal!", rief Mama empört. Ich gähnte nur, löschte überall das Licht und kroch unter die Baumwolldecke. Plötzlich weinte Mama. Ich kapierte wirklich nicht weshalb. Vielleicht, weil sie ganz alleine einen öden Abend verbringen musste, während ich mich amüsierte. Vielleicht, weil sie sich doch in Pietro verguckt hatte, nur ein kleines Bisschen, und dass, obwohl er bestimmt knapp zwanzig Jahre jünger war als sei. Ich schwor mir im Stillen, nie wieder allein mit Mama in den Urlaub zu fahren, und sei das Reiseziel noch so verlockend! Warum ließ sie mich auch nicht alleine erwachsen werden, mischte sich immer ein und komplizierte dadurch nur alles, ihr eigenes Leben und meines. War sie doch selbst schuld, dass sie sich jetzt so mies fühlte. Trotzdem konnte ich sie nicht einfach so da liegen lassen. Also rutschte ich näher zu ihr hin und strich ihr durchs Haar. "Ich bin wirklich froh, dass dir nichts passiert ist", wisperte sie. "Ich weiß. Jetzt lass uns endlich schlafen", antwortete ich. Keine fünf Minuten später hörte ich ihre gleichmäßigen Atemzüge. Ich konnte nicht schlafen, meine Nerven waren überreizt und so dachte ich nach. Was, zum Kuckuck, sollte ich mit einem Goldarmband anfangen? Verschenken? Mama hatte nächstes Jahr ihren Fünfzigsten, das wäre doch ein schönes Geschenk. Bald schon glitten meine Gedanken zu diesem einen Thema. Nicht, dass ich freiwillig so oft und so intensiv über dieses Thema nachdachte, aber auch wenn ich mich zwang, an langweilige Mathestunden oder Chemieversuche zu denken, glitten meine Gedanken unweigerlich zurück. Bedauerte ich etwa, dass ich nicht mit Pietro geschlafen hatte? Eher nicht. Mittlerweile hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, wohl doch schwul zu sein. Was war daran denn sooo schlimm?? Es gab schließlich eine Menge Leute, die Homosexuell sind, warum also nicht auch ich? Und schließlich gab es ne Menge hübsche Kerle... Ich dachte an die Leute aus meiner Klasse, an Karsten und Mark, meinen Vater und an Peter. Wie die das wohl aufnehmen würden? Mama schien ja offensichtlich keine Probleme damit zu haben... Würde sich die Freundschaft zu Karsten ändern? Würde er es vielleicht ekelhaft finden? 'Am besten du erzählst es ihm einfach nicht - noch nicht!' 'Aber ich hab ihm immer alles erzählt! Und ich glaube nicht, dass er es eklig finden wird! Er ist schließlich mein Freund.' 'Na und, du würdest dich wundern, wie schnell sich dass ändern kann...' Über meine Gedanken hinweg glitt ich in die Traumwelt, begleitetet von Karstens lächelndem Gesicht. Und in meinen Träumen waren wir keine Freunde. Da waren wir mehr, viel mehr... Und als dann auch noch Lucas Karstens Platz einnahm, wurden die Träume auch noch sehr, sehr feucht... *** 'Nur noch zwei Tage' schoss es mir durch den Kopf, als ich mich faul im Bett räkelte, die Sonnenstrahlen, die in mein Gesicht fielen, ignorierend. Mann, hatte ich einen Kopf! Der wog mindestens eine Tonne! Und es waren bestimmt zwanzig Drummer damit beschäftigt, darin zu üben! Mama summte aus dem Badezimmer, anscheinend hatte sie blendende Laune. Da kam sie auch schon wieder, in Jeans und Blümchenbluse. "Morgen", nuschelte ich in ihre Richtung. Irgendetwas stimmte nicht so ganz mit meinen Stimmbändern, ich klang so eingerostet. "Morgen Mandy!" trällerte sie fröhlich. "Was soll denn jetzt mit den Blumen passieren? Auf ewig kannst du sie nicht in der Badewanne lassen - und dass auch noch ohne Wasser!" Träumte ich noch oder hörte ich tatsächlich einen Vorwurf wegen meiner hartherzigen Behandlung der Blumen gegenüber? "Ich werd mich mal um eine Vase kümmern." Ohne auch noch eine Erwiderung oder ähnliches abzuwarten war Mama auch schon verschwunden. Ächzend setzte ich mich auf und krabbelte aus dem Bett. Der Blick in den Badezimmerspiegel wirkte ernüchternd. Das konnte unmöglich ich sein, der mir da entgegen starrte. Müde Augen, nein falsch, müdes Gesicht, als hätte ich nächtelang durchgemacht. Meine Haare standen ohne jegliche Ordnung und Sinn in alle Himmelsrichtungen ab. Ich schnitt mir selbst eine Grimasse, nicht gewillt mich in Selbstmitleid und Depressionen zu stürzen. Eine Ladung kaltes Wasser wirkte bestimmt... *** Nach einem wirklich gemütlichen Frühstück, das ausnahmsweise auch noch richtig gut schmeckte, entschieden Mama und ich, noch mal an den Strand zu gehen. So liefen wir in stummer Eintracht mit unseren Badesachen los. *** Also, man glaubt ja gar nicht, was so alles passieren kann! Zuerst stießen wir, keine zwei Meter vom Clubgelände entfernt auf einen grünen Kleinbus mit Berliner Nummernschild, der dann auch noch voll besetzt war. Das Auto und die Besatzung - sechs eigentlich ganz nett scheinende Jungs - wirkten irgendwie staubig, so, als wären sie vorher quer durch Afrika gefahren und das auch noch jahrelang. "He, Puppe", quatschte mich einer der Kerle an, die gerade dabei waren, aus dem Minibus zu klettern, "weißte, dass ich ne Schwester hab, die genau so aussieht wie du?" Ja, ja, das kennt man ja, die typischen bescheuerten Anmachsprüche, die heute doch bei keinem mehr zogen. Ich ignorierte die Typen also und als wir schon fast an ihnen vorbei waren, wollte er noch wissen, wo man hier denn surfen konnte. Zugegeben, ich hatte von surfen und so keine Ahnung, wusste also echt nicht, ob man das hier kann oder nicht, aber ich sagte ihnen trotzdem, sie sollen einfach hinter uns herlaufen. Und Wunder, oh Wunder, sie taten das dann auch tatsächlich. Mama schien darüber nicht sehr erfreut, aber was machte das schon, die kleine Wegstrecke bis zum Strand... Denkste, die mussten sich dann natürlich gleich neben uns niederlassen! Die wollten tatsächlich nichts, außer ins Wasser und Mama beruhigte sich wieder. Nur einer der Berliner wurde richtig zutraulich, und so fing dann auch ein richtig nettes Gespräch an: wo sie gerade herkamen, wer sie waren, ob sie hier bleiben wollten und so weiter und so fort. Dass sie aus Berlin kamen, das wusste ich ja schon, aber das Beste kam ja noch. Die kannten doch tatsächlich diese 'supertolle' Sängerin, von der mir Lucas schon vorgeschwärmt hatte. Tja, daran konnte man mal wieder sehen, wie klein die Welt doch ist. Ich beschloss mich bei ihm - ganz diskret, nebensächlich und natürlich überhaupt nicht vorsätzlich - über diese Sue zu informieren, und er ging dann auch gleich darauf ein. Er erzählte also munter darauf los, alles was ich wissen wollte oder auch nicht, er konnte mir alles sagen. Die Temperaturen kletterten immer höher, schließlich hielt ich es nicht mehr aus und streifte mir mein T-Shirt über den Kopf. Immerhin hatte ich schon ein bisschen mehr Farbe als die Berliner, die mich fast alle anstarrten. "Was? Hab ich was im Gesicht oder warum starrt ihr so?" Im Grund kannte ich die Antwort ja schon, es war doch immer das Gleiche. "Na ja, eigentlich hatten wir dich für ein Mädchen gehalten..." Entschuldigend grinste mich der 'Zutrauliche' an - und verlor auch schon fast schlagartig das Interesse an mir. Ich musste in mich hinein grinsen. 'Ja, ja, Kleiner, hast dich bestimmt schon auf was weiß ich was alles gefreut!' Ich widmete mich wieder meiner Mama, die gerade klitschnass aus dem Wasser kam. Gemütlich grillten wir bis in den späten Nachmittag in der Sonne, ich würde bestimmt einen Sonnenbrand ohne gleichen bekommen. Dann hielt ich es nicht mehr aus. Die Rumliegerei stieg mir zu Kopf und ich langweilte mich furchtbar. Schließlich stand ich auf, zog mir mein Shirt wieder über und sagte: "Ich bin ein bisschen bummeln." "Pass auf dich auf!" "Sicher!" Als ob an jeder Ecke große, böse Männer auflauern würden, um mich, mehr einem Mädchen als einem Jungen gleichenden Schwächling mit einem Messer anzugreifen. *** Kaum hatte ich mich in Bewegung gesetzt fühlte ich mich auch schon viel besser. Ich wanderte den Strand entlang, der jetzt nicht mehr ganz so brechend voll war, wie ein paar Stunden zuvor. Ich zog meine Turnschuhe wieder aus, wirbelte mit den Zehen Sand auf und fühlte mich einfach großartig. Ich lief, bis ich an eine Bucht kam, die nicht aus Sand, sondern aus Steine bestand. Ich setzte mich, planschte ein weinig mit den Füßen im seichten Wasser und genoss es einfach. Entspannt lehnte ich mich zurück, dachte daran, wie schön es doch wäre, wenn Lucas jetzt hier bei mir wäre, neben mir sitzen würde. Wir wären Händchenhaltend hierher gelaufen, hätten einen Platz ganz für uns allein, würden die leichte Briese genießen, uns immer wieder zärtlich küssen... Seufzend schloss ich die Augen. 'Warum nur schleichst du dich immer in meine Gedanken?' 'Na, weil du in ihn verliebt bis!' 'Quatsch, ich bin nicht verliebt! Das hätte ich gemerkt.' 'Klar, du träumst nur ständig von ihm, stellst dir vor, wie schön es wäre, mit ihm zusammen zu sein, mit ihm Zärtlichkeiten austauschen zu können, aber du bist natürlich nicht verlieb!' 'Nein, bin ich auch nicht... Na gut, vielleicht ein ga~anz kleines bisschen... nur minimal, nicht der Rede wert...' 'Ja, ja und morgen ist Weihnachten! Klar bist du verliebt, dich hat es erwischt, hundertprozentig und richtig heftig.' 'Nein. Nein, nein, nein, nein, nein! Ich will mich nicht verlieben! Nicht jetzt, wo er doch diese blöde Tussi aus den USA hat.' 'Seid wann kannst du es dir denn aussuchen, wann du dich verliebst? Und außerdem, soo toll scheint die auch nicht zu sein, wenn dass was der Berliner da erzählt hat auch nur zur Hälfte stimmt. Wenn du wieder zu Hause bist, rede mit ihm. Ich wette er wird nicht abgeneigt sein und dann...' '*Spinnst* du? Ich soll ihm das auch noch sagen? Nie im Leben!! Der lacht mich doch aus und hält mich für total bescheuert!' 'Ach ja, ich vergaß, du bist ja ein Feigling ohne Ende...' 'Na und? Lieber ein Feigling sein als sich vor dem Freund seines eigenen Bruders total lächerlich zu machen! Und außerdem, wer sagt denn, das er wirklich schwul ist? Vielleicht war das ja nur ein blöder Spaß von Peter. Schließlich hat Lucas jetzt ja diese Sue.' 'Ach, glaubst du? Vielleicht ist er ja auch nur bi und du hast somit noch alle Chancen?' 'Aber klar doch, ausgerechnet ich! Schau mich mal an, glaubst du ernsthaft, ich hätte bei nem Typen wie Lucas eine Chance? Und jetzt halt die Klappe! Um deine Meinung hat dich nämlich niemand gebeten!' Meine eiskalten Füße rissen mich aus meinem innerlichen Streit zurück in die Wirklichkeit. Und mein knurrender Magen erinnerte mich daran, dass ich das Mittagessen ausfallen hab lassen und nun einen ganzen Ochsen verdrücken könnte. Die Sonne ging auch schon unter und tauchte die Landschaft in ein wunderschönes rötliches Licht. Irgendwie wurde es mir schwer ums Herz. Es war so ein schöner Anblick und ich saß hier alleine. Einsam und verlassen. Das Leben war doch echt zum Heulen. Langsam schlenderte ich wieder zurück, es waren nur noch wenige Menschen unterwegs. Unser Platz am Strand war auch leer, Mama war also schon gegangen. Ich ging die Straße hoch, keine zweihundert Meter vor mir lief ein Paar. Der Typ hatte gelben Hosen an und ein weißes Shirt, ein ebenfalls weißer Pullover hatte er sich locker um die Hüften gebunden. Den Arm hatte er um die Schultern der gelegt, die Badetasche kam mir vertraut vor. Ein interessantes Paar - Pietro und meine Mutter. Ich konnte einfach nicht wegschauen, diese Szene hatte etwas unwirkliches an sich, wie eine Halluzination. Wirklich wunderbar, so ein verdammter Macho! Unterwegs blieben sie kurz stehen, meine Mutter erklärte ihm etwas mit Händen und Füßen. Ich setzte mich auf den Boden, wollte nicht, dass sie mich bemerkten, wollte nicht mit ihnen reden müssen. Ich hatte auch keinen Appetit mehr, war mir nicht sicher, ob ich zum Essen gehen sollte. Ich fühlte mich komisch - so ein Gefühl wie dieses hatte ich noch nie. Eifersucht? Nein, ich machte mir ja nichts aus dem Typen. Aber was war es dann. Ich saß also noch ein Weilchen da, grübelte darüber nach, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. *** Als ich mich dann doch dazu entschied, etwas essen zu gehen, und im Speisesaal eintraf, war meine Mutter schon fertig. "Na, hast du genügend nachgedacht?", wollte Mama wissen und lächelte mich an. Ich gab keine Antwort, zuckte nur mit den Achseln. Konnte ihr ja egal sein. Sie hatte sich doch prächtig amüsiert. Sie betrachtete mich prüfend mit diesem typischen Mutterblick, der mir eindeutig sagte, wie reif, selbstbewusst und abgeklärt sie doch war. "Vielleicht solltest du dich etwas hinlegen", schlug Mama mir vor. Auch das noch. "Was heißt das? Willst du mich loswerden?" "Unsinn, Mandy - ich denke nur, es kann dir nicht schaden, nachdem du dir die Nacht um die Ohren geschlagen hast..." "Ich habe mir nicht die Nacht um die Ohren geschlagen, ich war nur tanzen, das war's auch schon." Darauf antwortete Mama nicht. Ich wurde nervös. Keine Ahnung warum, aber die Nervosität hielt mich und so stopfte ich Weißbrot in mich hinein. Und dass, obwohl ich genau wusste, dass dieses Zeug bekanntlich dick macht und ich die überflüssigen Pfunde nicht so ohne weiteres los werden würde. Aber was interessierte es mich? "Und?", fragte ich schließlich, das Schweigen wurde mir einfach zu blöd. "Was und?" "Na, kommt er nun oder kommt er nicht?" Mama guckte erstaunt. "Tu nicht so scheinheilig - der Heilige Geist." "Du meinst Pietro, hast du ihn schon gesehen?" "Euch habe ich gesehen, interessiert mich aber nicht die Bohne." Oh Mann, Mandy, du bist ja so ein Idiot!! Das hat sich jetzt auch so richtig glaubhaft angehört! "Er kam vorbei, kurz nach dem du gegangen bist", sagte Mama und mir kam es so vor, als wollte sie sich entschuldigen. "Und da bleibt dir nichts anderes übrig, als eng umschlungen mit ihm durch die Gegend zu rennen? Macht schon einen etwas komischen Eindruck." "Was ist denn in dich gefahren?", fragte Mama. Tja, das wüsste ich auch gerne! Also: ablenken!! "Sag mal - wie heißt Papa denn mit Vornamen?" Nicht das ich es nicht wüsste, aber ich glaube, ich war gerade dabei, meiner Mama den Spaß ganz schön zu verderben, da wollte ich das wenigstens auch richtig tun! Sie zuckte leicht zusammen, antwortete aber ohne mit der Wimper zu zucken: "Michael. Wie kommst du denn jetzt darauf?" "Weil ich dich mit Michael mal gerne so rumlaufen sehen möchte!" Mama ignorierte meine Bemerkung: "Gleich kommt Pietro. Er hatte die nette Idee, mich heute Abend auszuführen, sozusagen als Entschädigung für gestern." Aha, so lief das hier also! Ich musste wohl ein ziemlich blödes Gesicht gemacht haben, wahrscheinlich sah ich aus als hätte ich einen Liter puren Zitronensaft auf ex getrunken, jedenfalls sagte Mama: "Ach Mandy, was ist denn los? Soll ich lieber hier bleiben und mit dir etwas unternehmen?" "Nicht nötig, eine Tragödie aus der Geschichte zu machen!" Dann schwiegen wir uns wieder an. Was sollte ich auch schon großartig sagen? Mama ich finde es scheiße, dass du dich von einem Typen um den kleinen Finger wickeln lässt, der sich gestern noch am liebsten an deinen Sohn rangeschmissen hätte und wenn wir weg sind, keinen Gedanken mehr an dich verschwendet, außer, wie gut du im Bett warst? Nee, das konnte ich unmöglich sagen, schon gar nicht hier. *** Als wir den Speisesaal verließen stand Pietro schon abfahrtbereit da. "Ciao, bella!" Was für ein Heuchler! Ich betrachtete das lächerliche Gefährt, dass sich einen Motorroller schimpfte. Ein paar übliche Begrüßungs- und Verabschiedungsfloskeln, Mamas Versprechen, nicht zu spät zurück zu kommen und meine Bemühungen, so gleichgültig wie nur möglich auszusehen. Macht mir echt nichts aus, dass meine Mama mit einem Macho der übelsten Sorte unterwegs war. Wieso auch? Mit abartigem Geknatter verschwand die beiden auf dem Motorroller. Jetzt stand ich also da, wusste absolut nicht, was ich mit dem angefangenen Abend anfangen sollte. So eine verdammte Scheiße. Ich beschloss, mir noch einmal die absolut tödlich langweilige Einkaufsmeile anzusehen, vielleicht entdeckte ich irgendwo ein Kino, in dem ich mir einen Schnulzfilm anschauen konnte, mit mehr Amore und dem ganzen Mist als eigentlich zulässig und ertragbar. Vor einem anderen Hotel lag ein Pärchen am Swimmingpool und küsste sich wie verrückt in aller Öffentlichkeit. Ob Mama sich eigentlich von ihm betatschen ließ? Ich war mir zwar sicher, dass sie ihn nicht weit kommen ließ, aber es machte mich dennoch irgendwie rasend. Ich hatte die kuriose Idee, Papa anzurufen, als ich eine öffentliche Telefonzelle sah, verwarf den Gedanken aber genau so schnell wieder, wie er sich in mich geschlichen hatte. Dann kam mir der blitzartige Einfall, Lucas' Stimme zu hören. Es war wie ein Schlag in den Bauch und ich spürte erschüttert, was für eine Sehnsucht ich empfand, wenn ich auch nur an ihn dachte. Aber ich hatte ja noch nicht mal seine Nummer. Ob ich mich auf englisch durch die Auskunft kämpfen konnte? Und was sollte ich ihm am Telefon sagen, falls er wirklich ran ging? Hallo, wollte nur mal hören, wie bei dir das Wetter so ist?? Oh man! Ich zermaterte mir also das Gehirn, ohne auf eine gescheite Lösung zu kommen. Aber ich hatte ja Zeit... Ich kam gerade an einem Zeitungsladen vorbei, den ich eigentlich gar nicht wirklich beachtete, als etwas dort meine Aufmerksamkeit fesselte. Waren das etwa... Sie waren es! Bilder von gestern Abend, unsere Bilder. Ich und die Vorhangtussi, ich in Großaufnahme, Pietro und ich beim Tanzen, ein Foto auf dem er mich küsst, und noch eins und noch eins... Wow! Die musste ich haben!! Damit die mir zuhause das alles auch glaubten. Leider hatte der Laden schon geschlossen, also musste ich wohl morgen noch mal her kommen. Ich starrte die Bilder noch eine Zeitlang an, hatte doch eh nichts besonders vor. Auf einen Schnulzfilm hatte ich keine Lust mehr, außerdem war nirgends ein Kino in sicht. Ich machte mich also wieder auf den Rückweg. Zum Glück begann meine Stimmung, sich zu heben. Dass meine Mutter mal für ein paar Stunden nicht in meiner Nähe war, schien mir ganz gut zu tun. Eine Weile schlenderte ich einfach so in der leeren Empfangshalle unseres Clubdorfes umher. Und ich überlegte schon wieder, welchen Grund ich haben könnte, Lucas anzurufen. Vielleicht Peter? Ich könnte ja behaupten, Peter ginge nicht ans Telefon, ob er denn wüsste, wo er sei? Würde er mir das glauben.? Ach, scheiß drauf, ich konnte dann ja immer noch ganz spontan Reagieren, mit "Ich wollte einfach deine Stimme hören" oder so. Ich notierte also alles, was ich wusste - was sich also auf Vor- und Nachnamen und die Stadt beschränkte - schön sauber in Blockbuchstaben auf einem Zettel und schob ihn der Telefondame unter die Nase. "Please give me a connection. " Es dauerte ewig, aber schließlich winkte die Frau mich in eine Kabine und ich nahm den Hörer ab. "Wer da?", wollte eine fremde, aber eindeutlich männliche Stimme wissen. "Ist dort Lucas Berger?" Ich war mir sicher, dass er es nicht war, es sei denn, er hätte ne fette Erkältung oder sonst was. "Melly, bist du's?" "Nein, hier spricht Mandy, aus Italien." "Hey, toll, was machst du denn in Italien?" Idiot, was macht man wohl in Italien? Bestimmt nicht auf den Eifelturm steigen!! "Bin ich eigentlich richtig verbunden?", wollte ich nun wissen, irgendwie kamen mir Zweifel daran, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, Lucas anrufen zu wollen. Aber jetzt hatte ich den Salat. "Tja, der Lucas ist momentan nicht da, aber du kannst dich ja stattdessen mit mir unterhalten." Er lachte leise. Hahaha, was für ein Witzbold. Für wen - oder was - hielt der sich eigentlich? Ich hatte echt keine gesteigerte Lust darauf, mich von irgendwelchen Ärschen auf den Arm nehmen zu lassen. "Wer sind Sie?", fragte ich. "Ich bin der Toby", sagte der Typ in einem Tonfall, als müsste jeder auf der Welt ihn kennen. "Toll, das sagt mir aber jetzt gar nichts!", sagte ich ungeduldig. "Ein Freund von Lucas, wir wohnen zusammen." Mich traf fast der Schlag. Also doch schwul. Also doch noch ne Chance... "Aha.", sagte ich blöde. "Soll ich ihm was ausrichten. Ich seh ihn heut noch.", bot mir dieser Typ - Toby - an. Ich hätte kreischen können. Das er ihn heute noch *sah* konnte ich mir lebhaft vorstellen! "Nein, nicht nötig", sagte ich, und ich wusste, dass ich ziemlich schnippisch klang. "Na dann, viel Spaß noch in Italien, Mandy!" Ich verabschiedete mich mehr oder weniger höflich von ihm und wollte gerade den Hörer einhängen, als ich sah, wie Mama von diesem blödsinnigen Motorroller stieg und erstarrte. Ihre sonst so ordentliche Frisur war windverzaust, ihr Gesicht strahlte. Pietro war noch mit dem Vehikel beschäftigt und Mama warf sich in einer noch nie da gewesenen Geste die Haare zurück und stich sich abwartend die Hose glatt. Immer noch hielt ich den Hörer in der Hand und war sprachlos. Dann legte ich auf. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Sollte ich mich verdrücken, damit ich den Beiden da draußen nicht in die Arme lief oder einfach so tun, als wäre alles total normal? Ich ging zur Telefonistin, bezahlte mein Gespräch - ganz schön teuer, dafür, dass ich nicht mal seine Stimme zu hören bekommen hab. Draußen drückte Pietro Mama auf beide Wangen Küsse und sie lachte ihn strahlend an. Plötzlich war meine gute Laune weg, ich fühlte mich ohne jeden Schwung, wie ein Auto, dem das Benzin fehlte. Alles lief schief. Mann, ich hatte entgültig die Nase voll, ich wollte nur noch weg, raus aus Italien, zurück in die Heimat. *** Um ins Bett zu gehen war es noch zu früh, gerade mal kurz nach zehn. Also beschloss ich, mal in die Disco zu gehen, die es hier gab. Das hatte ich beim Telefonieren eher zufällig entdeckt, aber vielleicht war dort ordentlich was los, wer konnte das schon wissen. Viel versprach ich mir nicht davon, aber es war immer noch besser, als jetzt mit Mama allein in unserem Zimmer zu sein. Sie hatten mich nicht gesehen, ich hatte mich praktisch an ihnen vorbei geschlichen. Nun marschierte ich also die Treppe hinab in den Keller, immer meinen Ohren nach. Aber es war absolut nichts los. Die Musik war zum Kotzen, an den Tischen hockten ein paar langweilig aussehende Typen, noch mehrere genauso langweilig aussehende Mädchen und einige Zuhältertypen. Niemand in Sicht, wegen dem es sich gelohnt hätte zu bleiben. Aber ich wollte auch nicht wieder auf dem Absatz kehrt machen und verschwinden, nur um dann doch mit meiner Mutter auf so engem Raum eingesperrt zu sein. Ich setzte mich also an die Bar und bestellte mir eine Cola. Dann beobachtete ich die Tanzfläche, auf der sich einsam und verlassen ein altes Ehepaar aufhielt, dass ein ziemlich schrilles Bild gab: megaalt, aber superstilvoll gekleidet. Sie tanzten Tango, als würden sie an der Endausscheidung für lateinamerikanische Tänze teilnehmen, ganz allein und das wirkte für mich eben so traurig wie verrückt. Wo bin ich bloß gelandet? Es kam mir ein wenig vor, wie der letzt Abend auf der Titanic, kurz vor dem Untergang. Plötzlich tauchte so ein Knabe auf, genau neben mir und fragte: "Wollen Sie tanzen?" Er sah nicht gerade toll aus, aber selbst wenn, ich hätte garantiert nicht mit ihm getanzt. Ich hatte keine Lust darauf, ihn höflich abzuweisen, also erklärte ich ihm ziemlich schroff: "Ich habe keine Lust zu tanzen." Er schien nicht davon beeindruckt zu sein, sondern setzte sich einfach neben mich an die Bar. Dabei ließ er mich nicht aus den Augen. "Haben wir uns nicht gestern gesehen?" Aha, jetzt versuchte er es also auf die Tour. War wohl schon lang nicht mehr unterwegs gewesen, sonst hätte er gewusst, dass er mit dem Spruch doch nur nen Korb bekommt. "Ich dachte, Sie hätten gestern da mitgemacht, bei dieser Misswahl durch Tanzentscheidung. Von weitem hat es so ausgesehen, aber so aus der Nähe..." Er ließ den Satz unvollendet, aber es gab mir auch so einen Stich. So ein Arschloch. "Die konnte es vielleicht gut! Tanzen meine ich. War aber auch ein paar Jahre älter als Sie." Hah, wenn du wüsstest! Gerade kam das alte Tänzerpaar von der Tanzfläche und stellten sich neben uns an die Bar und bestellten Whisky. Sie sprachen Englisch und sahen aus der Nähe aus wie mindestens hundert. Aber als sie sich zuprosteten sahen sie aus wie Jungverliebte. Der Typ neben mir quatschte immer weiter, aber ich achtete schon gar nicht mehr auf ihn. Irgendwann wurde es mir aber zu viel. "Bitte zahlen!", rief ich dem Barkeeper zu. Ich zahlte also, stand auf und wandte mich zum gehen. "Moment!", rief der aufdringliche Typ und grabschte auch schon nach meinem Handgelenk. "Was wetten wir, dass Sie es doch sind?" "Lassen Sie mich los!" Ich war kurz davor, einen Anfall zu bekommen und auszurasten. "Ich war auch dort", quatschte der Typ weiter, "es sind auch Fotos von Ihnen gemacht worden. Haben Sie sie schon gesehen? Jede Menge! Ich habe Sie sofort wieder erkannt!" Der Kerl hielt mich immer noch fest am Handgelenk, keine Chance, von ihm loszukommen. Warum passierte mir auch dauernd so etwas?? *** Ende Teil 3 Kapitel 4: ----------- Aber hier werden die Kapitel irgendwie immer kürzer....... URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 4 Gut, jetzt saß ich also in der Tinte. Womit hatte ich dass eigentlich verdient? Was war der eigentlich? Ein Kinderschänder oder so? Der Typ sah wirklich nicht so aus, als würde er mit sich damit Zufrieden geben, mich erkannt zu haben und sein Klammergriff fühlte sich nicht so an, als würde er gewillt sein, mich gehen zu lassen. Hilfesuchend blickte ich mich um. Die jüngeren Leute waren entweder mit sich selbst beschäftigt oder guckten sehr interessiert zu uns, das Gruftiepaar turtelte weiterhin miteinander. Ich wusste echt keine andere Möglichkeit. "Excuse me, what is the time please?", unterbrach ich sie hemmungslos in meinem besten Schulenglisch. Mit einem Schlag hatte ich ihre gesamte Aufmerksamkeit, sie wandten mir ihre lächelnden Gesichter zu. "A quarter to eleven," gab die Lady mir Auskunft. Der Kinderschänder ließ für einen kleinen Moment den Klammergriff um mein Handgelenk locker und ich nutzte die Gelegenheit und riss mich los. "Thank you!", rief ich noch den erstaunten Engländern zu, dann sprang ich immer zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe nach oben. Ich rannte durch die Halle nach draußen, bis vor unseren Bungalow ohne mich umzusehen. Puh, das ging ja noch mal gut! *** Mama lag mit hochgesteckten Haaren und einer Gesichtsmaske auf dem Bett und schmökerte mal wieder in ihrem Lieblingsroman. Ich ignorierte sie, verschwand im Bad und zog mich aus. Ich hatte nun echt keine Lust mehr, irgend etwas zu unternehmen, die Lust darauf war mir total vergangen. Ich ließ mich neben Mama aufs Bett fallen, murmelte etwas, das Gute Nacht heißen sollte in ihre Richtung und zog mir die Decke über den Kopf. Es dauerte ewig, bis ich einschlafen konnte. *** Glücklicher Weise waren wir fast die Letzten beim Frühstück, der Speisesaal war also nicht überfüllt. Das Gesöff, das die hier Kaffee nannten würde ich mir jetzt aber nicht antun, lieber später am Strand einen Cappuccino trinken. Morgen ging es heimwärts und in einer Woche fing schon wieder der alte Trott in der Schule an. Zwölfte Klasse. Bald fertig. Und was sollte ich danach machen? Na ja, darüber konnte ich mir immer noch Gedanken machen, wenn es so weit war. Hmm, hatte nicht mal jemand erzählt, dass man in der zwölften Klasse Bafög beantragen konnte? Damit könnte man sich ja ein eigenes Zimmer bezahlen. Unter gewissen, mir bisher unbekannten, Umständen wurde das gewährt. Papas Gesicht konnte ich mir deutlich vorstellen, seine Reaktionen sind zu 99% vorhersehbar. Aber was würde Mama sagen, wenn ich mir ein eigenes Zimmer suchen würde? "Du hast mir ja gar nichts von den Fotos erzählt", unterbrach Mama ein wenig vorwurfsvoll meine Gedanken. "Fotos?" Ich schaltete nicht gleich, solche Gedankensprünge am frühen Morgen sind nicht so mein Ding. "Ja, von deinem großen Abend. Pietro hat mir davon erzählt. Willst du sie dir nicht holen gehen? Zur Erinnerung?" "Ach die!" Klar hatte ich die schon, heute morgen kurz vor dem Frühstück bin ich hab ich sie mir gekauft. "Vielleicht", sagte ich. "Alles behältst du für dich!", beschwerte sich Mama. Pause. Was sollte ich dazu sagen? Das ich eben auch meine Privatsphäre brauche? Das sie mir schließlich auch nicht alles erzählt? "Warum reden wir bloß so wenig miteinander?" "Du sagst mir doch auch nichts. Du gehst und kommst, wie es dir gefällt, Mama, und erwartest dann, dass jeder sich umbringt um dich zu verstehen." "Das erwarte ich doch gar nicht!", sagte Mama und nach einer kleinen Atemzugpause: "Hat es was mit Pietro zu tun? Hast du dich vielleicht in ihn verliebt?" Aber hallo! Jetzt schlägt es aber dreizehn! "Ähm, Mama, dir ist schon klar, das du mir gerade unterstellst, schwul zu sein? Wie kommst du denn darauf?" Jetzt wollte ich es wissen. "Na ja, ich bin mir ja nicht sicher, ob du nun schwul bist oder nicht. Aber du hattest noch nie eine Freundin und Mädchen scheinen dich wirklich nicht zu interessieren. Da dachte ich halt..." "Und du würdest das nicht schlimm finden? Nicht ekelhaft oder abstoßend?" "Nein. Klar, man muss sich erst an den Gedanken gewöhnen, aber Mandy, du bleibst dadurch doch immer noch mein Sohn, es würde sich gar nichts daran ändern. Gut, ich würde nie Enkelkinder von dir haben, aber wenn Peter sich bei Susi ranhält..." Ich war baff. Und so was kommt von meiner Mutter, deren Eltern streng katholisch sind? Hatte sie vielleicht was eingeworfen und weiß nicht mehr, was sie sagt? "Bist du denn schwul?" Oho. Jetzt hieß es rede und antwort gestehen. War ich nun schwul oder nicht? Gestern war ich mir sicher, aber ob ich dass jetzt hier so einfach zugeben kann. Ich fühlte, wie mir die Röte nur so in die Wangen schoss, wahrscheinlich sah ich gerade aus wie eine überlebensgroße Tomate. "Hmm...", brummelte ich unbestimmt. Für Mama war meine Reaktion wohl antwort genug, denn sie lächelte mich warm an. "Und, bedeutet dir Pietro etwas?", fragte Mama. "Bedeutet er *dir* denn etwas?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Wir sahen einander an. "Vielleicht." "Was heißt hier vielleicht?", fragte ich ungeduldig. "Siehst du, das ist es, was ich bei euch nicht leiden kann. Ihr sagt immer vielleicht und möglicherweise, ihr leidet unter eurer verdammt miesen Beziehung und versucht trotzdem nicht, irgend etwas daran zu ändern. Nie seid ihr ehrlich oder offen. Warum eigentlich? Wozu dann überhaupt zusammen sein?" Mama sah mich ganz geschockt an. Eigentlich war ich auch überrascht über meinen Ausbruch, aber wenn wir jetzt schon mal dabei waren... "Sieh mal, Mandy, das stimmt wahrscheinlich und ich bin mir oft nicht sicher, ob ich richtig handle oder ob ich dir ein Vorbild sein kann, aber das ist nun mal alles nicht so einfach. Dein Vater macht es mir aber auch oft so schwer, etwas für ihn zu empfinden." So offen war Mama noch nie gewesen. Jedenfalls nicht bei diesem Thema. "Trotzdem kann man nicht einen großen Teil seines Lebens mit einem Menschen verbringen und dann auf einen Schlag plötzlich nichts mehr für ihn empfinden." Mama sah mich an, als müsste ich ihr zustimmen. Stimmte das? Ich wusste es nicht so genau, woher auch? "Ich meine nur", fuhr Mama fort, "sich in einen Mann wie Pietro zu verlieben ist so einfach, so unkompliziert... er ist so lieb." Sie schwieg und ich schwieg auch. Ich musste an meinen Vater denken und irgendwie tat er mir ein bisschen leid. "Und Papa? Liebst du ihn nicht mehr?" Ich hatte ja schon lange das Gefühl, das es bei den beiden richtig heftig kriselte, zwischen ihnen herrschte immer so eine Gefühlskälte, die es mir schwer machte, sie zu lieben. "Er ist ein besonderer Mensch", antwortete Mama, "und ein schwieriger Mensch, aber seine Familie ist ihm trotz allem sehr, sehr wichtig." "Ich habe dich nach Liebe gefragt, ob das zwischen euch überhaupt noch Liebe ist." "Man kann einen Menschen auf verschiedene Weise lieben", sagte Mama. "Zum Glück kann man das." "Dann erklär mir doch mal, was Liebe ist!" "Ach Mandy, das würde ich gerne, aber jeder Mensch empfindet sie anders und für jeden ist Liebe etwas anderes. Man kann es nicht erklären." Nun wollte ich auch noch etwas ganz anderes wissen, etwas das mir auf einmal ziemlich wichtig ist: "Wann schläft man mit jemandem? Wann weiß man, dass man so weit ist? Kannst du mir das sagen?" "Ganz einfach: eben wenn man ihn liebt. Wirklich aufrichtig liebt. Wenn einen die Empfindungen mitten im Herz getroffen haben, so richtig heftig. Wenn man an nichts anderes mehr denken kann.", sagte sie und wurde beim Sprechen richtig leidenschaftlich, ehe sie noch etwas leiser hinzufügte: "Wenn man nicht anders kann." Oha! Nun ging es um meine Mutter, das war mir klar. Sie hatte sich verändert, so viel stand für mich fest, man konnte es auch sehen, ich zumindest. "Und du... konntest nicht anders?" Mama nickte. "Ist doch nicht so schlimm, oder? Hat dir doch auch gut getan, oder? Man sieht es dir an." Erschrocken sah sie auf. "Tut man das wirklich? Meinst du Papa, äh, Michael würde es auch gleich bemerken?" "Weiß ich nicht, aber das werden wir ja bald sehen." "Ich überlege schon, ob ich es ihm nicht einfach erzählen soll." "Bist du bekloppt!", rutschte es mir heraus. "Oder willst du dich etwa scheiden lassen? Alle Welt ist ja dabei, das zu tun, warum auch nicht gleich du?" "Von Scheidung hab ich aber nichts gesagt!" "Mann, Mama, könnt ihr euch nicht einfach mal zusammensetzten und über eure gottverdammten Probleme sprechen? Wie man es eigentlich von erwachsenen Menschen erwartet?" Mama betrachtete mich wie ein Weltwunder. "Komm, lass uns gehen", meinte sie und fuhr dann fort: "Du hörst dich so erwachsen an." "Bin ich ja auch, gut dass du es endlich kapiert hast! Deshalb solltest du mich auch nicht ständig wie ein kleines Kind bemuttern. Klar?" "Klar", lächelte sie. "Und was würdest du in meinem Fall tun?" Ui, was ich an ihrer Stelle tun würde? Papa mal ordentlich den Kopf waschen! Ihn mal so richtig fertig machen, ihm sagen, dass es absolut scheiße ist, sich so zu verhalten, wie er es tut. Aber das konnte ich nicht sagen, Mama würde mit Sicherheit keinen dieser Ratschläge befolgen. "Ich würde mit meinem besten Kumpel, also mit Karsten, darüber reden." "Tja, so was hab ich nicht, keine richtige beste Freundin." "Selber Schuld. Dann red halt doch mit ihm, mit Michael, mein ich." "Also doch beichten." Oh man, kam sie denn wirklich nicht darauf? Musste ich es ihr wirklich so deutlich sagen? Wohl schon. "Quatsch! Sag ihm einfach, dass es so zwischen euch nicht weiter gehen kann. Sag ihm, dass er sich nicht ständig nur um diese blöden Stachelmonster und die Glubschaugen kümmern soll, dass du schließlich auch noch da bist! Sag ihm, dass du keine Lust hast, ständig nur nach seiner Pfeife zu tanzen, dass du auch ein Mensch mit Bedürfnissen und Wünschen bist, nicht nur er. Und sag ihm, das es eine verdammte Schweinerei ist, ausgerechnet in den Sommerferien immer seine blöden Exkursionen zu machen. Und wenn er das nicht ernst nimmt, dann sag ihm, es gibt auch noch andere Männer außer ihm!" "Ach Mandy!" Bei meinem letzten Satz hatte Mama Tränen in den Augen und sie umarmte mich. "Es ist alles so verfahren!" Ich begriff, dass ihre Probleme wohl doch größer waren als ich dachte und dass es wohl nicht so einfach sein würde, sie zu lösen. Sie tat mir leid. Wie allein musste sie sich fühlen, wenn sie niemanden außer ihren Sohn hatte, um über diesen gottverdammten Mist zu reden? "Hey, das wird schon wieder!", sagte ich und versuchte zuversichtlicher zu klingen, als ich mich fühlte. Mama ließ mich los und meinte: "Ich bin froh, dass wir miteinander gesprochen haben. Das sollten wir öfter tun." "Reallife-Privatseelsorge, keine Ursache", witzelte ich. "Macht dann mal fünfzig Mäuse." "Oh, du hast ja anständige Sätze, fast wie ein richtiger Psychotherapeut." "Ich spare ja auch für eine große Reise!" Mama seufzte tief. *** Ich war allein in unserem Bungalow, Mama wollte noch Obst für die Rückreise einkaufen. Ich packte meine Reisetasche, damit ich dass wenigstens hinter mir hatte. Dabei fielen mir wieder die Fotos in die Hand und ich trennte sie in zwei Gruppen: die einen, die ich vorzeigen konnte und die, die ich lieber für mich behielt. Die, die ich den anderen zeigen wollte kamen in meinen Rucksack, die anderen legte ich in mein Tagebuch, in das ich eigentlich während des Urlaubs schreiben wollte. Aber ich bin ja nicht dazu gekommen, ja, hab ja nicht mal mehr daran gedacht. Dann setzte ich mich aufs Bett, ordnete die ganzen Sachen, die ich in meinem Rucksack transportierte. Ich war gerade dabei, wieder alles ordentlich einzuräumen, als Mama wieder kam. Sie blieb unschlüssig an der Türe stehen, machte mich total nervös damit. Sie wartete. Keine Frage, auf wen. Durch die offene Tür hörte man HipHop. Ich verzog das Gesicht, das war nun echt nicht mein Stil. "Könntest du vielleicht die Türe schließen?" In der nächsten Stunde beschäftigte Mama sich mit allem Möglichen, was man halt so tut, wenn man die Zeit totschlagen will. Und sie steckte mich mit ihrer Unruhe an. Verflixt, es würde echt wieder himmlisch sein, demnächst wieder sein eigenes Zimmer zu haben. All würden anklopfen müssen, wenn sie rein wollten und ich würde Herein sagen, oder aber auch nicht. Schließlich wurde es mir zu bunt. "Also, ich gehe jetzt noch ein bisschen spazieren, bis zum Abendessen bin ich wieder da!" Mamas Antwort wartete ich gar nicht erst ab sonder ging gleich nach draußen. *** Allein ging ich am Strand entlang. Es war nicht mehr so viel los, vielleicht lag es daran, dass es ein bisschen kühler ist, als die letzten Tage. Das Meer lag leuchtend blau unter hellblauem Himmel und glitzerte fröhlich im Sonnenlicht. Das war wohl auch das Einzigste, was ich vermissen würde. Der Rest bestimmt nicht. Meine Füße trugen mich fast automatisch bis zum Steinstrand, wo ich mich wieder niederließ. Bald war ich wieder zu Hause. Würde ich Lucas wieder sehen. Immerhin hatte ich in den letzten zwei Jahren nichts von ihm gesehen oder gehört, wer weiß, wie es jetzt weiter ging. Denn sehen wollte ich ihn auf jeden Fall! Ob ich ihn von daheim einfach noch mal anrufen soll? Oder sollte ich vielleicht seine Adresse raussuchen und ihn ganz spontan mal besuchen? Ich wäre gerade in seiner Gegend, oder so? Mein Magen fuhr Achterbahn, die nur aus Loopings zu bestehen schien, wenn ich mir sein Gesicht nur vorstellte. "Scheiße!", fluchte ich. Gut, ich hatte mich verliebt. Auch gut, dass es ein Kerl war. Aber warum ausgerechnet Lucas, der Typ, bei dem ich die wenigsten Chancen hätte? Der bisher blaue Himmel verwandelte sich über meine Gedankengänge hinweg in ein leidenschaftliches Farbspiel aus flammendem rosa mit violetten Schattierungen. Ich machte mich auf den Rückweg, wollte Mama nicht unbedingt so lange warten lassen. Wer wusste schon, was sie in ihrem jetzigen Zustand so alles anstellen würde? *** Im Speisesaal war nicht viel los. Am Salatbüffet entdeckte ich den Kinderschänder von gestern Abend. Komisch, er ist mir vorher hier noch gar nicht wirklich aufgefallen. Er trug eine richtig auffallende, knallrote Weste und sein Gesicht erinnerte mich an das Gesäß eines Pavians. Da er gerade dabei war eine Blondine anzubaggern konnte ich unerkannt an ihm vorbeihuschen. Mama versuchte sich die ganze Zeit über nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie war. Also redeten wir über alles mögliche, darüber, wann wir den Wecker stellen mussten, wie wohl das Wetter in Deutschland wäre, über alles, nur nicht über Pietro. Ich hatte da ja so meine Vermutungen, aber die sprach ich lieber nicht aus. Kein Zweifel, dass er richtig lieb sein konnte, so auf diese Art, von der man dann glaubte, er mache sich wirklich richtig viel aus einem. Aber dieser Eindruck täuschte leicht und er gehörte zu den Typen, die sich nahmen, was sich ihnen gerade halt so anbot. Arme Mama und dabei hatte sie sich so schön gemacht: blaues Kleid, blauer Lidstich, sie sah überhaupt nicht alt aus, jedenfalls nicht wie beinahe fünfzig. "Ich verstehe das nicht", sagte Mama, als wir aufstanden, "eigentlich kann das doch gar nicht sein." "Was?" "Er hat wirklich fest vorgehabt, noch einmal vorbeizukommen." "Tja, so sind sie halt, die Italiener", sagte ich ganz automatisch. Ich würde außerordentlich dankbar sein, wenn dieser Teil der ganzen Tragödie endlich vorbei war. Wir bummelten noch einmal den leeren Strand entlang. Riesengroß, aber noch nicht ganz voll, stieg der Mond eben über dem Meer auf, ließ das Wasser schön silbrig glitzern. Nach kurzer Zeit machten wir uns wieder auf den Rückweg und waren schon fast an unserem Clubdorf angelangt, als mit bekanntem Geknatter Pietro auf seinem Motorroller in unsere Straße einbog. "Hallo!" rief er uns auch schon entgegen. Dann kam die Entschuldigung in Form seiner Mutter, die überraschend heute Nachmittag zu besuch gekommen ist und die er natürlich nicht einfach so allein lassen konnte. Tja, wer da wohl wirklich angekommen ist? Vielleicht eine heißblütige Schwedin, die noch zwei Wochen bleiben wird? Ich hatte keine große Lust, mir weiterhin sein blödes Geschwätz anzuhören, also verabschiedete ich mich rasch von den beiden. Ich wollte schließlich nicht stören... Aber Mama verabschiedete sich auch gleich und mit lautem Geknatter verschwand Pietro wieder. "Hach", seufzte ich, "damit wäre dieses Kapitel wohl beendet." Mama trug es mit Fassung, setzte ein schiefes Lächeln auf. Ich hakte mich bei ihn ein. "Wie wär es, wollen wir uns nicht mal einen andudeln?", wollte ich wissen, fühlte mich irgendwie erleichtert. "Einen kleinen?" "Einen Schlummertrunk, zum Abschied", sagte Mama. *** Wir mussten zu einer für die Ferien absolut unmenschlichen Zeit aufstehen, um halb sechs ging der Wecker, da um halb sieben der Bus startete. Mein Kopf brummte ein bisschen, der Schlummertrunk gestern erwies sich als ziemlich heftig und es blieb auch nicht nur bei einem Glas. Das Frühstück war wie immer und danach schleppten wir auch gleich unser Gepäck zum Bus. Wie gingen noch einmal zurück um zu kontrollieren, ob wir auch nichts vergessen hatten. Mein Blick fiel auf den Blumenstrauß, den ich bekommen hatte. Was sollte ich denn mit dem machen? Er sah noch richtig frisch aus, aber die Heimfahrt nach Deutschland würde er auf keinen Fall überstehen. Jedenfalls nicht ohne feuchtes Papier und einer Plastiktüte. Allerdings hatte ich so früh morgens mit so einem Kopf überhaupt keine Lust und Energie, so etwas aufzutreiben. Also verschenkte ich ihn. Kurz entschlossen packte ich ihn, lief in die Halle und sah mich nach der Telefonistin um. Ob sie um diese Uhrzeit eigentlich schon arbeitet? Tat sie. Sie sah genau so verschlafen aus, wie ich, aber sie strahlte, als ich ihr den Blumenstrauß unter die Nase hielt. "For me?", fragte sie erstaunt. Ich nickte: "Ja, für Sie!" Olala, es war als würde die Sonne aufgehen, so strahlte sie plötzlich. Sie rutschte von ihrem Sessel, drückte mir überschwänglich Küsschen auf die Wangen und bedankte sich ausführlich. Gähnend lief ich zum Bus, es hatte mir irgendwie gefallen, etwas zu verschenken. 'Sollte ich vielleicht öfters tu...' Als wir dann endlich im Bus saßen, wo der Großteil der anderen Gäste noch dabei war, das Gepäck zu verstauen, schrie Mama plötzlich auf. "Pietro!" Der Bursche war wirklich die Überraschung in Person, er wäre der letzte gewesen, den ich hier erwartet hatte. Wenn man ihn erwartet, kam er nicht und wenn man ihn gerade abschreiben wollte, tauchte er wie aus dem Nichts auf. Mama kämpfte sich durch den Gang zum Ausgang. Und alle konnten zusehen, wie Pietro ihr eine rote Rose in die Hand drückte und ihr noch Küsschen auf die Wange gab. Ich fand das irgendwie peinlich, weil meine Mutter sich wie ein pubertierender Teenager verhielt und weil alle zusehen konnten. "Er ist doch ein süßer Kerl!", sagte Mama als sie wieder neben mir saß und hatte schon wieder eine Träne im Augenwinkel, die ich geflissentlich übersah. Kurz nach dem wir losgefahren waren schlief ich auch schon ein und träumte von dem Wiedersehen mit Lucas, bei dem ich wenigstens in meinen Träumen eindeutige Chancen hatte. Aber im Traum ist immer alles so einfach: man kann durch Wände gehen, bei dem geringsten Lufthauch vom Boden abheben und Berührungen sind auch ein Kinderspiel, von Liebeserklärungen mal zu schweigen. *** Als ich wieder aufwachte war Mama gerade dabei, der Frau im Nachbarsitz zu erzählen, dass ich einen Tanzwettbewerb gewonnen hatte. Schlagartig war ich richtig munter, was war nur in Mama gefahren, sonst erzählte sie doch auch keinen wildfremden Leuten solche Sachen? Ich spüre wie die Leute mich anstarren. Ich kann es nicht leiden, angestarrt zu werden, schon gar nicht kurz nach dem Aufwachen. Mama hielt immer noch ihre dämliche Rose in der Hand. "Wir haben eben herausbekommen, dass du und die Tochter von Frau Wöhr in die selbe Klasse gehen müsstet." Nee, oder? Doch nicht etwa Conny Wöhr, *die* Conny Wöhr, die vor mir saß, oder? Wie schrecklich! Bald würde ich wieder all diese deprimierenden Einzelheiten von ihr überaus deutlich und in aller Ausführlichkeit vor mir sehen können. Sie glotzten mich immer noch an. Warteten auf einen Freudenschrei oder etwas in diese Richtung. Also richtete ich mich halbwegs auf und bemühte mich, Frau Wöhr eine halbwegs manierliche Antwort zu geben: "Conny sitzt vor mir, oder saß zumindest bis jetzt vor mir." "Frau Wöhr war die ganze Zeit über auch im Clubdorf, ist das nicht komisch?", informierte mich Mama. Mir war das scheißegal, zum Glück sind wir uns nicht schon früher über den Weg gelaufen, sonst hätten wir am Ende noch alles miteinander unternommen. "Bist du gerne auf dieser Schule?", fragte Frau Wöhr mich. Eigentlich sah sie ganz zivilisiert aus, ich meine, für die Mutter einer Tussi, die so übel aussah wie Conny. Hilfe, was sollte ich denn darauf antworten? Es ist nun mal ein notwendiges Übel, auf eine Schule gehen zu müssen. Und meine Schule ist eine Schule wie jede andere auch. "Es geht so, könnte schlimmer sein.", sage ich. Zum Glück unterhielt sie sich danach nur noch mit Mama und ich konnte so ungestört meinen Gedanken nachhängen, die sich immer noch um Lucas drehten. Was hatte dieser Typ nur an sich, dass er mir dermaßen den Kopf verdrehte? Neben mir seufzte Mama tief und ich hörte mal wieder mit halbem Ohr dem Gespräch zu. "Leider ist Cornelia ja so sensibel und nimmt alles viel zu schwer", sagte Frau Wöhr gerade und ich konnte mir ein lautes Lachen gerade noch so verkneifen. Conny und sensibel passt ungefähr so gut wie... wie... na ja, wie Benzin und ne Stichflamme. Ich würde sie ja eher für verklemmt halten, aber ich hatte keine Lust, mir ihr Seelenleben vorzustellen. Hatte schließlich genug Probleme mit meinem eigenen. Ich dämmerte wieder weg und bekam von dem restlichen Gespräch so gut wie gar nichts mit. *** An der letzten Raststätte vor Stuttgart rief Mama zu Hause an. "Papa war dran", sagte Mama, als wir wieder auf unseren Plätzen saßen und der Bus sich in Bewegung setzte. "Er ist schon zurück, seit gestern Abend. Er wartet mit dem Abendessen auf uns." Na, das konnte ja heiter werden. Ich war gespannt darauf, wie Mama sich benehmen würde. "Sicher ist Peter auch da", vermutete Mutter freudig. "Dann wären wir ja wieder eine glückliche Familie", frotzelte ich. Ich würde sofort Kontakt zu Karsten aufnehmen, schließlich hatte ich ihm eine Menge zu erzählen und er sicher auch. Kurz bevor wir ausstiegen sagte Frau Wöhr zu mir: "Wollen Sie Cornelia nicht einmal besuchen kommen? Ich meine nach dem Unterricht, sie hat ein sehr schönes Zimmer mit separatem Eingang." Würde ich nicht sitze, ich wäre mit Sicherheit umgekippt! Die Alte hatte doch wirklich ernsthaft vor, mich mit diesem... diesem... unbeschreiblichen Objekt zu verkuppeln! 'Nie im Leben, und wenn sie das einzigste lebende Lebewesen neben mir noch wäre!' Und seit wann hat sie beschlossen, mich zu siezen? Heuchlerisch antwortete ich Frau Wöhr: "Falls sich die Gelegenheit mal ergibt. Warum nicht?" Hah, auf diese Gelegenheit konnte sie warten bis sie schwarz wird! *** Mein Vater stand unter der Haustür und sah zu, wie wir uns mir dem Gepäck abmühten. Unsere Ankunft schien ihn nicht mehr und nicht weniger zu interessieren, wie der Trompetenstrauch, der in einem Blumenkübel neben der Haustüre steht. "Da seit ihr ja endlich", rief er uns entgegen, "wird auch langsam Zeit." "Wie wär es, wenn du Mama beim Tragen helfen würdest?", forderte ich ihn ein wenig giftig auf. "Ach so, ist das Gepäck denn so schwer?" Langsam und gemütlich setzte er sich in Bewegung. "Puh, hier ist es aber kalt", sagte Mama und hielt Papa ihr Gesicht für einen Empfangskuss entgegen. Er drückte ihr vorsichtig mit spitzen Lippen einen Schmatz auf die Stirn. "Habt ihr schon gesehen? Die Trompetenpflanze hat zwei Blüten mehr als letztes Jahr! Der Spezialdünger hat also doch geholfen." Arschloch! Also ob uns diese dämliche Pflanze jetzt interessierte. Am liebsten hätte ich meine Tasche in mein Zimmer geknallt und wäre sofort verduftet, in die Stadt, Pizza essen oder so. Papa stellte Mamas Tasche im Flur ab und bewegte sich Richtung Küche, von wo uns Pizzageruch entgegenströmte. "Jetzt kannst du ja hier die Regie übernehmen", sagte er und Mama hatte natürlich nichts besseres zu tun, als dieser Aufforderung augenblicklich nachzukommen. Mir wurde es zu dumm, also trug ich mein Gepäck in mein Zimmer. Ich hörte noch, wie Papa sagte: "Wir haben heute Abend noch Besuch", und Mama hoffnungsvoll fragte: "Peter?" Ich war wieder auf dem Weg in die Küche, um mir etwas zu trinken zu holen, als ich hörte, wie Mama sagte: "Hättest du diese Einladung nicht auf einen anderen Tag legen können? Schließlich haben wir eine zwölfstündige Fahrt hinter uns!" Super Mama! Gut gemacht! Zeig's ihm endlich mal! "Ich finde, das sind wir unserer Nachbarin schuldig", entgegnete Papa, "schließlich hat sie sich rührend um die Fische gekümmert." Wie angewurzelt blieb ich stehen. Das konnte ja wohl nicht sein, irgend etwas lief hier nicht so, wie es sollte. Wieso hat sich die Nachbarin um die Fische gekümmert? "Ich fand das, offen gestanden, auch ziemlich unbedacht von dir, Sonja." "Wie meinst du das?" "Einfach weg zu fahren, ohne für eine geordnete Betreuung für die Fische und Pflanzen zu sorgen!" "Aber ich habe doch für eine geordnete Betreuung gesorgt. Peter hat sich erboten für eine Woche das Haus..." "Und warum versichert mir Frau Voigt, dass sie hier seit einer Woche täglich nach dem Rechten sieht?", unterbrach er Mama. Ich spürte, wie jeder Muskel in meinem Körper sich verkrampfte. Wie konnte er es wagen? Meine Mutter so anzugehen! Ich konnte ihn genau vor mir sehen, mit seinen kalten, blauen Augen und den zu einem Strich geschrumpften Mund. "Hm, wie erklärst du dir das?" Jetzt lachte er auch noch. Dieses überhebliche Lachen eines Stärkeren im Angesicht eines schwächeren Gegners. "Ich werde Peter fragen. Wo ist er denn jetzt?", fragte Mama. Ich hörte ihr an, dass sie sich nur mit Mühe kontrollierte. "Er hat es vorgezogen, sich aus dem Staub zu machen", eröffnete ihr Papa. "Wieso?" "Wir haben uns die Meinung gesagt." "Also Michael, das ist ja wohl die Höhe! Willst du denn alle vergraulen, die gezwungen sind mit dir zusammenzuleben?" Mama warf mit einem hörbaren Knall ein paar Besteckteile auf den Tisch. "Keiner zwingt irgendwen mit mir zusammenzuleben! Aber ich kann doch schließlich ein gewisses Mindestmaß an familiärer Solidarität erwarten!" Jetzt reichte es! In mir brach etwas und ich stellte mich in die Tür zum Wohnzimmer. "Du kannst von keinem mehr etwas erwarten! Jeden lässt du hier nach deiner Pfeife tanzen! Mama hat es..." "Reg dich ab, Mandy!", unterbrach mich mein Vater. "Ich reg mich nicht ab, verdammt noch mal! Fragst du dich eigentlich manchmal, ob Mama mit dir glücklich ist? Wie sie sich fühlt? Ob sie dich überhaupt noch liebt? Weißt du überhaupt, was das Wort Liebe bedeutet?" Meine Mutter war unter ihrer Bräune merklich rot geworden und mein Vater hatte kein Gesicht mehr, sondern etwas, dass einem Raketenkopf so ziemlich nahe kam. "Dann erklär mir mal, was Liebe ist", sagte er spöttisch. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich wusste, ich hatte mich in eine gefährliche Ecke begeben. "Es gibt Leute, die lieben ihre Frau, andere ihre Kinder, manche lieben ihre Mutter oder wenigstens ein Tier, das man anfassen und bei sich haben kann. Aber du, du liebst nur stachlige Monster und glitschige Fische, die sich gegenseitig verschlingen. Wahrscheinlich liebst du noch nicht einmal dich selbst!" Mein Vater war drauf und dran mich mit seinem Blick zu zerschmettern. "Ja, sie mich nur so an, vielleicht verschwinde ich dann einfach aus deinem Blickfeld!" "Mandy, sprich nicht in diesem Ton zu deinem Vater", sagte Mama jetzt. Ha, jetzt wandte sie sich auch noch gegen mich! Das war ja nicht zum Aushalten! Mir reichte es total! "Zum Essen könnt ihr auf mich verzichten", erklärte ich abschließend. "Ich hab auch keinen Appetit", erklärte Mama. Papas Stimme klang belegt: "Dann ruf sie an und sag ihr, dass das Essen verschoben ist!" "Das musst du schon selbst tun, schließlich ist es deine Einladung, ebenso wie doch alles hier deins ist, wie du immer sagst." "Ich weiß gar nicht, was dieser Palastaufstand hier soll, den ihr hier aufführt!" Das hatte ich mir eigentlich gedacht. Im Ernst, etwas anderes hatte ich von Papa nicht erwartet. Ich hatte nicht vor, mir das noch länger anzutun und machte, dass ich in mein Zimmer kam. *** Ein Weilchen blieb ich einfach im dunklen Zimmer stehen. Mir stieg das ganz schön zu Kopf. Am liebsten würde ich eher heute als morgen mir eine eigene Wohnung suchen. Hauptsache weg von diesem Chaos! Ich schaltete die Schreibtischlampe an. Auf meinem Schreibtisch lag ein Stapel Post, auch Zeitungen waren dabei, die ich kurzerhand in den Altpapiermüll entsorgte. Dann fing ich an meine Post durchzusehen. Viel war es ja nicht, nur ein rosa und ein grauer Brief und eine Postkarte mit der Ansicht einer unglaublich türkisfarbenen Bucht. Die Postkarte war von Karsten. "Hallo Mandy", hatte er mit Goldstift geschrieben, "wo bist du? Hab gerade versucht, dich zu erreichen aber bei euch geht ja niemand ran. Sitze gerade in einer Bar am Hafen und hab eben Martin Roller vorbeiwatscheln sehen. Den kennst du doch, oder? Mit Freund!!! Du weißt, was ich meine?! Ich werde ab 1.9. wieder daheim sein. Kontaktaufnahme dringendst erwünscht. Hasta la vista, Karsten" Der rosa Brief war von Jennifer, die Einladung zu ihrem Geburtstag, von dem man mich schon vorgewarnt hatte und der nun am Samstag vor Schulbeginn (also in einer Woche) stattfinden würde. Oh man, dann musste ich diese Woche zusammen mit Karsten und Mark noch nach einem passenden Geschenk suchen. Na toll, das gibt dann wieder stundenlange Diskussionen und Einkaufsbummel. Die zwei konnten sich nämlich nie meiner überlegenen und superguten Meinung anschließen... Der graue Umschlag enthielt nur ein weißes Blatt Papier, auf dem in krakeligen Blockbuchstaben stand: "Wer war die aufregende Person, die letztens den Penner Toby an der Strippe hatte? Please immediately contact number 66 17 5." Ich fühlte mich wie auf einem Riesenrad. Besser konnte man mein Innenleben gar nicht beschreiben. Einfach großartig! Ich betrachtete den Umschlag noch ein Weilchen und entdeckte sogar die Adresse. Lag auf dem Weg von mir und Karsten. Jetzt Lucas anzurufen verbot sich doch von selbst. Aber Karsten konnte ich noch anrufen. Im schlimmsten Fall lag er schon in seiner schwarzen Seidenbettwäsche. Leider erreichte ich ihn gar nicht. *** "Frühstück ist fertig", weckte mich meine Mutter, wie immer. Ohne mich! Meinem Vater jetzt gegenüberzusitzen, in Herrgottsfrühe und so schutzlos wie ein Vogelküken, das brächte ich jetzt nicht fertig. Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, wie es zu der gestrigen Karambolage gekommen war. Wahrscheinlich mit einer Überdosis Adrenalin, die mir jetzt entschieden fehlte. Nachher würde ich noch einmal bei Karsten anrufen, aber jetzt musste ich mich erst mal um meine Wäsche kümmern. Meine ganzen Lieblingsklamotten mussten gewaschen werden, sonst hätte ich für die Schule nichts mehr zum Anziehen. Vielleicht sollte ich mir auch mal wieder was neues kaufen. Immer die gleiche Klamotte ist ja auch nicht so toll. Ich suchte mir ein paar erträgliche Klamotten aus dem Schrank - eine schwarze, saubere Jeans und mein altes schwarzes Seidenhemd, das an den Ärmeln bereits ausfranste, ich aber immer noch über alles liebte. Ich konnte mich einfach nicht davon trennen. Dann rief ich bei Karsten an und bekam endlich jemanden an die Strippe. "Endlich du", sagte er statt einer Begrüßung und ich hörte gleich, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. "Hey, stimmt bei dir was nicht?" "Kannst du vorbei kommen? Jetzt gleich?" "Karsten, was ist denn los, erzähl doch!" Ich hasste es, wenn man mich im Unklaren ließ. "Nichts Tolles, nein, wirklich nicht. Ich erzähl dir später alles. Oder nein, lieber doch jetzt gleich. Oder doch... Ach was, ist doch jetzt auch egal. Du, ich werd' Vater, schöner Mist! Jetzt kannst du dir auf dem Weg was einfallen lassen, ja?" *** Ende Teil 4 Kapitel 5: ----------- Kann man eigentlich bei seinen eigenen Charakteren sagen, dass dieses Kapitel etwas ooc geraten ist??? URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 5 Ich war sprachlos, ich glaube, ich fing sogar an zu stottern. "Reg dich bloß nicht zu sehr auf! Es gibt für alles eine Lösung!" Das war mir von den Lippen gegangen, einfach so ohne mein zutun herausgerutscht. Ich war vielleicht gut, als ob ich ne Lösung parat hätte. "Ich komme, Karsten, hörst du? Rühr dich bloß nicht vom Fleck, ich bin gleich da! Ich leg jetzt auf." Oh mein Gott, wie konnte das nur passieren? Gut, wie so etwas passierte wusste ich schon, aber ausgerechnet Karsten? Karsten, der so erfahren war? Ich schnappte mir meinen Rucksack, rannte nach draußen. "Bin bei Karsten! Kann später werden!", rief ich in die Küche. *** So schnell wie heute hatte ich noch nie die Stecke bis zu Karsten zurückgelegt. Atemlos schob ich mein Bike in die Hofeinfahrt. "Mensch, Karsten!" Er fiel mir buchstäblich in die Arme. Dann zog er mich ohne was zu sagen in sein Zimmer. Auf dem breiten französischen Bett stand ein Tablett mit einem Käsebrot und einem Rotweinglas. Die Tür zur Terrasse stand weit offen und ich konnte auf der weißen Liege draußen Decken und bunte Kissen im wilden Wirrwarr entdecken. Wir gingen ins Freie und ließen uns auf dem Liegestuhl nieder. "Was machst du? Wie ist denn das passiert?" sprach ich ihn auch gleich auf das Thema an. Karsten war unter der leichten Sommerbräune blass und sah unausgeschlafen aus. "Wenn ich das bloß wüsste! Eigentlich kann es nämlich gar nicht sein!" "Wer ist die Mutter?" Er stand auf und ging zurück ins Zimmer, kam dann aber gleich wieder mit dem Rotweinglas und einer vollen Flasche zurück. Mit einem Zug trank er das Glas leer und schenkte sich noch einmal ein. "Ich hab dich gar nicht gefragt, willst du auch eins?" "So auf hohlen Magen...", sagte ich. "Kannst auch was anderes haben. Bedien dich einfach, du weißt ja, wo du alles findest." "Klar. Sag mal, wissen es deine Eltern schon?" "Spinnst du? Was glaubst du, was die mit mir machen würden?" Gut, war ne blöde Frage, ich geb es zu. Aber was sagt man in so einer Situation? Und überhaupt, wie verhält man sich? Sollte man sich freuen? Ich meine, so ein Baby, und dann auch noch sein eigenes, das war doch eigentlich schon niedlich. Aber leider brachte es auch ne Menge Probleme und Verantwortung mit sich. Also war wohl eher mit ihm trauern angesagt. Karsten schenkte sich schon wieder ein, er sah total fertig aus, den Tränen nahe. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Entschlossen nahm ich ihm das Glas aus der Hand. "Das hilft dir jetzt auch nicht." "Mann, ich weiß! Mir ist aber einfach danach." "Kenn ich die Mutter?" Er schüttelte den Kopf. "Ich hab sie vor zwei Monaten auf ner Party kennengelernt. Da ist es dann ja auch passiert. Verdammt, ich kann das alles gar nicht wirklich glauben!" Ich auch nicht! Impulsiv nahm ich ihn in den Arm, zog ihn etwas näher an mich. Er legte den Kopf an meine Schulter und kurze Zeit später war mein Hemd dort von seinen Tränen durchnässt. Beruhigend stich ich ihm über den Rücken, ließ ihm Zeit. 'Er riecht gut', schoss es mir durch den Kopf und ich merkte, wie mich seine körperliche Nähe langsam aber sicher durcheinander brachte. 'Scheiße, dass ist jetzt absolut nicht der Moment für so etwas! Das hier ist mein bester Kumpel nicht Lucas! Und er hat ein gottverdammtes Problem in Form eines kreischenden Kleinkindes am Hals!' 'Na und, es gibt viele Möglichkeiten, jemanden zu trösten...' Mein innerer Schweinehund war jetzt voll in Fahrt und zeigte meinem geistigen Auge Bilder, die mir die Schamesröte in die Wangen trieben. 'Hör auf! Das hier ist Karsten! K A R S T E N! Und ich liebe Lucas, schon vergessen?' 'Ach ja, bist du dir da wirklich sicher? Ich kann mich daran erinnern, dass du neulich noch sehr dagegen warst.' 'Spinnst du? Erst redest du mir ein ich würde Lucas lieben und jetzt fällst du mir in den Rücken? Außerdem, selbst wenn ich für Karsten mehr als nur Freundschaft empfinden würde, ich würde den Teufel tun, ihm das zu sagen! Schließlich ist er so hetero, wie es klar ist, das ne Kuh Milch gibt! Und jetzt verzieh dich, ich hab auch ohne dich schon genug Probleme!' Ich erklärte gerade meine Innere Diskussion für beendet, als ich realisierte, das Karsten sich aus meiner Umarmung gelöst hatte und mit einer Hand vor meiner Nase herumwedelte. "Hallo, Erde an Mandy! Bist du noch daha?" "Äh, was? Hast du was gesagt?" Ich wurde schon wieder knallrot. Er sah mich vorwurfsvoll an und ich konnte mir schon denken, was er dachte: da sucht er bei mir Rat und Hilfe wegen eines Problems und ich drifte einfach in meine Gedankenwelt ab, toller Freund! "Ich hab nachgedacht... Was willst du jetzt machen? Ist es eigentlich sicher, dass das Kind von dir ist? Ich meine, wer weiß mit wem die noch alles in der Kiste war? Vielleicht vermutet sie ja nur, dass du der Vater bist und weiß es selber nicht so genau. Bist du dir überhaupt sicher, ob sie wirklich schwanger ist? Was, wenn sie sich täuscht? Oder dich angelogen hat? Oder sich einfach nur einen Spaß mit dir erlaubt hat?" Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich weiß nicht, wer darüber erstaunter war, Karsten oder ich. "Na ja, ich denke schon, dass das Kind von mir ist, wenn sie es sagt. Aber sicher bin ich mir natürlich nicht, ich hab sie danach ja nicht mehr gesehen, bis sie vor ein paar Tagen plötzlich vor der Tür stand und es mir gesagt hat. Und warum sollte sie mich anlügen? Und ich finde nicht, dass das ein Thema ist, bei dem man sich einen solchen Spaß erlaubt!" Stimmt, da hatte er recht. Ich sehe uns jedenfalls nicht lachen. Aber da gab es ja noch so eine Sache... "Hmm, hast du eigentlich verhütet?", wagte ich schließlich zu fragen. "Natürlich! Für was hältst du mich? Aber weißt du, wie oft so was schief gehen kann?" "Ist ja schon gut... Will sie das Kind denn behalten? Ich meine, die ist doch sicher nicht älter als wir, und dann ein Kind..." "Weiß ich doch nicht! Aber wenn sie es abtreiben lässt, müsste sie sich schon beeilen. Das kann man doch nur bis Ende des dritten Monats, oder?" Ich zuckte die Schultern, so genau kannte ich mich nun nicht aus. "Und was machst du, wenn sie es behält und es tatsächlich von dir ist?" "Woher soll ich das wissen, Mann? Wahrscheinlich Schule abbrechen und ne Ausbildung anfangen, damit ich den Unterhalt zahlen kann. Mann, mein Alter bringt mich um!" Schule abbrechen? Ausgerechnet Karsten, der so gerne Sportmedizin studiert hätte? Ich musste schlucken, das war irgendwie wie ein Schlag in den Magen. Denn das würde automatisch bedeuten, dass er viel weniger Zeit für mich hätte. Und das war eine grauenhafte Vorstellung. Plötzlich fiel mir etwas ein. "Einen Vaterschaftstest! Du kannst doch einen Vaterschaftstest machen. Dann zeigt sich, ob du wirklich der Vater bist." "Na toll, das nutzt mir *jetzt* ja furchtbar viel. Muss man da nicht warten, bis das Kind auf der Welt ist?" Ich schmollte ein bisschen. Er brauchte mich ja nicht gleich so anzufahren. Ich wollte ihm schließlich nur helfen. "Woher soll ich denn das wissen? Du bist doch schon immer der Spezialist gewesen, wenn es ums Thema Frauen ging." "Scheiße! So eine gottverfluchte Scheiße!" Karsten zitterte am ganzen Körper und griff wieder zum Weinglas. Schweigend sah ich ihm zu, wie er drei weiter Gläser hinunterstürzte, bevor ich ihm das Glas erneut aus der Hand nahm. "Hör mal, du musst mit dem Mädchen darüber reden." "Was? Warum denn das?" "Pff, blöde Frage. Denk mal nach. Wenn das Kind nun wirklich von dir ist und sie es ganz sicher zur Welt bringt und danach nicht zur Adoption freigibt, dann hast du halt gottverdammte Pflichten dem Kind gegenüber." Eine zeitlang schwiegen wir uns an. Ich wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte und Karsten Offensichtlich auch nicht. Wenigstens hatte er aufgehört, sinnlos Alkohol in sich rein zu schütten. Wenn das nämlich so weiter ging, war er spätestens in einer Stunde hackedicht. Und dann wurde er unberechenbar. Ich setzte mich mit gekreuzten Beine auf das Kopfende der Liege und Karsten legte sich der Länge nach darauf, den Kopf auf meine Beine gelegt. So saßen wir früher auch immer und es war etwas selbstverständliches für uns. "Was würdest du tun?", fragte er schließlich leise. Tja, was würde ich tun? Sicher nicht von der nächsten Brücke oder vor den nächsten Zug springen. Nachdenken, logisch. Und mit Mama darüber reden. Aber das war für Karsten wohl etwas problematisch. Seine Eltern interessierte es selten, ob er Probleme hatte oder nicht und wie er sie löste war ihnen schon dreimal egal. Gedankenversunken spielten meine Finger mit seinem Haar. So weich... "Und?" "Hm, ich weiß nicht. Vermutlich mit meiner Mutter darüber reden. Und mit dem Mädchen. Aber sonst? Keine Ahnung." Wieder schwiegen wir, ich wickelte langsam Strähnchen um meine Finger, zupfte daran. Was ich tat merkte ich erst, als er nach meiner Hand griff und sie fest hielt. "Autsch! Das ziept." "Oh. Tschuldigung, hab ich gar nicht bemerkt." Ich wollte gerade meine Hände zurückziehen als er nur mit den Schultern zuckte und meinte: "Schon o.k." "Ach ja?" Ich sollte ihn von seinen Problemen ablenken... Ich grinste fies und beugte mich tiefer über ihn, sah ihm in die Augen und zog kräftiger an ein paar Strähnchen. "Aua!" Am liebsten währe er jetzt wohl hochgeschossen, aber er ließ es bleiben, 1. weil wir sonst mit der Stirn schmerzhaft zusammengekracht wären und 2. weil es wohl noch mehr gezogen hätte, da meine Finger noch immer in seinem Haar verwoben waren. "Mann, bist du gemein!" Er versuchte mich böse anzuschauen, was ihm aber nicht gelang. Ich zog einen Schmollmund und meinte nur: "Aber es hat dich abgelenkt, oder? Und jetzt erzähl mir mal von deinem Urlaub! Wie war es?" Er seufzte. "Total langweilig! Nächstes mal kommst du mit, damit das gleich mal klar ist! Echt, alleine war es sterbensöde, keiner, mit dem man über irgendwelche Typen herziehen konnte und alleine Mädchen anzumachen ist auch langweilig." "Oh! Du Armer, was tust du mir leid, dass deine Eltern ein Ferienhaus auf Mallorca haben und du dort immer deine Ferien verbringen kannst!" Während ich das sagte zog ich immer wieder sanft an seinen Haaren, bis es ihm zuviel wurde und er anfing, mich zu kitzeln. Augenblicklich ließ ich von seinen Haaren ab und versuchte seine flinken Hände aufzuhalten, die mich erbarmungslos in die Seite pieksten. Kichernd wand ich meine Beine unter seinem Kopf hervor und sprang von der Liege, ließ mich mit einem Sicherheitsabstand von fünf Metern japsend auf den Boden sinken. Karsten lachte mich an und streckte mir die Zunge raus: "Bäh! Jetzt hab ich die Liege wieder für mich ganz allein!" "Oh, na warte, du kannst was erleben!" Meine Rache war schrecklich, jawohl! Ich schnappte mir die Kissen und bombardierte ihn damit und kurze Zeit später war eine heftige Kissenschlacht im Gange, bei der wir uns auch die Decken um die Ohren hauten. [1] Japsend und kichernd lagen wir schließlich quer über dem Liegestuhl, der uns als Barriere gedient hatte. Für ein paar Augenblicke waren alle Probleme vergessen gewesen, es gab nur noch die unbeschwerte Zeit zwischen uns, die mich irgendwie an meine Kindheit erinnerte. Karsten strich mir eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht, ich hatte in der Eile heute morgen total vergessen, meine übliche Frisur herzustellen. "Übrigens, schöne Haarfarbe, steht dir gut." "Höh? Ach so. Danke." Er grinste mich unschuldig an, ehe er mir nochmals ein Kissen ins Gesicht klatschte. "He! Für was war denn das jetzt!", beschwerte ich mich. "Och, ich hatte halt Lust drauf. Los komm, ich glaub, es fängt bald an zu Gewittern, schau dir mal den Himmel an." Ich blickte nach oben und wirklich, drohend hingen dicke dunkelgraue, fast schwarze Regenwolken am Himmel. Theatralisch stöhnte ich auf und half Karsten dann, die Kissen und Decken in sein Zimmer zu bringen, nicht zu vergessen den Rotwein. Drinnen warf er einen Blick auf die Uhr, es war bereits halb zwei. "Komm, schmeißen wir uns ne Pizza rein, ich hab voll Kohldampf!" Ich hörte mich nicht nein sagen, schließlich hatte ich seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und mein Magen befand sich inzwischen so auf der Höhe meiner Kniekehlen. *** Nach dem wir genüsslich Pizza verdrückt hatten lümmelten wir nun gemütlich auf dem breiten Bett in Karstens Zimmer. Draußen wurde es immer dunkler und man konnte schon aus der Ferne das Donnergrollen hören. Wir erzählten uns gegenseitig von unserem Urlaub und ich zeigte ihm auch die Fotos, die ich noch im Rucksack hatte. Karsten kringelte sich vor lachen und schien gar nicht mehr damit aufhören zu können. Von seinen Problemen hatte ich ihn offensichtlich erfolgreich abgelenkt. Schließlich boxte ich ihn nicht gerade sanft in die Seite, setzte meinen bösen Blick auf, der eh niemanden beeindruckte, mich aber ungemein zufrieden stellte, schließlich hatte ich es ja versucht, gell und fragte ihn, was daran denn so unglaublich komisch sei. "Und er hat dich tatsächlich über den Strand getragen? Ja? So richtig, auf beiden Armen, nicht Huckepack?" Karsten kicherte schon wieder. "He, ich fand das in dem Moment nicht wirklich lustig, mein Fuß hat höllisch weh getan! Das Herumgetrage war mein kleinstes Problem!", beschwerte ich mich. Aber Karsten hörte mir offensichtlich gar nicht zu. "Und er hat dich wirklich für ein Mädchen gehalten, ja? Und du hast tatsächlich eine *Miss*-Wahl gewonnen?" Ich setzte mich auf die Bettkante. Karsten stellte sich vor mich hin, verbeugte sich spöttisch und sagte gespielt ernst: "Gnädige Frau, darf ich Sie zu diesem Tanz auffordern?" Er packte mich, hob mich hoch, wie damals Pietro am Strand und drehte sich ein paar mal mit mir im Kreis ehe er mich wieder absetzte und lachend auf dem Bett zusammenbrach. Es verletzte mich tief, das Karsten sich darüber lustig machte. Von ihm hätte ich das eigentlich gar nicht erwartet. Enttäuscht und ein wenig wütend packte ich die Bilder wieder weg und wollte gerade aufstehen, als er mich am Arm fest hielt. "Hey, bist du sauer? Sei doch nicht gleich eingeschnappt, ich hab das doch nicht ernst gemeint!" "Hat sich aber verdammt danach angehört", fauchte ich ihn an. Erst heulte er sich bei mir aus und dann machte er sich über mich lustig, aber mit mir lief das nicht. "Ich entschuldige mich!" Er drehte mit der anderen Hand mein Gesicht zu sich herum und hatte diesen Blick aufgesetzt, den er sonst eigentlich nur bei Mädchen gebrauchte um sie rum zu kriegen. Ich fühlte, wie mein Ärger sich verflüchtigte und ein angenehmes Kribbeln im Bauch einsetzte. Aber so leicht wollte ich es ihm nun doch nicht machen! Ich drehte mich also wieder weg und wollte gerade seinen Griff um meinen Arm lösen, als er mich noch ein Stück weiter aufs Bett zerrte und sich auf meine Oberschenkel setzte. Ich verfluchte es, dass ich so ein Schwächling war und gegen Karsten absolut nichts ausrichten konnte. "Was soll das?", zischte ich. "Ich hab mich gerade entschuldigt, also sei mir bitte nicht böse. Bitte! Und außerdem, die Vorstellung, wie der Kerl dich durch die Gegend trägt und so, die war halt nun mal witzig. Dich haben bestimmt ne Menge Kerle angemacht, stimmt's?" Er kicherte schon wieder. Ich sah in fassungslos an. So wie heute war er noch nie drauf gewesen. Ob der Alkohol dran schuld war? Nachwirkungen oder so was. Soll es ja geben. "Findest du das witzig oder was? Würdest du drüber lachen, wenn dich die ganze Zeit irgendwelche Kerle anmachen? Häh? Würdest du das amüsant finden?" "Nein, aber bei dir verstehe ich die Kerle. Du bist aber auch zu niedlich." Schock! Das hatte er doch nicht wirklich gesagt, oder? Unsicher sah ich ihn an, dann bemerkte ich seine geröteten Wangen. "Sag mal, hast du vorhin, als ich telefoniert habe, die Rotweinflasche geleert?" Ich hatte ihn nur für knappe drei Minuten aus den Augen gelassen und er kippt ne fast volle Flasche? Passte eigentlich nicht zu ihm, aber vielleicht hat die unerwartete Vaterschaft bei ihm einfach nen Kurzschluss ausgelöst. "Nö", sagte er mit einem breiten Grinsen. "Was viel besseres." Mit diesen Worten krabbelte er von mir und zum anderen Ende des Bettes, beugte sich herunter und hielt mir dann eine fast leere Bacardi-Cola-Flasche unter die Nase. "Hier, willst du den Rest?" Mann, kein Wunder das der so drauf war. Ich schüttelte den Kopf, packte ihn am Handgelenk und zog ihn mit mir vom Bett. "Hey, was ist los?" "Nichts, ich will dir nur mal kurz was zeigen." In so einem Fall half nur ne Radikalkur. Und was bei Karsten am Besteh half wusste ich aus langjähriger Erfahrung als leidgeprüfter Freund. "Häh, was könntest du mir in meinem Haus schon zeigen?" "Das siehst du dann." Ich zog ihn mit ins Badezimmer, setzte ihn auf den Klodeckel und sagte harsch: "Bleib bloß sitzen!" Dann stellte ich die Dusche auf eiskalt und machte sie an. Karsten schien wohl zu ahnen, auf was diese Aktion hier aus lief und wollte gerade aufstehen, als ich ihn wieder packte und hinter mir her zur Duschkabine zerrte. "He, wart mal, das kannst du nicht machen!" "Du würdest dich wundern, was ich alles kann!" Da ich keine Chance hatte, ihn allein unter das kalte Wasser zu bekommen stellte ich mich kurzerhand mit drunter. Und es war verdammt kalt! Karsten neben mir schrie erschrocken auf und ich konnte mir ein Keuchen auch nicht unterdrücken, trotzdem zwang ich ihn, darunter stehen zu bleiben. Wie ich das allerdings geschafft hatte, blieb mir ein Rätsel. Bibbernd und klatschnass standen wir dann fünf Minuten später wieder in Karstens Zimmer, welcher wieder total nüchtern war und mich böse anfunkelte. "Mann, so rabiat hättest du das gar nicht machen müssen!" "Ja, ja, schon verstanden. Aber immerhin hat es sehr gut geholfen. Gib mir lieber was trockenes und warmes zum anziehen!" Zähneklappernd und frierend stand ich vor seinem Kleiderschrank. Nach kurzen Überlegungen reichte er mir eine Boxershorts, ein verwaschenes, blaues T-Shirt und ebenfalls verwaschene blaue Jeans. Ich wusste, dass ich in seinen Kleidern praktisch zwei mal reinpassen würde, aber im Moment war mir alles egal, Hauptsache trocken und warm. Rasch zog ich mich um, packte danach seine und meine Klamotten und schmiss sie in die Badewanne. Immer noch zitternd setzten wir uns eine Viertelstunde später mit Chips und Cola auf die Couch vor den Fernseher, drapierten drei Decken um uns herum und froren dennoch. Da mir die Kälte zu blöd wurde, zog ich die Knie ganz nah an meinen Oberkörper und rutschte noch näher zu Karsten hin. Ihn schien das nicht zu stören, eher im Gegenteil, er kam auch ein Stück näher zu mir und schließlich sahen wir uns eng aneinandergekuschelt den ersten Teil von American Pie an. Sehr viel bekam ich vom Film nicht mit, vielmehr war ich damit beschäftigt, meine Gedanken und Fantasien im Zaum zu halten, denn sonst hätte ich wohl für nichts mehr garantieren können. Meinen Hormonen war es offenbar total egal, wo und mit wem... Und das ihr Objekt der Begierde auch noch ein riesiges Problem hatte... *** "Scheiße, hoffentlich hört das bald auf!" Ich stand vor der Terrassentür in Karstens Zimmer und starrte in den Regen. Pha, Regen konnte man das nun wirklich nicht mehr nennen, eher Sinnflut oder Wolkenbruch oder so. Seit mehreren Stunden ging das nun schon so und die Uhr bewegte sich langsam aber sicher auf die halb neun zu. "Mann, macht doch nichts, Mandy. Dann schläfst du halt bei mir, wo ist das Problem?" Stimmt, wo liegt das Problem. Früher hatte ich das auch gemacht. 'Genau, warum schläfst du nicht einfach bei ihm. Das Bett sieht supergemütlich aus und zu zweit ist es schön warm. Und früher habt ihr auch in einem viel schmaleren Bett, nämlich deinem, zusammen geschlafen.' 'Ja, aber das war bevor *du* dich ständig in meine Gedanken eingemischt hast und mir solche Träume und Bilder gezeigt hast. Das war, bevor ich mir selbst eingestanden hab, das ich schwul bin. Bevor du mir heute hast weismachen wollen, dass Karsten derjenige welcher ist und...' 'Ja, ja, schon gut, gib immer nur mir die Schuld, du bist ja ein reines unschuldiges Engelchen, nicht wahr?' 'Schnauze! Hab ich nicht gesagt du sollst dich nicht mehr blicken lassen? Was willst du also hier?' 'Mich amüsieren...' "He, Mandy, Träumer, wach auf!" Karsten schüttelte mich leicht und riss mich so zurück in die Wirklichkeit. Auffordernd hielt er mir den Telefonhörer unter die Nase. "Los, ruf deine Mutter an und sag ihr, dass du heut hier schläfst. Bei dem Wetter kann sie nicht verlangen, dass du nach Hause fährst. Ich bin solang in der Küche und mach ein paar belegte Brötchen." Verdattert sah ich Karsten hinterher, mir war gar nicht bewusst geworden, dass ich mit ihm zusammen in den Flur zum Telefon gelaufen bin. Ich seufzte. Vor dieser Nacht hatte ich den totalen Horror, aber jetzt konnte ich nicht mehr zurück. *** "Mandy?" "Mmm." (Nerv nich) "Schläfst du schon?" "Mmmm." (Stell doch noch blödere Fragen) "Kannst du auch mal ordentlich antworten?" "Mm." (Nich um die Uhrzeit) Schweigen. Nanu, sag bloß er hat es kapiert, das ich müde war und nicht unbedingt reden wollte. Ich war nämlich zu sehr damit beschäftigt, meine Fantasien zu zügeln, die sich angesichts der Tatsache, dass wir beide nur mit Boxershorts im französischen Bett lagen auf Hochtouren selbstständig machen wollten. "Wie war eigentlich dein Erstes Mal?" Wie mein Erstes Ma- "WAS?!?" Jetzt war ich hellwach! Kerzengerade fuhr ich hoch und starrte in die Dunkelheit des Zimmers. "Na ja, dein erster Sex, wie war der?" Schweiß brach mir aus allen Poren, was sollte ich darauf denn sagen? Würde Karsten sich darüber lustig machen? Mit siebzehn noch Jungfrau... In der heutigen Zeit war das ja schon was sehr seltenes. "Magst du nicht mit mir drüber reden?" "Hm... na ja... ich würde ja schon mit dir drüber reden, aber..." Gott, war ich froh, dass es so dunkel war, mein Gesicht machte schon wieder einer überreifen Tomate Konkurrenz. "Aber...?" "Na ja, weist du... ich... also ich... ich hab... äh... ich hab noch nie..." Neben mir raschelte es, aber ich konnte Karstens Bewegungen nicht sehen. Ich ließ mich wieder nach hinten fallen, drehte mich auf den Bauch und drückte mein heißes Gesicht in das Kissen. "Du hast noch nie...?", erklang es neben mir ungläubig. Schweigen. "Echt? Ich meine, du siehst doch gut aus und hast bei den Mädels doch auch keine schlechten Karten. Und da hast du echt noch nie Sex gehabt?" "Nein." "Aber da war doch mal die eine da, die aus der Paraklasse, die dir die ganze Zeit hinterher gerannt ist und du hast doch gesagt, du würdest sie ganz sympathisch finden, warum hat sich mit ihr nichts ergeben?" Oh je. Sollte ich ihm jetzt sagen, dass ich schwul war? Nein, lieber nicht! "Na ja, ich finde, es gehört mehr dazu, nur jemanden sympathisch zu finden", redete ich mich heraus, was eigentlich auch stimmte, ich würde nie mit jemanden in die Kiste steigen, den ich nur sympathisch finden würde. "Ich will das Erste Mal mit jemandem erleben, den ich wirklich aus tiefstem Herzen liebe, dem ich total vertraue. Nicht mit irgend jemand x-beliebigen, nur weil ich ihn halt sympathisch finde. Und außerdem muss dieser jemand mich auch lieben." "Hm." Wieder Schweigen. Ich drehte mich wieder auf den Rücken, starrte blicklos vor mich hin. "Aber geküsst hast du schon mal, oder?" "Sag mal, was soll die Fragerei? Warum interessiert dich das so?" "Och weißt du, mir ist heute nur mal klar geworden, dass ich dir ständig davon erzähle, aber ich über dieses Thema von dir gar nichts weiß. Und wir sind doch Freunde, also sollten wir doch darüber reden können." "Aha." "Und?" "Na ja,... ein Mal, meinen ersten richtigen Kuss nicht mit einbezogen, den hab ich nämlich nicht als Kuss empfunden." "Was? Dann bist du ja noch ein richtiger Anfänger! Das müssen wir aber ändern." Schlagartig war es hell im Zimmer, Karsten hatte die Nachttischlampe angeknipst. "Arg! Willst du, dass ich blind werd? Mach sofort das Licht wieder aus!" Noch weitere Nettigkeiten vor mich hin brummelnd versteckte ich mein immer noch leicht gerötetes Gesicht unter der Bettdecke. Was meinte er bloß mit: das müssen wir ändern? 'Willst du das wirklich wissen? Wahrscheinlich schleppt er dich morgen in alle möglichen Discos und will dich dazu bringen, dich von irgend welchen Mädchen abknutschen zu lassen.' 'Danke, so genau wollte ich das nun doch nicht wissen. Außerdem glaub ich nicht, dass er so etwas machen würde!' 'Ach ja? Wie soll er es denn sonst gemeint haben?' '...' 'Na siehst du!' Plötzlich wurde mir die Bettdecke weggezogen und Karstens Gesicht war ganz nah an meinem. Unsere Nasenspitzen trafen sich beinahe. 'Der will doch wohl nicht...?!' 'Ja, ja, ja! Los doch, mach schon!' 'Sag mal, spinnst du? Du willst doch nicht ernsthaft, dass er mich küsst? Bist du noch ganz knusper?' 'Wieso, du willst ihn doch auch küssen, oder nicht?' '*NEIN*!' 'Wer das glaubt wird se-' 'Halt die Klappe! Du widerliches Etwas, verschwinde doch einfach und lass mich in Ruhe!' Unsicher sah ich Karsten in die Augen. Wunderschön waren sie, rehbraun, mit ein paar lustigen goldenen Pünktchen. Und sie schienen immer näher zu kommen. Genau wie diese verführerischen Lippen, die leicht geöffnet waren und feucht glänzten. Wie sie wohl schmeckten? Nervös fuhr ich mir mit der Zunge über meine plötzlich so trockenen Lippen und ohne mein zutun erschien auf einmal Lucas Gesicht vor meinen Augen. Genau! Ich liebte doch Lucas, oder? Warum war ich dann gerade im Begriff meinen besten Freund zu küssen - oder mich küssen zu lassen? Ich wollte gerade ein bisschen von Karsten wegrücken, als dieser auf einmal trocken auflachte, mir durch die Haare wuschelte, nur meinte: "Guck nicht so ängstlich, ich hätte dich schon nicht gefressen.", mir den Rücken zuwandte und das Licht ausmachte. "Gute Nacht. Und angenehme Träume." Häh? Jetzt war ich völlig durcheinander. Was sollte das jetzt? 'Das hast du nun davon! Du hättest ihn küssen sollen, als du die Möglichkeit hattest! So schnell bekommst du keine so supergute Chance mehr!', jammerte mein Inneres. 'Klappe! Ich sagte doch schon mehrmals, dass ich mit dir nicht diskutieren möchte. Außerdem liebe ich *Lucas* schon vergessen? Warum also sollte ich dann Karsten küssen? Und jetzt lass mich schlafen.' Natürlich schlief ich schlecht, Alpträume plagten mich, in denen Karsten und Lucas sich ein Gesicht teilten und ich mir wirklich nicht sicher war, wen von beiden ich nun wirklich wollte. *** Ich wachte auf, weil etwas an meine Haaren zupfte. Grummelnd drehte ich meinen Kopf so, dass ich mein Gesicht in das Kissen drücken konnte. Nur leider war da kein Kissen. Wie von der Tarantel gestochen riss ich die Augen auf, als ich unter meinem Gesicht warme, glatte *Haut* spürte. Was zum Teufel...? "Na du, auch schon wach? Hast du wenigstens gut geschlafen?" Karsten kicherte und mein Kopf auf seinem Brustkorb hob und senkte sich, ich konnte seinen Herzschlag hören. Blut schoss mir ins Gesicht als ich mich langsam erhob, um ihm in die Augen zu sehen. Ein verschmitztes Lächeln lag auf seinen Lippen. "Tschuldigung", murmelte ich und wandte das Gesicht ab. Er lachte wieder. "Warum denn, ist doch nicht schlimm. Kannst ja nix dafür, das du ein kleines, verschmustes Kätzchen bist." "Was?!" Hatte ich richtig gehört? Mein bester Kumpel bezeichnete mich als kleines, verschmustes Kätzchen? War ich mir auch sicher, dass ich nicht träumte? "Wusstest du eigentlich, das du im Schlaf redest?" "WAS?!" So viele Schocks an einem Morgen, das ich noch keinen Herzanfall hatte war auch schon ein Wunder. "Ja, aber ich hab nix verstanden, du hast wie so ein kleines Baby vor dich hin gebrabbelt." Oh Gott, warum konnte sich nicht einfach ein Riss im Erdboden mich einfach so mal eben verschlingen? Warum passierten solche peinlichen Sachen aber auch immer mir? Na ja, wenigstens hab ich nichts gesagt, das irgendwie heikel werden könnte. "Lass uns Frühstücken, ich hab Hunger", lenkte ich Karsten wieder auf etwas, wo ich ohne Sorge drüber losplappern konnte. "Kein Wunder, ist ja auch schon halb elf", informierte mich Karsten. "Warum hast du mich denn nicht schon früher geweckt?" Neiiin, jetzt war ich ja wieder beim Ausgangsthema! Ich Esel, ich Volltrottel, ich... "Weil du so niedlich ausgesehen hast." ... Blödmann, ich riesen Rindvi- WAS? Ungläubig starrte ich Karsten an. Er fand das ich beim Schlafen niedlich aussah? Fast schon automatisch hob ich eine Hand an seine Stirn. "Hast du Fieber?" "Nein." "Hast du irgendwelche Medikamente genommen, deren Nebenwirkungen unbekannt sind?" "Nein." "Wurdest du von Aliens entführt?" "Nein." "Hat man dich einer Gehirnwäsche unterzogen?" "Nein." "Nachwirkungen vom Alkohol gestern?" "Nein." "Hast du einen Sonnenstich bekommen?" "Nein." "Wieso sagst du dann Dinge, die der Karsten, den ich kenne niemals sagen würde?" Schweigen. Schließlich: "Das kann ich dir nicht sagen..." "Höh? Warum nicht? Ich dachte, Freunden kann man alles sagen." "Ja, aber das... nein, das kann ich dir nicht sagen. Oder zumindest noch nicht..." "Aha." Irgendwie machte mir das Sorgen. Was konnte schon so schlimm sein, dass er es mir nicht sagen konnte? Ich erzählte ihm schließlich auch alles. 'Lüge! Das mit Lucas hast du ihm noch nicht erzählt!' 'Mit Lucas ist ja auch noch nichts! Und das ist nichts, was man so einfach erzählen kann! Und halt jetzt endlich die Klappe!' Karsten krabbelte aus dem Bett, ich hinterher. "Los doch, ich hab auch voll den Kohldampf." "Ja, ja", maulend folgte ich ihm in die Küche, wo wir erst mal den Kühlschrank plünderten. *** "Also, ich ruf dich dann noch mal wegen morgen früh an!", rief Karsten mir hinterher. "Jaha! Bis dahann!", trällerte ich zurück. Das Frühstück war ausgezeichnet, draußen scheinte wieder die Sonne und irgendwie war meine Laune auf einmal wieder top. Karsten und ich hatten beschlossen, die letzten Ferientage zu nutzen und morgen auf alle Fälle ins Freibad zu gehen. Fröhlich pfeifend fuhr ich mit meinem Bike nun Richtung Heimat, als ich ein leises, aber stetiges 'ffffff' wahrnahm. Das wird doch nicht... Leider war es. Ich stieg vom Fahrrad und begutachtete den Schaden. Toll, im Hinterrad die Luft draußen, Flickzeug zuhause vergessen. Na, dann hieß es jetzt wohl schieben. Ich bog gerade in die nächste Straße ein, als mir auffiel, dass das die Gegend war, in der Lucas wohnte. Ich könnte doch... Jetzt wo ich doch einen so offensichtlichen Grund hatte... Lucas besaß bestimmt Flickzeug! Ich grinste. Endlich konnte ich ihn wieder sehen, nicht nur gedanklich. Das kribbeln in meiner Bauchgegend war auf einmal wieder deutlich wahrnehmbar. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis ich das richtige Wohnhaus fand. Suchend ließ ich meinen Finger über die Klingeln gleiten. Da, Berger, Lucas. Zusammen mit zwei anderen Namen. Oberste Klingel, also Dachgeschoss, oder? Ich schob mein Bike in den Hauseingang und machte mich ans Treppensteigen. Mit jeder Stufe, die ich höher kam wuchs meine Aufregung. Sollte ich nicht doch lieber wieder gehen? Was wenn er gerade Besuch hatte? Oder wenn nur dieser Komiker Toby da war? Oder er mich überhaupt nicht sehen wollte? Aber er hat mir schließlich geschrieben, also so schlecht konnte er von mir nun auch nicht denken. Oder? Mit klopfendem Herzen - und das lag nicht nur am Treppenaufstieg - stand ich schließlich vor der Tür, streckte langsam meine Hand in Richtung Klingel aus. Noch konnte ich einfach wieder umdrehen und gehen. Noch war es noch nicht zu spät. *** Ende Teil 5 [1] Jungs sind ja sooooo kindisch *g* Kapitel 6: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 6 Ich drückte den Klingelknopf. Jetzt war es entschieden. Es gab kein Zurück. Keine zwei Augenblicke später wurde die Tür geöffnet. Von Lucas persönlich. In mir zog sich alles zusammen, diese Gefühle waren der echte Wahnsinn, einfach unbeschreiblich!! Es war, als würde ich ihn nach etlichen Jahren, ach was, Jahrzehnten endlich wiedersehen!! Am liebsten wäre ich im um den Hals gefallen, aber das wäre dann ja doch zu auffällig gewesen und ich glaube, ich hätte es mir dann doch nicht getraut. "Hi. Sorry, das ich hier so einfach reinplatze, aber bei meinem Fahrrad ist im Hinterreifen die Luft raus und da ich gerade in der Nähe war da-" "Wunderbar! Aber komm erst mal rein!" Schon wurde ich in die Wohnung gezogen. Die Techno-Musik, von der ich vorhin glaubte, sie mir nur eingebildet zu haben wurde wieder aufgedreht. Der Raum war riesig, erinnerte mich eher an ein Atelier. "Komm setzt dich." Lucas schob mich in eine Sitzecke des Raumes und fegte dann Fotos und Krümel von der Tischplatte. Von hier aus hatte ich einen viel besseren Blick über die Szene. "Toby macht gerade ein paar Werbefotos", brüllte Lucas zu mir herüber, anders hätte ich ihn bei dieser Lautstärke wohl auch gar nicht verstanden. Toby musste dann wohl das Hinterteil ohne Kopf, aber dafür mit Kamera sein. Eine Menge weißes Papier in langen Bahnen war vor ihm aufgehängt und bildete den Hintergrund für seine Fotos. Ein Mädchen mit sehr heller Haut und pechschwarzer Afrofrisur posierte, ihr Make-up war zu dick und übertrieben aufgetragen. Sie posierte ziemlich affektiert, fand ich, aber ich hatte da wohl auch keine Ahnung davon. Sie schob mal die linke, mal die rechte Schulter nach vorne, in einer Linie zum Kinn; den grellrot geschminkten Mund hatte sie leicht geöffnet und die Augen unter den Wimpern hatten einen dahinschmelzenden Ausdruck wie auf den Fotos von hundert Jahre alten Hollywoodstars. Ich war wirklich nicht der Meinung, dass dies die modernste Art der Fotografie darstellte, aber sicher war ich mir nun doch nicht. Lucas ging gerade zu Toby und brüllte diesem etwas ins Ohr, worauf der die Anlage leise drehte und sich dem Mädchen zuwandte. Lucas wandte sich wieder mir zu und sagte: "Ich bin erfreut, dich hier zu sehen. Hätte nicht gedacht, das du so unkompliziert bist." Ganz klar wusste ich zwar nicht, was er damit meinte, aber ich sagte trotzdem: "Ich auch nicht." Er lachte und warf seinen Pony wieder in dieser bestimmten Art zurück, die es mir irgendwie angetan hat. "Kommt nicht oft vor, dass sich jemand so junges und unschuldiges in diese Räuberhöhle herauftraut. Er strahlte mich an und ich fühlte, wie meine Wangen rot wurden. In der Ecke nahm das Model gerade eine neue Pose ein und Lucas folgte meinem Blick. "Das ist Amelia. Sie kommt aus den Staaten und ist Tobys neuester Star. Sieht aus wie ein Engel, nicht wahr? Aber du solltest mal ihre Stimme hören." "Wieso? Singt sie auch?", fragte ich leichthin und war nun wirklich nicht der Ansicht, dass sie wie ein Engel aussah. Waren Engel nicht für gewöhnlich mit blondem Rauschehaar versehen? Na ja, ich bin nicht sehr bibelfest, hatte davon keine Ahnung, aber im Moment war mir außer Lucas eh alles egal. "Nicht deswegen", sagte Lucas und fuhr mit den Fingerspitzen über meine Hand, die auf der Tischplatte ruhte. Und hinterließ ein Gefühl zwischen Gänsehaut und Brandwunde. "Sie raucht verdammt viel. Mindestens zwei Schachteln am Tag! Daher hat sie ne Stimme wie ein Reibeisen." "Und ihr wohnt hier alle zusammen?" "Toby und ich wohnen hier. Und der Stefan, aber der hat Semesterferien und ist seine Eltern besuchen. Amelia ist zwar ganz nett, aber zum Glück wohnt sie nicht bei uns, nur ab und zu übernachtet sie mal hier.", erzählte Lucas, sah mir dabei unverwandt in die Augen. Er machte mich nervös. Ob er es wusste? Konnte man es mir ansehen? Und was, wenn das für ihn einfach nur ein Scherz ist? Um mich abzulenken sah ich mich noch einmal gründlich um. "Ist echt toll hier. Vor allem so groß, da könnte meinereiner richtig neidisch werden!" "Willst du auch hier einziehen?" Mein Herz setzte aus. Ich schwöre, mindestens zwei Herzschläge lang konnte es sich nicht entscheiden zwischen ganz aufhören oder galoppieren. Es entschied sich für letzteres, pumpte fleißig Adrenalin durch meine Blutbahnen. Meinte er das ernst? "Siehst du das dort oben? Über dem Kniestock?" fragte er und ich folgte seinem Blick zu einer kleinen Leiter, die bis unter den Dachstuhl und zu einer Art dämmrigen Höhle führte. "Dort gibt es noch ein Gästebett." Sein Grinsen sprach Bände. Er hatte es also nicht ernst gemeint. "Sieht gemütlich aus, wenn auch etwas dunkel", erwiderte ich ganz cool. Yeah, ich hatte die Situation voll im Griff! Ich bin der Größte!! ... Vollidiot, dass ich dachte er meint das ernst. "Wenn du willst, bauen wir dir eine Lampe ein", flachste Lucas jetzt und das ärgerte mich. Jetzt kam wieder dieser Nonsensequatsch, auf den ich heute echt kein Bock hatte. Da wusste man nie, woran man war. Er schien zu spüren, das ich nicht wirklich amüsiert war, denn er wurde wieder ernst. "Zu dritt ist es wirklich praktisch. Alleine kannst du dir so etwas heutzutage doch gar nicht leisten." Eine Weile beobachteten wir Toby und Amelia bei der Arbeit. Dann spürte ich, wie Lucas mich intensiv betrachtete und mir wurde heiß und kalt zugleich. 'Verflixt, wenn mein Herz weiter so rast, krieg ich doch noch nen Herzkasper. Ob er wohl den lauten Herzschlag hören kann? Quatsch, Mandy, jetzt spinnst du echt!' "Du siehst einzigartig gut aus", bemerkte er. "Findest du?" Shit! Was blöderes fiel mir natürlich nicht ein?! Gott, was dachte er jetzt bloß von mir? Aber was sollte man schon sagen, wenn man so etwas zu hören bekommt? Ich werde schließlich nicht täglich von Komplimenten überschüttet. Bevor ich noch etwas hinzufügen konnte kamen leider auch schon Toby und Amelia zu uns. "Hi", sagte Amelia und ihre Stimme klang wirklich wie ein Reibeisen. "Das ist Mandy", stellte Lucas mich vor. "Ah, aus Italien", grinste Toby und nickte mir zu. "Warum hast du dieses hübsche Mädchen denn nicht schon früher hergebracht? Man, mit ihr als Model könnte man supertolle Aufnahmen machen! Auch wenn sie Obenrum ein bisschen flach ist, aber das kann man ja optisch ein wenig ändern. Und sie sieht auch richtig zutraulich aus. Hätte ich nicht gedacht, am Telefon klang sie eher wie eine verärgerte Raubkatze." Toby schien voll in Fahrt zu sein und ich war puterrot im Gesicht. "Äh, Toby, Mandy ist der kleine Bruder von meinem Kumpel Peter. Ich hab dir doch schon mal von ihm erzählt, oder?" Lucas konnte sich ein Grinsen auch nicht ganz verkneifen. "Oh." Pause. Dann: "Willst du mich verarschen? Das ist nie im Leben ein Kerl! Kein Kerl kann so niedlich sein! Schau dir doch mal dieses Gesicht an! Und die Figur, kein bisschen männlich!" Na toll. Ich wusste, wie ich aussah, da brauchte er mich nicht auch noch beschreiben. Ich wollte ihn schon unterbrechen, als er mit einem gespielt Unschuldigem Grinsen auf mich zu kam. "Aber ich kenne da eine ganz einfache Art, schnell und schmerzlos, um das zu überprüfen." Ehe ich reagieren konnte hatte er mich am Handgelenk gepackt und vom Stuhl hochgezogen. Völlig verdattert bemerkte ich, dass er sich gerade an den Knöpfen meines Hemdes zu schaffen machte, als Lucas ihn auch schon grob weg stieß. Scheiße, der wollte mir echt an die Wäsche!! Gott, wo bin ich hier nur gelandet? Wie hielt Lucas das hier nur aus? Entgeistert starrte ich auf Toby, der immer noch dämlich grinste. "Alter Perversling!", schimpfte Lucas, schien das aber nicht sonderlich ernst zu meinen. Na toll, dem gefiel es wohl, wenn sich jemand dermaßen an mich ranschmeißt?! "Vergraule mir Mandy nicht", fügte er mit einem Seitenblick auf mich, den ich beim besten Willen nicht deuten konnte, hinzu. Amelia hatte die 'Unterhaltung' bis jetzt kommentarlos verfolgt und zündete sich nun eine Zigarette an. Keiner interessierte sich dafür, was sie dachte oder tat. "Los jetzt, geh lieber wieder fotografieren!" Doch Toby dachte nicht daran. "Hey, Mandy, willst du mal die Fotos sehen, die ich von Amelia gemacht hab?" Ich wollte und wollte dann doch wieder nicht. Ohne was zu sagen streckte ich ihm auffordernd meine Hand entgegen, in die er einen Stapel Polaroidaufnahmen drückte. Die Fotos zeigten viel unbekleidetes Fleisch, alles in Farbe. Es kam mir vor, wie die Auslage eines Süßwarenladens, die nur das 'Beste' anpries. Und raffinierte Perspektiven hatte Toby gewählt, ich muss schon sagen. Zum Beispiel direkt von oben in Amelias Ausschnitt. Gestochen scharf, in jeder Hinsicht, konnte man doch sogar die feinen Schweißperlen auf ihrer Haut erkennen. Auf einem anderen Bild klebte das weiße, beinahe durchsichtige Oberteil hauteng an ihr und man konnte perfekt die Rundungen ihrer Brüste erkennen. Toby hatte wohl viel für große Brüste übrig. "Hier, die musst du dir auch noch anschauen!" Der Fotograf schob mir einen anderen Stapel Fotos zu. Mehrere Mädchenpopos in Tanga und mit Strapse streckten sich einem entgegen. Ich fand die Pose abartig. Wie konnte sich jemand so fotografieren lassen?? "Einfach obszön!", kam es von Lucas. Da konnte ich ihm nur zustimmen. "Was heißt hier obszön! Das ist Kunst", ereiferte sich Toby, "Kunst am lebenden Objekt!" Ich schob ihm die restlichen Bilder ungesehen zurück, mir war die Lust darauf vergangen. Was interessierten mich schon Mädchenhintern oder Brüste? Da gab es doch was viel besseres. Gegen das Bild, das jetzt vor meinem inneren Auge erschien, konnte ich nichts unternehmen, ehrlich, ich war total machtlos!! Toby klopfte Amelia leicht auf die Schulter: "Los Schatz, wir müssen weiter machen!" Dann ging er zur Stereoanlage und drehte den Techno wieder auf. Der Boden dröhnte, die Wände zitterten und mich hätte es nicht gewundert, wenn das Dach plötzlich abheben würde. "Wie hältst du das nur aus?", brüllte ich Lucas zu und beugte mich dabei zu ihm. 'Hmm, er riecht richtig gut. So männlich...' "Es ist nicht immer so wie heute! Manchmal ist es auch ganz still, aber ehrlich gesagt, freut es mich, wenn es wenigstens etwas laut ist, dann ist Leben in der Bude und das tut gut." Was versteht er unter 'etwas'? "Na ja, wenn du meinst... Und die unter euch? Wie finden die das?" "Unter uns wohnt Maria. Die hat keinen Mann, dafür drei Gören und ist Spanierin. Sie ist vollkommen okay, die Musik stört sie nicht. Ab und zu laden wir sie mal ein und ab und zu putzt sie mal unsere Wohnung durch." Amelia war gerade dabei, sich umzuziehen. Hier, mitten im Wohnzimmer, umgeben von drei Jungs. Und es schien ihr nichts zu machen. Obwohl sie echt einmalig große Brüste hatte, trug sie keinen BH und Toby starrte sie ungeniert an. Hatte die denn kein Schamgefühl? Man, was Lucas hier zu sehen bekam, frei Haus und gratis und dann sollte er schwul sein? Ich glaubte der Story meines Bruders immer weniger. Schon allein die Sache mit dieser Sängerin... Konnte es nicht eher sein, das Lucas, wenn überhaupt, bi war? Mitten in meine Überlegungen hinein nahm mein Gedankenobjekt mich an der Hand und sagte: "Komm, ich zeig dir noch die restlichen Zimmer." An der ersten Tür wollte er mich vorbeiziehen: "Hier brauchst du nicht reinsehen!" "Warum nicht?" Jetzt war ich neugierig und befreite mich aus seinem sanften Griff. Ich öffnetet die Tür und steckte meinen Kopf hinein. Es war die Küche. Das konnte man allerdings nur an den Stapeln dreckigen Geschirrs erkennen, die sich überall befanden. "Na ja, bräuchte mal wieder ein bisschen Pflege", meinte Lucas und stand so dicht hinter mir, dass sein Atem im Nacken kitzelte und ich seine Wärme spürte. "Kein bisschen übertrieben!" konnte ich ihm nur beipflichten. Es war echt einmalig. Das die Geschirrtürme überhaupt noch standen, war ein kleines Wunder der Schwerkraft. Sah irgendwie aus wie abstrakte Kunst und das sagte ich ihm auch. "Findest du?" Er lachte unsicher. "Und wie lange werdet ihr das so aufbewahren?" "Bis jemand kommt und sauber macht", sagte Lucas unschuldig. "Manchmal kommt eine gute Freundin, Sandra, die kann das echt gut und manchmal kocht sie dann auch." Schon wieder eine neue Freundin. Die lebten hier ja beinahe wie die Paschas. Sandra spült das Geschirr und kocht. Maria putzt das Wohnzimmer. Und Amelia stillt ihre Sehnsüchte, in dem sie ihre Möpse sehen lässt. Mein Gott, war ich froh, das ich kein Mädchen bin, nicht zu ihren Freundinnen gehörte und man somit nichts dergleichen von mir erwartete! Ich zog meine Nase aus der Küche, in der es offengestanden nicht gerade umwerfend roch. Oder vielleicht doch, allerdings im negativen Sinne. "Willst du ne Banane?" Lucas hatte sie gerade auf der Anrichte entdeckt und sie war echt das einzige in der Küche, das noch neu und unverbracht und genießbar aussah. "Nein, ich mag keine Bananen." "Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich sauber gemacht." Aha, schien ihm wohl doch ein wenig peinlich zu sein, mir diesen Anblick geboten zu haben. Doch da zeigte sich ein schwarzer Katzenkopf im Türspalt und die Küche war Vergangenheit. "Eine Katze habt ihr auch?" "Das ist Rudi. Der hält sich am liebsten in meinem Zimmer auf", erzählte Lucas. "Dann gibt es da noch Richard, aber wo der ist, weiß ich grad nicht, hab ihn schon seit Tagen nicht mehr gesehen." Lucas und ich gingen in sein Zimmer. "Wo kann er denn sein? Er kann doch hier nicht ins Freie, oder?" Katzen mochte ich schon immer und die Tiere schienen auch keine Abneigung gegen mich zu haben, denn sobald ich auch nur einer übers Fell strich fing sie an zu schnurren. "Oh doch, wenn mal ein passendes Fenster offen ist, gehen die beide auf die Dächer." "Na, vielleicht ist dann draußen eine Katze rollig", fiel mir ein. Konnte ja sein, Tier dachten schließlich auch nur an drei Dinge: Fressen, Schlafen und Sex. Lucas machte ein verschmitztes Gesicht. "Keine Chance für die Katze! Rudi und Richard sind nämlich schwul." Shit, ob ich wollte oder nicht, mein Herzschlag beschleunigte sich schon wieder und eine leichte Röte legte sich um meine Nasenspitze. Gab es schwule Katzen oder wollte er mich nur verarschen? Aber das war *die* Gelegenheit, ihn darauf anzusprechen. "Und du? Wie ist das mit dir?" Lucas zog heftig die Tür hinter uns zu und lehnte sich dagegen. Oh, oh, Fluchtweg abgeschnitten. Jetzt saß ich in der Falle wie ein Vogel im Käfig. Mist. "Hör mal, Mandy, woher hast du das überhaupt?" Er sah mich fest an und wartete und ich konnte spüren, dass es ihm total ernst war. "Ich höre!" "Ich hab es von Peter, ist aber schon ein Weilchen her, zwei Jahre oder so. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern." "Er hat also mit dir über mich gesprochen. Und was genau hat er gesagt? Erinnerst du dich daran?" "Dass du schwul seist, mehr nicht." Mir war unbehaglich zu mute. Stimmte das also doch nicht. Toll, dann hatte ich ein großes Problem. Pah, das war ja noch untertrieben, es war riesengroß! Eine Zeit lang war es still im Zimmer und ich wünschte mir auf einmal, ich wäre nicht zu ihm gekommen. Dann wären meine Träume wenigstens nicht jetzt schon so grausam zerstört worden. Ich dachte gerade darüber nach, dass ich nun wohl nie herausfinden würde, ob seine Lippen so weich waren, wie sie aussahen, als er plötzlich sagte: "Und du? Was glaubst du?" Ein dringlicher Ausdruck stand in seinen Augen. "Ich kümmer mich nicht um Gerede, mir ist das total egal!" Lüge!! Aber ich konnte ihm ja nicht sagen, dass ich gehofft hatte, das er schwul sei. Jedenfalls nicht, solang er von sich aus nichts sagt. "Wirklich?" Ich fühlte mich wie in einem Kreuzverhör. Verdammt, ich hatte schließlich nichts gemacht, außer ein paar schmutzig-feucht Träume war da nix gewesen!! Aber das konnte er ja nicht wissen. "Und wenn ich es wäre? Ich meine, wie wäre das dann für dich?" Innerlich hielt ich die Luft an, war mir nicht sicher, ob ich schon in Jubel ausbrechen konnte, äußerlich zuckte ich ruhig und gelassen mit den Schultern. "Wär mir egal, echt. Für mich würde sich nichts ändern, du wärst für mich Lucas, nicht mehr und nicht weniger." Mann, ich wusste nicht, dass ich so gut lügen und schauspielern konnte. Vielleicht sollte ich später ans Theater. Meine Handflächen waren feucht und ich schob sie lässig in die Hosentaschen. 'Ganz cool, nur nichts anmerken lassen!' Er nickte nur. Bilde ich mir es ein oder war er ein bisschen enttäuscht? Er ging an mir vorbei, zum Fenster und sah hinaus. Er stand mit dem Rücken zu mir und ich konnte sehen, dass er breite Schultern hatte, wie gemacht um sich daran anzulehnen. Dann sah ich mich erst mal um. Ein Schreibtisch, ein Bett und jede Menge Bücher- und Zeitschriftenstapel. Sein Zimmer war nur ein wenig größer als meins. Wir schwiegen immer noch. Ich lockte Rudi zu mir, hob ihn hoch und setzte mich auf den Schreibtischstuhl. Während ich den Kater kraulte beobachtete ich Lucas. Hätte ich doch nur nicht gefragt! Andererseits, wenn er wirklich schwul war, warum benahm er sich dann so komisch? Wollte er nicht, dass ich das glaubte? Wenn ja, warum sollte ich es denn nicht wissen? "Bist du mir böse?" fragte ich schließlich. "Nein", er drehte sich um, die Hände in den Hosentaschen versenkt. "Ich mag es nur nicht, wenn Leute, die man für seine Freunde hält über einen herziehen." Tja, was sollte ich dazu sagen. Ich kraulte also den behaglich schnurrenden Kater, sah Lucas an und schwieg. Ich weiß nicht genau, wie lange wir so dastanden bzw. saßen, aber langsam wurde mir unwohl. Außerdem sollte ich schleunigst nach hause, Mama machte sich bestimmt schon wieder Sorgen. "He, also, weswegen ich eigentlich hier bin, hast du nun Flickzeug für mein Rad?" "Wie? Ach so, ja klar! Warte kurz, ich helf dir dabei." Er nahm mir den Kater ab und setzte ihn auf die Fensterbank. Dann nahm er mich wieder am Handgelenk und so gingen wir aus dem Zimmer. Toby und Amelia standen untätig mitten im Atelier, rauchten und palaverten. Als wir vorbei liefen rief Toby: "Na, ihr beiden Süßen, habt ihr euch auch gründlich beschnuppert?" Ehe ich es verhindern konnte, errötete ich. Verdammt, warum eigentlich wurde ich wegen jedem Mist rot?? Aber bedeutete Tobys Kommentar nicht, das Lucas doch auf Männer stand? "Geht dich nichts an!", sagte Lucas kurz angebunden und bevor ich mich von den beiden verabschieden konnte, waren wir schon zur Tür raus. *** Mein Fahrrad stand einsam und verlassen unten im Hauseingang. "Wart kurz, bin gleich wieder da." Mit diesen Worten verschwand Lucas, wahrscheinlich in Richtung Keller. Die Stelle, an der er mein Handgelenk festgehalten hatte kribbelte wie verrückt. Da kam er auch schon wieder, leicht außer Atem, und schwenkte lachend einen Eimer Wasser und das grüne Schächtelchen mit dem Flicksach. "Hier!" Gemeinsam machten wir und vor der Tür an die Arbeit und nach zwanzig Minuten war mein Fahrrad wieder einsatzfähig. "Danke!" Ich strahlte ihn an: "Alleine hätte ich dafür mindestens eine Stunde gebraucht!" Ich war in solchen Dingen halt total trottelig... "Kein Problem, hab ich gern gemacht." Ich half Lucas, die Sachen aufzuräumen und schließlich standen wir im Hauseingang. "Tja, also dann", murmelte ich unbestimmt. Gerade wollte ich mich vollends verabschieden, als Lucas zärtlich eine meiner Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. "Warum violett? Sie waren doch so schön." Erschrocken sah ich ihn an. Gefiel es ihm nicht? "Gefällt es dir nicht?" "Doch, aber deine Originalhaarfarbe hat mir noch besser gefallen. Aber es ist ja nicht für immer." Seine Augen. Sie waren echt einzigartig. Dieses braun erinnerte mich ein wenig an dunklen, flüssigen Honig. Und sie kamen eindeutig näher. Fast automatisch machte ich einen Schritt nach hinten, bis ich mit dem Rücken an die Türe stieß. Wie gebannt sah ich in seine Augen. "Musst du schon gehen?", fragte er, rieb seine Nase ganz sanft an meiner. Meine Knie waren butterweich. Ich hatte angst, meine Stimme würde versagen, also nickte ich nur. "Schade. Aber versprich mir, dass du wieder kommst!" Wieder ein Nicken. Gott, war ich schon tot, träumte ich oder was war hier los? Das konnte doch unmöglich wahr sein?! Ich bekam erhebliche Probleme bei meiner Luftzufuhr, je näher er mir kam. Dann gab mir Lucas den von mir heißersehnten Kuss. Erst lagen seine Lippen nur wie ein Hauch auf meinen, nachgiebig und weich, fast schon unentschlossen. Ich spürte, wie seine Zunge langsam und zärtlich über meine Unterlippe glitt, sich sanft Einlass in meinen Mund verschaffte um ihn neugierig zu erkunden. Es durchfuhr mich wie ein Stromschlag, als unsere Zungenspitzen das erste Mal aufeinander trafen, sich wieder trennten nur um gleich darauf wieder dieses Gefühl in mir auszulösen. Alles um uns herum vergaß ich, es gab nur noch Lucas und dieser süße Kuss. All meine Sinne waren nur auf ihn gerichtet. Es wäre mir total egal gewesen, wenn jetzt neben uns eine Bombe hochgehen, ein Feuer ausbrechen oder eine Fußballmannschaft erscheinen würde. Alles was zählte war dieser Moment, nur wir beide. *** Ende Teil 6 Kapitel 7: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 7 Ich wünschte, dieser Moment würde ewig dauern. Aber leider hatte der Schöpfer uns nicht mit Kiemen versehen, weshalb wir, wenn auch recht wiederwillig, unsere Lippen voneinander lösen mussten. Atemlos sah ich in diese wunderschönen Augen. Ich war wie betäubt, wie behämmert, einfach weggetreten. Es war wirklich passiert. 'Lucas hat mich *geküsst*! *Er* hat *mich* geküsst! Geküsst, er hat mich *wirklich* geküsst! Das ist kein Traum! Das kann gar kein Traum sein. Kein Traum fühlt sich *so* an! Er hat mich geküsst!' Das waren die einzigen Gedanken, die mir im Kopf herum spukten. Lucas lächelte mich an und am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen und hätte ihn gleich noch mal geküsst. Aber irgendwie traute ich mich doch nicht so ganz... "Nur zur Erinnerung", hauchte er mir ins Ohr, drehte sich um und ging die Treppe hoch. Am ersten Treppenabsatz drehte er sich nochmals um, meinte "Ich meld mich bei Gelegenheit mal.", und ging weiter. Perplex sah ich ihm hinterher. Wie jetzt? War das alles? Kein 'Das wollte ich schon immer mal tun', oder 'Ich hab dich total lieb' oder 'Ich will nicht, dass du jetzt schon gehst' oder etwas in diese Richtung? Und was sollte das heißen, er melde sich bei Gelegenheit wieder? Frustriert knallte ich mit der Faust auf die Türe. Wenigstens half der Schmerz daraufhin, das ich meine Gedanken wieder halbwegs geordnet vorfand. Vielleicht war das seine Art. Vielleicht konnte er halt nicht so einfach darüber sprechen. Vielleicht erwartet er, dass ich den nächsten Schritt mache. Vielleicht spielt er nur mit mir... Nein, das kann nicht sein. Er hat mich schließlich geküsst. Er hat den ersten Schritt gemacht, obwohl er sich doch gar nicht sicher sein kann, ob ich auf Jungs stehe. Völlig verwirrt schob ich mein Fahrrad aus dem Hauseingang und fuhr nach Hause. Ob man mir ansehen konnte, dass gerade ein Traum in Erfüllung gegangen ist, nur um gleich Zweifel folgen zu lassen? *** "Mandy! Wo warst du denn so lange? Ich hab mir sorgen gemacht und Karsten angerufen und er sagte mir, dass du schon vor Stunden gegangen wärst!" "Mama, jetzt übertreib mal nicht! Ich hatte nen Platten." "Oh. Ess erst mal was, danach kümmern wir uns um den Reifen. Ich helf dir dann, sonst bist du morgen nicht damit fertig." "Brauchst du nicht. Lucas hat mir geholfen." Daraufhin sah sie mich nur komisch an: "Ach so. Lucas also." Ob sie dachte ich und Lucas...? Aber da war ja nichts. Bis jetzt jedenfalls. Ob ihm der Kuss überhaupt etwas bedeutet hatte? Wie schaffte er es, jemanden so zu küssen und dann einfach stehen zu lassen? Ich ging an meiner Mutter vorbei in die Küche. "Mmmm, du hast Kirschauflauf gemacht! Lecker!" Kirschauflauf konnte ich massenweise verdrücken. Manchmal wunderte ich mich selbst, wie viel ich in mich reinstopfen konnte, ohne dass ich wie früher Rettungsringe ansetzte. Mama setzte sich neben mich an den Küchentisch und sah mich unablässig an. "Und, wie war Karstens Urlaub?" "Mm, nisch gansch scho doll", nuschelte ich mit vollem Mund, was mir einen strafenden Blick meiner Mutter einbrachte und ich schluckte hastig. "Er sagt, er hätte sich furchtbar gelangweilt und er besteht darauf, dass ich nächstes Mal mit ihm mit gehe. Übrigens gehen wir morgen ins Freibad und davor müssen wir uns noch nach einem Geschenk für Jenny umsehen. Die feiert doch am Samstag. Ich weiß noch nicht, ob ich dann gleich bei ihr und Mark penn, kommt drauf an wie lang es geht." Ich plapperte Unsinn, wusste es und hielt den Mund. Ich erzählte meiner Mutter freiwillig nie so viel! Wieso konnte mich ein einziger Kuss nur so aus dem Konzept bringen? Scheiße, dagegen muss ich ganz dringend was unternehmen. "Wie geht es Karsten? Er klang am Telefon komisch..." Überrascht sah ich Mama an. Das hatte sie bemerkt? Ihre Frage brachte meine Gedanken wieder in eine andere Richtung. "Na ja, er hat... nun, ein Problem, sogar ein riesen Problem. Ähm, ja, deshalb ist er momentan ein bisschen down." Wow, Mann, das war ja ne tolle Erklärung! Ich bin ja so blöd! Das gehört ja eigentlich verboten. "Willst du dann nicht lieber zu ihm gehen? Vielleicht kannst du ihm ja helfen oder zumindest auf andere Gedanken bringen. Dann könntest du ja auch gleich noch mal bei ihm übernachten." "Öh." Oh ja, so geistreich, so absolut intelligent, ich bin ein Genie! Ich hatte nicht mit so was gerechnet und musste wohl ziemlich doof aus der Wäsche gucken, denn meine Mutter grinste mich an und wuschelte mir durch die Haare. "Er ist doch dein bester Freund, den kannst du doch jetzt nicht sich selbst überlassen!" "Ehm, na ja, eigentlich wollte ich..." ... für mich allein sein, über die Sache mit Lucas nachdenken, über das Gespräch mit Karsten und überhaupt, ich hatte noch nicht mal richtig ausgepackt! Aber meine Mutter sah mich so entschlossen an, das ich jeglichen Protest lieber runterschluckte. Vielleicht war es wirklich keine gute Idee, Karsten alleine zu lassen. Wo er doch zur Zeit so empfänglich für Alkohol war... Und ich müsste meinen Vater heute nicht sehen, auf ihn hatte ich nämlich absolut keine Lust. Ob der wohl noch sauer war? "Man könnte meinen, du willst mich los haben!", maulte ich anstandshalber noch, bevor ich zum Telefon tapste. Ich rief Karsten an und er klang wirklich nicht mehr ganz nüchtern. "Ich komm gleich wieder vorbei und penn bei dir. Lass die Finger von der Flasche bis ich da bin, ja?! Und such mal ein paar Videos raus. Ich ruf noch Mark an, vielleicht will er morgen ja mit ins Freibad. Bin in ner viertel Stunde draußen!" Ohne auch nur eine Erwiderung abzuwarten knallte ich den Hörer auf die Gabel. Karsten war wirklich nicht mehr zurechnungsfähig! Knallt sich mitten am Tag die Birne voll! Gut, er hatte ein verdammtes Problem am Hals, ich würde für keinen Preis der Welt mit ihm tauschen wollen, aber der Alk löste das nun leider auch nicht. Bei Mark erreichte ich niemanden, bzw. es war belegt. Wahrscheinlich führte Jenny wieder ein Dauergespräch. Ich packte meine Badesachen, ein T-Shirt zum Schlafen und Klamotten für morgen, schnappte meinen ganzen 'Kleinkram' und ging wieder in die Küche. "Ich bin jetzt also bei Karsten. Ich hab mein Handy mit, falls Lucas oder Mark anrufen, sags ihnen bitte. Oh, und gib Lucas die Nummer, er hat sie noch nicht. Kann morgen spät werden, tschüss!" Mein Handy ist ein Objekt, mit dem ich auf Kriegsfuß stand. Ich nahm es so selten mit und gebrauchte es noch viel seltener, aber was solls?! Es war ein Geburtstagsgeschenk und vielleicht ist es irgendwann ja doch nützlich. "Viel Spaß und macht nicht zu viel Unsinn!" Pah, als ob wir jemals Unsinn machten... Aus dem Alter sind wir doch schon längst raus... *** Karstens Wangen hatten einen leichten Rotton und man sah ihm den übermäßigen Alkoholgenuss an. "Mann, du Idiot! Davon wird's auch nicht besser.", knallte ich ihm anstelle einer Begrüßung entgegen. "Ja, ja, dir auch hallo!" Ungehalten ging ich in sein Zimmer und schmiss meine Sachen in die nächstbeste Ecke. Karsten wollte sich schon die Rotweinflasche, die auf dem Schreibtisch stand, nehmen, aber ich war schneller und schnappte sie mir. Wenn er jetzt noch mehr trinken würde, wäre das eine mittelgroße Katastrophe. Alkoholisiert wurde er doch immer so leichtsinnig. "Finger weg von sämtlichen Flaschen! Du trinkst heut nur noch Mineralwasser oder Saft. Sonst stell ich dich wieder unter die Dusche! Und das mein ich ernst, verstanden?" Wow, ich wusste nicht, das ich so energisch werden konnte! Er würde mich dafür hassen - jedenfalls heute - und kein Wort mit mir reden. Aber wenn ich die Wahl zwischen einem betrunkenen und einem eingeschnappten Karsten hab, dann entscheide ich mich garantiert immer für letztere Variante. Mein Magen knurrte. Mist, ich hatte doch gerade eben erst gegessen! Die ganze Aufregung und der Stress schlagen mir halt auf den Magen... Also schnappte ich mir Karstens Hand und zog ihn hinter mir her in die Küche, erstaunt darüber, dass er noch kein einziges Mal widersprochen hatte. Wahrscheinlich war er doch noch nicht sooo betrunken... "Setzt dich! Wahrscheinlich hast du seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, du Spinner. Mal sehen, ob ich was zusammenbasteln kann..." Karsten grinste nur blöd vor sich hin, verkniff sich aber ein Kommentar. Ich kann nicht kochen. Dementsprechend schmeckte auch das 'Gericht', dass ich zwanzig Minuten später vor seiner Nase abstellte. "Iß und wehe du beschwerst dich..." Ihm gegenüber Platz nehmend sah ich zu, wie er vorsichtig probierte. Angewidert verzog er das Gesicht. "Vergiss es! Willst du mich vergiften oder was? Da esse ich lieber nichts, bevor ich das hier runterwürge!" Wow, er spricht zu mir! Eigentlich hätte ich erwartet, dass er kommentarlos das Essen in den Kompost leert. Aber er hatte leider recht, essen konnte man das absolut nicht. Ich hatte wohl viel zu viel Salz, und beim roten Pfeffer war ich auch zu großzügig... Seufzend tat ich es ihm nach und stellte das Geschirr ins Waschbecken. "Dann plündern wir halt die Gefriertruhe, was auftauen kann ich grad noch." Desinteressiertes Schulternzucken. "Hab eigentlich gar keinen Hunger..." "Ich aber! Und wenn ich esse, isst du auch. Punkt, aus, Schluss, basta!" Ich machte mich ja gar nicht so schlecht, ich könnte mich eigentlich daran gewöhnen, ein bisschen energischer zu sein... Hach, diese Ferien waren ja eine richtige 'Erleuchtung'. "Sag mal, ist irgend etwas passiert, als ich weg war? Du hast dich ganz schön verändert. Schon allein das du mich die ganze Zeit nieder machst..." "Was heißt hier: niedermachst!! Tu ich ja gar nicht! Ich mach mir nur sorgen, ist das etwa verboten? Oder würdest du zugucken, wenn ich mich einfach wegen so einer Lappalie sinnlos vollaufen lassen würde? Was zickst du hier eigentlich so rum?" Wie viel kann ein Mensch eigentlich vertragen, ohne durchzudrehen und jemanden einfach um die Ecke zu bringen oder sich vor den nächsten Zug zu werfen? Die Frage war doch ganz interessant. Entweder vertrag ich nicht viel, oder die Grenze liegt überraschend niedrig. Aber dann müsste man ja mehr Selbstmordopfer haben. Obwohl, wer weiß, wie viele die gerettet und in die Klapse gesteckt haben... Irgendwie wurde mir das hier nämlich zu viel. 'Warum, warum, warum, warum???? Als ob ich nicht schon genug am Hals hab, jetzt muss ich auch noch für ihn Babysitter spielen! Wo er doch sonst immer so vernünftig war und nie so, so... so leichtfertig. Er wusste doch immer, wo die Grenze war. Ach scheiße!' 'Du hättest ja nicht herkommen müssen! Du hättest ja bei Lucas bleiben können und...' Mein dunkles Ich zeigte mir Bilder und gaukelte mir Empfindungen vor, die ich jetzt absolut nicht gebrauchen konnte. 'Verschwinde! Ich hab schon genug stress, ohne dass du dich einmischt! Und überhaupt, du bist doch an der ganzen Sache schuld!' Gut, stimmte nicht, aber irgendjemandem musste man ja den Schwarzen Peter zuschieben. 'Wenn du das so siehst... Aber vergiss nicht, ich bin nun mal du.' Das teuflische Grinsen bei diesen Worten konnte ich förmlich vor mir sehen. Ich musste wohl ziemlich weggetreten sein, denn ein Geschirrtuch in meinem Gesicht brachte mich wieder zurück an den Küchentisch. "Rumzicken, ja? Oh, fein, Mr. Superlässig hat ja sicher eine Lösung für diese Lappalie, nicht wahr? Oder doch nicht? Und dann nennst du das eine Lappalie!? Weißt du eigentlich, wie scheiße die ganze Sache eigentlich ist? Ich werde Vater! V.A.T.E.R.!! Das bedeutet, mein bisheriges Leben ist verdammt am Arsch! Ich kann mir die Diskowochenenden, mein Studium, meine ganzen Hobbys in den Wind schreiben! Dafür darf ich dann einem stinkenden Baby die Windeln wechseln und füttern!" Karstens Stimme kippte beinahe, als er mir das entgegen schrie. So ausgerastet ist er noch nie. Jedenfalls nie mir gegenüber. "Äh..." Mehr brachte ich nicht raus. "Willst du vielleicht mit mir tauschen? Willst du deinen Eltern das erklären? Ja? Kannst du meinetwegen gerne haben, ich hab nämlich absolut keine Lust, mir so einen Klotz ans Bein zu binden! Das war nur so ein gottverfluchter One-night-Stand und schon ist meine Zukunft am Arsch! Scheiße! Das ist so ein gottverdammter Scheißdreck!" Krachend fiel die Tür hinter Karsten zu. Bedeppert starrte ich ihm hinterher. Verdammt. Da hatte ich ja was tolles angerichtet. Ich hätte zuerst nachdenken und dann reden sollen. Oh Mann! Der Appetit war mir gründlich vergangen. ~*~ Karsten lag in seinem Bett, den Kopf unter den Kissen begraben. Ich stand mitten im Zimmer und überlegte. Was macht man in so einer Situation? Shit, shit, shit! Mich überkam der Wunsch, mich volllaufen zu lassen. Einfach die nächst Flasche köpfen und trinken bis zum Umfallen, die ganze Scheiße einfach vergessen. Aber leider war ich noch nicht depressiv genug, um zu missachte, dass das Trinken die Sache auch nicht lösen würde. Ich trat an die Terrassentür und lehnte mein Gesicht an die Fensterscheibe. Schön kühl... Was sollte ich jetzt sagen? 'Sorry, tut mir leid'? Oder: 'War nicht so gemeint.' Das klingt ja alles so richtig abgedroschen und unglaubwürdig. 'Ach Mann, warum ausgerechnet heute? Wo es doch heute morgen alles so gut lief. Und Lucas... ach verdammt!' Mir war zum Heulen und das ich das tat merkte ich erst, als meine Tränen das Glas befeuchteten. Aber das war mir egal. Ich hatte ein Recht dazu, in so einer Situation zu weinen. Ich bin schließlich kein gefühlskalter, unsensibler Holzklotz. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht so anschreien. Aber mir ist einfach eine Sicherung durchgeknallt. Mir steigt das einfach zu Kopf, ich werd damit nicht fertig." Ich hörte Karsten an, das auch er geweint hat. Weiterhin in den Garten schauend erwiderte ich: "Schon gut. Ich wollte es auch nicht als Lappalie bezeichnen, ist mir nur so raus gerutscht. Ich... ich weiß doch auch nicht, was ich machen soll. Was erwartest du denn von mir?" Krampfhaft versuchte ich, die neuen Tränen zurück zu halten. "Weinst du?" In der Fensterscheibe sah ich, wie Karsten aus dem Bett krabbelte und auf mich zu ging. Schnell wischte ich mir die gröbsten Tränenspuren aus dem Gesicht. "Nö, wie kommst du drauf?" "Lügner. Tut mir leid. Ich wollt dich echt nicht so fertig machen." Karsten klang ungewohnt sanft. Er stellte sich hinter mich, legte die Arme um meine Schultern und stützte das Kinn auf meinen Kopf. [1] "Ich lüge nie!", widersprach ich eigensinnig, mehr aus Gewohnheit. Wie heißt es doch so schön: Große Jungs weinen nicht. "Ja, und der Papst trägt Strapse!" Das war der Karsten, den ich kannte: immer einen lockeren, frechen Spruch auf den Lippen, ohne gezwungen cool oder machomäßig zu wirken. Mein Lachen wurde allerdings ein eher ersticktes Schluchzen. Oh, na toll, jetzt entwickelte ich mich zu einer hochgradigen Heulsuse. "He?! Scheiße! Ist es wegen vorhin? Weil ich dich so angebrüllt hab? Tut mir echt leid!" Karsten drehte mich zu sich herum und zog mich in eine Umarmung. Irgendwie war das für mich die Aufforderung, mal alles raus zu lassen, also vergrub ich meinen Kopf an seiner Halsbeuge und heulte einfach los. ~*~ Ich weiß nicht, wie lange wir so da gestanden sind, aber es kam mir wie eine kleine Ewigkeit vor. Es fühlte sich einfach gut an, mal gehalten zu werden, so richtig geborgen. Karsten hatte auch noch geweint, seine Tränen hatten meine Haare nass gemacht. Aber was solls, die kann man ja waschen und so. Zögernd hob ich den Kopf. Diese Situation war für uns beide neu. Wir schenkten uns ein zittriges Lächeln und setzten uns aufs Bett. Es tat echt gut zu wissen, dass man einen Freund hat, bei dem man auch weinen kann, ohne sich gleich bescheuert vorzukommen oder angst haben zu müssen, dass man ausgelacht wird oder es einen Tag später die ganze Stadt weiß. "Tut mir leid.", sagte er noch einmal. "He, ist in Ordnung. Ich bin ja auch nicht gerade ganz unschuldig an der ganzen Sache." Ich musterte ihn aus den Augenwinkeln. Er hatte rotgeränderte Augen und ich wusste, das kam nicht nur vom weinen und auch die Röte in den Wangen zeugte noch vom Alkohol. Seine sonst recht ordentlich frisierten Haare standen wirr vom Kopf ab. Er sah kurzum gesagt total beschissen aus, richtig fertig. Mein Magen knurrte. Ich grinste und auch Karsten musste lächeln. "Nimm ne kalte Dusche, ich schmeiß so lange die Baguette in den Ofen!", befahl ich ihm. Er grinste fies. "Lass sie aber nicht anbrennen." Ich ersparte mir eine Erwiderung, schenkte ihm nur einen gespielt bösen Blick und ging in die Küche. Als ich die Baguette auf das Blech legte hörte ich einen unterdrückten Aufschrei, er nahm also tatsächliche ein kalte Dusche. 'Geschieht ihm aber auch recht!' rief das kleine Teufelchen in mir. 'Was lässt er sich auch volllaufen!' 'In dieser Situation hab ich volles Verständnis dafür.' widersprach mein gutes Gewissen. 'Wahrscheinlich würdest du es auch nicht arg viel besser machen.' Ich stellte den Ofen an, stellte die Eieruhr, deckte den Tisch und starrte anschließend aus dem Fenster. Mal ernsthaft, was würde ich in Karstens Situation machen? Meine Mutter würde das wahrscheinlich gar nicht so schlimm finden, aber Papa... ich glaube, dem würde ich lieber nicht unter die Augen treten. Wenn er wenigstens in sie verliebt und mit ihr zusammen wäre, dann wäre es wohl nicht ganz so schlimm, aber so. Ich kann nicht so genau sagen, wie lange ich so vor mich hingestarrt habe, einfach so, ohne etwas wahrzunehmen oder zu denken, aber ich machte schon beinahe einen erschrockenen Luftsprung, als die Eieruhr losrasselte. Von der Küchentür kam ein leises Kichern. Karsten. Wie lange er wohl schon da stand? "Haha, sehr witzig! Komm her und hol mal den Saft aus dem Kühlschrank. Oh, und die Gläser nicht vergessen!", maulte ich, stellte den Ofen ab. "Jawohl, Monsieur. Wie Ihr befehlt." Aus den Augenwinkeln nahm ich seine leicht spöttische Verbeugung wahr und geistesabwesend griff ich mit bloßen Händen nach dem Blech. Ich stellte es auf die Arbeitsplatte. Beziehungsweise wollte ich es auf die Arbeitsplatte stellen, aber ich ließ es eher fallen. Laut fluchend zog ich meine Hände zurück. "Scheiße! Au, au, au!! Verdammter Mist, verfluchter!" Mein Verstand sagte mir zwar, kaltes Wasser wäre wohl das Beste, aber irgendwie weigerte sich mein Körper dieser logischen Schlussfolgerung zu folgen und so stand ich blöd vor dem Ofen und schüttelte mir meine Hände, auf denen schöne, rote Brandstellen zu erkennen waren. 'Jetzt fehlt ja nur noch, dass ich wie ein Idiot auf der Stelle hüpfe...' Karsten hatte währenddessen einen Richtungswechseln vollzogen und kam zu mir. Er hatte ein saublödes Grinsen im Gesicht, sah aber echt besorgt aus. Ich glaube, ohne ihn wäre ich wohl noch Stunden später so dagestanden, so aber schob er mich mit einem flüchtigen Blick auf die Handflächen einfach zum Spülbecken, drehte den Kaltwasserhahn auf und streckte meine Hände in den Strahl. "Idiot. Was machst du denn für Sachen? Hat dir deine Mama denn nicht beigebracht, dass man seine Finger von heißen Gegenständen lassen soll?", spöttelte er gutmütig, wurde dann aber ernst. "Du bist mir vielleicht ein Träumer. Tut es sehr weh?" "Blöde Frage! Natürlich tut es gar nicht weh, ich verbrenn mir doch mindestens einmal am Tag die Hände, das härtet sie ab", knurrte ich sarkastisch. "He, so schlecht kann es dir ja gar nicht gehen, wenn du solche Sprüche reißen kannst! War mal kurz, ich hol mal den Erste-Hilfe-Kasten, da ist bestimmt Brandsalbe drinne. Und lass die Hände unter Wasser, ja!" Letzteres war ein Befehl. Ich nickte nur und Karsten ging den Kasten suchen. Ich hörte ihn mit ein paar Türen knallen und verhalten fluchen, wahrscheinlich hatte er mal wieder vergessen, wo dieses durchaus nützliche Objekt rumstand und vor sich hin schimmelte. Dann ertönte ein Fluch, den man echt nicht wiedergeben kann, so einzigartig und niveauvoll war der, und ein lauter Knall. Danach war alles Still. Aber Karsten tauchte nicht auf. "Sag mal, hast du mich vergessen oder was ist los?!", brüllte ich. Nichts. Absolute Ruhe, kein Mucks war zu hören, nicht mal ein Vogelzwitschern. Nur das kalte Wasser plätscherte fröhlich über meine inzwischen unterkühlten Hände. Ob solche Temperaturschwankungen überhaupt gut für die Haut sind? Nicht das ich verfrüht runzlige Grapschfinger hab! "Karsten?" Jetzt reichte es mir. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte ich das Wasser ab, trocknete meine Hände leicht an meinem T-Shirt und verließ die Küche um ihn zu suchen. 'Vielleicht war er doch nicht so nüchtern, wie er schien. Nee, wahrscheinlich ist er wieder irgendwo gegen geknallt.' Ich suchte im ganzen unteren Stockwerk, aber ich konnte ihn weder in seinem Zimmer, noch im Wohn- oder Badezimmer finden. Also ab nach oben. In das Schlafzimmer seiner Eltern zu gehen traute ich mich nicht so ganz, das wäre meine allerletzte Anlaufstation. Im oberen Wohnzimmer: keine Spur von Karsten. In der Minibibliothek: nix zu sehen. Das Badezimmer: menschenleer. Schließlich ging ich ins Musikzimmer, das sich ziemlich schwer öffnen ließ. Und - Wunder oh Wunder - Karsten saß da, rieb sich abwechselnd Stirn und rechten Knöchel. Neben ihm lagen der Verbandskasten und ein umgekippter Stuhl, der den Eintritt erschwert hatte, weil er gegen die Türe drückte. "Mann, ich dachte schon weiß Gott was! Antworte gefälligst wenn man dich ruft!" "Ja, ja, aber ich hab dich nicht gehört! Hast du vergessen das dieser verflixte Raum schalldicht gebaut wurde? Häh? Ich höre nichts drinnen und du hörst nichts draußen. Und jetzt komm her und hilf mir." "Is ja gut. Was ist denn eigentlich los?" "Sieht man das nicht? Ich bin vom Stuhl geknallt. Und das, nachdem ich die kleine Schranktüre erst mal vor die Stirn geknallt bekam." Ich musste mir das Grinsen echt verkneifen. 'Sieh mal einer an... Mr.-Ich-bin-supersportlich-und-so-leicht-haut-mich-nix-um lässt sich von einer Schranktür umboxen und außer Gefecht setzen!' Beherzt griff ich nach seinem Arm um ihn hochzuziehen und schrie beinahe auf. Klar, ich Depp hatte vergessen, dass mein Handteller seid neuestem eine Rotfärbung hat, die auch noch verdammt weh tut, wenn man sie auch nur mit ner Feder antippt. 'Pah, und dann sagen die, ein Indianer kennt kein Schmerz! Bestimmt nur, weil die sich noch nie die Hände verbrannt haben!' Karsten sah mich entschuldigend an. "Sorry, daran hab ich nicht gedacht. Wart mal, hier ist doch irgendwo...", er kramte im Verbandskasten herum. "Wo ist sie denn... sie muss doch... Ah! Hier! Setz dich, du wirst jetzt erst mal verarztet. Streck die Hände aus." Gehorsam setzte ich mich vor ihn und hielt ihm meine Hände unter die Nase. "Wow, dieser Rotton ist einmalig, du solltest dir ein Patent drauf geben lassen.", spottete er und verrieb Salbe auf meinen Handflächen. "Haha, du bist wirklich be- Aua! Pass doch auf, das tut weh!" "Tschuldigung. So, und jetzt noch Mullbinde drumrum und dann kannst du das Essen für die nächste Zeit vergessen. Aber keine Panik, ich lass dich nicht verhungern, du bekommst dann halt nur Suppe. Die kannst du mit Strohhalm schlürfen." Vorsichtig wickelte er meine Hände ein. "Wie witzig. Apropos Essen... die Baguette sind jetzt bestimmt schon kalt..." "Quatsch, so schnell kühlen die auch nicht aus. Und wenn, dann schmeißen wir sie halt in die Mikrowelle, wozu hat man das Ding denn sonst? Voila! Fertig. Na, bin ich nicht der King im Verbandanlegen! Hähähä, das muss mir erst mal einer nach machen." Jetzt sah das so aus, als würde ich mitten im Sommer Fäustlinge tragen. Das er aber auch immer so übertreiben musste... "Klar doch. Übrigens, da hast du ja ein schönes Hörnchen auf der Stirn... ist schon leicht blau-grün-gelb angelaufen... Steht dir irgendwie... Tut dir sonst noch was weh? Außer dem Hintern..." "Na ja, der Knöchel, ich hab ihn mir verstaucht. Aber das ist ja nichts weltbewegendes. Und jetzt lass uns endlich was essen." "Ach, ich dachte du hast gar keinen Hunger und isst nur, weil ich dich zwinge?!" Spöttisch zog ich eine Augenbraue hoch. "Tja, weißt du, die Suche nach dem Erste-Hilfe-Kasten, ohne den du zweifelsohne ziemlich aufgeschmissen gewesen wärst, hat mich echt total geschafft! Ich glaube, ich könnte so ohne weiteres die Baguette alleine Essen. Und da du ja eh keinen Finger rühren kannst..." "Wage das ja nicht! Wer Verbände sooo anlegt, der muss mich dann auch füttern! Schließlich hättest du ja auch jeden Finger einzeln einwickeln können. Dann wäre das jetzt kein Thema." "Aber sonst hat der Herr keine Wünsche, ja?!" Ich stand auf und half Karsten so gut es ging. Richtig zupacken konnte ich ja nicht. "Gehts?", wollte ich wissen, als er auf beiden Beinen stand. "Muss", erwiderte er und humpelte vor mir her. "Mein Gott, was sind wir für ein Duo. Da sind wir mal ein paar Stunden zusammen in einem Haus und schon gibt's Verletzte! Wirklich, ich scheine das Pech momentan richtig anzuziehen." "Ach Karsten, jetzt nimms nicht so tragisch. Was ist schon ein verstauchter Knöchel und ein kleines Hörnchen? Pardon, ich korrigiere, ein großes Horn?! Das sind doch Peanuts. Du hättest dir ja auch ne Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Fuß holen können. Oder was-weiß-ich-was-noch. Also sieh es positiv." Klar, als ob ich heute mehr Glück gehabt hätte... Erst ein Kuss und dann einfach stehen gelassen zu werden... Aber immerhin ein Kuss, besser als nichts! Und trotzdem ist alles noch so unklar. Verflucht! "Komm schon du Schlafmütze! Ich bin hier derjenige, der humpelt und nicht du! Also schlaf beim Laufen nicht ein." "Ja doch. Warum motzt du hier eigentlich so rum du *Sportskanone*! Lässt sich von ner Schranktür Schachmatt setzten! Wenn das die anderen erfahren, ich glaube, da wirst du dir noch jahrelang was anhören dürfen!" "Untersteh dich, den anderen auch nur einen Piep zu sagen! Sonst kriegst du wirklich kein Baguette ab und außerdem erzähl ich ihnen von der *Miss*-Wahl, die du gewonnen hast. Was meinst du, was die *dann* sagen?!" Ich wusste er würde es nicht verraten, genau so wie er wusste, dass ich nichts weitererzählen würde. Also begnügte ich mich nur damit ihm die Zunge rauszustrecken und eine kleine Fratze zu schneiden. In der Küche ließ ich mich nur auf den Stuhl fallen, machen konnte ich ja eh nichts. Karsten nahm die Topflappen, drehte sich demonstrativ noch einmal zu mir hin um mit ihnen vor meiner Nase herumzuwedeln und stellte dann das Blech auf die andere Arbeitsplatte. "Pff, das ist jetzt bestimmt schon ausgekühlt, du hättest nicht so oberlehrmeisterhaft tun müssen. So ein Fehler wird mir nie wieder unterlaufen, ich werde ab sofort jede Küche nur noch betreten um mich mit Nahrungsmitteln voll zustopfen!" Karsten gab jedem zwei Baguette auf den Teller und stupste seine mit der Fingerspitze an. "Klar doch", murmelte er. "Gut, die sind noch warm. Besteck können wir uns schenken." Er setzte sich mir gegenüber und grinste fies. 'Er wird doch wohl nicht...?' Dieser Fiesling! Mein Magen knurrte so laut, dass man es sicher noch bei mir zu Hause hören konnte und er wagte es, vor meinen Augen ganz genüsslich in sein Baguette zu beißen!? Karsten machte keine Anstalten, sich auch noch einen Millimeter in meine Richtung zu bemühen, also schob ich meinen Teller eben zu ihm und setze mich neben ihn. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt muss der Berg halt zum Prophet, oder etwa nicht? [2] "Komm schon, ich hab auch Hunger! Und es ist deine Schuld, dass ich nix in die Hand nehmen kann. Also lass mich gefälligst auch mal essen!" "Klar, Baby. Schön den Mund weit aufmachen und 'Aaaah' sagen!" Spinner. "Bin ich etwa beim Arzt?! Aber weil du es bist... Aaaaaah!" Karsten grinste fröhlich und hob mir mein Baguette zum abbeißen hin. Endlich! Es schmeckte echt lecker, war nicht zu heiß und nicht zu kalt und angebrannt ist es mir auch nicht. Aber irgendwie war es ein komisches Gefühl, wie ein Kleinkind gefüttert zu werden. Karsten jedoch schien es richtig Spaß zu machen, er lächelte die ganze Zeit. "So, jetzt noch ein Bissen für die Mama... und einen für den großen Bruder... und einen für mich... oh, jetzt einen für Mark..." Und so ging das die ganze Zeit weiter. Ich ersparte mir die Kommentare, dazu kam ich gar nicht, denn immer, wenn ich den Mund auf machte, wurde mir das Baguette unter die Nase gehalten. 'Bitte lieber Gott, mach das meine Hände auf wundersame Weise heute abend wieder unversehrt sind. Ich verspreche dir auch, keine unkeuschen Gedanken mehr nachzuhängen. Und ich besuch meinetwegen auch am Sonntag den Gottesdienst. Oder nee, diesen geht ja nicht, aber nächsten... vielleicht. Hilfe!' 'Jetzt tu du mal nicht so. Im Grunde genommen gefällt es dir, so umsorgt zu werden. Du brauchst das manchmal. Und solange es ihm auch spaß macht...' 'Grrr, was willst *DU* denn schon wieder? Du hast hier nix zu melden, merk dir das ein für alle mal! Was bist du schließlich schon?!' 'Was ich bin? Dein wirkliches, tief in dir verborgenes ICH. Die dunkle Seite deiner Seele, deine schlechte Gedanken, deine heiße Träume, dei-' 'Halt die Klappe, ich wollte das nicht wirklich wissen! Und jetzt verschwinde, ich hab keine Zeit, mit dir zu diskutieren!' Geschirrgeklapper verhinderte eine Erwiderung dieses... dieses Etwas. 'Vielleicht sollte ich ihm mal einen Namen geben... Dann kann ich wenigstens so richtig auf ihn fluchen... Oh Mann, was denk ich denn da?' Kopfschüttelnd blickte ich zu Karsten, der gerade dabei war, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. "So, und was jetzt? Was können zwei Invaliden wie wir jetzt mit einem angebrochenen Nachmittag so alles anstellen?" Karsten sah mich abwartend an. "Kein Plan." Dieses Etwas nutzte die kurze Pause, um mir ein paar Bilder vorzugaukeln: ich, wie ich meinen besten Kumpel verführte... 'Lass das! Bist du total Bescheuert! Sag mal, gab's da nicht mal so einen Engel, der ständig alle verführen wollte? Wie hieß der noch mal? Belial oder so ähnlich... [3] Gebongt, ich taufe dich Nervensäge auf Belial, damit ich dich von nun an wenigstens mit Namen verfluchen kann!' "Hey, ich habs!! Wir könnten uns ja schon mal überlegen, was wir Jenny schenken wollen. Außerdem können wir dann morgen gleich einkaufen gehen, mit deinen Händen kannst du mit Sicherheit nicht ins Freibad." Das hatte ich völlig vergessen. "Ist gut. Dann lass mal hören! Du hast dir doch hoffentlich schon Gedanken darüber gemacht, oder?" "Öh, nö. Ehrlich gesagt hab ich gar nicht dran gedacht, bis ich die Einladung im Briefkasten fand..." Das war ja mal wieder typisch! Wir verlegten unsere noch nicht angefangenen Überlegungen in Karstens Zimmer und machten es uns auf seinem Bett bequem. Dieses Bett ist einfach ein Traum. So eins werd ich mir später auch mal zulegen. Eine zeitlang starrte jeder von uns vor sich hin, wetten, dass man Rauchwolken über unseren Köpfen sehen konnte vor lauter nachdenken!? Schließlich ließ Karsten sich zurück in die Kissen fallen. "Wäh, mir fällt nix ein. Außer vielleicht ein Gutschein für ne CD oder ein Buch, aber ich glaube, das hatten wir schon einmal. Aber wie wär's mit ner Einladung ins Kino mit anschließendem oder vorherigem Eisessen? Wir haben schon lange nichts mehr zusammen unternommen." "Ja, klar, knappe sechs Wochen sind eine sooo lange Zeit. Das Klein-Karsten uns noch nicht von der Polizei hat suchen lassen ist dann wohl auch nur ein Wunder gewesen!", spöttelte ich. "Gutschein ist nicht so toll, aber Kino und Eis... hört sich gut an. He, das ist ne Premiere, wir haben uns nicht die Köpfe zusammengeschlagen und sind uns einig. Und der Vorschlag kam auch mal von jemandem anderen als mir. Ich glaub, den Tag sollte ich mir in meinem Kalender als privater Feiertag anstreichen." Karstens Antwort bestand aus einem weichen Daunenkissen, dass er mir an den Kopf schlug. "Gut, das wäre geregelt. Was jetzt? Mir ist langweilig, Mandy. Wie wär es mit ner Partie Schach?" Nie im Leben! "Vergiss es! Ich hasse Schach und außerdem gewinnst du eh immer. Ich bin dafür, dass wir uns einfach faul aufs Sofa pflanzen und uns ein Video reinziehen. Und weißt du welches? Der Schuh des Manitu! Der ist lustig und ich hab echt Lust, den mal wieder anzuschauen. Einwände jeglicher Art können leider nicht beachtet werden." "Ich hätte eh nicht widersprochen! Also, du armer Schwerverletzter, mach es dir schon mal bequem, ich hol das Video und was zu knabbern. Ach, ich hab ja vergessen, du kannst gar nicht alleine essen... dann sind die Cookies ja für mich ganz allein..." "Neiiin! Das ist gemein." Eigentlich wollte ich noch viel mehr sagen, aber Karsten ist einfach gegangen. Ich aß Cookies für mein Leben gern. Wenn ich einmal damit angefangen habe, kann ich erst aufhören, wenn die Packung leer ist. So gut es ging packte ich mir ein paar Kissen und trottete zum Sofa, den Schmerz in meinen Händen ignorierend. Gerade als ich es mir richtig gemütlich gemacht hatte, kam Karsten mit dem Video, einem Tablett Chips, Flips, Erdnüssen, Cookies und Cola wieder. Er stellte das Tablett ab - mein Glas war mit einem Strohhalm versehen, so konnte ich wenigstens alleine trinken - und schob das Video ein. Nun stand einem amüsanten Abend nichts mehr im Wege und es würde uns beide auf andere Gedanken bringen. Gerade ließ er sich neben mich plumpsen, als mein Handy klingelte. Ich schoss erschrocken hoch - daran würde ich mich wohl nie gewöhnen - und wollte in meine Hosentasche greifen, aber natürlich hielten meine bandagierten Hände sehr wenig davon. "Shit, ausgerechnet jetzt! Holst du mir das Handy raus? Dann kannst du es auch gleich für mich halten... bitte!" Mit meinem herzallerliebsten Dackelblick blickte ich Karsten an. Kommentarlos holte er mein Handy hervor. Unbekannter Teilnehmer ruft an. Mein Herzschlag beschleunigte sich rasant. Konnte das...? *** [1] Das müsst ihr euch mal bildlich vorstellen! Da fehlt nur noch eine andere Szenerie, so mit Sonnenuntergang und einsamer Strand und so und dann wäre das ja richtig romantisch!! [2] Ich weiß, es heißt: Wenn der Berg nicht zum Prophet kommt, muss der Prophet zum Berg., aber ich fand das langweilig und warum immer das selbe, wenn es auch mal anders geht?! Außerdem hört sich das doch witzig an, oder....?? [3] Angel Sanctuary ahoi! ^_^' *** Ende Teil 7 Kapitel 8: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 8 "Ja?", fragte ich und hielt gespannte den Atem an. 'Bitte, bitte, lass es Lucas sein!' "Hi Mandy! Wie gehts?" Es war nicht Lucas. "Hi. Och ganz gut würd ich mal sagen. Hab schon bessere Tage erlebt... Und was machst du so?" "Ich hab mir schon wegen einem Geschenk für meine Sis den Kopf zerbrochen, aber mir ist nicht wirklich was eingefallen und da dachte ich, dass du und Karsten eventuell schon was gefunden habt...?" Ich musste grinsen. "Na ja, wir haben uns wirklich schon Gedanken darüber gemacht und Karsten ist auf die glorreiche Idee gekommen, sie ins Kino und zum Eisessen einzuladen. Was meinst du? Ich finde das gut." "Ja schon, aber das machen schon ihre Freundinnen! Sie haben es mir heute Mittag gesagt, hab sie in der Stadt getroffen. Wir müssen uns also was neues Einfallen lassen. Habt ihr morgen Zeit? Dann können wir uns bei Karsten treffen." "Oh. Wenn das so ist. Morgen haben wir eigentlich noch nichts vor, komm ruhig. Aber wehe dir, du stehst schon vor halb elf auf der Matte...!!!" Mark war ein Frühaufsteher. Bei ihm konnte man damit rechnen, dass er sogar an einem Sonntagmorgen, wo man endlich mal so richtig ausschlafen konnte, schon um sieben Uhr morgens unterwegs war. Ich hörte, wie er lachte. "Mal sehen...! Nee, ist schon klar. Ich muss morgen früh eh erst den Rasen mähen. Also, wir sehn uns und sag Grüße!" "Yo, ebenfalls. Bis dann!" Karsten drückte auf 'Auflegen' und fragte: "Mark?" "Ja. Wir müssen uns was Neues für Jenny einfallen lassen. Morgen kommt er irgendwann bei dir vorbei. Hast du sicher mitbekommen." Karsten grinste. "Klar. Oh Mann, dabei wäre das ein super Geschenk gewesen! Na ja, darüber können wir morgen nachdenken! Jetzt will ich den Film sehen!" Während er das sagte, hatte er mir das Handy schon wieder in die Hosentasche geschoben. Gemeinsam machten wir es uns wieder auf dem Sofa bequem. *** Wir kicherten noch, als der Film längst vorbei war. Mein Bauch tat schon weh vor lauter lachen und das besserte sich schon gar nicht dadurch, dass Karsten ständig versuchte, Winnetouch nachzuahmen und nicht weit kam, weil er selber lachend zusammenbrach. Gerade stolzierte er hüftewackelnd im Zimmer herum - sein Fuß war wieder vollkommen in Ordnung, der Glückliche!! - und ich kugelte mich im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden und heulte schon wieder - dieses Mal waren es aber Lachtränen. "Hör... hör... auf!", keuchte ich und versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu kriegen. "Och, Schätzchen, warum denn?", ahmte er Winnetouchs Stimme nach. "Weil... weil... ich... keine... Luft... mehr... krieg!", japste ich. "Kindchen, das tut mir aber leid!", quatschte er weiter ohne Rücksicht auf meine strapazierten Bauchmuskeln zu nehmen. Dann ließ er sich neben mich fallen und wischte mir ein paar Lachtränen aus dem Gesicht. "Ist ja schon gut, ich hör auf! Und jetzt beruhig dich mal, so schlimm kann es ja gar nicht gewesen sein!" "Du... du... hast dich... ja... auch... nicht sehen... können!", keuchte ich und lehnte mich an das Sofa. "Der Hüft...schwung und... der Augenaufschlag... und... die Körper...haltung... einfach... alles! Das... sollte man... aufnehmen!" Ich blickte ihm ins Gesicht und der Ausdruck darin schockte mich! Das verhieß nichts gutes, dieses überaus dämliche Grinsen gepaart mit einem angestrengt-nachdenklichen Augenausdruck. 'Oh shit! Was hab ich gesagt? Was?' Ich überlegte kurz. Nein. Ich hatte nichts anzügliches und nichts besonders dummes gesagt, nichts witziges und auch nichts zweideutiges. An mir konnte das also nicht liegen. Karsten lachte so plötzlich, dass ich vermutlich vom Stuhl gefallen wäre, hätte ich auf einem gesessen. "Was...?", fragte ich verstört. "Wart hier mal, ich bin gleich wieder da!" Bevor ich noch irgend etwas hätte sagen können war er auch schon wie ein geölter Blitz verschwunden. Einen Wimpernschlag später stürmte er auch schon wieder ins Zimmer, in der Hand schwenkte er - immer noch verrückt lachend - eine... Videokamera?! "Nee, ne? Is nicht wahr?!" "Doch!" Karsten nickte heftig. "Und hier muss auch noch irgendwo das Stativ sein." "Du bist ja verrückt! Was willst du denn mit der Kamera?" "Ist doch klar. Ich wiederhole das von vorhin, damit ich mir auch mal ansehen kann, warum du gleich losheulst. Und außerdem kam mir gerade die Idee, dass wir ja so ein Video für Jenny machen können. Wäre doch sicher lustig, oder?!" Entgeistert sah ich ihm zu, wie er alles aufbaute. 'Der hat das doch nicht wirklich vor? Gut, er war schon immer ein bisschen verrückter als ich, aber...' Ich hatte keine Chance auch nur noch irgend ein Wort zu sagen - er hätte außerdem eh nicht auf mich gehört - da fing er auch schon wieder an, Winnetouch nachzuahmen. Und keine zwei Minuten später beklagte sich mein Bauch mit Muskelkrämpfen und meine Wangen waren nass von Lachtränen. Ich schwöre, als Karsten nach fünfzehn Minuten aufhörte war ich so gut wie tot, erstickt, weil meine Lungen nicht mehr in der Lage waren, Sauerstoff aufzunehmen. Kichernd ließ Karsten sich auf das Sofa fallen und stupste mich mit den Zehenspitzen in die Seite. "Na, wie war ich? War ich gut?" Ich konnte nichts sagen, konnte nur kraftlos nicken, nur um gleich wieder einen Lachanfall zu bekommen. Ich brauchte zehn Minuten um mich halbwegs zu beruhigen und wieder richtig Luft zu bekommen. Karsten grinste immer noch wie ein Honigkuchenpferd. Ich rappelte mich auf und ließ mich der Länge nach aufs Sofa fallen, Karsten wurde einfach ignoriert. Seine Oberschenkel als Kopfkissen benutzend grapschte ich mir ein Kissen und knallte es ihm ins Gesicht. "Du bist schuld, wenn ich morgen Muskelkater hab! Was fällt dir ein, mich so zu quälen?!" Anklagend sah ich ihn an und pfefferte ihm das Kissen wiederholt ins Gesicht. Das meinen Händen das gar nicht gefiel und sie höllisch schmerzten überging ich mit zusammengebissenen Zähnen. Karsten lachte und klopfte mit der flachen Hand auf meinen Bauch. "Ein bisschen Bauchmuskeltraining kann dir gar nicht schaden, du Schlaffi!" Er schlug etwas stärker zu, aber nicht so, dass es weh tat. Mit einem Röcheln verdrehte ich die Augen und spielte 'Toter Mann'. Ein paar Augenblicke war es ganz Still im Zimmer und ich wollte schon wieder die Augen auf machen, als Karsten mich in die Wange kniff und fragte: "Hey, lebst du noch?" Ich schüttelte den Kopf und antwortete: "Nein, ich bin schon im Nirvana!" Karsten kniff mich daraufhin in beide Wangen und meinte trocken: "Gut, dann brauch ich ja bloß eine Pizza bestellen." Augenblicklich schlug ich die Augen auf und blickte in seine blitzenden, braunen Augen. "Nein, nein! Ich kehrte auf wundersame weise wieder zu den Lebenden zurück und leide an quälendem Hunger! Ich brauche auf jeden Fall mindestens eine Pizza Fungi! Und das am besten innerhalb der nächsten halben Stunde, sonst muss ich wieder ins Land der toten Seelen zurückkehren!" "Sieh an, sieh an, mit Pizza kann man Tote wiederbeleben! Aber mehr als eine gibt's nicht, du futterst eh schon viel zu viel!" Schmollend verzog ich den Mund. "Menno... und wenn wir uns dann noch eine Teilen...??" Hoffnungsvoll und mit meinem allerliebsten Unschuldslämmchenblick sah ich meinen besten Kumpel an. 'Spinn ich?! Wieso wird der rot??' Oder hatte ich mich nur verguckt? Als ich nämlich genauer hinsehen wollte, war die leichte Röte auch schon wieder verschwunden. "Du bist echt verfressen!", meinte Karsten. "Vor knapp dreieinhalb Stunden haben wir Baguette gegessen und du willst schon wieder so viel verdrücken? Wo bringst du das alles unter?" Wichtigtuerisch sah ich ihn an und erwiderte: "Weißt du, ich habe vor, nachher ernsthaft über ein Geburtstagsgeschenk nach zu denken, und Gehirnaktivitäten brauchen auch Energie und deshalb muss ich viel essen. Ist doch logisch, oder?" "Ja und du brauchst mehr Energie dafür als ich, weil deine geistige Kapazität noch lange nicht so gut ist wie meine." "He, das ist nicht wahr! Ich bin in der Schule im Schnitt nur zwei Zehntel schlechter als du, also hör auf hier den oberintelligenten Macho raushängen zu lassen. Bestell lieber die Pizza!!" ~*~ Eine dreiviertel Stunde später saßen wir gemütlich auf dem Boden und stopften Pizza in uns rein. Karsten fütterte mich dieses Mal ohne dieses lästige 'ein Bissen für die Mama'-Getue, wofür ich ihm echt dankbar war. Meine grauen Zellen arbeiteten auf Hochtouren. Was zum Kuckuck schenkt man einem Mädchen zum 18. Geburtstag?? "Ha! Ich habs! Wie wär's mit einer kleinen Schmuckschatulle, die wir mit Kondomen in verschiedenen Geschmacksrichtungen füllen?" "Karsten, Jenny reißt dir dafür vor allen Leuten den Kopf ab, dessen bist du dir doch bewusst? Also lieber nicht. Denk dir was anderes aus." "Mensch, das ist doch ein sehr nützliches Geschenk, ich weiß gar nicht, was du hast. Aber wie wäre es damit: einen Dildo?" Ich verschluckte mich an meiner Pizza und war halb erstickt, ehe er mir auf den Rücken klopfte. "Bist du wahnsinnig? Dafür geht dir ihre Eltern an die Kehle! Und außerdem, willst du in den nächsten Sexshop reinspazieren und so ein Teil kaufen? Das ist doch hochgradig peinlich! Also vergiss es!" "Ach Mann, mir fällt sowieso nichts ein! Also, warum verschieben wir nicht einfach diese sinnlose Nachdenkerei und ich zeig dir mein neues Videospiel? Wollt ich eigentlich gestern schon, aber irgendwie hab ich es dann vergessen..." Ich verzog das Gesicht. Ich mochte Videospiele nicht so besonders, aber ehrlich gesagt, länger nachdenken wollte ich auch nicht. Das war immer so frustrierend, wenn einem nichts einfällt. Ergeben nickte ich also und sah ihm desinteressiert zu, wie er anfing, das Spiel zu spielen und mir hier und da etwas darüber erzählte, was ich nur am Rande mitbekam. Ich könnte jetzt noch nicht einmal sagen, wie das Spiel eigentlich hieß. Gedanklich war ich kilometerweit weg. 'Warum hat er das gemacht? Warum ist er einfach gegangen? Wie soll ich mich denn jetzt ihm gegenüber verhalten, wenn ich ihn wiedersehe? So tun, als hätte es den Kuss gar nicht gegeben? Oder ihn dann zur Begrüßung einfach auch mal küssen? Wann er sich wohl meldet? Hoffentlich bald, er fehlt mir irgendwie. Aber was soll ich dann mit ihm reden? Ich weiß so wenig über ihn, obwohl ich ihn schon länger kenne. Ich weiß ja noch nicht mal, ob er jetzt wirklich an mir interessiert ist oder ob das alles nur ein blödes Spiel für ihn war. Aber warum sollte er mit mir spielen? Oder wollte er mich nur schocken? Nee, quatsch, glaub ich nicht. Ach, verdammter Mist! Hätte er nicht wenigstens etwas gescheites sagen können? Nicht nur dieses 'Zur Erinnerung' und 'Ich meld mich dann mal bei Gelegenheit'?! Und überhaupt, bei Gelegenheit! Was zum Geier meint er damit? Wenn er mal niemanden findet und ihm langweilig ist? Bin ich nur ein bescheuerter Zeitvertreib für ihn, bis er jemanden findet? Ach Lucas, warum konntest du nicht etwas deutlicher sein? Warum ko-' Karsten zog nicht gerade sanft an meinen Haaren und riss mich aus meinen Gedanken. "Aua! Sag mal, hast du nen Knall? Was soll denn der Scheiß?" "He, pflaum mich nicht so an! Dein Handy klingelt, willst du nicht ran gehen? Du hast das gar nicht mitbekommen." "Oh!", war alles, was ich erwiderte, dann stand ich auf und Karsten fischte wieder mein Handy aus der Tasche. Unbekannter Teilnehmer ruft an. 'Komm schon, lass es dieses Mal bitte Lucas sein! Bitte, bitte, bitte!' "Ja?" "Mandy? Ich bin's, Lucas." "Hi!" Ich musste nicht in einen Spiegel sehen um zu wissen, dass ich jetzt richtig strahlte. "Du, hast du übermorgen Zeit?" "Übermorgen? Hmm, ja klar, bis jetzt hab ich da noch nichts vor. Warum?" "Na ja, das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen blöd an, aber... Weißt du, ich hätte unheimlich gerne Lust drauf, mal wieder in die Wilhelma[1] zu gehen und da dachte ich, du würdest vielleicht gerne mitkommen...?" "In die...?!? Ja! Klar komm ich mit, hab nichts dagegen! Sag mir nur wann und wo wir uns treffen sollen, ich bin dann da!" "Echt? Super! Hm, ich denke so um zehn Uhr rum oder ist dir das zu früh? Wir könnten auch erst Nachmittags gehen, wenn dir das lieber ist. Ich hol dich ab, das ist einfacher als wenn wir irgendeinen Treffpunkt ausmachen." "Nein, zehn Uhr ist vollkommen in Ordnung!" "Gut, dann bis übermorgen um zehn! Ich freu mich drauf! Tschüss!" "Ich freu mich auch! Ciao!" Ich hätte ja gern noch länger mit ihm telefoniert und seine Stimme genossen, aber wahrscheinlich wäre mir eh nichts eingefallen, was ich hätte sagen oder fragen können. Lucas legte auf und auch Karsten verstaute mein Handy wieder in der Hosentasche. Ich bekam das gar nicht wirklich mit, meine einzigen Gedanken galten Lucas. 'Ein Date! Das wir ein astreines Date! Und er hat sich heute schon gemeldet! Oh Gott, was soll ich dann nur machen? Wie soll ich mich verhalten? Ob er irgend etwas von mir erwartet nach unserem Kuss? Ein Date, ein Date, ein Date!' 'Das ist kein Date! Das wird einfach nur ein Ausflug! Ein Date hat man in einem Cafe oder im Park, aber man geht nicht in die Wilhelma!' 'Es ist ein Date, egal was du sagst! Mein erstes, richtiges Date! Scheiße, was zieh ich da dann nur an?' 'Du benimmst dich wie ein Mädchen! 'Was zieh ich nur an??' Das übliche, was sonst. Oder willst du ihn vergraulen? Außerdem wird das nur ein Ausflug, da passiert nichts weiter, wollen wir wetten?' 'Du bist ja nur neidisch, das ist alles!' 'Pah, warum sollte ich neidisch sein, ich bin doch du! Und außerdem hab ich genau so viel davon wie du. Vielleicht gibt es dann dieses Mal mehr als nur einen Kuss. Wenn du dich nicht allzu doof anstellst wie gestern bei Karsten...' 'Du bist ja bescheuert! Karsten ist schließlich mein Freund und ich liebe Lucas. Als-' "Halloooooo! Erde an Mandy! Können Sie uns hören??", brüllte Karsten mir ins Ohr und unterbrach daher den gedanklichen Schlagabtausch. "Du brauchst nicht gleich so zu brüllen!" "Ach ja? Ich hab dich ja auch ganz normal angesprochen, aber der Herr hat ja nicht reagiert. Seit dem Telefonat stehst du da wie angefroren und hast dieses Grinsen im Gesicht. Wer hat dich denn so durcheinander gebracht?" "Öhm... ähm, niemand bestimmtes, nur ein Bekannter..." Ich fühlte diese verfluchte, verräterische Röte in mein Gesicht steigen und schimpfte Gleichzeitig auf mein blödes Kommentar! Noch glaubwürdiger hätte ich mich nicht anstellen können, aber echt! Karsten sah mich auch skeptisch an, er glaubte natürlich kein Wort. "Wenn du es mir nicht sagen willst... Auch gut." Er zuckte mit den Schultern, sah aber irgendwie enttäuscht und traurig aus. Ich dachte an das Gespräch von gestern zurück. Das wir uns alles sagen konnten... "Na ja... Erinnerst du dich an Lucas? Der Kumpel von meinem Bruder?" Karsten zog beim Nachdenken die Stirn kraus, dann verzog er verächtlich das Gesicht. "Meinst du diesen Gigoloverschnitt? Ja, an den kann ich mich noch sehr gut erinnern, der hat ja einen an der Waffel!" Am liebsten hätte ich Karsten dafür eine gescheuert, aber das wäre dann doch zu auffällig gewesen und außerdem erinnerte mich ein kleiner Teil meines Gehirns daran, dass das früher auch meine Meinung war. Wie man sich doch entwickelte... "Lucas wollte übermorgen mit einem Kumpel einen Ausflug machen und der ist jetzt kurzfristig abgesprungen und da hat er halt mich gefragt, ob ich nicht mit will. Und da ich nix anderes vor hab, hab ich halt zugesagt." "Und deswegen strahlst du, als würden Weihnachten, Ostern und dein Geburtstag auf einen Tag fallen? Und überhaupt, warum hat der ausgerechnet dich gefragt? So weit ich auf dem aktuellen Stand bin, hat der doch schon mindestens ein Jahr lang nichts mehr von sich hören lassen. Oder?" "Er war vor meinem Urlaub mal kurz da und hat sich mit Peter getroffen. Wir haben uns auch ganz nett unterhalten und so. Vielleicht hatten seine Kumpels keine Zeit oder keine Lust. Was weiß ich, ist doch egal. Und jetzt lass uns über was anderes reden, zum Beispiel, was wir jetzt machen. Videospiele gehen mit badagierten Händen nun mal schlecht." 'Ein Date, ein Date, ein Date!!! Nichts und niemand wird mich davon abhalten können! Gott, das Leben ist herrlich!!' ~*~ Wir haben den restlichen Abend damit verbracht, 'Wer wird Millionär' zu spielen. Ich wette, es gibt niemanden auf der ganzen weiten Welt, der sich dabei so doof anstellt, wie wir beide! Wenn wir wirklich bei dieser Show mitmachen würden, ich glaube, wir könnten nicht mal die erste Frage beantworten. Gut, genau genommen hab ich eh nur am Rande mitgespielt, die meiste Zeit verbrachte ich mit Träumen. Ich bin jetzt mindestens vier Variationen durchgegangen, wie mein Tag mit Lucas verlaufen könnte und jede neue war besser als die alte. Um elf meinte Karsten dann, dass er keine Lust mehr hätte und ich ja eh nicht bei der Sache wäre und er außerdem müde sei. Und dann standen wir im Badezimmer und machten uns bettfertig. Bzw. Karsten machte sich bettfertig und ich wartete darauf, dass er mir half. War schon scheiße, mit verbundenen Händen... Wenn ich ihn nicht so gut und schon so lange kennen würde, wäre mir die ganze Aktion sicher total peinlich, aber so... Mein Gott, wir hatten schon mal in einem Schlafsack zu zweit übernachtet, also war das hier eigentlich gar nichts. Warum also schlug mein Herz plötzlich so schnell? Und warum überlief mich ein angenehmer Schauer, wenn ich daran dachte, dass er mich *ausziehen* würde? Ganz klarer Fall, meine Hormone machten mal wieder Überstunden! Das ist bestimmt nur wegen Lucas' Anruf so! Ich setzte mich auf den Klodeckel und zog die Beine an, betrachtete Karsten aus den Augenwinkeln. Er drehte mir den Rücken zu und putzte sich die Zähne, bekam also gar nicht mit, dass ich ihn ansah. Er sah gut aus, ohne Frage. Schlank, aber nicht dünn und seine gut trainierten Muskeln spielten unter der gebräunten Haut. Er wirkte männlich, hatte aber gleichzeitig etwas weiches und sanftes an sich. Ich konnte die Mädchen die für ihn schwärmten wirklich verstehen. Karsten drehte sich zu mir um und sagte mit einem fiesen Grinsen: "Na dann mal los! Ziehen wir das Baby mal aus." "Pff. Selber Baby! Sei froh, dass dir das nicht passiert ist. Das tut echt weh." "Glaub mir, ich will das gar nicht erleben. Und es war ja nicht ernst gemeint. Seit wann verstehst du keinen Spaß mehr? Heb mal die Arme hoch." Ich tat wie mir befohlen und Karsten streifte mir das T-Shirt über den Kopf. Dann erst antwortete ich ihm: "Ich verstehe schon Spaß, aber nicht um diese Uhrzeit." Zum Beweis gähnte ich einmal herzhaft. "Lass das! Sonst muss ich auch gähnen und dann brauchen wir hier sicher noch Stunden!! Und steh mal auf, wie soll ich dir sonst die Hose ausziehen??" "Jawohl, Sir! Soll ich vielleicht auch noch salutieren?" Das brachte mir eine leichte Kopfnuss und ich stand gehorsam auf. Mann, wenn das jemand gesehen hätte, der hätte echt sonst was gedacht. Karsten, wie er in seinen Boxershorts da stand und an meiner Hose rumfummelte. Und ich Glückspilz hatte mir heute auch ausgerechnet eine Hose mit Knopfleiste ausgesucht!! Schließlich waren auch meine letzten Kleidungsstücke - die Socken - verschwunden und Karsten half mir auch noch beim Zähneputzen. Ehrlich, so hilflos und dämlich zugleich kam ich mir noch nie vor!! Aber auch das Schlimmste geht irgendwann vorbei und so lagen wir kurz darauf in diesem himmlischen Bett und kuschelten uns in die Decken. "Was meinst du, soll ich den Wecker stellen oder werden wir von selber früh genug wach?" "Hnn, ist mir egal. Hauptsache, du weckst mich, wenn du wach bist. Aber wehe, der Wecker klingelt vor acht Uhr, dann ersticke ich dich mit einem Kissen, das du es gleich weißt!!" "Ist gut. Halb neun ist also in Ordnung? Dann schlaf gut und träum was süßes." "Yo, du auch." Innerhalb von fünf Minuten waren wir beide eingeschlafen, jeder auf einer Seit des Bettes. *** Ende Teil 8 Ist dieses Mal kürzer geworden, aber ich dachte, dass hier wäre doch eine nette Stelle, um Schluss zu machen, oder?? [1] Gibt es jemanden, dem Wilhelma kein Begriff ist?? Wilhelma ist der zoologische Garten in Stuttgart, ist echt schön, kann ich jedem empfehlen. Vor allem das noch relativ neue Amazonashaus ist spitze! Der einzige Nachteil dieses Gebäudes: die Spinnen rennen dort frei herum und wer eine Phobie dagegen hat sollte nicht zu lange darin herumrennen... Kapitel 9: ----------- URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 9 Ein lautes "Und jetzt die aktuellen Staus und Blitzer im Land" weckte mich unsanft aus meinen romantischen Träumen und ich schlug verärgert nach dem Wecker. Dabei vergaß ich allerdings zwei überaus wichtige Tatsachen, die sich gleich darauf zu Wort meldeten. Die erste Tatsache waren meine badagierten Hände und ich biss kräftig die Zähne zusammen um nicht aufzuschreien. Die zweite Tatsache machte sich mit einem "Warum schlägst du mich denn schon am frühen Morgen? Was hab ich verbrochen?" bemerkbar. Karsten und ich waren während der Nacht beide in die Mitte des Bettes gekuschelt und meine Hand hatte ihm nun eine Backpfeife verpasst. Ich spinkste durch meine Haarsträhnen und über etliche Kissen hinweg zu ihm. Seine rehbraunen Augen waren ganz verschlafen und guckten noch ganz desorientiert zurück. "'tschuldigung, war echt keine Absicht", entschuldigte ich mich. "Schon in Ordnung. Jetzt bin ich wenigstens wach." Er sah nicht so aus, aber ich verkniff mir jegliches Kommentar. Gähnend vergrub ich mich noch mal in den Decken. Wir blieben noch ein Weilchen liegen, bis mir Echts "Wo bist du jetzt" auf die Nerven ging und ich ziellos ein Kissen in Richtung Radiowecker schmiss. "Mach das aus! Das erträgt kein Mensch so früh am Morgen!" "Ja, ja, schon gut, demolier mir doch nicht gleich mein Zimmer!" "Was bitte schön kann ich mit einem Kissen demolieren? Gut, ich kann ein paar diverse Gegenstände von den Regalen und so pfeffern und die könnten wenn es ganz schlecht läuft auch kaputt gehen, aber sonst??" "Sag mal, hast du schlecht geschlafen oder warum motzt du jetzt schon rum? Der Tag hat gerade erst angefangen!!" "Nein, ich hatte sogar ganz angenehme Träume, aber ich hasse es, wenn ich daraus gerissen werde!! Und tut mir leid, dass ich dich grad anpflaume, aber ich brauch das jetzt. Und nach einer kalten Dusche und einem superleckeren Frühstück geht's mir wieder besser, versprochen." Ich hatte von meiner Verabredung mit Lucas geträumt und ich war gerade dabei, ihn in Richtung Bett zu befördern als dieser dämliche Wecker losplärrte. Karsten saß im Schneidersitz auf dem Bett, streckte sich und gähnte. Dann sah er mich nachdenklich an, eine leichte Röte um die Nasenspitze. "Öhm, apropos Dusche... Das kriegst du mit deinen Händen aber doch alleine hin, oder?? Ich meine... äh... na ja..." Etwas verlegen grinste er mich an und da erst dachte ich daran, dass das ein mehr oder weniger großes Problem darstellte. Ich betrachtete stirnrunzelnd meine bandagierten Hände und sagte dann: "Es wird schon klappen. Es muss einfach. Und nachher verbindest du jeden Finger einzeln, dann bin ich wenigstens nicht ganz so auf dich angewiesen. Nichts gegen dich oder so, aber es macht echt kein Spaß sich von vorne und hinten betütteln zu lassen!" "Bäääh, das dauert dann aber bestimmt ne halbe Ewigkeit, bis ich das hingekriegt habe. Aber gut, wenn du willst... Willst du zuerst unter die Dusche oder soll ich?" "Tja, in Anbetracht der Tatsache dass du sicher um einiges schneller fertig bist als ich würd ich sagen, du zuerst. Und während ich dann im Bad bin kannst du ja Frühstück machen, gell!?" "Klar. Dich kann man ja nicht in die Küche lassen. Wahrscheinlich würdest du es sogar hin bekommen, dir mit dem Küchenmesser sämtliche Finger abzusäbeln, wenn man nicht auf dich aufpasst." Das Kissen verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter. *** Eine Stunde später saßen wir frisch geschniegelt und gebügelt in der Küche, der Kaffee war fast fertig und Karsten schmierte gerade meine Hände mit Salbe ein. Das Duschen war gar nicht so einfach, ich hab ewig gebraucht, aber immer hin, keiner musste mir helfen. Am schlimmsten war immer noch das verteilen des Duschgels und des Shampoos. Karsten suchte gerade ein paar Mullbinden aus dem Verbandskasten und bemerkte: "Ich glaube, das ist das erste Mal, das jemand diesen Kasten hier überhaupt benützt. Sonst steht er immer nur blöd rum und keiner wusste bisher so genau, wo überhaupt. Kannst echt froh sein, dass du dir nix abgeschnitten hast oder so, sonst wärst du mir hier ja fast verblutet." "Soll mich das jetzt irgendwie aufbauen?" "Nein, ablenken, jetzt tut's bestimmt gleich weh." "Danke, das hättest du nicht sagen müssen." "Ich mein ja nur... Beiss die Zähne zusammen, es geht los!" Vorsichtig umwickelte Karsten jeden Finger, und immer, wenn er den Verband ein wenig fest zog musste ich mich echt zusammenreißen. Doch irgendwann war auch diese Tortour vorbei und er verstaute den ganzen Rest im Erste Hilfe Kasten. Mein Magen knurrte zwischenzeitlich dermaßen, dass Karsten sich ein Grinsen nicht verkeifen konnte. "Hört sich an, als hättest du seit Tagen nichts mehr gegessen." "Hahaha! So viel Beherrschung geht an die Nerven und ich brauch jetzt zur Erholung ein richtig leckeres Frühstück. Schmierst du mir die Brötchen, das klappt bei mir bestimmt nicht so gut." Bettelnd sah ich ihn an. "Na gut, nicht dass du mir vor Entkräftung vom Stuhl kippst!" Ich streckte ihm die Zunge raus und sparte mir den Atem. *** "Hey Mandy, was hast du denn gemacht? Konntest du deine Finger nicht bei dir behalten und hast was drauf gekriegt? Schicke Haarfarbe übrigens. Was meist du, würde mir grün stehen?" Ich hatte es mir auf dem Sofa bequem gemacht, Mark war gerade angekommen und Karsten kam gerade mit was zu trinken und ein paar Knabbereien herein. "Mark... Setzt dich und halt die Klappe. Und damit das mal klar ist, ich lasse meine Finger *immer* da wo sie hin gehören! Ich hab sie mir gestern nur so nebenbei verbrannt als ich einen Kampf mit dem Backblech ausgetragen habe! Und warum willst du grüne Haare? Bist du von allen guten Geistern verlassen oder sind deine Tassen zu Bruch gegangen?" "Aha und offensichtlich hast du verloren... Na ja, ich dachte, grüne Haare wären mal was anderes als ständig nur schwarz. Würde doch sicher gut aussehen, oder?" Mark hatte eigentlich strohblonde Haare, färbte sie sich aber immer schwarz, keine Ahnung wieso. "Ich würde mal sagen, grün kommt vielleicht am Anfang cool raus, aber dann... Frag doch mal Maik, der kann dir das bestimmt sagen." Maik war der Frisörmeister, bei dem ich mir sonst immer meine Haare machen ließ. Ein echt netter Kerl, auch wenn er immer meint, die viele Farbe, die ich mir ins Haar knallen würde, wenn ich mal wieder down bin, würde meine ach so schönen Haare irgendwann ruinieren. Eigentlich könnte ich heute Abend ja noch einen Abstecher zu ihm machen, damit er mir meine Haare ein wenig kürzt... Mal sehen! Wir hatten es uns also gemütlich gemacht und Mark erzählte von seinem Urlaub, was mich eigentlich nicht die Bohne interessierte und weswegen ich auch gar nicht so ganz zuhörte. Viel mehr war ich damit beschäftigt, mich mit meinen heißgeliebten Cookies voll zustopfen. Erst seine Frage nach einem Vorschlag für Jennys Geburtstagsgeschenk ließ mich wieder aufhorchen. Ich sah Karsten an und hoffte, er würde nicht die gleichen Vorschläge machen wie gestern Abend. Leider schienen meine gedankenübertragenden Fähigkeiten nicht wirklich zu existieren, denn er machte prompt den Vorschlag: "Weißt du, ich dachte da an eine klein Schmuckschatulle oder so was in der Richtung. Die könnten wir dann ja mit Kondomen in verschiedenen Geschmacksrichtungen füllen. Sie ist doch noch mit diesem einen Typen zusammen, oder?" Das war neu für mich! "Hey, habt ihr mir da was nicht erzählt? Seit wann hat Jenny denn nen Freund? Kenn ich den? Das hättest du mir auch gestern sagen können, Karsten!" "Du wusstest das nicht? Klar kennst du den, der Marco aus der Paraklasse. Mit dem liebäugelt sie schon seit mindestens einem halben Jahr und seit der letzten Schulwoche ist sie mit ihm fest liiert. Hat dir das keiner gesagt?" "Na toll! Ich bin hier ja wohl der Letzte, der so was erfährt!" Schmollend verzog ich die Lippen, das war ja mal wieder typisch. Die scheinen wohl zu denken, ich würde das so wieso am Rande bemerken, wozu sich also die Mühe machen und es mir erzählen?! "Sorry, aber wir dachten, du wüsstest es auch. Mann, das war doch auch offensichtlich! Oder meinst du, sie läuft mit dem verträumten Blick durch die Gegend, weil sie solo ist?" Spöttisch sah Mark mich an. "Entschuldige mal, aber ich hab sie in der Woche nicht gerade häufig gesehen und danach schon gleich gar nicht mehr. Aber jetzt bin ich ja auch auf dem neusten Stand oder gibt es noch was, was ich wissen sollte? Hast du vielleicht jetzt auch ne Freundin oder so?" "Nein. Aber ich finde Karstens Idee gar nicht mal so schlecht. Kommt ja dann auch praktisch wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Außerdem weiß ich, dass sie letzte Woche eine Schmuckschachtel gesehen hat, eine mit Spieluhr. Die hat ihr gefallen, aber sie war ihr zu teuer. Aber für uns zu dritt dürfte es eigentlich gar kein Problem sein. Auf gehts Jungs, worauf wartet ihr noch! Ich geh die Schatulle kaufen und ihr die Kondome. Und dann treffen wir uns wieder hier." Mark war schon aufgesprungen und in Richtung Tür unterwegs. "He, Moment mal! Warum müssen ausgerechnete Karsten und ich die Kondome kaufen, wir können das doch alles zu dritt machen?!" "Ich hab aber nicht so viel Zeit und es geht viel schneller, wenn wir uns aufteilen. Und da ich weiß, wo sie die Schachtel gesehen hat kann nur ich sie holen." Und damit war er auch schon verschwunden. Karsten und ich sahen uns an und er zuckte die Schultern. "Also werden wir uns halt um die Kondome kümmern. Ist ja nicht der Weltuntergang, oder?" Nein, ein Weltuntergang würde das wohl nicht sein, aber die Vorstellung, mit ihm zusammen Kondome zu kaufen war irgendwie peinlich. Ich meine, die Leute denken dann ja sonst was! 'Seit wann scherst du dich darum, was die Leute denken? Die, die darüber nachdenken sind wahrscheinlich eh nur solche kleinkarierten Bürger, die sich toll vorkommen, weil sie denken, dass sie 'normal' sind!' 'Ach, halt die Klappe! Ich würde mich ja nicht mal wohl dabei fühlen, wenn ich alleine die Kondome kaufen müsste.' Karsten unterband jeden weiteren Gedanken und meinte: "Wir fahren mit der Bahn, mit deinen Händen kannst du das Fahrradfahren fürs erste vergessen." "Ja, ja, bringen wir es lieber schleunigst hinter uns!" Ups, so hatte ich das eigentlich nicht sagen wollen! Mein bester Kumpel grinste. "Was ist los? Dir ist das doch nicht peinlich, oder? Soll ich sie lieber alleine kaufen?" Das kratzte an meinem Stolz. "Nein, ich komm mit. Wäre doch gelacht, wenn das nicht ohne Probleme über die Bühne geht." Hach, so viel Selbstbewusstsein ist doch herrlich! Man kann sich dann alles Mögliche 'einfach-denken'. Vor allem, wenn man dann in der Drogerie vor der Auswahl steht und sich mit seinem Kumpel streiten, welche Packung man nun nehmen soll... "Komm schon, wir nehmen die, die sind spitze! Ich weiß wovon ich rede!" "Ich dachte, wir wollten eine größere Geschmacksauswahl nehmen! Da sind aber nur Erdbeere, Vanille und Banane drin! Mal davon abgesehen, dass ich Banane hasse, ist das nicht einseitig?" Ich weiß selber nicht, was in mich gefahren ist, dass ich mit Karsten darum stritt; auch warum ich erwähnt hab, das ich Banane hasse ist mir ein Rätsel. Die Leute dachten jetzt sicher, die wären für uns... Ich sollte mir angewöhnen, zuerst zu denken und dann zu sprechen... "Wir können ja die nehmen und noch bei Nanu Nana[1] vorbei schauen, die haben so weit ich weiß auch noch andere Geschmacksrichtungen. Ist das ein Vorschlag?" "Na schön, meinetwegen. Auf jeden Fall brauchen wir noch Schoko und Kirsch!" "Ja, ja, das sehen wir dann ja." Zwanzig Minuten später im Nanu Nana: "Hey, da gibt es ja sogar Wassermelone und Honig[2]! Cool, die nehmen wir auch. Von jedem Geschmack zwei, oder?" "Mandy, das wären dann vierzehn...! Glaubst du nicht, dass zehn oder zwölf reichen?" "Es war eure Idee und jetzt entscheide ich, wie viele." Ich wollte ihm und vor allem mir beweisen, dass es nichts einfacheres gab, als Kondome kaufen zu gehen. Ich meine, jeder Mensch kauft im Laufe seines Lebens mindestens ein mal Kondome, warum zum Teufel musste ich dann so ein Muffesausen davor haben? "Gut, überredet. Aber ob die dann alle in die Schatulle passen? Wir wissen doch noch gar nicht, wie groß die ist. Und wenn sie nicht reinpassen, was machen wir mit dem Rest?" "Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist. Und jetzt verschwinden wir lieber, die gucken alle schon so!" "Kein Wunder wenn du hier so rumhüpfst und rot wie ne Tomate bist!" Zur Berichtigung: ich hüpfte nicht, ich verlagerte nur mein Gewicht von einem Bein auf das andere! Und soooo rot war ich mit Sicherheit nicht, er übertreibt aber auch ständig! Ich ersparte mir deshalb die Antwort und zog ihn - so gut es eben ging - hinter mir her in Richtung Kasse, vorbei an einer Gruppe Mädchen die uns schon die ganze Zeit angestarrt hatten und jetzt wie blöde kicherten. 'Was denn, habt ihr noch nie zwei Jungs gesehen? Oder sehen wir so umwerfend gut aus, dass ihr nix anderes könnt? Oder ist es einfach deswegen, weil wir die Kondome gekauft hatten? Blöde Gänse!!' Das oder zumindest so etwas ähnliches hätte ich denen gerne an den Kopf geworfen, aber in anbetracht der Tatsache, dass wir bei diesem Gedanken schon mindestens sechs Meter an ihnen vorbei waren, ließ ich es bleiben. Es war ja nicht so, dass ich mich nicht traute... Ich hatte es ja auch überlebt, diese Kondome zu kaufen bzw. ich war gerade dabei, also hätte *ich* doch *nie* im Leben Bammel davor, den Weibern das an den Kopf zu werfen. Und ich suche hier gerade *nicht* nach einer Erklärung dafür, warum ich es nicht getan hatte... Ach, es ist so schwer, ein Held zu sein... *** Als wir in die Hofeinfahrt von Karstens Haus einbogen saß Mark schon auf der Treppe und wartete ungeduldig auf uns. "Ihr habt aber ewig gebraucht!" "Klappe! Wenn es dir nicht passt mach es nächstes mal halt selber!" Meine Laune war irgendwie nicht gerade in Höchstform, ich fauchte ihn die ganze Zeit nur an. Karsten klopfte mir beruhigend auf die Schulter, dann schloss er die Tür auf während er beiläufig erwähnte: "Wir haben je zwei Kondom in insgesamt 7 verschiedenen Geschmacksrichtungen. Müsste reichen, oder?" Mark klappte die Kinnlade runter. "14 Kondome!?! Seid ihr wahnsinnig? Die Hälfte hätte auch gereicht! Ich glaub auch nicht, das wir die alle da rein bekommen! 14 Stück... Junge, Junge! Die reichen doch ne halbe Ewigkeit, vor allem bei Jenny und Marco." Kopfschüttelnd folgte er mir und Karsten in dessen Zimmer. "Zeig mal die Schatulle!" Ich war neugierig. Jenny hatte einen guten Geschmack was Schmuck oder Einrichtungsgegenstände betraf, das hatte ich festgestellt, als wir ihr Zimmer neu gestrichen hatten und sie neue Möbel ausgesucht hatte. Mark öffnete seinen Rucksack und zog eine Tüte hervor. Vorsichtig packte er die Schatulle aus, die in mehreren Lagen Papier eingewickelt war. "Tadaaaaaah!" Langsam stellte er das Schmuckkästchen auf dem Tisch ab. Es war rund und hatte einen Durchmesser von ca. 15 Zentimetern, in der Höhe betrug es etwa die Hälfte. Im Licht schimmerte es und man konnte die eingearbeiteten Linien und Figuren nur schwer erkennen. Als Mark den Verschluss öffnete sprang der Deckel hoch und Musik erklang. Love me tender. Ein kleines, feingearbeitetes Pärchen drehte sich im Takt. "Wow!", entfuhr es Karsten und mir gleichzeitig. Doch dann fiel mir eine Kleinigkeit auf. "Ähm, Mark, sagtest du nicht etwas von einer Schmuckschatulle? Ist das nicht für gewöhnlich etwas, in dem man seinen Schmuck verstauen kann? Wo willst du hier bitte irgend etwas unterbringen? Da passt ja nicht mal ein Ohrring rein, wenn das so bleibt." "Mensch Mandy, bist du doof! Das Paar tanzt auf ner Platte, die kann man zur Seite drehen. Siehst du?! Und da kann man dann das ganze Zeugs rein tun. Ist doch praktisch, oder?" Mark hatte vorsichtig besagte Platte auf die Seite geschoben und nun sah es aus wie eine ganz normale Dose. Wenn man sich die Platte seitlich wegdachte. Innen war es mit rotem Stoff ausgelegt, der ein eingesticktes Rosenmuster zeigte. Wie gesagt, Jenny hatte einen guten Geschmack. "Toll, nicht wahr? Sie hatten es sogar etwas runtergesetzt, war also gar nicht so teuer. Aber Jungs, mal ehrlich, 14 Stück kriegen wir da auf keinen Fall rein." Karsten kramte die Kondome heraus und warf sie auf den Tisch. "Das werden wir ja sehen! Ich denke schon, dass das klappt!" Und es klappte! Alle 14 Kondome wurden sicher verstaut, die Dose geschlossen und Karsten suchte nach Geschenkpapier während Mark und ich ausrechneten, was nun jeder zu blechen hatte. "He, habt ihr eigentlich an eine Karte gedacht?" fragte Karsten plötzlich und wedelte mit der Schere vor unseren Nasen herum. "Öhm, nö, eigentlich nicht. Die können wir auch noch kurz vorher kaufen oder so. Ist ja schnell erledigt.", erwiderte Mark. Ich überlegte kurz, dann erklärte ich: "Ich wollte heute Abend noch zu Maik und mir die Haare schneiden lassen, ich könnte also eine Karte kaufen. Was für eine wollt ihr: eine stinknormale so-eine-bekomm-ich-von-meiner-Oma-Karte oder eine peppigere?" Karsten zuckte die Schultern: "Mir egal, Hauptsache ne Karte.", während Mark der Ansicht war, es müsste etwas peppigeres sein. "Gut, dann also was peppiges. Wird sich schon was finden lassen, gibt ja auf der Kö[3] genügend Läden." Das war also auch geklärt und in der darauf entstandenen Stille, in der nur Karsten mit Papier knisterte, begann mein Magen zu knurren. Mark kicherte und Karsten meinte nur: "Geh ja nicht in die Küche, ich mach nachher Spagetti, in Ordnung? Willst du auch mitessen, Mark?" Der lehnte ab: "Ich muss heute Mittag noch zu meiner Oma rausfahren, die ist krank und braucht jemanden, der ihre Einkäufe erledigt und heute bin ich dran." "Welche Oma? Die nette vom Bopser[4] oben? Dann sag ihr einen lieben Gruß von mir!" Ich kannte Marks Großeltern, aber am sympathischsten war mir seine Bopser-Oma. Die Frau war ungefähr 75 Jahre alt aber noch fidel wie ein Turnschuh und echt voll... hm... na ja, junggeblieben! Ich meine, welche 75jährige hat einen PC mit Internetanschluss und ist jeden Freitagabend im Chat? Oder geht mit ihrem Enkel und seinen Freunden in knallharte Actionfilme und Horrorstreifen? Wie gesagt, ich mochte die alte Dame! "Ist gut, mach ich! Sehn wir uns vor Samstag noch mal oder habt ihr schon voll ausgebucht? Ich lass das Geschenk am besten bei dir, Karsten." "Die restliche Woche hab ich noch nichts vor. Da können wir uns treffen.", erwiderte Karsten und stellte das fertig verpackt und mit Geschenkbändern verzierte Geschenk auf den Tisch. Ich überlegte kurz. "Hm, morgen kann ich auf keinen Fall und Donnerstag oder Freitag muss ich unbedingt nach Klamotten gucken. Wenn ich das erledigt habe, stehe ich zur freien Verfügung." "Gut, treffen wir uns am Donnerstag und gehen zusammen mit Mandy einkaufen. Damit du dir auch was ordentliches besorgst! Ich muss mir für Samstag auch noch was neues kaufen, dann können wir das auch gleich erledigen.", beschloss Mark und war schon auf dem Weg zur Tür. Für ihn war das immer so einfach... Er ließ sich von den anderen sagen, was sie geplant hatten und schon entschied er, wann wir uns treffen können. "Um wie viel Uhr?", wollte ich wissen. "Na, so um zehn beim Crepesstand am Hauptbahnhof?" Karsten und ich waren einverstanden und Mark verabschiedete sich und verschwand. "Gut, das hätten wir hinter uns!", meinte ich und ließ mich nach hinten fallen. Karsten setzte sich neben mich und fragte mit einem frechen Grinsen: "Und, war das jetzt so schwer?" "Blödmann. Hast du vorhin nicht was von Spagetti gesagt? Ich wäre dann arg dafür, dass wir uns in die Küche begeben und ich dann deine Kochkünste bewundere!" Er kniff mich in die Wange und meinte: "Also echt, du futterst und futterst und futterst! Wo steckst du das hin?" Ich grinste schief: "Keine Ahnung. Vielleicht ist das im Moment auch nur der Nachholbedarf von Italien, da gab es nämlich echt kaum was gescheites zu essen! Wenn ich dort hätte noch länger bleiben müssen, ich glaube, ich wäre verhungert!" "Na dann wollen wir mal!" Karsten stand auf und zog mich vom Sofa hoch - ganz vorsichtig am Handgelenk, als könnte ich zerbrechen. *** "Also, wir sehen uns dann ja am Donnerstag! Holst du mich ab? Liegt ja aufm Weg." "Ja, klar. Aber bist du dir sicher, dass du wieder mit dem Bike fahren kannst, Mandy? Ich würde an deiner Stelle noch damit warten." Oho, Karsten, die Stimme der Vernunft! Ich musste grinsen. Fragend sah er mich an: "He, was ist so witzig? Klär mich auf, ich will auch mitlachen!" "Nichts, nichts! Ich geh dann mal. Tschüß, bis dann!" Ich drehte mich um und schob mein Fahrrad vor mir her. Er hatte recht, es tat höllisch weh, aber wenn ich mich beeilte war das gar kein Problem. Ich schwang mich auf den Sattel als mir noch etwas einfiel. Im Moment war er ja gut drauf, da hatte er auch keine Zeit gehabt, *darüber* nachzudenken, weil er ja ständig abgelenkt wurde. Aber wenn ich ihn jetzt alleine ließ... Und morgen den ganzen Tag... Ich drehte mich nochmals zu ihm herum und meinte: "Wenn was ist, ich hab mein Handy dabei, ruf auf jeden Fall sofort an!" Zuerst runzelte Karsten unverständlich die Stirn, dann schien er zu kapieren denn ein ziemlich verrutschtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Mach ich! Bis dann und viel Spaß morgen!" "Werd ich haben!", rief ich zurück und fuhr los. Zum Glück konnte er mein Gesicht jetzt nicht sehen, ich hatte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein blödes und absolut dämliches Grinsen im Gesicht, dass nur schwerverliebten vorbehalten ist. 'He, meinst du nicht, dass du für morgen vielleicht vorsorgen solltest?' 'Vorsorgen?? Warum mischst du dich eigentlich schon wieder ein?' 'Na, wer weiß! Wenn er an dir interessiert ist, dann solltest du endlich mal dein Erstes Mal über die Bühne bringen! Und dafür sollten wir noch einen kleine Einkauf erledigen, meinst du nicht? Wo du doch jetzt Übung darin hast!' Ich wäre beinahe vom Fahrrad gefallen! 'Bist du verrückt?! Ich kenn Lucas noch gar nicht so lange, als dass ich gleich mit ihm in die Kiste springen würde!' 'Ach nein? Dafür träumst du aber ganz schön häufig davon... Und außerdem kennst du ihn doch schon länger, nur hat er sich zwischendrin halt nicht gemeldet.' 'Eben! Ich muss ihn jetzt sozusagen neu kennen lernen! Und davon träumen heißt noch lange nicht, dass ich es auch gleich machen werde!' Zum Glück stand ich jetzt an einer roten Ampel, ich war mir nicht sicher, ob mich diese 'Unterhaltung' nicht doch irgendwann vom Rad pfeffern würde. 'Hast du etwa Angst?' 'Nein!... Oder doch, ein bisschen schon. Ich meine, das wird mein aller erstes Mal sein, da hat doch jeder Angst! Ich meine, ich hab kaum Erfahrung, ach was, weniger als kaum, nichts, null, zero! Ich weiß einfach nix! Außer das, was wir im Biologieunterricht hatten und das kann ich ja vergessen. Da hatten wir die stinknormale Mann-Frau-Beziehung und alles was ich darüber weiß kann ich in dem Fall ja vergessen! Also werde ich garantiert noch nicht mit Lucas ins Bett! Na gut, vielleicht ein bisschen, aber ich werde auf keinen Fall jetzt schon mit ihm schlafen!' 'Warum denn? Nur so kannst du deine Angst überwinden! Es ist übrigens gerade grün geworden.' Ich hatte es gar nicht bemerkt - gut, dass ich noch einen zweiten Beobachter in mir hatte - nee, das klingt jetzt aber gar nicht schizophren! Also fuhr ich weiter, während ich die Unterhaltung in meinem Inneren fortsetzte. 'Was soll das heißen, nur so kann ich meine Angst überwinden?! Ich will aber noch nicht so schnell! Ich will mir damit Zeit lassen, mich langsam daran heran tasten. Sonst bereue ich es noch!' 'Ach was! Dann schiebst du es immer nur weiter vor dir her! Jetzt hast du die optimale Gelegenheit und nen verdammt coolen Typen dafür, also mach dir nicht ins Hemd! Jetzt oder nie!!' Kopfschüttelnd wich ich ein paar kinderwagenschiebenden Müttern aus. 'Du spinnst! Bist komplett notgeil. Das jetzt oder nie hab ich nicht nötig! Ich will damit noch etwas warten. Ich bin einfach noch nicht so weit. Und jetzt halt die Klappe, ich muss mich auf das Gespräch mit Maik konzentrieren, sonst verschandelt der mir meine Haarpracht mit etwas, dass er Frisur nennt!' 'Tse. Wer ist hier notgeil! Und wenn wir schon mal bei Maik sind... Du kannst ihn ja um Rat fragen.' Wie gut, dass ich schon angehalten hatte, sonst hätte ich jetzt wohl eine grandiose Vollbremsung hingelegt. 'Spinnst du? Ausgerechnet mit Maik? Wie kommst du darauf, dass ich mit ihm darüber reden würde? Ich kann ja nicht mal mit Karsten darüber reden! Und der ist schließlich mein bester Freund.' 'Eben. Vielleicht wäre es wohl einfach besser, mit jemanden darüber zu reden, der nicht so eng mit dir befreundet ist. Außerdem ist Maik ja auch schwul, er wird dich deswegen wohl kaum von der Kante stoßen.' 'Ja, schon, aber... Vielleicht. Mal sehen. Oder eher doch nicht? Ach, was weiß ich. Und jetzt verschwinde wieder in irgend einen Winkel meines Ichs und nerv mich nicht.' 'Warum hackst du eigentlich ständig auf mir rum? Ich unterstütze bloß deine Entwicklung.' 'Ja, ja, ja. Und Schweine können fliegen...' Ich setzte das übliche ich-tu-so-als-sei-ich-gut-gelaunt-Lächeln auf und betrat Maiks Frisörsalon. Kaum war ich zwei Schritte reingelaufen da rief der junge Frisör auch schon durch den ganzen Raum: "Mandy! Sweetheart, wie schön, dich mal wider zu sehen! Um Himmels Willen! Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?! Ich sag dir, irgendwann sind die total kaputt wegen dieser sinnlosen Färberei. Setz dich, ich hab in zehn Minuten für dich Zeit. Da drüben an den Fensterplatz, bitte." Ich verdrehte die Augen, kam aber seiner Anweisung nach. Maik hatte teddybärbraune Augen die hinter seiner Brille ständig fröhlich funkelten und honigblonde, fast ellenbogenlange Haare, die er während der Arbeit immer zu einem Zopf geflochten trug. Außerdem hatte er dunkelgrüne Strähnchen, keine Ahnung warum ausgerechnet diese Farbe. "Weißt du, Maik, ganz so sinnlos ist diese Färberei nicht, sie hilft mir bei meinem Seelenfrieden." "Ach ja? Ist für so was nicht eigentlich der Papst und die Kirche zuständig? Oh, wenn du Kaffee oder so was möchtest, bedien dich, du weißt ja wo die Sachen sind." "Geht klar. Und ich glaube nicht, dass mir der Papst und die Kirche bei meinen momentanen Problemen helfen könnten. Wie geht es Chris?" Ich beobachtete Maik wie er bei einer etwas älteren Dame geschickt die Lockenwickler heraus nahm. Über die Schulter grinste er mir zu. "Sehr gut. Nächste Woche machen wir Urlaub. Wir fliegen nach Puerto Rico. Wird bestimmt klasse!" "Puerto Rico? Da habt ihr euch doch kennen gelernt, oder irre ich mich?" Jetzt lachte er fröhlich. "Genau! Wir haben nächste Woche nämlich fünfjähriges Jubiläum! Spitze, was?!" Ich seufzte. Warum konnte es mir nicht auch so gut gehen? Aber nein, ich hab ständig nur Probleme in Sachen Liebe. Die Welt ist ja so ungerecht! Und leider ist Maik auch noch so ein guter Menschenkenner, dass er das auch noch sofort bemerkt. "He, Sweetheart, alles klar bei dir? Oder brauchst du nachher nur jemanden zum Quatschen? Dann ruf ich lieber Chris an, der kann das um einiges besser als ich. Studiert ja nicht umsonst Psychologie." Ich winkte ab. Schließlich brauchte ich kein Psychodoktor, nicht mal einen angehenden! "Nein, ein neuer Haarschnitt tut es auch." Schon war sein Interesse geweckt. "Ein ganz neuer Haarschnitt? Bist du dir sicher? Oder einfach nur kürzen?" Ich war mir ja selbst noch nicht sicher, deshalb sagte ich nur: "Muss ich mir noch überlegen. Kommt darauf an, was du zu bieten hast." "Gut, ich werde mir etwas einfallen lassen." Er hatte den letzten Lockenwickler entfernt und machte sich nun daran, die Haarpracht zu fönen. Ich starrte inzwischen in den Spiegel und versuchte herauszufinden, mit welcher Frisur ich wohl am besten aussah. Schließlich wollte ich mich morgen von meiner besten Seite zeigen und dazu gehörte nun mal auch ein ordentlicher Haarschnitt, oder? Allerdings ließ mich meine Fantasie in dieser Richtung ziemlich im Stich weshalb ich Maik zehn Minuten später sagte: "Ich hab mich doch dafür entschieden, nur die Spitzen zu schneiden." Leicht schmollend sah er mich über den Spiegel an. "Mensch, da hab ich mir schon so schöne Frisuren ausgedacht." "Ein anders Mal, ja?" "Na schön. Aber dann wirklich! Also nur die Spitzen... mit Haarewaschen oder einfach so kurz schneiden?" Vorwurfsvoll sah ich ihn an. "Wenn ich sie einfach nur so geschnitten haben möchte, dann lass ich das meine Mutter machen. Ich möchte noch ne supertolle-spezial-Kopfhautmassage! Das ist in Wirklichkeit der einzige Grund, warum ich mich immer hier hin verirre! Du kannst das so gut, dass es eigentlich verboten gehört!" Feixend löste er die Bremsen am Stuhl und rollte mich zu den Waschbecken. "Was hast du eigentlich mit deinen Händen gemacht, Sweetheart? Sieht ja übel aus..." "Uhm, na ja, ich hab mir an einem Backblech die Hände verbrannt... Ist nicht so schlimm wie es aussieht, tut aber höllisch weh." "Oh Mann! Das ist ja mal typisch. Hast es wohl nicht abwarten können, bis das Essen fertig serviert war, was?" "Hahaha. Sehr lustig. Ihr haltet mich wohl alle für verfressen, oder? Außerdem hab ich nur versehentlich vergessen, die Topflappen zu benutzen. Mach mal das Wasser wärmer, bitte." Während er mir also diese überhaus herrliche Massage verpasste - ich fühlte mich echt so wohl, wenn ich ein Kater wäre hätte ich geschnurrt - wollte er wissen, was ich denn nun für ein Problem hätte. Seufzend verdrehte ich die Augen bevor ich sie wieder schloss. "Du wirst mich wohl nicht in Ruhe lassen, oder? Na ja, es ist nicht ganz so einfach. Oder doch? Wie man's nimmt... Ich hätte da mal so ganz nebenbei ne Frage an dich... Wie war das damals, als du dein Coming Out hattest?" Die göttlichen Hände hielten einen Moment inne, dann fuhren sie mit ihrer Arbeit fort. "Ach, daher weht der Wind... Mandy, ich kann dir jetzt sagen, wie es bei mir war, aber das wird dir auch nicht unbedingt helfen. Jeder reagiert anders darauf, da kann ich dir eigentlich keine Tipps geben. Na ja, außer vielleicht, dass du es deinen Eltern und deinen Freunden nicht unbedingt mal so nebenbei sagen solltest sondern dir dafür mal nen ruhigen Moment aussuchen. Obwohl... passende Momente gibt es überhaupt nicht... Und sei bloß nicht enttäuscht, wenn sie am Anfang abstand zu dir halten! Du kannst nicht davon ausgehen, dass sie dir bei dieser Neuigkeit vor Freude um den Hals fallen! Aber das alles dürfte dir ja wohl schon klar sein, nicht!?" "Hmm. Wie haben deine Eltern reagiert?" Von meiner Mutter wusste ich es ja, aber mein Vater... Oh Mann, der bloße Gedanke ist schon schrecklich! Maik spülte das Shampoo aus meinen Haaren und meinte: "Tja, ganz anders als ich es erwartet hatte! Ich dachte eigentlich, sie würden mir einen riesen Szene machen, aber es war dann ganz anders. Mein Vater hat mich zwar eine Zeit lang schräg angeguckt, aber ich hab lange mit ihm darüber geredet und er hat es eigentlich ganz locker aufgenommen. Meine Mutter... na ja, sie ist heute noch immer ein wenig enttäuscht, dass sie nun doch niemals Enkelkinder haben wird, aber sonst... Sie mag Chris und die beide verstehen sich super! Außerdem tauschen sie die ganze Zeit Kochrezepte aus... Die beiden in der Küche, das ist ein Bild für Götter, sag ich dir! Aber darf ich dich mal was fragen?" "Was?" Er wartete mit der Frage, bis er mich - ein Handtuch um die Haare geschlungen - wieder vor dem Spiegel platziert hatte und mir so in die Augen sah. "Wer ist der Glückliche? Oder nein, lass mich raten..." Ich sah im Spiegel ganz genau, wie diese verflixte Röte in meine Wangen kroch. "Na, versucht dein Glück!" "Hmm, es ist... Moment, fällt mir bestimmt gleich ein... Es ist bestimmt..." ***** Ende Teil 9!! Bätsch, ich bin ganz gemein zu euch... Aber ich mag es, Teile so Enden zu lassen!^^ [1] Kennt ihr Nanu Nana? Weiß ja nicht, ob es den bei euch auch in der Nähe gibt. In dem Laden kann man so allen möglichen und unmöglichen Kram kaufen - von Postkarten über Kunstblumen bis hin zum Kerzenwachspulver. [2] Ob ihr es glaubt oder nicht, die hab ich echt einmal gesehen! Leider war das erste und einzigste Mal, aber meine Freundin hat sich welche gekauft. Da wusste ich, dass ich mir das nicht eingebildet hatte, bei meiner Fantasie... [3] Die Kö... die Abkürzung für die Königstraße in Stuttgart... kennen sicher ein paar von euch, oder... ich sag nur: Einkaufsstraße... [4] Bopser... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber so was wie ein Stadtbezirk... wenn jemand Bopser sagt, weiß man sofort wo das ist, ohne dass das großartig in irgendwelchen Karten eingezeichnet ist... gut, das war ne schlechte Erklärung aber mir ist nix besseres eingefallen... Gomen! Kapitel 10: ------------ *sekr hervor hol und die korken knallen lass* Juuuubiläum - Das 10. Kapitel.... *sniff* Mensch, ich bin irgendwie stolz auf mich - die einzige Geschichte, bei der ich sooooo viele Kapitelchen habe.... URLAUB UND ANDERE GRAUSAMKEITEN - 10 "Karsten! Ich wette, es ist Karsten! Hast du endlich geschnallt, dass der Kerl in dich verknallt ist und das schon seit was-weiß-ich-wie-lang?!" Maik hatte ein richtig selbstzufriedenes Grinsen im Gesicht während ich vor Schreck beinahe vom Stuhl gefallen wäre. Ich wusste nicht, was mich mehr Schockte: die Tatsache, dass er dachte, ich sei in Karsten verliebt oder die Behauptung, Karsten wäre in mich verliebt. "Na, hab ich recht?", wollte der Frisör wissen und frottierte leicht meine Haare. Ich hatte meine Sprache wieder gefunden. "Nein! Wie kommst du denn darauf!?" "Nicht?! Schade. Ihr würdet doch ein super Paar abgeben! Ich meine, ihr passt zusammen wie sprichwörtlich die Faust aufs Auge. Ihr ergänzt euch, habt ähnliche Interessen und seid doch ganz verschieden. Wenn man mit euch zwei zusammen ist fühlt man sich wohl was daran liegt, dass ihr so locker miteinander umgeht und so. Ach, man kann es schlecht erklären, aber ihr beide seid wirklich füreinander geschaffen. Glaub mir, ich seh so was!" Maik hatte angefangen meine Spitzen zu schneiden weswegen ich nicht abwertend den Kopf schütteln konnte. Ich war immer noch fassungslos. Aber irgendwie hatte der Gedanke auch was angenehmes an sich, etwas, was ganz tief in mir ein süßes Gefühl auslöste, das mir gleichzeitig aber auch ganz schön Angst einjagte. "Wie um alles in der Welt kommst du dazu, zu behaupten Karsten hätte sich in mich verknallt?! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?! Wir sind doch nur Freunde. Gut, wir kennen uns schon lange und so, aber das ist doch noch lang kein Grund, auf solche Gedanken zu kommen!" Maik lachte. "Du bist mir ja ein Unschuldslämmchen! Hast du etwa noch nie bemerkt, wie Karsten dich ansieht?" Ich musste nicht in den Spiegel sehen um zu wissen, dass ich verwirrt aussah. "Du siehst Gespenster!" "Nein. Ich weiß was ich sehe! Und ich weiß, wie jemand aussieht der schwer verliebt ist. Da muss ich mir nur Chris anschauen wenn er mich ansieht. Vergleich dann mal seinen Blick mit Karstens und dir wird alles klar. Der liebt dich, ohne Scheiß! Das war das erste, was mir an euch beiden aufgefallen ist: dass er dich liebt und du das nicht schnallst!" Ich schnitt ihm im Spiegel eine Grimmasse. "Danke. Ich bekomme zur Zeit nur Komplimente an den Kopf geworfen.", frotzelte ich. "Aber da läuft nix und ich bin immer noch der Meinung du hast ein an der Waffel. Und jetzt will ich nicht mehr darüber reden! Es ist nicht Karsten." Maik seufzte, schnippelte aber unbeirrt weiter. "Wenn du meinst... Schade... Wer ist es dann? Kenn ich ihn?" "Nein, ich glaube nicht. Aber wenn das was wird - und das hoffe ich - dann lernst du ihn schon kennen, keine Sorge! Ich werde ihn dir nicht vorenthalten." Dafür erntete ich eine leichte Kopfnuss. "Wie sieht er aus?" "Super!" Maik verdrehte die Augen. "Toll. Darunter kann ich mir jetzt sehr viel vorstellen..." "Idiot. Na ja, er hat supertolle Augen und seine Stimme ist echt der Wahnsinn und überhaupt ist der ganze Kerl attraktiv wie noch was und-" Maik unterbrach mich indem er mir lachend auf die Schulter klopfte. "Dich hat's ja voll erwischt, was?! Freut mich, diesen Supertypen will ich auf jeden Fall mal kennen lernen." "Aber lass ja die Finger von ihm!", drohte ich scherzend. Dabei war das total überflüssig, Maik hatte seinen Chris und liebte ihn über alles. "Kommt ihr zwei eigentlich zu Jennys Party?", lenkte ich ab, da ich ungern über so etwas redete. Na ja, ungern eigentlich nicht, aber halt nicht mit jedem. Ich wusste, dass Jenny die beiden eingeladen hatte, schließlich gehörten sie so gut wie zur Clique. "Yupp, das haben wir vor. Allerdings nicht so lange, wir fliegen schließlich Sonntag in Urlaub. Außerdem, nach allem, was ich so mitbekommen habe, hat sie ordentlich eingekauft... Und ich will nicht mit einem Kater, geschweige denn mit einem verkaterten Chris in den Urlaub fliegen! Wie viel willst du weg haben? Drei Zentimeter, wär das okay?" "Ja, mach nur. Hauptsache, ich seh wieder ordentlich aus." "Oha. Was hast du denn schönes vor, dass du nach was ausschau'n musst?" Im Spiegel konnte ich beobachten, wie Maik konzentriert an die Arbeit ging. "Och, ich treff mich morgen mit ihm. Aber es liegt nicht daran, eigentlich wollte ich sie mir schon vor meinem Urlaub schneiden lassen, aber da kam ich dann nicht dazu." "Ich dachte, du fährst dieses Jahr nicht in Urlaub, weil du diesen Job da hast und auf deine Japanreise sparen willst?" Ich baumelte mit den Füßen. Das ging echt gut, weil Maik nämlich ein Riese war und die Stühle immer hochstellen musste um bequem schneiden zu können. "Ich hab meine Pläne kurzfristig geändert. Nee, meine Mutter wollte zuerst allein nach Italien, aber ich hab gesagt, ich will mit. Hab ich halt nicht die ganzen Ferien über gearbeitet, was solls?? Das Geld liegt auf der Bank, bringt Zinsen und zwei, höchstens drei Jahren erfüll ich mir diesen Traum!" "Und, war's schön?" Ich überlegte kurz. War es wirklich schön gewesen? Nein... Dafür hatte etwas - besser gesagt jemand - ganz bestimmtes gefehlt... "Eigentlich nicht so ganz... Ganz nett und mal was anderes, aber so richtig gefallen hat es mir dann doch nicht so ganz." Maik hob eine Augenbraue, sagte aber nichts mehr dazu. "Wie geht es deiner Mutter?", wollte er stattdessen wissen. Meine Mutter ließ sich hier auch ab und zu die Haare richte, aber nur, wenn es ganz kurzfristig sein musste und 'ihr' Frisör keinen Termin frei hatte. "Gut. Ihr hat's gefallen. Momentan bereitet sie sich wohl wieder ein bisschen auf die Schule vor. Glaub ich jedenfalls." "Glaubst du? Weißt du denn nicht, was deine Mutter zuhause alles macht?" Schnipp schnapp. Maik schnippelte an meinem Pony herum und die abgeschnittenen Haarspitzen kitzelten mich an der Nase und auf den Wangenknochen. "Ich bin doch nicht ihr Babysitter! Außerdem war ich seit gestern bei Karsten, woher soll ich da also wissen, was sie daheim macht?" "Soso", sagte Maik nur und ich wusste jetzt nicht, ob er das darauf bezog, dass ich die ganze Zeit bei Karsten war oder darauf, dass ich sagte, ich sei nicht Mamas Babysitter. Aber ich wollte auch nicht nachhaken. "Und sonst? Was gibt es neues?" Wollte man den neuesten Klatsch und Tratsch der Gegend wissen ging man einfach zum Frisör. Das wusste ich von meiner Mutter und als ich alt genug war, um allein zum Frisör zu gehen hatte ich genau diese Erfahrung gemacht. Da die meisten Leute ihren Stammfrisör hatten kannte man natürlich jeden, der dort ein und aus ging und man ratschte über dies und das. Manchmal frage ich mich, wie Maik es mit dem ganzen Klatschtanten nur aushielt. "Nichts, was interessant für dich wäre. Es sei denn, es interessiert dich, das Frau Krüger schon zum dritten Mal Oma geworden ist, Beate ihre zweite Tochter erwartet, Reinhart nächste Woche seine Verlobung feiert, Bernd zum Bikertreff gefahren ist, Monika und Sven ihren Wohnwagen verkauft haben und die Siegerts einen dreijährigen Jungen adoptiert haben. Jochen hat sich beim Downhill den Fuß gebrochen, Susanne wurde von nem Hund gebissen und Robin hat schon wieder ne neue Freundin. Aber ich gehe mal davon aus, dass du davon nichts hören willst, also erwähne ich es gar nicht erst." Ich verdrehte die Augen zur Decke. "Danke. SO genau wollte ich das gar nicht wissen... War doch nur eine rethorische Frage." Maik wollte gerade etwas sagen als mit einem leisen Geräusch die Türe geöffnet wurde. Wir beide sahen auf um zu sehen, wer der 'Eindringling' ist. "Chris!" jubelte Maik und ließ sofort meine Haare Haare sein um zu seinem Liebsten zu eilen. Ein wenig neidisch war ich schon auf die beiden, als ich zusehen musste, wie sie sich begeistert um den Hals fielen. Oder eher, wie Maik seinen Schatz als Beweis seiner tiefgründigen Liebe beinahe erwürgte. Ich machte mich schon darauf gefasst, den Notarzt zu rufen und Erste Hilfe leisten zu müssen, als der Frisör von dem Studenten abließ, nur um ihn gleich mit einem langanhaltenden Kuss den kaum wiedergefundenen Atem zu nehmen. "He, Maik!" Also echt, musste er sich ausgerechnet jetzt so benehmen?? Konnte er damit denn nicht warten, bis Lucas und ich auf jeden Fall zusammen waren oder sie beide zumindest nicht in meiner Nähe sind?? Da Maik nicht reagierte sah ich mich nach einem Gegenstand um, den ich ihm gefahrlos an die Rübe pfeffern konnte. Falls ich ihn treffen sollte. Musste er meine sowieso schon verrücktspielenden Hormone und meine überaus aktive Fantasie auch noch mit soooo einem Kuss anregen?? Innerlich sah ich schon Lucas und mich engumschlungen und knutschend auf Lucas Bett liegen. "Maaaaaiiiik!!!" Es war mir egal, dass ich mich wie ein quengelndes Kleinkind anhörte. ER war es ja nicht, der hier so leiden musste! Schließlich wurde mein Flehen erhört und Maik ließ von Chris ab. Erleichtert lehnte ich mich ein wenig zurück. Chris, der langsam wieder zu Atem kam, lächelte mich an: "Hi Mandy. Lässt du dich auch mal wieder blicken?" Ich grinste zurück. "Klar. Ich frage mich, wie du nur ohne mich überleben konntest." "He!", empörte sich Maik. "Was soll denn das nun heißen?" Wieder hatte der junge Frisör seine Arme um Chris Hals geschlungen. Ich versuchte, einen möglichst ernsten und ausdruckslosen Gesichtsausdruck hinzubekommen als ich erwiderte: "Nichts. Hab ich irgendwas gesagt?" "Pass bloß auf", drohte Maik. "Immerhin soll ich ja noch deinen Haare schneiden, oder? Achte also auf deine Zunge, sonst schneide ich ganz ausversehen eine richtig schöne, unübersehbare Stufe hinein." "Na ja, mir würde es ja schon langen, wenn du dein Hinterteil wieder zu mir bewegen und weiterschneiden würdest. Schau mal, der arme Chris wird langsam blau im Gesicht. Willst du deinen Klammergriff nicht wenigstens etwas lösen? Nur, damit er wenigstens wieder Luft holen kann. Er wird dir ja schon nicht weglaufen." "Oh." Der feste Griff löste sich ein wenig und Chris meinte nur trocken: "Da wäre ich mir nicht so sicher." Entgeistert starrten Maik und ich ihn an und ich hoffte genau wie Maik, dass wir uns da eben verhört hatten. Chris konnte doch nicht ernsthaft... "Chris! Du meinst doch nicht... Du kannst doch nicht... Ich meine... Du meinst das doch nicht ernst?!", stotterte Maik entsetzt und ich bemerkte die Tränen in seinen Augenwinkeln. Oh, oh! Hätte ich bloß nicht damit angefangen... Doch da erschien auch schon ein freches Grinsen in Chris' Gesicht und wir beide atmeten erleichtert aus. "Quatsch! Ich würde dich doch nicht alleine lassen! Das kann ich der Welt doch nicht antun und außerdem wäre das Leben ohne dich nur halb so schön und total langweilig. Schließlich hab ich dich doch lieb, du Quatschkopf." "Dann jag mir doch nicht so einen Schrecken ein! Sonst sterbe ich viel zu früh an Herzversagen, wenn du mich so schockst! Ich schneid Mandys Haare noch fertig, machst du solange einen frischen Kaffee? Der alte ist bestimmt schon kalt." Maik bequemte sich endlich wieder dazu, an meiner Haarpracht weiterzuarbeiten. "Aber Maik, kalter Kaffe macht doch bekanntlich schön!", spottete ich. "Davon solltest du eine Menge trinken." "Ach ja?! Kneif dir in die eigene Nase, bist auch nicht besser dran!", kam es postwendend zurück. Chris verschwand kopfschüttelnd im Nebenzimmer, ich glaube er murmelte etwas, das entfernt nach "da haben wir zwei Spaßvögel auf einem Haufen, Himmel hilf" klang, aber ich war mir nicht sicher. Jedenfalls war ich 20 Minuten später endlich fertig. "Tadaaa!! Meine Herren, und nun das neueste Meisterwerk des unglaublichen, unübertreffliche, einfach supergenialen Starfrisörs Maik!!!" Mit diesen Worten wurden meine Haare noch einmal verwuschelt und ich durfte das Werk im Spiegel betrachten. Und ich konnte endlich wieder was sehen, ohne störende Haarfransen im Gesicht zu haben! Und so verwuschelt wie meine Haare jetzt waren, sah das sogar richtig gut aus. Während Chris einen Kaffee schlürfte und Maik den Salon ein wenig aufräumte unterhielten wir uns über dies und jenes, über alles und nichts. Beinahe hätte ich mich festgequatscht, doch die nächste Kundin riss uns aus unserem Gespräch. Da es Frau Wagner persönlich war - eine Bekannte meiner Eltern, die ich nicht leiden konnte, weil sie sich ständig mit mir unterhalten will - machte ich, dass ich so schnell wie möglich hier raus kam. Ich hätte zwar ganz gern noch ein wenig mit den beiden gequatscht, aber nicht zu diesem Preis!! Außerdem musste ich ja noch die Geburtstagskarte für Jenny besorgen. *** "Halloooooo!!! Bin wieder zuhause!!" Stille. "Huhu!! Ich bin da, wo seid ihr??" Immer noch war alles ruhig. Nanu, war denn sonst keiner da? Nich mal meine Mutter, die sonst eigentlich ständig irgendwo im Haus zu finden war? Na ja, auch schön, so hatte ich noch ein wenig Zeit für mich und musste mich nicht gleich lächerlich machen, in dem ich erklärte, dass ich mir die Hände verbrannt hatte. Denn darauf würden sie mich bestimmt ansprechen, jede Wette. Ich ging in mein Zimmer und öffnete erst mal meinen Kleiderschrank. Hoffentlich würde ich auch passende Klamotten für morgen finden... Nach einigem hin und her entschied ich mich dafür, eine Bluejeans anzuziehen, die schön eng saß und meine Beine betonte und dazu ein hellblaues T-Shirt, dass auf dem Rückenteil aufgedruckte Flügel hatte. Und noch einen schneeweißen Pullover, falls das Wetter nicht so gut war, wie ich hoffte. War sonst eigentlich nicht mein Stil, aber für morgen fand ich es irgendwie passend. Wann immer ich an den morgigen Tag dachte, fühlte ich ein Kribbeln und Wuseln in meiner Bauchgegend, dass machte mich langsam wahnsinnig. Dagegen half nur eines: CD reinlegen und voll aufdrehen! Und dann am besten auch noch die Nachbarn ignorieren, die sich garantiert keine zwei Minuten später beschwerend werden.[1] Ich baute mich also vor meinem gut gefüllten CD-Regal auf und ließ suchend einen Finger über die CD-Rücken gleiten. Hmm, welche sollte ich nehmen? Luna Sea?[2] Nein, die hatte ich auf der Busfahrt dabei. La'Arc~En~Ciel?[2] Nein, dafür war ich nicht in der richtigen Stimmung. X-Japan?[2] Hmm, ja, das könnte man nehmen! Kurz darauf erklang ein fröhliches Crucify my love im ganzen Haus.[3] Entspannt macht ich es mir auf meinem Bett gemütlich und dachte an alles und nix, ließ einfach die Musik in mich fließen. Aus dieser wunderbaren Idylle riss mich mein knurrender Magen und so verließ ich die kuschelige Wärme meines Zimmers um den Kühlschrank zu inspizieren. Dort entdeckte ich noch Lasagne, die ich mir in der Mikrowelle aufwärmte und mit Heißhunger verschlang. Dann verzog ich mich wieder in mein Reich, um vom morgigen Tag zu träumen. *** Mitten in meine Hochstimmung hinein kam meine Mutter - von mir ungehört, was ich X-Japan zu verdanken hatte - in mein Zimmer, ein Tablett mit belegten Broten und frisch aufgebrühten Früchtetee, gemischt mit Orangensaft, in der Hand. Sie stellte es auf meinem Schreibtisch ab und ich machte die Musik leiser. Ich merkte, wie sie mich beobachtete. "Na, wieder beruhigt?" Was sollte das denn? Sprach sie etwa den Streit mit Vater an? Ich hatte jedenfalls nicht vor, mir den heutigen auch noch verderben zu lassen! "Ich kann es einfach nicht mehr mit anhören. Ich meine, wie Papa mit dir spricht", sagte ich. Mama angelte nach einem Salamibrot. "Nun ja", sagte sie, "er findet selten den richtigen Ton, trotzdem meint er's nicht so." "Was heißt denn, 'er meint es nicht so'?" Ich verstand meine Mutter nicht. "Schließlich spricht er mit dir wie mit einem kleinen Kind!" "Hat sich aber später bei mir entschuldigt." Sie sah mich an, als erwarte sie stürmischen Applaus. "Das kommt schon alles wieder in Ordnung. Und leicht hat er's auch nicht." Ich zog eine Augenbraue nach oben. Ob irgendetwas vorgefallen war, dass Mama wieder so umschwenkte? "Was ist mit Papa?" "Er muss schließlich für fast alles aufkommen", sagte Mama. "Und in Zeiten des Stellenabbaus ist das eine große Belastung für ihn. Auf seiner Exkursion ist auch so einiges schief gelaufen." Der Blick meiner Mutter war voll mitfühlender Sorge. Jetzt sollte ich mich womöglich auch noch entschuldigen! "Man muss eben lernen die Dinge so nehmen, wie sie sind", sagte Mama. Aha, meine Mutter ist jetzt also unter die Zenphilosophen gegangen. Erinnerte sie sich eigentlich noch an unser Gespräch vor ein paar Tagen? Da hatte sie ganz anders geklungen! "Jawohl, Friede, Freude, Eierkuchen", sagte ich und wünschte mir, meine Mutter wäre konsequenter. "Und was ist mit Franco? Was ist mit dem?" Sie lächelte. "Der wird mein Geheimnis bleiben." "Du meinst wohl: unser Geheimnis", verbesserte ich. Mutter goss mit Tee ein und machte ein verschmitztes Gesicht. "Ob er schreiben wird? Bin wirklich gespannt!" Der Tee duftete nach Japan und besaß die Farbe von Hibiskusblüten. Ich spürte ihn heiß und süß über meine Lippen rinnen, die *er* gestern zum ersten Mal berührt hatte. Das war mein Geheimnis. Alles ließ ich noch einmal in Gedanken vorüberziehen: das Atelier mit dem Großmaul Toby; Amelia, die zuviel rauchte; Lucas, mit seinen beiden schwulen Katern. "An was denkst du?", wollte Mama wissen. "An ein schönes Geheimnis", sagte ich, "noch ein anderes." Hinter meiner Stirn beginnt meine eigene kleine Welt und niemand darf da hinein, es sei denn, er hat angeklopft und ich hab "Ja, herein" gesagt. "Wenn er schreibt, dann schreibt er an dich, das hab ich ihm ausdrücklich gesagt", sagte Mama. Sie war verrückt. Dann schweiften meine Gedanken zu Karsten. Wie ihm jetzt wohl zumute war? Jahrelang habe ich ihn ein wenig um seine lockere, offene Art beneidet, aber jetzt wollte ich um keinen Preis dieser Welt in seiner Haut stecken. Ich hatte eigentlich keine Angst vor Sex. Aber ich stellte mir vor, dass es das Höchste ist, um jemanden nahe zu kommen, um sich total auf jemanden einzulassen. Nie würde ich auf die Idee kommen, es mit der erstbesten Person zu tun! Ich stellte mir vor, wie es in einem ganz besonderen Augenblick geschah, mit Musik und Kerzenlicht und einem offenen Fenster, durch das der Abendwind wehte. Vielleicht würde draußen ja genau in diesem Moment eine Amsel singen. Wir würden zusammen aufwachen und uns einfach freuen wie kleine Kinder und ich würde ihm sogar erlauben, meine Zahnbürste zu benutzen. Meine Mutter hat mir immer erzählt, nur wenn man einem seine Zahnbürste ausleihen könne, liebe man ihn wirklich.[4] Auf alle Fälle hätten wir, ich und mein Liebster, keine echten Geheimnisse voreinander, wir würden uns alles erzählen von unserem bisherigen Leben, unseren Wünschen und Träumen, aber auch unsere Ängste. So dachte ich über mein zukünftiges Leben und als mein Liebster kam nur Lucas in Frage. Und der Rest der Welt konnte uns den Buckel runterrutschen! Draußen war flammend und purpurrot die Abenddämmerung eingefallen. Mama verschwand wieder mit dem Tablett, während ich aus meinem Fenster beobachtete, wie sich das ganze Himmelsspektrum vor mir entfaltete. Ich kann nur sagen, dass es mich irgendwie beruhigte: diese Farberscheinung, die wie eine riesige Blüte über dem Auf und Ab der Dächer und Schornsteine stand und mit ihren Blütenblättern mitten ins Universum ragte. Ich fand, dass ich Grund hatte, glücklich zu sein. *** Als mein Wecker am nächsten Morgen klingelte war ich so schnell aus dem Bett wie noch nie zuvor. Ich hatte einen wunderschönen Traum und wenn ich verdammt viel Glück hatte und mich ranhalten werden, würde sich zumindest ein Teil davon heute erfüllen! Fröhlich pfeifend verschwand ich im Bad um eine ausgiebige Dusche zu nehmen, was viel besser klappte als gestern, weil meine Hände nicht mehr so stark schmerzten. Nur wenn ich sie ganz fest irgendwo draufdrückte oder anstieß, durchfuhr mich ein stechender Schmerz. Ich gönnte mir eine lange, ausgiebige Dusche; shampoonierte meine Haare mit viel Shampoo, das lecker nach verschiedenen Früchten roch und benutzte auch großzügig von meinem - erst kürzlich gekauften - Cocos-Duschgel. Meine Mutter staunte nicht schlecht, als ich schließlich in ein großes Badetuch gewickelt zum Frühstückstisch tapste und mir eilig ein paar Brötchen schmierte. "Guten Morgen Mandy! Was machst du denn schon auf? Ist heute irgend etwas besonderes los?" Hastig schluckte ich den ersten Bissen von meinem Marmeladebrötchen hinunter und antwortete ihr. "Ich geh heut in die Wilhelma. Bin zum Mittagessen also nicht da. Und ich weiß auch nicht, wann ich wieder komme!" Ein wenig verblüfft sah meine Mutter mich an. "Du gehst in die Wilhelma?! Alleine? Oder mit Karsten und Mark? Was wollt ihr denn dort machen? Soll ich dir noch ein Vesper mitgeben?" "Mama! Das wird keine Schulausflug oder so! Ich geh mit Lucas, er hat mich dazu eingeladen." Ich wurde mit hochgezogener Augenbraue gemustert. "Lucas? Etwa der Lucas? Und er hat dich eingeladen?" "Mama! Musst du alles zwei mal gesagt kriegen? Ja, DER Lucas, und ja, er hat mich eingeladen. Er hat gestern angerufen und mich gefragt, ob ich nicht Lust drauf hätte und da ich schon lang nicht mehr war, dachte ich, warum nicht." Immer noch sah meine Mutter sehr skeptisch aus, und noch ehe sie den Mund aufmachte, wusste ich, was sie sagen würde. "Und du gehst wirklich nur mit, weil du schon so lange nicht mehr in der Wilhelma warst? Das kann ich irgendwie nicht ganz glauben... Mandy, du weißt, du kannst mir alles sagen. Und wenn Lucas eben derjenige ist, den-" "Ich weiß, das ich mit dir darüber reden kann, aber lass mal gut sein. Ich muss mich beeilen, Lucas holt mich in einer Stunde ab und ich muss mich noch fertig machen.", unterbrach ich meine Mutter, bevor sie aussprechen konnte, was ich fürchtete, das sie sagen würde. Beinahe fluchtartig verließ ich die Küche - in der Hand noch zwei belegte Brötchen - und verschwand in meinem Zimmer. Dort wurde erst Mal zuende gegessen. Danach schnappte ich mir die Haarbürste und verzog mich in das Badezimmer, cremte meinen Körper mit viel Körperlotion mit Cocosgeschmack ein und bürstete überaus gründlich meine Haare. Meine Zähne putzte ich gleich zwei Mal - nur zur Sicherheit. Während ich wieder zurück in mein Zimmer lief, hörte ich, wie meine Mutter die Geschirrspülmaschine einräumte und dabei Modern Talking hörte. Mir wurde schlecht und ich drehte meine X-Japan-CD von gestern wieder auf. Crucify my love auf Endlosschleife. Leise mitsingend schlüpfte ich in meine Klamotten, nur den Pullover ließ ich noch auf dem Bett liegen. So, wie das bis jetzt aussah, herrschte draußen schönster Sonnenschein. Gerade wollte ich in Träumereien versinken, als mein Handy piepte. Suchend sah ich mich um. Wo nur hatte ich diese ungeliebte und doch so nützliche Objekt nur hingetan?! Im Rucksack wurde ich schließlich fündig. ,Eine Kurzmitteilung erhalten' stand da. Okay, ich würde mich mit meinen bescheidenen Kenntnissen doch hoffentlich dazu bringen, diese SMS auch zu lesen, ohne gleich die Gebrauchsanweisung dieses Geräts studieren zu müssen, von der ich zudem auch nicht wusste, wo ich sie hin hatte. Wenige Minuten später konnte ich den Text lesen. ,Hi Mandy! Bin in zehn Minuten bei dir! Früher als abgemacht, hoffe das macht nix! Bis gleich, Lucas' Mein Herz klopfte auf einmal mindestens doppelt so schnell und ich rührte mich erst mal nicht vom Fleck. Bis es mir dämmerte: er würde gleich da sein! Und schon begann ich hektisch hin und her zu rennen, ins Bad und wieder zurück, weil ich den Schaumfestiger vergessen hatte. Im Bad wurde dann erst mal zwei handvoll Schaum in meine Haare geschmiert und gut verteilt. Dann versuchte ich, die gleiche Frisur von gestern hin zu kriegen, aber irgendwie klappte das erst, als ich den Föhn benützte. Ich hörte die Türklingel, als ich gerade meinen Pullover, den Geldbeutel und das Handy in den Rucksack packte. Bevor ich aus meinem Zimmer rannte, schnappte ich mir noch den Hausschlüssel vom Schreibtisch. Ich quetschte mich im Flur an meiner Mutter vorbei, die Lucas gerade die Türe öffnen wollte. "Ich bin dann weg! Bis heute Abend!" Schnell drückte ich ihr noch ein Küsschen auf die Wange - etwas, was ich normalerweise nicht tat, da ich der Ansicht war, mit 17 sei man dafür zu alt und ich tat es nur, weil mich wieder dieses kribbelige Gefühl im Bauch auf Hochtouren in Sachen supergute Gefühle bracht - und schon war ich draußen, die Tür hinter mir ins Schloss ziehend. Und dann stand ich vor Lucas! Lucas sah supergut aus, die Sonne stand so, dass seine schwarzen Haare wie Rabenfedern schimmern, es sah wunderschön aus. Seinen braunen Augen blitzten vergnügt und er hatte ein strahlendes Lachen im Gesicht, das mit der Sonne konkurrierte. "Hi Lucas!" Am liebsten hätte ich ihn ja mit einem Kuss begrüßt, aber so ganz traute ich mich das ja nicht. "Hi Mandy. Na, bereit für einen Tag voller Action?" Natürlich, immer doch. Nur, dass mir mein Inneres unter Action was anderes vorgaukelte, was Lucas damit wohl meinte. "Ja, klar! Auf geht's!" Lucas legte locker einen Arm um meine Schulter und ich fühlte mich fast sofort auf Wolke XY im 7. Himmel! Er roch aber auch verdammt gut! "He, du hast was mit deinen Haaren gemacht... warst du beim Frisör?" Ein wenig erstaunt sah ich ihn an. Lucas gehörte also wohl zu den Leuten, die so etwas gleich bemerkten. "Ja, gestern. Hatte ich mal wieder nötig." "Wieso, sah doch davor auch gut aus. Aber dieser Strubbelkopf steht dir wirklich gut!" Der Arm um meiner Schulter zog mich näher an ihn heran. So geleitete er mich zu seinem Wagen, einem metallicblauen Opel Corsa, den er auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt hatte. Galant öffnete Lucas mir die Autotüre und ließ mich einsteigen, ehe er die Türe hinter mir wieder schloss. Das Autoinnere sah im Gegensatz zum Äußeren sehr beunruhigend und entmutigend aus. Sein Besitzer schien Anhänger der Chaostheorie zu sein, mehr war dazu nicht zu sagen. Auf dem Rücksitz stapelten sich Bücher und Zeitschriften, die seltsame, orientalisch anmutende Bilder und Pyramiden zierten. Irgendwo in dem Durcheinander meinte ich ein paar Hieroglyphen gesehen zu haben, aber ich konnte mich auch täuschen. Während Lucas sich damit abmühte, den Wagen aus der viel zu kleinen Parklücke zu bugsieren, dachte ich über mögliche Gesprächsthemen nach. Doch bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, fragte Lucas: "Interessierst du dich für Ägypten?" Hä? Aus welchem Zusammenhang nahm er denn diese Frage? Sah ich so aus, als würde mich interessieren, was man einer verstaubten Mumie alles nachsagte und welche Schätze man mit in die Pyramide gelegt hatte? Und überhaupt, was hatte Ägypten mit der Wilhelma zu tun? Ich meine, ich wusste, dass Ägypter Katzen verehrten, weil sie die Göttin Bastet immer als Katze darstellen, aber sonst? Hätte er mich gefragt, ob ich mich für Tier- oder Pflanzenkunde interessiere, das hätte ich ja noch kapiert, aber Ägypten? "Wieso?", fragte ich ihn und sah in an. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und er deutete mit dem Kopf nach hinten. "Da hättest du dann super Informationsmaterial", meinte er. "Hast du schon mal was von der Cheopspyramide gehört?" Ich kramte in meinem Gehirn und tatsächlich schien sich unter diesem Namen irgend etwas zu verbergen, dass man mal versucht hatte, mir beizubringen. Da mir aber nichts genaueres mehr ein viel, schien man damit keinen großen Erfolg gehabt zu haben. Dennoch nickte ich. "Natürlich! Für wie blöd hältst du mich?" "War ja nur ne Frage. Du weißt also auch, dass der tote Pharao darin begraben liegt." "Klar." Wusste das nicht jeder? "Hast du auch gewusst, dass damals der Stern Alpha der Polarstern war und dass er mit einem Winkel von 27 Grad direkt auf den toten Pharao strahlte?" "Ach!" Hätte ich nicht gewusst. "Und dass die Höhe der Pyramide, mit einer Million multipliziert, genau die Entfernung der Erde von der Sonne ausmacht?" Ich betrachtete seine gebräunten Arme, die das Lenkrad hielten und sah eine Million goldener Härchen darauf wachsen. Gerne hätte ich etwas intelligenteres dazu gesagt, aber leider fiel mir mal wieder nix ein. Ich sagte nur: "Phänomenal", das hörte sich gut an. Er lacht leise. "Gib zu, dass du dich kein bisschen für Pyramidenbau interessierst!" Hatte ich das jemals behauptet? Kann mich nicht erinnern. "Mich interessiert mehr der Kosmos", sagte ich, "und was für einen Einfluss er auf die menschliche Seele hat." Das stimmte nur halb. Früher hab ich mich mal dafür interessiert, hab sogar Tarotkarten gelegt, aber die Phase ist schon ewig her, seid nem halben Jahr vorbei. Das schien ihn aber zu beeindrucken und von Tarot hatte er gewiss keine Ahnung. "Nimm zum Beispiel den Mond, ja? Er beeinflusst unseren Stoffwechsel, glaubst du das?" fragte ich. "Nein", sagte Lucas. "Doch! Ob du's glaubst oder nicht. Bei Vollmond sollte man nicht viel essen, weil man da zunimmt." Lucas lachte höhnisch und ich biss mir leicht auf die Lippen. Der Tag hatte so schön angefangen und jetzt? Wenn das so weiter geht, hätte ich gut daran getan, bei Karsten zu bleiben! "Außerdem passieren mehr Morde als an anderen Tagen und die Geburten nehmen auch zu", versuchte ich ihn dennoch zu überzeugen. "Gut, akzeptiert!" Wieder lacht Lucas, dieses mal aber sanft und warm. Mich durchliefen zuckersüße Schauer und ich wollte nichts sehnlicher, als ihn zu küssen und in seinen Armen zu liegen. "Du ziehst mich unheimlich an", sagte Lucas plötzlich, "kommt das auch vom Mond?" "Quatsch!" Ich bemühte mich, ernst zu bleiben und nicht rot zu werden. Langsam bog er in den Parkplatz ein; die Fahrt war unheimlich schnell vorbei gewesen, aber es war ja auch nicht sooo weit von mir bis zur Wilhelma. "Übrigens siehst du auch leicht ägyptisch aus." Hä?! Was tat ich?? Und überhaupt, wie kam er jetzt schon wieder auf dieses Thema?? "Nur deine Nase, die passt nicht dazu. Die sieht mehr nach... Pippi Langstrumpf aus." Oh, Lucas, was dem so einfiel! Ich sparte mir eine Erwiderung, hatte eh keine Ahnung, was ich auf so etwas sagen sollte. Er entdeckte eine Parklücke und quetschte sich mit dem metallicblauen Opel hinein. Auf dem Weg zum Eingang griff er nach meiner Hand und mein Herz beschleunigte seine Arbeit schlagartig. Sein Griff war sicher und nicht zu fest, ich fühlte mich irgendwie behütet. Unauffällig rückte ich so nah zu ihm, dass unsere Schultern sich berührt hätten, wäre ich so groß wie er und verflocht meine Finger mit seinen. Noch war nicht viel los und die Schlange an der Kasse nur kurz. Irgendwie bewerkstelligte Lucas es, die Karten zu bezahlen, ohne meine Hand auch nur eine Sekunde los zu lassen. "Wo willst du zuerst hin?", fragte er und sah mich mit diesem einen, speziellen Lächeln an, dass die Schmetterlinge in mir zum Leben erweckte. "Hmm... Zuerst durch den botanischen Garten!", entschied ich. Schon von weitem zog der Duft verschiedener Blumen, Bäume und Sträucher zu uns hinüber. Mit seinem Daumen streichelte Lucas sanft über meinen Handrücken und dann hauchte er einen kleinen, flüchtigen Kuss auf meine Lippen. Ich hätte jubeln können vor Freude und ich wünschte mir, er würde es noch einmal tun. Händchenhaltend schlenderten wir über die Grünanlagen - an den Kakteen zog ich ihn allerdings schnell vorbei, bei so einem schönen Tag war mir nicht danach, diese Monster sehen zu müssen! Lucas sagte nicht viel, machte mich nur ab und zu auf die ein oder andere, wunderschöne Pflanze aufmerksam, spielte mit mir 'Pflanzenraten' und küsste mich ab und an zart und flüchtig. Ich war viel zu sehr dabei, diesen Ausflug zu genießen, als dass ich irgend eine Unterhaltung angefangen hätte. Wir verstanden uns ohne Worte und das war besonders schön. ***** ENDE Teil 10! C&C biddäh!! [1]Lalalala... ich würde so was ja niiiie tun, aber es hilft... [2]Ach, ich liebe sie!!! *schwärm* [3]Na ja, als fröhlich würde ich es sonst eigentlich nicht unbedingt beschreiben, aber es ist soooo wunderschön!! *schwärm* [4]Nich lachen! Das hat mir meine Mama früher wirklich erzählt! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)