Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Kapitel 47: *~Skekkja~* ----------------------- "Jede Abweichung vom Ideal ist Sünde." – Friedrich W. Nietzsche Kapitel 47 – Skekkja -Abweichung- *Wie reagieren wir auf eine direkte Bedrohung, eine ernstliche Gefährdung unseres Lebens? Bewahren wir die Ruhe und kontern mit einer kühlen Strategie? Verlieren wir augenblicklich die Nerven? Oder verbergen wir unser wahres Ich hinter falschem Stolz und dem unbezähmbaren Wunsch, nicht als Feigling sterben zu müssen? Siegt in solchen Fällen die Vernunft oder unsere Angst vor dem Urteil anderer?* ּ›~ • ~‹ּ Beunruhigt blickte ich zu dem spektakulären Szenario empor, das sich derzeit am Himmel direkt über der Residenz – oder eher dem, was man davon noch als ‚intakt’ bezeichnen konnte – zutrug. Ein Unwetter sondergleichen braute sich dort oben zusammen, ein unheilvoller, pechschwarzer Strudel hatte sich gebildet, von hellen Schlieren durchwirkt, und gespeist von den gewaltigen Dämonenenergien, die hier aufeinander stießen und aneinander rieben, sowie den dichten Rauchschwaden, die aus den neuerlich entstandenen Brandherden aufstiegen und sich dem Firmament entgegen kräuselten. Orangerot loderte der wie von Geisterhand erschaffene Feuerring, der weitläufig die Gebäudekomplexe umspannte, eine Hitzebrunst, die bis an die Wolkendecke hinauf reichte, und ein Entkommen über Meer oder Land vollkommen unmöglich werden ließ. Wir saßen fest, ausnahmslos. Im Zentrum des Infernos spitzte sich der sprichwörtliche ‚Kampf der Giganten’ weiterhin zu; inmitten von Trümmern des zerstörten Mauerwerks standen sich die beiden Kontrahenten nicht mehr gegenüber, sondern rangen in einer Pattsituation bitterlich um die Überhand – und ihr Leben. Der Inu no Taishou, in seiner wahren Gestalt als weißer Dämonenhund, hatte sich in den Nacken des Lindwurms verbissen, die Klauen tief in den eisenharten, schlangengleichen Leib geschlagen, während sein Gegner eben diesen nutzte, um, dem Beispiel einer Würgeschlange folgend, ihn um sein Opfer zu winden und langsam aber sicher zu strangulieren. Das Grollen und Brüllen der wütenden Youkai drang klar und deutlich an meine Ohren, und sogar mehrere Schrittlängen vom Boden entfernt, spürte man das Beben der Erde unter dem freigesetzten Youki. Woher das Feuer rührte, das jeglichen Fluchtweg abschnitt, vermochte ich zu jenem Zeitpunkt nicht zu erklären, jedoch vermutete ich den Eldursdreki dahinter, der sich erfolgreich im Verborgenen hielt. Allerdings beschäftigten mich derzeitig eher der halbwegs besinnungslose Luftdrache, den ich in meiner Not behelfsmäßig mit dem linken Arm an mich drückte, und der benommene Welpe, der allmählich die süßen Ausläufer des Schlafes abschüttelte. Mein Verstand sagte mir, dass die Verantwortung, die zwei jungen Dämonen sicher aus der Gefahrenzone zu bringen, bei mir verweilte. Aber wie…? Fieberhaft suchte ich nach einer Schwachstelle, einer Lücke im verwobenen System des Feuervorhangs, den ich auf Kanekos Rücken und aus einiger Entfernung wachsam beobachtete, doch es erwies sich als vergebens, aussichtslos… Dabei entdeckte ich etwas Anderes. Das Kribbeln unzähliger, schwacher Auren… „Kaneko-chan.“ Gehorsam verringerte die Nekomata ihre Flughöhe, schwebte somit knapp über dem Dach eines kleinen Lagerhauses. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, beugte ich mich umsichtig nach vorn. „Ratten…?“ Nein, für gewöhnliche Ratten oder Mäuse waren die Exemplare, die sich dort unten zu Tausenden auf dem Hof fiepend und streitend tummelten, bei Weitem zu groß, und ihr definitiv rotes, struppiges Fell festigte meine spontane Annahme. Hinezumi… Außerordentlich robuste, lästige Plagegeister, mit denen oftmals die Einwohner von Dörfern ihre liebe Mühe hatten, die in der Umgebung von aktiven Vulkanen lebten. Alle Jahre fielen sie wie Lemminge über Wälder und bestimmte Küstenabschnitte her, verursachten nicht selten Lauffeuer und Wildbrände; ihre schiere Anzahl bezeugte, dass es in der Nähe ein Nest geben musste, oder einen von spirituellen Kräften manipulierten Gegenstand. Wie der letztendlich aussah und wo er sich befand, musste man eigenständig ermitteln und stellte die Herausforderung dar, die es zu bewältigen galt. Ich konnte nicht mehr wie unbeteiligt verharren, ich musste etwas tun. Auch mein Leben hing davon ab… Meiner Erschöpfung zum Trotz griff ich auf die wohlbehüteten Reserven meiner Energie zurück, und wendete sie restlos zum Stützen meiner Konzentration auf. Da das Aufspüren der Ursprungsquelle der Feuerratten meine Aufmerksamkeit gänzlich vereinnahmte, und ich die Augen schloss, registrierte ich weder Kanekos Unruhe, und ihr warnendes Fauchen noch den Schatten, der in atemberaubender Geschwindigkeit herannahte. Als ich, der plötzlichen Erkenntnis gemäß, die mich aus dem Nichts ereilte, endlich erschrocken zusammenfuhr und den Blick hob, griff der weiße Schemen bereits den Katzenyoukai an, rammte mit einer beängstigenden Wucht desse Flanke und raubte ihm somit das Gleichgewicht. Aus der Balance geraten, änderte sich gewaltsam der Kurs, sie taumelte und stürzte gen Boden, wodurch ich irgendwann den Halt verlor und ebenfalls fiel. Einen Augenblick danach prallte ich auf das verhältnismäßig weiche Strohdach der Lagerhalle, japste angestrengt nach Luft, nachdem mir bewusst geworden war, dass ich unverschämt viel Glück gehabt hatte. Meine Gedanken überschlugen sich, jähe Panik ergriff von mir Besitz. Was war mit den anderen? Wie ging es Blaævar und Sesshoumaru? Und Kaneko-chan? Und was um Himmels willen hatte uns attackiert? Mühselig stemmte ich mich auf die Unterarme, schob mich auf diese Art nach vorne, bis ich die Dachkante erreichte. Kreischend wichen die Feuerratten vor Kaneko zurück, die sich zu voller Größe aufgerichtet hatte und grummelnd die Nackenhaare aufstellte, die Zähne fletschte. Sesshoumaru, der von meinem Standpunkt aus unverletzt wirkte, hockte zwischen ihren Vorderbeinen, und bedachte die niederen Youkai mit argwöhnischen Blicken. Auf der anderen Hälfte des Hinterhofes nahm ich verschwommen die Silhouette eines Pferdes wahr, ein Schimmel mit flammender Mähne und Schweif, dem anstelle von Satteltaschen lediglich drei Weidenkörbe auf den Rücken gebunden worden waren. Noch ein Feuerdämon… Und die Ratten beugten sich offenbar den stillen Anweisungen des unbeweglichen Huftieres, also handelte es sich bei den Körben mit Sicherheit um die Quellobjekte… Keine anderthalb Schrittlängen entfernt konnte ich Blævars liegende, unbewegliche Erscheinung ausmachen, und ich hoffte inständig, dass er nur bewusstlos war. Keuchend und zitternd setzte ich mich auf, beachtete das leise Rascheln hinter mir nicht. Dann versank die Welt um mich herum mit einem Mal in gestaltloser Schwärze… „Elendes Pack!“ Fluchend schlug sich der hoch gewachsene Mann mit präzisen Schwerthieben einen Weg durch das Gewimmel von leuchtend roten Leibern, die sich panisch und rücksichtslos, zuweilen wie Kleinkinder schreiend, gegeneinander drängten, ungeachtet den Artgenossen, die dabei zerquetscht oder zu Tode getrampelt wurden, um dem Dilemma zu entfliehen, das ihrer puren Triebhaftigkeit zu verdanken war. Sie hatten leichte Beute gewittert, und sich augenblicklich auf die drei mutmaßlich wehrlosen Menschen gestürzt – und waren in eine Falle getappt. Nun fanden sich die Feuerratten eingesperrt in einem kleinen Nebenhof wieder, und die vermeintlich Gejagten rückten ihnen jetzt mit Wasser aus dem Brunnen zuleibe, was heillose Panik in ihnen auslöste. Wasser vertilgt Feuer… Beständig dezimierte sich ihre Zahl unter den Anstrengungen des Schwertkämpfers, der wie ein Berserker sein Blut verschmiertes Katana schwang und durch einen ungebrochenen Eifer beflügelt, immer wieder ungehalten auf sie losstürmte. Ohne zu zögern, ohne nachzudenken, ohne eine Schwäche preiszugeben… „Ha! Geschieht euch Mistviechern recht!“ Triumphierend lachte er auf, seine grünen Augen blitzten. „Souga-san, Ihr lasst Euch einen Heidenspaß entgehen.“ Skeptisch dreinblickend, füllte der Provinzfürst einen weiteren Eimer mit dem klaren Brunnenwasser und reichte diesen seinem Sohn weiter. Er würde es niemals wagen, seine Überlegungen laut auszusprechen, jedoch fragte er sich insgeheim, ob der, den sie Akaihoshi nannten, nicht viel eher ein Dämon war als die übergroßen Ratten, die sie erfolgreich eingekesselt hatten. „Mit Verlaub, ich mag ein Schwert zu führen wissen, aber gegen diese Kreaturen… ihre Krallen schlagen Funken und die Zähne haben Zacken wie eine Säge… ich muss passen, mir fehlt der nötige Mut dazu.“ Außerdem befürchtete er, versehentlich den Fokus des Anderen zu kreuzen und eines schrecklichen Todes sterben zu müssen. Ja, man konnte guten Gewissens behaupten, Souga Hatsuaki war ein Feigling. Sollte man es ihm wahrhaft verübeln? Was war falsch daran, um sein Leben zu bangen, wenn es auf dem Spiel stand? Lieber vergaß er für einige Momente seinen Stolz, als sinnlos – und ehrenvoll – ins Jenseits einzugehen. In der vergangenen Nacht war ihnen das Schicksal hold gewesen, die Nähe des begabten Kämpfers hatte sich für heute als Glücksfall erwiesen; er wollte nicht ausreizen und auf die Probe stellen, bis zu welchem Maße die Götter und positiven Kräfte des Universums ihm wohl gesonnen begegneten. Die Welt um ihn herum versank im Chaos, und er verweilte unbetroffen…? Nicht auf Dauer, dessen war er sich bewusst. Und aus diesem Grund würde er nicht von der Seite des Oni in Menschengestalt weichen, bis sie aus dem Alptraum, in den sie hier hinein gezogen worden waren, entkamen. Falls… „Akaihoshi-san… haben wir überhaupt eine Chance…?“ Es zischte, und ein Schwall nebeligen Wasserdampfes stieg auf, verflüchtigte sich in der Atmosphäre. „Natürlich! Solange wir daran glauben und mit voller Überzeugung voranschreiten, immer.“ Lässig schulterte der Krieger sein Schwert, den Blick in die Ferne gerichtet. Ernsthaftigkeit bestimmte seine Züge, die Erinnerung an schlimme Zeiten erfüllte ihn mit Bitterkeit. „Ich werde ihrem Treiben Einhalt gebieten. Die Menschen sollen wegen ihnen kein Leid mehr erfahren…“ Verwirrt kratzte sich das Souga-Oberhaupt am Hinterkopf, verblieb dennoch stumm. Das mochte eine schöne Vorstellung sein, ein erstrebenswertes und vor allem nachvollziehbares Wunschbild, doch belief es sich dabei lediglich auf einem Traum, der nicht zu erreichen war. Nicht als Einzelner, nicht als Fürst, gleichgültig, wie viel persönliche Stärke oder Willenskraft man investierte. Dass es Akaihoshi ebenso meinte wie er es in Worte fasste, machte ihn zu einer tragischen Figur, die ihr auserkorenes Herzensziel bis ans Ende ihrer Tage fanatisch verfolgen würde, um letztlich zu erkennen, dass alle Bemühungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein dargestellt hatten. Sah er die Realität nicht oder wollte er es nicht? Unschlüssig musterte er den breiten Rücken des Schwertkämpfers. „Was machen wir jetzt? Habt Ihr einen Plan?“ In überlegender Manier fuhr sich der grobschlächtige Mann über das stoppelige Kinn, bedachte sein Gegenüber mit einem schiefen Grinsen. „Wir brechen durch!“ Bevor der ältere Souga daraufhin ein entsetztes „Wie bitte?!“ erwidern konnte, rannte Akaihoshi los, geradewegs in die erboste Meute der Hinezumi hinein. Nunmehr in Entscheidungsnot entschied er sich gegen seinen gesunden Menschenverstand und für seinen Überlebensinstinkt, besprengte dennoch seinen Hakama mit Wasser, ehe er seinen Sohn kurzerhand am Handgelenk packte, es seinem Vorgänger gleichtat und die Beine schleunigst in die Hand nahm. Gemeinsam erklommen sie – mit leichten Anlaufsschwierigkeiten – die Mauer, die den abgeriegelten Hof von den umliegenden Gängen abgrenzte. Dort angekommen hielten sie unwillkürlich inne - atemlos, erschüttert, gefangen von dem Panorama der wüsten Zerstörung, das sich um sie herum ausbreitete, bis zum schwarzen Horizont dehnte. Dort, wo rohe Kräfte sinnlos walten… „Dieser verdammungswürdige Abschaum hat so gut wie alles in Schutt und Asche gelegt.“ Über ihnen wölbte sich finster und unheilvoll das von düsteren, widernatürlichen Wolken verhüllte Firmament, das vom grellen Feuerschein, der vom Grunde bis zum Himmel hinauf durch die Grauzone, die durch die gewaltigen Dämonenenergien alternierten Luftschichten sickerte, erleuchtet; ein Wechselspiel aus Schwarz und Rot, das von einem Augenblick auf den anderen sein bedrohliches Antlitz wandelte, gar lebendig wirkte, wenn man es eine Weile betrachtete. Ein dumpfes Dröhnen, dass das solide Gemäuer erschaudern und die Luft um sie herum flirren ließ, erschallte – die drei Menschen horchten alarmiert auf, blickten in die Ferne. Nicht weit von ihrem Aufenthaltsort entfernt, in einem der Gartenanlagen, ereignete sich plötzlich eine Reihe kapitaler Detonationen, die hohl und unscheinbar in den Korridoren der Residenz verhallten, während sich Rauch und dichter Qualm bildeten, Funken zwischen aufgewirbelter Erde und Gesteinfragmenten stieben. Das klang weder nach einer gewöhnlichen Explosion, noch roch es nach Schwarzpulver… „Dämonenwerk.“ Umgehend fasste Akaihoshi die Tsuka seines Schwertes. Doch dann erstarrte er, gefror förmlich mitten in der Bewegung – jene Gestalt, die sich bloß schemenhaft gegen die von trübem Zwielicht umfangenen Umrisse der Umgebung abhob, deren Augen hingegen die Schleier aus Hitze, Flammen und Ruß in kühlem, stechendem Weiß durchdrangen… Sirrend teilte Skýdis Klinge die Luft entzwei, schnitt ebenso widerstandslos durch organisches Gewebe wie den dahinter befindlichen Granit; für einen Moment vermeinte er, dass der Stahl, aus dem Skýdis gefertigt worden war, dabei sang, oder wenigstens summte, den Einklang mit ihm anstrebend, doch das Gefühl verging, und er tat es mit einem Kopfschütteln als Einbildung ab. Die Feuerratten waren niedere Youkai, schwach und keine ernstzunehmenden Gegner, aber ihre überwältigende Masse war schlichthin erdrückend, und so kostete es Flúgar eine Menge an Geduld und Zeit, auch nur einige Schritte voranzukommen. Unter diesen widrigen Umständen würde er nicht lange aushalten, seine Ausdauer war vermindert, einerseits durch das fremde Youki, das durch seinen gesamten Körper zirkulierte, andererseits mangelte es ihm massiv an Konzentration und physischer Stärke. Verdammt… Er wollte nicht zu unnützem Ballast verkommen, sondern seinen Anteil zum Gesamtsieg beitragen, um zu beweisen, dass sich sein Vater in militärischer Hinsicht auf ihn verlassen konnte und dadurch seine Fähigkeiten als Krieger gebührende Anerkennung fanden. Dafür biss er die Zähne zusammen, nahm jede erdenkliche Anstrengung auf sich – um das Gefühl des absoluten Vertrauens zurück zu gewinnen, das Hríðarbylur ihm entgegengebracht hatte. Das war es wert. Und welche andere Gelegenheit, handfeste Fakten vorzuweisen, bot sich ihm schon dar? Die Chance galt es am Schopf zu packen… Flúgar ging halbseitig in die Knie, schöpfte keuchend Atem, während er versuchte, seinen rasenden Herzschlag etwas zu beruhigen. Die Hitze schnürte ihm die Kehle zusammen, verursachte ein unangenehmes Prickeln auf seiner Haut, und der beißende Rauch brannte ihm in den Augen und reizte seine Lunge. Schlechte Voraussetzungen… Tonlos fluchend hob er den Kopf, prüfte sorgfältig die verschiedenen Witterungen in der warmen Luft; der Geruch von verbranntem Holz und Asche überlagerte die flüchtige Mixtur aus spezifischen Körperaromen, Blut, Schweiß und Aufregung. Sicher konnte er in jenem Wirrwarr bloß seinen Vater wahrnehmen, der in einem der nahe gelegenen Gärten offenbar in einen Kampf mit dem unbekannten Eldursdreki verstrickt war. Dem, was er hörte nach zu urteilen, hatte er seinen Gegner momentan in der Hand – die bezeichnenden Detonationsgeräusche sprachen Bände über die derzeitige Ebene, auf der sich die Auseinandersetzung bewegte. Unwillentlich ballte er die Linke zur Faust. Er würde ihn nicht enttäuschen, gleichgültig, was er dafür aufbringen oder opfern musste… Achtung und Wertschätzung kennen keinen niedrigen Preis… Dies tief in seinen Gedanken verinnerlichend, richtete er sich auf, wurde sich Skýdis leichtem Pulsieren gewahr, und er verstand. Jemand rief seinen Namen, sacht, wie eine Frühlingsbrise in frischen Weidenblättern. Ja, er kannte diese Stimme, die wie ein vibrierendes Echo der Vergangenheit durch seine Nervenbahnen drang, besser als jede andere. „Afi…“ Sein Großvater wollte ihm den Weg zeigen, ihn leiten. Wohin auch immer, das endgültige Ziel dabei interessierte ihn nicht. Zugegeben, er verließ sich bedingungslos auf ein befremdliches Gefühl, das sich aus dem schieren Nichts in seiner Brust, seinem Herzen, eingenistet hatte, und gewährte ihm die Führung, aber er empfand es als das einzig Richtige in seiner beengten Situation. Was sollte er anstatt dessen tun? Sich seiner aussichtslosen Lage fügen und weiterhin stumpfsinnig gegen die Feuerratten vorgehen? Angesichts der weniger Erfolg versprechenden Alternativen, fiel ihm die Entscheidung nicht schwer. Somit brach er umgehend raschen Schrittes in Richtung der Außenreale auf, mied die Ansammlungen der lästigen Feueryoukai weitläufig. Hinter der nächsten Biegung jedoch kam er bereits zu einem abrupten Halt. Nein. Ein verstimmtes Grollen entrang sich prompt seiner Kehle, die Finger umschlossen den Griff des Katanas an seiner Hüfte fester. Das konnte nicht wahr sein, der hatte ihm gerade noch gefehlt… Akaihoshi. Eine Weile geschah nichts, und ein beunruhigendes Schweigen herrschte zwischen dem missmutigen Loftsdreki und dem menschlichen Schwertkämpfer vor, während die beiden Souga besorgt daneben standen, sich reichlich überflüssig fühlten, und zudem inständig hofften, dass die zwei sich nicht wie wilde Straßenhunde an die Gurgel sprangen, weil sich ihre Pfade zufällig gekreuzt hatten. Ihre erste Begegnung war, Erzählungen nach, nicht unbedingt glimpflich verlaufen… „Haben du und deine Sippschaft das hier angezettelt? Und wage es nicht, mich anzulügen, Mononoke!“ Warum hatten ihn die Hinezumi eigentlich nicht aufgefressen…? Mit einem warnenden Knurren wandte Flúgar ihnen die Flanke zu, warf den Menschen einen vernichtenden Seitenblick zu. „Der Tennô hat das zu verantworten.“ Akaihoshi fiel aus allen Wolken, ehe er um Fassung rang und sich seine Züge zunehmend verhärteten. „Lügner!“ Drohend zog er blank. „Wartet.“ Die erstaunlich kräftige Hand, die seinen Schwertarm gewaltsam gen Boden drückte, hinderte ihn an der Vollendung seiner Drohgebärde. Erbost riss er sich los und fuhr herum, funkelte den Fürsten feindselig an. „Lasst es. Das ergibt keinen Sinn.“ Beim Anblick des eindringlichen, todernsten Ausdrucks in den dunklen Augen des Souga-Oberhauptes verstummte er, drehte diesem nahezu trotzig, wie ein verdrossenes Kind, den Rücken zu. „Das Feuer heute Nacht hat auch sie überrascht. Und aus welchem Grund hätte er mich und meinen Sohn retten sollen, wenn die Devise in Wahrheit lautete, uns zu töten? Dieses Treffen, die Besprechungen, der vermeintliche Hintergrund dessen… alles eine Farce. Der Tennô spielt falsch, leider. Ich weiß es, seit mir eines der Dienstmädchen vom Verschwinden des Sohnes und dem eigenartigen Vorfall, der dem vorausging, berichtete.“ Ein Schatten der Fassungslosigkeit geisterte über Akaihoshis angespanntes Antlitz, und die kurzweiligen Zweifel wichen alsbald einer Grimasse puren Hasses und wütendem Ingrimm. „Das ist nicht wahr! Was auch immer in Euch gefahren sein mag, ich werde Euch beweisen, dass ihr Euch irrt.“ Dennoch zauderte er einen Moment, bevor er behände von der hohen Mauer setzte und mit einer ausfallenden Gestik seine Verachtung unterstrich, dem Zorn, der erbarmungslos in ihm wütete, Ausdruck verlieh. „Bastard. Der begreift es erst, wenn man ihm den Drahtzieher auf dem Silbertablett präsentiert… warte ab, ich werde deine Tarnung auffliegen lassen, Súnnanvindur!“ „Jemanden wie ihn sollte man nicht unbeaufsichtigt lassen.“ Gedankenvoll sah der Provinzfürst dem aufgebrachten Schwertkämpfer nach, die Stirn von sorgenvollen Falten gefurcht. Er hatte die dumpfe Ahnung, dass dieser sture Esel im Begriff war, eine schwerwiegende Dummheit zu begehen; sein hitziges Temperament zwang ihn förmlich dazu, die Initiative zu ergreifen und das Nächstbeste, das sein Verstand als passable Methode erachtete, in die Tat umzusetzen. Besser, ihn gleich davon abzuhalten, ehe er sich noch umbrachte… „Verzeiht bitte, ich habe Euch nicht angemessen für Eure Großzügigkeit gedankt, aber ich verspreche, das nachzuholen. Jetzt erscheint es mir dringender, Akaihoshi-san zu folgen.“ Der Luftdrache nickte unmerklich, nahm die darauf folgende, überaus respektvolle Verneigung jedoch nur am Rande zur Kenntnis. Menschliche Formalitäten… Nicht, dass er Höflichkeit im Allgemeinen ernstlich schätzte, doch die Zeit drängte und es konnte durchaus fatale Konsequenzen nach sich ziehen, wenn er den kostbaren Restbestand an überflüssige Etikette oder einen ohnehin nicht mehr zu bekehrenden Irren verschwendete. Was der Schwertkämpfer auch im Sinn hatte, es bedeutete nichts Gutes – sein Instinkt riet ihm zur Vorsicht. Die Idee des Souga, wenigstens etwas Schadensbegrenzung zu betreiben, empfand Flúgar als gerechtfertigt und vernünftig. Sollte der sich darum kümmern, seine Nerven waren bereits genügend strapaziert, womit sich die Überlebenswahrscheinlichkeit des Menschenrechtlers drastisch verringert hätte, wäre es an ihm selbst gewesen, ihm zu folgen. Oder eher, es zu müssen. Daher beobachtete der Loftsdreki mit einiger Erleichterung, wie der Menschenfürst ungeschickt von der Mauer stieg und sich an die Fersen seines Artgenossen heftete. Sein Sohn eilte unverzüglich an seine Seite, und begleitete ihn, denn die Wahl blieb ihm nicht. Unwillkürlich gedieh in seinem Bewusstsein die herbe Erkenntnis, dass es ihnen in diesem Punkte ähnlich erging: sie beide beschritten einen Pfad, der ihnen von ihren Vätern vorherbestimmt worden war und den sie nicht unter Erhalt ihrer präsenten Existenz verlassen konnten. Schicksal…? Unsinn. Vielleicht eine Art Vorgabe des Lebens, um einen spezifischen Stil zu gestalten, schlussendlich allerdings fehlte dem der Zwang. Mittel und Wege zu entkommen, gab es immer – die Kunst bestand darin, sie ausfindig zu machen und zum eigenen Vorteil zu nutzen. Flúgar hatte nichts zu beklagen, hinsichtlich seines Ranges oder der Position im Clan; er akzeptierte und würdigte das Erbe seines Großvaters, die Verantwortung, die sich in dem Potential, das tief in ihm schlummerte, verbarg… ּ›~ • ~‹ּ ***>>>Kapitel 48: >“Erbittert stehen sich die beiden Kontrahenten gegenüber, das dritte und das vierte Element ringen um den Sieg, Feuer gegen Luft. Die Entscheidung scheint nahe, doch dann verschieben sich die Positionen, und der Vorteil des einen verrinnt. Dementsprechend ändert sich die Taktik auf beiden Seiten…“ *» Douten Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)