Cassie von abgemeldet (Verrücktes Internatsleben (abgeschlossen!)) ================================================================================ Kapitel 8: Lügner! ------------------ So, hier also das achte Kapitel. Ich bin ziemlich stolz auf mich, dass ich das so schnell hingekriegt habe. Zumal ich einige Szenen sehr schwer zu schreiben fand und zwischendurch immer mal wieder völlig verzweifelt bin! Na ja, hoffe, es gefällt euch einigermaßen und ihr sagt mir eure Meinung. Ach ja, außerdem hab ich in den Charakterbeschreibungen eine Skizze vom Internatsgelände und der Zimmer hinzugefügt. Ich weiß, bisher war es sehr undurchsichtig, wie es dort aussieht und vielleicht widerspricht sich jetzt irgendwas, deshalb überarbeite ich auch noch mal alle Kapitel^^ Viel Spaß! blabla = Erinnerungen Kapitel 8 - Lügner! Es war sinnlos. Mit diesem Gedanken rollte sich Cassie aus dem Bett und tapste auf ihren Schrank zu. Es war früh am Morgen. Der Morgen danach, um genau zu sein, und sie hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan. Wieso? Tja, da konnte das Mädchen nur raten. Vielleicht weil Patrick, ja, ihr großer Bruder Patrick, der sich sonst nicht für sie interessierte, zu ihr gekommen war, um mit ihr zu reden. Ja, er hatte Reden gesagt, meinte aber offensichtlich, sie total zur Schnecke machen, wie Cassie schon sehr bald herausfinden musste. Es waren Sätze gefallen wie: "Wie konntest du Jessica so etwas antun?" und "Sie hat dir doch vertraut!" oder "Weißt du, wie sie sich jetzt fühlt?" Natürlich musste man ihm zugute halten, dass er, bevor er mit der Predigt loslegte, erst einmal mitfühlend gefragt hatte, wie es ihr ging. Den Kuss zwischen ihr und Nick hatte er aber mit keinem Wort erwähnt. Meinte nur, sie hätte Freitagabend so schlecht ausgesehen und Aaron hätte gemeint, ihr ginge es irgendwie nicht gut. Ja, sicher... Cassie wusste ganz genau, dass er log. Dass Nick, oder viel wahrscheinlicher Raphael, alles ausgeplaudert hatte, er aber wohl keine Lust hatte, mit seiner kleinen Schwester über solch intime Themen zu sprechen. Na, wer konnte es ihm verübeln? Cassie jedenfalls nicht, hatte sie doch selbst auch nicht die geringste Lust, ihre Probleme gerade mit Patrick zu bequatschen. Und so war der Junge recht schnell dazu übergegangen, ihr Vorwürfe bezüglich Jessica zu machen. Erst war Cassie vollkommen perplex gewesen. Patrick und Jessie? Woher kannten die sich denn? Bis ihr wieder eingefallen war, was Aaron ihr erzählt hatte. //"Wir haben Jessie getroffen, sah echt nicht gut aus. Patrick ist bei ihr geblieben, will sie trösten oder so."// Jaaaaa...ganz toll. Verschwört euch doch gegen mich, alle zusammen. Los, macht doch! Es war ihrer Geduld auch nicht wirklich förderlich gewesen, dass besagtes Gespräch in der zweiten Pause, also nur anderthalb Stunden nach...ja, wie sollte man es nennen...Streit? Auseinandersetzung?, na ja, jedenfalls nach der Sache mit Nick stattfand. Cassie war noch immer völlig verwirrt gewesen. Hatte die Blicke der Mitschüler ertragen müssen und, was noch schlimmer war, die Fragen von Gil. Doch sie hatte nichts gesagt, nur, dass sie sich mal wieder mit Nick gezofft hätte, wie üblich eben, und die Freundin hatte daraufhin geschwiegen. Auch Aaron hatte versucht, mit ihr zu reden, denn anscheinend hatte auch er, wie der Rest der Schule, die Szene in der Pausenhalle mitbekommen. Doch sein Vorhaben, den mitfühlenden Zwillingsbruder zu spielen, hatte Cassie schon im Keim erstickt, indem sie ihn einfach ignoriert hatte. Kindisch...aber wirksam. Na ja, jedenfalls war das Mädchen in nicht wirklich guter Verfassung gewesen, als Patrick sie in der letzten Ecke der Pausenhalle aufgestöbert hatte und verlor dementsprechend schnell die Nerven. Also hatte sie begonnen, auch ihn anzuschreien. Patrick jedoch war nicht Nick, schrie weder zurück noch versuchte, sie zu beruhigen, sondern ließ sie einfach sitzen. Natürlich nicht, ohne ihr noch ein: "Mit dir kann man ja nicht reden" an den Kopf zu werfen. Ja, das war eine Sache, weswegen das Mädchen die Nacht keine Ruhe gefunden hatte. Und dann war da noch - blöde Frage - natürlich Nick. Immer, wenn sie versucht hatte, sich zu beruhigen um doch ein bisschen Schlaf zu finden, war er vor ihrem inneren Augen aufgetaucht. Sein Gesicht war so blass gewesen. Die blaugrünen Augen...so groß...so verwirrt... Dabei waren diese Bilder alles, was sie in diesem Moment garantiert nicht sehen wollte, nicht ihn, nicht schon wieder! Und auch jetzt, während sie müde ihren Schrank durchforstete, kam ihr alles, was er auf der Mädchentoilette zu ihr gesagt hatte, noch einmal in den Sinn. //Ich habe niemals ein Mädchen vergewaltigt...// Das wusste sie doch selber... Ja, gestern, da war sie so schrecklich aufgewühlt gewesen, dass sie daran gezweifelt hatte. Doch im Grunde wusste sie es besser. Nick würde so etwas niemals tun, so war er einfach nicht. //Ich habe dich nicht aus Berechnung geküsst...// Nein? //Ich hab mir Sorgen gemacht, weil du so apathisch warst und dann ist es eben passiert...// Aber wie kann so etwas einfach passieren, schon zum zweiten Mal? //Es tut mir leid...// Warum? //Es läuft nichts zwischen mir und Tatjana...// Und das? Wieso hatte er das gesagt? Was zwischen ihm und der Barbie lief, ging Cassie doch gar nichts an. Und doch...irgendwie war es besser. Der Gedanke, dass der Kuss ihm vielleicht doch nicht so egal gewesen war, dass er keinen halben Tag später schon mit einer anderen rumgemacht hatte, fühlte sich...na ja...gut an. //Bitte glaub mir...// Wie gern sie das getan hätte. Wie gern sie einfach geantwortet hätte: "Ja, ich glaube dir", und damit den ganzen Streit, alles, was sie so sehr verwirrte, beendet hätte. Aber so einfach ging das nun mal nicht. Tatsache war, er hatte sie geküsst, sie dann nicht mehr angesehen und am nächsten Tag beim Frühstück mit Tatjana geflirtet, wie wohl das ganze restliche Wochenende. Schön, gestern in der Raucherecke war er nett gewesen, bis Pascal aufgetaucht war, doch dann hatte er sie zwingen wollen, ihm zuzuhören, hatte sie festgehalten, geküsst und schließlich sogar geschlagen. Und das Mädchen wusste ganz einfach nicht, wie sie damit umgehen sollte. Ach, zur Hölle mit dem Typ! Cassie gähnte und begann, sich anzuziehen. Sie hatte einfach die erstbesten Kleidungsstücke aus dem Schrank gezogen, unfähig, sich mit solch einer Nichtigkeit wie Mode noch länger zu beschäftigen. Also hatte das Mädchen drei Minuten später eine schwarze Jeans und ein weites, dunkelrotes Sweatshirt an. Endlich rang sich das Mädchen dazu durch, auf die Uhr zu sehen. 4:27 Toll. Einfach klasse, sogar die Zeit hatte sich gegen sie verschworen. Fehlte ja nur noch, dass es goss wie aus Kübeln oder Erdbeben angekündigt wurden. Cassie seufzte und nahm den Wecker mit in den Wohnraum, stellte ihn auf den Tisch und ging erstmal ins Bad. Gil wäre erst um fünf nach halb sieben dran, sie selbst erst um viertel nach. Tja, alles hatte seine positiven Seiten, jetzt konnte Cassie wenigstens in Ruhe Zähne putzen und sich waschen. Letzte Woche hatte sie ja kaum Zeit dafür gehabt, da sie die Letzte im Bad gewesen war. Katzenwäsche hatte reichen müssen und oft war sie ungeschminkt und ohne wirkliche Frisur zum Unterricht erschienen. Heute nicht... War auch besser, denn ein Blick in den Spiegel zeigte, dass schlaflose Nächte durchaus Spuren hinterließen. Beispielsweise blutleere Wangen, dunkle Schatten und viel zu kleine Augen. Doch mit Make-up, Mascara und ein bisschen Rouge bog Cassie ihr Aussehen wieder zurecht, dann kämmte sie noch schnell das lange blonde Haar durch und begab sich wieder in den Wohnraum. Sie warf einen Blick auf den Wecker. 4:52 Schön, eine halbe Stunde war totgeschlagen. Und jetzt? Cassie dachte an Frühstück, doch merkte, dass ihr auch Schlaflosigkeit nicht half, den Appetit wieder zu finden, also verließ sie lustlos das Zimmer. Vielleicht würde sie eine Runde Billard spielen gehen... Tatjana wusste nicht genau, wodurch sie aufgewacht war, doch Tatsache war: Sie konnte nicht mehr einschlafen. Seufzend drehte sie sich von Nick weg und griff nach seinem Wecker, der auf dem Nachtisch stand. 4:45 Sie seufzte noch einmal, stellte den Wecker wieder hin und wandte sich zu dem Jungen um, der neben ihr lag. Schön, Cassandra hatte es vielleicht geschafft, dass er sie küsste, aber immerhin war sie diejenige, die heute in seinem Bett aufwachte! Das Mädchen betrachtete ihren Freund, oder den Jungen, von dem sie hoffe, dass er es jetzt war und kuschelte sich wieder neben ihn. Nick lag halb auf dem Bauch, das Gesicht ihr zugewandt und war noch tief und fest am schlummern. Lächelnd streichelte Tatjana mit dem Zeigefinger über seine Wange, dann seinen Hals hinab und die nackte Schulter entlang. Der Junge gab ein genauso unwilliges wie müdes Knurren von sich und drehte dem Mädchen den Rücken zu. Tatjana grinste. Nick war also ein Morgenmuffel. Sanft wandte sie sich nun seinem Rücken zu, strich über das linke Schulterblatt und hauchte zarte Küsse darauf. In diesem Moment rollte der Junge sich wieder herum und blickte Tatjana direkt in die dunkelbraunen Augen. "Könntest du bitte damit aufhören?" Sein Tonfall war genervt und gleich nach dieser eindeutigen Abfuhr hatte das Mädchen wieder seinen Hinterkopf vor Augen. Sie presste enttäuscht die Lippen zusammen und kletterte aus dem Bett. Ihre Klamotten lagen auf dem Boden verstreut. Tatjana sammelte ihre Sache zusammen, kleidete sich an und verließ erst Nicks Schlafraum, dann das ganze Zimmer, ohne sich noch einmal umzusehen. Dieser Junge konnte nicht wirklich erwarten, dass sie sich so von ihm behandeln ließ! Tatjana blieb auf dem Flur stehen und atmete tief durch. Dann wandte sie sich nach rechts, in Richtung Treppe, um ihr eigenes Zimmer aufzusuchen, das eine Etage höher lag. Aber plötzlich hielt sie inne. Das Mädchen hatte aus den Augenwinkeln jemanden bemerkt und drehte den Kopf. Cassandra. Sie stand mitten auf dem Gang, war offensichtlich gerade dabei gewesen, ebenfalls auf die Treppe zuzusteuern, als Tatjana Nicks Zimmer verlassen hatte. Das schwarzhaarige Mädchen sah die Blondine offen an und bemerkte mit einem Stirnrunzeln, wie bleich es war. Verdammt, sie hatte es ja gewusst. Da lief doch was zwischen ihr und Nick. Es gab keine andere Erklärung, warum sollte sie sonst so geschockt aussehen, nur weil sie aus diesem Zimmer kam? Dabei hatte sie noch versucht zu glauben, der Kuss gestern wäre nicht mehr als ein Ausrutscher gewesen. Hatte Nick nicht gesagt, es war nicht einmal das, sondern vielmehr gar nichts? Tatjana schüttelte leicht den Kopf, ging dann auf Cassie zu und blickte ihr fest in die Augen. "Du hast die Wette gewonnen. Herzlichen Glückwunsch, das hätte ich nicht gedacht." Sie rang sich sogar zu einem kurzen Lächeln durch, doch das andere Mädchen reagierte nicht. Tatjana zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Wenn das mal keine Probleme gibt... Cassie stand da wie festgefroren. Sie sah Tatjana hinterher, wie sie erst den Gang entlang ging und schließlich die Treppe nach oben stieg. Ob sie wohl wusste, dass ihre Bluse falsch geknöpft war? Cassies Blick flog von der Tür, aus der das andere Mädchen gerade getreten war, zur Treppe und blieb schließlich am Teppichboden hängen. Er war dunkelrot, mit dieser Art Muster, wie sie es überall gab. Das war Cassie bisher noch nie aufgefallen. Langsam setzte sie ihren Weg fort, einen Schritt vor den anderen, wandte die Augen aber nicht vom Teppich ab. Es war doch so offensichtlich gewesen. Natürlich war es nur logisch, dass Nick sie angelogen hatte, wieso hätte er ihr die Wahrheit sagen sollen? Und Cassie hatte ihm ja nicht geglaubt, nein, sie war nicht auf ihn reingefallen, war sie nicht... In diesem Moment blieb das Mädchen stehen, ließ sich einfach auf die Knie fallen, schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Die Tränen flossen einfach und hörten nicht mehr auf. Cassie konnte nicht einmal einen exakten Grund dafür nennen. Es war nur...selten hatte sie sich so schlecht gefühlt wie in diesem Augenblick, selten war sie so...enttäuscht gewesen. Und selten war sie sich so alleine vorgekommen. Es war ein Gefühl, ein grausames Gefühl, welches dafür sorgte, dass ihr kalt und schlecht wurde und dass sie nicht mehr aufhören konnte, zu schluchzen. Cassie wünschte sich so sehr, dass genau jetzt jemand auftauchen würde und sie einfach in den Arm nahm. Egal wer. Wenn es Aaron wäre; sie hätte nichts dagegen. Selbst Nick... Nur irgendjemand, der ihr sagte, dass sie nicht allein war, dass sie nicht weinen bräuchte. Doch niemand kam... Cassie hatte keine Uhr und konnte somit auch nicht sagen, wie lange sie auf dem Flur gehockt und geweint hatte. Aber irgendwann war sie einfach leer. Sie hatte keine Energie, keine Tränen mehr übrig. Dafür wuchs die Wut. Wut auf Nick, diesen Idiot, dass er sie in eine solche Situation brachte. Dass er sie küsste, schlug und sie anlog, dass er überhaupt existierte und ihr Leben ruinierte! Cassie wusste, sie sollte damit aufhören. Sie sollte sich beruhigen, denn ihr Körper war am Ende. Durch die Schlaflosigkeit, durch den Heulkrampf. Doch das Mädchen wollte nicht, im Gegenteil. Die Wut, die schon beinahe an Hass grenzte und sich mit jeder Sekunde steigerte gab ihr neue Kraft, gab ihr in gewisser Hinsicht das Gefühl, doch nicht so schwach zu sein. Sie brauchte niemanden. Nicht ihre Brüder, von denen sich einer nicht mehr für sie interessierte und der andere ihr nur Vorwürfe machte, warum auch? Sie konnte ihr Leben ganz gut selbst regeln! Durch die neue Energie beflügelt, rappelte Cassie sich auf, wischte sich kurz über das Gesicht und stapfte dann entschlossen auf die Türe zu, die Tatjana kurz zuvor durchschritten hatte. Sie nahm keine Rücksicht darauf, ob sie zu laut war, es war ihr egal. Hinter sich schlug sie die Tür wieder zu, tastete sich im dunklen Wohnraum nach links und fand endlich die Klinke, nach der sie gesucht hatte. Wie sehr es doch von Vorteil war, dass man einen Bruder hatte, der in diesem Zimmer wohnte. Sonst hätte Cassie wohl ewig im Dunkeln nach Nicks Schlafraum suchen können. Aber so war es natürlich leichter. Cassie dachte erst gar nicht darüber nach, was sie tat, sie handelte ganz einfach nach ihrem Gefühl. Und ihr Gefühl sagte ganz deutlich: Tu etwas! Lass deine Wut raus! So kann es nicht weitergehen! Also öffnete das Mädchen Nicks Zimmertür, drückte sie hinter sich wieder zu, suchte den Lichtschalter an der Wand und drückte ihn. Kurz blinzelte sie, um sich an das kalte Licht zu gewöhnen, welches nun durch das Zimmer flutete. Dann ging sie mit großen Schritten auf das Bett zu, in dem Nick sich gerade umdrehte und verschlafen die Augen öffnete. Als er Cassie erkannte, richtete er sich verwirrt auf, fuhr sich durch das vom Schlafen verstrubbelte, schwarze Haar. Dann setzte er zum Sprechen an, doch in diesem Moment hatte das Mädchen das Bett schon erreicht und mit all der Kraft, die ihr ausgelaugter Körper noch übrig hatte, schlug sie dem Jungen ins Gesicht. "Du bist das Letzte, Nick", sagte das Mädchen mit ruhiger, jedoch merklich zitternder Stimme. Der Junge, dessen Kopf bei dem plötzlichen Schlag nach rechts geflogen war, sah sie nur fassungslos an. "Was-?" "Hast du mir nicht gestern noch gesagt, es würde nichts zwischen euch laufen?" Cassie trat ein paar Schritte zurück, sie musste Abstand von diesem Jungen gewinnen. Der jedoch schüttelte nur leicht den Kopf, schien mit der Situation vollkommen überfordert zu sein. "Wie kannst du mit Menschen nur so umgehen, wie kannst du?" Nick blinzelte, immer noch geschockt und nicht völlig klar im Kopf, doch dann gelang es ihm, eine Frage zu formulieren. "Warum hast du geweint?" Cassie hielt inne. Der besorgte Ausdruck in dem hübschen Gesicht des Jungen brachte sie völlig aus dem Konzept. Sie hatte ihn geohrfeigt, ihn runter gemacht, also warum fing er nicht einfach an, sie anzuschreien, warum stritt er nicht mit ihr? Wieso machte er es immer so schwer, wieso konnte dieser Junge nicht einmal das tun, was man von ihm erwartete? "Das geht dich überhaupt nichts an und es hat nichts mit dir zu tun, kapiert?" Die gefährliche Ruhe in Cassies Stimme wich Verzweiflung. Er sollte endlich damit aufhören! "Was ist passiert?", fragte Nick sanft. Er konnte es sich nicht erklären, aber er hatte Mitleid. Mitleid mit Cassie, die in diesem Moment so schrecklich hilflos und verloren wirkte, dass er ganz einfach über alles, was sie zuvor getan und gesagt hatte hinweg gehen konnte. Nick schlug die Decke zurück, das Mädchen vor seinem Bett nicht aus den Augen lassend, stand auf und stellte sich, nur in Boxershorts bekleidet, vor sie. Sachte streckte er die Hand aus, um ihr die Tränen aus dem Gesicht zu streichen. Cassie schlug seine Hand zurück. "Hör endlich auf damit, hör endlich auf!", schrie sie ihn an und er zuckte merklich zusammen. Schön, das war es. Cassie wollte seine Hilfe nicht. Gut, dann sollte sie eben das haben, was sie offensichtlich wollte, nämlich Streit. "Geht es um Tatjana?", fragte Nick und gab seiner Stimme mit Absicht einen genervten Unterton. Sollte Cassie nur weiterhin die Zicke spielen, bitte. Er hatte genug getan, er hatte sich wirklich Mühe gegeben, sowohl gestern als auch heute. Es reichte einfach. "Nein, es geht nicht um Tatjana! Es geht darum, dass du willst, dass man dir glaubt! Aber wie soll das gehen, wenn du sowieso immer nur lügst, Nick!?" Der Junge setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Moment wurde die Tür hinter Cassie aufgestoßen und Brandon, der Vierte, der in diesem Zimmer wohnte, lugte verschlafen herein. "Sagt mal, spinnt ihr? Hab ihr mal auf die Uhr gesehen? Es ist nicht mal halb sechs, also schreit gefälligst leiser, okay?" Cassie sah Brandon einen Moment lang an, dann blickte sie noch einmal zu Nick und stürmte schließlich aus dem Schlafraum, durch das Wohnzimmer und schlug schließlich die Türe hinter sich zu. Kaum war sie draußen, wischte sie sich mit der Hand abermals über die Augen, denn neue Tränen begannen, sich ihren Weg zu bahnen. Wie dumm sie doch war, sich auf eine Diskussion mit Nick einzulassen. Müsste sie nicht langsam wissen, dass das immer in einer völligen Katastrophe endete? Sie drehte sich um, wollte nun endlich von hier weg, doch da hörte sie das Öffnen einer Türe hinter sich. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Es war, als könnte sie den Blick der blaugrünen Augen auf ihrem Hinterkopf spüren. "Ich habe dir noch etwas zu sagen, bevor du wieder gehst und dich selbst bemitleidest", begann Nick zu ihrem Rücken zu sprechen und seine Stimme war entsetzlich kalt. "Du hast, weiß Gott, kein Recht, mir vorzuwerfen, ich würde lügen, Cassandra, denn du kennst mich nicht einmal annähernd. Du weißt nichts über mich, hast du verstanden, gar nichts. Du kannst nicht wissen, ob oder wann ich lüge, du kannst nicht wissen, ob oder wann ich was mit Tatjana habe oder hatte und, um ehrlich zu sein, es geht dich auch überhaupt nichts an." Cassie war, gelinde gesagt, geschockt, von diesem Tonfall. So abweisend, so verletzend. Ein Tonfall, dem das Mädchen absolut nichts entgegen zu setzen hatte und dennoch wollte sie nicht kampflos aufgeben. "Es geht mich etwas an, wenn du mir sagst, du hättest nichts mit ihr und ich sie am nächsten Morgen um kurz vor fünf aus deinem Zimmer kommen sehe." Cassie sagte dies mit gesenktem Kopf, ohne sich umzudrehen und so leise, dass der Junge hinter ihr Mühe hatte, es überhaupt zu verstehen. "So?" Nick ließ ein kleines, gefühlloses Lachen hören. "Und woher weißt du, dass sie bei mir gewesen ist? Es gibt noch drei andere Jungs in meinem Zimmer, schon vergessen?" Cassie antwortete nicht. "Hättest du vielleicht langsam die Güte, dich umzudrehen? Was ich zu sagen habe, würde ich dir lieber ins Gesicht sagen.“ Das Mädchen rührte sich keinen Zentimeter. Zu sehr war sie damit beschäftigt, gegen die neuen Tränen zu kämpfen und sich davon abzuhalten, einfach vor diesen schrecklich harten Worten davonzurennen. Das hinter ihr war nicht derselbe Mensch, wie der, der sie gestern so sanft gebeten hatte, ihm zu glauben. "Nein? Auch gut, ich werde es dir trotzdem sagen. Du hast Recht, Tatjana war heute Nacht bei mir. Und ich bereue es nicht." Cassie schloss die Augen. Die Tränen rannen ihr stumm über das Gesicht. "Siehst du! Du bist ein Lügner!" Mit diesen Worten wandte Cassie sich endlich um und sah den Jungen, der sich mittlerweile Jeans und T-Shirt übergezogen hatte, gequält an. Nicks Augen weitetet sich vor Schreck, als er das tränennasse Gesicht des Mädchens sah. "Ich habe nicht gelogen", murmelte er schließlich und nun war er es, der zu Boden sah. "Ich hatte nichts mit Tatjana - bis heute Nacht." Cassie schüttelte kurz den Kopf. "Ich glaube dir nicht...", meinte sie resigniert. Nick sah wieder auf, die Kälte in seinen Augen und in seiner Stimme war zurückgekehrt. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie egal mir das ist." Er musterte sie, dann fuhr er fort: "Ich weiß, du hältst dich immer noch für den Mittelpunkt des Universums, aber nicht jeden hier interessiert deine Meinung." Cassie schluckte. Warum tat er das, wieso war er so grausam, warum tat er ihr absichtlich weh? Sie zwang sich, noch ein letztes Mal in die blaugrünen Augen zu sehen. "Ich weiß, dass ich nicht der Mittelpunkt des Universums bin. Wie sollte ich so etwas auch denken, schließlich hab ich niemanden mehr außer Gil." Damit drehte sie sich um und setzte zum Gehen an. "Wieso überrascht mich das nicht, Cassandra?" Das Mädchen schnappte hörbar nach Luft, dann rannte sie los, während sie gepresst zu schluchzen anfing. Es war einfach zu viel...alles...er! Nicht eine Sekunde länger konnte sie seinen kalten Worten stand halten. Also hetzte sie über den dunkelroten Teppich, nahm die Kurve, hinter der die Treppe begann, als ihre Knie plötzlich nachgaben. Cassie fühlte sich so unendlich schwach und ihr war so schwindelig. Das Mädchen bekam kaum mit, dass sie fiel. Alles, was sie noch hörte war Nick, der ihren Namen schrie, und dann, als ihr Kopf das erste Mal auf die Stufen schlug, wurde alles schwarz. Nachdem sie weggelaufen war, hatte Nick nur dagestanden und Cassie emotionslos nachgesehen. Das heißt, äußerlich emotionslos, ja, doch innerlich war er aufgewühlter als das Mädchen, welches vor ihm die Flucht ergriff. Er nahm den Blick nicht von ihr, als sie den Flur entlang rannte, am letzten Zimmer des Ganges vorbei, auf die Stufen zu - und am Treppenabsatz plötzlich strauchelte. "Cassie!" Nick riss ungläubig die Augen auf, beobachtete, wie der Körper des Mädchens, der auf einmal völlig kraftlos erschien, den Halt verlor und aus seinem Blickfeld stürzte. Es erklang gedämpftes Poltern - dann war alles still. Nicks Atem ging flach, als er weiterhin entsetzt den Gang entlang starrte. Dann endlich rannte er los, sprang die Stufen hinunter und kam neben dem leblosen Körper zum Stehen. Cassie lag da, halb auf der Seite, Nick nur das Profil zugewandt. Verzweifelt fiel der Junge auf die Knie, drehte das Mädchen sanft auf den Rücken und bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Zärtlich strich er ihr das blonde Haar aus dem Gesicht. "Cassie...", murmelte er und erkannte in diesem Moment seine eigene Stimme nicht wieder. Er begann, sie vor und zurück zu wiegen, und war dabei völlig weggetreten. "Nick, was ist passiert?" Der Junge hörte die Stimme seines Mathelehrers, verstand auch dessen Worte, doch reagiert nicht. Er konnte nicht, er war doch damit beschäftigt, auf Cassie aufzupassen, damit ihr niemand so weh tun konnte, wie er es getan hatte. "Rufen Sie einen Krankenwagen!", forderte Herr Saeeda Frau Schmidt auf, die auch gerade sehr verschlafen aussehend die Treppe hinunter kam. "Und sorgen Sie dafür, dass alle oben bleiben!" Dann sah er wieder hinunter auf seinen Schüler. Einen Schüler, den er jetzt schon mehr als zwei Jahre kannte. Dem Lehrer jedoch war, als sehe er diesen Jungen heute das erste Mal. Betroffenheit machte sich in ihm breit, als ihm auffiel, wie schrecklich hilflos Nick wirkte. Der Kopf des Mädchens lag in seinem Schoss und seine rechte Hand strich ab und zu beruhigend und gleichzeitig irgendwie scheu über ihr blondes Haar. "Nick." Herr Saeeda ging in die Hocke und sah den Jungen an. "Sagen Sie mir, was passiert ist." Doch auch dieses Mal antwortete der Junge nicht. In diesem Augenblick kam Frau Schmidt wieder. "Der Krankenwagen ist unterwegs und es wird dafür gesorgt, dass keiner der Schüler runter-" "Cas!" Herr Saeeda sowie seine Kollegin wandten sich alarmiert um, als die beiden Brüder des Mädchens, sowie Gil die Treppe hinunter hetzten. Ihre beiden anderen Zimmergenossinnen, Jessica und Scarlett, blieben am Treppenabsatz stehen. Während die drei anderen, wie er selbst, neben dem ohnmächtigen Mädchen in die Knie gingen, wandte sich Herr Saeeda wieder Nick zu. "Haben Sie gehört, der Krankenwagen ist unterwegs. Sie können jetzt hoch gehen, ruhen Sie sich aus." Das hielt der Lehrer wirklich für besser, denn er hatte noch niemals einen Menschen gesehen, dessen Gesichtsfarbe so aschfahl war wie die des Schülers vor ihm. Und er begann sich Sorgen zu machen, dass sie möglicherweise bald zwei Bewusstlose haben würden. Doch Nick reagierte wieder nicht. Der Lehrer warf Frau Schmidt einen verzweifelten Blick zu, die jedoch zuckte nur ratlos mit den Schultern und kniete sich nun ebenfalls nieder um Gil zu beruhigen, der stummen Tränen der Verzweiflung über das Gesicht rannen. Es kamen noch zwei weitere Lehrkräfte, Frau Klimmberg und Herr Mehari die Treppe hinunter geeilt. Während der Deutsch- und Erdkundelehrer an ihnen vorbeilief, um draußen auf den Krankenwagen zu warten, kniete sich Frau Klimmberg neben Herr Saeeda. "Was ist passiert?", fragte sie leise, doch der Mathelehrer schüttelte nur den Kopf. Das hätte er auch gerne gewusst. Besorgt sah er in die Runde. Während Frau Schmidt inzwischen Gil im Arm hielt und ihr tröstend über den Rücken strich, saß Patrick einfach nur da und starrte seine Schwester an. Aaron hatte Cassandras Hand genommen und strich mechanisch darüber. Es schien den Jungen irgendwie zu beruhigen. Nick hingegen zitterte mittlerweile am ganzen Körper, die hellen Augen, die in dem blassen Gesicht unnatürlich groß wirkten unablässig auf das ebenfalls sehr farblos wirkende Mädchen gerichtet. In diesem Moment kehrte Herr Mehari schnellen Schrittes in die Halle zurück, zwei Männer mit weißen Hosen und orangeroten Jacken folgten ihm, eine Trage zwischen ihnen herschiebend. Frau Schmidt ging mit Gil zur Seite und Frau Klimmberg sorgte dafür, dass auch Patrick und Aaron nicht im Weg standen. Die beiden Männer vom Roten Kreuz knieten sich gerade neben Cassandra, doch bevor Herr Saeeda Nick auch nur dazu auffordern konnte, das Mädchen loszulassen, hatte der schwarzhaarige Junge sich auch schon vorsichtig erhoben, Cassandra auf den Armen, ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Dann legte er sie sanft auf die Trage und blickte auf das Mädchen hinab. "Kann ich mitfahren, ich bin ihr Bruder", fragte Aaron atemlos und einer der Männer nickte. Der Junge warf Patrick noch einen kurzen Blick zu, der nickte und ging dann zu Jessie, die auch zu schluchzen begonnen hatte und nahm sie in den Arm. Die Pfleger schoben die Trage auf die offen gelassenen Türen zu, Aaron war wieder dazu übergegangen, Cassandras Hand zu halten. "Ich komme später mit Patrick nach", rief Herr Saeeda Aaron noch zu, dann waren sie auch schon im Krankenwagen, der direkt vor dem Wohnhaus auf dem Gelände stand. Wie in Trance folgte Nick nach draußen. Er sah zu, wie die Trage mit Cassie darauf in den Krankenwagen geschoben wurde und Aaron und die beiden Rettungsassistenten hinterher stiegen. Dann wurden die Türen zugeklappt und der Wagen rollte langsam über das etwas holprige Gelände bis zum Tor, wo endlich die Strasse begann. Einen Moment später war er verschwunden. Nick stand noch einen Augenblick da, sah die leere, noch ziemlich dunkle Strasse hinunter, die nur von den Laternen erhellt wurde. Dann trat Herr Saeeda von hinten an ihn heran. "Komm rein, es bringt Cassandra nichts, wenn du dich hier draußen erkältest." Nick sah den Lehrer an. Die hellbraunen Augen wirkten müde und er entschied, Herr Saeeda nicht auch noch Probleme machen zu wollen. Also nickte der Junge, fuhr sich immer noch zitternd durch das schwarze Haar, dann übers Gesicht. Verblüfft sah er einen Moment später seine Hand an. Sie war feucht. Mit gerunzelter Stirn strich Nick sich wieder über die Wange. Tatsächlich. Er weinte. Also ich muss sagen, ich fand es teilweise echt schwer, Cassie und Nick das alles anzutun. Vielleicht könnt ihr ein bisschen nachvollziehen, was ich meine? Die beiden sind mir wirklich ans Herz gewachsen und ich will ihnen ja nicht weh tun ^^ Musste aber sein, sorry. Ich hoffe, ihr fandet das Kapitel nicht allzu schrecklich! Bye Eure Kendra Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)