Zum Inhalt der Seite

Der Jadejunge

Die Erzählungen, Teil 1 - Shounen-Ai
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Augen aus Edelsteinen

2 - Augen aus Edelsteinen
 

Ich fiel... fiel und fiel und fiel... immer tiefer stürzte mein Körper wie ein Stein.

Das war falsch. So abgrundtief falsch. Ich durfte, konnte nicht fallen.

Ein sengendes Feuer breitete sich in meinem Rücken aus...

Meine Lungen brannten. Meine Beine und Arme loderten. Ich verbrannte...

Nein! So nicht... nicht... ich durfte... nicht... ich... ich...

...

Wer war ich?
 

~*~
 

"Sch..." Eine beruhigende Stimme an seinem Ohr. Starke Arme, die ihn umschlungen.

Schmerz. Eine Welle heißen Schmerzes durchzuckte seinen Rücken. "Ahh!" Mit einem Ruck krümmte er sich und wimmerte.

"Daniel!"

Eine kräftige Hand massierte ihm mit kreisenden Bewegungen den Rücken. "Sch, ruhig, gleich wird's besser."

"Tschi'Eki..."

"Was?" Die Hand stoppte ihre sanfte Massage.

"Tschi'Eki."

"Dschieh-Äjieh?" Ein kümmerlicher Versuch seine Muttersprache nachzuäffen.

... Seine Muttersprache...? War es das...?

...Er war ja so verwirrt...
 

"Molokosh-Lanar?" Eine zweite Stimme. Nicht so beruhigend wie die erste, aber sanft.

"Daniel, kümmere dich um ihn." Die Hand verschwand und er wimmerte leicht. Sein Rücken, er brannte...

"Ruhig..." Eine Hand legte sich auf sein Gesicht und alles, was er spürte war angenehme Kälte...
 

Als er das nächste Mal aufwachte, war das Feuer in seinem Rücken verschwunden.

Mit geschlossenen Augen versuchte er zuerst, sich zu orientieren.

Wo war er? Was war geschehen?

In seinem Kopf herrschte diese fürchterliche, abgrundtiefe Leere. Er war verwirrt und verängstigt.

In seinem Geist herrschte einfach ein heilloses Durcheinander.

Langsam atmete er ein und aus und versuchte, sich zu beruhigen.
 

Ohne Erfolg. Seine Verwirrung blieb, er wusste noch immer nicht, wo er war oder was er hier zu tun hatte. Und mit einer Welle von Panik brach eine neue Erkenntnis über ihn herein: Er wusste nicht, wer er war.
 

Sein Atem beschleunigte sich rasant. Er fing an zu zittern. Und alles, was er spüren konnte war diese gähnende Leere.

Sie lauerte in seinem Geist, seinem Wesen und wartete darauf, ihn gänzlich verschlingen zu können. Wie ein gefährliches Tier, eine Bestie der Gedanken, die nicht ruhen konnte oder wollte bis all seine Identität ihr zum Opfer gefallen war.
 

Doch war das nicht schon geschehen?
 

Lag er nicht hier, wo auch immer das war, reglos und mit geschlossenen Augen, zitternd vor Angst?
 

Ein leises, abgehackt klingendes Geräusch entsprang seiner Kehle. Seine Knie an seinen Körper ziehend rollte er sich so klein wie möglich zusammen, presste seine Hände an sein Gesicht und fing an zu wimmern.

Von dem Verlust seines Selbst überwältigt, hörte und sah er nicht, wie ein massiver Schatten hinter ihm sich bewegte.

Erschrocken und verängstigt zuckte er zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
 

"Sch. Du bist in Sicherheit."

Er wusste nicht wieso, doch die Stimme beruhigte ihn. Ihr Klang war warm, beruhigend, angenehm. Und die Hand auf seiner Schulter strahlte eine gewisse Sicherheit aus, eine Sicherheit, die ihm sehr gelegen kam.
 

Langsam wurde seine Atmung wieder regelmäßiger, doch er verharrte noch immer in seiner gekrümmten Position. Die Hand an seiner Schulter wanderte tiefer, seinen Rücken entlang und begann, kleine Kreise auf seinem Rücken zu ziehen.
 

Allmählich entspannte er sich und nahm die Hände von seinem Gesicht. Blinzelnd öffnete er die Augen und erkannte als erstes, dass es dunkel war.
 

Er lag auf einem improvisiertem Lager aus Decken, vor ihm, in seinem Sichtfeld, schlummerte eine andere Person. Er konnte das Rauschen eins leichten Windes hören und wie etwas im Wind flatterte - er lag in einem Zelt, einzige Lichtquelle war das hereinfallende Mondlicht.
 

"Geht es wieder?", wisperte es da hinter ihm und erneut zuckte er leicht, fing sich jedoch schnell wieder.

"Ja - ich... was...wo...?" Sich umdrehend blickte er seinen... Retter? Reisebegleiter? Freund? Feind? an.

In der Dunkelheit war so gut wie nichts zu erkennen, abgesehen von der Größe des hünenhaften Mannes und seinem schwarzen Haar und ebenso schwarzen Augen.

"Wir befinden uns im Ödland, in einer zerstörten Ausgrabungsstätte. Ein... Erdrutsch hat sie vernichtet.", erklärte der Hüne sanft, "Wir haben dich unter den Trümmern gefunden."
 

Ein erneutes Gefühl der Leere stieg in ihm auf.

Bis gerade hatte er den Hoffnungsschimmer gehabt, sein... Gefährte könne wissen, wer er sei. Doch dem war nicht so. Denn sein Gefährte war gar nicht sein Gefährte.

Ein, zwei heiße Tränen liefen seine Wangen hinab und wie ein Besiegter sank sein Kopf tiefer in sein Nachtlager.

Er hatte keine Erinnerung, kam von einem zerstörten, ausgelöschten Ort.
 

Er war ein Nichts.
 

Der Hüne blickte ihn mitleidig an. "Woran erinnerst du dich?"

Er schluchzte. "Gar... nichts."

Die Hand des Hünen wurde sanft wieder auf seine Schulter gelegt. "Wir vermuteten dass bereits."

Sollte ihm das helfen? Wenn ja, es tat es nicht. Es füllte seine Leere nicht.

Die schwarzen Augen seines Gegenübers wanderten über seinen Körper, bohrten sich in seine Augen.
 

"Dakkas."

"Da-was?", brachte er hervor.

"Dakkas." Der Hüne lächelte. "Es bedeutet ,Jade', in der Sprache meines Volkes. Deine Augen... sie sehen aus wie Edelsteine. Wie zwei kleine Jadestücke."

Plötzlich verharrte der Hüne und schwieg.

"Dakkas...", flüsterte er nun das Wort, in dem Versuch, den Klang nachzuahmen.

Der Hüne lächelte. "Nicht schlecht. Sehr gut sogar, eigentlich. Nur das ,s' müsste noch schärfer werden..."

Ein Grummeln vom anderen Nachtlager des Zeltes unterbrach die beiden.
 

"Ithigash dyone!"

Der Hüne seufzte. "Danke für diesen Kommentar, Nostradamus."

Verwirrt drehte er sich von dem Hünen weg und in die Richtung des anderen ,Bettes'.

In diesem hatte sich gerade ein weiterer Mann mit augenscheinlich grauem Haar aufgesetzt.

Mit einem Nicken deutet er zu ihm. "Gomahs ith lak?"

"Es geht ihm körperlich gut, soweit ich weiß. Geistig... Nostradamus. Dyagahs shto nyar."

"Pa'dro?"

Er blinzelte. Worüber redeten sie? Er verstand nicht ein Wort.

"Gosteg Dakkas."

Der Hüne neben ihm legte verwirrt seinen Kopf schief. "Wie bitte?"

"Gosteg Dakkas. Und lass mich schlafen."

Diese Worte schienen die Angelegenheit, was auch immer sie war, für den Grauhaarigen zu besiegeln, den er legte sich wieder hin und zog sich die Decke über den Kopf.
 

Verwirrt, noch verwirrter als vorher und von einem noch stärkerem Verlorensein-Gefühl gepackt, starrte er den Hünen neben sich an.

"Mein Bruder, Nostradamus.", erklärte dieser, bevor er lächelte. "Und mein Name ist Molokosh."

Er nickte. "Ich..." Kläglich drückte er sein Gesicht wieder tiefer in den Boden. Nicht einmal einen Namen hatte er.

Der Hüne lachte leise. "Dakkas. Du heißt Dakkas." Er zögerte. "Wenn du den Namen annimmst, heißt das."

Sein... Dakkas Herz fing an zu rasen und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. "Ich... gerne. Ich... ich habe sonst... nichts."

Mit einem mitfühlenden Blick zog Molokosh ihn näher zu sich heran und schloss seine Arme um ihn. "Keine Sorge. Bei uns bist du gut aufgehoben."
 

Schluchzend presste sich Dakkas an Molokosh.

Er hatte nichts, keine Vergangenheit.

Aber trotzdem gab ihm die ruhige Stimme dieses Mannes eine gewisse... Sicherheit.

Und sein letzter Gedanke, bevor Dakkas erschöpft wieder einschlief, war die ferne Erinnerung an eine andere, immer ruhige Stimme die summend ein Lied sang...
 

~*~
 

Das zweite Erwachen brachte für Dakkas zwar nicht mehr so viele quälende Fragen mit sich, doch noch immer brannte die Leere in seiner Seele.
 

Eine Zeit lang blieb er still liegen, die Wärme seines Nachtlagers in sich aufnehmend und seine derzeitige Lage beklagend.
 

Das raue Lachen einiger Männer brachte ihn zurück in die Realität und veranlasste ihn dazu, seine Augen zu öffnen.
 

Der Platz neben ihm war leer, das Nachtlager längst abgebaut. Während er sich aufrichtete sah er, dass auch das zweite ,Bett' am anderen Ende des Zeltes bereits weg war.
 

Hastig stand er auf und stöhnte. Sein Körper schmerzte immer noch, wahrscheinlich von dem Schaden den er bei diesem... Erdrutsch davongetragen hatte. Mit zusammengebissenen Zähnen sah Dakkas sich selbst zum ersten Mal bei Licht an.

Seine Kleidung sah nicht besonders wertvoll aus und war zudem auch noch schwarz und zerrissen. Er hatte keinen Beutel und abgesehen von einer Innentasche an seinem Hemd auch nichts dergleichen.

Kurz hoffte er, in der Tasche einen Hinweis auf sich selbst zu finden, doch sie war leer. Abgesehen von dem, was er trug, schien er nichts zu besitzen.
 

Was ihm jedoch auffiel, waren seine Hände.

Die Finger waren lang und fein, fast elegant. Er hatte keine Schwielen oder Narben und schloss daraus, dass er wohl wenig harte Arbeit gewohnt war. Zumindest keine, die mit den Händen zu tun hatte oder mit Sonnenlicht, denn seine Haut war blass, fast bleich.

Und zart, stellte er fest, als er über seinen Handrücken strich.

Auch der Rest von seinem Körper zeigte an, dass er kein Feldarbeiter oder ähnliches war: Er war dünn, schien nur wenige Muskeln zu haben und ein kurzer Blick unter sein Hemd zeigte eine haarlose, zeichenlose Brust.
 

Geistig fasste er diese neuen Fakten über sich selbst zusammen.

Er war klein und schmächtig, nicht sehr kräftig und schien nur wenig körperliche Arbeit zu verrichten. Aber von seiner Kleidung her war er kein Adliger oder derlei.

Hatte der Hüne in der vergangenen Nacht nicht von einem Ausgrabungslager geredet? Vielleicht war Dakkas ja ein Gelehrter?
 

Kritisch schaute er noch einmal an sich herunter. Irgendwie fühlte sich ,Gelehrter' nicht richtig an. Und müssten seine Finger nicht Federkielschwielen vorweisen, wenn er viel schrieb? Seine Finger waren aber glatt, eben.
 

All das Grübeln brachte Dakkas nichts weiter als Kopfschmerzen und die Erkenntnis, dass er weder dumm noch jemand war der bei jedem Problem sofort aufgab.
 

Ein Trost zumindest.
 

Als er aus dem Zelt trat, sah er, was der ,Erdrutsch' angerichtet hatte.

Der Berg, an dem die Männer lagerten sah aus als hätte ein wildgewordener Erzmagier mit zuviel Wein im Bauch Feuerbälle verschossen. Man konnte genau sehen, welche Teile des Berges abgerutscht waren und der verbliebene Berg erweckte den Eindruck, dass er jederzeit hinterher rutschen könnte.

Der Boden war spröde und mit nur wenig gelblichem Gras bedeckt. Die aufgehende Sonne schickte ihre Strahlen auf eine karge, trostlose Landschaft - die Ödlande.

Die angebliche Ausgrabungsstätte lag unter Stein und Geröll verschüttet. Hier und da konnte man einige aus dem Gestein herausschauende Zeltteile, Gefäße oder Körperteile erkennen.

Es mussten viele Leute gestorben sein, so wie es aussah.
 

Machte ihm das nichts aus?

Ein kurzes Nachdenken seitens Dakkas bewies: Nein, die Tode dieser Leute kümmerten ihn nicht. Hätte er sich mit ihnen verbunden fühlen sollen? Sollte er jetzt vielleicht trauern, anstatt teilnahmslos dazustehen?
 

"Dakkas."

Fast erschrocken wirbelte der Angesprochene mit seinem Kopf herum und gab dem herannahenden Molokosh ein schüchternes Lächeln.

"Ähm... guten Morgen?"

Bei Tag und in gutem Licht sah Molokosh noch hünenhafter aus. Der Lederpanzer, den er jetzt trug, unterstützte sein gefährliches Aussehen nur noch.

"Ja, guten Morgen. Wir haben darauf gewartet, dass du aufwachst." Der Hüne lächelte.

"Eh..."

Der Schwarzhaarige seufzte. "Natürlich. Du musst noch furchtbar verwirrt sein. Entschuldige mich bitte." Stirnrunzelnd fuhr er sich durch die Haare.

"Wie ich dir vergangene Nacht bereits sagte, bin ich Molokosh de'Sahr. Der grauhaarige Mann dort hinten an dem Stein ist mein Bruder Nostradamus. Und der braunhaarige Mann neben ihm, der mich gerade mit Blicken aufspießt ist unser persönlicher Arzt, Daniel Daragan."
 

Dakkas schaute in die von Molokosh gezeigte Richtung und dort stand tatsächlich ein Mann mit verschränkten Armen der sie böse anstarrte.

"Was hat er denn?"

Molokosh lachte leise und zog Dakkas etwas mit sich von dem Zelt weg, während zwei Männer anfingen, dass Zelt abzubauen. "Daniel ist ein guter Arzt und Heiler, ein zu guter. Wenn es nach ihm ginge würde wir dich durch die Gegend tragen.

Der Rest unseres Trupps sind nur Söldner, die wir angeheuert hatten für die Reise durch die Ödlande. In ungefähr einer Woche sollten wir in der nächstgelegenen Stadt ankommen. Das hier sollte eigentlich nur ein Zwischenstopp zum Rasten werden, aber..." Achselzuckend deutete Molokosh auf das zerstörte Lager.

"Habt ihr... ich meine... lag irgendetwas bei mir?" Erwartungsvoll sah Dakkas auf.

"Leider nein. Um ehrlich zu sein waren wir sehr verwundert, wie... unversehrt du warst."

Unversehrt? So bezeichnete Dakkas sich selbst nicht. Er starrte auf das Trümmerfeld und hatte plötzlich den Drang, hysterisch zu lachen, doch erstickte er ihn.

So besaß er also definitiv nichts.
 

Molokosh legte eine Hand auf seine Schulter. "Und du kannst dich an nichts mehr erinnern?"

Dakkas lachte verbittert. "Nein. Gar nichts. Ich weiß nicht einmal welcher Tag heute ist oder welches Jahr wir schreiben. Es ist alles... verschleiert, weg."

"Es ist das 87. Jahr von Hepai Hohensonns Herrschaft. Nach dem Sonnenkalender ist es der vierte Monat im Jahr, Erstsaat."

Dakkas schaute ihn verwirrt an. Der Name des derzeitigen Herrschers sagte ihm gar nichts und noch weniger das Jahr seiner Regentschaft. Molokosh schien sein Problem zu bemerken.

"Was ist das letzte, an was du dich erinnerst? Vielleicht hilft das ja weiter."

Warum war Dakkas nicht selbst darauf gekommen?
 

Weil er sich einfach an nichts mehr erinnerte, deshalb. Aber einen Versuch war es doch wert, oder?
 

Er schloss die Augen.
 

Was war das letzte, an dass er sich erinnerte? Und warum erinnerte er sich überhaupt nicht mehr an sein Leben, aber noch an solche Sachen wie Sprache, Verhalten und Geographie?
 

Was war geschehen?
 

Warum war er überhaupt hier?
 

Woran erinnerte er sich?
 

Der Geruch von verbrannten Federn stieg ihm in die Nase.

Es war Zwielicht, die Sonne ging unter und ein Tosen war in seinen Ohren zu hören.

Nein, kein Tosen sondern das Gebrüll von Leuten, von Lebewesen, die sich auf dem Schlachtfeld vor ihm massakrierten.
 

Blonde Männer in goldenen Rüstungen preschten über die mit Gras bewachsene Ebene und stürmten in eine bunte Ansammlung von Wesen hinein . Fast alle Farben waren vertreten und mit ihnen auch unterschiedliche Völker: Er sah Zwerge, Elfen, Drachen, Werwölfe - sie alle kämpften gegen die anstürmende blonde Horde.

Er drehte seinen Kopf leicht nach rechts und sah in zwei kalte aber amüsierte Augen, eines so violett wie ein strahlender Amethyst und das andere sanft gelb wie ein Topas.
 

"Was meinst du, wie viele darf ich diesmal mitnehmen, großer Bruder? "


 


 

"Dakkas? Dakkas, was ist los?"

Verwirrt öffnete der Angesprochene wieder seine Augen. Hatte er sie geschlossen? Es war alles so neblig in seinem Gehirn...

"Dakkas?"

Molokosh hielt ihn in seinen Armen und ein besorgter Daniel stand neben ihm. "Ich sagte ja, er solle noch liegen bleiben."

"Bin... bin ich umgekippt?" Vorsichtig verließ Dakkas die Sicherheit von Molokoshs Armen und rieb sich die Augen.

"Ja, vor kaum zehn Sekunden.", antwortete ihm Daniel. "Aber du scheinst in Ordnung zu sein..."

"Was war??", fuhr Molokosh dazwischen.

"Ich..." Dakkas rieb sich abermals die Augen. "Ich weiß nicht so recht... Ich hab etwas gesehen... ein Schlachtfeld oder so, glaube ich..." er seufzte, " Ich habe keine Ahnung, wo das war, wieso man kämpfte und was ich gemacht habe."

Daniel legte seinen Kopf leicht schief. "Was für ein Schlachtfeld?"

"Es kämpften Männer in goldenen Rüstungen... Engel... gegen eine Ansammlung von verschiedenen Lebewesen."

Molokosh lächelte. "Dann wissen wir ja schon mal wie alt du mindestens sein muss. Die letzte Schlacht, an der die weißen Engel teilgenommen haben, war vor ungefähr 100 Jahren."

Irgendwie brachte das Dakkas keine große Befriedigung. "Wunderbar.", murrte er mehr zu sich selbst als zu den beiden Drachen.
 

Drachen?
 

Dakkas Kopf zuckte hoch und mit einem prüfenden Blick sah er die beiden nun verdutzten Männer an. Ja, das kantige Gesicht, die Größe, die irgendwie natürlichen Muskeln... das waren Drachen.

"Ihr seid Drachen."

Daniel schnaubte und Molokoshs Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. "Hat mein Vater zumindest immer behauptet."

Dakkas blinzelte. "Ah, das... hatte ich vorher nicht so ganz... realisiert."

Daniel wandte sich kopfschüttelnd und mit einigen gemurmelten Worten über starrköpfige de'Sahrs ab und gesellte sich zu den anderen, reisefertig dastehenden Drachen. Nostradamus stand mit verschränkten Armen am Ende des Trupps und blickte mit offensichtlichem Missfallen auf Dakkas.
 

Während Molokosh ihn anwies in der Mitte des Trupps zu laufen und Bescheid zu geben, falls ihm schwindlig wurde oder er nicht mehr konnte, beschlich Dakkas das ungute Gefühl, dass das eine lange Reise werden würde.
 

~*~
 

Seit drei Tagen marschierte er mit diesen Drachen nun schon durch eine öde, eintönige Landschaft aus leicht begrastem, braunen, trockenen Boden mit dem gelegentlichen Hügel oder Bäumchen dazwischen.

Die Ödlande waren tatsächlich ein öder Landstrich.
 

Während dieser Zeit hatte er einiges über sich entdeckt.

Trotz seines schmächtigen, unscheinbaren Körperbaus hielt er einiges aus. Daniel war erstaunt gewesen, als er mit den Drachen hatte Schritt halten können, obwohl er noch verwundet war. Dakkas Ausdauer und Konstitution mussten sehr gut sein.

Außerdem war ihm etwas an der Art, wie er lief aufgefallen. Mit so wenigen Bewegungen wie möglich glitt er fast neben den Drachen her - seine Schritte waren leise und setzten sanft auf den Boden auf. Fast, als wäre dieses stille ,Schleichen' normal für ihn.

Sein Balancegefühl war ausgezeichnet und die wenigen Muskeln, die er besaß, waren an den richtigen Stellen.

Aus all dem hatte er gefolgert, dass er wohl ein Athlet oder ähnliches gewesen sein musste. Nur was hatte er in einem Ausgrabungslager zu suchen gehabt? Diese Frage konnte er immer noch nicht beantworten.
 

Dafür hatte er aber einen Schwachpunkt entdeckt: Dakkas hatte fast panische Angst vor Feuer. Als Molokosh ihn beim Rasten am ersten Abend ans Lagerfeuer hatte ziehen wollen, hatte er sich von seiner Hand losgerissen und wäre wohl fliehend in die Ödlande gerannt, wäre er nicht mit voller Wucht in Nostradamus gerannt. Der Grauhaarige war nicht erfreut über dieses 'Zusammentreffen' gewesen.

Woher seine Feuerangst kam, konnte Dakkas nicht sagen, aber es war, als wenn ein Instinkt ihn warnen würde, dass Feuer schädlich war. Wann immer er einem Feuer zu nahe kam spürte er dieses warme Ziehen in seinem Rücken und eine tiefsitzende Atemnot machte sich in ihm breit.

Laut Daniel war das wahrscheinlich ein Trauma von der Zerstörung des Ausgrabungslagers.
 

Laut Nostradamus war Dakkas ein weinerlicher Störenfried.
 

Der grauhaarige Drache sprach nicht sonderlich viel, aber von den fünf Sätzen, die er in den vergangenen drei Tagen gesagt hatte, waren vier sicherlich etwas Negatives über Dakkas gewesen.
 

Nicht, dass Dakkas die grollende Sprache der Drachen verstanden hätte, in der Nostradamus vorzugsweise sprach, allerdings konnte man einiges an Nostradamus feindlichem Ton und den finstren Blicken erkennen, die in Dakkas Richtung geschickt wurden.

Frustrierend war für Dakkas nur, dass er absolut keine Ahnung hatte, was er dem Grauhaarigen getan hatte.
 

Oder mochten Drachen generell keine Fremden? Er erinnerte sich nur an weniges, was Drachen anging... ihre kantigen Gesichtszüge, an denen man sie erkannte. Dass ihre Augen- und Haarfarbe fast immer die Selbe war. Dass sie stolze Kämpfer und Magier waren.

Aber ansonsten?

Nichts.
 

Und die Braunhaarigen Drachen, die sie begleiteten, waren mit der Ausnahme von Daniel nicht gesprächiger als Nostradamus. Die meiste Zeit marschierten sie stur geradeaus, Molokosh hinterher.

Entweder war Dakkas also in der Gesellschaft von vielen einzelgängerischen Drachen oder aber die meisten Drachen waren Einzelgänger und Molokosh und Daniel lediglich eine Ausnahme.
 

"Dakkas?"

Der Angesprochene sah auf. Die Sonne verschwand wieder im Westen hinterm Horizont und erneut würden sie ihr Lager aufschlagen. Sie reisten immer gen Westen, auf eine kleine Hügelkette hinzu, die bereits in der Ferne sichtbar war. Hinter diesen Hügel sollte Kish-Laro liegen, eine ehemalige Drachen-Stadt, die schon vor langer Zeit von den weißen Engel eingenommen worden war. Ihr Name seit diesem Tag war ,Sonnenhügel', allerdings bevorzugten die Drachen wohl immer noch ihren Namen.

"Ich weiß, Molokosh. Ich werde Daniel beim Zelt helfen."
 

Lächelnd gesellte Dakkas sich zu dem Heiler, während Molokosh etwas Feuerholz aufschichtete.

Das Errichten ihrer Zelte geschah wie alles andere bei den Drachen in Stille. Selbst Daniel sprach nur in leisen Tönen.

"Sobald wir in Kish-Laro sind, können wir dir etwas bessere Kleidung besorgen, Dakkas. Und wir werden wohl das zerstörte Lager melden müssen... vielleicht kennt dich ja sogar jemand in der Stadt oder weiß etwas über dich. Das wäre gut möglich. Und wenn nicht..." Daniels Mund verzog sich zu einem bitteren Lächeln, "... werden wir sicherlich noch genug Kontakt mit Engeln haben in nächster Zeit, um deine Identität herauszubekommen."

"Was meinst du damit?" Darüber hatte Dakkas sich schon lange gewundert. Die Drachen schienen nicht sehr gut auf Engel zu sprechen zu sein.

Daniels Stirn runzelte sich, während er die einfachen Stöcke, die als Haltungen für das Zeltleder dienten, aufstellte.

"Die meisten Engel sind der Meinung, sie wären das Oberste und Beste." Er schnaubte. "Da sie praktisch ganz Kvi'sta beherrschen haben sie da schon irgendwie recht. Aber eigentlich sind sie eingebildete Tyrannen."

Er vollführte eine wegwerfende Handbewegung. "Andere Völker zählen für sie nichts und sind immer Schuld an allem, was passiert. Sehr wahrscheinlich wird Molokosh-Lanar lange reden und erklären müssen, bevor sie glauben, dass nicht wir das Lager zerstört haben."
 

Schweigend half Dakkas Daniel bei der Befestigung des Zeltleders.

Seine Erinnerungen an Engel waren genauso verschwommen wie die an Drachen, aber das stimmte mit seinen negativen Eindrücken von ihnen überein. Wann immer er an Engel dachte, sah er diese blonden, in Gold und Weiß gekleideten Personen, die mit siegessicheren Mienen ihre Schwerter schwenkten.

Wenn Daniel ihm doch nur ein wenig mehr erzählen würde. Jede kleine Information schien hilfreich zu sein für Dakkas, aber diese schweigsamen Weggefährten halfen wenig.
 

"Das ist auch der Grund, warum ich nicht hier wäre, wenn Molokosh Lanar mich nicht zu seinem persönlichen Heiler ernannt hätte.", fing Daniel auf plötzlich wieder an. Seine Stimme war noch leiser als zuvor und sanft, fast verletzlich.

Dakkas legte seinen Kopf schief. "Wieso das denn?"

"Eigentlich erkennt man es schon an meinem Namen,", lächelte Daniel traurig, "Er ist nicht gerade drakonisch. Man sieht es mir sonst nicht an, aber ich bin ein Mischling. Meine Mutter war ein Engel."

"Oh."

Und in der Tat, was sollte Dakkas in diesem Augenblick sonst noch dazu sagen?

"Aber... müsstest du nicht wenigstens deine Mutter nett finden?"
 

Es war heraus, bevor Dakkas über Takt und gute Manieren nachdenken konnte. Verlegen presste er eine Entschuldigung zwischen seinen Zähnen hervor, aber Daniel winkte ab.

"Nein, die Frage ist verständlich. Außerdem ist es schon lange her. Aber meine Mutter wurde verstoßen, weil sie meinen Vater liebte. Mein Engelsgroßvater ließ sie kurz nach meiner Geburt umbringen. Für ihn war die Beständigkeit von reinem Engelblut sehr wichtig." Zum Ende hin wurde Daniels Stimme immer bitterer.
 

Dakkas schwieg und befestigte nachdenklich den Rest des Zeltes, in dem er mit den beiden adligen de'Sahr Brüdern schlafen würde.
 

Daniels Großvater hatte seine Tochter, Daniels Mutter, ermorden lassen.
 

Was für eine Kreatur musste man sein, um so etwas tun zu können?
 

Der Raum war dunkel, feucht und roch nach verbrauchter Luft.
 

Die ihm gegenüber liegende Person war klein, fast noch ein Kind. Kurzes Haar hing ihr gerade so übers Gesicht, dass die Augen verdeckt wurden. Die Kleidung der Person war abgeschabt, zerschlissen und ihre Hände waren mit schweren Eisenketten an die Wand gefesselt.

Der Kopf der Person hob sich und Dakkas erkannte zweifarbigen Augen: Das eine ein Amethyst, das andere ein Topas. Zwei Edelsteine in einem zerkratzen, aschfahlem Gesicht.

"Du bist gekommen!" Die Freude in seiner - denn es war ein Junge - Stimme war überschwänglich, erleichtert und ein wenig ungläubig. Wie in Trance hörte Dakkas sich antworten:

"Ja dachtest du denn, ich würde dich vergessen?

"Du bist nicht gekommen und sie sagten..."

Kalte Wut stieg in ihm hoch. Er wusste nicht, wieso dieses Gefühl kam, aber er fühlte, dass es berechtigt war.

Wer wagte es, IHM Lügen über Dakkas zu erzählen?

"Was haben sie gesagt?!"

"Die goldenen Hände meinten, du würdest nicht kommen, weil du deine eigene Haut retten willst..."

"Ich werde dich niemals irgendwo, egal wer dich festhält, versauern lassen, hörst du? Ich werde dich immer retten. Immer!"
 

"Ich werde dich immer retten."

"Kannst du mir helfen, großer Bruder?"

"Ich werde dich immer retten!"

"Ich brauche dich, großer Bruder..."

"Ich werde dich IMMER retten!"

"Du wirst mich immer beschützen, oder, großer Bruder?"

"Ich werde jeden töten, der es wagt dich auch nur falsch anzusehen."
 

"Gib deinen Bruder raus und beende dieses kümmerliche Versteckspiel."
 

"Nein, Vater."


 

"DAKKAS!"

Die Stimme schnitt wie ein Messer durch weiches Brot und Dakkas öffnete mühselig wieder seine Augen.
 

Erneut sah er in das tiefe Schwarz von Molokoshs Augen. Einige Schritte neben ihm prasselte das Feuer. Daniel kniete halb über ihm und irgendwo im Hintergrund murmelte Nostradamus wieder etwas vor sich hin, das Dakkas zwar nicht verstand, aber wahrscheinlich nicht sehr nett war.

"Es geht wieder.", krächzte Dakkas.

Daniel sah ihn kritisch an. "Das ist jetzt das zweite Mal, dass du einfach so umkippst. Von alleine passiert das sicherlich nicht."

Dakkas lächelte. "Nein. Ich hatte wieder eine Erinnerung, glaube ich."
 


 


 

Puh-Schells kleines Drakonisch-Wörterbuch:

Da es diesmal ja schon mehr Drakonisch im Kapitel gab, werde ich einige Sachen mal übersetzen, da sie auch desweiteren oft auftauchen werden. Wer das alles im späteren Verlauf der Geschichte erfahren will (ja, es wird natürlich auch da erklärt!) der liest jetzt lieber nicht weiter ^^
 


 


 


 

Nostradamus: Ithigash dyone! - Ihr seid verrückt/dumm!

Nostradamus: Gomahs ith lak? - Geht es ihm gut?

Molokosh: Dyagahs shto nyar. - Er erinnert sich nicht mehr.

Nostradamus: Pa'dro? - Ja und? bzw. Was interessiert mich das?!

Nostradamus: Gosteg Dakkas. - Nenn (ihn) Dakkas. Das 'ihn' ist eingeklammert, da der Satz wörtlich übersetzt 'Nenn es Dakkas' heißen würde. *g*
 

Daniel: ... Molokosh-Lanar... - 'Lanar' heißt so viel wie 'Meister' oder 'Herr', ist aber eher eine 'einfache' Höflichkeitsanrede unter Drachen. Man kann jemanden damit ansprechen oder es wie ihm japanischen als Suffix Anhängen.

'Lana' - direkt übersetzt: Infinitiv von 'dienen', umgangssprachlich wird es auch als Kurzform von 'Lanar' benutzt.
 

Kish-Laro: Blutiger Hügel / Der mit Blut bewässerte Hügel

Laro - Adjektiv, blutig, blutbefleckt, mit Blut getränkt o. bewässert

Kish - hier: Kurzform von Kishlar (das -Laro ist sozusagen ein drakonisches Wortspiel), Kishlar: Hügel



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Momachita
2009-05-06T06:04:05+00:00 06.05.2009 08:04
...
ich glaube, ich finde Nostradamus unsympathisch xDD
Er ist so fies zu Dakkas. ^^
Und Daniels Geschichte... ó_ò (← Smiley, weil mir dazu einfach die Worte fehlen ~.^)
Also, so langsam beginne ich deine Welt zu verstehen, denke ich *lach*
Bisher waren bei allen Büchern, die ich im Fantasy-Bereich gelesen habe, mit passenden Karten ausgestattet, da war das mit den Ortschaften und Landstrichen recht einfach. Aber so ist das auch mal schön, alles durch den Text erklärt zu bekommen. Und ich find klasse, dass du dir eine eigene Sprache ausgedacht hast! Ernsthaft, ich hab schon Schwierigkeiten mit Englisch und Französisch, bin froh, dass ich gan gut in Deutsch bin, da könnte ich nie eine eigene neue Sprache entwickeln! *lach*
^_^ Find ich jedenfalls richtig cool~ *zwinker*
Die Erinnerungen von Drakkas... so schön verwirrend. xP
Ich will unbedingt weiterlesen... also tu ich mir mal keinen Zwang an und werd mich Kapitel 3 entgegen! x3
Bis dahin, Deine
MomoCookie ^w^b

p.s.: und diesmal ist mir auch kein Wort unangenehm aufgefallen ~.^ *lach*


Zurück