Die Verschworenen von Norrsken ================================================================================ Kapitel 1: Unverhoffter Besuch ------------------------------ Für dieses Jahr hatte Max erwartet, dass die Winterfeiertage unspektakulär würden. Mit seinen Eltern war ausgemacht, dass er in Baltimore blieb und sich einmal via Facetime meldete, um ihnen und Charlotte schöne Feiertage zu wünschen. Sie akzeptierten diese Entscheidung, auch wenn sie ihn wissen ließen, dass sie ihn gerne bei sich hätten. Vor allem Charlotte vermisste ihn, was ihm bewusst war, allerdings wusste er auch, dass seine kleine Schwester Verstand hatte und nicht an ihm zweifelte, nur weil sie auf verschiedenen Kontinenten lebten. Max schätze dieses Vertrauen und bemühte sich bei jeder Gelegenheit dem gerecht zu werden. Die freien Tage wollte er dieses Mal mit Mariam verbringen, die dieses Jahr zu ihm nach Amerika gekommen war und entschiedenen hatte, zu bleiben. Es war aus seiner Sicht fast ironisch, dass er die Festtage lieber für Dates nutzen wollte, als die Familie zu besuchen. In Japan hätte sich dieser Plan weniger seltsam angefühlt als in Amerika. Eine höhere Macht schien es ähnlich zu sehen. Zumindest fühlte es sich so für Max an, als er am Vormittag die Tür zur Wohnung öffnete und große apfelgrüne Augen zu ihm aufschauten. Ein breites Lächeln, welches für ihn der aufgehenden Sonne glich strahlte ihm entgegen und im nächsten Moment wurde er herzlich mit einer Umarmung getackelt. Krafttraining hatte nie zu seinen liebsten Freizeitaktivitäten gehört, aber seine kleine Schwester war zu seinem Glück ein Fliegengewicht und er fing sie in seinen Armen ohne peinliche Bruchlandung. Charlotte drückte ihren Kopf gegen seinen Torso, dann blickte sie auf, immer noch mit diesen leuchtenden Augen und einem breiten Grinsen. »Hi, Brüderchen! Überrascht mich zu sehen?« Ein trockenes Lachen entwich ihm und er war nicht ganz sicher, ob vor Freude oder vor Überwältigung. »Wenn ich morgen aufwachen würde und mein Gesicht mit Makkaroni beklebt ist, wäre ich nicht mehr überrascht als ich es jetzt bin.« Unabhängig davon drückte er sie während sein Blick über ihren Kopf hinweg ging. Neben dem Rucksack, den sie trug, stand ein kleiner Koffer im Hausflur bereit. Ihm wurde kurz schwindelig. In seinem Kopf poppten sofort ein Haufen Fragen auf, doch vorerst schluckte er sie herunter. Als sie sich voneinander lösten, bat er Charlotte in die Wohnung. Den unheilverheißenden Koffer nahm er selbst und stellte ihn neben dem Sofa ab, sodass er nicht im Weg stand. Schnell aus dem Parker gepellt ließ seine Schwester sich mit Schwung auf die Polster fallen und nach einem tiefen Seufzer sackte sie entspannt in sich zusammen. Max schmunzelte und hegte die Vermutung, dass ihr Weg zu ihm selbst für eine Dreizehnjährige anstrengend gewesen sein durfte. »Hast du Hunger?« Im Kopf überschlug er fix, was gerade im Haus war. »Möchtest du ein Wasser oder lieber etwas Warmes?« Die Außentemperaturen neigten sich inzwischen gen Gefrierpunkt. Charlotte deutete an, zu überlegen, aber eigentlich war ihnen beiden klar, was die einzige Antwort auf die Frage sein würde. »Heiße Schokolade!« Max lächelte versonnen. »Mit Karamell und Sahne?« Mit einem zufriedenen Nicken bestätigte sie seine Frage. Bevor er an die Küchenzeile trat, um die Hafermilch aufzukochen, nahm er ihr noch den Parker ab und hing in an die Garderobe. »Dauert einen Moment. Du kannst dir solang den Fernseher anmachen oder das Tablet nehmen.« »Okay!« Schnell hatte Charlotte das Tablet vom Wohnzimmertisch gegriffen und Youtube laufen. Während Max einen Topf aus dem Schrank angelte und mit Erleichterung feststellte, dass die Hafermilch für zwei Tassen reichen würde, hörte er die erste Hip-Hop Melodie über die Lautsprecher des Tablets laufen. Es erfüllte ihn etwas zu sehr mit Stolz, dass er noch vor dem Refrain den Song der Lieblingsband seiner Schwester erkannte, entschied sich aber dagegen zu prahlen und konzentrierte sich darauf, dass die Milch nicht zu warm wurde. ❄ Auf ihrem Heimweg machte Mariam einen kleinen Umweg zum Supermarkt. Nach Feierabend hatte sie auf ihrem Smartphone einige Nachrichten von Max nachlesen können. In einer informierte er sie darüber, dass ihnen die Hafermilch ausgegangen war und da sie nicht gerne auf ihren Matcha Latte verzichtete und Max Kaffee niemals pur trank, entschied sie spontan neue zu holen. Vom Supermarkt aus war es nicht mehr weit. Ein frischer Wind brauste ihr um die Ohren und sie schlang den Mantel enger um ihren Körper, während sie mit angezogenen Tempo die Straßen entlangging, den Passanten im Einkaufsrausch auswich und schließlich daheim ankam. Ein sicherer Griff in ihre Handtasche genügte und der Hausschlüssel war parat. Die Treppen stieg sie etwas langsamer und versuchte nebenher durch einige geübte Handgriffen das vom Wind zerzauste Haar zu richten, bevor sie die Wohnungstür öffnete. Angenehme Wärme strahlte ihr aus dem Innenraum entgegen und ließ sie lächeln. »Bin zurück«, informierte sie und ließ die Tasche neben der Haustür sinken. Sie öffnete Gurt und Knöpfe ihres Mantels und scannte die Wohnung mit ihrem Blick bis sie Max fand. Die großen Augen mit denen er sie anstarrte irritierten in kurz sie die zweite Person in ihrem Augenwinkel bemerkte. Max saß zusammen mit der Jugendlichen, das sie als seine Schwester identifizieren konnte auf dem Sofa. Beide hatten einem Controller in der Hand und vom Fernseher war hektisches Gedudel zu hören, das Mariam mit Mario Kart assoziieren konnte. Blinzelt schüttelte sie kurz den Kopf als könnte das etwas an dem Bild, welches sich ihr bot, ändern, aber als sie ihre Augen wieder aufschlug saß Max immer noch da, starrte zurück und Charlotte blieb auf den Fernseherbildschirm konzentriert. »Sieg!«, flötete Charlotte und streckte jubelnd die Hände in die Höhe. Im Anschluss wandte sie sich ebenfalls dem Neuankömmling zu, doch ihre Begeisterung wich in kurzer Zeit einem verwirrten Ausdruck. »Wer ist das?« Mariam hob eine geschwungene Augenbraue, überließ es jedoch Max die Frage seiner Schwester zu beantworten und kümmerte sich derweil darum, ihren Mantel an den Kleiderhaken zu hängen und die Hafermilch in den Kühlschrank zu stellen. »Das ist Mariam«, stellte Max sie vor. Im rechten Moment wandte sie sich den beiden wieder zu und lächelte. »Freut mich, dich kennenzulernen, Charlotte.« Sie war das eine Mitglied aus Max‘ direkter Verwandtschaft, welches sie noch nicht persönlich kennengelernt hatte. Trotzdem wusste sie bereits einiges von ihr durch Erzählungen und Fotos. Der geneigte Kopf und die zusammengezogenen Augenbrauen von Charlotte zeigten ihr, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte und die dürftige Vorstellung für sie nicht zufriedenstellend war. Max kam zum gleichen Schluss und fügte fast schüchtern hinzu. »Meine Partnerin?« »Du hast eine Freundin?!«, platzte es erstaunt aus der Jugendlichen heraus und ließ Max zusammenzucken. Sein zögern gab ihr Zeit Mariam zu betrachten. Dann huschte ihr Blick zur Wohnungstür und wieder zurück zu Max. »Sie wohnt hier und du hast sie nie erwähnt?«, folgerte sie und ihrer Stimme war eine gewisse Empörung zu vernehmen. Mariam hatte eine gewisse Mühe, dass schelmische Zucken in ihrem Mundwinkel zu unterdrücken, also versuchte sie eine andere Taktik und begann geschäftig die Lebensmittel im Kühlschrank zu ordnen. Sie wusste, wieso Max sich damit schwer tat, seiner Familie von ihr zu erzählen. Es wäre ihm leichter gefallen, wenn sie zunächst nur seine feste Freundin gewesen wäre. Ohne die beiden eines direkten Blickes zu würdigen, bemerkte sie das Zaudern von Max und stellte sich vor, wie er mit sich Rang, Charlotte zu korrigieren und die Situation zu erklären. Bewusst atmete sie ein und schloss die Kühlschranktür. »Ich wusste auch nicht, dass du uns besuchen kommst«, merkte sie an mit bemüht unschuldigem Ton. »Wie lange bleibst du bei uns, Charlotte?« Max sah sie über die Schulter ganz verdutzt an, dann wandte er sich zurück an seine Schwester. »Stimmt, was machst du überhaupt hier, Charlotte? Wie bist du hergekommen?« Die Frage ließ Mariam eine ihrer geschwungenen Augenbrauen lupfen. Er wusste auch nicht, was sie hier machte? Und statt das zu klären, fand sie die beiden beim Mario Kart zocken vor. Innerlich schüttelte sie den Kopf, konnte sich aber denken, dass Max sich über den Besuch insgeheim zu sehr freute und das wesentliche darüber vergessen hatte. Die Umlenkung des Themas funktionierte und Charlotte wurde einen Moment still und sah beide abwechselnd an. Mariam beschlich das Gefühl, dass sie ebenso verdrängt hatte, dass zu klären. »Ich habe mir am Flughafen ein Ticket für den Bus nach Baltimore gekauft und bin hergefahren«, erklärte sie arglos. Max schüttelte wirsch den Kopf. »Okay, gut? Das erklärt aber nicht, wieso du gerade in Amerika bist. Feiern Mom und Dad Weihnachten dieses Jahr nicht in Japan?« »Nein, Mom muss bis Heilig Abend im Labor bleiben und da haben wir spontan entschieden, dass wir in New York feiern.« Charlotte tat diese Tatsache mit einem lockeren Schulterzucken ab. »Dad behält den Laden noch offen wegen des Weihnachtgeschäfts, aber die Ferien haben schon begonnen. Also hab ich gefragt, ob ich schon mal vorfliegen kann.« Mariam beobachtete wie Max Rücken gerader wurde und seine Schultern eine Linie bildeten. »Wissen Mom und Dad, dass du hier bist?« »Nope.« Ruhigen Schrittes ging Mariam um das Sofa herum und setzte sich an die Seite von Max. Sie überschlug ihre Beine und stützte ihre Arme darauf. Dabei berührte ihre Hand wie beiläufig den Arm von Max. »Warum hast du es ihnen nicht gesagt?«, fragte sie ruhig und ohne jeden Vorwurf in ihrer Stimme, wohlwissend dass ihr Partner dazu gerade nicht mehr fähig war. Die bisher stolze Haltung darüber, aus dem Elternhaus ausgebrochen zu sein, verschwand langsam. Charlotte zog die Schultern an und die Nase kraus, bevor sie mit gesenkten Haupt vor sich her brummte. »Sie sollen sehen, dass ich alleine gut zurecht komme.« Da Mr. und Mrs. Mizuhara der Jugendlichen bereits zutrauten, dass sie alleine mit dem Flieger von Tokyo nach New York reisen konnte, hatte Mariam angenommen, dass sie ihrer Tochter zutrauten alleine zurechtzukommen. Entsprechend konnte Mariam es nicht vermeiden über die Erklärung überrascht zu blinzeln. Ihr Blick huschte zu Max, der weniger überrascht wirkte und leicht gequält dreinblickte. Für gewöhnlich zählte es zu seinen Stärken, die Ruhe zu bewahren, doch in diesem Moment fühlte er sich fast wie unter Strom. Zig Gedanken stoben ihm wild durch den Kopf und er rang das Bedürfnis nieder, Charlotte zu schütteln. Ihm drängte sich die Vorstellung auf, wie ihren Eltern bewusst wurde, dass sie nicht wussten, wo ihr Kind ist und alles in ihm zog sich schmerzhaft zusammen. Max versuchte seine Gedanken zu dem Gefühl von Mariams Fingern auf seinen Arm zu lenken. Sie waren noch immer kühl von draußen und am liebsten hätte er sie in die Hand genommen und gewärmt. Wie sie zuvor atmete nun er bewusst ein und ließ die Luft in einem gleichmäßigen Strom wieder entweichen, wodurch sich seine Schultern entspannten. »Hat das etwas mit dem BTS Konzert zu tun, zu dem du möchtest?« »Ein Konzert?«, echote Mariam im Glauben, sich verhört zu haben. Obwohl Max in den Staaten lebte, war diese Debatte so oft hochgekocht, dass er sie mitbekommen hatte. Im nächsten Jahr würde BTS, die Lieblingsband seiner Schwester, vier Konzerte in Japan geben und selbstverständlich wollte sie hin. Bisher wurde diese Bitte jedoch immer wieder abgelehnt, da ihre Eltern sich bei dem Gedanken, dass Charlotte alleine auf das Konzert ging, nicht wohl fühlten. Die Jugendliche schnappte hörbar nach Luft und begann mit beiden Händen zu Gestikulieren, um ihren Standpunkt deutlich zu machen. »Schau, es ist doch vollkommen willkürlich mir das Konzert in Japan nicht zu erlauben, aber mich dafür völlig sorglos alleine nach Amerika fliegen zu lassen.« Bis zu einem gewissen Grad verstand Max ihren Punkt, fürchtete jedoch, dass ihr Handeln nicht den Effekt mit sich bringen würde, den sie sich erhoffte. Sich seine Worte wohlüberlegend befeuchtete er sich die Lippen, bevor er sprach. »Vielleicht werden Mom und Dad nicht mehr so sorglos damit sein, wenn du sie das nächste Mal bittest, vorfliegen zu dürfen«, begann er seufzend. Das Konzert war ihr sicher wichtiger, doch zunächst sollte die aktuelle Situation geklärt werden und Charlotte ihr Handeln reflektieren. »Ich verstehe, dass du ihnen hiermit etwas beweisen möchtest. Nur könnte es sein, dass du ihr Vertrauen in dich aufs Spiel setzt.« Mit zusammengezogenen Augenbrauen senkte seine Schwester den Blick. Er huschte immer wieder zwischen zwei undefinierten Punkten umher, während sie leicht auf ihrer Unterlippe kaute. Eine Angewohnheit, die Max verriet, dass es in ihr arbeitete. Er legte die Fingerspitzen zusammen und konzentrierte sich auf die Berührungspunkte. Sein Blick ruhte auf seiner Schwester vor ihm. »Schau, du hattest mit ihnen doch ausgemacht, vorzufliegen und direkt zu Mom zu fahren. Wenn du nicht bei ihr ankommst, wie wird sie sich fühlen? Was denkst du, wird sie für ein Fazit daraus ziehen, wenn du dich nicht daran hältst, was ihr ausgemacht habt?« Langsam sanken die Schultern von Charlotte. »Oh.« Innerlicht atmete Max auf. Ihm war nicht danach seiner kleinen Schwester einen belehrenden Vortrag zu halten. Es musste schwer für sie sein, den Blickwinkel ihrer Eltern anzunehmen. Auch wenn er schon eine Weile aus der Pubertät raus war, hatte er vage Erinnerung daran, wie weit weg sich die Lebensrealität von ihnen anfühlen konnte. Die sanfte Berührung von Mariams Hand auf seinem Arm, holte ihn aus seinen Gedanken raus und er sah sie blinzelnd an. »Uns wird doch etwas einfallen, um eurer Mom gut zu verkaufen, warum Charlotte jetzt erst mal zu uns gekommen ist, oder?« Zuversichtlich lächelte sie ihn an, aber in den ozeangrünen Augen erkannte er eine gewisse Listigkeit wieder. Der Kopf von Charlotte war sofort hochgeschnellt, dass ihre Locken um ihren Kopf wippten. Mit großen Augen sah sie zwischen den beiden hin und her. Dann griff sie nach den Händen ihres Bruders. »Oh, bitte!« Max kniff die Augen zu und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Gedanklich drehte und wendete er ihre Möglichkeiten und kam zum gleichen Schluss wie Mariam. Wenn er nicht wollte, dass über die Feiertage ein Familienkrach entstand, mussten sie sich etwas einfallen lassen. »Okay, überlegen wir uns etwas.« Mit einem Satz war Charlotte vorgesprungen und fiel Max freudig quiekend um den Hals. »Danke, danke, danke! Du bist der beste Bruder der Welt!« Ihre honigblonden Locken kitzelten ihn an der Wange, was ihn schmunzeln ließ. »Bedank dich nicht zu früh. Du kennst Mom.« Das würde nicht leicht, denn Judy Mizuhara war scharfsinnig. Mariam lehnte sich zu ihm rüber, sodass sich ihre Schultern berührten. Ihre Blicke trafen sich und sie zwinkerte ihm verheißungsvoll zu. »Ich halte uns drei für sehr clever. Das wird.« Ihre Worte klangen wie ein Versprechen, das er gerne glaubte und ihn schließlich zuversichtlich lächeln ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)