Warsong von Ceydrael ================================================================================ Kapitel 9: Spider ----------------- 10.12.2069, 23.11 Uhr, Tokio Die unruhige Gestalt wartete im Regen unter dem Vordach einer edlen Schmuckboutique in Ginza, wippte auf den Fußballen auf und ab, abermals auf die große, digitale Uhrzeitanzeige auf der gegenüberliegenden Straßenseite blickend, bis endlich die Scheinwerfer einer Limousine mit getönten Scheiben am Ende der Straße auftauchten. Der Wagen blieb langsam vor dem Mann stehen, der öffnete die Tür und glitt in das düstere Innere der Limousine, bevor sich jene wieder gemächlich in Bewegung setzte. Zwei Gestalten saßen ihm gegenüber. Die eine war ein großer, schlanker Mann, der ein spinnenartiges Lächeln auf den violetten Lippen trug und die langen Beine gerade so auffällig überschlug, damit das Scharfschützengewehr neben ihm sichtbar wurde. Die andere Gestalt war in einen Kapuzenmantel gehüllt, das Gesicht völlig im Schatten verborgen. Als sie den Kopf ein wenig hob, wurde eine starre, weiße Maske sichtbar. Die dunklen Augenschlitze schienen sich wie Öl im Zwielicht zu bewegen. »Neuigkeiten?« Die Stimme unter der Maske war alt und jung zugleich, männlich und weiblich. Zeitlos. »Die letzten Bruchstücke sind ebenfalls in Japan…« »Dann werde ich euch Unterstützung schicken. Wir sollten jetzt auf den letzten Metern nicht mehr schlampig werden.« Der Mann fröstelte… und das lag nicht an der Kälte, denn die Lüftung des Wagens war auf eine angenehme Temperatur eingestellt. Unterstützung konnte nur eines bedeuten - Beistand aus dem persönlichen Todesschwadron des Zirkels. Ihr Führer schien langsam ungeduldig zu werden. Er selbst war auch kein unbeschriebenes Blatt, aber er hatte gesehen, was allein der Phobiokinet bei Yamamoto Ashitaka angerichtet hatte... und das war nur einer der Vier gewesen. »Erwartet Ihr Komplikationen?« »Komplikationen?! Nach dem Desaster im Krankenhaus… durchaus«, der Fokus der Maske richtete sich auf den Scharfschützen, der die Augen rollte und mit einem knappen Lächeln die Schultern unbeteiligt hochzog. »Hat sich Nico Robin schon gezeigt? Sie besitzt immerhin etwas von großem Wert für mich...« »Bisher nicht...« »Schade, dabei fallen ihre kleinen, treuen Soldaten wie die Fliegen...«, die maskierte Gestalt drehte den Kopf leicht, als würde sie nachsinnend aus dem Fenster blicken. »Nun, sie wird sicher noch aus der Deckung kriechen, spätestens wenn alle Bruchstücke beisammen sind. Ihre Blutlinie wird sie dazu zwingen.« »Ich muss um Verzeihung bitten…«, der regennasse Mann strich sich unruhig durch das Haar, als ihn die unheimliche Maske wieder abwartend fixierte. Niemand wusste, welches Gesicht sich dahinter verbarg und an der Spitze ihrer Organisation stand. »Wir haben mit Weevil Newgate auf das falsche Pferd gesetzt, er ist wertlos, dabei wäre die Newgate Corp. der perfekte Ausgangspunkt gewesen…« »Tja, das ist wohl wahr…« »Marco Phoenix entwickelt sich zu einer unerwarteten Komplikation.« »Hm, in der Tat. Er ist eine ungeplante Komponente, die so nicht vorgesehen war. Und er ist außergewöhnlich standhaft. Der gewiefte Edward Newgate ist doch immer wieder für eine Überraschung gut«, schnurrte die verzerrte Stimme unter der Maske und man konnte meinen, einen Anflug von Amüsement herauszuhören. »Das Bruchstück und das Mädchen befinden sich vermutlich im Newgate-Tower… und der ist inzwischen eine Sicherheitsfestung.« »Ja, das ist wirklich bedauerlich und lästig…«, seufzte die maskierte Gestalt gedehnt. »Aber um dieses Problem wird sich bereits… gekümmert«, meinte die hohle Stimme mit grausiger Belustigung. »Das sollte bald kein Problem mehr sein.« »Was ist mit dem Senat…?« »Wir werfen dem Köter ein paar Brocken hin, damit er noch eine Weile in Osaka beschäftigt ist. Der Senat... ist kein Hindernis. Sie werden nichts merken, bis es zu spät ist.« Die Limousine rollte langsam an einem heruntergekommenem Cyberware-Shop vorbei und hielt an der nächsten Häuserecke. Die maskierte Gestalt lüftete ein Stück des dunklen Umhanges und enthüllte eine Hand mit dem schweren, silbernen Ring in Form einer Sanduhr. Ein lapidarer Wink entließ den Fahrgast. »Du kannst gehen.« Der Mann verneigte sich, bevor er sich beeilte, die Limousine rasch zu verlassen, ohne das es jedoch nach einer Flucht anmuten würde. Er sah dem davonfahrenden Wagen hinterher, dann verschwand er mit einem erleichterten Seufzen in den Schatten der nächsten Gasse. 11.12.2069, 14.28 Uhr, Tokio Marco hielt mit dem Caliburn vor einer hellpinken Cupcake-Filiale in Harajuku und ließ den Motor mit einem kraftvollen Schnurren verstummen. An dem Wagen lief eine Gruppe halbwüchsiger Mädchen in bunten, auffälligen Cosplay-Kostümen vorbei, die einen neugierigen Blick durch die Windschutzscheibe warfen und dann mit roten Wangen und verschämt kichernd weiterliefen. Law sah ihnen mit ausdrucksloser Miene im Seitenspiegel hinterher, dann löste er den Sicherheitsgurt und ignorierte die vielen anderen Augenpaare geflissentlich, die das auffällige und augenscheinlich teure Auto interessiert musterten. Hinter der gläsernen Front des Backwarenladens saßen unzählige junge Leute bei Kaffee und Kuchen beisammen. Offenbar fand in der Nähe gerade ein Szenetreffen statt. »Sicher, dass wir hier richtig sind…?«, fragte Marco mit zweifelhaft gehobener Augenbraue. Der Konzerner hatte sich über das Lenkrad gelehnt und sah recht skeptisch durch die Windschutzscheibe an dem auffälligen Gebäude hinauf, an dessen Fassade sich ein überdimensionierter Cupcake mit riesigen, übertrieben fröhlichen Augen und aufgerissenem Mund drehte. Das Maskottchen trällerte eine zuckersüße Melodie und der Geruch von karamelisiertem Zucker flutete jetzt langsam, aber penetrant das Wageninnere. »Magst du etwa keinen Kuchen…?«, stellte Law die Gegenfrage, als er Marcos Blick amüsiert folgte. Big Mom's Kreationen waren wahrlich eine Klasse für sich, aber die meisten jungen Leute standen auf die zuckersüßen Schöpfungen aus der amerikanischen Konditorenkette. Lamy war auch verrückt nach dem Zeug, was er so gar nicht nachvollziehen konnte. Zur Sicherheit glich Law noch einmal die Adresse, die er von Kuleha bekommen hatte, mit ihrem aktuellen Standort ab. Ja, sie waren definitiv richtig, kein Zweifel. Marco grinste ihn leicht von der Seite her an, die Handgelenke lässig auf dem Lenkrad überkreuzt. In seinen blauen Augen tanzte Belustigung. »Klar mag ich Kuchen, ich hab' noch nie jemanden getroffen, der keinen...-«, er unterbrach sich selbst, als Law ihn mit gehobener Braue anblickte und seufzte mit schiefem Lächeln. »Warum nur überrascht mich das jetzt nicht!? Hast du überhaupt irgendwelche Laster? Schwächen? Bist du überhaupt ein Mensch?« Law hielt seine zuckenden Mundwinkel im Zaum und öffnete die Autotür, um auszusteigen. Dann lehnte er sich aber nochmal in das Wageninnere und meinte todernst: »Ich hasse Brot.« »Solange du keine Alpträume davon bekommst, zählt das wohl kaum als Schwäche!«, rief Marco ihm hinterher. Law drückte die Autotür mit einem Schmunzeln zu und analysierte die Umgebung dann mit raschen Blicken. Er musste sich inzwischen eingestehen, dass er sich in der Nähe des Konzerners... tatsächlich wohl fühlte und es war einfach und angenehm, sich mit Marco zu unterhalten und dabei die Zeit, seine eigenen Sorgen und Pläne und Ziele zu vergessen. Einerseits machte ihm das Angst, aber andererseits... war es irgendwie befreiend. Sie hatten gestern Abend noch eine ganze Weile beisammen gesessen und Marco hatte Law noch das Ende seiner Geschichte erzählt, wie er sich in einer Straßenbande durchgeschlagen hatte und dann schlussendlich auf Edward Newgate getroffen war, der sich seiner angenommen hatte. Bisher war Law mit Vorurteilen behaftet davon ausgegangen, dass Marco in seiner Stellung und Position ein leichtes, privilegiertes Leben erfahren haben müsste, doch dem war ganz und gar nicht so. Wo Lamy und er zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt von einer glücklichen, unbeschwerten Kindheit mit liebenden Eltern hatten zehren können, hatte Marco solche Geborgenheit nie erfahren. Trotzdem hatte er sich unter Whitebeards Führung zu einem ehrbaren und respektablen Mann entwickelt. Er war für Law wie der lebende Beweis, dass vergangene Taten nicht zwangsläufig dazu führen mussten, dass man ein schlechter Mensch wurde... und das war irgendwie tröstlich. Woher Marco allerdings die untrügliche Sicherheit - das Vertrauen in Law - nahm, dass der dieses heikle Wissen über seine Vergangenheit nicht gegen ihn benutzen würde, konnte er sich jedoch beim besten Willen nicht erklären. Es bedurfte nur der richtigen Worte an richtiger Stelle und Marcos Karriere, sein ganzes Leben wäre vermutlich hinüber… und es gab wahrlich Zeiten, da hätte Law gar nicht lange überlegt, um solch brisante Infos für sich selbst zu nutzen. Aber jetzt… verschwendete er ehrlich gesagt nicht einen Gedanken daran. Marco hatte ihm das Leben gerettet, er heilte sein Schwester, öffnete ihm Tür und Tor zu seinem Heim. Er war ein anständiger Mensch. So mancher mochte Law - sicherlich zurecht - für einen eiskalten Bastard halten, doch er hatte durchaus noch Gefühle... und ein Gewissen. Außerhalb des Autos war der Geruch nach Zucker und künstlichen Aromen noch stärker, beinahe unangenehm intensiv… genau wie die vielen, großen Augen in den grell geschminkten Gesichtern der Mädchen und Jungs in dem Café, die die beiden Männer schüchtern, aber mit jugendlicher Schwärmerei beäugten, als wären sie irgendwelche Popstars. Als die ersten ihre SmartComs für Fotos zückten, drehte Law sich zu Marco um, der nun ebenfalls aus dem Auto stieg. Dabei waren sie nicht einmal auffällig gekleidet - Law trug einen dunklen, hochgeschlossenen Pullover mit Federkragen, eine schwarze Jacke und seine Lieblingsjeans, Marco hatte sich heute ebenfalls für einen schwarzen Rollkragenpullover und eine dunkle, legere Hose entschieden. Darüber hatte er einen dunkelgrauen Stoffmantel gezogen. Doch natürlich fiel der Konzerner allein durch seine Größe, seine Statur und selbstbewusste Gangart auf. Marco schob die Hände in die Taschen seines Mantels und kam um das Auto herum zu Law gelaufen, während sich der Caliburn mit blinkenden Lichtern verriegelte. Seine kybernetischen Brillengläser tönten sich eigenständig und passten sich der erhöhten UV-Strahlung an. Obwohl es heute überraschend sonnig war und für Dezember angenehme Temperaturen herrschten, musste man jederzeit mit einem typischen Wetterumschwung rechnen. Der Wind war trotzdem frisch und Law zog die Schultern reflexartig hoch, als eine Böe durch die Federn seines Kragens strich. »Und wo finden wir diesen berühmt-berüchtigten Cyberkineten jetzt? Er wird wohl kaum im Café sitzen und Kuchen essen… oder!?«, fragte Marco mit wenig enthusiastischem Gesichtsausdruck. Die Aussicht, sich durch die vielen quirligen Gäste quetschen zu müssen, schien bei ihm auf nicht sonderlich viel Begeisterung zu stoßen. Damit waren sie schon zwei. »Bei ihm weiß man eigentlich nie...« Law schmunzelte leicht. »Ich hab' schon eine Ahnung, wo er wahrscheinlich ist«, meinte er und wies mit einem Nicken die Richtung an dem Café vorbei, wo er eine Reihe Lieferwagen und LKWs der Backwarenkette ausgemacht hatte, die auf einem Parkplatz etwas hinter dem Gebäude standen. Einer der Trucks stach besonders hervor durch die auffällige Reklame des Anhängers - er war genauso pink wie das Café und mit heiteren Chibi-Figuren verziert, die sich aufgereiht über die ganze Seite zogen und Cupcakes in allen Regenbogenfarben aßen. Law lief mit energischen Schritten um den LKW herum und entdeckte eine kleine Kamera am Heck, die sich jetzt surrend auf die Besucher fokussierte. Marco stand hinter Law und musterte den LKW interessiert. »Also deshalb ändert er immer seinen Standort und ist so schwer zu finden...« Im gleichen Augenblick änderte sich die Projektion des Anhängers. Die Pixeloberfläche wechselte einer Welle gleich und zeigte nun einen traumhaften Sandstrand und die Werbung einer Reisefirma. »Clever«, murmelte der Konzerner anerkennend. Die rechte, große Hecktür öffnete sich mit einem Zischen und ein Schwall aus warmer, metallischer Luft strömte ihnen aus dem Inneren des Anhängers entgegen. Eine Rampe entfaltete sich scheppernd und rollte heraus, während die Tür gänzlich aufschwang und tiefschwarze Finsternis enthüllte. Doch Law betrat den Anhänger ohne zu zögern, also folgte Marco ihm. Die Tür fiel hinter ihnen krachend wieder zu und sie waren einen Augenblick von erdrückender Dunkelheit umgeben. Marcos Hand strich in der Dunkelheit unbeabsichtigt an Laws Fingern vorbei, bevor sich nach und nach kleine, bunte LED-Lichter einschalteten, welche die Finsternis zwar nur sporadisch, jedoch zumindest soweit erhellten, dass Marco die vielen Server erkennen konnte, die sie umgaben. Sie befanden sich offensichtlich inmitten einer mobilen Server-Farm, was auch die wärmere Temperatur hier drin erklärte. Eine Vielzahl aus Drähten, Kabeln und Steckverbindungen schlängelte sich über den Boden des Anhängers, zwischen den Servern hindurch bis zur Decke, die nicht zu sehen war. Law schob sich durch dieses technische Dickicht in den vorderen Teil des Anhängers und Marco musste hier und da aufpassen, sich nicht den Kopf anzuschlagen oder an einem der Kabel hängen zu bleiben, die wie künstliche Schlingpflanzen überall herunter hingen. Der Frontbereich des Anhängers öffnete sich mehr oder minder zu einer Art Arbeitsplatz mit einem Saustall von Schreibtisch, auf dem alte Fastfood-Verpackungen und leere Colaflaschen herumlagen, einem Dutzend, großen Monitoren und einem zerwühlten Lakenhaufen am Rande, der wohl einen Schlafplatz darstellte. Alle Kabel und Drähte schienen hierher zu führen und an diesem Punkt ihren Ursprung… oder ihr Endziel zu erreichen. Doch von dem Cyberkineten war nichts zu sehen. Ihre eigenen, leicht verzerrten Zwillinge starrten Law und Marco von einem der dunklen Monitore farblos entgegen. »Wir haben einen Termin... und nicht ewig Zeit«, murrte Law unwillig, während seine Augen die Schatten und dunklen Ecken umher forschend fixierten. Er hatte wenig Lust auf Versteckspiele, außerdem behagte es ihm in dem schummrigen, stickigen Anhänger nicht wirklich und er wäre froh, hier möglichst schnell wieder herauszukommen. Marco blickte sich ebenfalls suchend um, seine Augen scannten die Umgebung und blieben an einem eigenartigen Gebilde hängen, das im entfernten an ein kopfüber hängendes Gesicht erinnerte… nur völlig künstlich, mit kybernetischen Muskelsträngen, metallischen Knochen- und Kieferverstärkungen und synthetischen Augenlidern. Er lehnte sich vor und studierte das seltsame Ding mit morbidem Interesse… als es die schnurrenden Lider aufschlug und Marco aus blau blinkenden, sich drehenden Augenhöhlen anstarrte. »Heilige… was zum-« Marco zuckte zurück, als der Kopf ruckartig im Dunkel des Anhängers verschwand und ein mechanisches Surren und Rattern anschwoll, als würde eine gigantische Maschinerie zum Leben erwachen. Vor ihren Augen bewegte sich jetzt ein Heer aus Kabeln, Gewinden und mechanischen Armen zu einer metallischen Symphonie, die mit schnatternden Rädchen und sirrenden Bohrern aus einem weitestgehend menschlichen Torso eine massive Gestalt mit vielen kybernetischen und synthetischen Einzelteilen zusammenfügten. Den Abschluss machte der künstliche Schädel, auf den mit Haut überspannte Platten aufgesetzt wurden und am Ende so tatsächlich ein völlig menschliches Gesicht bildeten, das vielleicht ein bisschen zu kantig war mit einem kräftigen, dreigeteilten Kinn, einer metallisch schimmernden Nase und elektronisch leuchtenden Iriden, die unter den verirrten Strähnen blauen Haares hervorlugten, die aus der hochgestellten Frisur des stämmigen Kerls gefallen waren. Marco konnte nicht verhindern, dass er den Cyberkinten anstarrte - einerseits, weil er noch nie jemanden gesehen hatte, der so allumfassend kybernetisch verändert war, dass er kaum mehr menschlich schien und anderseits… weil der Mann nichts weiter als eine läppische, ungehörig knappe Badehose trug. Da half es auch nichts, dass er kurzerhand nach einem bunten Hawaiihemd langte und sich dieses überwarf, wodurch die Kabel überdeckt wurden, die aus Anschlüssen an seinem Hinterkopf und seinem Rückgrat ragten und vermutlich eine kontinuierliche Verbindung zu einem Netzwerk herstellten. »Man, das ist mir ja suuuuper unangenehm… ihr erwischt mich gänzlich unvorbereitet!«, meinte er mit einer Stimme wie Schmirgelpapier. Der Kerl stakste etwas umständlich zu seinem Schreibtisch hinüber - als müssten seine Gelenke erst warmlaufen - und schob das ganze Wirrwarr darauf mit einem kräftigen Unterarm einfach beiseite. »Stört euch nicht an dem Chaos.« Dann griff er unter den Tisch nach einem Kühlschrank, der bisher gar nicht aufgefallen war und angelte drei dunkle Flaschen heraus. »Cola?!«, bot er großmütig an. Marco und Law schüttelten gleichzeitig den Kopf. Spider zuckte mit den Achseln, öffnete eine Flasche und kippte diese in nur einem Zug hinunter. Law ergriff kurzerhand das Wort: »Spider, das ist Marco... Marco, das ist...-« »Kannst mich Franky nennen.« Schon schraubte er die nächste Flasche Cola auf, während er Marco mit seinen hypnotisch rotierenden Augen musterte. »Weißt du, dass der amerikanische Geheimdienst jahrelang erfolglos nach dir gesucht hat…?«, fragte er geschäftig und zeitgleich erschien auf fast der Hälfte der Monitore Marcos Gesicht auf einigen Fahndungsfotos - jünger, noch nicht ganz so maskulin, stattdessen mit einer unpassenden Härte und Gnadenlosigkeit in den jugendlichen, blauen Augen. »Marco Johnson, geboren am 05.10.2029 in Wisconsin. Rang B Mentokinet mit potentiell steigerbaren Fähigkeiten...«, Franky zog interessiert eine Braue hoch und auch Law drehte den Kopf, um Marco verwundert anzusehen. Der wirkte inzwischen wie erstarrt, das Gesicht eine harte Maske. »2045 plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Inzwischen hat man dich unter der Kategorie „vermutlich tot“ abgelegt. Edward Newgate hat ziemlichen Aufwand betrieben, um deine Spuren zu verwischen, denn solche wie dich aus den Zuchtprogrammen lassen die sonst eher selten von der Angel…«, sinnierte der Cyberkinet hochgradig fasziniert. Er griff blind in eine alte Pizzaschachtel und biss ungerührt in das übriggebliebene, inzwischen halb vertrocknete Stück Teigware. »Dein biologischer Vater hat so ziemlich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dich zu finden, immerhin hat das Projekt so einige Unsummen verschlungen...«, murmelte er kauend. Marcos großgewachsene Gestalt hatte sich versteift, als hätte jemand eine Waffe auf sein Genick gerichtet. Law konnte seinen mahlenden Kiefer sehen, den hart schluckenden Kehlkopf und ahnte, dass der Konzerner auf eine Reise in die Vergangenheit kaum vorbereitet gewesen war, vor allem wohl nicht nach gestern Abend. Marco hatte das Ganze bewusst hinter sich gelassen und auch wenn er ziemlich mit sich im Reinen wirken mochte... es gab genügend unangenehme Erinnerungen für ihn und die wollte er sicher nicht unbedingt mit einem völlig Fremden teilen müssen. Spider hatte sich leider noch nie durch besonders viel Feingefühl ausgezeichnet - er lebte für Datenströme und Informationen, das Cyberspace war seine Welt und zwischenmenschliche Interaktionen ihm offenbar ziemlich fremd. Wahrscheinlich fühlte er sich einer Maschine oft näher als einem Menschen, die für ihn scheinbar nicht mehr waren als ein zu dechiffrierender Binärcode. Daher schob sich Law demonstrativ vor den Konzerner und lenkte die Aufmerksamkeit des Cyberkineten somit von Marco auf sich selbst. »Wir brauchen keine Geschichtsstunde, sondern Informationen. Dafür sind wir hier, nicht für dein belangloses Geplapper. Also fang' endlich an zu arbeiten«, forderte er mit eisiger Stimme. Franky blinzelte überfordert, als müsste er sich fokussieren und seine Prioritäten erst neu ordnen. Er musterte Law analysierend von oben bis unten - wobei er mit den Augen etwas länger an dem Griff der Klinge hängen blieb, die über dessen Rücken ragte - als würde er das Gefahrenpotential des jungen Mannes berechnen. Dann verschwanden die Fahndungsfotos überraschend schnell und er warf das halb aufgegessene Pizzastück in die Schachtel zurück. »Was wollt ihr wissen?«, fragte er plötzlich sehr entgegenkommend. Law warf dem Cyberkineten noch einen letzten, warnenden Blick zu, dann trat er einen Schritt beiseite und nickte Marco auffordernd zu, der in die Innentasche seines Mantels griff und das kleine Stück Metall hervorzog, das in Lamys Besitz gefunden wurde und vielleicht von Wert für den vermeintlichen „Fear-Mörder“ war. »Wir müssen herausfinden, was das ist«, erklärte Marco. Er reichte Franky das metallische Bruchstück, der es sofort mit kreiselnder, fokussierender Iris scannte und dann scheinbar wahllos in das Pulk herabhängender Datenkabel griff, um eines zu schnappen und in eine Buchse seines Nackens einzustöpseln. Daraufhin schloss er die Augen, doch seine synthetischen Lider flatterten aufgeregt, als würde er innerhalb kürzester Zeit eine Unmenge an Datenzeilen überfliegen und verarbeiten. Frankys Gesicht verzog sich irritiert, er runzelte die Stirn und legte den Kopf auf die Seite, als würde er einer lautlosen Stimme lauschen. Ein unzufriedener Ausdruck zog seine Mundwinkel nach unten. »Hmmm, super verrückt...« Marco und Law tauschten einen fragenden Blick, während Spider blind nach einem anderen Datenkabel angelte und dieses in eine weitere Buchse an seinem Handgelenk steckte. Die Datensuche dauerte für Laws Geschmack ungewöhnlich lange, denn normalerweise konnte der Cyberkinet in Sekundenschnelle Ergebnisse liefern. Entweder gab es zu viele Treffer... oder aber es gab gar nichts. Jetzt wirkte der blauhaarige Kerl fast schon verärgert, als er die Augen aufriss, sich auf den klapprigen PC-Stuhl vor dem Schreibtisch fallen ließ und neben seiner mentalen Recherche manisch auf die pulsierend leuchtende Tastatur einhakte. Er brummelte irgendetwas vor sich hin, was aber weder Law noch Marco durch die hochfahrenden Server so richtig verstehen konnten. Law verschränkte die Arme ungeduldig vor der Brust. »Stimmt irgendwas nicht...?«, hakte er mit gehobener Stimme kritisch nach, während sein tätowierter Zeigefinger auf dem Stoff seiner Jacke trommelte. Er hatte Marco Ergebnisse versprochen und sie beide immerhin genug für dieses Treffen hier tun müssen, da sollte Spider die nötigen Infos für den Konzerner auch besser besorgen können... Der Cyberkinet hielt darin inne, seine Tastatur zu vergewaltigen und drehte sich in seinem Stuhl zu ihnen um, während er die Steckverbindungen trennte und mit einem abwesenden Ausdruck in den mechanischen Augen vor sich hin starrte. Dann schien er sich aber zu besinnen, dass er Gäste hatte, die ihn abwartend ansahen und nahm das metallische Bruchstück vom Tisch, um es Marco zurückzugeben. »Also... ich kann euch nicht sagen, was das ist.« »Wie bitte?!«, grollte Law düster. Sollte das heißen, dieser ganze Aufwand war völlig für umsonst gewesen. Das durfte doch nicht wahr sein! »Irgendetwas musst du doch herausgefunden haben«, bohrte Law ungläubig nach. »Du hast Zugriff auf so ziemlich jedes Netzwerk der Welt... und du hast nichts entdeckt?!« »Leider nein«, zuckte Franky entschuldigend mit der Schulter und nahm sich eine neue Flasche Cola, während Law sich massierend mit dem Zeigefinger über eine Braue strich und die Zähne frustriert zusammenbiss. Laws Handeln war schon immer von klarer Effizienz bestimmt und nichts ging ihm mehr gegen den Strich, als wenn sich sich bestimmte Taten und Vorgehensweisen hinterher als sinnfrei erwiesen - vergeudete Lebenszeit war ein Luxus, den er sich einfach nicht leisten konnte. »Ich bin selbst verwundert, das könnt ihr mir glauben«, beteuerte Franky. »Wenn es etwas gäbe, dann hätte ich es auch gefunden«, behauptete er felsenfest, als fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt. Law stieß die Luft in einem abschätzigen Zischen aus und blickte schmallippig zu Marco hinüber. Er hätte dem Konzerner so gern geholfen, um zumindest einen Teil seiner Freundlichkeit zu vergelten. Das war schrecklich frustrierend. Marco starrte desillusioniert auf das Metallstück in seiner Hand und schloss die Finger darum, bevor er es wieder in seine Manteltasche gleiten ließ. »Also eine Sackgasse... tja, schade. Damit stehen wir quasi wieder am Anfang«, fuhr er sich mit den Fingern enttäuscht durch die Haare. »Naja, einen Versuch war es immerhin wert«, meinte er mit einem beschwichtigenden Lächeln zu Law, der die Sache jedoch nicht ganz so locker sehen wollte. »Halt halt...«, unterbrach Spider und wedelte hektisch mit den klappernden Händen, vielleicht doch ein wenig eingeschüchtert durch Laws Mörderblick, der aussah, als überlege er ernsthaft, den Cyberkineten gleich wieder in seine mechanischen Einzelteile zu zerlegen. »Eine völlige Sackgasse ist es nicht!« Hellhörig hob Marco den Blick. »Und das heißt...?« »Ich kann euch vielleicht nicht sagen, was das ist... aber ich kann euch sagen, dass es davon noch zwei weitere Teile hier in Japan gibt«, erklärte Franky hastig. Er leerte seine halbe Cola, dann drehte er seinen quietschenden Stuhl wieder zur Tastatur und drückte ein paar Tasten, wodurch auf dem mittleren und größten der Monitore ein Foto aufgeblendet wurde. Auf dem Selfie sah man ein junges Mädchen an einem Strand, das vielleicht um die zwölf Jahre alt war und in ihrem orangen Sommerkleidchen kokett in die Kamera grinste. Neben dem Kind mit den frechen Zöpfen und den großen, strahlenden Augen schob ein Junge seinen braunhaarigen Schopf mit herausgestreckter Zunge ins Bild, der ein paar Jahre älter als das Mädchen schien. Und hinter den beiden saß ein älterer Mann mit einem Sonnenhut, kurzen Hosen und Sandalen in einem Liegestuhl und schlief in der Sonne. Die Kinder hatten ihm mit Sonnencreme einen breit lachenden Smiley auf den bereits rotgebrannten Bauch gemalt. Doch viel interessanter war, dass der alte Mann eine Kette um den Hals trug mit einem Anhänger, der im Schatten des Sonnenhutes fast unterging... doch Marco erkannte das Bruchstück fast sofort, das dem in seiner Manteltasche auf unheimliche Weise glich. Das Foto war auf Blopp! online, einer SocialMedia - Plattform hauptsächlich von und für Kinder. Vermutlich wusste der alte Mann - bei dem es sich laut den Kommentaren unter dem Bild um den Großvater der beiden Kinder handelte - nicht einmal, welch brisante Information seine Enkelin da ins Netz gestellt hatte. »Sonst gibt es keine weiteren Fotos von diesem Kerl, war wohl ein echter Zufall«, erklärte Franky. »Scheint ziemlich zurückgezogen zu leben und darauf zu achten, nicht im Netz aufzutauchen. Keine soziale Medien Präsenz. Keine unnötigen Onlinekonten. Er verdient seine Brötchen altmodisch als Antiquitätenhändler mit einem Geschäft vor Ort. Ich kann euch die Adresse geben, wenn euch das etwas hilft?«, fragte er an Marco gewandt. »Das wäre hilfreich, ja.« Der Konzerner nickte sofort, immerhin wäre es zumindest ein Anhaltspunkt, dem er weiter nachgehen konnte. Prompt erschien das Satellitenbild eines Kartenabschnittes auf einem anderen Monitore und zoomte auf eine Markierung. Marco streckte Spider sein Handgelenk entgegen, damit der ihm die Wohnanschrift auch an seine Kontaktdaten schicken konnte. Schon Sekunden später trudelte die Information auf dem HUD seiner Brillengläsern ein. Die Adresse befand sich in Toyohashi, einer der letzten größeren Städte südlich von Tokio, die im Dunstkreis der Megacity überlebt hatte. »Und wo ist das zweite Teil?«, verlangte Law zu wissen, der sich neben Marco nun mit beiden Händen auf dem Schreibtisch des Cyberkineten abstützte. Dabei war er Marco so nah gekommen, dass der fast nur die Hand ausstrecken müsste, um eine der dunklen Federn am Kragen des jungen Mannes zu berühren. Laws graue Augen waren aufmerksam auf die Monitore fixiert und Marco wurde in dem Augenblick unangenehm bewusst, dass sie nach heute eigentlich keinen wirklichen Grund mehr hatten, um zusammenzuarbeiten. Law hatte schließlich nur zugesagt, dieses Treffen hier zu organisieren... und das hatte er getan. »Ja, das zweite Teil... ist wohl ein wenig komplizierter...«, murmelte Franky gedehnt. Der Monitor wurde schwarz, dann schob sich ein schneidiger, golden glänzender Schriftzug ins Bild, bevor ein bassgeladenes Musikvideo startete. Law blinzelte verwirrt und Marco hob beide Brauen verwundert, als er die ersten, eingespielten Töne erkannte, noch bevor der blonde, trainierte Sänger oberkörperfrei und mit Ohrläppchen bis zu den Brustwarzen in einem Kreis knisternder Energie die ersten Textzeilen anstimmte - immerhin hatte ihm Thatch lang und breit mit dieser außergewöhnlichen Band in den Ohren gelegen, von der der Marketingmanager förmlich besessen war und die demnächst in Tokio ein paar rare Auftritte spielen würden. Die Gigs waren schon längst ausverkauft. »Enel and The Scratchmen...?!« Frankys Hände tanzten zu dem hypnotischen Song über die Tastatur, dann tauchte ein recht unscharfes, verpixeltes Bild von Enel in einer Bar auf. Der Kerl ließ es ordentlich krachen und schob einer halbnackten Stripperin mit kybernetischen, goldenen Beinen ein dickes Bündel Geldscheine in den glitzernden Slip. Seine Jacke klaffte auf und an einer schweren Goldkette um seinen Hals... »Das gibt's doch nicht...«, wisperte Marco ungläubig. Das Ding in seiner Manteltasche schien mit einem Mal eine gewichtige Schwere zu erhalten. Was hatte es nur mit diesen Bruchstücken auf sich? Inzwischen war er fast überzeugt, dass jedes Opfer des „Fear-Killers“ eins davon besessen haben musste... »Ist das einzige Foto von ihm damit«, erklärte der Cyberkinet mit wedelnden Fingern. »Wurde auch ganz schnell wieder aus dem Netz gelöscht, aber... vor mir kann man nichts verstecken«, hob er in einer selbstzufriedenen Geste seine Flasche und prostete sich selbst zu. »Danke, das war zwar nicht das, was ich erwartet hatte, aber doch hilfreich«, Marco tauschte einen Blick mit Law und der nickte, bevor er sich von dem Schreibtisch löste und sie sich von dem Cyberkineten verabschiedeten. Beide waren sie wohl froh, den stickigen, düsteren Anhänger wieder verlassen zu können. »Viel Erfolg bei eurer Suche... und richtet mir suuuuuper Grüße an Enel aus! Seine Musik ist der Mindfuck schlechthin!«, folgte ihnen Frankys heisere Stimme nach, dann schlug die Tür des Anhängers hinter ihnen krachend zu, kaum, dass sie diesen verlassen hatten. Als sie wieder im Auto saßen, bekam Marco einen Anruf, der sich durch ein Blinken am Rande seines Sichtfeldes ankündigte. Mit einem Fingerzeig übertrug er jenen auf das Display in der Mittelkonsole des Caliburn, damit auch Law zuhören konnte, während er sich aus seinem Mantel schälte und diesen auf den Rücksitz warf. Shanks erschien auf dem kleinen Bildschirm, er befand sich offenbar in seinem Büro in Osaka an einem eleganten Schreibtisch, hinter ihm das riesige Gemälde einer antiken Schlachtenszene an der Wand. Der Raum war komplett in Schwarz und Rot gehalten, goldene Lampenschirme setzten delikate Akzente. Shanks wirkte angespannt und war von einer dichten Rauchwolke umgeben, die Zigarette in seinem Mundwinkel war wohl nur eine von vielen an diesem Tag. Das rote Haar hing ihm wirr in die Stirn, als hätte er unruhig geschlafen oder als wäre er mit den Fingern mehrmals hindurch gefahren. Shanks ließ seinen Blick leicht verwundert von Marco zu Law und wieder zurück schweifen, aber man konnte unmöglich sagen, ob ihn der Anblick störte. Sein finsterer Gesichtsausdruck änderte sich nicht wirklich, weder zum guten noch zum schlechten. Vielleicht war es ihm schlichtweg egal oder aber er hatte gerade ganz andere Probleme, als Marco schon wieder eine Predigt über Gutgläubigkeit halten zu wollen. »Wie ist die Lage? Hast du schon was rausgefunden?«, fragte er ohne Begrüßung an Marco gewandt. »Uns geht es hier übrigens gut... Danke der Nachfrage«, sagte Marco trocken und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Shanks gab ein undefiniertes Grunzen von sich, was wohl das Maximum an zu erwartender Einsicht von ihm war. »Der Tower steht noch, Makino ist wohlauf, Laws Schwester aber noch nicht ansprechbar«, informierte Marco den anderen Firmenchef dann knapp. Das schien Shanks' Laune nun nicht maßgeblich zu verbessern und er wischte sich ein paar rote Strähnen aus der Stirn. »Das dauert ganz schön lange…«, knurrte er unzufrieden und klopfte mit einem goldenen Kugelschreiber auf der Tischplatte vor sich. Ben Beckmann erschien im Hintergrund, der ein paar gestapelte Akten ablegte. »Wenn du Wunder erwartest, dann hättest du dich vielleicht an jemand anderen wenden sollen…«, entgegnete Marco kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. »Jaja, schon gut… ich weiß, tut mir leid«, presste Shanks zerknirscht heraus und massierte sich die Schläfe. Er scheuchte seinen Assistenten mit einem Wink fort. »Ich habe hier nur so einige Baustellen in der Firma zu beackern und der Senat hockt mir im Nacken. Sakazuki will Ergebnisse.« »... und dabei schien er doch die Freundlichkeit in Person zu sein«, warf Marco ironisch ein. »Sakazuki ist ein Arsch. Aber zumindest interessiert er sich ernsthaft für den Fall und will ständig über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werden. Bis auf ihn und Rayleigh will der Rest der hohen Mitglieder hauptsächlich, dass der Mist schnell unter den Tisch gekehrt wird, damit sie wieder ihre eigenen Süppchen kochen können...-« Shanks stockte und linste zu Law, dann schwenkte er auf ein anderes Thema um: »Was ist mit dem Metallstück. Hast du den Informationshändler kontaktieren können?« Marco warf Law einen kurzen Blick und ein kleines Lächeln zu. »Dank Laws Hilfe, ja... gerade eben. Aber der konnte nicht herausfinden, was es ist«, offenbarte Marco die ungeschönte Wahrheit, sprach jedoch schnell weiter, da sich schon eine steile Falte zwischen Shanks Augenbrauen bildete: »Aber er konnte uns zumindest sagen, dass es davon offenbar noch zwei weitere Teile hier in Japan gibt. Ich werde versuchen die mutmaßlichen Besitzer aufzusuchen.« »Also potentiell weitere Opfer...?!«, grübelte Shanks und zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, bevor er die schon in der Pflanze auf seinem Schreibtisch ausdrücken wollte... aber Ben Beckmanns Hand schob sich ins Sichtfeld und einen Aschenbecher auf den Tisch. Shanks funkelte ihn finster an, bevor er sich wieder Marco widmete: »Dann lass' dir besser nicht zu viel Zeit damit...« »Konntest du in Osaka etwas herausfinden über diese ominöse Organisation?« Shanks zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt, nicht viel… sie nennen sich wohl selbst „Der Zirkel“ und sind erst nach „The Fall“ wirklich in Erscheinung getreten. Einigen schwammigen Hinweisen nach könnten sie aber schon länger existieren.« Marco rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über das stoppelige Kinn. »Der Zirkel?! Klingt recht kryptisch. Jeder Sportverein ist bei der Namensgebung wohl kreativer…« »Oh ja, ich bin auch enttäuscht, dass es nicht offensichtlicher geht, aber wahrscheinlich war „sektenartige Gruppierung, die gern Leute umbringt und insgeheim die Weltherrschaft anstrebt“ wohl schon vergeben oder aber es passte nicht auf die Mitgliedsbuttons«, schnaubte Shanks sarkastisch. Marco verzog den Mund. »Sehr witzig…« »Das Einzige, was auffällig war und was man eindeutig auf sie zurückverfolgen konnte, war der Überfall einer vermutlich antiken Grabungsstätte auf den Kanaren 2026, die durch ein Erdbeben geöffnet wurde. Dabei wurden alle Forscher und Archäologen getötet und die Stätte anschließend geplündert und verwüstet. Ein Einheimischer, der als Führer dabei war, hatte wohl durch Zufall überlebt.« »Sie sind Grabräuber?!« Shanks lehnte sich in seinen Bürostuhl und wippte gedankenverloren vor und zurück. »Tja, jeder braucht eben ein Hobby«, meinte er lapidar. »Vielleicht stehen sie auf Mumien oder Schrumpfköpfe, wer weiß...« »Ich werde mich bei dir melden, wenn ich Neuigkeiten habe«, schloss Marco das Gespräch und beendete den Anruf. Er legte die Hände auf das Lenkrad und kaute nachdenklich auf der Innenseite seiner Wange. Statt Licht in das Dunkel zu bringen, wurde alles nur noch undurchsichtiger... »Glaubst du, diese Gruppierung ist gefährlich...?«, drang Laws dunkle Stimme dann an sein Ohr. Marco drehte den Kopf und sah den jungen Mann an. Law hatte ja bisher gar nichts von den Geschehnissen im Hintergrund gewusst, fiel Marco plötzlich ein. »Eine Organisation, die sich militärisch einwandfrei ausgebildete und technisch hoch aufgerüstete Söldner leisten kann und offenbar so verbreitet und gut vernetzt ist, dass sie bisher überall auf der Welt agieren konnte und das fast unbemerkt!? Ja, ich denke durchaus, dass dieser Zirkel gefährlich ist«, nickte Marco, dann rieb er sich unangenehm berührt den Nacken und suchte Laws Blick: »Dir ist sicher klar, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen darf, was du eben gehört hast...?!« Law nickte ohne Zögern. »Ich kann schweigen, keine Sorge.« »Gut. Danke.« Marco zog nicht einmal in Betracht, dass Law lügen könnte. Vielleicht war er wirklich ein gutgläubiger Idiot. »Was wirst du jetzt tun...?«, fragte Law dann. Er musterte Marco abwartend, der den Hinterkopf gegen die Kopfstütze des Wagens gelehnt hatte und grüblerisch mit den Fingern auf dem ledernen Lenkrad trommelte. Auch Law war inzwischen bewusst, dass sich ihre Weg jetzt trennen würden. Prinzipiell hatte er seine Schuldigkeit getan. Er hatte seinen Gefallen eingelöst und mehr konnte der Konzerner nicht erwarten, aber seltsamerweise... war er selbst nicht wirklich erleichtert deswegen. »Nun, ich denke, ich werde zuerst diese Adresse in Toyohashi aufsuchen und das so schnell wie möglich«, ließ Marco ihn dann an seinen Überlegungen teilhaben. »Der alte Mann und seine Familie ahnen vielleicht nicht einmal, dass sie in Gefahr sein könnten.« Er glitt mit den Fingern nachsinnend durch die längeren Haare seiner Frisur. Durch den dunklen, doch dünnen Stoff des Pullovers zeichneten sich die Muskeln an seinem Oberarm deutlich ab. »Um an Enel heranzukommen, werde ich wahrscheinlich etwas Unterstützung brauchen. Eventuell kann mir Hancock helfen...«, murmelte er. »Du solltest dort nicht allein hingehen... nach Toyohashi«, riet Law ihm ernst. Ihm lag schon auf der Zunge, Marco seine Hilfe anzubieten, doch die Worte schluckte er entschlossen herunter. Er musste irgendwann einen Schlussstrich ziehen und das besser früher als später. So sympathisch er den Konzerner fand... das alles würde am Ende eh zu nichts führen. Sie lebten immerhin in zwei völlig unterschiedlichen Welten. Marco sah ihn abwägend an und seine Finger schlossen sich fester um das Lenkrad. Sein Mund öffnete sich leicht und für einen kurzen Moment meinte Law fast, dass er eigentlich etwas sagen wollte, Law vielleicht sogar bitten, ihn zu begleiten, doch... er nickte nur zustimmend. »Du hast sicher recht. Ich werde wohl ein paar Männer meines Sicherheitsteams mitnehmen«, räumte er ein. Die Enttäuschung, die in seiner Brust aufwallte, ignorierte Law entschlossen und schob dieses eigenartige Gefühl von sich. »Gute Idee, deine Männer wirken fähig. Jozu versteht seinen Job«, sagte er mit hohler Stimme. Gott, was rede ich da für Unsinn?! Law wandte den Blick ab, weil er diesen blauen Augen irgendwie nicht standhalten konnte und sah aus dem Fenster. Ein vorbeilaufendes Mädchen machte bei seinem finsteren Gesicht einen großen Bogen um das Auto und drückte sich die Handtasche an die Brust. Marco wischte über das Display des Caliburn und schien seinen Terminkalender zu checken, wie Law in der Spiegelung der Scheibe erkannte. »Bis zu meinem nächsten Termin habe ich noch ungefähr eine Stunde Zeit«, informierte Marco unbestimmt. Law veränderte seine Haltung und wandte sich dem Blonden wieder zu. »Auch wenn du keinen Kuchen magst... darf ich dich zumindest auf einen Kaffee einladen, als Dank für deine Hilfe?!«, schlug der Konzerner mit einem leichten Lächeln vor. Ein hoffnungsvolles Blitzen erhellte seine Augen, während er mit dem Kinn auf das pinke Café wies. Dieses ehrliche Lächeln ging Law wirklich durch Mark und Bein und er musste sich eingestehen, dass er der Einladung wirklich gern gefolgt wäre... doch ihm fiel die Nachricht auf seinem SmartCom wieder ein, die den ganzen Tag über schon wie ein heißes Eisen in seiner Tasche brannte und sich wohl nicht länger würde ignorieren lassen. Seine Stimme klang tatsächlich fast bedauernd, als er sagte: »Ich... muss leider noch etwas erledigen.« Marcos breite Schultern sackten ein wenig herab, doch das Lächeln auf seinen Lippen blieb. Wenn er enttäuscht war, so ließ er es sich zumindest kaum anmerken. »Kein Problem, dann...«, er startete den Wagen, »soll ich dich noch irgendwo absetzen?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)