Warsong von Ceydrael ================================================================================ Kapitel 13: Blutige Spuren (I) ------------------------------ 12.12.2069, 09.16 Uhr, Tokio Marco löste den Knoten seiner Krawatte in einer müden Geste und ließ sich an dem runden Konferenztisch nieder, an dem bereits ein großer Teil seiner Führungsriege Platz genommen hatte und seit ein paar Minuten auf ihn wartete. Er hielt seine Gesichtszüge unter Kontrolle, als er sich setzte und der Schmerz seinen Rücken hinaufschoss. Unauffällig veränderte er seine Position, bis er schlussendlich eine Haltung fand, die einigermaßen erträglich war. Er hatte sich bei dem Sturz in der Nacht vermutlich einige ernsthafte Prellungen zugezogen. Makino war entsetzt gewesen, als sie seinen Rücken gesehen hatte und noch entsetzter, als er ihr mitgeteilt hatte, dass er heute trotzdem arbeiten würde... dass es nicht weiter wild wäre und schnell heilen würde. Das würde es wahrscheinlich, doch trotzdem tat es höllisch weh. Auch jetzt schien die hübsche Ärztin - die ihn mit Argusaugen beobachtete - kurz davor zu stehen, von ihrem Stuhl aufzuspringen, um ihm eine feurige Rede zu halten, doch sie klammerte die Hände um ihre Stuhllehne und blieb sitzen. Sie schien wohl durchaus vertraut im Umgang mit sturen Männern und der daraus resultierenden Frustration. Marco beäugte den kunstvollen, reichlich überladenen Obst- und Häppchenteller, den Kalifa gerade in der Mitte des Tisches abstellte, mit einer Mischung aus Unwillen und Resignation. Auch die Kaffeetasse vor ihm übte keinen sonderlich großen Reiz aus. Vermutlich sollte er etwas essen, aber er hatte keinen Appetit. Ihm war noch immer flau im Magen und der Schrecken über den nächtlichen Angriff saß noch in seinen Knochen. Bis eben war er in einem Termin mit langjährigen Geschäftspartnern der Newgate Corporation gewesen, um die Ziele und Strategien als neuer CEO für die nächsten Monate durchzusprechen und festzulegen. Viele ihrer Geschäftspartner waren japanische Zulieferer und es wäre einer Beleidigung gleichgekommen, wenn er dieses wichtige Zusammentreffen nicht persönlich wahrgenommen hätte. Daher hatte sich Marco - trotz der chaotischen Nacht und fehlendem Schlaf - durch dieses Meeting gekämpft, obwohl veraltete Unternehmensstrategien oder trübe Zukunftsaussichten gerade wirklich die Geringsten seiner Probleme waren. Aber auch das zählte wohl zu den Bürden eines CEO, die persönlichen Belange hinten anzustellen und im Wohle der Firma zu denken und zu handeln. Immerhin hingen genügend Existenzen am Erfolg des Unternehmens. Marco fuhr sich abgeschlagen durch die Haare und ließ den Blick durch den gläsernen Meetingraum schweifen, dann sah er kurz aus dem Fenster, um sich zu sammeln. Die Stimmung war gedrückt und angespannt, passend zu dem trüben Einheitsgrau, das über Tokio aufgezogen war und den Dezember trist und schwermütig machte. Seit den frühen Morgenstunden hingen Nebel und Nieselregen wie eine Dunstglocke über der Megametropole und beschränkten die Sicht auf wenige Meter. Alles versank scheinbar in diesem Meer aus Nichts und die Sonne war nur ein farbloser Fleck ohne Kraft am Himmel. Jimbei saß neben Marco und nahm einen winzigen, höflichen Schluck von seinem Espresso, daneben schloss Thatch gerade die Manschettenknöpfe seines tadellos sitzenden, weißen Anzuges. Allein seine heute offenen, schulterlangen Haare, die er sich in einer flüchtigen Geste zurückstrich, zeugten davon, dass er überstürzt von Zuhause aufgebrochen war, um zu diesem unplanmäßigen Treffen pünktlich zu sein. Ihnen gegenüber hatten Jozu und Sabo Platz genommen, das völlige Gegenteil der akkurat gekleideten Männer auf der anderen Seite des Tisches, denn den beiden hafteten noch sichtbar die Kampfspuren der Nacht an. Sie trugen noch die gleichen Sachen und waren wohl bis eben bei den bereits anlaufenden Aufräumarbeiten beschäftigt gewesen. Der junge Techniker angelte geistesabwesend nach einer Handvoll Blaubeeren, die er sich ziemlich unmanierlich allesamt in den Mund stopfte, während er an seinem energiekinetischen Handschuh mit einem Schraubenzieher werkelte. Die Nahrungsaufnahme war eher zweckmäßig und ein lästiges Übel, Marco kannte diesen Zustand bei Sabo schon - in Gedanken war der junge Abteilungsleiter bereits tief versunken in seiner Arbeit. Das war wohl seine Art der Stressbewältigung. Jozu neben ihm starrte mit finsterer Miene geradeaus und hatte die massigen Arme vor der steinernen Brust verschränkt. Auf seiner Sicherheitsweste waren noch die Einschusslöcher des Angriffes zu sehen und die Reste getrockneten Blutes klebten an seinem Hemd und seiner Hose, stumme Zeugen der nächtlichen Vorfälle. Marco hatte gesehen, wie Jozu einen seiner verwundeten Männer im Kampfgetümmel über die Schulter geworfen und eigenhändig aus der Schusslinie getragen hatte. Marco schluckte und schloss noch einmal kurz die Augen, bevor er gefasst die Frage stellte, vor die ihm seit den frühen Morgenstunden am meisten fürchtete: »Wie viele Tote haben wir als Folge dieses nächtlichen Angriffes zu beklagen…?« Seine Stimme war rau nach den langen Reden des vorangegangenen Termins und er zwang sich, nach einer der bereitstehenden Wasserflaschen zu greifen und zumindest einen Schluck zu trinken. So hatte er sich seinen Start als Konzernchef wahrlich nicht vorgestellt. Er war kaum eine Woche in dieser Position… und schon gab es Todesfälle. Obwohl er sich sicherlich nicht selbst die Schuld daran geben konnte, fühlte es sich doch fast nach einer Art persönlichem Versagen für ihn an. Vielleicht hätte er diese Senatsangelegenheit ernster nehmen und bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen… Pops wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Es war lange her, dass Marco sich Selbstzweifeln hingegeben hatte, doch für einen Augenblick fühlte er sich unzulänglich und schrecklich schuldig. Jimbei blätterte die Personalakten auf seinem Tablet durch, dann schob er mit einer Handbewegung die Dossiers auf den gebogenen Projektionsbildschirm in der Mitte des Tisches. Die Gesichter von fünf Männern mittleren Alters blickten ihnen entgegen und Marcos zwang sich, ihre Gesichter anzusehen, sie sich einzuprägen, auch wenn das schlechte Gewissen wie ein bösartiger Wurm an ihm nagte. Jozu versteifte sich und richtete seinen Blick aus dem Fenster. Dem Sicherheitschef ging der Tod der Männer sichtlich nah und Marco ahnte, dass er wohl am liebsten sofort losgestürmt wäre, um Vergeltung zu üben. Marco konnte das verstehen… aber sie durften jetzt nicht in Versuchung geraten, kopflos und unüberlegt zu agieren. Jimbei berichtete mit ruhiger, gesetzter Stimme: »Fünf langjährige Mitarbeiter des Sicherheitsteams. Drei weitere liegen im Krankenhaus, bei ihnen stehen die Chancen gut, dass sie überleben und in den Dienst zurückkehren können.« Der beleibte, bereits leicht angegraute Japaner war einer von Whitebeards ältesten und engsten Vertrauten und Marco war sehr froh, dass er sich bereit erklärt hatte, auch unter ihm weiter zu arbeiten. Seine höfliche und korrekte Art war in solch einer Situation ein wahrer Segen. »Familien...?«, hakte Marco tonlos nach. Jimbei nickte. »Sie alle hinterlassen Frau und Kinder, hauptsächlich aus den Vierteln in Harajuku…« Der Personalchef musste gar nicht weiter ausführen, was das am Ende bedeutete. Sie alle hier wussten das. Für diese Familien brach mit dem Tod des Vaters vermutlich ein beträchtlicher Teil ihrer Versorgung weg und damit ihre gesamte Existenzgrundlage. Harajuku war das Viertel für den Großteil der dünnen Mittelschicht in Tokio. Die Wohnungen und Lebensumstände dort waren nicht luxuriös, aber wesentlich besser als die meisten, schäbigen Appartements in Downtown. Allerdings bekam man nur Anrecht auf eine Wohnung, wenn eine gewisse Einkommensgrenze gesichert war, um Mietnomaden und Vandalismus einen Riegel vorzuschieben. Fünf Familien, die jetzt darüber unterrichtet werden mussten, dass ihre Ehemänner und Väter nicht mehr nachhause zurückkehren würden… was für eine Tragödie. Marco rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Braue, um dem beharrlichen Hämmern hinter seiner Stirn Herr zu werden. Solch einen Verlust würde wohl kein Geld der Welt erleichtern können, aber zumindest konnte es die Übergangszeit für die Familien ein wenig einfacher gestalten. »Wir erlassen eine Entschädigungszahlung von einem Jahresgehalt plus die ausstehende Gehalts- und Bonuszahlung des laufenden Monats«, bestimmt Marco. »Unter Ausschluss der Presse, um die Hinterbliebenen zu schützen.« Kalifa, die ihm schräg gegenüber saß und Protokoll führte, hob eine schmale Braue verwundert über ihre randlose Brille und auch Jimbei blinzelte Marco verblüfft an, sagte jedoch nichts. Das war eine enorme und vor allem unübliche Zahlung, die die Familien aber garantiert brauchen würden, um wieder auf die Beine zu kommen. Es war nötig und trotzdem fühlte es sich für Marco ein Stück weit irgendwie nach Blutgeld an, auch wenn sein rationaler Verstand wusste, dass dies Unsinn war. Immerhin waren die Gefahren und Risiken der Arbeit eines Wach- und Sicherheitsmitarbeiters bei einem Konzern hinlänglich bekannt und auch im Vertrag wurde darauf hingewiesen. Sein Blick wanderte unbewusst zu Law. Der junge Mann stand wie ein dunkler Schemen am Rande des Raumes gegen den Fensterrahmen gelehnt, auch er trug noch die Kleidung der Nacht, nur sein Schwert hatte er abgelegt. Er hatte die Hände in seinen Hosentaschen versenkt und wohnte dem Meeting schweigend bei. Marco hatte ihn eingeladen, da die ganze Sache sowohl ihn als auch seine Schwester betraf. Gegen das trübgraue Morgenlicht war Laws Gesicht im Schatten seiner Mütze kaum zu erkennen, doch Marco meinte, die Augen des jungen Mannes auf sich zu spüren. Vermutlich hatte auch er wie Marco zu wenig Schlaf abbekommen, doch darüber schien zumindest die Tasse Kaffee hinwegzutrösten, die Kalifa ihm vorhin gebracht hatte und die im Fensterbrett neben ihm stand. Als Marco aus seinem morgendlichen Meeting gekommen war, hatte er Law in der Gästeetage bei den Aufräumarbeiten angetroffen, wo er völlig selbstverständlich mit der Reinigungstruppe für ein wenig Ordnung gesorgt hatte. Marco hatte die ernsthafte Befürchtung, dass Dadan Law adoptieren wollte, denn die sonst so resolute, ruppige Dame war ganz entzückt von seiner Hilfsbereitschaft gewesen. Aber Marco ertappte sich ja auch selbst dabei, wie er sich eigentlich viel zu schnell daran gewöhnen wollte, dass der junge Mann hier im Tower war... und dass es ihm gefiel, ihn in der Nähe zu wissen. Er konzentrierte sich zwanghaft wieder auf das Meeting und richtete sein Wort jetzt an Haruta, dessen Projektion der Runde ebenfalls beisaß. Die KI hatte sich neben Thatch platziert und wirkte für ihre Verhältnisse ziemlich in sich gekehrt. Wenn es nicht absurd gewesen wäre, hätte man dem Eindruck erliegen können, die künstliche Intelligenz machte sich Vorwürfe wegen der Sicherheitspanne in der Nacht. »Haruta, auf welche Summe beläuft sich der Sachschaden? Und wie lange wird es voraussichtlich dauern, die Reparaturarbeiten am Tower abzuschließen?« Die Augen des holografischen Jungen schillerten blau, bevor eine detaillierte Auflistung der zu erwartenden Kosten und dazu eine schematische Darstellung des Towers über dem Tisch projiziert wurden. Beschädigte Sektionen - wie das Komplextor und das Penthouse - waren rot markiert. »Der Gesamtschaden am Gebäude beläuft sich auf so ziemlich genau 124.000 Eurodollar. Die kostenintensivsten Punkte sind das Sicherheitstor und die Glasfronten des Towers. Ich würde hier zu einem Upgrade auf unser experimentelles Sicherheitsglas raten und zudem zum Einbau von speziellen Astralsensoren, Sir, um artgleichen Angriffen wie letzte Nacht effektiv vorbeugen zu können.« »Gib es in Auftrag.« Marco winkte den Vorschlag mit einem knappen Handzeichen durch. Haruta fuhr beflissen fort: »In erster Linie sollten vermutlich das Haupttor und das Penthouse wieder auf Vordermann gebracht werden und…-« »Nein.« Der Junge blinzelte überraschend menschlich aus dem Konzept gebracht. »Nein?!« Marco stützte die Ellenbogen auf den Tisch und bettete das Kinn auf seinen verschränkten Händen. Sein sauberer Drei-Tage-Bart war eine Spur zu lang geworden, doch für eine Rasur hatten ihm heute morgen schlichtweg Zeit und Geduld gefehlt. »Das Penthouse ist nicht so wichtig. Ich werde vorübergehend in der Gästeetage unterkommen.« Marco meinte im Augenwinkel zu erkennen, wie Laws Kaffeetasse kurz vor dessen Lippen stoppte, bevor er einen bedächtigen Schluck nahm. »Es hat vorrangig höchste Priorität, dass die Sicherheit des Komplexes und unserer Gäste wieder gewährleistet ist. Meine Wohnung kannst du hinten anstellen. Leite die Reparaturarbeiten schnellstmöglich in die Wege.« Die KI machte sich offenbar einen gedanklichen Vermerk und berechnete kurz die möglichen Szenarien. »Wie Sie wünschen, Sir. Bei zügiger Zahlungsfreigabe wird eine Fertigstellung innerhalb von drei Tagen angestrebt.« Kalifa notierte bereits nebenher eifrig auf ihrem Datenpad. »Ich werde mich um die Kostendeckung kümmern und Ihnen die Unterlagen zur Unterschrift noch heute zukommen lassen, Phoenix-san«, unterrichtete sie Marco, bevor sie den perfekt manikürten Zeigefinger an den Bügel ihrer Brille legte und mit blau schillernden Pupillen einen Anruf entgegen nahm. »Mister Force befindet sich im Wartebereich der Online-Konferenz.« »Schalten Sie ihn bitte dazu.« Shanks‘ holografisches Abbild erschien auf der anderen Seite des Tisches, so lebensecht, als würde der andere Konzernchef tatsächlich hier bei ihnen sitzen. Er überschlug die Beine in der dunklen Anzughose und zog in aller Seelenruhe an der Zigarette zwischen seinen kybernetischen Fingern, während er die Anwesenden langsam und mit wachsender Missbilligung musterte. Selbst der Rauch seiner Zigarette, der ihm aus der Nase entwich, wurde von den Sensoren erfasst und detailgetreu widergespiegelt. »So langsam frage ich mich ernsthaft, ob du das Konzept strikter Geheimhaltung einer Senatsangelegenheit wirklich begreifst, Marco«, knurrte Shanks mürrisch. Marco verschränkte die Arme unbeeindruckt vor der Brust und erwiderte eisig: »Sag‘ das deinem Zirkel, der sich offenbar ohne deine Einwilligung dazu entschieden hat, diese Senatsangelegenheit in eine offene Kriegserklärung meinen Leuten und mir gegenüber zu verwandeln. Ich bin sicher, die Toten der Nacht werden es dir danken!« Seine bissige Tonlage war vielleicht nicht gänzlich gerechtfertigt, immerhin hatte er Shanks bisher nur knapp über einen Angriff, nicht aber über dessen Ausmaß berichtet, aber Marco fehlte gerade die Contenance, um höflich zu sein. »Ich will und werde meine Leute nicht mehr im Unklaren über die möglichen und offenbar sehr realen Gefahren lassen und außerdem würde ich für alle hier guten Gewissens meine Hand ins Feuer legen, dass sie vertrauenswürdig sind, also wirst du dich wohl mit ihrer Anwesenheit abfinden müssen!« Marco spürte Laws Überraschung allein dadurch, dass sich die Haltung des jungen Mannes ein wenig lockerte und sich dessen Blick unter der weißen Fellmütze fast unmerklich hob. Aber er hatte nicht gelogen - nach letzter Nacht hatte Marco keinerlei Bedenken, dass er auch Law uneingeschränkt vertrauen konnte. Er mochte Geheimnisse haben, aber das war für Marco kein Grund, an ihm als Mensch zu zweifeln.   Zum ersten Mal meinte Marco jetzt so etwas wie ehrliche Bestürzung in Shanks' harschem Gesicht zu sehen. »Tut mir leid, das war offensichtlich unangebracht von mir... verflucht, ich wusste nicht, dass es so schlimm ist...« Er fuhr sich zerknirscht mit der Hand durch die Haare, dann drückte er seine Zigarette aus und drehte den Kopf, als würde er einer unsichtbaren Stimme im Hintergrund lauschen. »Rayleigh würde der Konferenz gern beiwohnen«, kündigte er an. Ein überraschtes Raunen wanderte durch den Raum. Selbst Law schien sich ein wenig aufzurichten. Das war eine unerwartete Ehre, aber auch ein eindeutiges Zeichen, dass die Sache hier wirklich ernst war. Marco nickte Kalifa bestätigend zu und damit erschien auch die Projektion des weißhaarigen, älteren Mannes, der sofort beschwichtigend die Hände hob, als Jimbei schon aufstand und sich ehrfürchtig verbeugte. Der Rest der Anwesenden wollte ihm bereits folgen und das Scharren von Stuhlbeinen hallte durch den Raum. »Nicht doch, nicht doch, bitte... das ist zu viel der Ehre, bleibt sitzen«, lachte Rayleigh und verflocht dann die noch immer kräftigen Finger auf den überschlagenen Knien. Der Sprecher der NoMAGs trug auch heute einen ausgewählten, hellen Anzug, dessen eingewebte Ornamente selbst im künstlichen Licht des Hologrammes silbern schimmerten wie die Ringe an seinen Händen. »Lasst euch nicht durch meine Anwesenheit stören. Bitte, fahrt fort.« Marco berichtete mit knappen, sachlichen Worten von den Vorfällen der Nacht, dann schilderten Sabo und Jozu jeweils ihre Sicht der Ereignisse. Bei jedem Wort schienen Shanks‘ Gesichtszüge nur noch grimmiger zu werden und auch Rayleigh fuhr sich in einer ernsten Geste durch den sauber gestutzten Bart, während er aufmerksam zuhörte. »Was ist mit der jungen Frau?«, wollte der Senatssprecher besorgt wissen. Makino stellte ihre Kaffeetasse beiseite. »Sie ist unversehrt, aber leider immer noch nicht ansprechbar.« »Also keine Informationen von ihrer Seite«, murmelte Rayleigh. Shanks schien jetzt erst wirklich zu realisieren, dass Makino anwesend war und schenkte ihr ein seltenes, wenn auch sehr kurzes, warmes Lächeln, das sie verstohlen erwiderte, bevor sie den Blick senkte. Dann sah der rothaarige Konzernchef wieder in die Runde und wurde ernst. »Offiziell sollte es gar keine Beschwörer mehr unter dem Radar des Senats geben…«, merkte er an und machte ein fliegende Handbewegung, sodass die Glut seiner Zigarette einen schimmernden Kreis zog. »Was ihr sagt, ist fast nicht möglich.« »Shanks' Zweifel sind begründet«, bekräftigte Rayleigh und schob sich die Brille auf der Nase gerade. »Die meisten der noch lebenden Summomanten sitzen in Impel Down und die, die noch in Freiheit leben, verbringen ihre Tage unter der strikten Überwachung des Senats und der Reglementierung ihrer Fähigkeiten. Hier in Tokio gibt es offiziell gar keinen mehr, nicht nachdem der Summomant, der lange Zeit im Kriminalfachdezernat von Tokio gearbeitet hat, vor ein paar Jahren von einem Kartell aufgeknüpft wurde.« Marco stieß die Luft zischend aus. »Bei allem nötigen Respekt, aber darüber solltet ihr dann wohl unsere nächtliche Angreiferin informieren, die war nämlich ziemlich lebendig und alles andere als eingesperrt…« Er konnte die Zweifel der beiden Senatsmitglieder durchaus verstehen, aber das war lächerlich... er wusste, was er gesehen hatte. »Sicher, dass ihr euch nicht geirrt habt?«, fragte Shanks kritisch nach. »In der Nacht sieht man manchmal Dinge, die gar nicht da sind...« »Shanks…«, mahnte Rayleigh den rothaarigen Konzerner mit ruhiger, tiefer Stimme zu mehr Sachlichkeit. Jozu schnappte entrüstet nach Luft, als stünde er kurz davor, seine guten Manieren zu vergessen und sich im Ton zu vergreifen. Sabo legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. Auch Marcos Gesichtsausdruck verhärtete sich, doch bevor er etwas erwidern konnte, trat Law einen unerwarteten Schritt nach vorn. »Es war eine Beschwörerin, daran gibt es keinen Zweifel. Ich…«, seine Kiefermuskeln zuckten, als würde er seine nächsten Worte eigentlich viel lieber zurückhalten wollen, »… ich war vor Ort, als dieser Beschwörer hier in Tokio vor ein paar Jahren getötet wurde. Man erkennt ihre Magie am Geruch und das hier war definitiv ein Summomant.« »… du warst damals vor Ort?!« Shanks' Stimme war bedrohlich ruhig geworden. »Hast du ihn getötet?« Ein geringerer Mann wäre unter dem tödlich schneidenden Blick des Konzerners vermutlich eingeknickt, doch Law begegnete der unverhohlenen Anklage mit bemerkenswerter Gleichgültigkeit, als wäre er derlei mehr als gewöhnt. Er zuckte nicht mal mit der Wimpern, nur wurden seine grauen Augen noch eisiger als ohnehin schon. Rayleighs Miene blieb unbeweglich, doch er musterte Law jetzt deutlich interessierter, während er mit den Fingern abwartend über den Knauf seines Gehstockes strich, der an seinem Stuhl lehnte. »Nein, habe ich nicht«, entgegnete Law ohne zu zögern, doch Marco entging die Bitterkeit in seiner Stimme nicht, als würde es ihn insgeheim verletzen, dass man sofort dieser Annahme war. Marco glaubte Law, auch wenn ihm diese plötzliche Eröffnung erneut deutlich vor Augen hielt, wie wenig er doch eigentlich über den jungen Mann wusste… und wie sehr er wünschte, dass es anders wäre. »Du...-« Rayleigh bremste den Wachhund mit einem Zungeschnalzen. »Shanks, ich glaube, dieser Vorfall steht jetzt hier nicht zur Debatte. Bleib' bei der Sache«, erinnerte er den rothaarigen Konzerner mit einem winzigen Lächeln, doch seine Stimmlage war scharf und verlangte Respekt. Shanks holte noch einmal Luft, schien sich schlussendlich aber auch auf ihr eigentliches Problem zu besinnen und schnaufte tief durch, bevor er sich mit angestrengt gefurchter Stirn wieder an Marco wandte. »Na schön, gehen wir einmal davon aus, dass es tatsächlich eine Summomantin war… wie konnten die Beschwörungen überhaupt so ungesehen in den Tower gelangen? Ich hab‘ Whitebeards Bastion immer für unantastbar gehalten.« Sabo hob den Kopf von seinen Reparaturarbeiten, als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet. »Nun, die Erklärung kann ich wohl liefern…«, begann der junge Techniker. »Ich habe mir nach dem Angriff die gleiche Frage gestellt und die betroffenen Räumlichkeiten mit Haruta nochmals genauestens unter die Lupe genommen. Und dabei des Rätsels Lösung gefunden, woher unsere kleinen Harpyien wohl gekommen sind...« »Harpyien?!« Jozu sah reichlich verwirrt aus. Haruta blendete den Eintrag einer Online-Enzyklopädie auf und das sich drehende 3D-Modell einer Kreatur erschien, halb Mensch, halb Vogel. »Eine Harpyie, altgriechisch ἅρπυια hárpyia, ist ein geflügeltes Mischwesen der griechischen Mythologie in Vogelgestalt mit Frauenkopf«, führte die KI aus. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist durchaus erkennbar.« »Aha...«, kommentierte Shanks das trocken und nur müde interessiert. »Bitte weiter im Text... was hast du also gefunden?« Der junge Techniker wühlte in seinem zerfledderten und teilweise angekohlten Laborkittel, bevor er etwas in der hohlen Hand aus der Tasche zog und unter den gespannten Blicken aller Anwesenden in die Mitte des Tisches legte. Selbst Law trat noch ein paar Schritte näher, um besser sehen zu können. Marco entfuhr ein humorloses, trockenes Lachen, hart und abgehakt. Seine Hände verkrampften sich unbewusst, als er sah, was der junge Techniker da enthüllt hatte. Er erkannte die schwarzen, glänzenden Steine sofort, die teuren Opale - einst an einer Halskette - die jetzt wie zerbrochene Eierschalen auf dem Tisch vor ihnen lagen, so unscheinbar und trügerisch harmlos. »Stussy…«, murmelte Marco ein Stück weit fassungslos. Er konnte kaum glauben, was er da sah und doch schienen so einige Dinge jetzt einen völlig absurden Sinn zu ergeben. Alle drehten die Köpfe fragend in seine Richtung. »Lass' mich raten... du hast das im Badezimmer des Penthouse gefunden, Sabo?« Dabei wusste Marco die Antwort längst. Der Techniker nickte überrascht. »Ja, richtig, aber woher...-« Marco erklärte mit einer frustrierten Geste auf die schillernden, zerbrochenen Steine: »Vorgestern, am Tag der Pressekonferenz war Stussy mit Weevil hier im Tower. Ich habe sie mit in meine Wohnung genommen, weil sie angeblich etwas gesucht hat, was noch in meinem Besitz sein sollte. Mir kam ihr Verhalten an dem Tag eigenartig vor, aber ich habe mir nichts weiter dabei gedacht…« Er rieb sich über die Augenbrauen, strich sich dann zerknirscht durch die Haare. »Sie hat eine Kette mit diesen Steinen getragen und sie hat mich gebeten, mein Badezimmer benutzen zu können und dabei muss sie sie dort platziert haben.« Wie hatte er dieses Detail nur übersehen können?! Thatch plusterte sich wütend auf. »Diese elende, kleine Schlange! Du hast ihr mehr gegeben, als sie je verdient hat... und das ist der Dank?! Dieses Miststück!« Er hielt mit seiner Abscheu kaum hinter dem Berg, denn er hatte Stussy noch nie leiden können und Marco immer vor ihr gewarnt. Marco mäßigte Thatch mit einer ruhigen Handbewegung. »Ich kann mich irren, aber für mich passt das irgendwie alles nicht wirklich zusammen...«, warf er zweifelnd ein, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte. »Was hätte sie persönlich schon davon, wenn ich tot wäre?! Da würden mir ganz andere einfallen, die viel mehr von meinem Ableben profitieren...« Thatch und Marco tauschten einen kurzen Blick und in den Augen des Marketingmanagers flammte Erkenntnis auf, als sie beide in dem Moment wohl an genau die gleiche Person dachten - Weevil. »Könntest du dir vorstellen, dass sie zu diesem Zirkel gehört, Marco?«, fragte Rayleigh. Marco hob ratlos die Schultern. »Keine Ahnung, wir haben jetzt mehr als drei Jahre keinen wirklichen Kontakt gehabt. In der Zeit kann sich so einiges ändern, aber sie war eigentlich nie jemand, der besonders empfänglich für irgendwelche ominösen Glaubensgemeinschaften oder zwielichtige Gruppierungen ist.« »Vielleicht war sie nicht die Urheberin dieses Plans, aber gänzlich unschuldig ist sie gewiss nicht...«, urteilte Law. Er war an den Tisch herangetreten und langte nach einer der Scherben, um sie forschend zwischen den tätowierten Fingern zu drehen. »Es ist ein hochrangiger Zauber nötig, um Beschwörungen über eine längere Zeit in solch einer Form zu konservieren. So etwas bekommt man nicht einfach an einer Straßenecke. Sie könnte durchaus ebenfalls zu diesem Zirkel gehören oder zumindest Kontakt zu ihm haben. Auf jeden Fall ist sie eine Spur, der man nachgehen sollte... vielleicht weiß sie etwas«, meinte er zu Marco, bevor er das Bruchstück zurück auf den Tisch warf. »Ich kann kaum glauben, dass ich das sage, aber…«, Shanks seufzte und wies mit einer bestätigenden Geste auf Law, »Prinz Eisenherz hat recht. Du solltest mit deiner Ex-Geliebten vermutlich einmal ein ernstes Wörtchen reden und ihre Prioritäten klären.« Laws Lippen verzogen sich flüchtig auf Grund des albernen Spitznamens, doch er sagte nichts dazu, sondern zog sich wieder an seinen Platz neben dem Fenster zurück. Marco nickte, auch wenn die Aussicht auf diese Unterredung keine wirklichen Begeisterungsstürme in ihm weckte. »Ich werde sie persönlich aufsuchen und herausfinden, inwieweit sie in diese Sache verstrickt ist.« Er sah zu seinem Sicherheitschef hinüber. »Was ist mit dem Peilsender an dem Lieferwagen? Irgendwelche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort?« Jozu knirschte unzufrieden mit den Zähnen und schüttelte den Kopf. »Der ist schon vor ein paar Stunden ausgestiegen. Vermutlich haben sie ihn längst gefunden. In der Hinsicht fischen wir komplett im Trüben.« »Es ist wohl mehr als naheliegend, dass sie eine Basis hier in Tokio haben, von der aus sie agieren. Aber die ohne Anhaltspunkte finden zu wollen, wäre ein schier utopisches Vorhaben…«, räumte Marco ein. »Wir konzentrieren uns wohl am besten erst einmal auf das, was wir haben - Stussy und die Standorte der beiden weiteren Bruchstücke. Ich plane morgen früh nach Toyohashi aufzubrechen.« An Kalifa gewandt bat er: »Sagen Sie bitte alle weiteren Termine für die nächsten Tage ab.« Die blonde Assistentin nickte gewissenhaft, stand auf und begann noch im Gehen das erste Telefonat zu führen, um Marcos Terminkalender zu leeren. Der blaue Schein ihrer flimmernden Kybernetik spiegelte sich in der Scheibe der Tür, als sie den Raum verließ. »Was soll ich der Presse sagen?«, fragte Thatch. »Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Angriff unentdeckt geblieben ist, vor allem nicht, nach eurem spektakulärem Auftritt auf dem Highway…«, gab er vorwurfsvoll zu bedenken, als er mit der Spitze seines eleganten Stiftes bereits auf seinem Pad tippte. Er schürzte die Lippen abwartend, während er Marco mit auffordernd gehobener Braue ansah. »Schieb' es auf einen Machtkampf. Konzernkonkurrenz. Lass die Presse ruhig Mutmaßungen anstellen. Und gib bekannt, dass ich mich auf Grund einer Verletzung erst einmal ein paar Tage aus der Öffentlichkeit zurückziehe«, Marco griff nun doch nach seiner Kaffeetasse, wobei der längst kalt war. »Sollen diese Typen ruhig glaube, dass sie uns ernsthaft geschadet haben und sich in Sicherheit wiegen. Halten wir uns erst einmal bedeckt.« Es wirkte, als wolle Thatch noch etwas anmerken, doch er schluckte es wohl herunter und nickte, bevor er seine Krawatte richtete. »Wie du wünschst…« Marco machte sich wenig Sorgen um die Medien, Thatch war einer der Besten seines Faches und würde sich schon eine plausible Geschichte einfallen lassen. Die öffentliche Meinung war ihm auch gerade herzlich egal. »Das wäre vorerst alles«, entließ Marco sein Team damit. Die Anwesenden packten ihre Sachen zusammen und verließen nacheinander den Raum, doch Marco hielt Jimbei auf und bedeutete ihm, kurz sitzen zu bleiben. Auch Law blieb kurz in der Tür stehen, als wollte er noch mit Marco sprechen, aber dann war auch er verschwunden »Wenn es dir keine allzu großen Umstände bereitet, wäre ich sehr froh, wenn du die nächsten Tage ebenfalls im Tower residieren würdest. Ich hätte dich und deine Kräfte gern hier vor Ort«, bat er seinen Personalchef. Marco wäre wirklich deutlich wohler zumute, den Hydromanten hier im Gebäude zu wissen - ein bisschen Wasser wäre bei einem möglichen Feuer von Vorteil und inzwischen wollte er auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, damit sie nicht wieder so wie letzte Nacht überrumpelt werden konnten. Jimbei neigte den Kopf einwilligend. »Natürlich, ganz wie du willst, Marco.« »Ich danke dir.« Harutas Projektion verschwand, als auch Marco jetzt aufstand, seine Anzugjacke zuknöpfte, um sich dann noch einmal an Shanks und Silvers Rayleigh zu wenden, die als Letzte in der Konferenz verblieben waren, nachdem nun auch Jimbei ging. »Sonstige Neuigkeiten oder Anweisungen?« Marco setzte sich halb auf den Schreibtisch unweit von den Projektionen der beiden Senatsmitglieder und verschränkte die Arme vor der Brust. Nur mühsam konnte er sich davon abhalten, die Schultern zurückzuziehen, da die Prellungen einen beharrlichen Schmerz in seine linke Seite jagten. Rayleighs Blick wurde jetzt nachgiebiger und der weißhaarige Mann wirkte ehrlich betreten, als er sprach: »Es tut mir wirklich leid, dass du so kurz nach deiner Ernennung schon in solche Schwierigkeiten gerätst, Marco. Natürlich ist man als Senatsmitglied immer irgendwie im Visier der Öffentlichkeit, aber dieser offene Angriff...«, er drückte die gefalteten Hände erschüttert an die Lippen und schloss kurz die Augen, »... ich bin bestürzt. Sicher bereust du deine Ernennung inzwischen, aber normalerweise sollte ein Amtsantritt wirklich nicht so holprig wie in deinem Fall verlaufen.« Marco schüttelte den Kopf. Ja, sein Leben war nicht gerade einfacher geworden, er hatte Leute verloren, aber hätte er wirklich seine Hilfe versagt, wenn er um diese unerwarteten Risiken gewusst hätte?! Wohl kaum. »Ich hätte dem Mädchen auch helfen wollen, wenn ich kein Senatsmitglied wäre und damit wären meine Leute und ich wahrscheinlich ebenso ins Kreuzfeuer geraten. Das ist ein Risiko, mit dem ich nun wohl leben muss.« Entschlossen reckte er das Kinn. »Umso wichtiger ist es, diesen Zirkel aufzuhalten.« »Wohl wahr«, nickte Rayleigh gedankenvoll, dann strich er sich erwägend durch den Bart und der aufmerksame Blick aus klugen, hellen Augen huschte zur Tür hinüber. »Glücklicherweise scheinst du tatkräftige Unterstützung zu haben… sag, wer ist dieser junge, dunkelhaarige Mann mit dem entschlossenen Blick? Ich glaube nicht, sein Gesicht schon einmal in Edwards Reihen gesehen zu haben.« Marco konnte nicht verhindern, dass ein winziges Lächeln seine Mundwinkel bewegte. »Das ist Trafalgar Law, der Bruder der verletzten, jungen Frau und vermutlich der Grund, dass ich überhaupt noch lebe. Er hat mich in der Nacht vor schlimmerem bewahrt«, erklärte er so sachlich wie möglich. »Unsere Wege haben sich zufällig gekreuzt, aber er ist eine unerwartete… Hilfe.« »Ist er ein MAG?« »Ja. Ein Telekinet.« »Wie begabt?« Die Lüge kam Marco ungewöhnlich leicht von den Lippen: »Durchschnittlich. Vermutlich C oder B Rang.« Er wusste nicht recht warum, aber er hielt es für das Beste, die Entdeckung, die er in Laws Geist gemacht hatte, vorerst für sich zu behalten und weder Shanks oder den Senat einzuweihen. Rayleigh zog die Brille von seiner Nase und putzte diese beiläufig am Saum seiner hellen Anzugjacke. »Ah, verstehe… nun, ich denke, jegliche Unterstützung ist in diesem Fall willkommen.« »Durchaus.« Die Bilder der Nacht flackerten vor Marcos Augen auf, ihre Jagd auf dem Highway, diese fremden MAGs mit der unheiligen Magie... »Dieser Erebomant und dieser Phobiokinet, ihre Magie war… alt und gewaltig. Mir ist so etwas noch nie untergekommen. Dieser Phobiokinet war mit Sicherheit derjenige, der die Gesellschaft um Yamamoto Ashitaka so zugerichtet hat.« Shanks‘ holografisches Abbild lehnte sich nach vorn und er bettete die Unterarme auf den Oberschenkeln, lauernd, wie der Wolf kurz vor dem Angriff. »Rang A?« Eigentlich war es keine wirkliche Frage aus seinem Mund. »Mit ziemlicher Sicherheit«, bestätigte Marco mit einem leisen Schaudern. Ein Rang A MAG konnte schon eine Naturgewalt sein, aber gleich zwei davon... eine Katastrophe. Und sie wussten längst nicht, was dieser Zirkel noch in seinem Arsenal verbarg. Shanks‘ Nasenflügel blähten sich, dann fluchte er wenig zurückhaltend und klopfte sich eine weitere Zigarette aus dem Etui, das er aus seiner Manteltasche nahm. »Scheiße...« Auch Rayleigh wirkte mehr als nur besorgt. Kein Wunder, denn solch mächtige MAGs konnten verheerenden Schaden anrichten, gerade wenn sie auf Seiten von Terroristen oder Aufwieglern agierten. Das altehrwürdige Senatsmitglied schob die Brille wieder auf die Nase und meinte ernst: »Ich werde Sakazuki darüber informieren und Erkundigungen einholen lassen, ob es Informationen oder Daten über derlei MAGs gibt, auf welche die Beschreibung passen könnte. Womöglich müssen wir diesem Fall viel mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, als bisher geschehen.« Er wandte sich an Shanks: »Du untersuchst den kürzlichen Vorfall in Kobe.« Marco hob fragend eine Braue und Rayleigh drehte besorgniserregend unruhig an einem der Ringe an seiner Hand. Sein Blick wurde eindringlich. »Ist diese Verbindung absolut sicher?« »Natürlich«, garantierte Marco. »Das Folgende muss zwingend unter uns bleiben.« Rayleigh lehnte sich mit einem schweren Seufzen zurück und verschränkte die Hände, bevor er berichtete: »Es gab einen Mordanschlag. In Kobe. Auf Senatsmitglied Korinte Khumalo.« Marco schluckte schockiert. »Oh Gott... geht es ihm gut?« Rayleigh holte tief Luft. »Er hat überlebt und liegt im Krankenhaus, aber... er ist längst nicht über den Berg.« Korinte Khumalo war eines der NoMAG Mitglieder des Senats und recht beliebt in der Öffentlichkeit, gerade bei den normalen Menschen, da er sich stets flammend und mit stichhaltigen Argumenten für die Rechte der NoMAGs und die Reglementierung von MAG-Kräften einsetzte. Einige MAGs jedoch hielten ihn für einen Extremisten. »Khumalo war in Kobe, um die nächste Abstimmung im Senat vorzubereiten. Er wollte demnächst seinen sehr umstrittenen Vorschlag abstimmungsreif unterbreiten, HeilerMAGs per Gesetz zu verpflichten, ihre Kräfte in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.« Rayleigh strich eine Falte aus seiner makellosen Hose. »Ich bin ehrlich, Korinte hat viele Befürworter, aber auch viele Feinde. Vielleicht ist es nichts, vielleicht hängt es nicht mit den Vorfällen hier in Tokio zusammen, aber ich möchte es lieber untersuchen lassen. Ich will sicher gehen.« »Natürlich, ich verstehe,« räumte Marco ein. »Dann hören wir voneinander, sobald es Neuigkeiten gibt. Passt in der Zwischenzeit auf euch auf.« Er beendete die Telefonkonferenz und die Hologramme der beiden Senatsmitglieder verschwanden. Er rieb sich mit einem kleinen Stöhnen über den Nacken und rollte die Schultern, dann verließ er ebenfalls den Meetingraum. Thatch schien auf ihn gewartet zu haben, denn sein Freund stand knapp neben der Tür, die Miene ungewöhnlich ernst, als er jetzt aufsah und fragte: »Hast du eine Minute?« »Sicher.« Sie traten beiseite in eine kleine Pausenecke mit Stehtisch und Thatch legte sein Notepad wortlos zwischen ihnen ab, bevor er ein Video startete. Zu sehen war die verwackelte Aufnahme einer Pressedrohne, die eine schwarz-gelbe Yaiba Kusanagi aus der Luft verfolgte. Das Motorrad mit den zwei Männern steuerte in rasendem Tempo und mit halsbrecherischen Manövern über den dicht befahrenen Highway und wich dabei dem Beschuss aus einem Transporter aus. Es wirkte mehr wie die Szene aus einem Film als eine schlichte Überwachungsaufnahme. »Es hat mich so einiges gekostet, dieses kleine Filmchen in die Finger zu bekommen, bevor es alle Nachrichtensender wahrscheinlich in den Morgennews präsentiert hätten«, erklärte Thatch, ehe er Marco aufgebracht anfuhr: »Kannst du mir bitte mal erklären, was das für eine Aktion sein sollte?!« Marco blieb gelassen. »Ich glaube, das weißt du ganz genau, du hast immerhin alle Einzelheiten gerade gehört.« Thatch schnappte das Pad und hielt es ihm wie eine Anklage unter die Nase, während er aufgebracht schnaubte. »Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, Marco?! Einfach so da rauszugehen und den einsamen Rächer zu spielen… hältst du dich etwa für Bruce Wayne!? Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Medien auf so etwas«, er tippte bedeutungsschwer auf das noch laufende Video, »wie ausgehungerte Wölfe stürzten würden, verdammt, du hättest ernsthaft verletzt oder getötet werden können, ist dir das eigentlich klar?!« Thatch hielt jetzt inne und stierte einen der Vertriebsmitarbeiter böse an, der zufällig den Flur entlang kam und sich einen Kaffee kochen wollte. Doch bei Thatchs finsterem Blick zog er den Kopf zwischen die Schultern und eilte mit seinen Dokumenten im Arm lieber in das nächste Büro. Nachdem der Mann verschwunden war, erwiderte Marco lakonisch: »Ich kann schon auf mich aufpassen.« Aber das schien Thatch erst recht auf die Palme zu bringen. »Verflucht Marco«, Thatch schlug die Faust auf den Tisch, dann stützte er die Stirn überfordert in seine Hand, bevor er die losen Haarsträhnen aus seiner Stirn strich, »du bist jetzt CEO! Du hast eine Verantwortung und vor allem Sicherheitspersonal, das so etwas für dich erledigen sollte. Du bringst dich viel zu unbedacht in Gefahr! Du kannst nicht einfach Freizeitsoldat spielen, nur, weil dir vielleicht danach ist!« Marco erwiderte mit einem gedämpften Knurren: »Ich bin Soldat…« »Nicht mehr, Marco. Dieser Mensch bist du nicht mehr!«, hielt Thatch mit eisernem Blick dagegen. »Dieser Mensch werde ich immer sein! Es ist ein Teil von mir«, stellte Marco deutlich klar. Natürlich war er nicht stolz auf seine Vergangenheit, aber er würde sie nicht leugnen. »Und was denkst du, was Pops getan hätte, hm? Du glaubst doch nicht, dass Vater in seinem Sessel sitzen geblieben wäre und Däumchen gedreht hätte, während seine Firma und seine Leute angegriffen werden?!« »Pops hat aber auch nicht deine Vergangenheit!« »Aha… und was hat das eine jetzt mit dem anderen zu tun?!« »Vielleicht hast du ja Spaß daran, dich in Gefahr zu bringen!?« Marco hob eine Hand und unterbrach seinen Freund, bevor sie sich nur weiter im Kreis drehen würden. »Stopp…Worum geht es hier wirklich, Thatch?!« Thatch machte ein verbissenes Gesicht und schnaubte frustriert. Seine angespannten Schultern sackten herab und sein Ärger schien mit einem Mal zu weichen, bis nur noch eine tiefgreifende Besorgnis in seinem bohrenden Blick übrig blieb. Er legte Marco eine Hand auf den Unterarm, seine Stimme wurde eindringlich. »Ich weiß, welcher Weg hinter dir liegt, Marco… und ich«, Thatch fuhr sich erneut aufgewühlt durch die Haare, während er unüblicherweise nach Worten suchen musste, »ich will einfach nicht, dass es wieder so wird wie damals… dass du wieder so wirst, weil dich deine Vergangenheit einholt… ich möchte meinen Freund nicht verlieren, verstehst du?! Ich mache mir Sorgen um dich.« Thatch war sein langjähriger Vertrauter und einer der wenigen Menschen in Marcos Leben, die über seine Herkunft Bescheid wussten. Er war auch einer von Marcos ersten und wichtigsten Bezugspunkte gewesen, nachdem Whitebeard ihn gefunden und aufgenommen hatte. Thatch hatte Marco am Boden gesehen, hatte ihn erlebt, als er nach seiner Desertation nichts mehr als eine existierende Hülle gewesen war, teilnahmslos und verloren. Als es ihm egal gewesen war, ob er lebt oder stirbt, sich selbst nicht viel mehr wert als der Dreck an seinen Stiefeln... »Ich will einfach, dass du auf dich achtgibst, okay? Wir kennen uns jetzt so lange und du weißt, du bist längst wie ein Bruder für mich, Marco. Dein Verlust würde mich schmerzen, es würde uns alle schmerzen. Du hast jetzt viele Menschen, die auf dich zählen, denen du sehr wichtig bist und die für dich durchs Feuer gehen würden. Du bist jetzt nicht mehr allein, hörst du, du hast jetzt eine Familie, die dich braucht.« Marco lächelte leicht, denn die Sorge seines Freundes rührte ihn. »Hey…«, er drückte Thatchs Hand und schlug einen sanften Tonfall an, »das weiß ich doch und ich bin sehr dankbar dafür, glaub‘ mir. Ich verspreche dir, dass ich vorsichtig bin, aber bitte verlange nicht von mir, dass ich tatenlos zusehe, wenn Menschen in meiner Umgebung verletzt werden. Das kann ich nicht. Das werde ich nie können.« Thatch rollte mit den Augen. »Ja ja, ich weiß, ich weiß… du bist und bleibst einfach ein unverbesserlicher, gutmütiger Trottel«, seufzte er kopfschüttelnd. Marco schnalzte mit der Zunge und schmunzelte: »Redet man so etwa mit seinem CEO!?« Thatch schlug ihm sein Hand vor die Brust und funkelte ihn zurechtweisend an. »Die Boss-Karte brauchst du bei mir gar nicht ausspielen, mein Lieber… meine Aufgabe ist es, dir immer und überall die Wahrheit ungeschönt unter die Nase zu reiben.« »Und dafür bin ich auch dankbar... zumindest manchmal«, meinte Marco mit einem Zwinkern, dann richtete er seine Krawatte und sah auf die Uhr. »Ich muss jetzt los, wenn ich Stussy noch erwischen will.« Soweit Marco wusste, tingelte seine Ex noch immer abends und nachts durch diverse Bars und Clubs für ein paar Auftritte als Sängerin, immer mit dem Traum von der großen Karriere und dem Wunsch nach dem ganz großen Durchbruch im Hinterkopf. Doch der blieb seit Jahren aus. Daneben war sie zumindest schlau genug, sich von ihren sorgsam ausgewählten Partnern aushalten zu lassen. Früher hatte Marco ihr selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Arme gegriffen, wenn das Geld mal wieder knapp gewesen war. Damit sie ihren Traum weiter verfolgen und das Leben leben konnte, was sie sich wünschte, weil es ihm selbstverständlich vorgekommen war, dass man sich in einer Beziehung gegenseitig unterstützen sollte… doch inzwischen war ihm bewusst, dass er stets viel mehr in diese Beziehung investiert hatte als sie. Er hatte immer selbstlos gegeben, wo sie nur genommen hatte. »Moment mal…«, Thatch ergriff Marco am Arm, »Du willst sie doch wohl nicht allein aufsuchen? Die Frau hat immerhin versucht dich umzubringen!« Marco meinte beruhigend: »Das wissen wir nicht mit hundertprozentiger Sicherheit. Ich muss in Ruhe mit ihr reden und das gelingt wohl besser, wenn ich sie allein aufsuche, als wenn ich mit einem ganzen Schwadron Securitys bei ihr anrücke, hm?« »Du präsentierst dich diesen Leuten quasi auf dem Silbertablett?! Du gehst nicht allein!« »Thatch...« »Ich werde ihn begleiten.« Marco und Thatch wandten beide gleichzeitig die Köpfe, als die dunkle, ruhige Stimme ihre Diskussion unterbrach. Law stand unweit von ihnen im Flur und musterte die beiden Männer aus dem Schatten seiner Mütze, während er die Hände in seine Jackentaschen steckten. Im Gegensatz zu vorhin ragte der Griff seines Schwertes wieder über seine Schulter. Keiner von ihnen beiden hatte ihn kommen hören. Seine Fähigkeit, lautlos aufzutauchen, konnte bisweilen fast unheimlich sein. »Ich will auch Antworten, also werde ich mitgehen«, verkündete der junge Mann mit einem lapidaren Achselzucken, doch die Entschlossenheit in seiner Stimme ließ kaum Platz für Diskussionen. »Außerdem hat dein Freund recht, du solltest definitiv nicht allein gehen«, erklärte er an Marco gerichtet. Während Marco noch reichlich verwundert war, blickte Thatch nachdenklich zwischen ihm und Law hin und her, bevor er seinen hellen Anzug zurecht zupfte und mit unbekümmerter Ehrlichkeit zu Marco meinte: »Offenbar hat der junge Mann wesentlich mehr Verstand als du.« Er zwinkerte Law zu. »Nicht nur gutaussehend, offenbar auch noch etwas im Kopf… du gefällst mir immer besser, Trafalgar Law«, schnurrte der Marketingmanager, klemmte sich sein Pad unter den Arm und verabschiedete sich mit einem Winken. »Wir sehen uns später.« Law sah Thatch fast ein bisschen irritiert hinterher, als wüsste er mit dessen offensiver Art und Weise immer noch nicht recht umzugehen, während es Marco irgendwie wurmte, dass Thatch Law so ungeniert anflirtete. Dabei war es ja wahrlich nicht das erste Mal, dass Thatch keinen Hehl aus seinem Interesse einer Person gegenüber machte. Das tat der Marketingmanager eher selten und selten störte es Marco. Bei Law aber tat es das… auch wenn der junge Mann nicht den Eindruck erweckte, als würde er wirklich darauf eingehen wollen. Marco räusperte sich, schloss den letzten Knopf seiner Anzugjacke und ging auf Law zu, dessen Augen sich jetzt wie selbstverständlich auf ihn richteten, wie immer intensiv und unbeirrbar. Und Marco gefiel das. Es gefiel ihm, wie Law ihn ansah, immer auf diese gewisse Weise nachdenklich, interessiert und aufmerksam, als würde er Marcos Gesten oder Mimik sehr genau verfolgen, um mehr über ihn herausfinden zu können. Es gefiel ihm, dass Laws Miene in seiner Gegenwart weicher zu werden schien... als wäre da Vertrauen, das seinem tiefsitzenden Argwohn überwog. »Na dann, lass uns gehen«, Marco wies den Weg zum Fahrstuhl. Wenn er ehrlich war, begrüßte er es, dass der junge Mann ihn begleiten wollte. Nicht, dass er wirklich Angst gehabt hätte, aber mit Law an seiner Seite fühlte er sich seit der letzten Nacht doch irgendwie deutlich… wohler. »Ich wollte euch nicht belauschen.« Marco blinzelte aus dem Konzept gebracht und sah Law fragend an, der im Lift neben ihm lehnte, nachdem der sich in Richtung Tiefgarage in Bewegung gesetzt hatte. Er trug noch immer die gelb-schwarze Motorradjacke der Nacht, die auch einiges hatte einstecken müssen und vermutlich bei dem Sturz am Ellenbogen aufgerissen war. Marco hatte Laws Motorrad an seine hausinterne Werkstatt übergeben, um die Kusanagi schnellstmöglich zu reparieren. Law schob seine Mütze ein Stück höher und führte ungewöhnlich wortreich aus: »Dich und…«, er zog kurz nachsinnend die Brauen zusammen, »Thatch. Ich wollte euch nicht belauschen, ich bin durch Zufall dazugestoßen, wollte euch aber nicht unterbrechen. Ich dachte vorhin schon, dass du die Frau nicht allein aufsuchen solltest, aber ich wollte deine Entscheidung nicht vor allen in Frage stellen.« Marco schmunzelte leicht. »Schon gut, wir haben keine großen Firmengeheimnisse besprochen. Ich hab‘ nichts zu verbergen«…-vor dir. Marco gestand sich ein, dass er tatsächlich gern wesentlich mehr mit Law geteilt hätte. Über diese verdammte Senatsangelegenheit hinaus wollte er Zeit mit Law verbringen und ihn besser kennenlernen. Er hatte ihn wirklich gern in seiner Nähe. Law richtete den Blick geradeaus und zog die Schultern fast reumütig ein wenig hoch. Als er sprach, wirkte es fast, als wolle er für sich selbst gewisse Dinge klarstellen. »Dein Freund macht sich Sorgen um dich. Alle hier tun das. Als ich das erste Mal hierher kam, hätte ich nicht erwartet, so etwas vorzufinden...«, gestand er mit rauer Stimme, plötzlich ungewöhnlich transparent, als wäre seine harte Maske ein Stück weit verrutscht. »Was? Diese überbehütende Mutterglucke namens Thatch?!«, witzelte Marco und schob eine Hand in seine Hosentasche. Law sah ihn jetzt direkt an und erwiderte ruhig: »Nein. Eine Familie. Echten Zusammenhalt.« Fast unverständig zog er die Brauen zusammen und berührte beiläufig einen der Ringe in seinem rechten Ohr. »Sabo hat meine Schwester beschützt. Ohne wirklichen Grund hat er sich selbst in Gefahr begeben, um sie zu retten. Du hast mich in diesem Scornbau gerettet und mir geholfen, ohne je eine Gegenleistung zu erwarten. Ich hatte anfangs viele Vorbehalte und Vorurteile und ich habe Konzerne und die arrogante Oberschicht immer gehasst, aber… ich habe euch falsch eingeschätzt.« Laws Blick strahlte nun eine Intensität aus, die Marco restlos fesselte. »Ich habe dich falsch eingeschätzt und dir zu Anfang so einige ungerechtfertigte Worte an den Kopf geworfen. Dafür muss ich mich entschuldigen.« Marco schüttelte den Kopf. »Nein, das musst du nicht. Wirklich nicht. Ich nehm' dir das nicht übel. Ich bin sicher, du hattest allen Grund für deine Vorbehalte, Law.« Law sah zur Seite, als wäre ihm dieses Verständnis zu viel und zuckte leicht mit den Schultern. »Vielleicht… aber das entschuldigt gewiss nicht alles.« Marco hatte plötzlich den unbändigen Drang, Law berühren zu müssen und gab diesem zumindest soweit nach, dass er nach dem Arm des jungen Mannes griff, um dessen Fokus wieder auf sich zu lenken. Sanft sagte er: »Ich möchte trotzdem keine Entschuldigung von dir. Das ist nicht nötig. Ich weiß durchaus, dass es so einige Dinge gibt, die einen fürs Leben zeichnen können und das man gewisse Verhaltensweisen ganz schwer wieder loswird, sei es aus Selbstschutz oder Misstrauen heraus.« Er legte den Kopf ein wenig schräg, um Laws Augen unter der weißen Mütze einzufangen. »Stattdessen würde ich viel lieber wissen, warum du all diese Vorbehalte hattest und wenn du dich irgendwann bereit dafür fühlst, würde ich mich freuen, wenn du mir davon erzählen würdest…«, bot er mit einem vorsichtigen Lächeln an. Law hielt Marcos Blick und jeglicher Argwohn war aus seinen stahlgrauen Augen gewichen. Da war viel eher eine stumme Verbundenheit, Erstaunen vielleicht über Marcos ehrliches Interesse, aber keine Zweifel. Keine Kälte. Er sah auf Marcos Hand an seinem Arm, als würde er das Gefühl erkunden... und dann hoben sich Laws Mundwinkel zu einem fast unmerklichen Lächeln, das Marco fast in die Knie gezwungen hätte. »Das werde ich, Marco...«, versprach er und Marco bemerkte abermals, dass er es mochte, wenn Law seinen Namen mit dieser dunklen Stimme aussprach, dass es fast wie eine Liebkosung klang. Der Lift hielt mit einem sanften Ruck im Kellergeschoss der Tiefgarage und Marco musste sich regelrecht zwingen, seine Hand zurückzuziehen und dem jungen Mann damit seinen persönlichen Freiraum zurückzugeben. Er war viel zu fixiert auf Law und ihm dämmerte, dass es nicht nur rein edelmütige Motive waren, die ihn zu dem jungen Mann zogen, wovon er bisher so überzeugt gewesen war. Zusammen verließen sie den Lift und liefen hinüber zu Marcos Caliburn, der mit blinkenden Lichtern erwachte und die Türen entriegelte. »Du glaubst eigentlich nicht wirklich daran, dass deine Exfreundin schuld an diesem Mordanschlag ist, oder?«, fragte Law, bevor sie einstiegen. Marco hielt ebenfalls inne und stützte die Arme auf das Dach des Wagens, während er Law darüber hinweg ansah. »Nein«, gab er zu. »Ich meine, sie steckt in der ganzen Sache irgendwie mit drin, aber... nein, ich glaube nicht, dass sie mich wirklich umbringen wollte. Wir sind vielleicht nicht mehr die besten Freunde, aber definitiv keine Feinde und von meinem Tod hätte sie objektiv betrachtet recht wenig.« »Ganz anders als dein Bruder«, urteilte Law spitzfindig. »Hm«, Marco rieb sich angestrengt über den Nacken und nickte. »Weevil hasst mich, er denkt, ich hätte ihm sein Leben und sein Erbe weggenommen. Er hätte zumindest ein Motiv, diesem Zirkel zu helfen.« Law schrägte den Kopf leicht, seine hellen Augen ergründend und aufmerksam. »Und trotzdem hoffst du, dass du falsch liegst...«, erkannte er schnell. Marco sah überrascht auf, denn Law konnte erschreckend gut in ihm lesen. Er nickte. »Aber nicht um meinetwillen, denn meine Antipathie gegen diesen Idioten lasse ich hier einmal außen vor. Es geht mir um meinen Vater. Weevil raubt ihm eh schon den letzten Nerv, wenn er jetzt auch noch knietief in so einer Scheiße stecken würde...«, Marco ballte die Fäuste auf dem Autodach und biss die Zähne zusammen, »... das würde Pops das Herz brechen. Trotz all dem Mist, den Weevil in seinem Leben so verzapft hat, weiß ich, dass mein Vater trotzdem immer noch darauf hofft, dass Weevil sich ändern könnte. Er würde es nie zugeben, aber es ist so... immerhin ist er sein Sohn.« »Das bist du auch«, erwiderte Law mit einer bemerkenswerten Ruhe. »Du bist nicht für Weevil und sein Handeln verantwortlich und Schuld hast du schon gar nicht daran. Er ist längst alt genug, um seine eigenen, dummen Entscheidungen zu treffen.« Die trockenen Worte entlockten Marco ein amüsiertes Schnauben. »Wohl wahr...« Laws unaufgeregte, sachliche Art war angenehm und erdete Marco. Er holte tief Luft, um dann zu nicken, bevor er die Autotür aufzog. »Dann wollen wir mal versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)