BBA, Baby!
“BBA, Baby!”,schreibt Takao gegen 14 Uhr im gemeinsamen Chat mit Kai und Hiromi. Er schickt ein Selfie, wie er vor dem aktuellen Hauptgebäude der WBBA ein Peace-Zeichen macht.
Kai schmunzelt und reagiert mit einem “Süß. Lass’ dich nicht von den Kids kleinkriegen”. Er öffnet die Gifs in der App und sucht nach Home Alone.
Hiromi kichert, während sie ihre eigene Antwort – ein schnödes “Viel Spaß!!” – abschickt. Sie lächelt breit, als sie sich an Kai lehnt und seine Gifsuche beobachtet. "Ist das der Film, den Max gestreamed hat?"
Kai nickt. "Welche Szene war das noch gleich wegen der sich Takao am Popcorn verschluckt hat?", fragt er, während er durch die Gif-Auswahl scrollt.
Hiromi gibt ein langgezogenes "Hm" von sich, ehe sie auf das kleine Bild zeigt, in dem ein Farbeimer direkt auf einen Einbrecher zusaust.
Kai grinst, während er es abschickt und noch eine Nachricht anhängt: "Lass sie nicht an Farbeimer, dann solltest du safe sein."
Takao reagiert mit einem Tränen lachenden Emoji, was Kai ein selbstzufriedenes Grinsen entlockt.
"Du bist so ein weirdo.”, kommentiert Hiromi, ihr Blick warm.
Kai hebt nur die Augenbraue. “Was? Er ist süß. Ich stelle nur Tatsachen fest.”, gibt er zurück.
Hiromi lacht leise und lehnt sich nach oben, eine kleine kalte Hand an seiner Wange, um seine Schläfe zu küssen.
Siegfried, der sich quer über ihre beiden Beine gestreckt hat, streckt sich ausgiebig und gähnt, vollkommen unbeeindruckt von den Bewegungen seiner aktuellen Liegefläche. Kai verdreht wohlwollend die Augen und streichelt einmal Siegfrieds Länge entlang. Der Kater blinzelt zufrieden schnurrend.
“Siehst du? Siegfried findet das auch.”, erklärt er triumphierend, was Hiromi nur ein wohlwollendes Augenverdrehen entlockt.
"Ich glaube Siegfried meint eher du bist süß.", gibt sie zurück. “Ein manchmal überraschend süßer Weirdo."
Ehe Kai etwas erwidern kann, schiebt sie ihm Siegfried konsequent auf den Schoß und setzt sich mit einem Ruck auf. Siegfried blinzelt zu Kai hoch und knetet seine Schenkel, bevor er in Richtung von Kais Schlafzimmer davonzustolzieren.
Hiromi, die Hände in die Hüften gestemmt, lacht über den Kater, ehe sie sich zu Kai umdreht. Der Mistelzweig über ihrem Kopf, den sie während ihrer sponatnen Dekorationsaktion in Kais Wohnung heute aufgehängt hat, und ihr rotes Oberteil lassen sie wie eine Weihnachtselfe auf einer Mission aussehen.
"Sollen wir zu unserer nächsten Station?"
Es ist Takao.
"Erklär es mir nochmal", fordert Kai Hiromi auf, während er ihr – endlich – erfolgreich die schwere Tasche voller Einkäufe und Deko-Artikel von der Schulter nimmt. Er ignoriert ihren finsteren ‘Das kann ich alleine, du Macho!’-Blick und hievt sich die Jutetasche mit WBBA-Logo auf seine Schulter, nicht ohne einen ‘Das wissen alle, lass mich dir helfen’-Blick zurückzuwerfen. "Warum muss das jetzt unbedingt eine Überraschung sein?"
Hiromi, von der Frage überrascht, vergisst, ihm mit ihrem patentierten Haar-Flip zu antworten. Ihr Temperament beruhigt sich wie das Meer nach einem Gewitter und sie zuckt mit den Schultern. "Weil es Takao ist", erklärt sie schlicht.
Natürlich ist es Takao. Es ist so einfach, auch wenn Kai das manchmal nicht glauben kann. Er schmunzelt, verdreht wohlwollend die Augen. “Ich glaube trotzdem immer noch, dass das eine dumme Idee ist. Du kennst Takao: Er will immer mit anpacken.”
“Deswegen ist es ja auch eine Überraschung.”, erwidert Hiromi so resolut und mit einem ihrer entschlossenen Feuerblicke, dass Kai seine nächste Erwiderung runterschluckt. Er brummt – ein Zeichen, dass diese Diskussion für ihn noch nicht abgeschlossen ist, was Hiromi ignoriert – und geht weiter schweigend neben Hiromi her.
Der Weg zum Kinomiya-Dojo steckt ihm so tief in den Knochen, dass es sich anfühlt, als wären es nur Minuten und nicht die halbe Stunde, die man von Kais Wohnung aus zu ihm braucht. Hiromi scheint es ähnlich zu gehen - sie verbringt beinahe noch mehr Zeit hier als Kai, sofern das überhaupt möglich ist, jetzt noch mehr als früher.
Sie bleiben vor dem Tor zum Dojo stehen. Das Holztor ist, anders als sonst um diese Zeit, geschlossen, dahinter ist es still. Die Bonsais von Kinomiya Ryou, um die sich inzwischen hauptsächlich Takao kümmert, machen schließlich keinen Lärm.
Hiromi atmet hörbar aus; die Atemwolke verschwindet in den schmutzig-weißen Himmel. “Was, wenn Takao es nicht mag?”, fragt sie dann, und das ist sonderbar. Hiromi zweifelt nicht. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht sie es durch, ohne Rücksicht auf Verluste. (Meistens hat das etwas Gutes, sonst wären Kai und Takao und Hiromi jetzt nicht Kai-und-Takao-und-Hiromi, sondern nur-Kai, und vielleicht Takao-und-Hiromi. Und wenn es nichts Gutes bringt, nun … Hiromi nennt es selbst einen Lerneffekt.)
Kai nimmt ihre Hand in seine, bevor sie wieder auf ihrem Daumennagel herumkauen kann, der ohnehin schon zu kurz ist. Er drückt einmal zu; ein Zeichen, dass er da ist.
Hiromi seufzt. “Ich will ja nur, dass er sich freut!”
“Hiromi”, Kai macht einen Schritt nach vorn, um sich zwischen sie und das geschlossene Tor zum Dojo zu schieben. “Es ist Takao.”
“Aber–”
“Es gibt kein Aber”, erklärt Kai schlicht. “Es ist Takao.”
Das zaubert ein Lächeln auf Hiromis Lippen und sie strafft die Schultern. “Na dann mal los”, murmelt sie, während sie Kai zum Holztor des Kinomiya-Dojos zieht.
Unfuckingfassbar
Es ist immer noch seltsam, das Gelände zu betreten, ohne von Kinomiya Ryou (“Nennt mich einfach Opa!”) überfallen/begrüßt zu werden. Sowohl das Haupthaus als auch das Dojo liegen ruhig dar, als sie beide mit einem gemurmelten “Ojama shimasu” die Schwelle ins Haupthaus überschreiten. Es ist Gewohnheit oder Erziehung oder beides; Hiromi und Kai grinsen einander an, nachdem sie ihre Schuhe gegen Pantoffeln getauscht haben.
“Wo sollen wir anfangen?”, überlegt Hiromi laut, während ihre Schritte durch die Engawa hallen. “Im Dojo?”
Kai zuckt mit den Schultern. “Nur keinen Kleister auf die Tatami-Matten kleckern”, gibt er schmunzelnd zu bedenken; die Erinnerung an die Standpauke ihrer letzten Halloween-Bastelaktion mit Daichi ist noch zu frisch.
Hiromi scheint denselben Gedanken zu haben. Sie schielt im Vorbeigehen in den Tatami-Raum, wo in einer Ecke noch immer Spuren der besagten Aktion in Form von orange-roten Flecken zu sehen sind. “Zum Glück haben wir heute kein Pappmaché dabei.”
Ob bewusst oder nicht, ihre Schritte beschleunigen sich, wie um der Erinnerung an die unangenehme Auseinandersetzung mit Kinomiya Ryou zu entgehen.
Sie bahnen sich den Weg zum Dojo, wo sie die doppelten Schiebetüren aufschieben und in die geschlossene Engawa hinein offen lassen, ehe sie ihre Taschen abstellen. Hiromi macht sich daran auszupacken: Sie befördert falsche Tannenzweige, Lichterketten und Girlanden zutage, die in Anbetracht der Größe des Raums gar nicht mehr nach einer so großen Menge wirken wie noch in Kais Wohnung.
“Ich gebe es ja nur ungern zu, aber du hattest recht.”, Kai beäugt den Haufen an Dekorationsmaterial, ehe er sich im Raum umsieht. “Die paar Extra-Meter Lichterkette werden wir brauchen.”
Das Zugeständnis ist das selbstzufriedene Grinsen, das sich über Hiromis Gesicht zieht, wert. Sie stemmt die Hände in die Hüften und nickt entschlossen. “Na dann mal los!”
Sie machen sich an die Arbeit, hängen Girlanden und falsche Tannenzweige, Temari und Kokeshi auf - selbst ein kleiner Ded Moroz ist unter den Puppen. Kai schmunzelt, als er eine kleine Snegurotschka auf einer der bemalten Temari-Kugeln neben Bildern von Schneeaffen entdeckt. Er macht mit einem Geräusch auf sich aufmerksam und hebt sie hoch. “Dass du sowas gefunden hast”, bemerkt er mit einer Spur Anerkennung in der Stimme.
Hiromi zuckt scheinbar beiläufig mit den Schultern. “Vielleicht hatte ich ein bisschen Hilfe von Sergej”, gibt sie dann zu und kann auch den Stolz in ihrer Stimme nicht verhehlen.
Der Haufen, der am Anfang noch nach schrecklich viel aussah, wird immer kleiner, und als Hiromi die letzten Lichterketten über den Schiebetüren zur Engawa anbringt, ist er bis auf ein paar lose künstliche Tannennadeln ganz verschwunden.
Das Dojo sieht recht feierlich aus, so gebadet im Kitsch, stellt Kai fest, während er das Ergebnis ihrer Arbeit betrachtet. Es ist beinahe wie in den letzten Jahren, wenn Kinomiya Ryou das Schmücken übernommen hat – um seinen Kendo-Schülerinnen und Schülern eine Freude zu machen, wie er immer betont hat, aber weder Kai noch Hiromi noch irgendwer sonst hat seinen Seitenblick in Richtung seines längsten Schülers Takao übersehen, außer Takao selbst vielleicht.
Hiromi lehnt sich an Kai. “Denkst du, er freut sich?”
Dieser nickt wortlos.
Wie aufs Stichwort hallt das Knallen des zufallenden Tors über den Hof. Jemand summt und Schlüssel klingeln. “Tadai– … ma?”, ist zu hören, ein irritiertes Stolpern in den Silben, wohl als Takao Kais und Hiromis Schuhe im Eingangsbereich sieht.
Kai und Hiromi grinsen einander an. “Okaerinasai!”, ruft Hiromi dann, ein wenig zu laut für Kais Geschmack. Er zuckt zusammen und sie drückt Kais Hand, ehe sie mit einem Blick über ihre Schulter in Richtung der offenen Schiebetüren geht.
Man hört ein Poltern und gleich noch ein Poltern, als Takao offensichtlich seine Schuhe von den Füßen kickt. Ein, zwei Laute, als würde er hopsen – vielleicht, um die Hausschuhe anzuziehen? – und dumpfes Poltern von Schritten in der Engawa, das lauter wird, je näher Takao ihnen kommt. Hiromi lehnt sich in die Engawa hinaus, sieht ihm entgegen, wie er zu ihnen poltert.
Takao bremst scharf und schlittert den letzten Meter über den glatten Holzboden der Engawa. Kai beobachtet selbstzufrieden, wie er das Bild, das sich ihm bietet, aufnimmt, die Augen aufgerissen: “Nicht euer Ernst!”
Hiromi, ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen, streckt die Arme aus und geht rückwärts zwei Schritte ins Dojo hinein. “Überraschung!”, sagt sie dann, und Takaos Gesichtsausdruck verrät, dass die Überraschung gelungen ist.
Er stolpert beinahe über seine eigenen Füße, während er ins Dojo hineintritt, den Kopf nach links und nach rechts wendet, um alles in sich aufzunehmen. Er schweigt lange, während er alles in sich aufnimmt. Es geht eine ganze Reihe von Emotionen über sein Gesicht, die Kai gar nicht erst zu deuten versucht. Er blickt besorgt zu Hiromi, doch sie schüttelt nur kaum merklich den Kopf. Ihre Augen sind auch ein bisschen feucht, aber sie hält sich tapfer, während sie Takao den Raum gibt, den er braucht. Kai streckt die Hand aus und umschließt die ihre. Er drückt zu, ein nonverbales gut gemacht, das Hiromi erwidert.
Da kommt Bewegung in Takao, der die letzte Distanz zwischen ihnen mit ausgestreckten Armen überbrückt. Ehe Kai es sich versieht, schlingt Takao einen Arm um Kais Hüfte, während die andere Hiromis Schultern umschließt und Takao seinen Kopf an Kais Schulter und Hiromis Kopf lehnt.
Kai hat kaum Zeit, seine freie Hand aus der Hosentasche zu ziehen und sie Takao auf die Schulter zu legen, da schnieft Takao einmal laut und feucht auf. Und dann – dann lacht er, während er seine Wangen an Kais Hemd und Hiromis Kaschmir-Pullover trocknet. “Ihr seid einfach unfuckingfassbar.”
Kai lächelt schief, während er hilflos Takaos Schulter tätschelt. “Kinomiya-san soll sich ja wohlfühlen, wenn wir ihn nachher abholen”, erklärt er dann und Hiromi nickt.
Und tatsächlich hat Kinomiya Ryou einen guten Tag, als sie ihn abholen: Er erkennt Takao als Takao und verwechselt Kai nicht mit Hitoshi wie letztes Jahr. Er wirkt sogar ganz wie er selbst, als er begleitet von Takao das Dojo betritt und sich umsieht. Er lächelt dasselbe breite Lächeln, das auch Takao hat, während er erklärt: “Zu meiner Zeit gab es den ganzen Firlefanz ja nicht, aber das macht der Jugend eine Freude” – so selbstverständlich, als hätte er das Dojo selbst geschmückt. Der Blick, den er Takao zuwirft, wirkt jedenfalls so, als sei er davon überzeugt.
Viel, viel später sind die Lichterketten aus und Kinomiya Ryou im Bett in seinem Schlafzimmer, wo er immer noch einen Großteil der Nächte während einer Woche verbringt. Takao lässt sich mit einem Seufzen neben Kai nieder und lehnt sich schwer an ihn, während er eine Tasse Tee von Hiromi annimmt.
“Danke”, sagt er dann und Kai schlingt einen Arm um ihn, während Hiromi sich vorbeugt, um einen Kuss auf seine Stirn zu drücken.