Vom Regen bis zur Nachtigall von Ryuura (Crowley x Erziraphael) ================================================================================ Kapitel 1: Vom Himmel niedergefahren ------------------------------------ Mit einem tiefen Seufzen saß Erziraphael an einem weißen Schreibtisch, während er einen strahlend weißen Kugelschreiber zwischen seinen Fingern drehte, vor sich ein Stapel ebenso weißer Papiere. Alles hier im Himmel war so wahnsinnig...steril. Der Boden: weiß. Die Decke: weiß. Die Wände: weiß. Sein Engelsgewand: weiß. Es stach ihm regelrecht in den Augen. Der Engel fragte sich ernsthaft, wie er das hier bereits Jahrtausende aushalten konnte. Er hatte Sehnsucht nach Abwechslung, nach Farbe. Grün, Blau, auch seine Lieblingsfarbe Gelb suchte man hier vergeblich. Er wollte warme Farben sehen, wie... rot. Eine Farbe, die ihm unweigerlich Sicherheit und Geborgenheit versprach. Nachdem Erziraphael zugestimmt hatte, die Position des Erzengels Gabriel einzunehmen, waren 7 Jahre vergangen. Normalerweise für Wesen wie ihn ein simpler Wimpernschlag, wenn man ewig lebte. Doch für den Engel fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Vor allem nachdem er so lange Zeit unter den Menschen verbracht hatte, nebenbei bemerkt wahrhaftig famose Lebewesen. Deren Erfindungen waren wahre Meisterwerke der Evolution. Und das Essen erst. Wieder seufzte Erziraphael. Wann hatte er das letzte mal Crêpes? Sich selbst einen Narren schaltend stand der blonde Engel von seinem Schreibtisch auf und strich sein akkurat sitzendes Gewand glatt. Das hatte alles keinen Sinn mehr, er würde sich heute so oder so nicht mehr konzentrieren können. Mit einem Wink seiner rechten Hand ließ er die Dokumente verschwinden und ließ einen leeren Schreibtisch zurück. Ziellos wanderte er durch die unendlichen Gänge des Himmelreichs. Wie schon so oft in den letzten Jahren ließ Erziraphael einige Episoden seiner Zeit auf der Erde Revue passieren. Und ein ganz gewisser Jemand kam ihm dabei immer wieder in den Sinn. Egal in welcher Epoche er sich aufgehalten hatte, egal auf welchem Kontinent er gewesen war, der Dämon Crowley, Gott möge seiner Seele gnädig sein, war nicht weit. Wieso war ihm das nie aufgefallen? Es konnte einfach kein Zufall gewesen sein, dass Crowley immer zur Stelle war ihn zu retten. Ob er Erziraphael nun vor der Guillotine während der französischen Revolution 1793 gerettet und mit ihm daraufhin Crêpes gegessen hatte oder als er London 1941 während des zweiten Weltkrieges eine Kirche für ihn betreten hatte, obwohl sich der Boden für ihn wie glühend heiße Kohlen angefühlt haben musste. Und was hatte er für Crowley getan? Er hatte ihm immer nur Schwierigkeiten bereitet, hatte den Dämon in Situationen gebracht, für die er sich vor dem dämonischen Konzil wieder und wieder verantworten musste, da er ja „Gutes“ getan hatte. Diese Meinung vertrat der Engel auch konsequent: Crowley war schon immer einer der Guten gewesen, auch wenn er dies nicht hören wollte. Und es hatte nie lange gedauert bis der Dämon wieder da war, immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht und einem kessen Spruch auf den Lippen. Doch nie hatte der Engel das alles mal hinterfragt. Im Gegenteil, er hatte es als vollkommen selbstverständlich hingenommen und zum Schluss ihrer gemeinsamen Zeit auf der Erde absolut egoistisch gehandelt, wollte ihn wieder in den Engelsstand erheben, ohne sich darum zu kümmern, wie der Dämon darüber dachte. Wofür er sich immer noch sehr schämte. Er konnte gar nicht genug Buße dafür tun, dass er Crowley so vor den Kopf gestoßen hatte. Erziraphael konnte es noch nie leugnen. Er mochte einen Dämon. Und er vermisste ihn, schmerzlich sogar. Er. Ein Engel. Vermisste einen Dämon. Was war nur aus dieser Welt geworden? Und dieses Gefühl, das sich Tag für Tag mehr in ihm ausbreitete, fraß ihn nach und nach von innen auf. Es fühlte sich an, als würde sein inneres Weiß getrübt werden. Das war gar nicht gut. Jedes mal, wenn er an Crowley dachte, trugen ihn seine Füße ohne sein Zutun zu dem göttlichen Aufzug, der Himmel und Erde verband. Und da war er wieder. Stand unschlüssig vor dem Aufzug. Hob die Hand um den Knopf zu drücken damit sich die Türen öffnen würden. Doch wie schon die tausenden Male davor schaffte Erziraphael es einfach nicht, die wenigen Zentimeter zu überbrücken um den Schalter zu betätigen. Er hatte schlichtweg Angst. Angst davor was kommen könnte, was werden würde und was nicht mehr war. Vor allem letzteren hatte der Engel große Angst. "Wieso drücken Sie nicht den Knopf?" Erschrocken fuhr Erziraphael herum und erblickte hinter sich einen jüngeren Engel mit einem naiv-freundlichen Gesichtsausdruck. Sich wieder sammelnd strich er über sein Gewand. "Ich... ich wüsste nicht, weshalb ich den Knopf drücken sollte. Ich muss ihn nicht drücken, musste ich noch nie. Die Frage ist doch eher, was tust du hier, Muriel? Müsstest du nicht auf der Erde sein?“ Stolz, als hätte man ihr einen Orden verliehen, strahlte Muriel dem Blonden entgegen, drückte dabei ein dickes Bündel Papiere an sich. "Ich habe den ehrenwerten Auftrag erhalten, den Namen unseres Herrn und Gebieters unter den Menschen wieder groß zu machen, da die Population in den irdischen Kirchen immer mehr abnimmt. Deshalb habe ich diese Flyer gestaltet, die ich unter den Menschen verteilen möchte." "Du sollst Gottes Namen, gelobt sei er, wieder groß machen? Hat die Menschheit wirklich derart seinen Glauben in ihn und sein großes Tun verloren?" Ein wenig betrübt nickte Muriel. "Leider scheint dem so zu sein. Deshalb habe ich mir überlegt, in meine menschliche Gestalt zu schlüpfen und den Namen des Herren den Menschen wieder in Erinnerung zu rufen." Ein nachsichtiges Schmunzeln umspielte die Lippen Erziraphaels als der jüngere Engel stolz mit seinen Flyern wedelte. Er erinnerte sich daran, als Muriel das erste Mal auf die Erde kam und versucht hatte, ihn und Crowley in seinem Buchladen zu beschatten. Schon damals hatte sich der Engel ein Lachen verkneifen müssen, ein Lachen, das Crowley augenblicklich aus der Kehle gebrochen war, unverschämt wie dieser Dämon war. Allgemein war der Rothaarige nie um eine sarkastische Aussage verlegen. Bei dem Gedanken an ihn kam Erziraphael plötzlich eine Idee. "Diese Aufgabe, die du erhalten hast, ist wirklich groß und zusammen mit der Führung eines Buchladens nicht einfach zu händeln..." Kurz tat der Engel so, als würde er angestrengt überlegen, den aufgeregten und neugierigen Blick Muriels auf sich ruhend. Eigentlich wusste Erziraphael ganz genau, was er sagen wollte, aber ein gewisser Jemand hatte ihm vor langer Zeit beigebracht, dass ein wenig Dramaturgie einem Standpunkt noch etwas Würze verleihen konnte. "Ich würde vorschlagen, dass du nicht alleine zurück auf die Erde gehst. Diese heroische Aufgabe, der du dich widmen möchtest, bedarf es deiner vollen Aufmerksamkeit. Du brauchst Unterstützung in der Verwaltung des Buchladens. Und da ich mich, ohne mich jetzt in den Vordergrund drängen zu wollen, bereits seit mehreren Jahrzehnten um den Laden gekümmert habe, würde ich mich hierfür gerne anbieten." Mit einem milden Lächeln auf den Lippen und den Händen vor dem Bauch gefaltet hatte Erziraphael seine Worte gesprochen, innerlich war er aufgeregter denn je. Ein oberster Engel seiner Position konnte nicht einfach so auf die Erde verschwinden, er brauchte einen triftigen Grund. Und das hier war doch einer. Konnte es wirklich so einfach sein? Das Strahlen, das sich auf Muriels Gesicht bildete, unterstrich Erziraphaels Meinung. "Wi...wirklich? Das würde mir die Arbeit ungemein erleichtern! Also...wenn es Ihnen nichts ausmacht." In einer gütigen, jedoch mahnenden Geste erhob Erziraphael seine Hand, gebot so Muriel zu schweigen. "Nicht doch, es wäre mir eine Ehre, dir in dieser großen Wende des Glaubens zu helfen. Und höre auf so förmlich mit mir zu sprechen, schließlich bist du nun die offizielle Inhaberin des Buchladens und ich nur eine helfende Hand, eine Art...Aushilfe." Kurz blinzelte der jüngere Engel verwirrt, als ihr Erziraphael verschwörerisch zuzwinkerte. Doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie, ohne es überhaupt zu verstehen, diese Geste mit einem naiven Kichern erwiderte. "Aber natürlich. Meine...'Aushilfe'. Nach Ihn... ich meine... Nach DIR." In einer fließenden Bewegung hatte Muriel den Aufzug geöffnet und bat den älteren Engel mit einer einladenden Geste einzutreten. Dieser folgte direkt und betrat mit flatternden Herzen die ihm bereits wohlbekannte kleine Kabine, die ihn an den Ort bringen würde, den er bereits vor 7 Jahren mit schweren Herzen verlassen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)