Drachenseele von Hrafna (Das Herz einer Priesterin) ================================================================================ Kapitel 20: *~Aijaku~* ---------------------- "Zuneigung zu empfangen, ist eine machtvolle Glücksquelle, der Mensch aber, der sie fordert, wird sie nicht erlangen." – Bertrand Russell Kapitel 20 - Aijaku -Zuneigung- *Welche Gefühle sind es, die wirklich eine Bindung zwischen zwei Individuen schaffen? Ist es Vertrauen? Zuneigung? Geborgenheit? Wann, und vor allem wie zeigt sich, ob sein Gegenüber diese Empfindungen auch erwidert? Gibt es eine solche eindeutige Situation, einen so klaren Zeitpunkt, der eine unverkennbare Antwort darauf liefert? Oder sind dies alles nur Illusionen, denen wir erlegen sind? Täuschungen, die unser gesamtes Leben beeinflussen und nachhaltig prägen?* ּ›~ • ~‹ּ Es ward tiefe Nacht, als Flúgar plötzlich aufschreckte. Von draußen drang das heftige Prasseln eines schweren Regens und die widerhallenden Donnerschläge eines Gewitters an sein Ohr, gelegentlich erhellten über den verhangenen Nachthimmel zuckende Blitze den Raum. Der Wind pfiff geräuschvoll durch die dicht beblätterten Baumkronen. Was ihn geweckt hatte, wusste er nicht, doch er spürte ein sonderbares Unbehagen in sich hochkommen. Etwas stimmte nicht. Langsam schlug der Loftsdreki die dünne Zudecke beiseite und erhob sich, schritt zu der Schiebetür, die auf die Veranda führte und zog diese auf. Er trat hinaus auf die Holzbohlen, blickte in die Richtung, in der das Gemach der Priesterin lag. Der Fakt, dass dessen Shouji ebenfalls offen stand, beunruhigte ihn. Ein flüchtiger Blick auf ihre Bettstätte genügte; Midoriko war nicht hier. Unruhe stieg in ihm auf, denn im Inneren des Wirtshauses hielt sie sich nicht mehr auf. Er hörte sie nicht, und der Regen verwusch ihren Geruch. Das klägliche Miauen ihrer dämonischen Begleiterin ließ ihn aufsehen. Kaneko stand vor ihm, triefend nass und nervös mit ihren Schweifen zuckend. Schier hilfesuchend starrten ihre roten Augen ihn durchdringend an. Ohne weitere Überlegungen anzustellen, sprang er mit einem weiten Satz auf das gegenüberliegende Dach eines größeren Hauses, verschaffte sich einen Überblick. Kaneko hingegen setzte ihre Suche in der Nähe des Flusses fort. Die Dunkelheit stellte kein Problem für seine Augen dar, doch durch den dichten Regenvorhand vermochte er kaum irgendetwas in weiterer Ferne zu erkennen. Ein leiser Fluch löste sich von seinen Lippen, ehe er sich abermals umsah und mit voller Konzentration versuchte, auch nur einen Hauch ihres Geruchs in der Luft zu erhaschen. Trotz der verhältnismäßig geringen Menge Sake, die er am Mittag zu sich genommen hatte, war er bei der Rückkehr in das Gasthaus bald schon in einen bleiernen Schlaf gefallen, der ihn für jedes Geräusch und jeden Geruch unsensibel hatte werden lassen. Ansonsten wäre es ihm niemals entgangen, dass Midoriko nicht sicher in ihrem Zimmer weilte. Flúgars Kehle entwich ein vages Knurren. Die Erzählung der alten Schabracke hatten ihn doch mehr eingenommen, als er sich es eingestanden hatte; er war sich sicher, dass sie jemandem begegnet war, den auch er nur allzu gut kannte. Bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen würde er ihn zur Rede stellen... sich mit einem Menschenweib in dieser Weise abzugeben, selbst wenn es nur für eine einzige Nacht sein sollte, war eine Schande... Er suchte vergeblich, in der Stadt war sie nicht mehr. Wo konnte sie nur hin sein? Ratlosigkeit begann seinen Verstand zu befallen und seine Hilflosigkeit, weil er sie weder hören noch wittern konnte, ließen ihn fast wahnsinnig werden. Sein Gespür war in diesem Fall ebenfalls unnütz, zu seinem Verdruss konnte er sie zu jenem Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise ausmachen. Der Loftsdreki hielt auf dem Steg, der über den Fluss führte, inne. Unter ihm rauschte das Wasser tosend zwischen den massiven Holzpfeilern hindurch, von oben ging unaufhörlich ein heftiger Schauer hernieder. Der Regen wusch restlos alle Spuren weg, die ihm hätten weiterhelfen können; er fühlte sich machtlos, und er hasste dieses Empfinden. Was sollte er nur tun? Wenn er wartete, bis es aufklarte, konnte es schon zu spät sein, denn dies war wahrhaftig eine raue Gegend. Bis jetzt waren die Dämonen ihnen fern geblieben, aber nur, weil sie so unmittelbar in seiner Nähe gewesen war und offensichtlich unter seinem Schutz stand... mehr oder weniger... Ob er nach ihr rufen sollte? Flúgar schaute zum Wald hinüber, der unter den Sichtverhältnissen bloß eine graue, unförmige Masse darstellte, in der selbst er rein gar nichts erfassen konnte. Mit weiten Sätzen und wachen Sinnen durchquerte er den dichten Forst, auf jeden noch so kleinen Reiz, den ihm seine Umwelt lieferte, reagierend. Er konnte es sich einfach nicht leisten einen Anhaltspunkt, und mochte er noch so klein sein, zu übersehen. Seine Angespanntheit und äußerste Nervosität wusste er mittlerweile nicht mehr zu verbergen, und wer sich ihm auch immer in den Weg stellen sollte - und würde dies auch unbeabsichtigt geschehen - würde seiner damit ansteigenden Aggressivität zum Opfer fallen. Mit seiner Geduld war er unlängst am Ende, und innerlich wuchs das Verlangen in ihm, maßlos zu fluchen. Ein weitverzweigter Blitzschlag zog über den dunklen Himmel, und fast gleichzeitig ertönte ein dunkler Donnergroll, der durch den gesamten Wald dröhnte. Etwas jedoch brachte Flúgar zum Innehalten. Hatte er soeben ihre Stimme vernommen oder war es bloß Einbildung gewesen? Spielte ihm sein überfordertes Hirn solch morbide Streiche? Sich noch immer umschauend, versuchte er sich zu beruhigen, seinen Zustand in den Griff zu bekommen. Im Grunde war sein Verhalten lächerlich, vor allem vor sich selbst, aber merkwürdigerweise kümmerte ihn das keineswegs. Seine Gedanken waren alleinig bei der Priesterin, bei Midoriko... sie vertraute ihm, und er musste sich zugeben, dass er ihr ebenfalls vertraute. Auf diese Art und Weise konnte, wollte er sie einfach nicht enttäuschen; als sie aus Kakougen No Kyou aufgebrochen und in der Ebene in das Unwetter geraten waren, hatte er sehr wohl bemerkt, dass ihr das Gewitter alles andere als geheuer gewesen war. Er hatte ihre Angst riechen können, damals selbst durch den Regen hindurch, und nur deshalb war er zu ihr zurückgegangen. Menschen waren schwach und zerbrechlich; wenn man nicht genügend auf sie Acht gab, vergingen sie vor einem im Angesicht ihrer Ängste - und die hegten sie alle. Flúgar schloss die Augen, konzentrierte sich. Er würde nicht aufgeben, und wenn es ihn die ganze Nacht kosten würde. Das war kein Verlust, im Gegensatz zu ihr... Was zur Hölle dachte er da nur? Seit er sie getroffen hatte, lief mit einem Mal alles anders, und ohne, dass er es merkte, schien sie etwas an, oder besser in ihm zu verändern. Was das im Speziellen war, wusste er nicht zu benennen, doch er spürte sehr deutlich, dass sich bis zu dem Punkt, an dem er jetzt stand, etwas gehörig gewandelt hatte. Er hasste sie nicht, obwohl sie ein Mensch war, und obwohl sie anfangs ernsthaft versucht hatte ihn zu töten, trug er es ihr nicht nach, obschon er es nicht vergessen hatte. Was wohl Súnnanvindur dazu sagen würde? Mit absoluter Sicherheit würde der es nicht gutheißen, denn er wollte zwar eine Allianz mit den Menschen schließen, wendete sich aber strikt gegen jede Art von Beziehung zwischen den Mitgliedern seines Clans und den Menschen. Eine von ihnen hatte er gar verstoßen, weil sie einen Menschen geliebt und ein Kind mit ihm gezeugt hatte, ganz gleich ihrem Status im Clan... Ohne sich wahrhaftig etwas davon zu versprechen, hob Flúgar erneut die Nase in den Wind und witterte angestrengt mit gesenkten Lidern. Das, was er in diesem Augenblick wahrnahm, veranlasste ihn zur Hektik. Er roch Blut, frisches Blut. Zwar nur schwach, aber eindeutig, und er war sich vollkommen sicher, dass es nur von einer Person stammen konnte. Midoriko. Hastig wandte er sich um und folgte der vagen Witterung tiefer in den Wald. Der Dämon konnte sich nicht erklären, was in ihm vorging. Sein Herz schlug der Situation gemäß viel zu schnell, sein Atem schloss ich dem an. Was war mit ihm los? Er räumte ein, dass es nicht viele Geschöpfe gab, um die er sich ernsthaft sorgte, doch so wie in diesen Momenten war es ihm noch nie ergangen. Aber es rüttelte unverkennbar an seiner Beherrschung und das verhieß unglücklicherweise überhaupt nichts Gutes, es war einfach zu viel davon. Auf einer kleinen Lichtung blieb er stehen, prüfte seinen Standort und die Luft, schaute sich unschlüssig um. Er vermeinte ein leises, unscheinbares Wimmern zu hören, betrat vorsichtig wieder den Wald und blickte sich suchend um. Der seltsam dunkler erscheinende Flecken in seinem Sichtfeld, zog seine volle Aufmerksamkeit auf sich und als er sich näherte, sagte ihm sein Gefühl, dass er richtig lag. Vor ihm tat sich eine nicht allzu tiefe Grube auf, deren Grund mit tödlichen Holzspießen, die ungerührt gen dem von Wolken verdeckten, schwarzen Himmel ragten, ausgelegt war. Es war ziemlich offensichtlich, dass dies eine Wildfalle war, doch die Gestalt, die ganz am Rande in der Ecke kauerte, bestätigte, dass sich manchmal auch andere Wesen dorthin verirrten und womöglich sogar den Tod fanden. Vorsichtig trat der Loftsdreki zwischen die todbringenden, spitzen Holzpfähle herab in die Fallgrube und ging neben der Person, die er nun ganz eindeutig an ihrem Geruch identifizieren konnte, einseitig in die Knie. Sie zitterte, hatte die Arme um ihren Oberkörper geschlungen und wimmerte zuweilen unerträglich vor sich hin. Ihre Haut war blass, ihre Atmung panisch. Der Geruch von Angstschweiß durchzog die Luft. Den Schmerz, der von ihrem rechten Bein ausgehen musste, fühlte sie scheinbar nicht, denn sie verharrte weiterhin reglos und machte keine Anstalten, sich irgendwie von dieser Pein zu befreien. Flúgar wurde die Lage rasch verständlich, aber er kam ihr nur mit gewissem Zögern noch näher, und es dauerte eine Weile, bis er seine Scheu überwand, sie berührte, um ihren rechten Unterschenkel von den zwei dünnen Spießen zu lösen, die sich geradeso durch das Fleisch gebohrt hatten. "Midoriko..." Die junge Frau reagierte nicht auf ihn, antwortete nicht. Behutsam hob er das Mädchen auf seine Arme, stieg mit ihr zusammen aus der Falle und legte sie unter einem nahebei stehenden Baum auf den Boden nieder, inspizierte die zwei tiefen Wundmale an ihrem Bein. Es blutete recht stark, aber es waren keine Verletzungen, die ihr Leben ernstlich bedrohen konnten. Um zu sich selbst ehrlich zu sein, wusste er sich nicht unbedingt einen Rat, was er nun tun sollte, also entschied er sich für das, was er auch für einen verletzten Artgenossen getan hätte. Er schob den störenden Stoff beiseite und neigte den Kopf hinab, leckte das Blut von ihrer Haut und säuberte so die Wunde. Was Menschen betraf, besaß er kein sehr großes Wissen, und schon gar nicht, wenn sie verletzt waren; er verhielt sich, wie es sein Instinkt ihm anriet. Dann setzte er sich neben sie, winkelte sein rechtes Bein leicht an, um ihre Beine darüber zu legen; das war etwas, das er von seinem Vater gelernt hatte, und wofür er ihm insgeheim dankbar war. Schon damals hatte sich diese Methode als nützlich, als lebensrettend erwiesen, denn so manch einer seiner verstorbenen Kampfgefährten hatten aufgrund eines Schocks nicht überlebt. Hinsichtlich der Blutung tastete er mit der rechten Hand in der Leistenbeuge nach der Hauptschlagader, übte so lange, bis der Blutstrom letztendlich versiegte, leicht Druck darauf aus. Menschen waren anfälliger, sensibler in dieser Hinsicht, und deswegen wollte er auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Jetzt, wo er sie gefunden hatte, würde er nicht zulassen, dass sie so einfach unter seinen Augen hinwegstarb. Als sich ihr Zustand ein wenig verbesserte, ihr Atem und ihr Herzschlag sich etwas beruhigt hatten, stand er auf, den nahezu leblosen Leib der Priesterin in den Armen und trug sie zurück in die Stadt, zurück in das Wirtshaus. Sie sprach noch immer nicht, obwohl sie zumindest halbwegs bei Bewusstsein war, krampfte bloß ihre Hände in den Stoff seines Haoris, um den einzigen Halt, der sich ihr darbot, nicht zu verlieren. Ihr Anblick war erbärmlich, sie war ausgezehrt von der Anstrengung, ihr Gesicht fahl und ihr Blick getrübt. Ihr Körper war kalt, vom nicht enden wollenden Regen durchnässt. Selbst wenn er es gewollt hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, ihr auch nur ein wenig Wärme zu spenden - seine Körpertemperatur passte sich der Umgebung an, und somit kühlte er sie schlimmstenfalls noch weiter aus. Angesichts dessen beeilte er sich, sie zurückzubringen und empfand eine regelrechte Erleichterung, als er endlich auf der Veranda vor ihrem Gastzimmer stand. Er verhielt sich leise, bettete sie behutsam auf ihrem Lager und kniete sich neben sie. Im Gegensatz zu der ihren, war seine Kleidung nicht schonungslos dem kühlen Nass zum Opfer gefallen, denn das außergewöhnliche Gewebe hielt das Wasser fern und ließ es abperlen. Der Stoff menschlicher Kleidung hingegen sog sich begierig voll und trocknete auch nur beschwerlich. Die Tür nach draußen hatte er geschlossen, doch es nahm eine ganze Weile in Anspruch, bis im Raum wieder eine höhere Temperatur herrschte. Auf diese Art würde es zu lange dauern, bis ihr Gewand getrocknet war. Menschen mochten die Nässe ebenso wenig wie die Kälte, und beides schadete ihnen, also blieb ihm im Grunde nichts Anderes übrig, als sie ihrer nassen Bekleidung zu entledigen. Er hatte keinen Anspruch darauf, sie unbekleidet zu sehen, jedoch hielt er es nicht für angebracht, sie wissentlich krank werden zu lassen und entschloss sich deshalb für ihre Gesundheit und gegen ihre Rechte. Flúgar konnte sich dem nicht erwehren zuzugeben, dass er ihre zierliche Gestalt hübsch fand, vielleicht sogar mehr als das. Beinahe zärtlich, und nicht aus reiner Zweckmäßigkeit, strich er ihr langes, regennasses Haar zur Seite. Eine Zeit lang weilte sein Blick auf ihrem nunmehr bloßen Körper, prägte sich unbewusst jede Einzelheit ein. Vieles hätte er dafür gegeben, Midoriko gänzlich besitzen zu dürfen. Besonders in diesem Moment, in dem er ihre berauschende Witterung so deutlich wahrnahm; unwillkürlich entfuhr ihm ein tiefer Laut, dessen Klang selbst für ihn ein unbekannter war. Aber es ging nicht, das wusste er nur zu gut. Es lag ihm fern, Schmach über seine Familie zu bringen und sich mit einer Menschenfrau einzulassen. Zudem war sie unberührt, kein Mann hatte sich ihrer bis jetzt angenommen. Vermutlich führte sie ein enthaltsames Leben, denn normalerweise waren Frauen in ihrem Alter längst verheiratet und hatten Kinder. Flúgar drängte seine aufkommende Begierde zurück; er zog seinen Haori aus, bedeckte damit ihre Blöße, legte noch die Zudecke ihrer Bettstatt und die seiner darüber. Auf dem Weg zurück hatte die Miko bereits das Bewusstsein verloren, und das Gefühl, etwas gegen ihren Willen unternommen zu haben, behagte ihm gar nicht. Wahrscheinlich würde er morgen, wenn sie wieder erwachte, eine gehörige Abfuhr erteilt bekommen, die sich ihm gegenüber noch nicht viele zu äußern getraut hatten. Sie wusste nichts von seinem wahren Rang, und schon deswegen würde sie sich wohl nicht zurückhalten. Innerlich war er froh darüber, dass sie ihn nicht wie etwas Besonderes behandelte, sondern wie einen gewöhnlichen Begleiter. Ein letztes Mal für diese Nacht schaute er in ihr Gesicht, das allmählich wieder Farbe annahm, und lehnte sich schließlich an die Wand, schloss die Augen. Diesmal würde er wachsam bleiben und auf sie aufpassen, damit sie nicht noch einmal wegen seiner Unaufmerksamkeit in Gefahr geriet. Im Morgengrauen verstummte der Regen, und durch die abziehenden Wolken brach das junge Licht der Sonne, brachte Helligkeit in die von Nebel verhangene Landschaft. Auch im Haus wurde es langsam hell, draußen krähte einer der Hähne als würde er den angebrochenen Morgen verkünden und im Inneren brach die geschäftige Betriebsamkeit der Wirtsleute aus, die bereits am Tage zuvor geherrscht hatte. Eine leise Regung ging durch den Körper der Priesterin. Flúgar beobachtete sie, und die Augen des Nekoyoukai, der erst einige Stunden zuvor wieder zurückgekehrt war, fixierten ihre Herrin. Diese gab ein unverständliches Murmeln von sich, suchte mit der linken Hand tastend nach ihrer kleinen Begleiterin, mit der sie sonst immer ihr Bettlager teilte. Sie seufzte kaum vernehmbar, öffnete schläfrig ihre Augen und drehte den Kopf zur Seite. Zu mehr als einem verwirrten Blinzeln war sie nicht im Stande, als sie sich gewahr wurde, dass Flúgar direkt neben ihr kniete und ihr unverkannt ihren Blick erwiderte. Ihre Erinnerungen an die letzte Nacht waren brüchig und unklar, allerdings wusste sie, dass die Panik sie übermannt hatte, und sie sicherlich wieder in eine prekäre Situation gelangt war. Sie meinte sich zu entsinnen, dass sie seine Nähe gespürt und seine Stimme gehört hatte. Selbst wenn sie sich täuschen sollte, es blieb sich gleich. Ein schwaches Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. "Jetzt weiß ich, was die Alte meinte..." Unmerklich zog Flúgar die Augenbrauen ein wenig zusammen, legte den Kopf schief. Von was redete sie? Hatte sie sich womöglich gestern den Kopf gestoßen? "Ist schon in Ordnung, das brauchst du nicht zu verstehen." Ein Hauch von Amüsement schwang im Klang ihrer Worte, und Midoriko musste sich ein unterschwelliges Kichern untersagen, da sie Flúgar nicht verärgern wollte, denn offenbar verstand er ihre Anspielung nicht. Es war die pure Wahrheit gewesen, in solchen Augen konnte man sich nur verlieren... "Hast du Schmerzen?" Sie verneinte ohne nachzudenken, hätte diesen Moment am liebsten mit aller Macht für immer festgehalten, jedoch war ihr bewusst, dass dies unmöglich war. Lag etwas wie Sorge in seinem Tonfall? Sie mochte das neckische Lächeln nicht so schnell verloren gehen lassen, blickte ihn weiterhin an. "An was denkst du gerade?" Flúgar brach den Augenkontakt ab, sah zur Seite. "Das willst du nicht wissen." Ihr Ausdruck wurde fordernd, und sie brauchte nicht lange, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. "Wenn ich es tatsächlich nicht wollte, hätte ich nicht gefragt." Sie schmunzelte, als er sie aus den Augenwinkeln heraus betrachtete. Scheinbar war er sich nicht ganz sicher, ob er es ihr sagen konnte oder es sollte. Midoriko verlieh ihrer Aussage mehr Nachdruck, indem sie ein fragendes "Und?" dahinter setzte. "Samfarir." Ungehalten rutschte ihr eine von Verständnislosigkeit zeugende Tonsilbe heraus, was ihr augenblicklich peinlich war und dazu führte, dass sie recht betreten dreinschaute. "Ihr Menschen seid so prüde, dass ich das Wort in eurer Sprache nicht einmal kenne." Die Miko legte einen Finger an die Unterlippe, überlegte für einen kurzen Augenblick. "Du könntest es mir erklären." Der Loftsdreki zögerte nicht lange, stützte sich mit der rechten Hand auf den Holzdielen ab und beugte sich leicht über sie, sodass sein langes Haar bis auf ihren von Decken verhüllten Körper herabfiel. "Jemandem, der in Enthaltsamkeit lebt, würde eine Erklärung nicht weiterhelfen." Mit einem Mal färbten sich ihre Wangen tiefrot und eine Welle von ungezügelter Scham wog über sie hinweg. Verlegen wandte sie ihr Gesicht ab und verbarg es halbwegs unter ihren Zudecken. Flúgar zuckte die Schultern, atmete hörbar aus. "Ich sagte doch, dass du es nicht wissen willst." Midoriko vergrub ihr von dunkler Schamesröte ergriffenes Gesicht in den Laken, versuchte vergeblich, die verräterische Färbung wieder abklingen zu lassen, indem sie sich beruhigte und an etwas Anderes dachte. Völlig zusammenhangslos schlug Flúgar während dessen vorsichtig einen Teil der Decken beiseite und legte ihr rechtes Bein frei, kontrollierte behutsam den Zustand der beiden Wunden an ihrem Unterschenkel. Sie hatte Glück gehabt, dass die zugespitzten Holzpfeiler nicht vergiftet oder anderweitig präpariert worden waren, denn sonst hätte er nicht viel für sie tun können, und sie wäre entweder am Gift oder einer später auftretenden Infektion gestorben. Die Priesterin stellte ihr rechtes Bein auf, winkelte es sachte an, um dem Loftsdreki ein wenig behilflich zu sein, zog die Decken noch ein Stück weiter zur Seite. Wenn sie schon zu verlegen war um mit ihm zu sprechen, musste sie es ihm nicht noch erschweren, sich um ihre Verwundungen zu kümmern. Midoriko freute sich über seine Fürsorge, obwohl sie sich nicht so ganz erklären konnte, woher diese rührte. "Das solltest du nicht tun." Verwundert sah sie auf, warf ihm einen fragenden Blick zu. "Du gibst mehr von dir preis als dir mit Sicherheit lieb ist." Eine Art Erstaunen kam über sie; ihr wollte einfach nicht verständlich werden, was er damit meinte. Und warum schaute er sie nicht mehr an? Sie setzte sich auf, und ein flüchtiger Blick an sich herunter sorgte für die Erkenntnis ihrerseits. Das zarte Rot ihrer Wangen vertiefte sich erneut und ihr gelang es nicht mehr, den spitzen Aufschrei zu unterdrücken, der sich situationsgemäß in ihrer Kehle formte. Hektisch raffte sie die Decken zusammen und drückte sie vor ihre blanke Brust, bedeckte jedes noch so kleine Fleckchen Haut, das sie vorher schier willig gezeigt hatte. Entgeistert starrte sie Flúgar an, der sie nicht aufgrund ihrer Situation etwas genervt anblickte, sondern eher, weil ihm ihr schriller Aufschrei in den Ohren schmerzte. "Hast du mich...?!" Ihr Atem raste, das Ganze schockierte sie doch mehr als er angenommen hatte. Trotzdem war er sich keiner Schuld bewusst, er hatte nicht eigennützig gehandelt, er war um ihr Wohlsein besorgt gewesen und hatte dementsprechend reagiert. Was hätte er sonst tun sollen? Der Dämon nickte schweigend. "Denkst du deshalb an... was hast du getan?" Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln, Enttäuschung und Verzweiflung sprachen aus ihren fassungslos geflüsterten Worten. Sie zog ihre Beine enger an sich, presste die Zudecken an ihren Oberkörper. Was hatte Flúgar mit ihr angestellt? Hatte er ihr im Endeffekt etwas angetan, das nicht wieder gutzumachen war? "Ich habe dich nicht angerührt, und so charakterlos, dass ich über ein bewusstloses Mädchen herfalle, bin ich wahrhaftig nicht. So viel Ehrgefühl solltest du mir zutrauen. Doch Vertrauen scheint für dich etwas Anderes zu bedeuten als für mich." Der Tonfall in seiner Stimme gab Midoriko sehr eindeutig zu verstehen, dass sie ihn gerade ziemlich beleidigt haben musste. Es tat ihr leid, aber nach dem, was er ihr vorhin als Antwort gegeben hatte und ihren gegenwärtigen Lage... was hätte sie sich sonst daraus zusammenreimen sollen? Rasch packte sie ihn am Ärmel seines Untergewandes und hinderte ihn somit am Aufstehen. Verschämt fixierte sie den Boden. "Verzeih mir bitte... ich..." Flúgar schaute sie nicht einmal mehr im Ansatz an, anscheinend hatte sie ihn recht heftig gekränkt. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, würde sie ihm so etwas nicht zutrauen, niemals. Aber in ihrer Panik hatte sie nicht mehr denken können, und das, was sie laut ausgesprochen hatte, war nicht frontal auf ihn gerichtet gewesen... zumindest nicht so, wie er es aufgefasst hatte. Sie bereute ihre Worte, senkte schuldbewusst den Kopf. "Wir sind quitt... ich hab dich im Dorf der Dämonenjäger..." Eine Weile verblieb es still, sie hüllten sich beiderseits in tiefes Schweigen, und in Gedanken waren sich beide einig, dass sie diesen Vorfall nicht weiter besprechen sollten - es war besser darüber hinwegzusehen. Die Stille fand ein Ende, als es im Magen der Priesterin verdächtig rumorte. Sie errötete, sah etwas beschämt zu Boden, versuchte sich auf andere Gedanken zu bringen. Zu ihrer Überraschung legte Flúgar mit einer sanften Gestik seine Hand auf ihren Bauch, und ein etwas verwirrter Ausdruck schlich sich auf seine Züge. Ein Kichern konnte sie sich nun nicht mehr untersagen. "Keine Sorge..." Bedächtig berührte sie seine Hand mit ihrer. "Ich bin bloß hungrig, weiter nichts." ּ›~ • ~‹ּ ***>>>Kapitel 21: >"In den Bergen weht ein eisiger Wind, der kein Erbarmen kennt und die in den Tod reißt, die sich gegen die letale Kälte nicht zu wehren wissen. Inmitten von Schnee und Eis lauern Gefahren, denen selbst ein mächtiger Dämon nicht gewachsen ist. Zu viel Stolz kann in solch einer Situation fatal sein..." *» Stolt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)