Die Bernsteinaugen des Falken von Erzsebet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Vor vielen Jahrzehnten, lange bevor Hermil Tashrany Hannai angriff und in drei Tagen unterwarf, war allein die Wüste die Heimat der Oshey. Wie Tyrima des Tages über die Welt schreitet, um sie mit ihrer unbarmherzigen Hitze zu verdorren und wie ihr Gemahl Orem ihr folgt, um seinen sternenbesetzten Mantel über die Welt zu breiten, so zogen auch die Oshey vor langer Zeit auf immer den gleichen Wegen, die allein ihnen bekannt waren, von einer Oase zur nächsten, durch die Hitze Tyrimas Tage und die Kälte der Nächte Orems. * Noch bevor der Tag in seiner vollen Gluthitze erwacht war, als der Saum Orems Mantel noch über dem Horizont lag, ritt der Fürst der Yoshany mit seiner ältesten Tochter auf die Jagd, denn bei den stolzen Kindern der Wüste werden auch die Frauen in den Künsten unterrichtet, die die Städter den Männern vorbehalten. Sie ließen den Kreis der Zelte hinter sich und ritten Tyrima entgegen, um mit dem anbrechenden Morgen die Jagdgebiete der Yoshany zu erreichen und am Ende des Tages mit reicher Beute zu den Zelten zurückkehren zu können. Als die Zelte hinter den Dünen verschwunden waren, erhob sich im Westen eine Staubwolke, die rasch näher kam. Fünf Reiter auf schwarzen PFerden preschten heran, ihre Gesichter waren mit schwarzen Tüchern verschleiert, wie es bei einigen Stämmen der Oshey üblich ist, und an ihren Seiten hingen Schwerter von unterschiedlichster Machart. Der Fürst und seine Tochter erkannten, daß es sich um Räuber handeln mußte und so griffen sie nach ihren Jagdbögen, um sich zu verteidigen, denn die Zelte lagen schon zu weit zurück, als daß Hilfe von dort sie noch rechtzeitig erreicht hätte. Der Pfeil des Fürsten ließ einen der Angreifer aus dem Sattel stürzen und der Pfeil seiner Tochter verletzte einen der Männer so schwer, daß er seine Klinge fallen lassen mußte, aber da hatten die restlichen drei den Fürsten und seine Tochter schon überwältigt und entwaffnet. Der Anführer, ein sehr großer Mann, unter dessen schwarzem Kopftuch einige Strähnen drahtigen Haares hervorschauten und der ein langes, gerades Schwert führte, wie es bei den Städtern üblich war, riß dem Fürsten den Ring seiner Herrschaft vom Finger. Und als der Fürst der Yoshany sich dagegen zur Wehr setzte, zuckte die langte stählerne Klinge und der Fürst lag mit durchschnittener Kehle im Sand. Für einen Moment war der Mann, der die Tochter des Fürsten hielt, erschrocken über die Tat seines Anführers und starrte mindestens ebenso entsetzt auf die Leiche, wie die Tochter des Toten. Diesen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit und des Nachlassens des festen Griffes nutzte die Tochter des Fürsten der Yoshany, sich dem Mann zu entwinden und auf ihr Pferd zuzulaufen, aber sie kam nicht weit. Der Schlag eines der Männer, der ihren Kopf traf, betäubte sie und es schien ihr, als folge sie ihrem Vater auf dem Weg in die sternenlose Dunkelheit. * Als Nejasa mit schmerzendem Kopf wieder zu sich kam, war um sie herum Dunkelheit. Nur ein schmaler Lichtstreifen, der durch die Lücke zwischen zwei Vorhängen in den Raum fiel, in dem sie in Fesseln gefangen gehalten wurde, zeigte ihr, daß sie noch sehen konnte. Der Raum schien leer und die Teppiche, auf denen sie lag, rochen nach Ziege und Kamel. Die Fesseln bestanden aus geflochtenen Lederschnüren, die fest um ihre Gelenke geschnürt waren, lagen aber noch nicht lange genug an, um Hände und Füße betäubt zu haben. Ein Schatten verdeckte für einen Moment die Lichtquelle im Nebenraum und Nejasa konnte leise Frauenstimmen hören, dann war das Licht wieder da und die Frauenstimmen und das Klingeln von Schmuck verstummte. Plötzlich wurde einer der Vorhänge beiseitegezogen und das Licht der Öllampe im Nebenraum blendete Nejasa. Eine kleine, untersetzte Gestalt stand als dunkle Silhouette vor der lichtgefluteten Öffnung und eine heisere Männerstimme fragte: "Hast du dich jetzt beruhigt?" Nejasa richtete sich auf. "Wieso beruhigt?" fragte sie erstaunt. "Willst du mir etwa weismachen, du erinnerst dich nicht mehr daran, daß du hier wie eine Wilde herumgetobt hast? Man hätte meinen können, du wolltest meinen guten Ruf zu Chelem jagen." Nejasas Augen hatten sich inzwischen an die Helligkeit gewöhnt und sie erkannte, daß der kleine Mann vornehm gekleidet war und seinen eingefetteten Kinnbart zu einer hervorstechenden Spitze modelliert hatte, um sein fliehendes Kinn zu kaschieren. An seinen heftig gestikulierenden Händen steckten große, kostbare Ringe und sein städtischer Turnban wurde von einer Diamantbrosche gekrönt. Der Mann wandte sich jetzt an einer andere Person, die sich außerhalb Nejasas Blickfeld befand. "Ein Vermögen habe ich für sie bezahlt und bei ihrer Schönheit hatte ich gehofft, in Hannai mindestens tausend an ihr zu verdienen, aber wenn sie sich wie eine Tochter Chelems aufführt..." "Für fünfhundert würde ich sie nehmen", erwiderte eine affektierte Männerstimme. Nejasa hörte, wie der Untersetzte abschätzig schmatzte. "Mein lieber Nefar, du weißt, sie ist mindestens achthundert wert, und nur weil du mein Freund bist, würde ich sie dir für siebenhundertfünfzig lassen, aber fünfhundert... das ist absolut indiskutabel." "Fünfhundert ist mehr, als jeder andere für sie bezahlen würde, wenn er gesehen hätte, was sie anrichten kann. Und stell dir vor, so benimmt sie sich bei dem, der sie schließlich erwirbt. Wenn du dann nicht Schadensersatz leistest, ist es mit deinem Ruf vorbei." "Aber fünfhundert... ich bitte dich!" erwiderte der Sklavenhändler vorwurfsvoll. Nejasa verschloß vor dem weiteren Gespräch ihre Ohren. Nachdem sie niedergeschlagen worden war, mußte sie gefunden, mitgenommen und als Sklavin verkauft worden sein. Und offenbar hatte sie im Lager des Händlers in ihrem Zorn über den Tod ihres Vaters und das ihr zugedachte Schicksal eine schlimme Verwüstung angerichtet. Sie erinnerte sich an nichts, aber sicher hatte sie versucht zu fliehen. Sie mußte unbedingt herausfinden, wer der Mörder ihres Vaters gewesen war, um den Fürsten der Yoshany rächen zu können. Und sie mußte zurück zu ihrem Stamm, um dort zu berichten, was vorgefallen war. In der Öffnung tauchte wieder der Händler auf, diesmal von einem großen, mageren Mann begleitet. Als der Schlanke seine spitze Nase in den winzigen Raum hielt, in dem Nejasa gefangen gehalten wurde, erkannte sie, daß auch er prachtvoll gekleidet war. Nach wenigen Augenblicken zog er sich mit vor Abscheu verzogener Miene wieder etwas zurück, um sich ein weißes, wahrscheinlich parfümiertes Tuch vor Mund und Nase zu halten. "Chelem, was für ein Gestank", flüsterte er und verdrehte kurz die Augen, musterte dann aber Nejasa aufmerksam. "Also gut, siebenhundertfünfzig. Laß sie baden und zieh ihr etwas Ordentliches an, dann schicke sie mir in mein Haus. Das Geld wird dir über meinen Schatzmeister zugehen." * Der Prinz von Nemis hatte einen großen Haushalt und nun wurde dieser Haushalt um eine weitere Sklavin erweitert: eine junge Osheyfrau, über die sich die anderen Frauen des Haushaltes schier den Mund zerreißen wollten. "Sie soll ihm Bett- und Kampfgefährtin sein", wußte eine zu berichten und eine andere meinte: "Die Osheyfrauen machen es anders, als anständige Frauen. Also ich habe da Sachen gehört..." Doch vorerst passierte nichts. Nefar Nemis, ein Vetter und enger Vertrauter des Königs von Hannai, ließ der neuen Sklavin, deren Schönheit er bewunderte, wie andere Männer vielleicht ein vollendetes Kunstwerk bewunderten, einen eigenen Palast bauen und umgab sie mit so viel Pacht, daß es einer Königin würdig gewesen wäre. Mit kostbaren Geschenken, feurigen Pferden und glitzernden Edelsteinen versuchte er, seine melancholische Erwerbung aufzumuntern, doch keine seiner Bemühungen zauberte das erhoffte Lächeln auf die blütenblattgleichen Lippen. Ja, seine Angebetete schien sie noch nicht einmal zu bemerken. Nefar Nemis unternahm jede Anstrengung, das goldhäutige Kleinod, das er erstanden hatte, von der Welt, die wohl böse mit ihr umgegangen war, fernzuhalten und vermied es, während der wenigen Mahlzeiten, die sie in seinem Hause, an seinem Tisch einnahm, die Rede auf ihre Vergangenheit zu bringen. Er wollte sie vergessen machen, daß sie als Sklavin an ihn verkauft worden war, denn er wollte sie zu seiner Hauptfrau machen und ihr alle Reichtümer zu Füßen legen, über die er verfügte. Doch die Schöne blieb unnahbar. Eines seiner Geschenke war ein blütenweißer Falke mit bernsteinfarbenen Augen, den der Prinz auf dem unerschöpflichen, immer wieder überraschenden Basar von Hannai entdeckt hatte. Ohne lange zu feilschen, kaufte er den makellosen Falken und ließ ihn sofort in den Palast seiner Sklavin schicken. * Nejasa aber beachtete den außergewöhnlichen Vogel kaum, sondern übergab ihn dem Falkenmeister, der sich um die Jagdvögel des Prinzen kümmerte, denn noch immer schwelte der Haß auf den Mörder ihres Vaters in ihr und nahm sie vollkommen in Anspruch. Doch als Orem seinen Mantel über die Stadt breitete und die Dunkelheit sich auch über den prächtigen Palast der Sklavin ergoß, schlief Nejasa ein und träumte von dem Falken. Nejasa ließ den weißen Falken aufsteigen und beobachtete seinen pfeilschnellen Flug, ein kleiner weißer Punkt vor dem tiefblauen Himmel. Sie stand auf einer weitläufigen, blühenden Wiese, von Ama, der Herrin des Wassers, überreich gesegnet. Der weiße Falke schoß herunter, doch statt die Krallen in ein für Nejasa unsichtbares Beutetier zu schlagen, verwandelte er sich noch in der Luft, wurde größer, seine Flügel wurden zu Armen und auf der Wiese stand ein nackter Jüngling mit alabasterweißer Haut und silbrigen, bis zu den Hüften reichenden Haaren. Seine Augen waren wie eingefaßte Bernsteine und mit samtiger Stimme fragte er: "Was willst du?" Nejasa genoß den kühlen Lufthauch, der mit dem Erscheinen des Jünglings über die Blumen strich und seine im Sonnenlich glänzenden Haare bewegte. Und als sie die sanfte Brise erreichte, nahm sie einen zarten Duft nach Rosen und Lilien wahr. In den bernsteinfarbenen Augen des Jünglings erkannte sie ihr Spiegelbild, eine schlanke, goldhäutige Gestalt, deren schwarze Haare wie die Nacht selbst über Brust und Schultern lagen. "Ich will dich", flüsterte Nejasa begierig und der Jüngling kam näher, um mit seinen kühlen, weißen Fingern eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht zu streichen und den Schwung ihrer Lippen nachzuziehen. Nejasa schloß die Augen, um die Liebkosungen zu genießen. "Nein, du willst etwas anderes viel mehr", hörte Nejasa die Stimme des Jünglings dicht neben ihrem Ohr und die Worte flatterten wie Schmetterlinge durch die Luft. "Du willst den Mörder deines Vaters." Und als Nejasa die Augen öffnete, sah sie die bernsteinfarbenen Augen des Jünglings direkt vor ihrem Gesicht und in ihnen... den Mörder ihres Vaters. Sie wußte, daß er es war, obwohl sie sein Gesicht nie gesehen hatte, aber sie erinnerte sich an die störrischen Haarsträhnen, die dem verschleierten Mörder ins Gesicht gefallen waren, und an das Schwert städtischer Machart, dessen Spitze ihrem Vater die Schlagader geöffnet hatte. Doch jetzt war der Mörder nicht mehr gesichtslos: er hatte eine schmale, gerade Nase, stechende, schwarze Augen und einen vornehm gestutzten Bart. Dieser Bandit war unzweifelhaft einst ein Oshey gewesen, aber nun war der Ausdruck seines Gesichtes arrogant und gnadenlos und sein schmallippiger Mund schien Grausamheit zu verheißen. Schauernd wandte Nejasa für einen Moment den Blick ab, und als sie wieder in die bernsteinfarbenen Augen sah, war das Gesicht des Mörders aus ihnen verschwunden, nur ihr eigenes Spiegelbild war zu erkennen, die Züge noch immer vom Schrecken der Erinnerung gekennzeichnet. Schluchzend sank Nejasa an die alabasterne Brust des Jünglings und vergrub ihr weinendes Gesicht in seinen seidigen Haaren. Plötzlich wurde aus den Haaren jedoch ein gewöhnliches Kissen und die Schultern, die sie umarmt hatte, waren nur ihre Decke. Nachdem Nejasa in die Wirklichkeit zurückgefunden hatte, rief sie einen der ihr zur Verfügung stehenden Sklaven und befahl ihm, ihr den weißen Falken zurück zu holen. Lange blickte sie in die Bernsteinaugen des Falken, die starr zurückblickten und sie unverwandt fixierten. Nejasa suchte nach dem Gesicht des Mörders, einem Anzeichen der Verzauberung an dem Falken, doch da sie nicht recht wußte, wonach genau sie suchen mußte, gab sie es bald auf. Am nächsten Morgen ließ sie einen Maler aus dem Palast ihres Herrn holen und bat ihn, nach ihren Angaben ein Portrait des Mörders anzufertigen. Als sie das Ergebnis befriedigte, schickte sie Sklaven mit Kopien des Bildes in die Stadt und versprach dem, der Hinweise zu dem Mann geben könnte, Berge von Gold und Edelsteinen. * Als der Prinz das plötzlich veränderte, zielstrebige Verhalten seiner Angebeteten bemerkte, machte auch er sich ebenfalls auf die Suche nach dem Mann, dessen Portrait sein Palastmaler angefertigt hatte, denn er glaubte, bei dem Manne handele es sich um einen Verwandten seiner Sklavin, der ebenso wie sie durch ein unergründliches Schicksal von den Seinen getrennt worden war. Umso erstaunter war er, als man ihm hinterbrachte, daß der Gesuchte ein berüchtigter Räuber sei, der in der Wüste sein Unwesen treibe und schon viele Reisende und Händler auf dem Gewissen habe. "Chelem mag ihn sich holen", war die einhellige Meinung aller befragten, aber trotzdem lud der Prinz ihn zu sich in den Palast ein, um Nejasa zu überraschen. Der Speiseraum, in dem die Wiederbegegnung stattfinden sollte, wurde prächtig geschmückt und für den Falken, den Nejasa nun immer in ihrer Nähe hatte, wurde eine mit Goldblech beschlagene Sitzstange angefertigt. Als Nejasa mit ihrem Falken in den großen Speisesaal trat, war der Prinz atemlos vor Bewunderung, denn ihre Schönheit schien strahlender zu sein, als der Schein der Sonne und des Mondes zusammen. Ihre schwarzen Augenbrauen waren wie die Schwingen eines Falken vor einem goldenen Himmel, ihre Haltung war selbstbewußt und sie war gekleidet in die schönsten Stoffe, die der Prinz für sie auf dem Basar Hannais gekauft hatte. Ein Sklave trug den weißen Falken hinter ihr her und selbst das blendende Weiß seines Gefieders schien stumpf, angesichts Nejasas vollendeter Schönheit. Nejasa hingegen warf dem aufgeputzten Prinzen nur einen kurzen Blick zu und mit dem ganzen Stolz ihres Volkes verachtete sie den affektierten Städter. Schließlich kam auch der so lang Gesuchte, der Mann, den Nefar Nemis für einen Verwandten Nejasas hielt, weil er wie ein Oshey aussah. Als er im Saal erschien, groß und breitschultrig, in juwelengeschmückter Kleidung und mit dem Ring der yoshany'schen Fürstenwürde an seiner Hand, sprang Nejasa von ihrem Platz auf, riß einem der herumstehenden Palastwächter das Schwert aus der Scheide und lief mit zum Schlag bereiter Klinge auf den Mörder ihres Vaters zu. "Was willst du?" fragte der Mörder, der Nejasa nicht erkannte, und wiederholte so unwissentlich die Worte des Falkenjünglings im Traum, doch diesmal erwiderte Nejasa: "Ich will dich töten." Und noch bevor dieser auch nur den Arm zu seiner Verteidigung heben konnte, stieß sie die scharfe Klinge in die nur mit Stoffen bedeckte Brust des Mannes, der ihren Vater grausam ermordet hatte. "Was tust du?" fragte Nefar Nemis schockiert und seine Stimme überschlug sich fast, als er das rote Blut des Erstochenen über die Fliesen seines Speisesaals fließen sah. "Bist du bei Sinnen?" Doch Nejasa erklärte nichts, riß dem Toten den Ring ihres Vaters vom Finger, pfiff nach dem Falken, der ihr gut dressiert folgte und verschwand aus dem Palast des Prinzen von Nemis, der vergeblich versucht hatte, ihre Liebe zu gewinnen. Ein Pferd aus dem prinzlichen Stall trug Nejasa in die Wüste und zu einer Oase, wo sie schließlich vor Erschöpfung einschlief, unter den wachsamen Bernsteinaugen des weißen Falken. * Als Nejasa erwachte, blinzelte sie in die brennende Sonne. Neben ihr im Sand lag ein zerbrochener Jagdbogen mit den grün-gelben Zeichen der Yoshany und sie trug nicht die vornehme Kleidung einer städtischen Favoritin, sondern die Jagdkleidung einer Oshey, allerdings zerrissen und voller Sand. Ihre Zunge war vor Durst geschwollen und ihr war übel von der gleißenden Helligkeit und der erbarmungslosen Hitze. Nejasa rieb sich die geschwollenen Augen und sah sich um. Die Oase war verschwunden. Einige Schritte von ihr entfernt lag der verdorrende Kadaver eines Osheypferdes, daneben der Fürst der Yoshany. Sie befand sich an genau der Stelle, an der der Kampf mit den Räubern stattgefunden hatte und ihre körperliche Verfassung ließ darauf schließen, daß sie schon fünf oder sechs Stunden wie tot im Sand gelegen hatte, ungeschützt unter Tyrimas Antlitz. Sie mußte seit dem Überfall an genau der Stelle gelegen haben, an der sie nun erwacht war und alles, auch die Rache am Mörder ihres Vaters, war nur ein Traum gewesen. Zittrig erhob Nejasa sich und suchte zwischen ihren verstreuten Habseligkeiten nach einem Wasserschlauch, aber wie sie schon halb erwartet hatte, konnte sie nichts entdecken. Die Räuber hatten alles mitgenommen, was ihnen gebrauchsfähig schien, nur die Leichen und die, die sie für tot hielten, ließen sie zurück. Resignierend ließ sie sich wieder auf dem Sand nieder. In der Ferne ertönte der schrille Schrei eines Falken und aus der Luft schoß ein weißgefiederter Blitz auf Nejasa herab. In seinen Krallen trug er einen graugefiederten Vogel, eine kleine Taube, die er vor der Erstaunten in den Sand fallen ließ, um sofort wieder in die Luft zu steigen und in die Richtung zu verschwinden, aus der er gekommen war. 'War vielleicht doch nicht alles ein Traum?' fragte Nejasa sich und lächelte, als sie sich an die menschliche Gestalt des weißen Falken aus ihrem Traum im Traum erinnerte. Trotz einiger Abscheu machte sie sich daran, die geschlagene Taube roh zu verspeisen, nachdem sie ihr Blut getrunken hatte, um den unerträglichen Durst zu löschen. "Zuerst werde ich zum Stamm zurückkehren, und allen berichten, was passiert ist, dann werde ich mich auf die Suche nach dem Mörder machen", sagte sie laut, nachdem sie fürs Erste gesättigt war und ihr Stimme klang ungewohnt rauh. "Warum vergißt du nicht einfach alles und kommst mit mir?" fragte eine samtige Männerstimme, die Nejasa noch gut in Erinnerung hatte. Ohne das sie es gemerkt hatte, mußte der Falke zurückgekommen sein und sich wieder in den Jüngling verwandelt haben. Doch aus Angst, einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen zu sein und enttäuscht zu werden, drehte Nejasa sich nicht um, sondern erwiderte: "Ich bin zur Rache verpflichtet." "Deine Rachegelüste sind doch befriedigt, auch wenn du den Mörder nur im Traum getötet hast", erwiderte die Stimme und eine kühle, zart nach Rosen und Linien duftende Brise umschmeichelte Nejasa. "Aber wie kann ich...", begann Nejasa, drehte sich aufgebracht um und verstummte. Im Sand saß der nackte Jüngling aus ihrem Traum im Traum, die silbrigen Haare waren wie ein Mantel um seine Schultern getreitet und seine schlanken Arme hatte er um die angezogenen Beine geschlungen. Die bernsteinfarbenen Augen blickten sie lange an und diesmal spiegelten sie paradiesische Gärten, die Frieden und Wohlbefinden verhießen, wie es Sterblichen für gewöhnlich nicht zuteil wurde. "Bist du ein Unirdischer?" fragte Nejasa vorsichtig, die sich an Erzählungen aus ihrer Kindheit erinnert sah. Der Jüngling lächelte. "Ja, ich bin ein Kind des Lichtes und ich bitte dich, mit mir zu kommen, auch wenn es aus dem Garten der Freude keine Rückkehr für dich geben wird... nur selten wird Sterblichen diese Gunst gewährt." "Aber meine Rache...", begann Nejasa kleinlaut. Der Jüngling erhob sich und breitete seine Arme wie Flügel aus. Schon begann er, sich zu verwandeln, da sprang Nejasa auf und lief auf ihn zu. "Warte, ich komme mit." * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)