Zum Inhalt der Seite

A complicated Lady

Das ungewöhnliche Leben der Anthea Cook (Teil 2: Antheas erste Jahre)
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 3

"Prinzessin Elisabeth ist in Whitehall!"
 

Liz stand aufgeregt in Antheas breitem Wohnzimmer und wedelte mit den Händen, während sie Betty von der Prinzessin erzählte.
 

"Sie ist die interessanteste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen habe, wie schade, dass du ihren Einzug verpasst hast..! Ihr Gefolge war viel bescheidener als das ihrer älteren Halbschwester, und ihr Kleid viel schlichter und eintöniger, aber dieses Haar...ich schwöre dir, die rotblonden Locken haben alles wettgemacht! Du hättest mal sehen sollen, wie ihre Augen gestrahlt haben, und wie verbindlich sie mit dem Volk umgegangen ist...Einige Male hat sie sogar ihr Pferd gezügelt, um einem kleinen Jungen in den Armen seiner Mutter über das Haar zu streicheln oder mit einem der Londoner Handwerker zu sprechen!! Am wundersamsten aber war diese königliche, elegante Haltung im Sattel... Gerade so, als stünde sie nicht an zweiter, sondern bereits an erster Stelle in der Thronfolge!"
 

Betty, welche in dem Regal über dem steinernen Kamin nach etwas kramte, schien der anderen gar nicht richtig zuzuhören, und nach einer Weile bemerkte auch Liz, dass sie nicht bei der Sache war.

"Nun mach dir doch nicht solche Sorgen, Betty, das Kind wird schon gesund werden..." versuchte sie die Gouvernante zu beruhigen.
 

Der Grund, warum Betty nicht mit Anthea nach London hatte gehen können, um Prinzessin Elisabeths Einzug zu verfolgen, war ein plötzliches Fieber, welches das knapp dreijährige Mädchen ergriffen hatte und das Betty seit den frühen Morgenstunden ihren letzten Nerv raubte.
 

"Du verstehst das einfach nicht!" gab sie nun aufgebracht zurück, während sie um den breiten Eichentisch herumging und sich das goldene Haar raufte. "Wenn sie nun ein junges Mädchen oder auch nur ein Kind von vielleicht sieben oder acht wäre...aber Anthea ist noch keine drei Jahre alt, für solch ein kleines, zartes Geschöpf kann die geringste erhöhte Temperatur den...den Tod bedeuten!" Sie schauderte über ihre eigenen Worte.
 

"Himmel, Betty...mal nicht den Teufel an die Wand, Warwick hat doch bereits den Arzt geholt, und du weißt, dass Dr. Bill gesagt hat, Anthea habe eine starke Natur!"

Betty schnaubte.

"Woher will er das wissen, he? So etwas kann man doch in ihrem Alter noch gar nicht feststellen..."

"Anscheinend schon." Liz trat ein paar Schritte auf ihre Freundin zu und nahm sie aufmunternd bei den Schultern. "Kopf hoch, Betty. Unsere kleine Lady wird es überstehen, ich bin ganz sicher. So ein liebreizendes Geschöpf lässt Gott nicht sterben, das wäre doch furchtbar ungerecht..." Und kopfschüttelnd reichte sie Betty ein Taschentuch, damit diese sich die Tränen aus dem Gesicht wischen konnte. "Sind Pauline und Marie-Claude bei ihr?"

Betty nickte.

"Ja, ich habe sie beauftragt, sich an das Bett zu setzen...oh, Liz, ich habe so schreckliche Angst!"

"Na, na, nun warte doch erst einmal ab. Es wendet sich gewiss alles zum Guten."
 

Gegen Abend traf ein schreckensbleicher Robert im Palais seines Vaters ein.

Warwick beauftragte sofort einen Diener, seinen jüngsten Sohn im Speisesalon zu bewirten, aber Robert schien nur eines im Kopf zu haben.

'

"Wo ist das Kind?" wollte er wissen, kaum dass sein Diener Philip ihm aus dem regennassen Umhang geholfen hatte.

Sein Vater wies mit dem Kopf auf einen langen Korridor, der neben den Treppenstufen abzweigte, und erwähnte die Tür am Ende jenes Ganges, hinter der die persönlichen Gemächer seines kleinen Mündels lagen. Dann starrte er Robert an, als habe dieser den Verstand verloren.

"Du willst doch nicht allen Ernstes das Kind besuchen? Sei doch vernünftig, Robert, am Ende steckt sie dich noch an und dann kannst du dir die Organisation des Jagdausfluges nach Southampton an den Hut stecken! Außerdem solltest du in den kommenden Wochen deine Gemahlin einmal wieder besuchen, und dafür ist es in jedem Falle erforderlich, dass du..."

Aber da war Robert schon in dem langen, von Pechfackeln erleuchteten Gang verschwunden und Warwicks weitere Worte verhallten ungehört.
 

Amy besuchen, dachte der junge Mann verstimmt, ausgerechnet jetzt, wo Elisabeth angekommen ist, Elisabeth...

Er hatte sie vor mehr als drei Jahren zuletzt gesehen, mittlerweile zählte sie siebzehneinhalb Jahre, und er fand, dass ihre große, schlanke Gestalt in den schlichten und doch eleganten Kleidern und das ernste, nachdenkliche Gesicht noch ein wenig anziehender geworden waren...

Außerdem scheint sie mich zu mögen, überlegte er, weshalb sonst hätte sie mich heute Nachmittag auf dem Ausritt Robin genannt, wie damals bei dem Ball in Hampton Court, als wir beide noch Kinder waren...
 

Es war das Letzte, was er dachte, bevor Liz, welche im Vorzimmer von Antheas Privatgemächern in einem Sessel saß und strickte, ihn in das angrenzende Wohn- und somit auch ins Schlafgemach des kleinen Mädchens ließ.

"Aber seid vorsichtig, Mylord, erschreckt ihre Zofen nicht und tretet nicht zu nah an sie heran, sie hat hohes Fieber und könnte Euch anstecken." flüsterte die Zofe beschwörend.

Robert tat ihren Rat mit einer Handbewegung ab. "Macht Euch keine Sorgen, Miss Thornton, ich habe die stabile Gesundheit meines Vaters geerbt, ein kleines Kind wird mich kaum anstecken können."
 

In Antheas Schlafzimmer angekommen, setzte er sich behutsam an das hohe Himmelbett und betrachtete lange und besorgt das kleine, bleiche Gesichtchen, das in den letzten Monaten seine pausbäckige Rundlichkeit verloren und sich in ein niedliches, schmales Antlitz verwandelt hatte, umbauscht von kleinen, mahagoniefarbenen Löckchen. Anthea hielt ihre Stoffpuppe im Arm und atmete leise und unregelmäßig. Die kleine Stirn glänzte, und Robert konnte nicht umhin, den mit Wasser getränkten Lappen aus der Schale auf Antheas Nachtkästchen zu nehmen und dem Kind vorsichtig den Schweiß vom Geischt zu tupfen.

"Arme, kleine Annie", wisperte er kopfschüttelnd. "Was machst du nur für Geschichten?"
 

Betty hatte das Zimmer betreten und beim Anblick des aufgelösten jungen Mannes am Bett des kranken Kindes ergriff die Erzieherin ein eigenartiges Gefühl, eine Mischung aus Rührung und vagen Zukunftsahnungen.

"Ach, Mylord, wie aufopferungsvoll von Euch, dass Ihr gekommen seid, extra wegen der kleinen Lady... das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen!"

Robert jedoch achtete nicht auf Bettys bescheidene Bemerkung.

"Was hat der Arzt gesagt?" erkundigte er sich, nachdem er aufgestanden war. "Wird sie gesund werden?"

Betty nickte.

"Dr. Bill meinte, sie sei auf dem besten Weg....das Fieber ist auf jeden Fall nicht weiter angestiegen. Wollt Ihr wirklich bleiben, bis sie es überstanden hat?"
 

Robert schüttelte den Kopf.

"Ich würde mich gerne solange hier einquatieren, aber meine Pflichten gegenüber seiner Majestät..."

Betty nickte energisch.

"Ich weiß, Ihr habt ein hohes Amt und eine Menge Arbeit. Nun, dann wünsche ich Euch viel Glück in Southampton...soweit ich weiß bricht der Hof morgen zu einem Jagdausflug dorthin auf...?"

"Ja, es...es ist eine Veranstaltung zu Ehren der Prinzessin." Und in diesem Augenblick war Robert froh, dass in dem dunklen Raum nur eine einzige, schwache Kerze tropfte und die junge Miss Worchester so die Röte nicht bemerkte, welche seine Wangen bei dem Gedanken an Elisabeth überzog.
 

Zur großen Erleichterung aller Zofen und Erzieherinnen sank Antheas Fieber recht rasch, und bereits Anfang April konnte das kleine Mädchen in den Garten des städtischen Palais laufen und jauchzend den hereinbrechenden Frühling begrüßen. Sie war wieder so vollständig gesund, dass Betty recht bald meinte, es habe ihre Krankheit nie gegeben.
 

Ein drückend heißer Sommer kam und verging wie im Fluge und wurde abgelöst durch einen milden Herbst mit nur wenig Regen.
 

Anfang November brach in den Regionen Südenglands das gefürchtete Schweißfieber aus. Die Menschen fielen wie die Fliegen der grauenvollen Seuche zum Opfer, und Antheas Zofen waren, wie alle anderen in Dudleys Haushalt, darauf bedacht, das Kind hinter verschlossenen Kammertüren zu halten.
 

Trotz zahlreicher Vorsichtsmaßnahmen in Form von Räucherkerzen und des stinkenden Essigs, mit dem man die Räume im gräflichen Palais sorgfältig auswischte, erkrankte John Dudley innerhalb eines einzigen Nachmittages an der Infektion, als er in seinem Arbeitszimmer saß und einen Brief an den König schrieb, da er es vermied, selbst in St.James zu erscheinen.
 

Die Dienerschaft rechnete fest damit, dass Warwick noch am folgenden Morgen sterben würde, aber zum Erstaunen aller gelang es ihm mit ärztlicher Hilfe, zu genesen. Der Arzt, der ihn behandelt hatte, war der letzte, welcher gegen Ende November der Seuche zum Opfer fiel, denn überraschend schnell hatten die Bewohner Londons und der Außenbezirke das Grauen überstanden.
 

Teppiche, Laken und auch Tote wurden verbrannt, und die Stadt stank barbarisch nach Rauch und verkokelten Leichen.

Gegen Mitte Dezember rechnete man damit, dass das Fieber die Londoner Bevölkerung um ein Drittel vermindert hatte, und man vermutete, dass noch mehr gestorben wären, wenn nicht viele in der Zeit, in welcher die Seuche um sich griff, zu ihren Verwandten aufs Land gezogen wären.
 

Im folgenden Hochsommer des Jahres 1552, es war kurz nach Antheas viertem Geburtstag, beschloss Warwick, erneut in seinen anderen Palast am Ufer der Themse überzusiedeln, da London zur Sommerzeit einem Kessel glich, und die Hitze es in den zahlreichen Straßen und Gassen noch bestialischer nach Kot, Abfällen und Verwesung stinken ließ, als es dies ohnehin schon tat.
 

Zu jener Zeit weilte Prinzessin Elisabeth längst schon wieder auf ihrem Landsitz in Hatfield, und der junge Robert und sein Bruder Ambrose hatten sich dazu entschlossen, für einige Zeit nach Hause zu kommen und die warmen Tage im vertrauten Blumengarten des väterlichen Palais zu verbringen.
 

Ambrose schrieb regelmäßig an seine inzwischen schwangere Gemahlin, welche, gleich Roberts Gattin Amy, seine Güter verwaltete und ihm monatlich einen Teil des erwirtschafteten Geldes zusenden ließ.
 

"Du kannst so froh sein, dass du Susan liebst", gestand Robert seinem älteren Bruder eines schönen, sonnigen Nachmittages, als sie im Garten unter den Linden und Kastanienbäumen saßen und auf den nie abbrechenden Gesang der Vögel über ihren Köpfen lauschten. "Vater hat einen glücklichen Mann aus dir gemacht, Brose. Aus mir hingegen..." Er ließ den unvollendeten Satz mit einem langgezogenen Seufzer abklingen, der seinen ganzen Kummer über seine unglückliche Ehe zum Ausdruck bringen sollte.
 

Der Ältere runzelte die feine, hohe Stirn, während er gedankenverloren an einer Birne kaute. Ambrose Dudley glich seinem Vater noch ein wenig mehr als Robert, er hatte, im Gegensatz zu seinem Bruder, Warwicks graublaue Augen und dessen kräftige Wangenknochen geerbt.

"Ich weiß nicht, Robin..." murmelte er zwischen den einzelnen Schmatzern. "Du solltest das Ganze nicht unnötig schwer nehmen...ich meine, was hast du gegen Amy einzuwenden? Im Endeffekt mussten wir uns doch alle Vaters Wünschen fügen, was unsere Heirat anbelangte...denk an Katharina und Maria, die haben es noch ein wenig schwerer als wir mit ihren herrischen, prahlerischen Männern, dessen Wünschen gemäß sie handeln müssen...und ich habe mir meine Braut auch nicht selbst aussuchen dürfen."

"Ja, aber du liebst Susan! Weshalb sonst würdest du sie so oft besuchen und ihr regelmäßig Briefe und kleine Aufmerksamkeiten nach Oxford schicken?"
 

Ambrose antwortete nicht sofort. Er hatte Robert nie von seinem kurzweiligen Verhältnis mit der beträchtlich älteren Gräfin von Yorkshire erzählt, welche damals Witwe gewesen war und einen etwa zehnjährigen Sohn besessen hatte. Auch sein Vater wusste nichts von der Affaire, genauso wenig wie er von Katharinas Liebesbeziehung zu einem unbedeutenden Mann namens Richard Norrington wusste, die sie vor ihrer Hochzeit mit dem jungen, adligen Giles gepflegt hatte.
 

"Ja", sagte er schließlich versonnen, den abgekauten Stiel der Frucht gekonnt in die Blumenrabatten werfend, "ja, ich liebe sie. Aber es ist Zufall. Eine glückliche Fügung des Schicksals..."

"Eine glückliche Fügung, mhm? Naja...auch Maria scheint ihrem steifen, strengen Lord Sidney einiges abzugewinnen, was ich zwar nicht recht begreifen kann, aber immerhin hat sie wenigstens einen Funken Gefühl für ihn übrig...weißt du, Brose, was ich dir sagen will, ist ganz einfach, dass ich im Gegensatz zu Euch allen noch nicht einmal so etwas wie Freundschaft für dieses Mädchen aufbringen kann, das Vater mir aufgezwungen hat...Amy lebt da draußen mit sich und ihren Landsitzen und ihren Näharbeiten, sie liest keine Bücher und reitet kaum aus, sie geht nicht auf die Jagd und kann nicht Schach spielen...mit einem Wort, sie ist das farbloseste Geschöpf, das mir je untergekommen ist. Sei ehrlich, Brose,

würdest du auf die Dauer Geschmack an einer solchen Gans finden?"
 

Ambrose lachte leise.

"Offen gestanden - nein."

"Na also!"

"Dennoch scheint sie dich mit aufrichtiger Hingabe zu lieben. Und es ist, mein lieber Robert, nun leider eine unübersehbare Tatsache, dass ihr beide vor Gott und der Welt verheiratet seid."
 

Robert hatte keine Zeit, über seine Antwort nachzudenken, denn den Bruchteil einer Sekunde später kam ihnen die vierjährige Anthea über die weitläufigen Rasenplätze entgegengelaufen.
 

Das kleine Mädchen, welches im Herbst des vergangenen Jahres ein ganzes Stück gewachsen war, hatte inzwischen gelernt, seine seidenen Röcke mit der linken Hand zu raffen und die dünnen Lederschuhe an den Füßen zu behalten und nicht übermütig auszuziehen, wenn es im Sommer zwischen den Blumenbeten umhertobte.
 

Auch ließ sich in Antheas Haaren eine Veränderung erkennen; die kastanienfarbene Haartracht des Kindes war mittlerweile auf Schulterlänge gewachsen, und Betty, welche mit Entzücken sah, wie sich die niedlichen Löckchen zusehens mehr um das zarte Gesichtchen bauschten, erlebte im Laufe des Februars 1552 eine kleine Enttäuschung, als sie bemerkte, dass diese Locken sich nach und nach auflösten und sich in glattes, wenn auch dichtes und üppiges Haar verwandelten. Inzwischen waren von den ehemaligen Ringellöckchen nur einige sanfte Wellen übriggeblieben, die sich allerdings weder glätten noch herauskämmen ließen.
 

Ebenjene glänzenden Wellen lugten nun unter einer lindgrünen Haube mit perlenbestickten Bändern hervor, die entzückend zu Antheas mit sorgfältigen Blumenmustern verziertem Kleidchen aus reiner Seide passte. Sie trug noch keinen Schmuck, da dies für ein kleines Kind unangemessen war, dennoch machten die Perlen an Kleid und Haubenschleife eine Art edles, zartes Engelchen aus ihr.
 

"Robert, Robert!" rief sie dem jungen Mann schon von weitem entgegen, und ihre kleine, pummelige Rechte umklammerte einen üppigen Strauß gelber Blumen.

"Annie, mein Kind", Robert lächelte, stand auf und fing das außer Atem geratene Mädchen lachend auf.
 

Anthea strahlte ihn aus großen, kristallblauen Augen fröhlich an und hielt stolz den gesammelten Blumenstrauß empor.

"Hier, der ist für Euch!" verkündete sie wie bei einem feierlichen Empfang.

Robert nahm den Strauß lächelnd an sich und atmete den süßlichen Duft der Blumen ein.

"Mhm...wie herrlich das riecht! Ich danke dir, meine Kleine."

Ambrose betrachtete lachend die Blumen.

"Ich nehme an, du hast sie unerlaubt aus Vaters Rabatten stibitzt, oder irre ich mich?"

Anthea strahlte auch den Älteren in ihrer schelmischen, koboldhaften Weise an.

"Unerlaubt?" Sie krauste missbilligend die kleine, magnolienweiße Nase, eine Manier ihrer Erzieherin nachahmend. "Aber Milor', Lady Anthea nimmt nie etwas - unerlaubt!"
 

Robert brach in schallendes Gelächter aus ob des plötzlich so unkindlichen, gelehrsamen Tones in Antheas Stimme.

"Hast du gehört," wandte er sich grinsend an Ambrose, "unsere kleine Lady Cook scheint ein ganz untadeliges, ehrliches Persönchen zu sein!"

"Ja, Milor' Robert." fuhr Anthea fröhlich zwinkernd fort. "Und ich werde immer ehrlich zu Milor' Robert sein und ihn gern haben wie meine Betty, wenn Milor' mir verspricht, dass er für den Rest seines Lebens hier bleibt!"
 

Robert, der Anthea wieder behutsam auf dem Rasen zu seinen Füßen abgesetzt hatte, ging nun in die Hocke, um mit dem Kind auf gleicher Höhe zu sein. "Meine kleine Annie..." sagte er, mit den rotbraunen Wellen ihres Haares spielend, und in seiner Stimme lag plötzlich eine Art versonnene Zärtlichkeit, die den älteren Ambrose stutzig werden ließ. "Du tollst und tobst doch so viel herum, bist mal hier, mal dort... ich glaube, du wirst mich kaum vermissen, wenn ich wieder bei Hofe bin."
 

"Oh, ich werde Milor' sehr vermissen! Sagt, ist es dort schön, dort, wo Ihr immer hingeht?"

Robert nickte, die unschönen Seiten des Hofes bewusst verdrängend. Das kleine Mädchen würde sie noch früh genug kennen lernen.

"Weißt du, es ist recht lustig dort. Es gibt viele Pferde und köstliche Süßspeisen, und jeder ist heiter und lacht und tanzt."

Antheas Kulleraugen funkelten.

"Das hört sich alles sehr vergnügt an, Milor'. Und wisst Ihr was, ich werde noch heute Abend meine Betty fragen, ob wir auch einmal gemeinsam an diesen Hof gehen können. Dann werde ich Milor' Robert besuchen kommen, und wir werden alle sehr lustig sein, nicht wahr, Milor'?"

"Gewiss, Anthea..." antwortete er beflissen, auch wenn sich ihm alles zusammenkrampfte bei dem Gedanken daran, wie sehr die heuchlerische, intrigante Aristokratie ein unschuldiges Kind verbiegen und für ihre Zwecke missbrauchen konnte.
 

Glücklicherweise vernahm Anthea nicht mehr seinen leisen Seufzer, als er sich aufrichtete, weil sie in diesem Moment Betty bemerkte und der Gouvernante lachend entgegenrannte.

"Ach, sie ist noch so furchtbar klein..." murmelte er, mehr zu sich selbst, "Sie weiß gar nicht, wie unschätzbar kostbar es ist, dass sie noch nichts von der Welt versteht..."

Ambrose runzelte die Stirn.

"Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass du dem Kind alles in einem so glorreichen Licht schilderst, Robert. Bedenke, dass sie, sollte sie wirklich in einigen Jahren zu seiner Majestät kommen, ein vollkommen falsches Bild von der Gesellschaft haben wird!"
 

Robert jedoch schüttelte den Kopf.

"Sie ist erst vier Jahre alt, Brose! Man spricht nicht zu einer Vierjährigen von Heuchlern und Intrigen, wenn sie den Sinn dieser Worte noch nicht begreift. Antheas Herz ist so rein wie der Morgentau, bevor er in der Hitze des Tages verdunstet...und wenn ich ehrlich sein soll, dreht sich mir der Magen um, wenn ich mir vorstelle, wie hart und geqält dieses Herz in zwanzig Jahren sein wird. Für ein junges, ehelich geborenes Mädchen im elterlichen Haus mag das Leben so manche Schönheit und Süße bereithalten...für die uneheliche Tochter des Hochverräters Seymour hingegen ist dieses Leben voll von Hindernissen und Gefahren..." Er sah seinen Bruder eindringlich an. "Ich spüre es, Ambrose."
 

Ambrose schwieg eine Weile.

"Nun ja...deine Bedenken basieren auf Erfahrungen mit anderen von der Gesellschaft schlecht behandelten Bastarden. Unsere kleine Lady Cook hingegen hat gute Erzieherinnen und einen stabilen Ersatz für das fehlende Elternhaus...mit uns hat sie eine große Familie und es wird immer jemanden geben, dem man die Vormundschaft für sie übertragen kann, selbst wenn es am Ende du selbst sein solltest, Robert, dem diese Aufgabe zuteil wird."

"Ich würde alles in meiner Macht stehende tun, um sie zu beschützen, das schwöre ich bei Gott!"

Ambrose lächelte schwach.

"Du hast diesen kleinen Kobold furchtbar gern, nicht wahr?"

Robert nickte.

"Ja, in der Tat...weißt du, ich bilde mir ein, für sie so etwas wie...ein großer Bruder zu sein."
 

"So, ein großer Bruder also..." Ein wenig nachdenklich sah Ambrose dem lachenden und jauchzenden Kind nach, welches seiner erschöpften Erzieherin durch die weitläufige Gartenanlage davonlief. Schließlich zeichnete sich ein kaum erkennbares Lächeln in seine Züge. "Nun ja", meinte er vorsichtig, "besser ein großer Bruder, der wenigstens beizeiten an sie denkt, als ein Vormund, der sie aus den Augen haben will."
 

Robert betrachtete ihn missmutig von der Seite.

"Du beurteilst Vater wie immer zu negativ." verteidigte er den Grafen heftig. "Er hat viel zu tun, mehr als wir, er kann sich nicht mit einem Kind in Antheas Alter beschäftigen."

Ambrose lachte auf.

"Denkst du etwa, ich wüsste nicht, wie viel Vater zu arbeiten hat? Aber du verstehst mich falsch, Robert. Ich meinte ja auch nicht, dass er mit dem Kind spielen und es füttern und in den Schlaf singen soll...das ist Aufgabe ihrer Zofen und der Gouvernante. Aber als Antheas Vormund übernimmt er die Position ihres Vaters, und es ist die Pflicht eines jeden Vaters, seine Kinder beizeiten zu beaufsichtigen und sich vor allem mit ihnen vertraut zu machen - ihnen zu zeigen, wen sie als Autorität anzuerkennen haben. Und diese seine Pflicht, Robert, erfüllt Vater nicht, im Gegenteil! Ich könnte all meine Güter dafür verwetten, dass Anthea sich nicht einmal seiner Gegenwart in diesem Haushalt bewusst ist. Für das Kind gibt es nur dich, "ihre Betty" und die übrigen Frauen, die sie betreuen. Denk nach, Robert, kannman das als festen Halt für ein heranwachsendes Mädchen bezeichnen?"
 

Robert überlegte.

"Nun", entgegnete er dann, "immerhin gibt es in ihrem näheren Umfeld Personen, denen sie sich vertraut fühlen kann, Menschen, an die sie sich wenden kann, wenn sie eines Tages Hilfe benötigen sollte...ich würde ihr immer helfen, und ich glaube auch, dass sie im Zweifelsfall mit Vaters Unterstützung rechnen kann."

"Ja, vielleicht hast du Recht...aber das setzt vorraus, dass die junge Lady Cook ihn als väterlichen Freund im Hinterkopf hat, und nicht als die graue Eminenz, die irgendwo im Hintergrund über ihr Schicksal wacht..."

Robert winkte ab; er hielt die Bedenken des Bruders für übertrieben und unbegründet.

"An deiner Stelle würde ich erst abwarten, wie sich die Situation um unser neues, kleines Schwesterchen entwickelt, bevor du dich in Grübeleien über die Zukunft verlierst...soweit ich weiß hat das noch keinem etwas gebracht."
 

Eine Weile lang war es still, und beide Brüder lauschten dem fröhlichen Kinderlachen, dessen liebliches Echo durch den bunten Garten hallte.

Schließlich brummte Ambrose etwas Undefinierbares und sagte:

"Trotzdem, es ist ein Jammer, dass Mutter so früh versterben musste...in ihr hätte Anthea eine wunderbare Vertraute."

Roberts Miene verfinsterte sich, während er eine Zustimmung murmelte.
 

Der Tod der von ihm so geliebten und verehrten Mutter hatte ihn viel mehr getroffen als all seine anderen Geschwister. Noch jetzt, da das tragische Ableben der Gräfin mehr als ein Jahr zurücklag, stand er manchmal Abends am Fenster seiner Kammer, schaute mit seltsam melancholischem Blick hinaus und durchwanderte im Geiste sämtliche schöne Augenblicke, die er im Schutz der Mutter verbracht hatte. Ambrose und die anderen wussten nichts von diesen tiefen Gefühlen, und Robert war der festen Überzeugung, dass sie es ohnehin nicht verstanden hätten.
 

Im Grunde war er unter den zahlreichen Kindern des Grafen derjenige, welcher seinem Vater am wenigsten glich. Er besaß die sprühende Lebenslust seines Großvaters müttlerlicherseits und dessen heitere, leichtsinnige Ausgelassenheit, und zugleich das tiefsinnige, melancholische Wesen seiner Mutter, welches zuweilen etwas ins Romantische schlug. Die einzige Eigenschaft, die er wohl mit allen aus der dudleyschen Familie gemein zu haben schien, war ein manchmal zu Tage tretender nachdenklicher Realismus, welchem es gelang, in seine jungen, schönen Züge einen beinahe erschreckenden Ernst zu zeichnen.
 

Jener unverkennbare Ernst lag auch jetzt wie eine undurchdringliche Maske auf seinem Gesicht, da seine unruhigen Augen den heiteren Sprüngen eines kleinen Geschöpfes folgten, welches viele Jahre später in seinem Leben eine unendlich große Rolle spielen sollte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2004-03-25T15:44:43+00:00 25.03.2004 16:44
*grins* *knuddlz* *grad ma den ganzen zwoten teil nochma gelesen hat* *supitoll findet* *nochma durchknuddlt*
freu mich schon auf morgen!
cya
die (dynamische^^) ente


Zurück