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Abendstern

von

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22. November - 26 November

KAPITEL 1: 22. NOVEMBER - 26 NOVEMBER
 


 

PHASE 1: RUHE
 

Der Flughafen Tokyos war wie an jedem Tag völlig überfüllt. Überall hasteten Menschen mit vielen Koffern und gestressten Gesichtern umher, kleine Kinder plärrten weil die Warteschlangen vor den Eisständen so lang waren dass die Mütter darauf verzichteten anzustehen, über die Lautsprecher waren ständig neue Meldungen zu hören, und so gut wie jeder in dieser riesigen Halle schien sich mit irgendjemand anderem zu unterhalten.

Shinji Ikari kam sich überflüssig vor.

Er hatte seinen Flug hinter sich, ohne Koffer, ohne Begleitperson. Nun saß er auf einer der Bänke die beim groß angelegten Parkplatz standen und wartete auf den Absender des Briefes den er vor wenigen Tagen bekommen hatte.

Na ja, ein ,Brief' war es nicht gerade. Shinji kramte aus Langeweile die verknickte Postkarte aus seinem Rucksack und betrachtete die Vorderseite: Eine jung aussehende Frau die nicht älter als 30 sein konnte lächelte ihn zaghaft an und trug einen langen weißen Kittel der ihr eindeutig zu groß war.

Die Rückseite der Karte war ähnlich nichtssagend, neben dem Absender und der Anschrift war nur ein flüchtig hingekritzeltes ,Ich hole dich wie vereinbart um 4 Uhr ab!' und die Unterschrift ,Misato Katsuragi' zu lesen. Shinji wusste überhaupt nichts von dieser Frau. Abgesehen davon dass sie eine gute Freundin seines Vaters zu sein schien.

Und bereits eine Viertelstunde Verspätung hatte.

"Bist du Shinji?"

Die Frau auf der Postkarte stand plötzlich vor ihm. Er hatte sie gar nicht kommen sehen, vermutlich war sie schon seit mehreren Minuten dabei den Parkplatz und das Flughafenhauptgebäude nach ihm abzusuchen.

Der Junge stand ruckartig und mit benommenen Gesichtsausdruck von der Band auf und gab es mühsames ,Ja' von sich, bevor die Frau ihm ihre Hand zustreckte und er die Geste so freundlich wie er konnte erwiderte. Er fühlte sich immer noch fehl am Platz.

"Mein Auto steht da hinten", führte Misato weiter aus und wies auf eine völlig andere Ecke des Parkplatzes. "Wenn wir schnell genug heim kommen haben wir danach vielleicht noch Zeit dich neu einzukleiden." Sie versuchte zu lächeln, und Shinji erkannte dass es ihr schwer fiel und die Situation sie völlig überforderte.

Nach kurzer Zeit saßen sie im Wagen und fuhren in das zukünftige neue Zuhause des Jungen. Misato fuhr so rücksichtsvoll wie man es von einer korrekt arbeitenden Wissenschaftlerin erwartete, sie hielt sich immer an das Tempolimit und grüßte den anderen Autofahrern freundlich zu.

Ihr Verhalten wirkte völlig aufgesetzt, andererseits auch irgendwie gewohnheitsmäßig. Jedenfalls wenn Shinji dies mit seiner eher lauen Menschenkenntnis beurteilen konnte.

"Was ist Nerv?", fragte der Junge schließlich um die Atmosphäre mit einem Gespräch zu lockern.

"Das wirst du schon noch früh genug erfahren." Misato seufzte.

Shinji betrachtete die Häuserreihen die an ihnen vorbeirasten.
 

Misatos Apartment war ähnlich wie ihr Fahrstil: Trocken und wohl strukturiert. Fast schon langweilig: Als die Forscherin Shinji herum führte, nahm er bei jedem Raum aufs neue zur Kenntnis dass alles aufgeräumt und kein Körnchen Staub auf der mageren Inneneinrichtung zu sehen war.

Schließlich kamen sie wieder in ihrem Esszimmer an.

"DEIN Zimmer zeige ich dir später", meinte Misato trocken. Sie hatte schon den Mund aufgemacht um weiter zu reden, doch in genau diesem Moment hörte man das Haustürschloss klacken. Katsuragi fing an zu lächeln.

Die Tür öffnete sich, und hervor trat ein eher großgewachsener - alles andere als gründlich rasierter - Mann in lockerer Kleidung der sich mit einem leicht dümmlichen Grinsen vorstellte.

"Du musst Shinji sein! Ich heiße Kaji!"

Shinji gab ihm verwirrt die Hand, der Junge wusste nicht dass Misato einen Mitbewohner hatte.

"Er wohnt seit kurzem bei mir", erklärte sie schnell. "Er arbeitet auch für Nerv, wie dein Vater und ich."

Shinji machte einen perplexen Eindruck, und Katsuragi redete weiter. "Er hat schon hier gewohnt bevor ich erfahren hab dass du zu uns nach Tokyo kommst. Die Sache mit deinen Verwandten hat mich schwer getroffen."

[Lügnerin, du kanntest sie gar nicht].
 

Es ging alles zu schnell. Der Tod seines Onkels und seiner Tante - Personen bei denen er sein ganzes Leben lang wohnte und die er wie Eltern betrachtete - war erst wenige Tage her und für ihn wirkte der Vorfall immer noch wie ein böser Traum. Es war alles so unwirklich.

Genauso wie dieser merkwürdige Konzern der sich Nerv nannte. Shinji wusste überhaupt nichts über ihn, obwohl es ihn schon interessierte bei welchem Vorhaben sein Vater arbeitete. Es musste irgendetwas wichtiges sein, schließlich hatte Gendo in all den Jahren kein einziges Mal Tokyo verlassen um seinen Sohn zu besuchen.

Plötzlich ging die Tür zu seinem Zimmer auf. Shinji bemerkte, dass er die ganze Zeit in den Gedanken versunken auf seinem Bett gesessen hatte, obwohl ihm die Müdigkeit zu dieser späten Stunde deutlich anzumerken kam. Die Person die hereinkam war Kaji, wieder hatte er einen grinsenden Gesichtsausdruck.

"Ich hab aus deinem Zimmer Licht brennen sehen", meinte er nüchtern und schloss die Tür hinter sich. "Misato ist immer so, du wirst dich dran gewöhnen. Sie ist eben eine der ruhigen Sorte." Kaji seufzte.

"Wie gut kennen sie meinen Vater, Kaji-san?"

Shinji sah seinem Gegenüber an, dass er nicht gerne gesiezt wurde und wich seinem Blick verlegen aus.

"Er ist ein Arbeitstier, ich rede nur mit ihm wenn es um etwas geschäftliches geht."
 


 

PHASE 2: AUSLAUF
 

"Ich habe sie hergerufen um ihnen etwas wichtiges mitzuteilen."

Misato stand nervös vor dem riesigen Schreibtisch ihres Vorgesetzten (eigentlich war er der Kopf von Nerv) Gendo Ikari - Shinjis Vater.

"Bis jetzt waren sie bei uns als Forscherin angestellt, dies wird sich heute ändern. Wir haben erste Anzeichen von Feindaktivitäten registriert, und den Kollegen von Nec und Waechter geht es genauso."

Misato verstand nicht recht was Gendo damit meinte, aber sie fürchtete schlechte Kunde. Vielleicht würde sie jetzt entlassen werden, das wäre das Ende ihrer wissenschaftlichen Laufbahn.

"Mit Forscherinnen kann man keine Kriege führen", meinte Gendo mit Nachdruck und sah sie mit kühlen Augen an. "Ab morgen gehören sie zum Militär. Taktische Abteilung - ihre Unterschrift bitte!" Er wies auf ein bedrucktes Blatt Papier dass auf seinem Tisch lag.

"Taktische Abteilung? Militär?" Misato war ihr Entsetzen schnell anzuerkennen. "Warum ausgerechnet ich?!?"

"Ich glaube, dass sie die Richtige für diesen Arbeitsbereich sind."

Misato sah ihn immer noch schockiert an und rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

Gendo seufzte. "Natürlich bekommen sie ein besseres Gehalt."

Katsuragis Miene entspannte sich langsam - ihre Augen fingen an zu leuchten.
 

Kaji saß am Esszimmertisch und dachte etwas besorgt über Shinji nach. Der Junge hatte sich den ganzen Tag in sein Zimmer eingeschlossen und kein Wort von sich gegeben.

Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte, dass Misato bald kommen würde - es wurde auch Zeit denn dank Kajis Unfähigkeit eine warme Mahlzeit zuzubereiten war er in dieser Hinsicht auf sie angewiesen. Ansonsten war ihre Beziehung zueinander eher ruhig, und es war klar dass er bei einem neuen Auftrag diese vier Wände schnell wieder verlassen musste.

Ruckartig wurde die Wohnungstür aufgerissen. Misato schoss mit völlig ungewohnt überschwänglichem Gesichtsausdruck zu Kaji, packte ihn bei der Hand und zerrte ihn mit sich.

"Was ist denn los?", fragte letzterer sichtlich verwirrt während sie ihn durch das Treppenhaus ins Freie zerrte.

"Ich bin jetzt beim Militär!" Sie zeigte ein noch nie da gewesenes Temperament. "Los, du musst mir helfen die Sachen aus dem Auto zu tragen!" Misato öffnete den Kofferraum und gab einen Blick auf haufenweise übereinander gestapelte Paletten Bierdosen preis. "Die trägst du, ich kümmere mich um den Rest auf dem Beifahrersitz!"

Kaji blickte Misato mit offenem Mund an und war im ersten Moment völlig unfähig sich zu rühren, und sein Zustand verschlimmerte sich noch als seine Mitbewohnerin einen Pinguin aus dem vorderen Teil des Wagens zerrte.

"Das... ist ein Pinguin", meinte Kaji völlig perplex und wies mit seiner rechten Hand auf das Tier.

"Ein Warmwasserpinguin - er heißt Pen Pen!" Misato vollführte eine noch nie da gewesene Agilität. "Süß, nicht?"

Kaji setzte zu einem Nicken an, schaffte es aufgrund seiner Verwirrung jedoch nur weniger überzeugend. Aber das war egal, denn Katsuragi hatte seine Reaktion gar nicht abgewartet sondern rannte direkt wieder mit dem Pinguin im Arm in den Wohnungskomplex.

"Shin-chan! Helf Kaji unten das Bier rauftragen!"

Letzterer hatte sich am Wagen noch keinen Millimeter von der Stelle gerührt sondern starrte nur entsetzt die ganzen Dosen an. Er hatte starke Zweifel ob die Frau, die eben die Tür zu der Wohnung geöffnet hatte, wirklich Misato war.
 

Kaji hatte sich schnell an die vielen Bierflaschen im Kühlschrank gewöhnt. Und irgendwie war ihm die neue Misato auch sympathisch.

Aber warum dieser Pinguin?

"...und morgen gehst du hier in Tokyo zur Schule, du bist schon angemeldet!" Misato grinste ihn verschmitzt an während sie eine leere Bierdose auf ihrem rechten Handrücken balancierte.

"Aber ich bin doch gerade erst hier angekommen!"

"Okay, dann eben übermorgen." Die Frau öffnete sich eine neue Dose.

Kaji vergrub sich in Gedanken und murmelte ein vorsichtiges "mach dass du morgen an deinem ersten Tag in der Militärabteilung keinen Kater hast".
 

"Ist irgendwas?"

Die Frau die sich eben bei ihr als Ritsuko Akagi vorgestellt hatte, blinzelte sie verwirrt an.

"Nein, nein, alles in Ordnung." Misato hielt sich mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht den Magen. Sie hätte auf Kaji hören sollen und heute morgen nicht nüchtern die unzähligen Bierdosen runterkippen sollen. Dann hätte sie sich vor Ritsuko eben jedenfalls nicht um ein Haar bei der Begrüßung übergeben müssen.

"Deine Aufgabe wird es in den nächsten Monaten sein, die Angriffe der EVAs zu koordinieren. So soll ich es dir jedenfalls von Gendo sagen - in Wahrheit ist es eine sehr langweilige Tätigkeit."

"EVAs?"

Ritsuko winkte ab. "Ich zeige sie dir später. Es sind riesige Kampfmaschinen die zur Bekämpfung von Engeln eingesetzt werden. Bis jetzt haben wir nur eine Pilotin, ich werde sie dir nachher auch vorstellen."

Misato verkniff sich einen Kommentar zum Wort ,Engel' und ließ Dr. Akagi weiter reden.

"Nerv sieht zwar von außen wie ein unscheinbarer Komplex aus der eher auf Wissenschaft spezialisiert ist, aber in Wahrheit gibt es uns nur wegen der EVAs."

"Wer finanziert uns?"

"Dass weiß ich selbst nicht. Aber ich weiß, dass wir in dieser Hinsicht nicht einzigartig sind. Die USA hat eine Organisation namens ,NEC', die genau dieselben Absichten haben wie wir. Der einzige Unterschied besteht darin dass sie bis jetzt weder EVAs noch Children haben, aber ich denke dass es bis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr lange dauern wird. Und dann gibt es noch ,Waechter', das Nervgegenstück der EU. Sie haben bereits den ersten EVA fertig gestellt, und das Waechter First Children steht auch schon fest: Ihr Name ist Soryu Asuka Langley. Aber wir sind beiden Organisationen weit voraus, wir haben den ersten EVA schon lange fertig, das First Children steht fest, und für weitere Children stehen einige Kandidaten in der engeren Auswahl. So berichtete es mir jedenfalls Gendo."

Misato hatte es schwer Dr. Akagi zu folgen, aber sie blieb ruhig und hörte sich sämtliche Ausführungen genau an. Erst als Ritsuko fertig mit reden war, wagte Katsuragi-san eine erste Frage.

"Und Children sind..."

"... die Piloten der EVAs. Kinder, nicht älter als 14, aber die einzigen die es schaffen mit den Kampfmaschinen zu verschmelzen."

[Verschmelzen?]

Misato sparte sich weitere Fragen und wartete ab was der Tag sonst noch so bringen würde.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 24. November 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

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NEC bestätigt dass es bis zur Fertigstellung ihres EVA 00 nicht mehr lange dauern wird. Des weiteren wurde bereits ein Pilot gefunden: Clade Shawver, wie alle anderen bisher gefundenen Children im vierzehnten Lebensjahr. Man hofft dass bis zu den ersten Tests nicht mehr viel Zeit verstreicht und man Nerv im Falle eines ersten Angriffes der Engel so früh wie möglich beistehen kann.]
 

Misato vergaß ihren Kater ruckartig, als sie Rei zum ersten Mal sah.

Eben hatte sie den EVA gesehen, ein furchterregender Roboter zu dem sie fürs Erste einen gehörigen Sicherheitsabstand halten will. Sie fragte sich welcher Typ Mensch wohl als Pilot eines solchen Kolosses in Frage kommen würde - aber mit einer Person wie Ayanami Rei hatte sie nicht gerechnet.

Das Mädchen wirkte schwach, völlig untersetzt, blass, ausdruckslos. Ihre Miene war ernst und unsicher.

Sie bewegte ihre Mundwinkel nicht, als sie Misatos begrüßende Hand ergriff. Rei dachte gar nicht daran, Katsuragis aufmunterndes Lächeln zu erwidern.

Die ganze Erscheinung des Mädchens wirkte völlig surreal. Nicht menschlich.

Sie trug eine unförmige Schuluniform die ihr eindeutig alles andere als gut stand - schien sich aber nicht an diesem Makel zu stören. Sie schien sich genauer genommen an gar nichts zu stören, sie stand einfach nur da und wartete darauf, dass irgendjemand etwas sagte. Das war also das First Children.

Misato sehnte sich nach einer kühlen Dose Bier.

Die Frau fühlte sich als hätte ihr jemand einen harten Schlag in den Magen verpasst. Hilfesuchend blickte sie auf Ritsuko, doch letztere blieb stumm.

"Kann ich gehen?", fragte Rei emotionslos und mit kraftloser Stimme. Die Frage klang weder unhöflich noch pietätlos, höchstens ehrlich.

"Ja, geh ruhig", meinte Dr. Akagi trocken, und Misato sah mit perplexem Blick an wie das Mädchen sich umdrehte und unbeholfen langsam von ihnen weg stapfte.
 

"...er ist in seinem Zimmer und hört Discman."

Misato funkelte Kaji an diesem späten Abend sauer an. "Wo zum Teufel hat er einen DISCMAN herbekommen? Ich habe ihm gesagt dass er sich von meinem Geld nur Sachen zum Anziehen kaufen soll!" Die schon wieder leicht betrunkene Frau knabberte an einem warmen Toast und schien sich durch diese Tätigkeit abzureagieren.

"Shinji hat mich darum gebeten", meinte Kaji trocken. "Ich war ja schon froh dass er überhaupt mal zu einem von uns irgendetwas sagt. Er ist völlig in sich zurückgezogen."

In diesem Moment erkannte Misato zum ersten Mal eine Parallele zwischen Shinji und Rei, und irgendwie missfiel ihr der Gedanke die nächsten Wochen und Monate mit einem verklemmten Jungen zusammen zuleben.

Kaji las Misato ihren Gedanken von den Augen ab, und fürchtete dass Katsuragi in ihrem derzeitigen Zustand etwas tat dass Shinji komplett einschüchtern könnte. Der stetige Alkoholeinfluss machte aus ihr einen völlig anderen Mensch - was auf Kaji aber auch irgendwie eine aufreizende Wirkung hatte.

Doch bevor Misato überhaupt auf irgendeine Weise handeln konnte, wurde sie durch ein klingelndes Telefon aufgeschreckt. Sie streckte die Hand nach ihrem Mobiltelefon aus und hörte eine bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Katsuragi-san?"

Dr. Ritsuko Akagi klang völlig durch den Wind, sie hörte sich an wie eine aufgebrachte Epileptikerin.

"Ja, was ist los?"

"Kommen sie bitte sofort zur Nervzentrale!"
 


 

PHASE 3: DER TAG DANACH
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 1/3

Absender: James Schaffer - NEC

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Wir bedanken uns für den ausführlichen Bericht den wir am gestrigen Tag von ihnen bekamen, und hiermit verkünden wir ihnen die Ergebnisse die unsere gestrige spontan eingerufene Konferenz hervor brachte.

1.: Wir beglückwünschen sie dafür, dass der erste EVA Einsatz gegen einen Engel erfolgreich endete. Diesen Glückwunsch möchten wir auch der Piloten Ayanami Rei ausrichten lassen.

2.: Gleichzeitig haben wir ihnen soeben einen hohen Betrag überwiesen, der ihnen hoffentlich helfen wird die großen entstandenen Schäden an EVA 00 reparieren zu lassen. Gleichzeitig wünschen wir uns mit ihnen dass die Pilotin so schnell wie möglich wieder aus dem Koma aufwacht.

3.: Wir teilen ihre Meinung, ausführliche Forschungsstudien zum Verhalten des Engels anlaufen zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen, James Schaffer.]
 

Shinji konnte sich immer noch nicht erklären was am gestrigen Tag passiert war. Er erinnerte sich wie Misato am späten Abend die Tür zu seinem Zimmer aufriss, und zu ihm sagte dass er dringend mit ihr zur Nervzentrale fahren müsse.

Als sie im Auto saßen, murmelte sie noch etwas von: "...gleich an meinem ersten Tag in der militärischen Abteilung ein Ernstfall...", ansonsten schwieg sie und fuhr mit einem mörderischen Tempo die Straße entlang. Ihre Augen hatten geleuchtet.

Nur wenige Minuten später befanden sie sich alle in einer riesigen Halle, die mit Dutzenden Stühlen und Bildschirmen bestückt war. Nicht nur er und Misato, der ganze Raum war überfüllt mit bangen Gesichtern.

Unter anderem auch mit dem seines Vaters.

Auf den Monitoren war ein geradezu bizarres Schauspiel zu sehen: Ein riesiger Roboter mit der Aufschrift ,EVA 00' kämpfte gegen ein gewaltiges unförmiges, wenn auch sehr organisch aussehendes Monstrum an.

Auf einem anderen Monitor war das Gesicht eines Mädchens mit auffällig roten Augen und blassblauen Haaren zu sehen.

Und mitten im Geschehen war Misato. Sie hetzte hin und her, redete mit allen möglichen Leuten, verschwand immer wieder in etlichen Türen und tauchte ebenso blitzartig wieder auf.

Shinjis Blick wanderte ständig von den Monitoren mit den beiden kämpfenden Gewalten zu dem einzelnen Bildschirm auf dem das Gesicht des Mädchens zu sehen war. Er las den Namen ,Ayanami Rei' eingeblendet.

[Rei...]

Ikaris Augenpaar versuchte zwar zu verstehen was auf dem Monitor mit dem Kampfkoloss der gegen das Monster anlief WIRKLICH zu sehen war, aber vergeblich. Er verstand sowieso schon nicht viel, aber dieses Gemetzel ging eindeutig über seinen Horizont. Und immer dann wenn er sich aufgrund dieser Erkenntnis hilflos fühlte, sah er in das Mädchengesicht und beruhigte sich.

In ihm brodelte plötzlich das unbegründete Verlangen, dieser ,Rei' nahe zu sein, mit ihr zu reden, von ihr in den Armen gehalten zu werden.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 2/3

Absender: Winston Druchov - Waechter

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Ich bedanke mich im Namen von Waechter für den ausführlichen Bericht den wir gestern in ihrem Namen erhalten haben, und bedauern gleichzeitig die missliche Lage in der wir uns nun befinden. Niemand von uns hatte ahnen können, dass die EVA-Technologie derart schmählich gegen einen Engel aussehen würde. Daher möchten wir ihnen raten (und wir haben uns in dieser Hinsicht auch mit NEC abgesprochen) ein Second Children einzusetzen.

Wie ich hörte werden sie schon durch unsere amerikanischen Kollegen mit Geldspenden unterstützt, wir möchten unseren finanziellen Mittel daher dem Kongress von Neo-Tokyo3 zukommen lassen um die durch den Angriff entstandenen Schäden an der Stadt so schnell wie möglich reparieren zu können.

Mit freundlichen Grüßen, Winston Druchov.]
 

"Misato, wer ist Rei?"

Shinjis Frage löste bei Katsuragi eine Mischung aus Verwirrung und Neugier aus. Zum einen war sie froh dass der Junge sich aufgelockert zu haben schien und nicht mehr allein griesgrämig in einer Ecke seines Zimmers grollte, zum anderen wusste sie aber auch nicht wie sie ihm diese Frage beantworten sollte.

Es war am späten Nachmittag. Misato hatte ihre Drohung wahr gemacht und Shinji nun endgültig bei der Schule angemeldet, letzterer wiederum bekam von ihr als Aufmunterung ein trockenes Instant-Essen serviert.

"Rei ist die Pilotin von EVA 00. Du hast ihren Kampfroboter ja gestern auf den Monitoren in Aktion gesehen."

"Aber was hat sie da gemacht?"

"Sie hat unsere Stadt gegen einen Engel verteidigt."

[An meinem ersten Arbeitstag...]

"Engel?"

"Ich kenne diese Wesen auch nicht sonderlich gut. Ich habe heute versucht Gend... - deinen Vater darauf anzusprechen, aber er hat es vorgezogen mich weiterhin im Unklaren zu lassen. Ich weiß nur, dass gestern der erste von ihnen aufgetaucht ist."

Sie hatte Rei heute während ihrer Mittagspause auf der Krankenstation besucht. Ein schrecklicher Anblick, sie hatte überall Verbände an ihrem Körper, eine Infusionsnadel steckte in ihrer Vene, und sie war an einen nervtötenden Elektrokardiographen angeschlossen.

Das Schlimmste war aber ihre Haut. Sie war völlig kalt, fast tot. Erschreckend.

Shinji merkte dass Misato abwesend und in Gedanken versunken war. Ein ungewohnter Anblick, nach ihrem enorm temperamentvollen Auftreten am gestrigen Tag.

"Geht es Rei gut?", fragte er schließlich.

Misato fing sich wieder und sah ihn mit interessierter Miene an. "Du kannst sie morgen nach der Schule auf der Nervkrankenstation besuchen."

"Geht das denn?"

"Ja", sie zog eine kleine Plastikkarte mit Magnetstreifen, belanglosen Namen und Zahlen sowie einem Foto Shinjis hervor. "Deine Securitycard ist heute angekommen." Sie drückte ihm die Karte in die Hand.

"Aber ich gehöre nicht zu Nerv!"

Misato seufzte.

"Doch, ab morgen schon."
 

"Warum haben sie mich hier hergerufen, Ikari-san?"

"Um ihnen Anweisungen zu ihrem eigenen Schutz zu geben."

Es war Nacht. Man sah deutlich den tiefschwarzen Himmel durch die Fenster von Gendos Büro. Kaji stand dem alten Vater Shinjis mit neugieriger Miene gegenüber, obwohl er sich schon dran gewöhnt hatte generell keine guten Nachrichten aus Gendos Mund zu hören.

"Es geht um Keyko Urusawa." Ikari schob sich seine Brille zurecht. "Er kehrt aus Italien zurück nach Neo-Tokyo."

"Das freut mich", so Kajis verhaltene Reaktion ohne eigentlich zu wissen, was sein Gegenüber von ihm wollte.

"Ich weiß dass sie das freut, und genau dass ist ja das Schlimme. Vermutlich wird Keyko direkt versuchen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, ich weiß dass ihr euch mal als Söldner nahe gestanden habt, und deswegen werden sie wohl seine erste Anlaufstelle sein. Aber sie dürfen kein Treffen mit ihm zulassen!"

Kaji machte ein perplexes Gesicht. "Warum nicht?"

"Wie ich schon sagte, die Anweisungen sind zu ihrem eigenen Schutz."

[Keyko...]

Keyko und Kaji standen sich wirklich mal nahe, sehr nahe. So nahe wie sich zwei Menschen nun mal standen, die auf eigene Faust mutterseelenallein riesige Wüsten durchquerten um Hinweise auf das ominöse Mardukinstitut zu suchen. Vor knapp zwei Monaten hatte sich Urusawa bei ihm verabschiedet, er sagte dass er an etwas ,Großem' dran wäre, und dafür nach Italien müsse.

"Ikari-san, woher wissen sie so genau dass sich Keyko nach seiner Ankunft in Neo-Tokyo direkt jemandem anvertrauen will?"

[Welche Entdeckungen hat er in Italien gemacht?]

Gendo schwieg, Kaji ausgiebig musternd.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 25. November 2015 > Nachricht 3/3

Absender: Unbekannt

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Für uns steht fest dass weitere Engel kommen werden. Der Zeitpunkt des nächsten Angriffes wird in circa zwei Tagen stattfinden, bereiten sie bis dahin das nötigste für eine Gegenoffensive vor.]
 

Shinji hatte seinen ersten Schultag hinter sich gebracht. Und irgendwie missfiel es ihm, diese Einrichtung noch ein zweites Mal zu betreten. Er hasste es ,der Neue' zu sein. Denn so war er im Zugzwang auf fremde Menschen zuzugehen, da es ihm sonst verwährt blieb zwischenmenschliche Kontakte zu knüpfen.

Der eigentliche Unterrichtsstoff war nicht der Rede wert. Aber das hatte er auch nicht anders erwartet.

Egal, im Moment schlich er sich durch etliche kalte Gänge der Nervzentrale um Misatos gestrigen Vorschlag aufzugreifen und das Mädchen ,Rei' besuchen zu gehen.

Und irgendwie hatte er sich verlaufen, er suchte in diesen menschenleeren Gängen nach Leuten die er fragen konnte wie er zur Krankenstation kam.

Misato hatte ihm gestern keine Antwort gegeben, was seine Frage anbelangte warum er nun so plötzlich einer von Nerv war. Was sollte Shinji hier eigentlich tun?

Und warum wollte er überhaupt dieses ihm völlig unbekannte Mädchen besuchen?

Der Junge verwarf diesen Gedanken schnell wieder als er eine Frau mit langem weißen Kittel - eindeutig eine Wissenschaftlerin - und Klemmbrett in der Hand sah. Er fragte sie mutlos nach dem Weg zu Station, und bekam schnell eine recht unkomplizierte Wegbeschreibung als Antwort.
 

Da lag sie also. Rei - er erkannte ihr Gesicht eindeutig wieder - schlafend in einem Raum zwischen etlichen Medikamenten, Verbänden, Infusionen und einem schrill piependen EKG. Sie machte einen ruhigen Eindruck, als ob es besser wäre sie nicht aufzuwecken.

Leise schlich Shinji näher zum Bett hin, er wollte sie aus der Nähe sehen. Aber kaum als er direkt neben dem Bett stand, schlug Rei die Augen auf und drehte den Kopf langsam zu ihm hin.

"Wer bist du?", fragte sie fast tonlos. Er verstand aber jede einzelne Silbe, genauso wie er verstand dass sie nicht viel von seiner Anwesenheit hielt. Sie war eine Patientin die Ruhe brauchte - wieder fragte sich Shinji was er eigentlich hier sollte.

"Ich... habe dich gestern gesehen", stotterte er verwirrt und begriff schnell dass dem Mädchen diese Antwort nicht sonderlich viel sagen würde.

"Was machst du hier?"

Shinji merkte förmlich wie er rot anlief. Nicht nur weil ihm diese Situation irgendwie peinlich war, sondern auch weil er nicht wusste wie er die Frage beantworten sollte.

Aber er hatte sowieso keine Gelegenheit zu einer Antwort anzusetzen. Die Tür des Krankenzimmers ging hinter ihm auf, der Junge drehte sich zu dem Besucher herum.

"Papa!"

Shinji erkannte seinen Vater auf Anhieb. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit sah er ihn wieder in Fleisch und Blut. Gendo trug einen langen Mantel und eine getönte Brille, und machte allgemein einen ziemlich abweisenden Eindruck.

"Was willst du hier, Shinji?"

Sein kalter Wortlaut irritierte den Jungen noch mehr, und machte ihn irgendwie wütend.

"Wenn du hier nichts zu tun hast, dann geh wieder und lass dem Mädchen ihre Ruhe." Gendo warf einen besorgten Blick zu Rei und in diesem Moment verspürte Shinji eine enorme Eifersucht in sich aufkeimen.
 

"Ich habe Shinji eben getroffen!", verkündete Ritsuko mit einer heißen Tasse Kaffee in der Hand zu ihrer Kollegin Misato. "Er hat mich nach dem Weg zur Krankenstation gefragt und sah ziemlich verwirrt aus."

Misato verkniff sich ein sarkastisches Grinsen und starrte stattdessen besorgt aus dem Fenster hinaus. Draußen, in den Straßen Tokyos regnete es in Strömen.

"Er hat mich gestern nach Rei gefragt. Ich habe ihm vorgeschlagen sie auf der Krankenstation besuchen zu gehen."

"Rei?" Dr. Akagi machte ein perplexes Gesicht. "Der Junge kennt sie doch gar nicht."

Misato zog es vor, schnell das Thema zu wechseln. "Was meint Magi zu den Proben die wir von dem Engel haben?"

Ritsuko schob sich ihre Brille zurecht. "Magi - unser Supercomputer scheint mit diesen Proben überfordert zu sein. Er kann das Gewebe nicht analysieren." Sie schüttelte den Kopf. "Andererseits konnte man die Überreste des Engels auch nicht mehr als ,Gewebe' bezeichnen."

"Ja, das Vieh sah ziemlich zerfetzt aus nachdem sich die UNO eingemischt hat."

Misato blickte gelangweilt auf den Bildschirm ihres Computers und tippte weiterhin an Erklärungen und Berichten über die gestrige Schlacht, die Nerv dann im Namen von Gendo an alle wichtigen Verfassungsorgane der Nationen senden würde.
 

Kaji ging aufgewühlt im Zimmer auf und ab. Shinji und Misato waren noch nicht da, und so brauchte er nicht so zu tun als wäre er sorgenfrei und gut gelaunt. Soeben wurde ein Brief für ihn abgegeben - und nach einer dunklen Vorahnung stellte sich tatsächlich heraus dass dieses Schreiben von Keyko Urusawa kam. Sein alter Freund hatte ihn morgen Abend in einer kleinen Kneipe ,auf ein Bier' eingeladen.

Kaji wusste direkt dass mehr dahinter steckte. Und er wusste auch dass er Gendo Ratschlag ignorieren und dieses Treffen auf keinen Fall verpassen würde.
 


 

PHASE 4: KAJI
 

"Wo zum Teufel ist dieser Schwachkopf eigentlich?!?" Misato war aufgebracht, sie hatte sich erst nach zwei großen Schlucken Bier wieder unter Kontrolle. Als ihre Schicht bei Nerv gestern beendet war und sie durch das Haupttor auf den Parkplatz gehen wollte, fiel ihr Shinji auf, der mit besorgniserregend deprimiertem Gesicht auf einer Bank saß und irgendwie ins Nirgendwo starrte. Sie war auf ihn zugegangen, und wenige Minuten später saßen sie beide in ihrem Wagen und fuhren zurück nach Hause.

Dort angekommen war Kaji nicht da. Gut, es war am frühen Abend und vermutlich hatte er seine Gründe gehabt weg zu gehen ohne eine Nachricht zu hinterlassen - aber heute morgen war er immer noch nicht da!

Misato öffnete entnervt eine neue Dose Bier. Shinji betrachtete sie irritiert und versuchte sich auf das Rührei zu konzentrieren, dass er sich zum Frühstück zubereitet hatte.

Pen Pen schlummerte immer noch in seinem Kühlschrank, ihn interessierte es nicht ob Kaji da war oder nicht, solange er regelmäßig sein Frühstück bekam.

"Wie kommst du mit der Schule zurecht?", fragte Misato Shinji um sich abzulenken.

"Gut, gut", meinte der Junge beiläufig. Er hatte ihr gestern nicht erklären können warum er in diesem zermürbten Zustand auf der Bank vor dem Nervparkplatz saß. Es war im unendlich peinlich gewesen, dass Misato ihn in dieser Situation sah.

Aber er selbst konnte nur noch an seinen Vater denken. Die Art wie Gendo auf ihn herab gesehen hat, und wie er dieses Mädchen gleichzeitig mit seinen Blicken umsorgte..!

Doch nach einem kurzen Blick auf die Uhr bemerkte er, dass er eigentlich gar keine Zeit hatte sich darüber Gedanken zu machen. Die Schule fing gleich an, und er musste sich auf den Weg machen um nicht zu spät zu kommen.

"Ich muss gehen, Misato", verabschiedete er sich trocken und bekam ein säuerliches Grummeln als Antwort. Schließlich verließ der Junge den Wohnungskomplex.
 

Shinji staunte nicht schlecht als Kaji plötzlich in seinem Auto neben ihm Halt machte.

"Komm schon, ich hol dich ein Stück mit."

Der Verlorengeglaubte zog lässig an seiner Zigarette und machte für Shinji die Beifahrertür auf, doch letzterer wusste nicht Recht ob er dieses Angebot annehmen sollte oder nicht. Ihm war von Anfang an klar dass mehr dahinter steckte.

"Du wirst zur spät zur Schule kommen, Shinji!"

Letztenendes zeigte der Junge ihm das Vertrauen und stieg widerwillig ein.
 

[Empfänger: Ikari Gendo - Nerv

Datum: 26. November 2015 > Nachricht 1/1

Absender: Unbekannt

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Neue Berechnungen haben unsere gestrige These bestärkt: Morgen wird der nächste Engel in der Gegend um NeoTokyo auftauchen. Wie wir hörten geht es der momentanen EVA 00 Pilotin noch nicht besser, wodurch wir ihnen raten wollen einen weiteren Piloten einzuweihen.]
 

"Misato war sauer weil du die ganze Zeit weg warst", meinte Shinji verwirrt und blickte auf Kaji, der deutlich sicherer autofahren konnte als Katsuragi.

"Misato wird in Zukunft längere Zeit ohne mich auskommen müssen", antwortete der Fahrer trocken ohne den Jungen anzusehen. "Dann wirst du hoffentlich dafür sorgen, dass sie keinen Unsinn macht."

Shinji war verwirrt, versuchte aber einen souveränen Eindruck zu machen und nickte zaghaft.

"Und noch etwas Shinji", fing Kaji bedeutungsschwanger an. "Ich wollte dir eigentlich noch sagen dass du gut mit Rei auskommen sollst, aber das kann ich mir wohl jetzt verkneifen. Stattdessen rate ich dir deinen Vater zu ignorieren."

"Woher..?"

Kaji seufzte. "Gendo hat mich angerufen. Er hat mich in einer ungewohnt freundlichen Art darum gebeten, dir auszurichten dass du ihn vergessen sollst."

"Was?!?" Shinji schreckte auf, mit so etwas hatte er wirklich nicht gerechnet. Natürlich wusste er von der abweisenden Haltung Gendos ihm gegenüber, aber die Worte Kajis vermochten wirklich Shinji völlig aufzuwühlen.

"Mach dir nichts draus. Gendo ist irgendwann im Laufe der Zeit zerbrochen, ich bezweifle dass er jemals wieder für irgendjemanden Zuneigung entwickeln kann."

"Was ist mit Rei?", erwiderte der Junge grummelnd.

"Rei ist etwas ganz Anderes." Kaji grinste sarkastisch. "Sie hat eine merkwürdige Ausstrahlung, findest du nicht?"

Shinji schwieg.
 

"Wir haben erste Ergebnisse von NEC erhalten." Ritsuko nahm eine Akte von ihrem Schreibtisch und gab sie der perplex aussehenden Misato. "Da ihr EVA 00 nun endlich fertig ist, hat man einen Probelauf mit dem Piloten gemacht."

"Und?", fragte Misato ohne sich zu bemühen die Akte aufzumachen und selbst darin zu lesen.

Dr. Akagi seufzte und griff sich ihre Kaffeetasse. "Nichts besonderes. Clade hat verhältnismäßig gut mit der Maschine synchronisiert, aber an Rei kam er bei weitem nicht ran."

Nun öffnete Katsuragi doch neugierig die von Ritsuko gereichte Akte. ,Synchronwert: 70%' las sie ab, bei Ayanami hatte man Werte von wenigstens 90% verzeichnet.

"Wie geht es Rei?", fragte sie plötzlich.

Ritsuko stellte fest dass ihr der Kaffee bei weitem zu heiß war, und stellte die Tasse wieder auf ihren Schreibtisch. "Sollen wir zur Krankenstation rübergehen?"

Anfangs reizte Misato der Gedanke, ihr langweiliges Büro verlassen zu können, doch eigentlich wollte sie das seltsame Mädchen fürs erste in Ruhe lassen. "Später vielleicht."

Dr. Akagi zuckte mit den Schultern und blickte wieder sehnsüchtig auf ihren Kaffee.
 

Rei lag immer noch auf der Krankenstation, sie war es nicht gewöhnt so lange ans Bett gefesselt zu sein. Eine Infusionsnadel steckte in ihrem Arm.

Und plötzlich hatte sich alles verändert. Sie lag nicht mehr in einem steril-weißen Krankenzimmer, die beeindruckende Gabe zu träumen hatte sie direkt an einen einsamen Strand katapultiert. Rei hörte den kreischenden Vögel am Himmel zu, genoss dass beruhigende Geräusch der Wellen.

[Und dann war da noch Shinji.]

Rei hatte Gendo nach dem Jungen gefragt. Sie wollte wissen wie die Person hieß, die sie in ihrem Krankenzimmer besucht hatte.

[Shinji.]

"Ayanami?" Shinji stand im trockenen Sand und ließ sich seine Verwirrung deutlich anmerken. Er hatte keine Ahnung warum er sich plötzlich mit Rei an einem endlosen Strand befand.

"Shinji, endlich habe ich dich gefunden." Rei lächelte ihn freundlich an. Der Junge erwiderte ihre Geste zögerlich.

"Rei... Du hast mich gesucht?"

Das Mädchen ging mit einem spitzbübischem Grinsen auf ihn zu. "Jemanden den ich lieben kann", verbesserte sie ihn.

Ikari dachte noch über ihre Worte nach, als ihn eine eher unbekannte Stimme wieder in die Realität zurück holte.

"Stinklangweilig, was?" Toji grinste ihn an.

Shinji schreckte auf, er war in der Schule eingeschlafen! Ein Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass er in der letzten Schulstunde eingenickt sein musste! Der Klassenraum war nun völlig leer, abgesehen von Toji und Kensuke die scheinbar auf ihn gewartet hatten. Zwei Menschen die sich ihm am gestrigen Tag vorgestellt hatten und langsam zu Sympathiefiguren für den Jungen wurden.
 

Der Tag verging. Nachdem er Shinji zur Schule gefahren hatte, begann für Kaji eine endlose Autofahrt ohne Ziel. Er fuhr einfach die Straßen entlang, versuchte sich abzulenken.

Vergeblich. Am Abend hatte er wieder den Ausgangspunkt seiner Reise erreicht und musste das drohende Risiko eingehen und seinen Freund treffen. Gendo hatte Recht - Kaji würde damit sein Todesurteil unterschreiben.

Aber eigentlich war es dem Söldner egal. Er hatte es satt, eine Marionette unter Gendo zu sein. Als Kaji die Kneipe betrat wurde er von zwei Nerv-Spionen dabei beobachtet.

"He!", hörte er eine bekannte Stimme an einem der Tische hören. "Kaji! Endlich treffen wir uns wieder!"

Keyko saß breit grinsend mit einem Bier in der Hand auf einem Stuhl und winkte seinen alten Freund zu sich hin. Es begann eine längere Konversation, die Kaji schließlich das Leben kosten sollte.

[Aber noch nicht jetzt]
 

"Verdammt, wo ist Kaji nur!?!" Misato war völlig außer sich, sie schmetterte eine leergetrunkene Bierdose gegen die Wand und schnappte sich in einem blitzartigen Handgriff die nächste. Shinji war schnell in seinem Zimmer verschwunden und hörte Discman, er wollte nicht Opfer von Misatos Wutattacken werden.

Zumal er ihr bewusst verschwiegen hatte, Kaji heute morgen gesehen zu haben.
 

Während am Tresen die Stimmung nicht gerade überschwappte, und nur mehr oder weniger belanglose Alkoholgespräche geführt wurden, fand in der hintersten Ecke der Kneipe eine Konversation von höchster Wichtigkeit statt. Keyko erzählte Kaji alles was er in den letzten Tagen erlebt hatte, und enthüllte damit zumindest ansatzweise die dunklen Geheimnisse -

"... des Vatikans!" Kaji starrte seinen Freund ungläubig an. "Du warst im Vatikan?"

Keyko lächelte. "Streng genommen nicht. Ich war nicht in Vatikanstadt, aber im Vatikanspalast in Rom, der Residenz des Papstes. Und dem Aufenthaltsort der vatikanischen Bibliothek." Kaji gaffte auf seinen Gegenüber als hätte er es mit einem Alien zu tun, Keyko musste Sekunde für Sekunde mehr grinsen. "Du weißt dass der Vatikanspalast perfekt geschützt wird. Sogar direkt nach dem second Impact wurde das Gebäude von allen Seiten bewacht. Es wurde besser geschützt als alle wichtigen amerikanischen Ministerien zusammen. Und in den mysteriösen Keller des Vatikans, kommt selbst der Papst nicht so einfach rein."

"Und du warst da drin?", spottete Kaji sarkastisch.

"Ja", entgegnete Keyko trocken. "Und es war verdammt schwer. Nicht nur dass ich fließend italienisch und englisch sprechen lernen musste - ich hatte mehrere verschiedene Identitäten und etliche gefälschte Genehmigungen. Und damit kam ich auch wirklich nur in die tiefen Gemächer des Palastes hinein - aber keinen Schritt in die Keller. Diesen besonderes Zugang musste ich mir verschaffen indem ich gegen circa zwanzig Gesetze verstoßen hab. Ich war kaum in der ersten Halle der Katakomben drin, als ich entdeckt wurde und nur mit Mühe aus dem Palast wieder fliehen konnte. Ich habe nur durch Glück überlebt."

"Was hast du in den Katakomben gesehen?", fragte Kaji hastig. In ihm brodelte eine enorme Neugierde und Sensationslust hervor.

"Die Vatikanbibliothek enthält mittlerweile mehr als 20000 Bücher, davon mehr als 15000 unbezahlbare Unikate. Ich habe im Keller eine andere Bibliothek gesehen - Bücher die aus gutem Grund von der Kirche verboten wurden. Satanistische Schriften, Beschwörungsformeln, etliche Bücher die auf verschiedene Art und Weise den Weltuntergang prophezeiten. Leider konnte ich mich wie gesagt nicht lange in diesem Raum aufhalten."

"Also hast du keine Beweise?"

Keyko grinste wieder und kramte in seiner Hemdtasche. Er zog ein altes vergilbtes Leintuch hervor und legte es Kaji hin. "Ich fand diesen Fetzen in einem der Bücher und hab es mit geholt."

Kaji sah sich das Motiv des kleinen Tuches an und zuckte innerlich zusammen. Das Bild auf dem Stoff war farblich so verblasst, dass es mehr als Fünfhundert Jahre alt sein musste - aber es zeigte eine Kreatur die Kaji erst vor wenigen Tag sah.

Es war der Engel, den Rei besiegt hatte.

[Wie kann dass sein???]

Keyko zog sein Bierglas an sich und entleerte es in einem Zug. Danach grapschte er sich sein Leintuch und steckte es wieder ein; Kaji machte einen perplexen Gesichtsausdruck.

"Aber eines weiß ich sicher", fing Keyko erneut an, "in den Katakomben des Vatikans sind nicht nur Bücher... Ich habe merkwürdige Geräusche gehört, und es verliefen etliche Stromkabel am Boden. Ich will nicht zuviel vermuten, aber ich glaube, dass sich in diesem Keller etwas von unschätzbarem Wert befindet."
 


 

ENDE KAPITEL 1
 


 


 


 


 

VORSCHAU: PHASE 5 (12. DEZEMBER 2015)
 

Shinji hat sich mit Toji und Kensuke angefreundet und bereits zwei Engel mit Rei's Hilfe besiegt
 

Keyko Urusawa versteckt sich vor NERV-Agenten
 

Misato hat nun schon 17 Tage nichts mehr vom plötzlich verschwundenen Kaji gehört
 

Waechter schickt ihr First Children Asuka zu NERV, um Shinji und Rei beim Kampf gegen die Engel zu helfen



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  migele
2003-12-02T11:20:43+00:00 02.12.2003 12:20
interessante Interpretation, wirst du dich da auf die Theorien des christentum stüzen oder hast du es als seidestory drinnen?

migi-chan
Von:  Nostradamus_MB
2003-11-30T14:31:31+00:00 30.11.2003 15:31
ich kann zu dem was nex gesagt hat, nur etwas hinzufügen. mal eine sehr neue und einfallsreiche idee. freue mich schon drauf mehr zu lesen.

nos / michel
Von:  Nex_Caedes
2003-11-29T21:17:23+00:00 29.11.2003 22:17
Super story.
Interesant und flüssig ngeschrieben
mach weiter so
nex


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