Granatapfelkerne von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Granatapfelkerne --------------------------- Sie konnte sich noch an die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut erinnern. An die Schmetterlinge, die ihren Körper umkreisten und die Vögel, die in der Ferne zwitscherten. Daran, wie sie mit ihren nackten Füßen durch das Gras gelaufen war und es sie an den Zehen kitzelte. Daran, wie sie an den Früchten ihrer Mutter genascht hatte; schmeckte ihren unglaublich süßen Saft auf ihrer Zunge. Daran, wie ihre Mutter sie lächelnd ausgeschimpft und es doch nicht so gemeint hatte, bevor sie ihre Tochter zum Essen rief. Mit den Wind, der durch die Haare wehte, mit dem Duft unzähliger Butterblumen in der Luft und einer Aura, die friedvoller nicht hätte sein können … an all das konnte Frisk sich erinnern. Wie all ihre Sinne beansprucht wurden und sie sich nicht sicher war, ob sie nur in Erinnerungen schwelgte oder sich doch in der Realität befand. Sie fragte sich dies und versuchte dennoch im Moment zu leben, den Augenblick zu genießen und alle andere zu vergessen. Bis sie die wahre Realität wieder zurückholte und sie feststellte, dass all das, woran sie sich erinnern konnte, nur ein wunderschöner Traum gewesen war. Anstatt der Wiese unter ihren Füßen spürte sie die weiche Matratze ihres Bettes. Die Wärme der Sonne war durch eine angenehme Bettdecke ersetzt worden. Die Luft war nicht mehr gefüllt vom Geruch von Butterblumen, vielmehr waren es nun Rosen und Lilien, die ihren Geruchssinn erreichten. Auf ihrer Zunge schmeckte sie nichts und anstatt dem warmen Lächeln ihrer Mutter, wurde sie von ihren Dienstmädchen mit ihren freundlichen Gesichtsausdrücken begrüßt. Alles an diesem Bild schrie ihr ein „Willkommen zurück in der Wirklichkeit“ entgegen, und Frisk wurde schmerzhaft bewusst, dass sie sich von diesem Traum lösen musste. Zwar würde sie ihn bald vergessen haben, es würde jedoch ein schmerzhafter Schatten in ihrer Erinnerung zurückbleiben. Das Wissen, dass sie überhaupt einen derartigen Traum gehabt hatte. An etwas, was nicht mehr ihr Leben war. Dies war nicht der Garten ihrer Mutter, dies war die Heimat ihres Ehemannes; und sie war ein Teil davon, ob sie es nun mochte oder nicht. „Guten Morgen, verehrte Lady Spring, ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Traum“, sagte Iris, während sie Frisk sacht die Bettdecke wegzog. Ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass die Zeit zum Träumen vorläufig vorbei war. Und sie wusste, die drei machten nur ihren Job. „Vielen Dank, ja, ich habe in der Tat sehr gut geschlafen“, sagte Frisk, während sie sich erhob und müde die Augen rieb. So leistete sie auch kaum Widerstand, als ihr Daisy auf die Beine half und zu ihrem Frisiertisch steuerte, wo sie sich ungelenk auf den Stuhl fallen ließ. Sofort erschien Hyacinth und machte sich mit einer Bürste daran, Frisks kinnlange Haare sanft in Form zu bringen. Sie summte dabei eine Melodie, was Frisk sofort neugierig machte. „Was ist das für eine schöne Melodie, stammt sie aus eurer Heimat?“, fragte sie und versuchte dabei, ihren Kopf so wenig wie möglich zu bewegen. Hyacinth ließ sich nicht beirren, stattdessen gab ihr Daisy eine Antwort. „Das ist richtig. Es ist ein Lied, welches wir gerne zu Beginn des Frühlings anstimmen und damit unsere Freude auf die kommenden Monate kundgeben. Hyacinth hielt es wohl für passend, es an einem so schönen und besonderen Morgen wiederzugeben“, sagte sie, und Frisk erkannte im Spiegel, wie Daisy zusammen mit Iris an ihrem Kleiderschrank stand. Offensichtlich auf der Suche nach einem bestimmten Kleidungsstück. Ja, wie passend… was für ein Zufall. Frisk dachte noch kurz an ihren Traum, schluckte jedoch sämtliche Wörter, die ihr in den Sinn kamen, herunter. Die Hausmädchen konnten nicht ahnen, was Frisk wenige Minuten zuvor noch erlebt hatte. Überhaupt machten sie einen aufgeregten und erfreuten Eindruck und das wollte Frisk ihnen nicht nehmen.   Stattdessen entschied sie sich dafür, zu schweigen und ihre Hausmädchen zu beobachten. Hyacinth summte noch immer ihre Melodie, während die beiden anderen Flammen lange nicht fündig wurden. Bis es sie schließlich zu einem anderen Schrank zog, außerhalb von Frisks Sicht im Spiegelbild. Erst jetzt bemerkte sie, dass Hyacinth aufgehört hatte, ihre Haare zu bürsten. „Damit werden Eure Haare herrlich duften“, sagte sie und ohne ein weiteres Wort der Vorwarnung begann sie mit mehreren Stößen ein leichtes Parfüm auf den Haaren zu verteilen. Ein weiterer Geruch von Rosen breitete sich in Frisks Nähe aus. Hyacinth lächelte begeistert. „Den ersten Teil hätten wir erledigt, meine Lady. Wenn ihr nun bitte Iris und Daisy folgen könntet, dann können wir die letzten Vorbereitungen für heute abschließen“, sagte Hyacinth mit einem freundlichen Ausdruck in den Augen, ließ jedoch offen, was sie damit andeuten wollte. Während Frisk ein letztes Mal ihre Frisur im Spiegel kontrollierte, sich von ihrem Stuhl erhob und sich den beiden anderen Flammen näherte, schossen ihr diverse Gedanken durch den Kopf.   So bemerkte sie erst nach wenigen Sekunden, dass sie sich bereits vor einem ihrer Kleiderschränken befand, zusammen mit Iris und Daisy, welche zusammen ein nagelneues, blutrotes Kleid vor sich hinhielten. Verwirrt blickte Frisk die beiden an. „Ihr wisst, dass ich normalerweise kein rotes Kleid trage? Woher kommt das überhaupt? Stammt das von euch?“, fragte sie in die Runde, während sie immer noch das Kleid betrachtete. Die Farbe erinnerte sie an etwas, doch sie konnte nicht den Finger darauflegen, was genau es sein könnte. Währenddessen näherten sich ihre Dienstmädchen und halfen ihrer Herrin dabei, in das Kleid zu steigen. Kaum hatten sie Frisks Arme durch die kurzen Ärmel geführt, begann Iris damit, das Kleid an mehreren Stellen zurechtzuziehen. Daisy dagegen beschäftigte sich mit dem Reißverschluss, welcher über den gesamten Rücken verlief. Zufrieden gesellte sie sich zu Iris und die beiden betrachteten Frisk, als wäre sie ein Kunstwerk in einer Ausstellung. „Das Kleid steht Ihnen ausgezeichnet, Herrin, und die Maße stimmen auch alle. Da wird sich der Schneider sicherlich über die positive Rückmeldung freuen, die er von uns erhalten wird“, meinte Iris dazu und die anderen beiden nickten nur zustimmend. Frisk dagegen ging zum nächstbesten Spiegel, betrachtete kritisch ihr Spiegelbild, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Dienstmädchen richtete. „Das Kleid sieht wirklich gut aus, es ist nicht zu … übertrieben. Dennoch, normalerweise trage ich nichts in der Farbe, warum also heute? Und wer hat das Kleid gekauft?“, fragte sie, obwohl sie sich die Antwort bereits ein wenig denken konnte. „Es war ER, nicht wahr? Ist es ein Geschenk meines Ehemannes?“, sprach Frisk nun ihre Überlegungen aus. Doch aus den Mienen der drei Flammen wurde Frisk nicht schlau, im Gegenteil, sie blickte die drei nun noch verwirrter an. Schließlich fing Hyacinth zu lächeln an, zumindest ihre Augen taten es. „Macht Euch nicht so viele Gedanken, das Kleid steht euch wirklich ausgezeichnet. Wir sind uns sicher, dass es Lord Death genauso gefallen wird.“ Die anderen beiden nickten zustimmend, und Frisk wurde das Gefühl nicht los, dass ihre Dienstmädchen nicht so recht mit der Sprache herausrücken wollten. Doch das war ihr gleich. Wenn die drei Flammen es ihr nicht verraten würden, würde sie es selbst herausfinden müssen. Ob nun durch Detektivarbeit oder ob sie es aus Sans herauskitzeln müsste, sie würde schon noch herausfinden, was es mit dem Kleid auf sich hatte. In der Zwischenzeit würde sie mit den kargen Vermutungen, die sie hatte, leben müssen. „In der Tat, wir sind uns sicher, dass das Kleid Lord Deaths Geschmack treffen wird. Sicherlich wird euer Gatte nicht mehr seine Augenhöhlen von Euch nehmen können“, sagte Iris, doch Frisk ging nicht näher darauf ein. Dass seine Augenhöhlen stets auf ihr lagen und sie betrachteten, als gäbe es für ihn nichts Interessanteres in der Unterwelt, war sie bereits gewohnt. „Nun denn, die Vorbereitungen sind abgeschlossen, wir würden Euch dann bitten, uns in den Speisesaal zu folgen. Der Koch hatte sich für heute extra viel Mühe gegeben und ich bin mir sicher, dass Ihr ihn nicht zu lange warten lassen wollt“, sagte Iris und wieder begann Frisk sich zu wundern. Doch dann meldete sich ihr Magen. Langsam, aber sicher kroch der Hunger in ihre Eingeweide, weshalb ein bereits fertiges Frühstück mehr als verlockend für sie klang. „Sehr gerne, lasst uns aufbrechen, ein Frühstück wäre jetzt genau das richtige“, sagte sie, als auch schon Daisy ihre Hand nahm und sie durch das Schloss zog.   ~   Wenige Minuten später hatten sie den Essenssaal erreicht, welcher zu Frisks Überraschung unverändert war. Sie hatte mittlerweile mit einer bestimmten Dekoration für einen besonderen Anlass gerechnet, wie dem Geburtstag von jemandem, einem Ehrengast oder einer stark nachträglichen Feier zur Hochzeit, doch nichts davon war der Fall. Es beruhigte Frisk, immerhin schien es doch ein Tag wie jeder andere zu sein. Ein Tag, an welchem sie sich entweder in den Garten setzen konnte. Oder zu ihrem Mann, während er damit beschäftigt war, über die Seelen der Toten zu richten. Sie nach ihren Taten und Handlungen zu Lebzeiten zu bewerten und entsprechend zu belohnen oder zu bestrafen. Daisy führte sie an ihrer Hand zum Tisch und Frisk ließ sich dort nieder. Die drei Flammen hatten nicht zu viel versprochen, ein schön gedeckter Tisch mit ausreichend Essen stand für sie bereit. Es wartete nur noch darauf, von ihr gegessen zu werden. Ohne es zugeben zu wollen, begann sich der Speichel in Frisks Mund zu bilden. Schnell schluckte sie ihn herunter, bevor ihr dieser noch an den Mundwinkeln entwischen könnte. „Mit sehr freundlichen Grüßen aus der Küche“, sagte Iris und deutete auf den Tisch. Frisk sah sich um, erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Platz der Einzige war, welcher gedeckt worden war. Weder am Platz ihres Mannes noch seines Bruders wurde etwas zu essen oder zu trinken abgestellt. „Macht euch keine Gedanken, wir sollen Euch von Lord Death und seinem Bruder ausrichten, dass Ihr in Ruhe euer Mahl genießen könnt und nicht auf sie warten müsst. Offenbar gab es ein wichtiges Treffen unter den Göttern, welches sie wohl immer noch beizuwohnen scheinen. Wir sollen uns in ihrem Namen für ihre Abwesenheit entschuldigen“, sagte Hyacinth und deutete eine Verbeugung an. Frisk, die Sans‘ Anwesenheit am Frühstückstisch nicht sonderlich stark vermisste, zuckte nur mit den Schultern. Was seinen Bruder anging, so fand sie es schade, dass sie so wenig miteinander zu tun hatten, doch auch der jüngere Tod war von seinen göttlichen Aufgaben und Pflichten nicht befreit. Daher tat sie sich keinen Zwang an und ging der Bitte der zwei Sensenmänner nach, mit dem Essen nicht auf sie zu warten. Stattdessen verschaffte sie sich einen Überblick darüber, was der Koch ihr alles aufgetischt hatte, und bei jedem Teller wurde ihr Appetit immer größer. Mehrere Scheiben knuspriger Bacon, gold-braune Toastscheiben und gebackene Bohnen erfüllten ihre Nase von Sekunde zu Sekunde mit ihrem leckeren Geruch. Doch auch die Schalen mit dem Obst regten Frisks Neugierde, wie auch ihren Appetit. Rote, frische Erdbeeren; Trauben rund und knackig wie auch kleine Äpfel rundeten das Frühstück zu Frisks Zufriedenheit ab.   Bis ihr Blick auf die letzte Schale fiel. Sie war wie alle anderen Schalen in einem einfachen Weiß gehalten, ohne Zierde oder besondere Merkmale. Doch es war der Inhalt, weshalb Frisk augenblicklich ihr Gesicht verzog und sich ihre Laune deutlich senkte. „Granatapfelkerne“, sagte Frisk tonlos und schob die Schale ein Stück weiter weg von ihr. Wieder begannen die Flammen zu nicken. „Das ist richtig“, begann Iris zu erklären. „Könnt Ihr euch noch erinnern? Es ist noch nicht so lange her, dass Ihr in unser Leben getreten, dass Ihr von dort oben zu uns heruntergekommen seid… seitdem ist so viel passiert, dass wir das unbedingt feiern wollten. Davor waren wir einfach nur bedeutungslose Flammen, doch jetzt haben wir eine richtige Aufgabe. Und noch viel wichtiger, dank Euch haben wir richtige Namen!“ Frisks Blick glitt von Iris zu Daisys und sie konnte sehen, wie diese sich ein paar Tränen wegwischte. „Es stimmt! Dank euch besitzen wir nun Namen und haben ein wunderschönes, wie auch angenehmes Leben. Auch wenn es zunächst nicht sehr ansprechend klingt, im Haushalt der Gebrüder Tod zu arbeiten; so ist es doch eine sehr einfache Arbeit. Nun, einer von beiden sorgt dafür, dass es eine sehr einfache Arbeit ist“, sagte Iris und für wenige Sekunden färbten sich ihre Wangen rosa, bevor es wieder in dem Blau ihres Körpers unterging. Doch Frisk wusste nicht, ob ihr nun zum Lächeln zumute war oder nicht. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit einzig und alleine auf das Essen vor ihr. Dass sie das gesamte Menü essen musste, hatte keiner gesagt und es wäre auch niemand in der Lage dazu, technisch gesehen. Doch als sie wieder zu ihren Zofen sah, mit dieser aufrichtigen Freude in den Augen, begann Frisk zu seufzen. Sie mochte ihre Zofen genauso sehr wie diese sie mochten. Auch wenn sie ihren Fall in die Unterwelt nicht als feierliches Ereignis betrachtete, so sah auch Frisk es als Geschenk an, den drei Flammen begegnet zu sein. Dass sie ihr nun tagtäglich Gesellschaft leisteten oder sie auch mal alleine ließen, wenn Frisk Zeit für sich alleine benötigte. Die ihr Geschichten erzählten oder ihr lauschten, wenn Frisk von ihrer Mutter oder dem Garten erzählte. Wenn sie Themen besprachen, die während der Arbeit ihres Mannes aufgekommen waren. Wenn wieder eine Seele verschont worden war, weil Frisk es als richtig angesehen hatte. Wenn sie wieder Lady Mercy oder Lady Death genannt wurde, abhängig davon, wie die Meinung des Erzählenden war. Schließlich begann Frisk zu lächeln, als sie nacheinander den drei Flammen in die Augen sah. „Es freut mich ebenfalls, dass ihr drei nun ein Teil meines Lebens seid, und ich hoffe, dass wir nie voneinander getrennt werden“, sagte sie nachdenklich und begann, ihr Frühstück zu essen, bevor es endgültig kalt werden würde. Welches ihr auch augenblicklich zu schmecken schien. So ließ sich Frisk jeden einzelne Gericht schmecken, welches ihr aufgetischt worden war. Kaum hatte sie ihr vielseitiges Mal beendet, wischte sie sich elegant mit der Serviette die Mundwinkel ab. Dass sie als einziges die Granatapfelkerne unangetastet stehen gelassen hatte, ließen die Flammen unkommentiert. Stattdessen begleiteten sie Ihre Herrin wieder zurück bis zu ihrem Zimmer. Mit der Bitte, dass sie ein wenig Zeit für sich benötigte, verabschiedeten sich die drei Flammen und gingen die Treppe hinab, mit der Absicht, den Frühstückstisch abzuräumen. Alle Teller und Schalen räumten sie, doch als Iris nach den Granatapfelkernen griff, hielt eine ihr wohl bekannte Stimme sie davon ab. „Natürlich, sehr gerne“, antwortete sie und ließ die Schale auf dem Tisch stehen.   ~   Frisk dagegen betrat ihr Zimmer und verschloss seufzend die Tür hinter sich. Sie unterdrückte das Bedürfnis, sich das Kleid vom Leib zu reißen oder ihre Frisur mit den Fingern durcheinander zu bringen, wusste sie doch, dass es ihre Zofen am meisten verletzen würde. Vermutlich ist es nur für einen Tag, das werde ich schon aushalten können, dachte sich Frisk und drückte sich schwach von der Tür weg. Erst jetzt fiel ihr Blick auf die nächstbeste Wand, welche ihren Raum und den von Sans verband. Doch es war nicht die Wand, es war die Verbindungstür zwischen ihren beiden Räumen, die Frisks komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie war nicht wie üblich verschlossen, sondern einen kleinen Spalt weit geöffnet. Eine Einladung, eine Bitte oder gar eine Aufforderung? So recht wusste Frisk nicht, was sie von der leicht geöffneten Tür halten sollte. Sie wusste, was es bedeutete, was sie ein wenig zum Nachdenken brachte? War die Tür schon offen, bevor ich zum Frühstücken gegangen bin? Nein, ich glaube, sie war davor zu? Bedeutet das, dass er in seinem Raum ist und wartet? Doch Frisk hatte wenig Motivation, eine Antwort auf diese Fragen zu finden. Stattdessen entfernte sie sich von der Tür, durchquerte ihren Raum und trat auf den Balkon hinaus. Eine frische Brise umwehte ihre Haare, wenn auch nicht mit der Stärke, wie es in ihrem Traum passiert war. Ein leichter Duft aus dem Garten unter ihr wehte hoch, doch so recht konnte Frisk nicht ausmachen, um welchen Geruch es sich dabei handelte. Das Kinn auf die Hand gestützt, lehnte sich Frisk an das Balkongeländer und starrte in die Ferne, ohne etwas Bestimmtes im Blick zu haben. Immer wieder blitzten Erinnerungen aus ihrem Traum auf, verwaschene kurze Ausschnitte und Eindrücke, die immer mehr und mehr in Vergessenheit gerieten. Frisk blinzelte, je mehr sie über den Traum nachdachte, desto mehr musste sie an die wahren Ereignisse denken. Daran, wie sie unschuldig im Garten ihrer Mutter gespielt hatte. Sie hatte das Loch nicht gesehen und doch war es da, unauffällig und tief. Das tagelange Herumirren, der Hunger, der sie gequält hatte; all das hatte zum Verzehr der verbotenen Frucht geführt. Es war nicht viel, eine Handvoll Kerne und doch hatte diese kleine Menge ausgereicht, dass sie die Unterwelt nun als ihr neues Zuhause betrachten musste. Frisk schwelgte weiter in ihren Erinnerungen. Musste daran denken, wie sie sich so gut es ging die Hände im Fluss gewaschen hatte. Wie sie den Apfel eingesteckt hatte, damit er als Wegration für spätere Zeiten dienen konnte. Daran, wie sich ihr jemand genähert und sie angesprochen hatte, als wären sie bereits alte Bekannte.   „Eine wunderbare Aussicht, nicht wahr? Meine Schönheit, du hast die Tür offengelassen, also gehe ich davon aus, dass meine Anwesenheit hier erwünscht ist“, konnte sie seine Stimme vernehmen. Frisk musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er dabei lächelte. Sans, der ältere Tod, stellte sich neben sie auf den Balkon, sie konnte es im Augenwinkel erkennen. Wie sich seine kleine, skelettartige Hand um das Balkongeländer vor ihm schloss. Sofort blickte Frisk wieder in die Ferne, machte jedoch keinerlei Anstalten, Sans vom Balkon zu verjagen. „Ich dachte, du und dein Bruder, ihr seid auf einem wichtigen Treffen unter Göttern? Ist der Termin etwa schon vorbei?“, fragte Frisk mit minimaler Neugierde und sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Sans mit den Schultern zuckte. „Wir waren, meine Teuerste, wir waren. Am Ende ging es nur um ein Protokoll, aber Asgore bestand darauf, dass alle Götter in den hintersten Ecken des Universums es mitbekommen sollen. Nun, so wichtig war es nun auch nicht, dass ich euch damit langweilen möchte. Immerhin war man auch so gnädig und hat dich davor bewahrt, ebenfalls hingehen zu müssen.“ Frisk überlegte für einen Moment, bevor sie sich entschied, ihren Gedanken auszusprechen. „Und anstatt dir von unserem Koch ein ausgezeichnetes Frühstück servieren zu lassen, bist du stattdessen in dein Zimmer gegangen?“ Sans lachte für wenige Sekunden auf, bevor er sich wieder beruhigte. „Nein, immerhin gab es jemanden, den ich lieber sehen sollte als Bacon und Toast, so lecker sie auch sein mögen.“ Frisk spürte, wie sein Blick auf ihr lag und sie nun genauer unter die Lupe nahm. „Wie ich sehe, sind die Hausmädchen meiner Bitte nachgegangen und haben dir in das neue Kleid geholfen, dass ich extra für dich habe schneidern lassen. Ich muss zugeben, was deine Maße anging, da habe ich ihre Hilfe benötigt. Es steht dir gut, du solltest ruhig öfters etwas in dieser Farbe tragen“, sagte Sans und sein Stolz war unüberhörbar. Frisk dachte nach, seit ihr Sans die gesamte Geschichte rund um ihr angebliches gemeines Schicksal offenbart hatte, glaubte sie nicht mehr an Zufälle. Stattdessen wurde ihr so mancher Punkt klar, der sie zuvor bereits zum Nachdenken gebracht hatte. „Dachte ich es mir doch. Es hatte mich schon gewundert, warum die drei auf einmal mit einem blutroten Kleid um die Ecke kamen. Die Auswahl des Frühstücks, das kommt dann wohl auch auf deine Kappe, nicht wahr?“, sagte Frisk, ohne dabei den Fokus von den Bäumen zu nehmen, die sie anstarrte. Die Bäume und den Fluss in weiter, weiter Ferne. Es reichte, wenn sie ihrem Ehemann verbale Aufmerksamkeit schenkte, mehr sollte er an diesem Tag nicht von ihr erwarten. Sans schwieg für mehrere Minuten, bevor er mit einem weiteren Auflachen reagierte. „Wie ich sehe, hast du die Granatapfelkerne stehen gelassen. Hat dich wohl zu sehr an unsere Anfänge erinnert, nicht wahr? Die Nostalgie hat dich zu sehr überschwemmt, als dass du sie hättest genießen können“, sagte er und Frisk konnte sich ein Zwinkern in seinem Gesicht nur zu gut vorstellen. Wieder blieb ihm Frisk eine Antwort schuldig. Während sie weiterhin in die Ferne starrte, als gäbe es nichts Aufregenderes in der Unterwelt.   Sans dagegen blieb neben ihr stehen, ohne die Distanz zwischen ihnen abzubauen. „An was denkst du, meine wunderbare Lady Spring? Bist du gefangen in Erinnerungen an die Vergangenheit? Ich muss zugeben, auch ich habe hin und wieder Momente, in welchen ich an die gute alte Zeit zurückdenke. Als du diesen Apfel geklaut und die Kerne gegessen hast … bist du dir sicher, dass du diese hier nicht möchtest? Jetzt kann dir ja nichts mehr passieren“, sagte er und Frisk erkannte im Augenwinkel, dass sich etwas in ihre Sicht schob. Erst jetzt sah sie, dass Sans die Schale mit den Granatapfelkernen bei sich trug und es in ihre Richtung hielt. Doch Frisk blieb standhaft. Anstatt sich an den Kernen zu bedienen, sah sie Sans direkt in die Augenhöhlen, in die zwei leuchtenden Punkte darin. „Wenn du es genau wissen möchtest, ja, ich habe daran gedacht. Wie ich hier heruntergefallen bin und du mich dann gefunden hast. Kurz, nachdem ich die Kerne gegessen hatte … wohin uns das alle am Ende geführt hat.“ Sie wandte ihren Blick ab, drehte sich von Sans weg und sah wieder hinunter in den Garten. Mittlerweile hatten sich die Flammen dort eingefunden und gingen kleineren Tätigkeiten nach. Sie wusste, die drei würden ihre Konversation nicht hören können, dazu war die Distanz zwischen ihnen zu groß. „Und jetzt bist du meine wunderschöne Frau. Ein erwachtes Wesen mit einem Namen. Bereust du es?“, wollte Sans ohne große Umschweife von ihr wissen. Nachdenklich schwieg Frisk vor sich hin, beobachtete Iris dabei, wie sie eine Hecke zuschnitt. Schließlich, nach mehreren Minuten, drehte Frisk sich zu ihm um. Geduldig lächelte der ältere Tod sie an, noch immer hielt er die Schale mit den Granatapfelkernen in ihre Richtung. Frisk studierte ihn, seine Körperhaltung wie auch sein Lächeln. Es entging ihr nicht, dass Sans sie ebenfalls unter die Lupe nahm, weshalb sie sich um eine neutrale Miene bemühte. Was ihr einigermaßen gelang. „Ich bin mir nicht sicher“, durchbrach Frisk das Schweigen in einem Ton, von welchem sie selbst nicht sagen konnte, was er zu bedeuten hatte. War es Reue? Gleichgültigkeit? Oder doch etwas anderes? Frisk wusste, sie musste erst Herrin ihrer Emotionen werden, bevor sie eine genauere Aussage treffen konnte. Sans dagegen verschloss kurz die Augenhöhlen und sein Lächeln wurde ein Stück breiter. „Ich verstehe, meine Schöne“, sagte er und hob die Schale weiter in Frisks Richtung. Zögernd blickte Frisk in die Schale, bevor sie ihre Hand hineinsteckte und sich mehrere Kerne herausholte. Sans beobachtete, wie seine Frau diese Handvoll Kerne naschte, woraufhin diese sich augenblicklich von ihm wegdrehte. Lächelnd lehnte er sich an das Geländer und folgte ihrem Blick hinunter in den Garten. Doch im Gegensatz zu seiner Frau waren die Gartenarbeiten der Hausmädchen für ihn irrelevant. Der Anblick seiner Frau, in dem blutroten Kleid; wie ein kleiner Tropfen der Kerne von ihrem Mundwinkel herablief; all das war für viel bedeutsamer. Lächelnd schob er sich einen Kern nach dem anderen in den Mund, während sein Blick zufrieden wieder zurück zum Garten wanderte. Sie würde sich sicherlich daran gewöhnen, an das Leben an seiner Seite, dessen war er sich sicher. Selbst, wenn bis zu diesem Zeitpunkt mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte vergingen, er würde geduldig darauf warten. Auf den Tag, an welchem sie sein Lächeln erwidern würde. Bis dahin würde er geduldig sein und mit ihr so viele Granatapfelkerne essen, wie es seiner Frau beliebt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)