Devil's Blood von Anshie ================================================================================ Kapitel 3: Rememberance ----------------------- Es war gerade Mittagspause. Yue stand mit verschränkten Armen in einer ziemlich verlassenen Ecke der Pausenhalle. Der Regen war nicht mehr so stark wie heute morgen, aber trotzdem hatten es die meisten Schüler vorgezogen, in der Mittagspause drin zu bleiben. Einige Mädchen blicken schon die ganze Zeit zu Yue hinüber und tuschelten dabei. Plötzlich schritt eines von ihnen mutig auf ihn zu und sagte: "Hey, Yue-kun, hast du heute abend schon was vor?" Yue blickte es an. Das Mädchen hatte halblange, schwarze Haare und große, rehbraune Augen. Er kannte sie nicht. Doch sie zog ihn auf irgendeine Art und Weiße an. "Nicht das ich wüsste", sagte er. Seine Stimme klang uninteressiert wie immer. "Gut, dann...", sagte das Mädchen mit zuckersüßer Stimme. "Triffst du dich mit mir?" "Von mir aus." "Toll, also bis später. Ich ruf dich an!" Und damit tänzelte sie fröhlich wieder zu den anderen Mädchen. Aus unerklärlichem Grund wunderte Yue sich nicht, dass das Mädchen seine Telefonnummer kannte. Wieso kam sie ihm nur so bekannt vor? "Seht ihr, ich sagte doch, ich kenn ihn!", verkündete das Mädchen stolz. "Wow! Hab ich mich verhört, oder ahst du ihn echt gerade beim Vornamen genannt?", staunte eines der anderen. Und wieder ein anderes fügte hinzu: "Du hast sogar seine Nummer?" ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ Nach der Schule gingen Hiro und Mariko zum Vordereingang heraus. Sie waren zwei der Ersten, die aus dem Gebäude stürmten. Normalerweise hätten sie getrödelt. An ihrem Lieblingsort hinter der Sporthalle gesessen und geredet. Zu dritt. Doch Hiro hatte beschlossen, sofort nach der Schule bei Toya zu Hause vorbei zu schauen. Heute hatte er zum Glück keine AG. "Also", sagte Mariko. "Wenn wir uns beeilen, schaff ichs noch rechtzeitig zurück zur Schule." Mariko hatte fast jeden Tag irgendeine AG oder eine Besprechung. Heute hatte sie nach der Schule jedoch noch Zeit, da die AG erst später begann. "Ja, dann lauf 'n Schritt schneller", drängte Hiro sie. ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ "Hey, was ist denn da vorn los?", fragte Mariko und zeigte mit dem Finger Richtung Schultor. Die paar Schüler, die vor Hiro und Mariko aus dem Schulhaus gestürmt waren, standen alle auf einem Haufen gedrängt neben dem Schultor und tuschelten angeregt. "Hey, was ist hier los?", fragte Mariko einen der Schüler, der weiter hinten stand. Wegen dem ganzen Gedränge, war es unmöglich für sie, zu sehen, um was sich die Schüler scherten. "Da liegt ein Schüler, wahrscheinlich ohnmächtig oder so", erklärte ihr Mitschüler. "Keine Ahnung. Ein paar gehen grade einen Lehrer holen." Hiro riss die Augen auf. "Was?", schrie er. "Oh, bitte nicht!" Er drängte sich durch die Schülermenge. "Nicht, Masa!", schrie Mariko. "Warte lieber auf den Lehrer!" Doch es war schon zu spät. "Lasst mich durch! Macht doch Platz!", drängte Hiro die anderen. Und plötzlich stand er da. Vor ihm lag der bewusstlose Toya. Eine Sekunde lang war Hiro's Blick wie hypnotisiert auf seinen Freund gerichtet, dann schrie er: "TOYA!", und sank in die Knie. "Verdammter Idiot! Wieso bist du nicht zu Hause geblieben?!" Er versuchte ihn gerade wach zu schütteln, als Mariko durch das Gedränge kam. "Oh Gott!", sagte sie erschrocken und hielt sich die Hände vor den Mund. "Ma...sa, was... ist mit ihm?" Hiro antwortete ihr nicht. "Toya!", rief er abermals. "Hey, komm zu dir!" Nachdem er einige Sekunden versucht hatte, Toya wach zu schütteln, rührte sich dieser endlich. Langsam öffnete er die Augen. "Ma...sa", stöhnte er. "Du... bist hier?" "Klar bin ich hier, Mann!", schrie Hiro. "Wo soll ich denn sonst sein?" Er legte Toya's Kopf auf seinen Schoß. Toya nahm alles nur in einer Art Halbschlaf war. Die Umstehenden begannen nun noch angeregter zu tuscheln. "Toya, keine Sorge", sagte Mariko und beugte sich zu Toya herab. "Es kommt gleich ein Lehrer und bringt dich ins Krankenzimmer." Toya fuhr zusammen. "Nein, ich...", begann er und versuchte den Kopf zu heben. "Ich will da nicht wieder hin." Bei dem Versuch, auch nur einen Muskel seines Körpers zu bewegen, versetzte es ihm wieder dieses Stechen im Kopf. Und wieder schossen ihm diese Bilder durch den Kopf. Diese Personen aus seinem Traum. Ihm brannte nur noch dieser eine Name auf der Zunge, doch er wagte es nicht, ihn auszusprechen. Aus welchen Gründen auch immer. Vor Erschöpfung ließ er den Kopf wieder in Hiro's Schoß sinken. Wieder begannen die Umstehenden, obwohl es nun schon wesentlich weniger waren, zu flüstern. "Masa, ich will nicht, bitte...", wisperte Toya. "Was ist los? Wieso willst du nicht in die..." Noch ehe er geendet hatte, unterbrach Toya ihn schon. "Bitte, bring mich nach Hause, ja?" "Ich, ähm..." "Es wär besser, wenn du dich mal gescheit untersuchen lassen würdest, Toya", meldete sich Mariko erneut zu Wort. "Ja, denke ich auch", stimmte Hiro ihr zu. "Nein, bitte! Ich will nur nach Hause." "Na ja, also...", stotterte Hiro. Offenbar wusste er nicht so recht, was er sagen sollte. "Masa, bitte!", drängte Toya ihn. "Schau mich nicht so wehleidig an!", befahl Hiro in Gedanken, doch er sprach es nicht aus. Seufzend sagte er: "Mariko, hilf mir mal!" Er zog Toya auf die Beine. Mariko stützte Toya ab. "Los komm", maulte er. "Ich nehm dich Huckepack." "Waaas?", schrie Mariko. "Das kannst du doch nicht ernst meinen! Masa, weißt du wie weit der Weg bis zu ihm nach Hause ist? Du kannst ihn unmöglich tragen. Lass ihn doch einfach in die Krankenstation bringen u..." "Wenn er da aber nicht hin will!", fuhr Hiro sie an. "Da kommt der Lehrer", rief einer der umstehenden Schüler. "Los, heb ihn hoch!", drängte Hiro Mariko. Diese blickte zwar immer noch unsicher, half Toya jedoch widerwillig auf Hiro's Rücken. Hiro ließ die anderen einfach stehen und verließ das Grundstück der Schule. "Ich werd nicht schon wieder für euch grade stehen!", plärrte Mariko ihm nach. "Hörst du? MA-SA-NA-RUUU!!!" Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie nicht mehr gehört hatte oder es zumindest nicht hören wollte. Gerade als die beiden außer Reichweite waren, kam der Lehrer am Ort des Geschehens an. "Sie sind schon weg", erklärte eine Schülerin ihm. "Das war Masanaru", murmelte ein Junge. "Masanaru Hiro. Er hat ihn einfach weggeschleppt." "Schon wieder dieser Masanaru!", sagte der Lehrer, ein großer, kräftiger Mann mit leicht grauem Haar. "Wenn was passiert, ist wieder die Schule dran schuld! Na warte, wenn ich den erwische." Ohne ein weiteres Wort stapfte er davon. "Das war doch Herr Sewaru", murmelte Mariko. "Ja, er ist der Klassleiter von der B", sagte ein Mädchen, aus ihrer Klasse. "Echt?", fragte Mariko. "Wusst ich gar nicht." "Er hatte es ja schon immer auf Masanaru abgesehen, aber jetzt hat er wohl endgültig was, um ihn dran zu kriegen." Mariko seufzte. Jeder an ihrer Schule wusste das. Sewaru-sensei hatte immer seine Lieblinge. Meist waren das solche miesen Schleimer, wie zum Beispiel Teruko Miroi, der Junge, der vorhin Masanaru verpetzt hatte. Und dann gab es da noch die, die Sewaru einfach hasste. Hiro stand eindeutig auf Platz eins. Er hatte es geschafft, sich mit allerlei Kleinigkeiten furchtbar unbeliebt bei Sewaru zu machen. Mariko seufzte. "Ich hab ihn ja gewarnt", murmelte sie. "Am Montag ist er dran..." ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ In der Zwischenzeit war Hiro mit Toya noch immer auf dem Weg. Viele Passanten drehten sich fragend nach den beiden um, hielten die Hände vor den Mund und tuschelten. Eine Gruppe Schulmädchen ging an ihnen vorbei. Die Mädchen begannen zu kichern. Doch Hiro achtete einfach nicht auf sie. "Er ist echt leicht wie 'ne Feder", dachte er. "...richtig zerbrechlich, könnte man sagen." Er wurde rot. Toya's Atem kitzelte ihn im Nacken, doch irgendwie war es ein angenehmes Gefühl. Toya hingegen sah erst langsam wieder klarer. Die Bilder vor seinen Augen waren die ganze Zeit so verschwommen gewesen. "Masa", flüsterte er so leise, dass Hiro ihn wohl nicht gehört hätte, wäre er nicht mit dem Mund so nahe an ihm, dass er ihn fast berührte. "Was ist?", murmelte Hiro, und blickte auf den Boden. Er konnte es kaum abstreiten, wie schnell sein Herz schon die ganze Zeit schlug. "Danke", hauchte Toya. Er klammerte die Arme um Hiro, ließ den Kopf hängen und schloss erschöpft die Augen. "Du hast mich nicht verlassen, Masa", dachte er. "Es war nur ein Alptraum." Vor seinen geschlossenen Augen sah er die Gestalt vor sich. Ein Junge, er trug eine schwarze Kutte. Unter der Kapuze hingen lange schwarze Haare hervor. "Toya!", rief der Junge. "Hey, wo steckst du? Hiro und ich suchen jetzt schon lange genug nach dir!" Toya sah sich selbst, um einiges jünger als jetzt. Er rannte lachend hinter einem Felsen hervor. "Ich bin hier!", sagte er. "Mensch, hör auf uns dauernd in Panik zu versetzten, Toya", sagte der Junge. Seine Stimme hörte sich streng an, doch nicht wütend. "Mama und Papa machen sich auch Sorgen, wenn du abhaust." Er nahm ihn an der Hand und zerrte ihn fort. "Hey, O-nii-san", sagte Toya. "Spielst du bald wieder öfter mit mir Verstecken?" "Du bist langsam etwas zu alt dafür", antwortete der Junge. "Mennooh", quengelte Toya. "Spiel doch mit Hiro. Dazu ist er ja da." "Yu...e", wisperte Toya. Hiro drehte sich zu ihm um. "Yue, mein... Bruder", sagte Toya im Schlaf. "Er erinnert sich", dachte Hiro. ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ Wenig später waren sie bei Toya zu Hause angekommen. "Ach ja, er hat gesagt, seine Eltern sind nicht da", erinnerte Hiro sich. "Hey, Toya. Wach auf!" Toya öffnete die Augen nicht. "Ich brauch deinen Schlüssel." Vorsichtig hob er Toya von seinem Rücken und lehnte ihn gegen die Tür. "Wie kann man nur so tief schlafen? Er muss wirklich ziemlich erschöpft sein." Er wusste, dass Toya seinen Schlüsselbund immer in der Hosentasche hatte. "Mann Toya, wach auf, oder ich muss dich betatschen!", sagte er mit knallrotem Gesicht. "Ach Mensch." Er griff mit der zitternden Hand in Toya's Hosentasche. Doch dann hielt er inne. Einen Moment lang blickte er stumm in Toya's Gesicht. Seine Augen waren noch immer geschlossen, seine Lippen, leicht geöffnet. Er war ihm so nah. Er könnte ihn doch einfach... Hiro senkte den Kopf, da Toya ein ganzes Stück kleiner war. "Toya", flüsterte er. Es kam ihm plötzlich alles so leicht vor. Sein Atem wurde schneller. Er könnte ihn doch einfach... einfach kü... In just diesem Moment öffnete Toya die Augen. "Wuaah!", schrie Hiro erschrocken und stolperte mit samt dem Schlüsselbund rückwärts auf die Steinfliesen, die zur Tür führten. "Was ist?", fragte Toya. "Äh, ähm... ach, äh... also", stotterte Hiro. "Nichts. E... es ist nichts. Ich, äh, hab deinen Schlüssel." Er hielt ihm den Schlüsselbund entgegen. "Danke", sagte Toya, nahm den Schlüssel und schloss auf. Zögernd ging Hiro nach ihm in die Wohnung. Er war sich nicht ganz sicher, was er tun sollte, schließlich sollte er Toya nur nach Hause bringen. "Masa", begann Toya, während er die Schuhe auszog. "Danke, dass du mich heim gebracht hast." "Was? Ähm, ja, klar. Kein Problem." "Was ist los? Du wirkst so... eingeschüchtert." "Wie? Öhm, nein. Es ist nichts." In Gedanken drang immer noch Toya's leises Stöhnen und seine Wärme, an seinen Nacken. Hiro hätte sich am liebsten sofort selbst eine Ohrfeige verpasst, für diese Gedanken. Das war eindeutig nicht normal. ER war nicht normal. Er wusste es schon immer. "Ich bin ja echt voll krank", dachte er. "Also, ich... geh dann mal wieder." Er machte auf dem Absatz kehrt und griff nach dem Türgriff. Doch plötzlich nahm Toya seine Hand und hielt ihn zurück. "Nein, warte", bat er. Als Hiro sich umdrehte, sah er, dass Toya verlegen auf den Boden blickte. "Kannst du nicht... hier bleiben? Ich... muss mit dir reden." "Ähm,... okay", antwortete Hiro. "Aber leg dich jetzt erst mal hin, bevor du mir wieder zusammenkrachst, klar?" "Okay", sagte Toya lächelnd. Es war ein erleichtertes Lächeln. Er war froh, dass Hiro bei ihm war. Er würde ihn NIE im Stich lassen. Es war alles nur Einbildung. ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ Kurz darauf lag Toya, in Pyjama, in seinem Bett. Er drehte sich ständig unruhig von einer Seite auf die andere. Was ihm alles auf der Zunge brannte, was er Hiro erzählen musste. "Wo bleibt er denn so lange?", dachte er ungeduldig. Als hätte Hiro nur auf ein Zeichen gewartet, so kam er in diesem Moment, mit einem Tablett in den Händen wieder ins Zimmer. "Masa, was hast du gemacht?", fragte Toya verwirrt. "Ich hab dir Suppe gekocht", verkündete Hiro anscheinend ziemlich stolz. "Du hast WAS?" Hiro stellte das Tablett auf dem Bett ab, setze sich an den Schreibtischstuhl und rollte ihn ans Bett. "Natürlich 'ne Fertigpackung", erklärte er. "Du weißt ja, wie's um meine Kochkünste steht." "Stimmt, und ich dachte schon, du willst mich vergiften", meinte Toya lachend. Hiro schrie empört auf: "Waaaas? Ich glaub ich hör nicht richtig! Also dir scheint's immer hin wieder gut genug zu gehen, um mich zu beleidigen, was?" Toya musste erneut lachen. Hiro ebenfalls. Dann verstummte er schlagartig. "Ich freu mich, wenn's dir wieder besser geht", sagte er leise. "Masa", murmelte Toya und wurde rot. "Also der benimmt sich zur Zeit wirklich komisch", dachte er. "Weißt du, was mich echt wundert?", sagte er. "Was denn?" "Dass du in der Küche überhaupt 'nen Löffel gefunden hast", meinte Toya kichernd. "Ouh, na warte, du kleine Kröte!", sagte Hiro, beugte sich zu Toya herüber, zerwuschelte ihm die Frisur und kitzelte ihn. "Wie lange geh ich nun schon in diesem Haus ein und aus, als ob es mein Eigenes wäre und du hälst mich für so blöd, dass ich..." "Masa! Pass auf!", brachte Toya unter Lachen hervor. "Die Suppe!" "Ups." Sofort ließ Hiro von ihm ab. Auf dem Tablett schwamm bereits ein Großteil der Suppe. "Deine Schuld", maulte er. Toya wischte sich lächelnd die Tränen aus den Augen. "Nee deine", widersprach er. "Du weißt, wie kitzlig ich bin." "Deswegen mach ich's ja", sagte Hiro. "Wärst du nicht kitzlig, würde es ja keinen Spaß machen. Und jetzt iss endlich, sonst wird der Rest von der Suppe, der noch nicht auf dem Tablett verteilt ist, noch kalt." "Ja Mama", seufzte Toya. "Ruh dich aus. Du kannst mir später erzählen, was los ist", sagte Hiro und verließ das Zimmer. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich seufzend dagegen. "Toya, ich denke, ich weiß genau, worum es geht..." Nachdem Hiro das Zimmer verlassen hatte, dachte Toya plötzlich: "Wieso schaff ich es nicht, ihn darauf anzusprechen? Wenn er vor mir steht, krieg ich's einfach nicht raus." Er nahm den Löffel vom Tablett und begann zu Suppe zu essen. "Beinahe beängstigend. Ich dachte immer, er schafft's nicht mal, Suppe aus der Tüte zu kochen, aber siehe da..." ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ In der Zwischenzeit, an einem anderen Ort in Tokio. Ein schwarzhaariges Mädchen klingelte an eine Tür. Kurz darauf öffnete Yue. "Hallo!", sagte das Mädchen. "Bist du fertig?" Yue nickte und schloss hinter sich die Tür. "Hör mal", begann das Mädchen zu erzählen, während die beiden den Weg entlang gingen. "Viele wundern sich über deinen Nachnamen." "Es ist ein seltener Name", sagte Yue. "Ja, und es lenkt all ihre Aufmerksamkeit auf dich." "Das wolltest du doch so", meinte Yue. "Deshalb hast du mir diesen Namen gegeben." Das Mädchen lächelte. "Dich stört das nicht, oder?", fragte es. Doch es schien nicht wirklich so, als würde es sie wirklich kümmern. "So werden die, die mich suchen, niemals darauf kommen, dass ich es bin. Sie kennen mich so ja gar nicht." "Toya erinnert sich langsam wieder", wechselte Yue das Thema. "Hmm, du solltest dich beeilen, Yue-kun", sagte das Mädchen. "Also, wo gehen wir hin? Ich fange an, diese Zeit zu mögen. Es ist alles so aufregend." "Ganz wie du meinst", seufzte Yue. "Hey, hör auf so zu schauen. Sumi ist tot! Das kann ich leider auch nicht ändern. Aber du wirst sie ganz bestimmt rächen." Das Mädchen lächelte. "Und nun hör auf, daran zu denken." ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ Hiro stand vor Toya's Zimmertür. Die eine Hand auf den Türgriff gelegt. Er hatte fast eine Stunde lang gewartet und fern geschaut. Langsam musste er sich stellen. Nun musste er sich endgültig stellen. Er schluckte und drückte den Griff nach unten. Er lugte durch einen Spalt in das Zimmer. Toya lag noch immer in seinem Bett. Das Tablett mit der leeren Suppenschüssel stand auf dem Boden. "Toya?", sagte Hiro leise. Er betrat das Zimmer und ging ans Fenster. Man brauchte nicht viele Schritte, um den kleinen Raum zu durchqueren. Er zog die Vorhänge zu. "Toya, schläfst du?", fragte er. Ein verschlafenes "Hmm", kam als Antwort. Durch die Vorhänge kam nun nur noch gedämpftes Licht ins Zimmer. "Hey, bist du wach?", fragte Hiro erneut und beugte sich zu Toya herunter. Dieser rieb sich nur die Augen. "Ja, ja, bin wach", antwortete er. Hiro stellte das Tablett auf den Holzschreibtisch. Eigentlich war fast alles in Toya's Zimmer aus Kiefernholz. Der Schreibtisch, der Schrank und die Regale. Die Tapete war hellblau, was jedoch nicht sehr auffiel, da sie größtenteils mit eingerahmten Puzzles voll gehängt war. Hiro setzte sich wieder auf den Schreibtischstuhl. "Also, fang an", seufzte er. Toya setzte sich im Bett auf. "Also", begann er. "Ich weiß nicht so genau, ob du mir helfen kannst, aber..." Offenbar versuchte er, jedes Wort sehr sorgfältig zu wählen. "Als dieser Typ auf dem Pausenhof mich angegriffen hat, ich mein, als ich ohnmächtig war, da hatte ich so eine Art Vision. Genau wie gestern Nacht und vorhin." Er blickte ununterbrochen auf die Bettdecke. Ebenso wie Hiro. "In diesen Visionen, kam jemand vor,... ich glaube es war der Typ aus der Schule. Ich kann mich nur an seinen Namen erinnern... Yue." Für ein paar Sekunden schwieg er. Dann sagte er zögernd: "Er ist mein Bruder. Hab ich recht?" Hiro antwortete nicht. "Hab ich recht, Masa?", wiederholte Toya seine eigenen Worte. Wieder seufzte Hiro. "Ja", sagte er. "Es stimmt." "Aber wie...? Ich verstehe nicht... Wieso hat er...? Und was hast du mit alle dem zu tun?" Wieder herrschte Stille. "Da war noch jemand in meiner Vision", fuhr Toya fort. "Ich kann mich nicht mehr an sein Gesicht erinnern. Sein Name ist Garasu!" Hiro zuckte beim Klang des Namens zusammen. "Masa, bitte! Du weißt es, nicht wahr? Also sag's mir endlich? Was ist das für eine Erinnerung, die da in mir ruht?" "Du hast recht", sagte Hiro. "Also, ich wird dir alles erzählen. Du wirst dich von ganz alleine daran erinnern, wenn du es hörst." Er strich sich den Pony aus dem Gesicht. Toya kannte diese Geste. Das tat Hiro immer, wenn ihn etwas beunruhigte. Dann strich er sich immer den Pony, der ihm sonst immer in die Augen hing, aus dem Gesicht. Es brachte ihm nie etwas, den er fiel immer wieder genau so, wie er vorher gewesen war. "Es war Anfang des vierzehnten Jahrhunderts", begann Hiro. "Damals lebten wir in der Welt der Dämonen. Unter... Unseresgleichen. Es herrschte Frieden zwischen unserer und der Menschenwelt. Bis eines Tages der König starb. Das war... Yue's... und dein Vater. Yue sollte den Thron besteigen, als Garasu, ein ziemlich machtgieriger Dämon, seine Geliebte, das Menschenmädchen, Sumi, tötete. So lockte er deinen Bruder in eine Falle. Er wollte ihn töten und danach dich. Als neuer Herrscher über die Dämonen wollte er einen Krieg gegen die Menschenwelt anzetteln, sie bis auf den letzten ausrotten und so die Herrschaft über beide Gebiete, die Dämonen- und die Menschenwelt, erlangen. Doch damals erfuhren du und ich von seinem Vorhaben. Ich war schon von klein auf, deine und Yue's Leibgarde gewesen. Als solche war es also meine Aufgabe Yue und dich zu beschützen. Ich habe Garasu aufgehalten und uns drei durch ein Raum-Zeit-Tor in die Zukunft befördert. Hier habe ich dann die Erinnerungen der Menschen in unserer Umgebung verändert, so dass es niemandem auffiel, wer wir wirklich waren." Hiro verstummte. Er hätte nicht erwartet, dass Toya ihn kein einziges mal unterbrechen würde. "Was aus Yue geworden ist, wusste ich bis vor kurzem selbst nicht. Du hattest dein Gedächtnis verloren. Es ist sieben Jahre lang gut gegangen, aber jetzt spüre ich Garasu's Aura in dieser Welt. Er muss einen Weg gefunden haben, hier her zu kommen. Auch wenn nicht in der damaligen Zeit, ihr existiert dennoch und solange ihr lebt, kann die Dämonenwelt von keinem anderen beherrscht werden. Deshalb musste er euch folgen, um euch zu töten, in seine Zeit zurück zu kehren und dort die Herrschaft zu übernehmen. Das würde wahrscheinlich die ganze Zukunft ändern." Hiro verstummte erneut. Nur ein leises Schluchzen ertönte in der Stille. "To...ya?", sagte Hiro leise. Seine Stimme klang unsicher. Er wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Toya blickte noch immer starr auf die Bettdecke. "Also ist es wahr", schluchzte er. Er lächelte, doch über seine blassen Wangen liefen Tränen. Sie tropften auf die Decke. "Ich erinnere mich. Ich dachte schon, ich hätte 'nen Sprung in der Schüssel, weil ich mich die ganze Zeit gefühlt hab, als wäre ich kein Mensch, aber das hab ich mir nicht nur eingebildet. Es ist wirklich war. Ich..." Er könnte seine Tränen nun nicht mehr unterdrücken. "Ich BIN kein Mensch!", schluchzte er und vergrub den Kopf in den Armen, mit denen er die angewinkelten Beine umklammerte. "Kein Wunder, dass mich alle immer angeschaut haben, als käme ich von 'nem anderen Planeten. Sie haben es einfach gemerkt... dass ich anders bin..." Hiro saß etwas unbeholfen neben ihm. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte Toya noch nie so weinen gesehen. Na gut, vielleicht ein paar mal in der Grundschule, wenn ihn jemand geärgert hatte. Es war oft darum gegangen, dass Toya sich von allen anderen isolierte. Er war schon immer so wortkarg und menschenscheu gewesen. Deshalb haben ihn die anderen Jungs oft gehänselt. Außerdem mochten alle Mädchen ihn, wegen seiner femininen Art. Das passte den Jungs erst recht nicht und Hiro wurde nicht selten gefragt, warum er immer zu Toya hielt. Er hätte ja schlecht sagen können: "Weil wir beide Dämonen sind!" Aber im Vergleich zu Toya hatte er sein Gedächtnis nicht verloren. Er hatte es die ganze Zeit gewusst. Wer er war und wer Toya war. Er hatte es von Anfang an viel leichter gehabt. Noch immer hörte er Toya's leises Schluchzen. Er kam sich selbst vor, wie ein Vollidiot. Das war einer der Gründe, warum er nicht wollte, dass Toya sich überhaupt erinnerte. "Masa", sagte Toya plötzlich. Hiro blickte auf. "Ja?", fragte er vorsichtig. Toya hob den Kopf und fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. "Die Erinnerungen, die ich an die Zeit vor meinem zehnten Lebensjahr auf der Erde hab,... die sind alle nicht real, oder?" Hiro hasste es, auf diese Frage antworten zu müssen. "Nein", sagte er. "Nein, es sind nur Illusionen." Toya schwieg. "Die... Erinnerung an deine Vergangenheit als Dämon, werden wohl im Laufe der nächsten Tage zurückkehren, jetzt wo du die Wahrheit weißt. Dass du dich so mies gefühlt hast, kam daher, dass es ziemlich anstrengend ist, sich an so vieles erinnern zu müssen. Du hattest sicher ziemliche Kopfschmerzen." Toya nickte. "Es bring nichts, wenn du jetzt hier herum heulst!", sagte er sich selbst. Doch es ging nicht anders. Er vergrub erneut den Kopf in seinem Schoß. Wenigstens konnte er so verhindern, dass Hiro ihn so verheult sah. "Hey", sagte dieser tröstend und legte zögernd die Hand auf Toya's Schulter. "Masa!", schluchzte Toya und fiel Hiro in die Arme. Hiro rutschte vom Stuhl und setzte sich zu Toya aufs Bett. Toya legte den Kopf auf Hiro's Bauch und drückte sich an ihn. Mit zitternden Händen streichelte Hiro ihm über den Kopf. "Ist ja gut", flüsterte er. "Wein dich ruhig aus." "Masa...", wisperte Toya und krallte die Finger noch mehr in Hiro's Hemd. "Was soll das?", dachte er. "Wieso schlägt mein Herz bloß so schnell? Ich wünschte, ich könnte es dir sagen, Masa. Bitte! Bitte lass mich nie wieder los!" Hiro drückte Toya an sich. Es fühlte sich so gut an, ihn zu umarmen. Seine Haare waren so weich. Er wirkte wirklich zerbrechlich. Seine schmalen Schultern, und die Taille. "Ouh bitte, lieber Gott!", sagte Hiro in Gedanken. "Lass es ihn nicht merken. Lass ihn bloß nicht merken, wie schnell mein Herz schlägt. Er darf es nicht erfahren. Niemals!" "Sag mal", begann Toya. Sie hatten eine ganze Weile schweigend, sich in den Armen liegend, dagesessen. "Wieso hat Yue mich angegriffen?" Erst jetzt ließ er Hiro los. "Wenn ich das wüsste. Garasu muss ihn irgendwie auf seine Seite gezogen haben. Diese Krähenfedern, die er in den Haaren hatte, das ist Garasu's Markenzeichen." "Wie... können wir ihn aufhalten? Garasu, meine ich." "Töten kann ich ihn so einfach nicht", erklärte Hiro. "Dazu ist er zu stark. Es gibt nur die eine Möglichkeit." "Und die wäre?" "Eine Raum-Zeit-Schleife." Toya blickte ihn fragend an. "Mein Katana, was du gestern auf dem Pausenhof gesehen hast, das ist keine normale Waffe. Nur damit kann ich das Tor zur Galerie der Zeit öffnen. Wenn mir das gelingen würde, könnte ich Garasu in einer Raum-Zeit-Schleife gefangen halten. Das ist ein Ort, an dem die Zeit viel schneller vergeht, als hier. Wenn ein Dämon die Menschenwelt betritt, beginnt er ganz normal zu altern, wie ein Mensch. Wenn man allerdings in einer solchen Schleife feststeckt, stirbt man innerhalb weniger Sekunden, verstehst du?" Toya nickte zögernd. "Ziemlich kompliziert", sagte er. "Und wieso steckst du ihn dann nicht einfach in so ein Schleifen-Dingsda?" "Weil er sicher nicht freiwillig darein hüpfen wird", sagte Hiro. "Es würde einen Kampf geben. Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um ihn so sehr zu schwächen, dass ich ihn in die Schleife ziehen kann." "Aber du hast doch noch mich!", sagte Toya. "Ich werd dir helfen!" "Auf gar keinen Fall!", sagte Hiro und stand vom Bett auf. "Meine Aufgabe ist es, dich zu beschützen. Ich werd dich nicht einfach ans Messer liefern, klar? Niemals!" Toya schwieg. Er sah Hiro wütend in die Augen. Gerade wollte er Widerspruch leisten, als Hiro sagte: "Egal", er wandt den Blick ab. "Hör zu, dass ist jetzt egal. Erstmal müssen wir heraus finden, warum Yue die Seiten gewechselt hat. Das ist erst mal das Wichtigste." Toya musste sich eingestehen, dass widersprechen, bei Hiro völlig sinnlos war, also beschloss er, den Mund zu halten. "Du schläft jetzt am besten noch ein bisschen. Gegen deine Visionen kann ich leider nichts machen, auch wenn sie dir Schmerzen bereiten. Es hört auf, sobald du dich vollständig erinnert hast." Hiro ging zum Schreibtisch und nahm das Tablett. "Masa", rief Toya ihm nach, als er schon fast aus der Tür war. Hiro drehte sich kurz um. "Bleibst du noch ein bisschen da?" Er kam sich vor wie ein Kleinkind, und er schämte sich ganz schön, aber irgendwie wollte er auch nicht alleine sein, was nach dem, was er eben erfahren hatte, nicht ungewöhnlich war. "Wenigstens bis ich eingeschlafen bin, ja? Dann kannst du gehen." Hiro lächelte. "Klar", sagte er. "Kein Problem." ˜*˜*˜*˜*˜*˜*˜ Ein paar Minuten später kam Hiro, ohne das Tablett wieder zurück ins Zimmer. Toya hatte sich auf die Seite gedreht. "Masa?", flüsterte er, als Hiro sich wieder auf den Stuhl setzte. "Hmm", murmelte Hiro. "Du... bist nicht nur mit mir befreundet, weil du mich beschützen MUSST, oder?" Toya wurde rot. In diesem Moment war er froh, dass Hiro sein Gesicht nicht sah, weil er mit dem Rücken zu ihm lag. "Ich meine", fügte er schnell hinzu. "Du magst... mich doch, oder? Ich fall dir doch nicht zur Last? Du bist doch gern... bei mir,... oder?" Sein Puls raste. Was hatte er da eben geredet? Wie peinlich! So etwas zu fragen. Hiro wurde ebenfalls rot. Er überlegte kurz. Dann beugte er sich zu Toya herüber. In diesem Moment drehte dieser sich um. Toya hielt die Luft an, als er Hiro's Gesicht über seinem erblickte. "Toya", flüsterte Hiro. "Nur noch ein paar Zentimeter", dachte er. "Nicht mehr als fünf... Kämpf dagegen an, Hiro! Tu's nicht! Du darfst nicht..." Er hob den Kopf und wuschelte Toya durchs Haar. "Klar, mag ich dich, du Trottel! Bist schließlich mein bester Kumpel." Und damit wandt er den Blick ab. Toya's Atem war noch immer so schnell. Wie nah er ihm gewesen war. Es hatte beinahe ausgesehen, als wolle Hiro ihn... "Ach Unsinn...", dachte Toya. Er murmelte ein: "Gute Nacht", und schloss die Augen. "Nacht", sagte Hiro und stützte sich den Kopf mit der Hand ab. "Ich muss endlich damit aufhören", sagte er sich selbst. "Es würde nur noch mehr Unheil anrichten. Das kann ich ihm nicht antun." ~tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)