Ashita wa kitto von Yamato_ (Tomorrow For Sure (Daiken)) ================================================================================ Kapitel 2: Yasashisa (Freundlichkeit) ------------------------------------- Part 2: Yasashisa (Freundlichkeit) Sie standen sich an der Mittellinie gegenüber und maßen sich mit abschätzenden Blicken. Da Lächeln immer noch die beste Art war, seinem Gegner die Zähne zu zeigen, verzog Daisuke das Gesicht zu einem solchen. Das fiel ihm nicht weiter schwer, eigentlich freute er sich wie ein Schneekönig auf die zweite Halbzeit und konnte die gedrückte Stimmung seiner Teamkameraden überhaupt nicht verstehen. “Hi,“ sagte er schließlich, “Ich bin Motomiya Daisuke.“ “Freut mich,“ entgegnete sein Gegenüber knapp, ohne dabei den Ball aus den Augen zu lassen, den einer seiner Teamkameraden noch unter dem Arm trug. Er machte sich nicht die Mühe, sich vorzustellen, wahrscheinlich ging er davon aus, daß ihn sowieso jeder hier kannte. Ken und der Tamachi Spieler mit dem Ball betraten den Anstoßkreis. Höchstwahrscheinlich würde der andere Spieler anstoßen und Ken den Ball zuspielen. Danach würde Ken den Ball vermutlich nicht wieder abgeben, sondern anfangen zu dribbeln. Wenn Daisuke ihn richtig einschätzte, würde er versuchen, das gegnerische Tor selbst zu erreichen. Einen Augenblick später zischte der Ball samt Spieler an ihm vorbei, mit einer Geschwindigkeit, die Daisuke in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet hätte. Zum Glück brauchte er nur eine Schrecksekunde, bis er begriffen hatte, daß er ja nicht nur dastehen und gaffen konnte, wie es einige seiner Mitspieler noch taten. Mit großen Sätzen jagte Daisuke hinterher, aber ihm war klar, daß er Ichijouji unmöglich rechtzeitig erreichen konnte. Jetzt war es an der Abwehr, ihn aufzuhalten. Daisuke lief sich frei, nur für den Fall, daß es einem seiner Mitspieler doch noch gelang, Ichijouji den Ball abzujagen, so unwahrscheinlich das auch sein mochte. “Go, Ken, go!“ überbrüllte Miyako sämtliche Zuschauerrufe, und die anderen wiesen sie wieder einmal zurecht, daß sie zur falschen Mannschaft hielt. Ausgleich. Das war zu erwarten gewesen, aber noch war ja nicht alles verloren. Odaiba war wieder im Ballbesitz. Mit grimmigen Vergnügen bemerkte Daisuke, daß ein ganzes Aufgebot an grünen Trikots damit beschäftigt war, ihn zu decken. Die sollten ihn nur ja nicht unterschätzen. Leider kam Daisuke nicht dazu, sein Talent unter Beweis zu stellen. Sein Versuch sich freizulaufen, glückte noch so gerade eben, aber als der Ball auf ihn zuflog, schoß Ken in letzter Sekunde dazwischen. Diesmal gab er den Ball sofort weiter, und hatte damit den Überraschungsmoment auf seiner Seite. Odaiba kämpfte hart, aber vergebens. Eine Dreiviertelstunde später hatte Ken sieben Tore geschossen, und war Paßgeber bei zwei weiteren Toren gewesen. Bei den roten Trikots machte sich langsam, aber sicher die Enttäuschung breit. 9: 1 für Tamachi, und noch ein paar Minuten bis Spielende. Jeder normale Mensch hätte es damit gut sein lassen und sich einen ruhigen Abschluß gegönnt. Aber Ichijouji, dieser Wahnsinnige, jagte schon wieder auf das Tor zu. Wie so viele Male zuvor schien der Ball magisch mit seinem Bein verbunden zu sein. Es sah absolut mühelos, nahezu spielerisch aus, wie er an den Roten vorbei dribbelte, beinahe wie ein Kätzchen, das einen Wollknäuel vor sich her rollte. Seine violetten Augen sprühten vor Lebensfreude, in ihnen funkelte schon die Siegesgewißheit. Diesmal nicht! Wild entschlossen setzte Daisuke ihm nach. Daß sich hinter diesem Kätzchen ein wilder Panther verbarg, hatte er in den letzten fünfundvierzig Minuten immer wieder aufs Neue erfahren müssen. Aber aufgeben? Niemals! Auch diesmal würde er wieder an seine Grenzen gehen. Schwanz einziehen und feige das Feld räumen galt nicht, auch wenn das Spiel verloren war und ein Tor mehr oder weniger keinen Unterschied machte. Irgendwie war es doch ein Unterschied! Das Odaiba Tor rückte näher. Ichijouji würde versuchen, so nahe wie möglich heranzukommen, bevor er abschoß. Obwohl es seinen Schüssen keineswegs an Kraft mangelte, lag seine eigentliche Stärke in seiner Geschicklichkeit und das würde er ausnutzen wollen. Die gesamte Odaiba Abwehr konnte einpacken, wenn er einmal zu dribbeln begonnen hatte. In der buchstäblich letzten Sekunde wetzte Daisuke zwischen zwei Grünen hindurch, und warf sich nach vorn, um Ken den Ball vor der Nase wegzukicken. Da Ken im selben Moment ebenfalls nach dem Ball trat, fuhr Daisuke’s Schuh an Ken’s Schienbein entlang, und riß es auf. Die Jungen stolperten, und in einem verzweifelten Versuch sich aneinander festzuhalten, landeten sie beide im Gras. “Gomen!“ Ungeschickt versuchte Daisuke den Knäuel aus Armen und Beinen zu entwirren, um seine eigenen wiederzufinden. Ihm war leicht schwindelig, er wußte nicht, ob es von dem Sturz herrührte, oder von dem warmen, schweißnassen Körper, der sich unter ihm herauszuwinden versuchte. Heißer Atem strich über sein Gesicht, und ein unbekanntes Prickeln breitete sich in seinem Bauch aus, als sein Blut plötzlich schneller durch seine Adern zu kreisen schien. Der Geruch von verschwitzten Haaren stieg ihm in die Nase, und er schloß für einen winzigen Moment die Augen, als er sich nach vorn lehnte, um den Duft in vollen Zügen einzuatmen. Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als er sie wieder öffnete. Ihre Gesichter waren sich so nahe gekommen, daß die Wangen sich beinahe berührten. Dunkelviolette Augen blickten ihn an, wie aus einem Traum erwacht. Der schrille Pfiff des Schiedsrichters riß Daisuke abrupt in die Wirklichkeit zurück, und ihm wurde klar, daß nicht mehr als ein paar Sekunden vergangen sein konnten. Vorsichtig, um Ken nicht weh zu tun, rollte er sich zur Seite und stand auf. Er streckte die Hand aus, um auch Ken hochzuhelfen, dessen verletztes Bein blutete. “Das war Foul!“ Zwei andere Tamachi Spieler drängten sich dazwischen, und zogen ihren Teamkameraden vom Boden hoch. “Du hast Ichijouji-kun mit Absicht getreten!“ “Er hat den Ball getreten, nicht meinen Fuß.“ Ohne Daisuke weiter zu beachten, wandte sich Ken an den Schiedsrichter, um das Mißverständnis aufzuklären. Der nickte dazu und erklärte das Spiel für beendet. Merkwürdigerweise waren es die Sieger, die lange Gesichter zogen. “Du hast uns soeben um einen Elfmeter gebracht,“ murrte einer der Tamachi Spieler, den Ken’s Aussage nicht gerade zu begeistern schien. Ken schien das allerdings herzlich wenig zu beeindrucken “Man muß ein Spiel doch mit eigener Leistung gewinnen und nicht mit billigen Tricks,“ hörte Daisuke ihn noch sagen, bevor er mit den anderen zur Bank zurückkehrte. Amüsiert grinste er in sich hinein. Woher kam ihm dieser Satz nur so verdammt bekannt vor? Wie es schien, war da jemand auf seiner Wellenlänge. Er reckte den Hals und spähte zur anderen Bank hinüber, wo der Coach gerade dabei war, Ken einen Verband anzulegen. Ganz so harmlos, wie Ken getan hatte, war die Verletzung wohl doch nicht. Hoffentlich würde er nicht die nächsten Tamachi Spiele aussetzen müssen. Entschlossen stand er auf. Sich für den Vorfall entschuldigen, war das mindeste, was er tun konnte. “Alles in Ordnung mit dir?“ “Paßt schon.“ Ken schien ziemlich perplex, als Daisuke auf einmal vor ihm stand. Bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen, fügte er hinzu: “Du hast einen ziemlichen Kick drauf... Motomiya Daisuke-kun, das war‘s doch, oder?“ “Hai.“ stammelte Daisuke. Unglaublich, der Typ hatte sich doch tatsächlich seinen Namen gemerkt. Er kämpfte noch gegen die aufsteigende Röte in seinem Gesicht, als sein Gegenüber die Hand ausstreckte. “Ichijouji Ken.“ “Yoroshiku na.“ Als sie die Hände schüttelten stieg ihm plötzlich wieder der Duft von Ken’s Haaren in die Nase. Er versuchte seine Verlegenheit zu überspielen, indem er einfach weiter redete: “Und du dribbelst wie ein Weltmeister.“ Ken lächelte und diesmal lächelten die Augen mit. “Hab‘ ja auch vor, es zu werden. Weltmeister, meine ich.“ “Cool. Dann werden wir in ungefähr zehn Jahren in derselben Mannschaft spielen.“ Erschrocken bemerkte Daisuke, daß er immer noch Ken’s Hand festhielt und der andere Junge bisher keinen Versuch gemacht hatte, sie zurückzuziehen. Verlegen ließ er sie los. “Na ja, dann will ich mal wieder... “ Mit einem Kopfnicken deutete er zu seinen Teamkameraden. “Hast du Bock, nachher noch ein bißchen Ball zu kicken? Oder hat es dir schon gereicht?“ fragte Ken mit einem herausfordernden Unterton in der Stimme. Daisuke sah ihn entsetzt an “Bist du verrückt? Mit deiner Verletzung?“ “Wenn ich mit links spiele, hast du zumindest den Hauch einer Chance.“ Frech grinste Ken ihn an. “Hey, ich lass‘ mich doch von dir nicht ärgern, also los!“ Daisuke grinste ebenso frech zurück. “Muß nur schnell ein paar Leuten Bescheid sagen.“ Er wetzte die Zuschauertribüne hoch und hielt nach seinen Freunden Ausschau. Sie saßen nicht mehr auf ihren Plätzen, sondern waren irgendwo in der Menge verschwunden. Endlich gelang es ihm in dem Durcheinander aus Spielern und Zuschauern Taichi zu erspähen, der schon wieder bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Sprücheklopfen war. Gerade schilderte er zwei andächtig lauschenden Spielern in leuchtenden Farben, wie er beim letzten Game gegen Kawada in letzter Sekunde das Siegestor geschossen hatte. Nur zu schade, daß Daisuke genau wußte, daß Odaiba das Spiel verloren hatte. “Daisuke-kun, wo hast du so lange gesteckt? Geh’n wir den Rest einsammeln, wir haben alle mächtig Kohldampf!“ “Ich komm‘ nicht mit zum Essen, Sempai, ich geh‘ noch mit...“ “Daisuke-kun! Matte yo!“ Eine kreischende Miyako versuchte sich, heftig mit den Armen wedelnd, durch die Menge zu drängeln. Zweifellos hatte sie seine Unterhaltung mit Ken beobachtet, und wollte jetzt mit ihm bekannt gemacht werden. “Ja mata, Taichi-sempai!“ Daisuke nahm Reißaus. Unten am Spielfeld war Ken inzwischen von einer Mädchenhorde umringt worden. “Nein, ich geb‘ keine Autogramme, aus Prinzip nicht,“ erklärte er seinen enttäuschten Fans. “Nein, ich hab‘ keine Zeit für eine Freundin, viel zuviel zu tun.“ Er fing Daisuke’s Blick auf und rollte vielsagend mit den Augen. Daisuke grinste ihn nur hämisch an und machte das V-Zeichen, worauf Ken die Hand zu einer Faust ballte und sie in Daisuke’s Richtung schüttelte. “Ach, du meine Güte!“ Miyako war neben ihm aufgetaucht und stieß einen Seufzer nach dem anderen aus, als sie die vielen Mädchen sah. “Wie in aller Welt, soll ich ihn bei dem Haufen dazu kriegen, mich zu bemerken? Wenn ich jetzt da runtergehe, falle ich ja überhaupt nicht auf!“ jammerte sie. “Was soll ich nur machen, es ist wirklich ganz und gar hoffnungslos!“ Daisuke verzog das Gesicht zu einem Grinsen. “So ein Pech aber auch.“ Um schneller nach unten zu kommen, hüpfte er über die Zuschauerbänke und jagte wie vom wilden Affen gebissen mitten in die Mädchenschar, die kreischend auseinanderstob. “Ichijouji-kun, warum hast du dein Handy ausgeschaltet, deine Mutter versucht seit Stunden, dich zu erreichen, deine Katze hat Durchfall, und dein Wellensittich auch und vielleicht auch noch BSE und muß in die Klinik, und du sollst sofort nach Hause kommen, es ist ein absoluter Notfall...“ Ohne seinen Redeschwall zu unterbrechen, packte er Ken an der Hand und sie wetzten an den verblüfften Gesichtern vorbei, übers Spielfeld zum Hinterausgang des Stadions. Irgendwo, weit entfernt glaubte er noch Miyako fluchen zu hören. “Dein Wellensittich hat BSE? Was Blöderes konnte dir wohl nicht einfallen,“ prustete Ken los, als sie übers Feld rannten. “Hat aber funktioniert, du Genie!“ kicherte Daisuke zurück. “Oh Mann, hast du die Gesichter von den Hühnern geseh‘n, echt zum Schreien.“ Allein der Gedanke daran, trieb ihm noch die Lachtränen in die Augen. Beide Jungs drückten inzwischen die Hände in die Seiten, das Seitenstechen kam aber wohl eher vom Lachen, als von ihrem kurzen Sprint. Das bißchen Laufen konnte sie nicht außer Atem bringen. “Abgeschlossen!“ Ken hatte als erster den Ausgang erreicht. “Und jetzt?“ “Weiter am Zaun entlang, gleich kommt eine Stelle, da können wir untendurch krabbeln!“ Normalerweise hätte Daisuke vorgeschlagen, über das Tor zu klettern, mit Hilfe einer Räuberleiter wäre das sicher kein Problem gewesen. Aber da Ken diesen Vorschlag nicht selbst gebracht hatte, würde sein verletztes Bein vermutlich nicht mitspielen und Daisuke wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen. “Du bist einfach total bescheuert!“ Fassungslos schüttelte Ken den Kopf, und folgte Daisuke unter dem Zaun hindurch. Anschließend schlüpften sie durch die dahinterliegende Hecke und krochen einige Meter durchs Dickicht. “Ich kann gar nicht glauben, daß ich so etwas tue.“ Das Dickicht endete an einem schmalen Kiesweg, der sich zwischen Büschen und Bäumen hindurchschlängelte. Sie befanden sich mitten im Wald, genauer gesagt, in einem Waldstreifen, am Rand des Odaiba Parks. Sonnenlicht funkelte durch die hohen Baumkronen und malte geheimnisvolle Muster auf den Boden. Menschen waren keine zu sehen, oder zu hören, das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach, waren die Rufe der Vögel und dann und wann ein Rascheln im Unterholz. Unglaublich, daß es so einen Ort mitten in der Stadt geben konnte Ken sah sich um. “Ich meine, was machen wir hier überhaupt?“ “Du bist ja überall dreckig, Ichijouji-kun!“ zog Daisuke ihn auf. “Keiner hört einem zu, der überall dreckig ist.“ Daisuke hüpfte auf das hölzerne Geländer, das am Wegrand entlanglief und turnte darauf herum. “Deine Mutter würde einen Tobsuchtsanfall kriegen, und dich bei lebendigem Leibe in die Waschmaschine stecken.“. “Schau dich erstmal selber an, siehst aus wie ein Waldschrat.“ Ken setzte sich auf das Geländer, und verzog leicht das Gesicht, als er sein verletztes Bein ausstreckte. “Häh? Ein was?“ Verständnislos sah Daisuke ihn an. Als er versuchte, über Ken zu steigen, um weiter zu balancieren, verlor er das Gleichgewicht und plumpste etwas unsanft ins Gras. “Na, ein Waldschrat. So eine Art Troll, der im Wald lebt.“ Ken streckte die Hand aus, und zog Daisuke hoch. “Du siehst aus wie einer, weil deine Haare voller Blätter und Zweigstückchen sind. Die müssen hängengeblieben sein, als wir durchs Dickicht gekrochen sind.“ “Machst du sie mir raus, ja?“ Daisuke hockte sich zu Ken aufs Geländer und Ken fing an die Blätter herauszuplücken. ‘Das müssen aber viele sein‘, überlegte Daisuke, aber er hielt weiter still, es war einfach zu angenehm. Er schloß genießerisch die Augen und lehnte den Rücken an Ken’s Brust. “Du machst das wohl nicht oft, wie?“ “Was denn?“ Ken schien ein ganz besonders hartnäckiges Zweigstückchen hinter Daisuke’s rechtem Ohr entdeckt zu haben. “Durchs Dickicht kriechen. Oder unter Zäunen durch. Einfach mal abhauen und irgendeinen Blödsinn machen. Oder auch einfach mal überhaupt gar nichts.“ “Eigentlich nicht, nein.“ Ken’s linke Hand durchforstete weiterhin Daisuke’s Haare, während die rechte über seine Wange streichelte und schließlich auf dem Kinn liegenblieb. “Ich hab‘ immer sehr viel zu tun, muß lernen und so. Da bleibt keine Zeit für kindische Spiele.“ “Kindische Spiele? Aber du bist doch ein Kind!“ Daisuke legte den Kopf weit in den Nacken zurück, um Ken ins Gesicht sehen zu können. “Schon.“ Ken nutzte die Gelegenheit, ihn unterm Kinn zu kraulen. “Als ich noch klein war, hab‘ ich mir oft vorgestellt, ich könnte irgendwohin gehen, wo mir keiner sagen kann, was ich zu tun, oder zu lassen habe. In eine ganz andere Welt eben.“ Seine Finger glitten über Daisuke’s Kehle. “Wo ich die Regeln mache, und immer alles tun kann, was ich will und wozu ich Lust habe.“ Daisuke strahlte ihn an, und rieb den Kopf an seiner Schulter. “Wenn ich alles tun könnte, wozu ich Lust habe, würd‘ ich wahrscheinlich den ganzen Tag Fußball spielen. Und essen.“ Er schluckte, als sich auch die zweite Hand auf seinen Hals legte. “Und nie wieder Proben schreiben. Und vielleicht...“ Er dachte an Hikari, und stellte überrascht fest, daß es gar nicht mehr weh tat. “So etwas würdest du tun?“ Ken’s Hände verharrten in der Bewegung. “Und dann wärst du glücklich? Ich muß schon sagen, so jemand wie du, ist mir noch nicht unter die Augen gekommen!“ Er ließ Daisuke’s Hals los. “Wenn wir uns schon früher begegnet wären, vielleicht wäre dann... “ Er brach ab und senkte den Kopf. “Was ist denn bitte an mir so ungewöhnlich?“ Jetzt war es an Daisuke, sich zu wundern. “Ich bin doch nur ein ganz normaler Junge! Bin auch kein Genie oder sowas.“ Er verdrehte die Augen. “Du solltest mal meine Noten sehen! Das einzige Fach, wo ich wirklich gut bin, ist Sport. Meine Mutter sagt immer, wenn ich groß bin, werd‘ ich entweder Fußballprofi oder Straßenkehrer.“ Er sprang auf, das ganze Stillsitzen war ihm zuviel geworden. “Wenn’s deinem Bein wieder gut geht, müssen wir mal zusammen trainieren, wie du’s vorgeschlagen hast.“ “Mal sehen.“ Ken starrte immer noch zu Boden, während Daisuke zwischen Boden und Geländer hin- und her hüpfte. “Ich wollte auch Fußballprofi werden, als ich noch kleiner war. Fußball war das einzige, was mein Bruder nicht...“ “Du hast einen Bruder?“ fragte Daisuke, als Ken nicht weitersprach. “Cool! Ich hab‘ nur ‘ne Schwester, sie ist eine schreckliche Nervensäge.“ “Hatte. Ist ‘ne lange Geschichte, aber ich muß jetzt wirklich geh’n. Wenn wir in dieser Richtung weitergehen und uns rechts halten, müßten wir doch wieder zum Parkplatz zurückkommen, oder?“ Daisuke hakte nicht weiter nach, er war zwar furchtbar neugierig, hatte aber gemerkt, daß Ken das Thema unangenehm war. So redeten sie lieber über die letzten japanischen Meisterschaften und debattierten lang und breit darüber, wer wann welche Torchance verhauen hatte. Als nächstes war die Vorrunde für die WM an der Reihe. “Hast du am Donnerstag das Match gegen die USA gesehen?“ wollte Daisuke wissen. “Izumi hat wieder gespielt wie der letzte Mensch!“ “Sie waren alle reichlich mies, hatten schon aufgegeben. Manchmal merkt man relativ schnell, welche Mannschaft im Vorteil ist und das kann die Moral der Spieler ziemlich untergraben!“ Fast automatisch mußte Daisuke an das Spiel vom Nachmittag denken. Gerade gegen Ende hatte bei einigen seiner Teamkameraden der Kampfgeist merklich nachgelassen. “Wenn man glaubt, daß das Spiel verloren ist, gibt man oft viel zu schnell auf,“ stimmte er Ken zu. “Du nicht!“ Ken lächelte, obwohl seine Augen ernst blieben. “Du hast permanent versucht, mir in die Quere zu kommen, wieder und immer wieder, obwohl ihr schon längst verloren hattet. Du bist ein gefährlicher Gegner, Motomiya-kun, weil du zu den Menschen gehörst, die nie aufgeben, ganz egal, wie schlecht ihre Chancen stehen.“ Sein Blick fiel auf den Anhänger an Daisuke’s Handgelenk. “Und du scheinst auf dein Glück zu vertrauen. Gib‘ nur acht, daß es dich nicht eines Tages im Stich läßt!“ Sie hatten das Ende des Parks erreicht und standen wieder vor dem Stadion. Durch die Hecke konnte er den Parkplatz erkennen, wo die Tamachi Spieler gerade dabei waren, in ihren Bus einzusteigen. Es waren jetzt weniger als vorhin, vielleicht wurden einige von ihren Eltern abgeholt. “Ken-kun!“ Ungeschickt löste Daisuke das Band von seinem Handgelenk. “Ich will‘s dir schenken!“ Ken zog überrascht die Augenbrauen hoch. “Was soll ich damit?“ Etwas herablassend sah er auf das Amulett in Daisuke’s ausgestreckter Hand. “Vielleicht wird es dir Glück bringen!“ Verlegen senkte Daisuke den Blick, und eine leichte Röte überzog seine Wangen. “Irgendwie glaub‘ ich nämlich, daß du das brauchen kannst.“ Etwas unbeholfen suchte er nach den richtigen Worten. “Glück, mein‘ ich! Du bist zwar ein Genie und ein Supersportler, hast Fans und massig Kohle, aber du bist nicht glücklich. Du bist traurig. Und sehr einsam.“ Lange Zeit gab Ken ihm keine Antwort, ihm schienen die Worte zu fehlen. Er machte einen Versuch, nach dem Amulett zu greifen, ließ die Hand aber wieder sinken, als sie zu zittern begann. Als Daisuke sie jedoch festhielt, zog er sie nicht zurück. “Du weißt doch überhaupt nicht, wovon du redest,“ brachte er heraus, “du kennst mich doch überhaupt nicht. Wenn du wüßtest, wer ich wirklich bin, würdest du...“ Er sah zu Boden und umklammerte Daisuke’s Hand fester. “Warum redest du nicht weiter?“ wollte Daisuke wissen. “Du brichst immer die Sätze ab und redest sie nicht zu Ende. Hast du Angst davor, zuviel über dich zu verraten?“ Er machte noch einen Schritt auf Ken zu, sie standen jetzt genau voreinander. “Angst, daß dir jemand zu nahe kommt?“ Ken wich ihm nicht aus. Er zog seine Hand nicht zurück, und als Daisuke mit der anderen sein Kinn anhob, um ihm in die Augen zu sehen, machte er keinen Versuch den Kopf wegzudrehen. “Eine Freundin von mir hat gesagt, ich soll dir den von ihr geben,“ flüsterte Daisuke. “Also nicht, daß du jetzt was Falsches denkst.“ Er schloß die Augen und drückte Ken einen schnellen Kuß auf die Wange. “Wenn das so ist, dann... dann solltest du ihr einen von mir wiedergeben.“ Seine Lippen fühlten sich ganz warm an. Feucht. Schmeckten gut. Und seine Nase drückte an der Wange. Und das Prickeln war wieder da. Im Bauch. “Sayonara, Motomiya Daisuke-kun!“ Er drehte sich um, und ging mit schnellen Schritten um die Hecke herum zum Parkplatz. Von seinen Fingern baumelte die Schnur des Anhängers. “Sayonara,“ sagte Daisuke, aber er glaubte nicht, daß Ken es noch gehört hatte. Das Stadion war nahezu leer, nur wenige Leute kamen ihm noch entgegen. Taichi und die anderen warteten am Eingang, sie hielten Tüten und Plastikbecher in den Händen. “Is noch wasch da,“ nuschelte Taichi, der sich gerade zwei Sushi auf einmal in den Mund gesteckt hatte. “Falsch du auch Hunger hascht!“ “Gib ihm nix!“ fauchte Miyako. “Pack ihn lieber und schmeiß ihn an die Wand!“ Vorsichtshalber flatterte Poromon ein bißchen weg von ihr, wahrscheinlich befürchtete er, als Ersatz herhalten zu müssen. Hikari und Takeru grinsten sich an, während Miyako Daisuke mit bösen Blicken bedachte. Während des Heimwegs redete sie minutenlang kein Wort mit ihm, bis schließlich die Neugier über die Wut siegte. “Nachdem du schon so einfach mit ihm abgehauen bist, könntest du mir wenigstens erzählen, was für ein Mensch er ist. Hat er schon eine Freundin? Was mag er an Mädchen und was nicht?“ “Über so einen Blödsinn haben wir überhaupt nicht geredet!“ Angeberisch legte Daisuke die Hände in den Nacken und Chibimon klammerte sich an seiner Fliegerbrille fest, damit es nicht von seinem Kopf fiel, auf dem es, wie üblich, hockte. “Wir haben... ach, eigentlich geht es dich gar nix an.“ Miyako stemmte die Hände in die Hüften. “Geht mich sehr wohl etwas an, schließlich hab‘ ich mich zuerst in ihn verliebt und darum hab’ ich auch die älteren Rechte. Laß die Finger von meinem Ken-chan!“ “Erstens ist er nicht dein Ken-chan, und zweitens bist du total bescheuert! Ich verlieb’ mich doch nicht in einen Jungen!“ “Pfff, mir kannst du gar nix erzählen, hab’ doch geseh’n wie du ihn angeschmachtet hast! Von heute an bist du nicht mehr mein Freund, sondern Konkurrenz!“ Sie streckte den Zeigefinger in die Höhe und setzte ihren Oberlehrerblick auf. “Du bist, wie nennt Mimi-Onee-sama das immer?... Sexual Competition!“ “Ach, du hast sie doch nicht mehr alle!“ Normalerweise stritt sich Daisuke lange und ausgiebig mit Miyako, es war sogar eine Art Lieblingsbeschäftigung der beiden. Heute jedoch war er froh, als er daheim in seinem Zimmer war und ihr Gekreische nicht mehr hören mußte. “So ein Blödsinn,“ murmelte er immer noch, als er das Licht ausschaltete und es sich unter seiner Bettdecke bequem machte. “Ich bin doch nicht verliebt.“ “Nicht?“ Chibimon hüpfte auf dem Kopfkissen Trampolin. “Wieso nicht?“ “Na, weil er ein Junge ist und ich au... autsch.“ Daisuke zuckte zusammen, als Chibimon versehentlich seinen Kopf erwischte. “Und Jungen verlieben sich nicht in Jungen, jedenfalls nicht in echt. In den bescheuerten Manga von meiner bescheuerten Schwester, wo alle fünf Seiten einer ins Koma fällt, natürlich schon.“ Er schnappte sich das zappelnde Digimon und nahm es in den Arm. “O-yasumi nasai.“ Chibimon schmiegte sich an seine Schulter und fing an zu schnarchen. Bei Daisuke dauerte es noch ein bißchen, bis er einschlafen konnte. Es war ein langer und ereignisreicher Tag gewesen. Seltsam, daß er sich so gut fühlte, obwohl sie das Spiel verloren hatten. Und obwohl seine Illusionen in Bezug auf Hikari geplatzt waren. Vielleicht... Ken’s Bild stieg vor seinem inneren Auge auf, der Geruch seiner Haare, der Geschmack seiner Lippen. Die Melancholie in seinem Blick. Bestimmt hatte er irgendein Geheimnis. Aber was konnte es sein? Daisuke rollte sich auf die andere Seite. ‘Wenn ich es heut‘ nicht rauskriegen kann, dann morgen ganz sicher.‘ Tsuzuku... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)