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Geburtstage am Heiligen Abend

24.12 Fanfiction-Adventskalender 2021
von

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Neu in der Stadt

Schon jetzt im September fingen die Leute um sie herum an, Weihnachten zu planen. Nicht im privaten Sinne, was sie mit ihren Familien machen würden, nein, die aktuellen Planungen bezogen sich eher auf die Geschäftskunden der Firma, mit denen sie in den letzten Jahren im Kontakt standen.

 

Dieses Jahr war es Martinas Aufgabe, etwas passendes zu finden. Sie war neu in der Stadt. Es war ihre erste Stelle, die sie nach ihrer Ausbildung angetreten hatte. Doch eigentlich hielt sich ihre Lust in Grenzen, sich jetzt schon auf Weihnachten vorzubereiten. Es war noch nicht einmal Winter, noch nicht einmal wirklich Herbst, auch wenn sie an diesem Tag schon den Laubbläser vernommen hatte.

 

Ein paar neue Freunde hatte sie in der Stadt schon gefunden, nachdem sie Abends in diversen Clubs gefeiert hatte. An einem Freitag nach Feierabend hatte ihre Kollegin Marina sie mitgenommen, um mit ihr ein Bier trinken zu gehen. Eine Woche später waren sie dann nicht zu zweit, sondern zu acht unterwegs, und Marina machte Martina mit deren Freunden bekannt. Um die beiden besser unterscheiden zu können, verpasste die Gruppe Martina den Spitznamen Tina, während Marina mit ihrer Zwillingsschwester Mareike immer noch M&M waren. Wer von den beiden das erste M darstellte, wechselte je nach Situation.

 

Martina stand auf. Vielleicht wusste Marina, was sie als Weihnachtsgeschenk verwenden konnte, oder zumindest, was die letzten Jahre über verwendet wurde. Sie schaute auf die Telefonanzeige, um festzustellen, ob Marina sich gerade in einem Gespräch befand. Ihre Anzeige war grün, also öffnete sie die Tür, lief ein paar Räume weiter an der Kaffeemaschine vorbei und klopfte an den Türrahmen, da Marinas Tür selber nicht geschlossen war.

 

Marina drehte sich um. „Ach, hallo Tina, was gibt’s.“ Sie überlegte kurz. Da sie sich mit ihrer Kollegin bereits angefreundet hatte, stutzte sie kurz, bevor sie die nächste Frage stellte: „Beruflich oder Privat?“

 

Martina schielte auf dem Platz gegenüber von Marina. „Ersteres, Weihnachtsgeschenke.“

 

„Mittagspause“, erklärte Marina kurz, als sie den Blick bemerkte. „Kannst dich also kurz dorthin setzen.“

 

„Ich soll für die Kunden Weihnachtsgeschenke besorgen, hab aber nicht die geringste Ahnung, was man da nehmen kann. Ich mein, ich kenne die Kunden doch gar nicht. Wie soll ich da etwas passendes finden?“, erklärte Martina ihren kurzen Einwurf genauer.

 

„Und wie soll ich dir da helfen?“ Das Thema Kunden-Weihnachtsgeschenke hatte Marina bisher immer gemieden. Sie hatte sich noch nie in der Situation befunden, dass sie etwas für Unbekannte besorgen musste. Außerdem gehörte sie keiner Abteilung mit viel Kundenkontakt an.

 

„Was habt ihr denn letztes Jahr versendet? Oder vorletztes Jahr? Oder ...“ Martinas Fragen wurden immer schneller.

 

„Nur die Ruhe.“, unterbrach Marina ihre Kollegin, bevor diese noch die weiteren vergangenen Jahre aufzählen konnte. Panik würde Martina auch nicht weiterhelfen. Und gerade war ihre Kollegin dabei, in diese zu verfallen.

 

Inzwischen erreichte Martina den Stuhl gegenüber von Marina und setzte sich. Beim Platz nehmen beruhigte sie sich wieder.

 

Marina überlegte. Hatte sie letztes Jahr mitbekommen, was den Kunden geschickt wurde? Eine Karte, ja, eine Karte war mit dabei. Aber sonst? Schokolade? Generell irgendetwas, was sich auch nur im entferntesten als Lebensmittel bezeichnen ließ? Viel davon mitbekommen hatte sie nicht, stellte sie fest. Aber sie war Martina noch eine Antwort schuldig. „Es war immer nur eine Kleinigkeit, die wir verschickt haben, gemeinsam mit einer Karte. Kleine Flasche Sekt, kleine Flasche Wein, Schokolade. Irgendwie sowas. Meistens sind die Sachen vorher von einem von uns probiert worden, bevor entschieden wurde, was versendet wird.“

 

„Haben alle denn dasselbe bekommen?“ Nicht mal dies wusste Martina. Einerseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass jedes Jahr für alle etwas unterschiedliches ausgesucht wurde. Andererseits konnte sie nicht ausschließen, dass es hier doch anders geregelt wurde als in ihrem Ausbildungsbetrieb.

 

„Klar, das wäre doch sonst viel zu aufwändig.“ Sie sprachen noch über weitere Alternativen, von denen allerdings keine wirklich gut war. Bevor Martina wieder in ihr Büro zurückging, weil gleich die Mittagspause der anderen Kollegin beendet war, fragte Marina noch: „Und, bist du Morgen Abend wieder mit dabei?“

Ein Geburtstag fernab der Feiertage

Am nächsten Abend war die Gruppe nur mit sechs Leuten unterwegs. Sie planten eine Überraschungsparty für Nadine, weil diese zwei Wochen später 23 Jahre alt werden würde. Und Thorben sollte Nadine davon abhalten, heute in die Altstadt zu gehen.

 

Martina hatte bereits zwei Geburtstagsfeiern in dieser Gruppe mitgekommen. Alle wussten, dass das entsprechende Geburtstagskind zu dem Zeitpunkt der Partyvorbereitungen von jemand anderem aus der Gruppe ferngehalten wurde. Daher wunderte Nadine sich auch nicht darüber, als nur Thorben sich gestern mit ihr verabredet hatte. Er war also das Ablenkungsmanöver.

 

Gemeinsam überlegten die anderen sechs, was sie dieses Jahr mit Nadine veranstalten würden. Es war kein runder Geburtstag. Daher reichte eine kleine Aktion unter Freunden. Ansonsten hätten sie auch Nadines Familie einweihen müssen.

 

„Apropos Familie einweihen, wann rufen Nadines Eltern denn meistens an, um ihr zu gratulieren?“, fragte Martina, nachdem ihr der Gedanke kam. Schon bei Thorbens Geburtstagsfeier hatte seine Familie zu den unmöglichsten Zeiten angerufen.

 

„Unterschiedlich. Letztes Jahr war es am Abend, kurz vor dem Essen.“ Marina schob sich eine Strähne aus der Stirn, welche sie langsam zu ärgern begann.

 

„Ja, und vorletztes Jahr ganz früh am Morgen, als wir reingefeiert haben, und die beiden uns damit geweckt haben.“, ergänzte Mareike die Ausführungen ihrer Schwester.

 

„Es kommt darauf an, wann genau Nadines Eltern arbeiten müssen. Die beiden werden vermutlich wieder dann anrufen, wenn beide frei haben. Allerdings denken die beiden dann nicht daran, dass auch ihre Tochter arbeitet.“ Yasmin kannte Nadine schon am längsten, da die beiden bereits im Kindergarten in derselben Gruppe zusammen gespielt hatten.

 

„Vielleicht denken die beiden dieses mal doch daran.“ Alexander hob sein Glas an die Lippen, um einen großen Schluck zu trinken.

 

„Aber Alex, da brauchen die beiden dieses Mal nicht daran zu denken. Nadines Geburtstag ist an einem Samstag. Da hat sie immer frei.“ Im Gegensatz zu mir, dachte Yasmin, als sie Alexander darauf aufmerksam machte.

 

„Langsam aber sicher sollten wir uns wirklich mal überlegen, was wir denn so machen. Wir können die Handys ja mitnehmen, wenn wir unterwegs sind.“ Mareike lehnte sich nach vorne, bereit, die Pläne der anderen zu hören, weil sie selber noch keinen eigenen hatte.

 

Auch die anderen hatten so schnell keine Idee. Nach einiger Zeit und dem Checken der Wettervorhersage für diesen Tag entschlossen sie sich, eine Schnitzeljagd durch die Stadt zu veranstalten. Die Orte der Schnitzeljagd sollten sich auf Nadines Kindheit beziehen, weshalb Martina nicht viel dazu beisteuern konnte. Yasmin überlegte sich zwei Orte aus der Kindergartenzeit, Marina und Mareike tüftelten über gemeinsame Ausflugsziele, die sie während ihrer Schulzeit unternommen hatten.

 

Nun brauchten sie noch einen Ort, wo die Überraschungsparty steigen sollte, quasi das Ziel der Schnitzeljagd. Nachdem die Orte feststanden, planten sie den eigentlichen Verlauf der Party.

 

„Wo werden wir eigentlich starten?“ Martina wusste nicht, ob sich die Gruppe standardmäßig an einem bestimmten Ort traf, wenn eine Geburtstagsparty anstand.

 

„Stimmt, wir brauchen ja noch den Startpunkt?“ Bei dieser Feststellung schauten sie alle dumm aus der Wäsche. Sie hatten für jeden der geplanten Orte eine Hinweiskarte erstellt, anhand dessen Nadine den nächsten Ort identifizieren können sollte. Aber auch zu dem ersten Ort musste Nadine erst einmal hinfinden.

 

„Warum machen wir es uns nicht einfach. Wir könnten ja Nadines Wohnung als Startpunkt nehmen?“ Phillip hob die Hand, um eine weitere Runde bestellen zu können, wobei die Kellnerin gerade damit beschäftigt war, zwei Tabletts Getränke auf einen der Nachbartische abzustellen.

 

„Und wie platzieren wir den Zettel dann in ihre Wohnung? Also, dass nur sie ihn sieht.“ Marina blickte nach unten auf ihr Handy, welches sie gerade aus der Hosentasche geholt hatte. Sie wischte die drei Nachrichten von ihrer Familie weg und las die Vierte von Thorben. Dann begann sie, eine Antwort zu tippen.

 

„Müssen wir den Zettel überhaupt so anbringen, dass kein anderer ihn sieht?“ Martina achtete nicht auf Marinas Handy, genauso wenig wie auf ihr eigenes, weil dies ohnehin ausgeschaltet zu Hause lag.

 

„Denke nicht.“ Phillip drehte sich zu der Kellnerin um, welche in Kürze an ihrem Tisch vorbeilaufen würde. Wieder hob er die Hand, doch diese Mal passte er sie explizit ab und bestellte noch eine Runde.

 

„Wenn wir uns an ihrer Wohnungstür platzieren, können wir sie abfangen, wenn sie rauskommt.“ Alexander ging schon mal in Gedanken die Plätze durch, an denen man gut erkennen konnte, wenn die Haustür geöffnet wurde.

 

„Weiß denn einer von euch, wann sie vorhat, rauszugehen?“ Mareike selber hatte immer unterschiedliche Zeiten, wann sie am Wochenende rausging. Insbesondere, wenn sie nicht explizit verabredet war. Sie konnte sich vorstellen, dass dies bei Nadine ähnlich aussah.

 

„Gute Frage. Halten wir Wache?“ Alexander schaute grinsend in die Runde. Er wusste genau, dass es mindestens zwei Personen gab, denen dieser Gedanke nicht behagte.

 

„Gegenfrage: Bist du bescheuert?“ Yasmin war eine von den beiden. Sie hob ihre rechte Hand, streckte ihren Zeigefinger aus und tippte mit diesen mehrfach an die Stirn, während sie zu Alexander blickte.

 

„Wieso? Weil ich denke, dass wir sie abfangen können, wenn sie rauskommt?“ Alexander stellte sich dumm. Es wäre viel einfacher, Nadine zu fragen, wann sie vorhat, an dem Samstag nach draußen zu gehen. Die andere Idee gefiel ihm aber deutlich besser.

 

„Nein, weil du ernsthaft darüber nachdenkst, die ganze Nacht, den ganzen Morgen und eventuell auch den ganzen Tag draußen im Schlafsack zu verbringen; ohne Klo, ohne etwas zu essen und zu trinken, nur um Nadine beim Rauskommen nicht zu verpassen.“ Bei diesen Gedanken schlang Yasmin ihre Arme um ihre Brust und schüttelte sich. Dies wäre ihr eindeutig zu kalt.

 

„Nun, Yasmin, den ganzen Tag werden wir bestimmt nicht warten. Wir werden den Tag ja alleine schon benötigen, Nadine beim Lösen der Rätsel zu begleiten.“ Phillip schaute zu Marina. „Und, etwas interessantes auf dem Handy?“

 

Erst da bemerkten auch die anderen, dass Marina nicht mehr an dem Gespräch teilnahm. Sie nippte an ihrem Glas, und erkannte die Gelegenheit, den anderen eine Frage zu stellen: „Thorben fragt, ob wir schon etwas geplant haben. Hab ihm eben von der Schnitzeljagd geschrieben, und dass wir bei Nadine zu Hause starten wollen. Soll ich ihm noch etwas fragen?“

 

„Ist Thorben noch bei ihr?“, unterbrach Yasmin sie. „Wenn ja, kann er sie dann fragen, wann wir sie an ihrem Geburtstag abholen können?“

 

„Schreib ich ihm.“ Wieder schaltete Marina ihr Handy ein, diesmal, um eine andere Frage weitergeben zu können. Alle warteten gespannt auf die Antwort. Denn wenn Thorben noch bei Nadine war, und er die Nachricht rechtzeitig sah, brauchten sie sich keine weiteren Gedanken über eventuelle Übernachtungen und Abfangversuchen zu machen. Es vibrierte in Marinas Hand. „10 Uhr, schlägt Nadine vor.“

 

„Thorben hat ihr doch wohl hoffentlich nicht erzählt, was wir vorhaben?“, fragte Mareike erschrocken. „Sonst ist ja die Überraschung weg.“

 

„Natürlich nicht, Schwesterchen.“ Marina zwinkerte Mareike zu.

 

„Du bist auch nur eine Minute älter als ich!“

 

„Lassen wir das M&M alleine austragen?“, flüsterte Martina, die vom Namen her durchaus auch mit 'M' gemeint sein könnte. Sie wusste genau, dass Einmischungen während einer geschwisterlichen Kabbelei nichts brachten.

 

Die Kellnerin brachte die Getränke an den Tisch. Am Abend war der Plan ausgearbeitet, und auch Nadine wusste, dass sie ab 10 Uhr von mindestens einen ihrer Freunden abgeholt werden würde.
 

******

 

Eine Stunde vor der mit Nadine vereinbarten Zeit traf sich der Rest der Gruppe, um die entsprechenden Hinweiszettel an den jeweiligen Orten zu platzieren. Sie hatten sich in zwei Gruppen aufgeteilt, um die Zettel rechtzeitig anbringen zu können und wieder bei Nadines Wohnung anzukommen, noch bevor die Stunde vorbei war.

 

Kurz nach 10 traf die zweite Gruppe vor Nadines Wohnungstür ein. Marina klingelte. Nadine kam in einem blauen Kleid und Stöckelschuhen nach draußen.

 

„An deiner Stelle würde ich mir andere Schuhe anziehen.“, begrüßte Marina sie, noch bevor sie Nadine umarmte und ihr mit einem Küsschen auf die Wange zum Geburtstag gratulierte.

 

„Noch hast du die Gelegenheit dazu.“, stimmte auch Mareike zu.

 

„OK? Was habt ihr vor?“ Nadine befreite sich aus der Gruppenumarmung und stemmte ihre Arme in ihre Hüften.

 

„Verraten wir dir erst, wenn du entsprechend angezogen bist.“ Martina kam erst jetzt dazu, Nadine zu umarmen, weil sie während der Gruppenumarmung außerhalb gestanden hatte.

 

„Eines vorweg. Du wirst viel laufen.“ Thorben zwinkerte ihr zu.

 

Viel Laufen? Das klang tatsächlich danach, dass sie sich bequemere Schuhe anziehen sollte. „Bin gleich wieder da.“, sagte Nadine beim Öffnen der Haustür, ging nach oben und suchte sich ihre Joggingschuhe heraus. Als sie wieder nach draußen kam, hatte sie vorsorglich auch ein einfaches Shirt sowie eine Jeanshose in die Tasche gepackt.

 

Da die Schnitzeljagd Phillips Idee war, überreichte er Nadine den ersten Zettel. Nadine schaute verwundert zu ihm, ehe sie den Zettel aufklappte und las:

 

Den nächsten Hinweis für das Ziel findest du an dem Beginn unserer Freundschaft.

 

Jetzt stand Nadine vor einem Rätsel. Nicht nur, dass der Beginn der jeweiligen Freundschaft von Person zu Person unterschiedlich war, nein, auch die Sichtweisen, wann eine Freundschaft zwischen zwei Freunden begonnen hatte, konnte sich unterscheiden. Erstmal musste sie wissen, von wem dieser Zettel stammte. Daher schaute sie sich die Schrift genauer an.

 

Eine geschwungene Schrift, feine Buchstaben, die trotz der kleinen Schriftgröße gut zu lesen waren. Die Form der Buchstaben hatte nichts mit der Schreibschrift zu tun, die sie in der Grundschule gelernt hatten. Ihre ehemaligen Klassenkameraden fielen daher als Kartenschreiber aus. Diese Schrift kam ihr so vor, als wenn sie von einer Frau stammen würde. Also blieben noch Martina und Yasmin als mögliche Autorin.

 

Nadine schaute Yasmin und Martina durchdringend an. Martinas Schrift kannte sie nicht. Und an Yasmins Schrift konnte sie sich gerade nicht erinnern. „OK, wer von euch hat dies geschrieben?“

 

„Das musst du schon selbst herausfinden.“, antwortete Martina, bevor Yasmin etwas erwidern konnte.

 

„Wie denn, wenn keiner von uns die Schrift der anderen kennt.“ Theatralisch hob Nadine die Arme hoch. Sie selbst schrieb schließlich auch das meiste digital.

 

Das war einer der Nachteile, wenn man das meiste, was man schrieb, tippte. Dies mussten die anderen sich auch eingestehen. Würden sie denn die Schrift der jeweils anderen erkennen? Marina und Mareike waren sich sicher, dass sie zumindest die Schrift ihrer Schwester kannten. Aber keiner von ihnen kam zu dem Ergebnis, die Schrift aller anderen sicher identifizieren zu können.

 

„Also gut, es ist mein Zettel.“, gestand Yasmin daher.

 

Nun, da Nadine wusste, wer den Zettel geschrieben hatte, konnte sie sich der eigentlichen Frage widmen. Yasmin war mit ihr in derselben Kindergartengruppe, weshalb ihr ehemaliger Kindergarten ein möglicher Ort war. Ein weiterer möglicher Ort waren die Häuser, in denen sie damals gewohnt hatten. Diesen Ort verwarf sie allerdings wieder, weil man sich erst anfreundete und danach in der Wohnung traf. Außerdem glaubte Nadine nicht, dass ihre Freunde den nächsten Zettel einfach so an einem Haus befestigen würden, in dem inzwischen fremde Leute wohnten.

 

Nadine setzte sich in Bewegung. Sie gingen zum ehemaligen Kindergarten. Bei der Wanderung überließen sie Nadine die Führung. Sie wussten noch nicht, wohin Nadine sie führte. Für Yasmin sah die Richtung richtig aus, und sie nickte den anderen daher zu.

 

Erst als sie beim Kindergarten ankamen, wusste Yasmin, dass Nadine den Ort nicht richtig erkannt hatte. Nadine schaute sich den Briefkasten, die Türe, den Fußabtreter an, konnte aber keinen Zettel finden. Dann lief sie an den Fenstern vorbei. Dort waren zwar viele Zettel zu sehen, allerdings waren auf den meisten Kinderzeichnungen abgebildet. Die Zettel, die tatsächlich Text beinhalteten, kündigten die nächsten Aufführungen der ältesten Gruppen an.

 

„Sollten wir ihr nicht sagen, dass sie sich am falschen Ort befindet?“, fragte Martina, nachdem sie Nadine eine viertel Stunde beim Suchen nach dem Hinweis beobachtet hatten.

 

„Wir warten noch zehn Minuten, und wenn sie danach zu uns kommt, sagen wir es ihr.“, schlug Thorben vor.

 

„Oder wir warten, bis sie von selbst darauf kommt. Sonst machen wir es ihr zu einfach.“, entgegnete Alexander.

 

„Wie lange darf sie denn für einen Ort brauchen, bis wir es nicht mehr zur Party schaffen?“ Phillip begann, alles im Kopf auszurechnen. Sie hatten sieben Orte ausgewählt, die sich über die Stadt verteilten. Sie waren zu Fuß unterwegs. Die Orte alle anzusteuern würde schon über drei Stunden dauern.

 

„Die Party wird schon nicht ohne uns stattfinden.“ Dennoch schaltete Mareike ihr Handy ein, um die Uhrzeit im Blick zu behalten. Es war inzwischen schon 11 Uhr.

 

„Aber doch wohl noch am heutigen Tag.“ Eigentlich hatte Thorben gerade ein ganz anderes Problem. Er hielt Ausschau nach einem Ort, an dem er sich kurz zurückziehen konnte. Aber dennoch wollte er nicht den ganzen Tag auf den Beinen sein. „Sagt mal, ist der Kindergarten eigentlich gerade geöffnet?“

 

„Ich an eurer Stelle würde mir eher um die Öffn...“ Martina unterbrach, was sie sagen wollte, weil Nadine sich ihnen gerade etwas zu zielstrebig näherte. Thorben lief unterdessen zur Tür, nur um festzustellen, dass diese verschlossen war.

 

„Und, wo ist der Zettel?“, fragte Nadine, während sie Thorben bei dem Versuch, die Tür zu öffnen, beobachtete. Keiner der anderen antwortete.

 

„Gegenfrage, wie sicher bist du dir, dass dieser Ort damit gemeint ist?“ Thorben fing sich einen Ellbogen von Alexander ein, als er Nadine diesen Hinweis gab.

 

„Wenn du schon so fragst, eher nicht.“, antwortete Nadine. Nun dachte sie noch einmal nach. Wenn es nicht der Kindergarten war, wo könnte ihre Freundschaft sonst entstanden sein. Wo waren sie sonst zusammen. „Es war aber keines unserer alten Häuser, oder?“ Nadine hatte diesen Gedanken zwar zuvor verworfen, wollte dies aber vorher wissen, bevor sie sich weitere Gedanken über den möglichen Ort machte.

 

„Nein“, antwortete Yasmin erschrocken. „Wenn man bedenkt, wie die Leute drauf sind, die dort jetzt wohnen, wäre dies keine gute Idee.“

 

„Gut, dann muss ich wohl weiter nachdenken.“ Ihre alten Häuser waren es nicht, und auch nicht der Kindergarten. In der Schule waren die beiden nicht in einer Klasse, außerdem waren sie zu diesem Zeitpunkt schon befreundet. Blieben noch die Spielplätze, auf denen sie als Kinder gespielt hatten. „Welcher Spielplatz ist es? Spee'scher Graben oder der am Schwanenmarkt?“ Sie versuchte, anhand von Yasmins Reaktion den richtigen Spielplatz zu ermitteln.

 

„Find's heraus.“, forderte Yasmin sie heraus. Sie schaffte es, Nadine keinen Anhaltspunkt zu geben. Dies war besonders einfach, da sie die Namen der Spielplätze nicht kannte. Für sie war es damals viel wichtiger gewesen, den Weg dorthin zu kennen.

 

Nadine ging los. Da der Schwanenmarkt-Spielplatz näher lag, steuerte sie diesen an. Als Kinder durften sie keine allzu weiten Wege alleine zurücklegen, weshalb ihre Eltern ihnen nur die Spielplätze erlaubten, die in der Nähe ihrer Wohnung lagen. Und in ihrem Fall waren es zwei.

 

Dort angekommen, überlegte Nadine, was sie als Kinder immer gemacht hatten. Die Schaukel war inzwischen erneuert worden, wie auch die Drehscheibe. Die Wippe hingegen hatte noch dieselben ausgeblichene Blumenzeichnung auf beiden Seiten.

 

Da heute Samstag war, und es aktuell nicht regnete, spielten dort auch einige Kinder. Die Schaukeln waren besetzt, weshalb Nadine sich nicht ihre damalige Lieblingsschaukel anschauen konnte. Zielstrebig steuerte sie daher die Drehscheibe an. Sie setzte sich rein. Im Gegensatz zu früher musste sie ihre Beine anziehen, weil sie inzwischen zu groß für die Drehscheibe war.

 

An dem Teil, an dem man die Drehung einleiten konnte, klebte kein Zettel. Zumindest oben nicht, weshalb sie sich bückte und versuchte, unter dem Drehrad zu schauen. Nur musste sie bei dem Versuch feststellen, dass sie eindeutig zu groß, oder zu dick war, um unter dem Rad nachschauen zu können.

 

Wären ihre Freunde in der Lage, einen Zettel unter dem Rad zu befestigen, während diese davon ausgingen, dass sie diesen Zettel fand? Da sie dies nicht ausschließen konnte, tastete Nadine unter dem Rad alles mit ihren Fingern ab. „Iiihhhh“, quietschte sie, als sie den ersten noch feuchten Kaugummi ertastete. „Hoffentlich gibt es nachher die Möglichkeit, die Hände zu waschen.“ Doch jetzt, wo sie den ersten Kaugummi angefasst hatte, konnte sie auch weitersuchen, nur um festzustellen, dass unter dem Drehrad wirklich kein Zettel angebracht wurde.

 

Sie stieg wieder aus dem Kreisel, nachdem dieser die Drehungen gestoppt hatte. Ihr Blick streifte über die Schaukel, die immer noch belegt war, zu dem Kletterhäuschen mit der Rutsche hin zu den Wippen. Ihre Lieblingswippe von damals war aktuell nicht besetzt, weshalb sie diese als nächstes inspizieren wollte.

 

Nadine setzte sich auf die Wippe. Auch diese war viel zu klein für sie. Aber hier gab es nicht so viele Verstecke. Sie griff um die Halter und stellte fest, dass dort kein Zettel war. Hier brauchte sie keinen Kaugummi zu befürchten. Doch auch hier war kein Zettel zu finden.

 

Auf einmal wurde es in dem Kletterhäuschen recht laut. Die Kinder redeten alle durcheinander, doch etwas, was einer der Kinder rief, erregte Nadines Aufmerksamkeit: „Da auf dem Zettel steht 'Der nächste Hinweis findest du an den Ort...'“

 

Jetzt wusste Nadine, wo sich der Zettel befand. Sie ging zu dem Kletterhäuschen. Im Gegensatz zu früher konnte sie inzwischen in das Häuschen reinschauen. Sie hörte nicht einmal bis zum Ende des Hinweises zu, da sie diesen gleich selbst lesen konnte.

 

„Hallo Jungs, könnt ihr mir den Zettel mal geben?“, fragte Nadine in die Gruppe. Da keiner der Jungen antwortete, wiederholte sie das Hallo etwas lauter.

 

Nun registrierten die Jungen sie zwar, aber ihrem Hinweis war sie immer noch nicht näher gekommen. Die Jungen schauten sich gegenseitig an. Einer von ihnen nahm den Zettel von der Wand und knüllte ihn zusammen. Er warf diesen Zettel einem anderen Jungen zu. Nadine sah noch, wie der Junge mit dem Zettel zur Rutsche lief und runterrutschte.

 

Nadine lief zum Ende der Rutsche, um den Jungen dort abfangen zu können. Die anderen Jungen kletterten oder stiegen währenddessen die Leiter herunter, um Nadine anschließend zu umkreisen. Ihren Blick richtete Nadine weiterhin auf den Zettel. Während der Junge die Rutsche runterrutschte, bemerkte er jedoch diese seltsame Frau, die den Zettel unbedingt haben wollte, wie auch seine Kumpel. Alle Kumpel hielten die Arme hoch. Einer der Kumpel stand in Wurfnähe. Also rief der Junge nur: „Arthur, Fang!“ und warf den Hinweiszettel in Richtung des entsprechenden Jungen.

 

Eigentlich war dies Nadine zu doof. Sie wollte nicht mit den Kindern spielen, die offenbar beschlossen hatten, sie in ihr Spiel mit einzubeziehen. Dennoch wollte sie den Hinweiszettel haben. Also ging auch sie mit großen Schritten zu der Stelle, an der sie meinte, den Zettel fangen zu können. Immerhin war sie als erwachsene Frau noch etwas größer als die Jungen. Doch der Zettel flog an ihrer Hand vorbei.

 

Nun richtete Nadine ihre Aufmerksamkeit auf Arthur, der den Zettel in der Hand hielt und mit diesem wedelte. Auch er hielt Ausschau nach seinen Kumpels und überlegte, wen von denen er den Zettel zuwerfen könnte. Auch dieses Mal schaffte Nadine es nicht, den Zettel zu fangen. Sie hatte einfach keine Übung mehr darin.

 

Nach ein paar weiteren Fehlversuchen gab sie auf. Sie verließ die Gruppe von Jungen, die sich weiterhin den Zettel zuwarfen, und ging zu ihren eigenen Freunden rüber. „Also gut, den Hinweis werde ich nicht bekommen. Was stand da drauf.“

 

Als die Jungen erkannten, dass es dieser fremden Frau tatsächlich zu viel war, gingen sie zu ihr hin. Arthur, der den Zettel wieder in der Hand hielt, tippte Nadine schüchtern auf den Rücken und hielt ihr den Zettel hin. Nadine nahm diesen entgegen.
 

******

 

Auch die nächsten Hinweise fand Nadine, wenn auch nicht in der geplanten Zeit, die die Gruppe vorgesehen hatte. Zu dem Café gelangten sie etwa zwei Stunden später, als ihre Reservierung galt. Dennoch bekamen sie einen Tisch. Und auch, als sie zu der Scheune kamen, die bereits für die Party dekoriert war, war es bereits dunkel. Sie feierten bis tief in die Nacht, bevor sie mit dem Taxi nach Hause fuhren.

Geburtstag vs. Heilig Abend

Anfang Dezember begann Martina, sich wegen ihres eigenen Geburtstags Gedanken zu machen. Sie hatte den anderen noch nicht gesagt, wann dieser genau war. Doch nun musste sie mit der Planung beginnen, wenn sie mit den anderen feiern wollte. Sie wusste, dass dies ein problematischer Tag war, weil dann viele Leute nicht konnten.

 

Wenn sie diesen Tag feiern wollte, musste sie zuerst überlegen, was sie gemeinsam machen konnten. Die anderen würden nichts für sie planen, das war ihr klar. Immerhin hatte keiner von ihnen nach dem Datum von ihrem Geburtstag gefragt. Vermutlich, weil die anderen sich schon so lange kannten, dass sie ihre Geburtstage so oft gemeinsam gefeiert hatten, ohne daran zu denken, dass Martina neu in der Gruppe war.

 

Außerdem gab es da noch ein ganz anderes Problem. Ein Teil ihrer Freunde hatte ein Auto, und sie wohnten alle nicht mehr als drei Städte voneinander entfernt. Aber die Busse fuhren nur bis Mittags, und an dem entsprechenden Abend ein Taxi zu bekommen, war nicht immer ganz einfach. Denn Martinas Geburtstag war am 24. Dezember, am Heilig Abend.

 

Sollte sie nicht vorher fragen, ob die anderen überhaupt Zeit hatten, bevor sie etwas plante? Was wäre, wenn alle bereits eine andere Verabredung hatten? Nur, weil es in ihrer Familie so geregelt war, dass sie erst ab dem 25. Dezember Weihnachten feiern, konnte sie nicht sicher sein, dass dies auch bei den anderen der Fall war. Dies musste Martina schon während ihrer Schulzeit erfahren. Also erst mal fragen, ob alle können, dann Feier planen, beschloss Martina.

 
 

******

 

Am nächsten Morgen klopfte Martina an Marinas Tür. Sie öffnete diese und trat ein, noch bevor Marina reagieren konnte. Marinas Büronachbarin Bernadette schaute von ihrem Schreibtisch aus sowohl zu Marina wie auch zu Martina. Marina selber telefonierte gerade. Daher winkte Martina nur, und beschloss, nachher noch einmal zu Marina zu gehen.

 

Beim zweiten Versuch vergewisserte sich Martina zuvor, ob eine der beiden mit irgendeinem Programm telefonierte. Marina hatte offenbar aufgelegt, und bevor sie den nächsten Anruf startete oder entgegennahm, ging Martina erneut in das Büro ihrer Kollegin.

 

„Hallo Tina, Beruflich oder Privat?“, erklang die vertraute Frage von Marina. Diese Frage war längst so etwas wie ein Code zwischen ihnen geworden.

 

„Privat“, entgegnete Martina nur knapp.

 

Bernadette schaute zwischen ihren Kolleginnen hin und her. Wenn die beiden über privates sprachen, fühlte sie sich irgendwie fehl am Platz. Ihrer Meinung nach war es schwierig, sowohl Kollegen wie auch Freunde zu sein, da man auch die Probleme in der Freundschaft im Büro austragen könnte. „Bin mal eben Kaffee holen.“, sagte sie nur kurz, ehe sie den Raum verließ.

 

Martina holte den Hocker unter dem Tisch hervor. Diesmal konnte sie nicht einfach so den fremden Stuhl besetzen, weil ihre Kollegin theoretisch jederzeit wieder zurück kommen konnte. Auch wenn sie genau wusste, dass der Kaffee nur eine Ausrede von Bernadette war, um den beiden Freundinnen die Gelegenheit geben zu können, sich privat zu unterhalten. Allerdings würde Bernadette nicht allzu lange in der Kaffeepause verweilen.

 

„Ich wollte dich fragen, ob zu Lust und Zeit hast, meinen Geburtstag mit mir zu feiern?“, fragte Martina daher gerade heraus.

 

Erst da fiel Marina auf, dass sie gar nicht wusste, wann der Geburtstag ihrer Freundin und Kollegin war. Das Thema mit der Lust war nicht die Frage. Aber die Frage nach der Zeit konnte sie daher nicht beantworten. Also stellte sie die schon längst überfällige Frage: „Wann hast du denn eigentlich Geburtstag?“

 

„Tja, das wird das Problem.“ Martina wusste genau, dass die wenigsten an diesem Tag Zeit hatten. Daher wollte sie ihre Antwort kurz halten: „Am 24. Dezember, also am Heilig Abend.“

 

Marina stutzte. Das war tatsächlich ein Problem. Denn auch wenn sie nicht mehr in ihrem Elternhaus wohnte, so war es in ihrer Familie Tradition, die Weihnachtstage gemeinsam zu verbringen. Daher war sie auch in diesem Jahr an dem Tag bereits verabredet. „Tut mir leid, Tina. Aber an dem Tag kann ich tatsächlich nicht.“ Sie machte eine kleine Pause. „Eigentlich nie, weil wir nur an diesen Tagen mit der ganzen Familie zusammenkommen. Du weißt doch, dass dieses Zusammenkommen meinen Eltern extrem wichtig ist, weil es das einzige mal im Jahr ist, an dem alle Kinder von ihnen können.“, versuchte Marina ihre Situation bezüglich Weihnachten zu erklären.

 

Resigniert ließ Martina ihren Kopf in die Hände sinken. Sie hatte es doch schon geahnt, und nun die Bestätigung seitens Marina erhalten. Bei den anderen Freunden in ihrem Freundeskreis machte sie sich zwar genauso wenig Hoffnung, wollte es aber dennoch versuchen. „Ich hab's befürchtet.“, antwortete Martina nur. „Du weißt nicht zufällig, wie es bei den anderen aussieht?“

 

„Mareike und ich fahren zusammen zu unseren Eltern, und werden auch bei ihnen übernachten. Nadine und Alex werden Weihnachten auch bei ihren Eltern verbringen.“, überlegte Marina, während sie in Gedanken ihren gemeinsamen Freundeskreis durchging. „Bei Yasmin könntest du Glück haben. Sie feiert kein Weihnachten, hat sie noch nie gefeiert.“

 

Dies hörte sich doch gut an. Wenn nicht alle in der Gruppe den 24. standardmäßig verplant hatten, könnte sie vielleicht doch feiern. Gedanklich setzte sie hinter Yasmins Namen einen Haken.

 

„Bei den anderen weiß ich nicht, in wie weit sie diesen Tag feiern.“, setzte Marina ihre Überlegungen fort.

 

Beide hörten das unverkennbare Klopfen ihrer Kollegin Bernadette, die immer viermal gegen den Türrahmen schlug. Diese würde gleich die Tür öffnen, und wieder mit einer vollen Tasse Kaffee ihren Platz aufsuchen. Damit war ihre Plauderei erst mal zu Ende.

 

„Trotzdem danke für die Info. Werd dies am Freitag ansprechen, wenn wir uns eh alle wiedersehen.“ Martina stand von dem Hocker auf und umarmte ihre Freundin, bevor sie zur Tür ging, um wieder in ihr eigenes Büro zurückzukehren.

 
 

******

 

Da das Wetter an dem entsprechenden Freitag beschlossen hatte, nass und kalt zu werden, trafen sie sich alle bei Phillip zu Hause. Er wohnte in der Nähe einer Bahnhaltestelle, die als Knotenpunkt fungierte. Die Bahnen fuhren von dort aus in die verschiedenen Richtungen, in denen die Wohnungen seine Freunde verteilt lagen.

 

Sie wollten gemeinsam kochen. Jeder von ihnen brachte irgendeine Gemüsesorte mit. Um was es sich dabei handelte, hatte die Gruppe zuvor nicht abgesprochen. Sie würden erst beim Feststellen der einzelnen Gemüsearten und Mengen entscheiden, was genau sie kochen würden.

 

Als sie alle gemeinsam ihr Gemüse auspackten, stellten sie fest, dass sie dieses mal zweimal Paprika, eine Kohlrabi, einmal Rosenkohl, Lauch und Tomaten hatten. Keiner von ihnen konnte sich ein Gericht vorstellen, dass man mit all diesen Zutaten erstellen konnte.

 

Phillip fuhr seinen Rechner hoch, um im Internet nach Rezepten zu suchen, während Alexander, Marina und Yasmin anhand der vorliegenden Zutaten versuchten, sich etwas auszudenken. Keine der beiden Kleingruppen war erfolgreich, weshalb sie beschlossen, eine Suppe und ein Hauptgericht aus diesen Zutaten zu erstellen. Sie teilten die Zutaten zwischen Suppe und Hauptgericht auf, und fingen an, diese in kleine Stücke zu schneiden.

 

„Habt ihr am 24. schon was vor?“, fragte Martina, während sie den Wasserkocher einschaltete.

 

„Meinst du diesen Monat?“, kam die Gegenfrage von Thorben.

 

„Klar meine ich diesen Monat.“ Martina wartete noch einen kurzen Moment, bis sie den Sinn hinter der Frage auflöste. „Hab dann nämlich Geburtstag.“

 

Alle anderen in diesem Raum stoppten mit den Vorbereitungen. Marina ließ das Messer sinken, mit dem sie die Paprika zerkleinerte. Alexander stellte den Topf ab, um den Reis nicht aus Versehen in dem ganzen Raum zu verteilen. „Oh!“ kam es von einer Seite. „Wirklich?“ von einer anderen. „Dann bist du ja ein richtiges Christkind.“, von einer dritten.

 

„Wie oft habe ich diesen Kommentar schon gehört?“ Martina richtete die Frage eher an sich selbst, und erwartete keine Antwort. Die anderen würden dies eh nicht beantworten können. Wie sollten sie auch. Sie hatten ja keine Erfahrung damit.

 

„Wie oft denn?“, fragte Yasmin, die die geflüsterte Frage durchaus gehört hatte. Inzwischen hatte sie die Verwunderung über diesen Umstand überwunden.

 

„Sehr oft.“ Martina atmete einmal tief durch. „Eigentlich sogar jedes Mal, wenn ich mein Geburtsdatum genannt habe.“

 

„Und dann wundert dich dieser Kommentar noch?“ Leicht boxte Mareike Martina mit dem Ellbogen gegen die Rippen.

 

„Nicht wirklich. Es ist nur frustrierend, immer wieder dieselben Kommentare zu hören.“, gab Martina zu.

 

„Hab an dem Tag schon was vor. Wir fahren zu meinen Eltern.“, entschuldigend hob Mareike die Arme.

 

„Hat deine Schwester mir schon gesagt.“ Martina richtete den Blick über den Tisch zu den anderen. „Und ihr?“ Sie hoffte wirklich, dass zumindest einer von ihnen Zeit hatte.

 

„Nein, leider nicht. Fahre am Abend davor schon zu meinen Eltern.“, berichtete Nadine.

 

„Bin an dem Tag auch bei meiner Familie.“, erklärte Thorben.

 

„Ich auch nicht, muss arbeiten.“ Yasmin hatte sich extra die Schicht für die Weihnachtstage geben lassen, weil sie sowieso nicht feiern würde.

 

„Ich leider auch nicht. Bin an dem Tag schon verabredet.“ Auch Phillip hatte sich für diesen Tag schon etwas vorgenommen.

 

„Fahre auch zu meinen Eltern. Du weißt doch, dass an dem Tag die Busse nur bis zwei fahren.“ Damit ließ Alexander als letztes die Hoffnung auf eine kleine Geburtstagsfeier unter Freunden platzen.

 

„Oh, ja, dass weiß ich. Immerhin musste ich im letzten Jahr schon gegen Mittags zu meinen Eltern fahren, weil danach nichts mehr gefahren wäre.“, stimmte auch Martina zu.

 

„Ihr immer mit euren Bahnproblemen.“, demonstrativ drehte Thorben seinen Autoschlüssel in der Hand.

 

„Nur weil du ein Auto hast, brauchst du nicht davon auszugehen, dass alle eines haben.“ Normalerweise war es Alexander egal, ob jemand den Führerschein, oder ein Auto besaß. Aber das demonstrative zur-Schau-stellen eines Autoschlüssels konnte er nicht ausstehen. „Außerdem will ich mir keine Gedanken machen, ob ich am Abend noch fahren kann.“

 

„Mit anderen Worten, keiner von euch hat an dem Tag Zeit.“, stellte Martina enttäuscht fest. Nun musste sie sich etwas anderes überlegen. Sollte sie an dem Tag doch zu ihren Eltern fahren, um nicht alleine zu sein? Doch dann fiel ihr ein, dass ihre Eltern dieses Jahr zur Weihnachtszeit wegfahren wollten. Sie wollten eine Freundin ihrer Mutter besuchen.

 

„So wie es aussieht, leider nicht.“, bestätigte Yasmin. Sie fühlte sich unwohl bei den Gedanken, dass das neueste Mitglied ihres Freundeskreises ihren Geburtstag alleine verbringen würde, nachdem der von Nadine so gut vorbereitet gewesen war. Sie ärgerte sich darüber, dass sie Martina nicht nach ihrem Geburtsdatum gefragt hatte.

 

„Wollten wir nicht noch ein Abendessen vorbereiten?“, fragte Martina, weil sie auf andere Gedanken kommen wollte. Sie merkte, dass sie gerade kurz davor war, in Tränen auszubrechen, und wollte den anderen nicht zeigen, wie enttäuscht sie wirklich war.

 

„Stimmt.“ Phillip nahm ein Sieb aus dem Regal und goss den Reis ab. Dieser war bereits ganz matschig geworden. Auch die anderen setzten ihre Vorbereitungen fort. Am Ende kamen gefüllte Kohlrabi mit einer Lauch-Rosenkohl-Suppe als Abendessen heraus. Eine Kombination, bei der sich alle hinterher einig waren, dass sie sich beim nächsten Mal doch bezüglich der Zutaten vorher absprechen wollten.

 
 

******

 

Zum ersten Mal verließ Martina eines ihrer Treffen als Erste. Sonst war dies immer Yasmin, weil diese am nächsten Tag früh zur Arbeit musste. Sie war ganz froh, wieder bei sich zu Hause zu sein. Den Rest des Abends bemühte sie sich, nicht weiter an ihren Geburtstag zu denken, was ihr nicht gut gelang. Auch die anderen hatten das Thema vermieden, während sie noch anwesend war. Martina war ihnen dankbar dafür, aber dennoch war ihre Stimmung entsprechend getrübt.

 

Den Rest des Abends kuschelte sie sich auf ihrem Sessel in einer Decke ein und ließ ihre Lieblingsserie laufen. Vor ihr stand eine große Tasse mit heißem Kakao. Sie dachte erneut darüber nach, ob sie ihre Eltern oder ihre Geschwister anrufen sollte. Während sie noch überlegte, nahm sie ihr Handy in die Hand. Doch als sie die Nummer ihrer Mutter aufgerufen hatte, schaltete sie es wieder aus, noch bevor die Verbindung aufgebaut werden konnte. Sie legte das Handy auf dem Tisch, und nahm stattdessen die Tasse mit dem Kakao, um sich daran festzuhalten.

 
 

******

 

„Habt ihr gerade auch ein schlechtes Gewissen gegenüber Tina?“, fragte Yasmin, kurz nachdem Martina das Treffen verlassen hatte.

 

„Ja“ Thorben nickte Yasmin zu. „War mir nicht sicher, ob ich es ansprechen sollte, dass wir sie nicht nach ihrem Geburtsdatum gefragt haben.“

 

„Ich habe auch beschlossen, nicht weiter nachzufragen. Ob Tina deshalb so früh gegangen ist?“ Mareike stellte die Teller zusammen, um diese in die Küche bringen zu können.

 

„Vermutlich schon. Irgendwie schade.“ Marina schnappte sich ein paar Gläser und folgte ihrer Schwester.

 

„Aber andererseits können wir jetzt auch besprechen, was wir mit ihrem Geburtstag machen.“ Nadine nahm den Topf. In der Küche wurde es langsam recht voll.

 

„Meinst du nicht eher, ob?“, fragte Marina etwas irritiert.

 

„Nein, ich meine schon was.“, bestätigte Nadine ihre vorherige Aussage. Sie wollte ihr schlechtes Gewissen gegenüber Martina so schnell wie möglich loswerden. Und eine Möglichkeit bestand darin, doch noch eine kleine Feier für Martina zu planen. Oder zumindest dafür zu sorgen, dass sie diesen Tag nicht alleine verbringen würde.

 

„Auch wenn keiner von uns kann? Oder willst du deinen Eltern absagen?“ Mareike zweifelte daran, dass es eine Möglichkeit gab, etwas für Martina zu planen.

 

„Geht nicht. Das verzeihen die mir nie.“ Nadine wollte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sie ihren Eltern so kurz vorher doch absagte. Diese würden ihr Vorwürfe machen. Sie würden ihr vorhalten, dass dies eventuell das letzte Weihnachten war, was sie mit ihnen zusammen verbringen konnte, auch wenn es keinen Anlass zu dieser Vermutung gab.

 

„Reinfeiern können wir auch nicht, da die meisten von uns schon am 23. wegfahren.“ Alexander öffnete die Spülmaschine und räumte die Teller ein, die Mareike und Phillip in die Küche brachten.

 

„Ich werde meine Verabredung fragen, ob sie etwas dagegen haben, wenn ich jemanden mitbringe.“ Da Phillip im Gegensatz zu allen anderen nicht zu seinen Eltern oder zur Arbeit fahren würde, hatte er die Möglichkeit, sich mit Martina zu treffen, auch wenn er bereits mit einigen anderen verabredet war.

 

„Meinst du die Gruppe, die explizit alle Weihnachtsfeiern verweigert?“ Yasmin hatte eine Ahnung, wen Phillip mit Verabredung meinte.

 

„Ja.“, bestätigte Phillip knapp.

 

„Und glaubst du, dass Tina sich dort wohlfühlen wird?“ Noch wusste die Gruppe nicht, wie Martina zum Thema Weihnachten stand. Doch Yasmin wollte Martina den Umstand ersparen, sich mit einer Gruppe auseinandersetzen zu müssen, die in diesem Punkt komplett gegensätzlich zu Martinas Einstellung war.

 

„Keine Ahnung, aber besser, als alleine zu sein.“, stimmte Thorben Phillips Vorschlag zu.

 

„Aber wenn das Thema doch eher Vermeide-Weihnachtsfeiern statt Feiere-deinen-Geburtstag ist? Hältst du es dann immer noch für eine gute Idee?“ Marinas Meinung nach war es dies nicht.

 

„Ich schon, zumindest was das Thema Fragen angeht. Sonst bringst du sie einfach mit und niemand rechnet mit einem weiteren Mitglied der Runde.“ Alexander wollte dieser Idee eine echte Chance geben.

 

„Ja, und wenn Phillip mit denen darüber spricht, dass er ein Geburtstagskind mitbringt, bereiten sie vielleicht auch eine kleine Feier vor.“, spann Thorben die Idee weiter.

 

„Ach, und wie willst du eine Feier für jemanden vorbereiten, den du gar nicht kennst?“ Mareike konnte sich nicht vorstellen, dass dies auch nur ansatzweise funktionieren könnte.

 

„Dann muss Phillip eben die entsprechenden Infos liefern. Oder mit denen gemeinsam die Feier planen.“ Dieser Gedanke war für Thorben so offensichtlich, dass er sich fragte, warum Mareike nicht von selbst darauf gekommen war.

 

„Hey, wer sagt denn, dass wir dann auch miteinander feiern?“ Phillip hatte den anderen nie viel von dem erzählt, was diese Gruppe so veranstaltete.

 

„Was macht ihr denn sonst?“ Nicht nur Yasmin wurde langsam neugierig. Auch die anderen drehten sich zu Phillip um und warteten gespannt auf seine Antwort.

 

Darauf wusste auch Phillip nichts zu sagen, auch wenn er die letzten vier Weihnachtsabenden innerhalb dieser Gruppe verbracht hatte. „Feiern tun wir schon meist, nur komplett ohne Weihnachtsbezug. Oder ein Filmabend, oder einfach nur etwas miteinander trinken.“

 

„Klingt aber schon danach, als wenn ihr da auch eine Geburtstagsfeier organisieren könntet.“, fand Yasmin. Sie war zwar immer noch etwas skeptisch bezüglich dieses Vorschlags, freundete sich aber langsam mit dem Gedanken an.

 

„Ich werde morgen mal innerhalb der Gruppe nachfragen. Vielleicht sind die anderen einverstanden.“ Tatsächlich ging Phillip fest davon aus, dass keiner von ihnen etwas dagegen hätte.

 
 

******

 

Ein paar Tage später schickte Phillip Martina eine Nachricht per Handy: „Hi, Tina, wenn du willst, kannst du am 24. mit zu uns kommen. Phillip“

 

Martina überlegte, ob sie bis zu ihrem regulären Treffen warten sollte, doch dann wollte sie nicht länger warten. Sie wollte wissen, was Phillip geplant hatte. Nur so konnte sie entscheiden, ob sie zu diesem Treffen mitkommen wollte. Sie griff daher nach ihrem Handy und wählte Phillips Nummer.

 

„Und, hast du es dir überlegt, Tina?“ Phillip ahnte, weshalb seine Freundin ihn anrief.

 

„Gegenfrage, was genau habt ihr denn vor?“ Da Martina sich gerade alleine zu Hause befand, schaltete sie den Lautsprecher ihres Mobiltelefons an. Sie wollte sich an ihrem Geburtstag mit nichts beschäftigen, was ihr ohnehin keinen Spaß bereiten würde.

 

„Tatsächlich nichts besonderes, etwas essen und einen Horrorfilm schauen. Aber die anderen haben nichts dagegen, wenn ich jemanden mitbringe.“ Auch Phillip hatte den Lautsprecher eingeschaltet, und legte sein Handy zur Seite, um nach einem Stift zu greifen.

 

„Was für einen Horrorfilm denn?“ Horrorfilme gehörten definitiv nicht zu Martinas Lieblingsfilmen. Es gab ein paar, die waren OK. Aber so richtig blutiges Zeug wollte sie sich an diesem Tag nicht antun. Daher wollte sie zumindest wissen, um welche Art Horrorfilm es sich handelte.

 

„Keine Ahnung. Leonie sucht ihn aus, und ich kenne ihren Filmgeschmack noch nicht.“ Phillip kritzelte einige Dreiecke auf einen Briefumschlag, welchen noch ungeöffnet auf dem Tisch lag.

 

Martina überlegte. Sollte sie das Risiko eingehen, sich mit zehn unbekannten Leuten einen Film anzuschauen, den sie nicht ausstehen konnte, nur, um an dem Tag nicht alleine zu sein? Ihre Lust hielt sich eindeutig in Grenzen. „Kann ich mir das noch überlegen?“, fragte sie daher. Sie wollte die Entscheidung auf später verschieben.

 

„Kannst du. Aber spätestens am 20. brauchen wir Bescheid.“ Phillip wartete kurz, bevor er mit der Erklärung fortfuhr: „Damit wir wissen, wie viele Snacks wir besorgen müssen.“ Das Zwinkern konnte Martina durch das Handy natürlich nicht sehen.

 

Martina entschied sich, nicht an diesem Treffen teilzunehmen. Sie würde ihre Eltern anrufen, um zu fragen, ob sie wirklich zu der Freundin von ihrer Mutter fahren würden. Wenn nicht, könnte Martina ihrem Geburtstag mit ihnen verbringen.

 
 

******

 

Als Martina am Morgen des 23. mit ihren Eltern telefonierte, musste sie feststellen, dass diese sich bereits auf dem Weg zu deren Freundin befanden. Auch ihre Schulfreunde hatten für den morgigen Tag eigene Verabredungen. Als nächstes versuchte sie es bei ihren Geschwistern. Zuerst bei ihrer älteren Schwester, auch wenn diese bereits eine eigene Kleinfamilie hatte, dann bei ihrem jüngeren Bruder, der dieses Jahr mit der Ausbildung begonnen hatte und das erste Mal Weihnachten mit seinen Freunden verbringen wollte. Dies hieß mit anderen Worten, auch ihre Familie hatte an diesem Tag keine Zeit.

Kindheitserinnerungen

Am Morgen des 24. Dezembers schlief Martina sehr lange. Da es so aussah, als wenn sie diesen Tag alleine verbringen würde, sah sie keinen Sinn darin, so früh wie sonst am Wochenende aufzustehen. Daher war es nicht verwunderlich, dass sie noch im Bett lag, als ihr Telefon klingelte. Noch im Halbschlaf griff sie nach dem Handy. „Hallo?“, nuschelte sie, als sie das Gespräch annahm.

 

„Happy Birthday to you. Happy Birthday to you. Happy Birthday liebe Martina. Happy Birthday to you.“, erklang es mehrstimmig und schief von der anderen Seite. Mindestens eine Person war nicht in der Lage, auch nur annähernd die richtige Tonhöhe zu treffen.

 

Martina öffnete die Augen, um feststellen, wer sie gerade anrief. Der Name Meike leuchtete unter dem Bild ihrer älteren Schwester. „Morgen Meike, danke fürs Wecken. Warum bist du denn so früh schon wach?“

 

„So früh? Es ist schon halb zehn.“ Im Gegensatz zu Martina hatte Meike für heute noch einiges geplant. Aber trotz ihres gestrigen Gespräches kannte sie den Plan ihrer kleinen Schwester nicht. Um sie nicht bei irgendetwas zu unterbrechen, wollte sie diese vormittags anrufen, was sie dann auch tat: „Muss noch einkaufen. Du kennst ja das Gedränge in den Geschäften an heilig Abend. Weißt du denn schon, was du heute vorhast?“

 

„Auf jeden Fall nicht einkaufen gehen.“ Martina richtete sich langsam auf. Ihre Einkäufe hatte sie schon zwei Tage zuvor erledigt. Ihre Bettdecke hielt sie allerdings weiterhin um sich gewickelt, da dies so wunderbar warm und kuschelig war.

 

Noch bevor Martina sagen konnte, dass sie nicht wusste, was sie heute machen würde, ertönte ein hohes „Halli hallo Tante Marie.“ auf der anderen Seite.

 

„Und welche Nichte bist du denn?“ Martina konnte die Stimmen ihrer Nichten nicht unterscheiden. Und beide waren noch nicht in der Lage, ihren Namen richtig auszusprechen, weshalb sie ihr den Spitznamen Marie verpasst hatten.

 

„Wer ist das?“, kam statt einer Antwort die nächste Frage über das Telefon. Etwas leiser konnte Martina die Stimme ihrer Schwester hören, die sich offenbar an ihre Nichte richtete: „Gibst du mir jetzt das Telefon wieder?“ „Na-ein!“ „Anna, los jetzt“

 

„Jetzt weiß ich, wer von euch das Telefon hat, Anna.“ Martina wechselte das Handy von einer Hand zur nächsten.

 

„Zu spät, inzwischen habe ich mir das Handy zurückgeholt.“ Meike keuchte etwas, weil sie ihrer Tochter nachgelaufen war, um dieser das Handy wegzunehmen. Zu ihrem Glück war ihre Tochter nicht dazu gekommen, das Gespräch zu beenden oder eine andere Nummer zu wählen.

 

„Und hältst du es jetzt auch die ganze Zeit fest?“ Martina konnte sich nicht daran erinnern, dass auch sie früher so mit ihren Geschwistern um das Telefon gestritten hatte, wie es jetzt ihre Nichten taten.

 

„Klar, will ja nicht, dass eines der Kinder eine andere Nummer wählt. Und nun? Du hast immer noch nicht gesagt, was du heute vorhast.“ Meike beobachtete ihre Töchter beim Anziehen ihrer Jacken, weil sie diese noch vor dem Einkaufen bei deren Freundinnen absetzen wollte. Immerhin sollten ihre Töchter nicht mitbekommen, was sie ihnen schenken würde.

 

„Hab noch nichts konkretes geplant. Immerhin hat keiner der anderen Zeit.“ Dass Phillip ihr durchaus angeboten hatte, mitzukommen, verschwieg Martina bewusst. „Daher hast du mich ja auch geweckt.“

 

„Aber dennoch wirst du den Tag doch hoffentlich nicht alleine zu Hause verbringen, oder? Wenn das der Fall ist, komm lieber zu uns.“, bot Meike ihrer Schwester an.

 

„Feiert ihr mit euren Kindern nicht heute schon Weihnachten?“ Martina wollte heute an keiner Weihnachtsfeier teilnehmen, weshalb sie ihre Schwester vorsorglich fragte.

 

„Klar. Mein Mann sieht nicht ein, erst am 25. zu feiern. Außerdem gibt es für uns keinen Grund dazu. Du kannst es dir noch überlegen. Wenn ich nicht bald losfahre, bekomme ich nicht mehr alles. Aber ab eins bin ich wieder erreichbar. Wenn du doch noch dazukommen willst, kannst du ja kurz anrufen. Bis dann.“ Meike schaute auf die Uhr. Inzwischen war es wirklich spät genug, so dass sie befürchten musste, ins Gedränge zu geraten. Nicht nur die Supermärkte würden überfüllt sein, auch die Geschäfte für das Kinderspielzeug. Daher brachte sie das Gespräch mit ihrer Schwester schnell zu Ende.

 

„OK, bis dann.“ Martina war etwas überrascht über das plötzliche Gesprächsende. Sie hörte ein Tuten, das Anzeichen, dass ihre Schwester einfach aufgelegt hatte, ohne das dann abzuwarten. Sie ärgerte sich darüber. Erst wurde sie von ihr geweckt und dann legte sie einfach auf.

 

Der Ärger war groß genug, um die Hoffnung aufzugeben, wieder einschlafen zu können. Außerdem konnten noch weitere Anrufe am Vormittag folgen. Daher beschloss Martina, jetzt doch aufzustehen.

 

Nach dem Frühstück, dass ausnahmsweise aus Waffeln mit heißen Kirschen bestand, setzte sie sich mit ihrem Fotoalbum auf die Couch. Ihre Decke nahm sie mit, und ihr Handy lag in Reichweite, falls noch jemand anrufen würde.

 

Eingekuschelt und mit einem heißen Kakao vom Frühstück in Griffnähe auf dem Tisch öffnete sie das Fotoalbum und schaute sich die Bilder aus ihrer Kindheit an. Auf einigen der Bilder war sie zu klein, um sich an die jeweiligen Situationen erinnern zu können. Doch andere Begebenheiten kannte sie noch, auch wenn sie die Geburtstage und andere Feiertage durchaus durcheinanderbrachte.

 
 

******

 

Früher wusste Martina nicht, dass die meisten auch am 24. Weihnachten feiern. In ihrer Familie war dies anders geregelt. Dass ihre Familie diesbezüglich ein Sonderfall war, erfuhr sie in ihrem ersten Ausbildungsjahr. Denn erst dort kam sie mit anderen jungen Menschen zusammen, die sie nicht schon ihr Leben lang kannte.

 

Ihr Blick fiel auf ein Bild von ihrem fünften Geburtstag. Dass es sich dabei um ihren fünften Geburtstag handelte, las sie eher, als dass sie sich an diese Situation wirklich erinnern konnte. Einige der Kinder erkannte sie, bei anderen fiel ihr nicht einmal mehr der Name ein.

 

Damals startete ihr Geburtstag immer damit, dass sich die ganze Familie, natürlich mit Ausnahme des Geburtstagskindes selber, vor dem Kinderzimmer versammelte und singend eintrat. Meist brannten die Kerzen schon auf der Torte, die ihre Mutter mit ins Zimmer brachte, damit sich das jeweilige Geburtstagskind schon am Morgen etwas wünschen konnte.

 

Vormittags ging es meist auf dem Spielplatz. Nur wenige Kinder waren dort, weil es den meisten zu kalt war. Auch sie war immer dick eingepackt, mit Mütze und Schal. Ihr Stiefvater saß währenddessen auf der Bank, um alle drei Kinder im Auge behalten zu können. Dies war teilweise auch nötig, denn immerhin waren sie in verschiedenen Altersgruppen.

 

Ihre ältere Schwester hatte sich scheinbar mit ihrer besten Freundin verabredet. Oder war es Zufall, dass Isabel ebenfalls dort spielte? Auf jeden Fall sorgte dieser Umstand dafür, dass Meike sich mit ihrer Freundin beschäftigte, statt mit ihrer Schwester zu spielen.

 

Ihr kleiner Bruder hingegen war noch zu klein für viele der Spielgeräte. Während Martina versuchte, möglichst hoch zu schaukeln, und eigentlich von ihrem Vater angeschubst werden wollte, hielt er Maurice in dem Arm, während beide zusammen wippten.

 

Innerhalb des Spielplatzes durften die Kinder sich frei bewegen. Martina wechselte zwischen Schaukel und Rutsche hin und her. Immer wieder versuchte sie ihren Vater dazu zu bringen, dass er sich mit ihr beschäftigte. Ob er sie nun auffing, wenn sie die Rutsche herunterkam oder sie anschaukelte, war ihr dabei egal. Eigentlich nicht, ihr wäre es am liebsten, wenn er beides machen würde.

 

Aber leider beschäftigte dieser sich die ganze Zeit mit ihrem kleinen Bruder Maurice, der aktuell noch zu klein war, um alleine zu schaukeln oder zu wippen, und auch noch nicht in der Lage war, den Kreisel eigenhändig anzudrehen. An Klettern war mit seinen zwei Jahren erst recht nicht zu denken.

 

Wenn der Kleine mit der Hand auf eines der Objekte zeigte, folgte der Blick seines Vaters dem Fingerzeig des Kindes. Dann ging er mit dem Kleinen auf das entsprechende Spielgerät und hielt Maurice weiterhin im Arm, während er gemeinsam mit ihm wippte, schaukelte oder sich im Kreis drehte.

 

Für seine beiden Töchter hatte er erst Zeit, als Maurice etwas im Sand bauen wollte. Dann kam er dazu, auch Martina auf der Schaukel anzuschubsen, die immer höher hinauswollte.

 

Maurice genoss die Zeit mit seinem Vater, während Martina fand, dass ihr als Geburtstagskind mehr Zeit mit ihm zustand, als ihr kleiner Bruder oder ihr Vater ihr offenbar gewähren wollte. Meike hingegen interessierte der Vaterzeit-Wettkampf der Geschwister nicht. Sie spielte ohnehin die meiste Zeit mit ihrer Freundin Isabel außerhalb seines Sichtbereiches.

 

Als sie am späten Mittag nach Hause kamen, hatte ihre Mutter schon die von Martina gewünschten Spagetti Bolognese zubereitet. Es war in der Familie eine kleine Tradition, dass das Geburtstagskind das Mittagsessen aussuchte, sobald es in der Lage war, das entsprechende Mahl auch zu benennen.

 

Auch wenn es sonst üblich war, dass die Kinder sich nach dem Spielen draußen und vor dem Essen umzogen, verzichteten sie dieses mal darauf. Beim Drehen der Spagetti würden die Kinder ohnehin eine Sauerei veranstalten. Den beiden kleineren Kindern traute ihre Mutter es einfach noch nicht zu, beim Essen sauber zu bleiben.

 

Und Florentines Ahnung wurde bestätigt. Martina spritzte mit ihren Übermut beim Spagetti-Drehen nicht nur sich selbst mit der Bolognese-Sauce voll, sondern auch ihre anderen Familienmitglieder. Und Maurice fand dieses Bild so klasse, dass er ihr dies sofort nachmachen wollte. So wurde nicht nur die Sauce, sondern auch die Nudeln durch den Raum verteilt.

 

Am frühen Nachmittag klingelte es. Die Kinder waren inzwischen umgezogen, und die Spagetti-Spuren aus der Küche sowie alle zerbrechlichen Gegenstände aus dem Wohnzimmer entfernt. Platz gemacht hatten die Vasen, Blumentöpfe und der Fernseher für Sitzkissen, eine Piñata und diverse andere Sachen, die sich auf die gleich folgende Kindergeburtstagsfeier bezogen.

 

Innerhalb einer halben Stunde klingelte es noch mehrfach. Die Eltern der kleinen Partygäste verabredeten mit Florentine eine Abholzeit zwischen halb sieben und sieben Uhr abends. Die halbe Kindergartengruppe und zwei von den Nachbarskindern wurden zu Martinas Geburtstagsfeier gefahren oder gebracht.

 

Martina durfte elf Kinder einladen, weil es keinen Platz für weitere Personen in deren Wohnzimmer gab. Sie hatte sich für Semra und Jacky aus der Nachbarschaft entschieden, und für Benny, Verena, Julia, Ines, Britta, Emil, René, Vanessa und Sarah aus der Kindergartengruppe. Dies waren die Kinder, mit denen sie auch in dieser Gruppe meist spielte.

 

Da Semra und Jacky, die eigentlich Jaqueline hieß, die Kinder aus der Kindergartengruppe nicht kannten, beschloss Martinas Mutter Florentine, mit den Kindern einen Kreis zu bilden und einen Ball in die Mitte zu werfen. Derjenige, der den Ball fing, sollte kurz seinen Namen sagen mit der Frage, und wer bist du? Dann sollte der Ball an das nächste Kind abgegeben werden, ob nun der Reihe nach oder quer durch den Raum war die Entscheidung des jeweiligen Kindes.

 

Nach nicht einmal fünf Minuten änderte Florentine die Spielregeln. Jetzt sollten die Kinder auch ihr Lieblingstier nennen, dann ihr Lieblingsessen, und dann fand Florentine, dass die Kinder sich gut genug kannten, um ohne Kennenlernspiele auszukommen.

 

Florentine stellte ein paar Stühle in der Mitte des Raumes auf, alle mit dem Rücken in den Kreis hinein. Sie hatte ein paar Spiele rausgesucht, die sie die Kinder gemeinsam spielen lassen würde. Dabei sollten die aktiven Spiele sich mit den passiven abwechseln.

 

Das erste war Reise nach Jerusalem, bei dem die Kinder um einen Stuhlkreis liefen. Florentine als Spielleiterin startete ihren CD-Player mit dem Titelsong der Fernsehserie Biene Maya. Die Kinder liefen um die Stühle herum. Jacky wechselte immer zwischen denselben zwei Stühlen hin und her. Verena pflanzte sich beinahe schon auf den nächstliegenden Stuhl, auch wenn die Musik noch weiterlief und sie sich daher weiter bewegen musste.

 

Bei dem Text „weit und“ stoppte sie den CD-Player. Alle versuchten, einen Stuhl zu ergattern. Verena ließ sich einfach auf einen Stuhl fallen. Und während Benny und René um denselben Stuhl kämpften, hatten die anderen bereits einen gefunden. Da René stärker war, drängte er Benny von dem Stuhl runter. Benny war damit in der ersten Runde raus geflogen.

 

Florentine startete die Wiedergabe des Liedes. Sie ließ den Refrain erklingen, ohne diesen zu stoppen. Die Kinder blieben ihre Taktik beim Ablaufen der Stühle treu. Irgendwie schaffte Verena es, sich halb im Sitzen weiter fortzubewegen. So ergatterte sie beim nächsten Stopp, der Anfang der zweiten Strophe kam, locker einen Stuhl.

 

Bei diesem Stopp kämpften sowohl Semra und Vanessa, wie auch Britta und Ines um einen Stuhl. Dass noch ein weiterer Stuhl frei war, sah keines der vier Mädchen. Solange nicht, bis Jacky anfing zu lachen. Denn es war ihr Nachbarsitz, der noch frei war. Durch das Lachen bemerkten es auch die anderen vier. Vanessa stürzte zu dem freien Platz, womit Semra sich ebenfalls schnell setzen konnte. Britta überlegte kurz, ob auch sie den Kampf um den anderen Stuhl aufnehmen wollte, doch Vanessa hatte eineinhalb Stühle Vorsprung. Kurz durch diese Überlegungen abgelenkt gewann Ines den Kampf um den Stuhl.

 

So flogen mehrere Kinder in mehreren Runden und verschiedenen Liedern raus, weil ein Lied natürlich nicht reichte, bis nur noch Julia und Verena übrig waren. Das Geburtstagskind Martina war vor zwei Runden rausgeflogen. Gemeinsam schauten die Kinder zu, wie die letzten beiden um den Stuhl kreisten.

 

Bei Verenas teilweise kunstvollen Sitzversuchen mussten sie alle lachen, als sie es beinahe nicht mehr schaffte, auf den Beinen zu bleiben, und sie den Stuhl fast zu Boden riss. Florentine wartete noch, bis der Stuhl nicht mehr wackelte, und beide ähnlich weit von den Sitzfläche entfernt waren. Dann stoppte sie das Lied. Verena versuchte, sich nach vorne fallen zu lassen. Julia ließ sich nach hinten fallen. Diese Taktik hatte sie sich von ihrer Konkurrentin abgeschaut.

 

Beide saßen nun auf dem Stuhl. Beide versuchten, die andere mit dem eigenen Hintern wegzudrängen. Etwa eine Minute lang schaute Florentine sich diese Situation an, bis sie entschied, Julia als Siegerin zu verkünden. Immerhin hatte diese sich die größere Sitzfläche erkämpft.

 

Es folgten noch vier weitere Runden Reise nach Jerusalem. Beim zweiten Mal schaffte Verena es mit ihrer Taktik, alle anderen zu schlagen. Auch Vanessa, Semra und Benny, die in der ersten Runde raus geflogen war, schaffte es, einen Durchlauf zu gewinnen.

 

Als sie nach dem fünften Durchlauf die Stühle wieder aufstellten, befanden sich die Rückenlehnen außerhalb des Kreises, so dass die sitzenden Kinder sich gegenseitig anschauen konnten.

 

Bevor die Kinder sich in dem Kreis setzten, nahmen sie sich etwas zu trinken. Florentine erklärte ihnen das nächste Spiel: „Nun, dass, was jetzt kommt, habt ihr bestimmt schon einmal gespielt. Ihr steht oder sitzt alle im Kreis. Einer sagt dem Nachbarn etwas ins Ohr. Und derjenige, der etwas ins Ohr geflüstert bekommen hat, flüstert dies dem anderen Nachbarn ins Ohr. Der Text geht dann so lange im Kreis, bis ...“

 

„Wie kann denn ein Text im Kreis gehen?“ Jackys Gesichtsausdruck bildete ein extragroßes Fragezeichen, größer, als es angebracht gewesen wäre.

 

„Der Text selber dreht sich nicht im Kreis. Ihr gebt es innerhalb des Kreises weiter. Es ist so, als wenn du eine Tafel Schokolade dem Nachbarn gibst, und diese wieder bei dir ankommt, weil auch dein Nachbar die Schokolade weitergibt.“ Eigentlich hätte Florentine wissen müssen, dass Kinder manche Sätze sehr wörtlich nahmen. Immerhin hatte sie selbst so ein Exemplar auf die Welt gebracht. Aber bei der Erklärung des Spiels dachte sie nicht daran.

 

Bei dem Wort Schokolade wurden alle Kinder hellhörig. Grinsend schauten diese die einzige Erwachsene innerhalb des Raumes an. Florentine legte ihren Kopf schief und sah die Kleinen an. Die Kinder grinsten weiter, bis eine von ihnen meinte: „War da nicht was von Schokolade?“ Wobei die Vokale sehr lang gezogen wurden.

 

„Gibt es nach dem übernächsten Spiel. Versprochen.“ Florentine wusste ja, was sie sonst noch für die Geburtstagsfeier ihrer Tochter geplant hatte. Nach einigen weiteren Versicherungen, dass auch gleich Schokolade verteilt werden würde, setzte sie wieder bei der Erklärung des nächsten Spieles an. „Wenn der Text die Runde gemacht hat, sagt der Letzte den Text laut auf, und derjenige, der den Satz ursprünglich gesagt hat, ebenfalls. Dann können wir sehen, wie sehr sich der Satz innerhalb der Runde verändert hat. Dabei ist es ungemein wichtig, dass jeder wirklich genau das den anderen mitteilt, was er verstanden hat.“

 

Als Geburtstagskind war Martina dran, sich den ersten Satz auszudenken. Sie flüsterte in Vanessas Ohr: „Ein kleiner roter Elefant läuft durch den Zoo.“

 

„Ein kleiner rot Herr Elefant läuft durch den Zoo.“, gab Vanessa den verstandenen Satz weiter.

 

„Ein klein Erroterter Elefant läuft durch den Zoo.“, versuchte René den Satz zu wiederholen.

 

„Ein kein erotischer Elefant läuft durch mich zu.“ Den ersten Teil des Satzes hatte Benny zwar nicht falsch verstanden, konnte sich aber keinen Reim daraus machen. Die einzigen Wörter, die annähernd passten, waren erröteter und erotischer, auch wenn sie beim zweiten Wort nur wusste, dass es irgendwie versaut war. Und versaute Wörter waren lustiger, weshalb sie sich bei der Weitergabe des Satzes für dieses Wort entschied.

 

„Ein fein erotischer Elefant läuft auf mich zu.“, wurde der Satz von Julia aufgefasst.

 

„Ein rein erotischer Elefant läuft auf mich zu.“, schlich sich die nächste Änderung des Satzes bei Semra ein.

 

„Ein rein erotischer Elefant säuft auf mich zu.“ Britta war sich sicher, nicht alles richtig verstanden zu haben. Denn diesen Satz konnte sie sich nicht vorstellen.

 

„An rein erotischer Elefant säuft auf mich zu?“ Emils Betonung des Satzes glich eher einer Frage.

 

„An Lein erotischer Elefant säuft auf mich zu?“, gab auch Verena eine Frage anstelle eines Satzes weiter, ohne größer über die Bedeutungen nachzudenken.

 

„An ein erotischer Infant säuft auf mich zu?“, baute Ines gleich zwei Unterschiede in den Satz ein.

 

„An fein erotischer Infant säuft auf mich zu?“ Bei einem Teil der Wörter kannte Jacky nicht einmal die Bedeutung, aber dies war das, was sie verstanden hatte.

 

„An mein erotischer Infant säuft auf mich Zug?“, verkündete Sarah laut und voller Stolz den verstandenen Satz.

 

Florentine fragte sich, wo genau der „erotische Infant“ hergekommen war, nachdem ihre Tochter den ursprünglichen Satz nannte. Alle fingen an zu lachen, auch wenn, oder gerade weil keiner den Satz richtig verstanden hatte. Und weil der Satz, der am Ende der Runde raus gekommen war, so gar nichts mehr mit dem Originalsatz zu tun hatte. Auch war die Vorstellung eines saufenden Zuges einfach zu komisch.

 

Sie spielten noch einige weitere Runden. Aus „Ein Riesenberg Schokolade liegt auf dem Tisch.“ wurde „Ein fieser Berg Schokokacke fliegt auf mich.“, „Brummige Bären im Wald angeln arglose Fische“ änderte sich in „Bummelige Beeren in Kalt angeln ratlose Frische.“. Der komplizierteste Anfangssatz „Große weiße Mäuse tanzen meiner Katze scheinbar auf der Nase herum.“ verwandelte sich in einen Satz mit deutlich mehr Tieren „Lose Meise Läuse tanzen meiner Katze Schwein Bar auf der Vase um.“

 

Jedes der Kinder durfte sich einen Satz ausdenken, der innerhalb der Runde weitergegeben wurde. Sie stellten fest, dass keines der Sätze dem Originalsatz glich, auch wenn nicht alle Ergebnissätze lustige Bilder im Kopf erzeugten.

 

Florentine räumte die Stühle zur Seite, um Platz für das nächste Spiel zu schaffen. Es war wichtig, dass es nichts mehr in dem Raum gab, an dem man sich Stoßen konnte. Um selbst für die Vorbereitungen genug Platz zu haben, schickte sie die Kinder zur Toilette, damit diese nicht während des nächsten Spiels mussten.

 

Sie holte einen kleinen Tritthocker aus dem Schrank, wie auch eine kleine Piñata. Diese band sie an dem Haken, an dem sonst die Lampe hing. Die Lampe selber baute sie zuvor ab. Denn auch die Lampe war ein zerbrechlicher Gegenstand, der bestenfalls nicht von den Kindern zerschlagen wurde.

 

Als Florentine die Tür wieder öffnete und die Kinder erneut in das Wohnzimmer eintreten ließ, konnten alle das Einhorn mitten im Raum betrachten. Sie verband ihrer Tochter Martina die Augen, und drehte diese mehrfach um die eigene Achse, so dass diese nicht mehr in der Lage war, sich im Wohnzimmer zu orientieren. Anschließend gab sie ihr einen nicht allzu stabilen Gummiknüppel, mit dem Martina das Einhorn zerschlagen sollte. Um zu verhindern, dass sie eines der Kinder verletzte, war dieser in Schaumstoff gehüllt.

 

Ihre Freunde sollten ihr die Position des Einhorns so beschreiben, dass Martina in der Lage war, den Inhalt des Einhorns auf alle zu verteilen. Alle stellten sich im Kreis um Martina. Als sie mit den Richtungsbeschreibungen begannen, mussten sie feststellen, dass alle Martina in unterschiedliche Richtungen verwiesen.

 

Nachdem Florentine damit stoppte, Martina im Kreis zu drehen, befand das Einhorn sich hinter ihrer Tochter. Semra rief „Rechts“, Emil rief „Links“. Einige schlossen sich Semra an, während andere Emil unterstützten.

 

Martina wusste daher nicht, in welche Richtung sie sich bewegen musste. Sie drehte sich immer wieder von rechts nach links, von links nach rechts, so dass sie am Ende wieder an der Anfangsposition stand. Nur wusste sie es nicht aufgrund der verbundenen Augen.

 

Nachdem Martina aufgrund der vielen Drehungen auf den Hintern gefallen war, erkannten die Kinder, dass es nichts brachte, wenn alle durcheinander redeten. Jeder von ihnen wollte den anderen den Vortritt lassen, weshalb es für kurze Zeit recht still wurde. Zumindest hatte Martina aufgrund dessen die Gelegenheit, wieder aufzustehen, auch wenn die Augenbinde auch dabei eher hinderlich war.

 

„Und, wo lang jetzt?“, fragte Martina, als sie wieder auf ihren Beinen stand und die anderen immer noch keine Richtungsangaben machten. Sie beschloss, eine ihrer Freundinnen explizit anzusprechen: „Ines?“

 

„Umdrehen nach Rechts.“, gab Ines vor.

 

Martina war noch etwas wackelig auf den Beinen. Und da sie rechts und links nicht so gut unterscheiden konnte, drehte sie sich zuerst nach links. Doch keiner der anderen korrigierte sie.

 

„Weiter“, sagte Ines, und wiederholte dieses Wort so oft, bis Martina sich halb umgedreht hatte. Erst dann kam das „Stopp.“

 

„Drei Schritte nach vorne.“, schätze Emil die Entfernung ein.

 

„Wohl eher zwei Schritte.“, mischte sich Vanessa ein.

 

„Also Martina, erst einmal zwei Schritte laufen.“, meinte dann auch Semra. Die anderen hielten sich weiterhin zurück.

 

Martina ging zwei Schritte nach vorne. Die Schritte waren deutlich kleiner, als alle vorher geschätzt hatten, weil sie sich aufgrund der fehlenden Sicht nicht traute, normale Schritte zu machen.

 

„Noch ein Schritt“, sagte Verena. Martina ging noch einen kleinen Schritt vorwärts.

 

„Noch zwei Schritte.“, meinte nun auch Emil, nachdem er gesehen hatte, wie klein Martinas Schritte waren.

 

Martina fragte sich, wie viele Schritte dies wohl noch werden würden, weshalb sie beschloss, etwas mutiger zu werden und ihre Schritte vergrößerte. Nun befand sie sich aber nicht mehr hinter dem Einhorn, sondern leicht vor diesem.

 

Die Kinder erkannten, dass es wenig bringen würde, Martina einfach nur zum Umdrehen zu bewegen. Sie hatten aber auch keine bessere Idee.

 

„Ein Schritt nach zwei Uhr.“, versuchte nun Julia ihr Glück mit dem Dirigieren von Martinas Schritten.

 

„Wie, nach zwei Uhr? Wie kann man Schritte nach Uhren machen?“, fragte Martina verwirrt.

 

„Na, ganz einfach. Stell dir eine Uhr vor, und du bist auf der Position, wo die Zeiger anfangen. Und dann machst du einen Schritt dahin, wo die Zwei wäre.“, erklärte René.

 

Martina ging einen Schritt nach vorne rechts. Allerdings glich die Richtung eher halb zwei als zwei Uhr.

 

„Umdrehen nach 9 Uhr.“ Benny fand die Idee mit der Uhrzeitangabe richtig gut, und versuchte es deshalb ebenso mit dieser Variante.

 

Martina drehte sich um. Dieses Mal konnte sie die Drehung besser einschätzen.

 

„Ein kleiner Schritt geradeaus.“, setzte Benny ihre Führung fort.

 

„Wie klein?“, fragte Martina, die nicht mehr ständig hin und herlaufen wollte.

 

„Eine Fußlänge dazwischen?“ Benny war etwas unsicher bei der Antwort, weshalb diese eher nach einer Frage klang.

 

Martina stellte ihren rechten Fuß direkt vor dem Linken, so nah, dass ihre Ferse ihre Fußspitzen berührte. Dann hob sie den linken Fuß hoch, und stellte diesen direkt vor dem Rechten ab. Damit sollte die Entfernung zu ihrer vorherigen Position genau eine Fußlänge betragen.

 

„Noch einmal umdrehen auf 9 Uhr.“, schlug Vanessa vor. Martina drehte sich wieder um.

 

„Und jetzt einen kleinen Schritt nach vorne.“, sagte Jacky, und wartete, bis Martina diesen Schritt getan hatte, bevor sie weitersprach: „Und jetzt stehst du genau davor.“

 

Martina nahm den Gummiknüppel, hob ihn hoch und schlug zu. Der Schlag ging ins Leere. Sie verfehlte das Einhorn um wenige Zentimeter. Die Kinder um sie herum redeten durcheinander, als sie ihr sagen wollten, dass sie etwas mehr nach links schlagen musste.

 

Einige Versuche später ermittelte sie die Position des Einhorns. Dann schlug sie so fest sie konnte auf das Einhorn ein. Die anderen Kinder feuerten sie an. Eines der Schläge, das, was das Einhorn zum Platzen brachte, war so fest, dass der Knüppel Martina aus der Hand flog. Erschrocken sprangen sowohl René, wie auch Benny zur Seite, weg von der Flugbahn des Knüppels, welcher von der Wand abprallte und zu Boden fiel.

 

Es regnete Bonbons. Sowohl Sahnebonbons, wie auch Kaubonbons oder Schokoladenstückchen, fielen auf den Boden. Die Kinder versuchten, einen Teil aufzufangen, bevor diese den Boden berührten. Aber nur Julia gelang es.

 

Nachdem Martina etwas ihre Schultern streifen spürte, beschloss sie, den Schal abzunehmen. Vor ihr verteilt sah sie die Bonbons, neben sich ein Bein von dem Einhorn, nahe der Wand den Gummiknüppel, über sich noch den Kopf und den größten Teil des Körpers. Die drei anderen Beine befanden sich weiter vorne auf dem Boden.

 

Die Kinder gingen in die Hocke, um möglichst viele Bonbons aufsammeln zu können. Florentine hatte für jedes der Kinder ungefähr zwei Hände voll Süßigkeiten geplant, und diese Menge auch mit den anderen Eltern abgesprochen. Immerhin würden die Kinder später am Abend noch einmal Nachtisch bekommen.

 

Nachdem die Kinder die Süßigkeiten aufgesammelt hatten, bauten Florentine und ihr Mann Paul eine kleine Kasperletheater-Bühne auf. Die Reste des Piñata-Einhorns würde sie später von der Decke holen. Die Kinder setzten sich vor die Bühne, die beiden Erwachsenen knieten dahinter und zogen ihren Händen verschiedene Socken an, welche verschiedene Personen darstellen sollten.

 

Eine grüne Socke stellte Kroko dar, ein kleines Krokodil, eine schwarze Socke das Rabenmädchen Rabia. Die Namen waren zugegebenermaßen recht einfach gehalten, aber Florentine ging davon aus, dass dies den Kindern gefiel. Bei diesem Stück übernahm Florentine die weiblichen Rollen, während ihr Mann Paul die männlichen Rollen sprach.

 

Die Bühne stellte einen Strand mit Meer dar, im Hintergrund sah man ein paar Palmen. Die grüne Socke schaute aus dem Wasser empor, und drehte sich zu den Kindern um.

 

„Hallo Kinder, ich bin Kroko. Ich suche einen Hasen, oder etwas anderes zum Fressen. Habt ihr einen gesehen?“ Paul gab dem Krokodil eine langsame und sehr tiefe Stimme. Immer mal wieder ließ er ein Grummeln zwischen den Worten ertönen.

 

„Nein“, riefen die Kinder einstimmig.

 

„Und wir würden dir auch nichts sagen, wenn wir ein Häschen gesehen hätten.“, ergänzte Julia frech.

 

„Boah, seid ihr gemein.“ Ein Grummeln ertönte. „Habt ihr gehört, was für einen Hunger ich habe.“

 

„Keinen Grund, ein Häschen zu jagen.“, stieg auch Emil in das Gespräch mit ein.

 

Eine weitere Socke, diesmal eine weiße mit zwei Löchern, tauchte auf der Bühne auf. Zwei Finger sprießten aus den Löchern. Diese Socke schaute sich kurz um. Als sie das Krokodil erblickte, versteckte sie sich hinter einer der Palmen.

 

Auf einer der Palmen, einer anderen als die, hinter der sich die weiße Socke versteckte, zeigte sich eine schwarze Socke und lachte. Das Lachen klang mädchenhaft.

 

„Hallo Kinder, ich bin das Rabenmädchen Rabia. Wollen wir zusammen das Krokodil ein bisschen ärgern?“ Die schwarze Socke richtete ihren Blick auf die Kinder.

 

Diesmal antworteten die Kinder einstimmig mit: „Ja“ Die Kleinen machten sich keine Gedanken darüber, dass es Kroko wehtun könnte, wenn sie ihn ärgerten. Ihnen war nur klar, dass Kroko in diesem Stück der Böse war.

 

Kroko und Rabia verließen die Bühne, während die weiße Socke wieder zum Vorschein kam. Auch diese stellte sich, wenn auch verspätet, den Kindern vor: „Hallo Kinder, ich bin Bunny, ein kleines Hasenmädchen.“

 

„Hallo Bunny.“, kam es von den Kindern.

 

„Danke, dass ihr Kroko nicht verraten habt, als ich aufgetaucht bin. Werdet ihr mich auch weiterhin vor ihm verbergen? Und werdet ihr mich vor ihm beschützen?“ Die Hasenohren, dargestellt von Florentines Fingern, wackelten hin und her.

 

„Aber klar doch.“, antworteten die Kinder wieder im Chor.

 

Die Hasensocke verbeugte sich von den Kindern, und suchte nun ebenfalls nach etwas Essbaren. Sie fand etwas, zog es heraus und murmelte: „Ah, ein Möhrchen.“, bevor die Möhre in der Socke verschwand.

 

Das Grün der Möhre war noch sichtbar, als etwas anderes, ebenfalls grün, wieder auftauchte. Kroko schaute sich demonstrativ um.

 

„Achtung, Bunny, Kroko in Sicht.“, riefen einige Kinder wild durcheinander.

 

Auch Bunny begann, sich hektisch umzusehen. Dann sah sie, wo die Kinder hinzeigten, und schaute zu dem Meer hinaus. Erschrocken hoppelte die Hasensocke wieder hinter die Palme.

 

„Ah, verpasst! Verpasst! Du hast das Häschen verpasst!“, trällerte die schwarze Socke Rabia Kroko entgegen. Die Kinder lachten. Einige der Kinder zeigten sogar auf Kroko, damit er erkennen konnte, dass er explizit ausgelacht wurde.

 

Grummelnd zog Kroko sich zurück. „Ich werde schon noch meine Chance bekommen.“

 

Rabia flog lachend von einem Ast zum anderen. „Wirst du nicht! Wirst du nicht!“

 

Die Kinder stimmten in das „Wirst du nicht“ mit ein.

 

Als das Krokodil nicht mehr zu sehen war, traute der Hase sich wieder in den Vordergrund. Fröhlich hüpfte Bunny zwischen den Palmen hindurch. Auch sie wiederholte die Wörter „Wirst du nicht“.

 

Nach einiger Zeit ebbte das „Wirst du nicht“ wieder ab. Die Hasensocke schaute sich um. Irgendein Gedanke machte sie nervös, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was es war. Doch dann kam sie drauf.

 

Bunny schaute sich nach Rabia um. Zwar waren Raben auch eher Jäger als Beute, aber deren Beute war kleinerer Natur.

 

„Hey Rabia.“, rief Bunny daher nach oben. „Hilfst du mir, Kroko von hier fernzuhalten?“

 

„Wie willst du ihn denn fernhalten?“ Rabia flog zu der Palme, die näher an der Häsin lag.

 

„Bin mir noch nicht sicher. Aber zusammen werden wir es schon irgendwie schaffen.“, erklärte die Hasensocke hoffnungsvoll.

 

„Ein Hase und ein Rabe gegen ein Krokodil. Ha! Na dann viel Glück.“, lachte Rabia: „Ich kann zwar einfach weg fliegen, bin aber definitiv zu klein, um wirklich etwas gegen Kroko zu unternehmen.“

 

„Da hast du recht.“ Bunny konnte dagegen nichts sagen. Beide, sowohl Hase wie auch Rabe, steckten ihre Köpfe zusammen. Dann sagte Bunny: „Wir brauchen noch jemanden auf unserer Seite, jemand größeres.“

 

Etwas graues tauchte an dem Rand auf, verfolgt von einem Krokodil. Die graue Socke verschwand immer wieder unter Wasser. Und wenn sie die Wasseroberfläche erreichte, rief sie um Hilfe.

 

„Der Graue ist jemand größeres.“, meinte Rabia, als sie sich wieder in die Lüfte erhob und dem Krokodil näherte. Sie flog so nah an das Krokodil heran, dass er sie fast greifen konnte. Aber eben nur fast, denn er versuchte es einige Male und schnappte dabei nur Luft. Dann verschwand das Krokodil von der Bildfläche.

 

„Danke für eure Hilfe. Er hätte mich fast erwischt, wenn du nicht gekommen wärst. Ich bin übrigens Flippy.“, stellte sich der junge Delfin vor.

 

Nun hatten der Rabe und der Hase einen Dritten im Bunde. Gemeinsam tüftelten sie einen Plan aus, um das Krokodil von diesem Strand zu vertreiben. Als das Krokodil das nächste Mal auftauchte, versteckten die drei sich. Sie warteten, bis das Krokodil an Land ging.

 

Dann stürmten sie von allen Seiten auf das Krokodil zu. Der Delfin schnitt ihm den Weg zum See ab. Rabia segelte zu seinem Kopf, wobei sie darauf achtete, nicht zu nah an seine Schnauze zu fliegen. Auch Bunny stürzte sich auf ihn, allerdings eher von hinten.

 

Gemeinsam kloppten die drei Tiere auf das Krokodil ein. Dieser hatte keine Chance, auch wenn er bei einem Kampf eins gegen eins deutlich überlegen gewesen wäre. Aber die Drei hatten sich gut genug abgesprochen. Rabia und Bunny sprangen auf seinem Maul herum. Flippy schlug permanent mit der Flosse gegen seinen Schwanz. Sie ließen erst von ihm ab, als er versprach, nie wieder in diese Gegend zu kommen.

 

Die drei Verbündeten sorgten dafür, dass dem Krokodil nichts anderes übrig blieb, als sich zu verziehen. Zwischenzeitlich tauchten auch andere Tiere am Strand auf und sahen der Niederlage des Krokodils zu. Als das Krokodil weg war, jubelten die anderen Tiere, und der Vorhang schloss sich.

 

Es war inzwischen kurz nach sechs, so dass die Kinder nach und nach abgeholt wurden. Meike sollte auf ihre kleinen Geschwister aufpassen, während ihre Mutter das Abendessen für alle vorbereitete. Mit alle war nicht nur die Kernfamilie gemeint, sondern auch zwei Tanten und ein Onkel inklusive zwei Cousins.

 

Von dem Abendessen wusste Martina nicht mehr allzu viel. Sie wusste nur noch, dass die Schwester ihrer Mutter bereits ankam, noch bevor alle Kinder abgeholt wurden, weshalb es ein Foto von ihr mit Tante Nicki gab, auf dem auch Julia und Jacky zu sehen waren.

Ein Geburtstag ganz alleine?

Der Kakao war inzwischen abgekühlt und nur zur Hälfte ausgetrunken, nachdem Martina ihren fünften Geburtstag Revue passieren ließ. Sie war erstaunt darüber, wie viele Einzelheiten sie entweder noch selber wusste, oder durch die Penibilität ihrer Mutter beim Zusammenstellen des Fotoalbums erfuhr. Die Sätze während des Stille Post Spieles hätte sie nie wieder zusammenbekommen. Offenbar hatte ihre Mutter damals die lustigsten Sätze aufgeschrieben.

 

Sie merkte, dass sie kurz davor war, wieder einzuschlafen, weshalb sie das Fotoalbum zur Seite legte. Dann kuschelte sie sich wirklich in die Decke und schlief ein.

 

Dieses Mal wurde sie von selber wieder wach, ohne dass ein Handy klingelte oder der Wecker. Sie wollte nicht die ganze Zeit in Erinnerungen schwelgen, dafür fühlte sie doch noch viel zu jung. Auch wenn sie mit niemanden verabredet war, zog sie sich an und ging nach draußen. Sie wollte etwas spazieren gehen. Vermutlich würde dies sie ein wenig ablenken.

 

Auf dem Weg in den Park kam sie an sehr vielen geschmückten Häusern vorbei. In den meisten Vorgärten gab es mindestens einen Baum, an dem eine Lichterkette angebracht war. Andere hatten zusätzlich Rentiere und einen Schlitten aufgestellt.

 

Im Park allerdings trug kein Baum irgendwelche Lichterketten. Wie denn auch, ohne Stromversorgung. Martina lief die einzelnen Wege entlang. Sie hatte den Eindruck, als wenn sie die einzige Person hier wäre. Sie sah niemanden, keine Kinder, keine anderen Spaziergänger, nicht einmal jemand, der mit seinem Hund Gassi ging. Offenbar waren alle anderen noch mit den Weihnachtseinkäufen beschäftigt.

 

„Schon irgendwie seltsam. In der Kleinstadt früher waren zumindest ein paar Leute im Park unterwegs, und hier, in einer Großstadt, sehe ich keinen einzigen außerhalb der Einkaufsmeile.“, sprach Martina ihre Gedanken aus, da sie ja ohnehin alleine war.

 

„Bist du dir sicher, dass niemand außerhalb der Einkaufsmeile unterwegs ist?“ Diese Frage, gestellt von einer fremden Stimme, veranlasste Martina dazu, sich umzudrehen. Sie wollte sicherstellen, dass ihre Gedanken ihr keinen Streich spielten. Und tatsächlich stand eine Frau vor ihr, welche etwas älter zu sein schien als sie selber.

 

„War ich eigentlich. Bis du meine Gedanken unterbrochen hast.“ Martina duzte die Frau, so wie sie von dieser geduzt worden war. Eine Golden Retriever-Hündin näherte sich Martinas Bein und begann, an diesem zu schnüffeln. „Was machst du denn da?“ Dem Blick der Leine folgend stellte sie fest, dass die Hündin wohl zu der Frau gehörte.

 

„Cora, dass das!“ Die Frau zog ihre Hündin von Martina weg.

 

„Ist schon gut.“ Martina hatte nichts gegen Hunde. Nun ja, solange diese sie nicht vollsabberten, wenn sie mit ihren guten Klamotten unterwegs war. Heute allerdings war dies nicht der Fall. Daher machte es ihr auch nichts aus, dass Cora an ihr schnüffelte. Sie bückte sich, hielt Cora die Hand hin, damit diese Martinas Geruch einordnen konnte, bevor sie ihr über den Rücken streichelte. Cora freute sich so sehr über die zusätzlichen Streicheleinheiten, dass sie mit dem Schwanz wedelte.

 

„Ich finde es aber auch erstaunlich, dass kaum jemand hier ist.“, sagte die fremde Frau.

 

„Sind denn sonst mehr Leute um diese Zeit hier?“ Martina schaute auf die nächstgelegene Kirchenuhr. Es war bereits dreizehn Uhr, also durchaus noch die Zeit, in der die Geschäfte geöffnet hatten.

 

„Ja, die meisten Hunde gehen immer zur selben Zeit raus, auch oft dieselbe Runde. Deshalb treffen wir auch immer wieder mal dieselben Personen. Und die Hunde kennen sich dann auch schon. Das macht es leichter, abschätzen zu können, wie der eigene Hund auf die anderen reagiert.“, erklärte die fremde Frau. „Aber heute scheinen wirklich alle anderweitig unterwegs zu sein.“

 

„Nun ja, die nächsten zwei Tage sind die Geschäfte geschlossen, und danach versuchen die meisten, unliebsame Geschenke umzutauschen. Klar, dass alle jetzt einkaufen.“, zählte Martina auf.

 

„Außer uns beiden.“, lachte die Fremde.

 

„Ja, außer uns beiden.“, stieg Martina in das Lachen mit ein.

 

Dann interessierte Cora sich nicht mehr für weitere Streicheleinheiten. Sie lief zu einem Strauch, an dem sie kurz zuvor eine Bewegung wahrgenommen hatte. Auch dem Frauchen blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls in die Nähe des Strauchs zu wandern.

 

„Dann noch viel Spaß beim Gassi gehen. Und frohe Weihnachten.“, wünschte Martina der Fremden. Sie überlegte kurz, ob sie mit ihr gehen sollte, doch andererseits wollte sie sich nicht aufdrängen.

 

„Dir auch frohe Weihnachten.“, antwortete diese, während sie ihrer Hündin zu dem Strauch folgte.

 

Martina ging weiter in den Park hinein. Sie wusste nun, dass sie nicht alleine im Park war. Die Begegnung mit der Fremden fand sie recht angenehm. Sie war so ungezwungen, keine der beiden hat etwas von der anderen erwartet. Im Nachhinein hingegen bedauerte sie, dass sie die Fremde nicht nach ihren Namen gefragt hatte. Aber dies konnte sie ja noch nachholen, wenn die Frau wirklich regelmäßig um diese Zeit hier spazieren ging.

 

Das Klingeln ihres Handys begann, die natürliche Geräuschkulisse zu durchbrechen. Während Martina das Telefon in die Hand nahm, um nachzusehen, wer sie aktuell anrief, schaute sie sich nach der nächstliegenden Bank um. Nicht einmal drei Meter entfernt stand eine, und da kaum jemand im Park unterwegs war, war die Bank auch gerade frei. Sie lief auf die Bank zu und setzte sich, als sie das Gespräch annahm.

 

„Herzlichen Glückwunsch, Tina“, sagte Yasmin, nachdem sie die Annahme des Gespräches gehört hatte. Sie nutzte ihre Pause, um ihrer Freundin zu gratulieren. „Was machst du gerade?“

 

„Hi Yasmin, gerade Pause?“, quatschte Martina dazwischen, so dass sie den zweiten Satz nicht mehr hörte. Sie wusste ja, dass Yasmin gerade auf der Arbeit war.

 

„Ja, und du?“ Yasmin setzte eine neue Kanne Kaffee auf, da sie die letzte Tasse soeben entnommen hatte.

 

„Bin spazieren. Oder genauer gesagt, sitze gerade im Park.“ Martina schaute in die Ferne, ohne den Blick auf einen bestimmten Punkt zu richten.

 

„Bei dem Wetter?“ Yasmin dachte daran, wie sehr sie heute morgen trotz dicker Jacke gefroren hatte, weil die Bahn wegen Glatteis verspätet kam.

 

„Wieso, ist doch trocken.“ Trocken war es wirklich, wie auch sonnig. Immerhin hatte die Sonne Martina heute schon ein paarmal geblendet, so dass sie die Augen zusammenkneifen musste, um die Umgebung richtig erkennen zu können. „Außerdem, soll ich den ganzen Tag über zuhause bleiben? Das ist doch langweilig.“

 

„Hast du denn heute wirklich niemanden, mit dem du etwas unternehmen kannst?“ Yasmin konnte verstehen, dass man an seinem Geburtstag nicht alleine sein wollte. Dies wollte niemand. Aber sie hatte ihren Kollegen versprochen, die Weihnachtsschicht zu übernehmen, damit diese mit ihren Familien feiern konnten. Und so kurzfristig konnte sie wirklich keinen Rückzieher machen. „Nicht mal deine Familie?“

 

„Nein, hab ich nicht. Meine Eltern sind selber unterwegs. Und mein Vater hat kein Auto mehr. Die Bahn ist ein ganz anderes Thema. Die fährt heute nur bis zwei. Ganz abgesehen davon, wie oft dieser Zug ausfällt.“ Mit Eltern bezeichnete Martina nicht ihre leiblichen Eltern, sondern ihre Mutter und ihren Stiefvater. Aber es war einfacher, die beiden auf diese Art zusammenzufassen.

 

„Und ein Taxi?“ Noch wollte Yasmin die Mission nicht aufgeben, doch noch einen Besucher für Martina zu finden.

 

„Na ja, zu teuer, zu unzuverlässig und kaum planbar, das würde mein Vater dazu sagen.“ Als Martina dies sagte, konnte sie die Stimme ihres Vaters im Kopf hören.

 

„Hast du es denn mal probiert? Oder ist das wieder so eine - ich denke, er würde so reagieren-Situation“ Yasmin konnte sich an einige solcher Situationen erinnern, während sie selber eher konkret nachfragte, was wirklich der Fall war.

 

„Nein, hab nicht gefragt.“, gab Martina zu. Sie hatten nicht über das Thema Taxi gesprochen. Aber sie wusste, dass er keine Taxifahrten mochte. Und wie oft hatte sie schon stundenlang am Bahnhof gestanden, nur um dann nach eineinhalb Stunden die Durchsage zu hören, dass für die nächsten vier Stunden kein Zug mehr fuhr.

 

„Dann frag einfach mal, wenn er dich anruft.“, schlug Yasmin vor.

 

Da es inzwischen kurz nach halb zwei war, kam das Thema Zug nicht mehr in Frage. Die Zugfahrt dauerte länger als bis zwei, und würde daher vorher abgebrochen werden. „OK, ich frage bezüglich des Taxis.“, meinte Martina daher.

 

„Bleibt immer noch die Frage, was du machst, wenn er dich wirklich nicht besucht, oder du ihn.“ Yasmin trank einen Schluck Kaffee.

 

„Bis jetzt hab ich mir nur ein Fotoalbum angesehen, und mit meiner Schwester telefoniert. Die hat mich doch tatsächlich aus dem Bett geschmissen.“ Martinas letzter Satz klang sowohl belustigt wie auch verärgert.

 

„Wirklich? Warum feierst du nicht mit ihr zusammen?“ Yasmin wusste nicht viel über Martinas Schwester. Die gespielte Verärgerung überhörte sie gekonnt.

 

„Weil sie heute mit ihrer Familie bereits Weihnachten feiert. Hast du eine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man mit anderen feiert, aber diese einen anderen Grund zum Feiern haben als man selbst?“ Bei dieser Frage musste Martina aufpassen, dass ihr nicht die Tränen kamen. Sie wollte nicht an einem öffentlichen Ort anfangen zu weinen. Das wäre ihr peinlich, auch wenn aktuell niemand in Sichtweise war.

 

Den verzweifelten Tonfall in Martinas Stimme hörte Yasmin allerdings sehr deutlich heraus. Daher überlegte sie sich ihre Antwort sehr gut, weshalb eine deutliche Pause zwischen ihrem Gespräch entstand: „Nein, das weiß ich tatsächlich nicht. Sollen wir das Thema wechseln?“

 

„Ja! Bitte!“, bestätigte Martina.

 

Sie sprachen noch über ganz andere Themen, die absolut nichts mit Geburtstag oder Weihnachten zu tun hatten, bis Yasmins Pause zu Ende war. Yasmin beschloss aber, noch einmal während einer anderen Gelegenheit nachzufragen, was genau Martina beschäftigte.

 

Als Yasmin das Gespräch beendete, hatte Martina sich wieder soweit beruhigt, dass sie nicht mehr das Gefühl hatte, gleich weinen zu müssen. Nur saß sie seit fast einer halben Stunde auf der Bank, und ihr wurde allmählich kalt. Sie ärgerte sich, dass sie nicht doch etwas heißes zu trinken mitgenommen hatte. Daher beschloss sie, sich langsam wieder auf dem Heimweg zu begeben.

 

Auf dem Rückweg kamen ihr ein paar bekannte Gesichter entgegen, aber bei keinem von ihnen wusste sie den dazugehörigen Namen. Es waren Gesichter, die sie ansonsten in diversen Geschäften, in der Bahn oder an ihren Stammhaltestellen sah. Sie gingen jeweils aneinander vorbei, ohne sich gegenseitig zu begrüßen, so, wie sie es sonst auch taten.

 

Zuhause angekommen schaltete Martina den Wasserkocher ein. Sie überlegte gerade, welchen Tee sie sich aufgießen wollte, als das Handy erneut klingelte. Diesmal war Alexander der Anrufer.

 

„Hi Alex.“, begrüßte Martina ihn, während sie zwei Hände voll Früchte-Zimt-Tee in die Kanne fallen ließ.

 

„Hey Tina! Wie geht's.“ Alexander dachte sich, dass alle anderen mit den Glückwünschen begonnen hatten, und wollte es daher anders angehen.

 

Martina hingegen wunderte sich über die Einleitung des Gesprächs. Sie hätte nicht gedacht, dass einer ihrer Freunde nicht direkt mit den Geburtstagsgrüßen anfing. Da sie nicht darüber reden wollte, wie es ihr ging, entgegnete sie etwas nichtssagendes wie „So wie meistens. Und du? Bist du gut bei deinen Eltern angekommen?“

 

„Bin noch unterwegs. Brauchte eine Pause vom Radfahren, ist doch etwas weit von einem Ende der Stadt zum anderen.“, schnaufte Alexander.

 

„Du fährst heute tatsächlich mit dem Rad zu deinen Eltern?“, fragte Martina erstaunt. „Laut Wetterbericht soll es heute Nacht regnen.“

 

„Du kennst doch die Bahnproblematik am heutigen Tag. Also entweder Rad oder Taxi, was das zurückkommen angeht. Und ich bin eben lieber unabhängig.“ Alexander streckte sich kurz, und holte mit den Armen aus, als er an den Rückweg dachte.

 

„Ach, Angst, dich mit deinen Eltern zu zoffen?“, lachte Martina. Sie konnte sich nicht vorstellen, mit dem Rad zu ihren Eltern zu fahren. Allerdings wohnten ihre Eltern auch in einer ganz anderen Stadt. Das würde sie sich nicht einmal im Sommer zutrauen, auch wenn sie während der warmen Jahreszeit öfter mal mit dem Rad fuhr.

 

„Weniger mit den Eltern, sondern eher mit meinem Bruder, der mein altes Zimmer besetzt hat. Hab dort keinen Platz mehr, um mich zurückzuziehen.“, erklärte Alexander.

 

„Nun, mein Bruder ist letztes Jahr auch ausgezogen. Deshalb sind meine Eltern ja auf die Idee gekommen, zu einer Freundin zu fahren. Weil mein Bruder kein Bock hat, den heutigen Tag mit der Familie zu verbringen.“, erzählte Martina. Der Wasserkocher war inzwischen fertig mit dem Erhitzen des Teewassers, so dass Martina den Tee aufbrühen konnte.

 

„Und du? Phillip hatte erzählt, dass er dir angeboten hat, heute mit ihn zu seiner Anti-Weihnachtsfeier-Gruppe zu gehen. Da fällt mir ein, Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“, fragte Alexander ebenfalls noch einmal nach Martinas Plänen.

 

„Hab mich dagegen entschieden.“ Allmählich wünschte Martina sich, dass Phillip den anderen in der Gruppe auch ihre Absage und nicht nur das Angebot zu diesem Treffen mitgeteilt hätte. Dann müsste sie nicht allen erklären, dass sie nicht zu dem Treffen gehen würde. „Bin lieber alleine, als mich mit fremden Personen zu treffen, die nur darauf bedacht sind, heute kein Weihnachten zu feiern.“

 

„Warum so pampig?“ Alexander hörte den Frust und die versteckte Wut aus Martinas Stimme heraus.

 

„Weil ich euch allen erklären muss, dass ich nicht mit Phillip gehe. Und auch jedem das Warum erklären muss. Das nervt. Das nervt richtig. Und es verdirbt mir die Laune.“ Martinas Stimme wurde immer lauter, was sie nicht einmal merkte. Auch, dass man dem ersten Satz einer anderen Bedeutung zumessen konnte, entging ihr.

 

„OK, OK, ich sag den anderen Bescheid, dass sie nicht mehr fragen. Wer hat denn alles schon angerufen? Nur, damit ich weiß, wem ich deswegen noch Bescheid sagen muss.“, wollte Alexander die Situation wieder entschärfen.

 

„Von unserer Clique bisher nur Yasmin. Und ansonsten meine Familie. Phillip hab ich dies schon vor ein paar Tagen erklärt.“ Martina nahm sich eine Tasse Tee mit ins Wohnzimmer und setzte sich nun auf die Couch, um vielleicht doch ein bisschen ruhiger zu werden. „Ich würde jetzt gerne auflegen, Alex. Also bis dann.“

 

„Bis dann.“, konnte Alexander noch sagen, bevor er das Tuten hörte.

 

Diesmal war Martina es, die das Gespräch so unvermittelt beendete. Tatsächlich sendete Alexander an alle anderen eine SMS, damit diese Martina nicht auch noch die Frage stellten. Mit dieser SMS erinnerte er Nadine, Marina und Mareike daran, dass auch diese Martina noch nicht zum Geburtstag gratuliert hatten. Marina und Mareike riefen gemeinsam an, während Nadine bei ihrem Anrufversuch auf ein Besetztzeichen stieß.

 

Nach den Telefonaten mit ihren Freunden war Martina aufgebracht. Sie konnte sich denken, dass Alexander den anderen von ihrem Telefonat berichtet hatte. Zum einen rief Mareike mit Marina kurz nach Alexander an, zum anderen ging tatsächlich keiner der weiteren Anrufer auf das Thema Anti-Weihnachtsfeier ein. Auch der kurze Abstand zwischen den Anrufen bestärkte Martina in dieser Annahme.

 

Bei Yasmin und Alexander konnte Martina sich noch vorstellen, dass diese aus eigenem Antrieb angerufen hatten. Bei allen anderen dachte sie, dass eine Nachricht oder ein Anruf von Alexander diese erst daran erinnern musste, dass heute ihr Geburtstag war. Sie war enttäuscht, und hatte auch diese Gespräche jeweils als erste beendet.

 

Um ihren Ärger Luft zu machen, griff sie nach ihrem Tagebuch. Sie hatte schon länger keinen Eintrag mehr geschrieben, so dass der letzte Eintrag vom vorletzten Monat stammte. Nachdem sie ihre Wut niedergeschrieben hatte, ging es ihr tatsächlich etwas besser. Sie beschloss daher, einige Einträge in einem ihrer alten Tagebücher durchzulesen.

 
 

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Heute war mein 15 Geburtstag. Papa war wieder mit uns auf dem Spielplatz. Früher fand ich das ja noch gut, aber jetzt? MAN ICH BIN DOCH KEIN KLEINES KIND MEHR!!!!! Meike war eh nicht mehr dabei. Die hat gut reden, die ist ja erwachsen.

 

War heute auch mit Benny auf dem Weihnachtsmarkt. Viel anderes kann man in diesem Kaff auch nicht machen. Und woanders kommt man leider auch nicht hin, mit dem Witz namens Öffis.

 

Zu doof, dass Mama mir nicht erlaubt hat, nach Venlo zu fahren. Benny hätte gedurft! Aber ihre Eltern trauen ihr auch mehr zu, und sind nicht solche GLUCKEN. Ich wäre doch nicht einmal alleine unterwegs gewesen. Benny wäre doch die ganze Zeit mit mir zusammen, und dennoch trauen die mir das nicht zu. :(

 
 

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Ach ja, das Thema Ausflüge mit Freunden, dachte Martina, als sie den Eintrag las. Die komplette Großschreibung eines Wortes kam ihr inzwischen albern vor, genauso wie die mehrfachen Ausrufezeichen. Aber damals wollte sie diesem Satz auf diese Weise mehr Kraft verleihen.

 

Martina wusste noch, dass sie sich darüber geärgert hatte, dass ihre Eltern viel strenger waren als die ihrer Freunde. Inzwischen wusste sie allerdings auch, dass dies nur ihr Eindruck war. Ein Teil ihrer Freunde hatte nämlich auch mit dem, was diese bereits durften, etwas übertrieben. Sie hatten erst gar nicht gefragt, oder sich selbst die Erlaubnis angedichtet.

 

Und noch ein Punkt ärgerte sie damals. Im Gegensatz zu ihren Geschwistern bekam sie nur einmal im Jahr Geschenke. Eigentlich war es durchaus zweimal, aber an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, so dass es ihr wie nur einmal pro Jahr vorkam.

 

Hatte sich einer von ihnen mal etwas Größeres gewünscht, ob nun zum Geburtstag oder zu Weihnachten, wurden die Geschenke für beides in dem entsprechenden Jahr auch schon mal zusammengelegt. In Martinas Fall war dies einfach, da beides so nah beieinander war, dass es dann wirklich bei dem einen Geschenk blieb. Traf dies jedoch auf ihre Schwester oder ihrem Bruder zu, bekamen diese an dem jeweiligen anderen Tag dennoch ein kleines zusätzliches Geschenk. Diesen Umstand fand Martina schon als Kind unfair, und hatte sich daher nur noch ein weiteres Mal etwas Größeres zum Geburtstag gewünscht. Ihren Eltern gegenüber angesprochen hatte sie dies übrigens nie.

 

Ihr Handy klingelte erneut. Nur dieses mal war es weder jemand aus ihrem aktuellen Freundeskreis noch ihrer Familie. Nein, ihre Kindheitsfreundin Benny rief an.

 

„Hi, Geburtstagskind Martinchen“, begrüßte Benny ihre Freundin.

 

„Hi, Benjamin Blümchen“, antwortete Martina aus Rache. Sie konnte diesen Spitznamen nicht ausstehen, und benannte diese daher nach einem sprechenden Elefanten aus einem Hörspiel.

 

„Du weißt genau, dass mein Name nicht von Benjamin abstammt. Und der Spitzname deshalb nicht passt.“ Bei diesem Satz wollte Benny es aber belassen. Sie wusste, dass ihr Spitzname andere auf die falsche Spur bezüglich ihres richtigen Vornamens führte.

 

„Hätte nicht erwartet, dass du heute anrufst.“ Auch Martina wollte das Thema wechseln, und sich nicht mit den früheren Spitznamen von ihnen beiden aufhalten.

 

„Warum nicht? Nur, weil wir uns das letzte Jahr über nicht gesehen haben? Glaubst du etwa, ich würde deswegen deinen Geburtstag vergessen?“, fragte Benny nach.

 

„Nun ja, genau darum. Du bist von zuhause ausgezogen, genau wie ich auch. Wir leben beide in verschiedenen Städten. Und wir haben uns die letzten Monate über weder gesehen noch gehört.“, zählte Martina auf. Es stimmt, Benny hatte sich nicht bei ihr gemeldet. Doch andersherum hatte auch sie bisher nicht daran gedacht, ihre Kindheits- und Schulfreundin anzurufen.

 

„Hattest du denn nicht auch genug damit zu tun, deine neue Stadt zu erkunden, oder dir ebenfalls neue Freunde zu suchen?“ Benny wusste, dass sie in den letzten Monaten definitiv genug damit zu tun hatte, sich in ihrer neuen Umgebung einzugewöhnen. Daher ging sie auch davon aus, dass dies bei Martina ähnlich war.

 

„Ja, hatte ich.“, gab Martina zu.

 

„Und, hast du neue Freunde gefunden?“, frage Benny durchaus interessiert nach.

 

Martina wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Bis gestern hätte sie diese Frage bejaht. Heute allerdings war sie sich nicht mehr so sicher.

 

„Nun?“, fragte Benny erneut, weil sie von Martina keine Antwort bekam.

 

„Ja, vielleicht.“ Martinas Antwort ließ sehr viel Platz für Spekulationen.

 

„Das heißt nichts, Martina. Hast du nun neue Freunde gefunden, oder nicht?“, fragte Benny genauer nach. Diesmal wartete sie, auch wenn die Antwort von Martina etwas später kam.

 

„Das heißt, ich dachte, ich hätte neue Freunde gefunden. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.“, begann Martina zu erklären.

 

„OK? Was haben deine vielleicht-Freunde verbrochen?“ Benny setzte sich hin. Sie ahnte, dass die Erklärung etwas länger dauern könnte.

 

„Nun also, zuerst hatte ich den Eindruck, als wenn ich in der Gruppe komplett aufgenommen worden wäre, aber heute habe ich gemerkt, dass dem nicht so ist. Weißt du, die anderen haben für die Geburtstage der anderen teilweise richtig viel vorbereitet, so mit Schnitzeljagd, Disneyland und so was, also quasi den ganzen Tag dem Geburtstagskind gewidmet. Aber keiner von ihnen hatte heute Zeit für mich. Ich mein, ich weiß ja inzwischen, dass dieses Datum etwas unglücklich ist. Das hatten wir ja während unserer Schulzeit auch schon.“, fing Martina mit ihrer Erklärung an. Sie trank einen Schluck, wodurch eine kleine Pause entstand.

 

„Hat dir denn wirklich keiner von denen angeboten, etwas mit dir zu unternehmen?“, fragte Benny genauer nach.

 

„Einer von denen hat es tatsächlich angeboten. Das war so ein Anti-Weihnachtsfeier Treffen, wo das Thema wahrscheinlich wirklich nur die Weihnachtsfeiern sind, oder eben, wie scheiße solche Feiern sind. Je nachdem, wie die Gruppe wirklich drauf ist. Was ein anderes Problem an der Sache war. Ich kenne die Leute dort nicht. Ich würde nur Phillip kennen, und alle anderen wären für mich vollkommen Fremde. Und ich will meinen Geburtstag nun mal nicht mit Fremden verbringen. Nicht mit Leuten, bei denen ich nicht weiß, wie diese zueinander stehen. Und auch nicht innerhalb einer Gruppe, deren Hauptthema zum Feiern ein ganz anderes ist als mein Geburtstag.“ Martina kamen inzwischen wieder die Tränen, doch im Gegensatz zu dem Telefongespräch mit Yasmin konnte sie das Durchbrechen diesmal nicht verhindern.

 

„Sag mal, wo genau wohnst du denn jetzt gerade? Ich bin zwar für heute Abend mit meinen Eltern verabredet, aber ich würde dann jetzt zu dir fahren. Dann können wir von Angesicht zu Angesicht miteinander reden. Wie wäre das?“ Benny machte sich Sorgen um ihre Freundin. Die Tatsache, dass sie die letzten Worte durch das Schluchzen kaum verstehen konnte, veranlasste sie, zu Martina hinfahren zu wollen. Sie wollte nicht, dass ihre Freundin den ganzen Tag alleine verbrachte.

 

„OK“, schluchzte Martina nur, legte auf und tippte ihre Adresse in das Handy, um Benny eine entsprechende SMS senden zu können.

 

Benny schaute sich die Adresse an. Gut, dachte sie, während sie die Adresse ins Navigationsgerät eingab. Es lag zwar nicht auf dem Weg zu ihren Eltern, aber wenigstens auch nicht in die entgegengesetzte Richtung. Sie schrieb zurück, dass sie in ungefähr einer Stunde bei ihr ankommen würde, schaltete die Navigationsfunktion ein und fuhr zur nächsten Autobahn.

 

Martina las die SMS von Benny und schaute auf die Uhr. Es war inzwischen drei Uhr vorbei, also würde Benny frühestens kurz nach vier bei ihr ankommen. Wenn sie anschließend auch noch zu ihren Eltern fuhr, musste sie vermutlich schon um fünf Uhr wieder losfahren. Sie wusste ja ungefähr, wie lange eine Autofahrt von ihrer Heimatstadt zu ihrem derzeitigen Wohnort dauerte. Und bei Nacht, oder in der Dunkelheit, brauchte man schon mal etwas länger. Allzu viel Zeit würde Benny demnach nicht haben. Aber dieser Anruf, und dieses Angebot, bei ihr vorbeizukommen, zeigten Martina, dass Benny eine echte Freundin war.

 
 

******

 

Benny brauchte etwas länger als eine Stunde, da auf den Autobahnen mehr Stau als üblich herrschte. Sie hatte den Weihnachtsverkehr falsch eingeschätzt. Und die Fahrt innerhalb der Stadt war ebenfalls mit vielen Unterbrechungen bestückt. Daher war sie ganz froh, als ihr Navigationsgerät den Satz „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ ertönen ließ.

 

Martina stürmte regelrecht zur Gegensprechanlage, als es von unten klingelte. Inzwischen hatte sie sich wieder beruhigt. Die Klingel von ihrer Wohnung und der Haustür unterschieden sich, so dass sie genau wusste, welche Klingel betätigt wurde. „Benny? Bist du das?“, fragte sie, als sie den Hörer an ihr Ohr hielt.

 

„Klar bin ich es. Hat ein bisschen länger gedauert.“, antwortete Benny von unten. Sie hörte den Summer, der das Öffnen der Tür ankündigte, und drückte diese auf. „Welches Stockwerk?“, rief sie nach oben, da sie auch dies nicht wusste.

 

„Zweites“, rief Martina nach unten, nachdem sie die Wohnungstür ebenfalls geöffnet und ins Treppenhaus getreten war.

 

Nachdem beide sich gegenseitig zur Begrüßung umarmt hatten, gingen sie in Martinas Wohnzimmer. Benny setzte sich auf die Couch. Martina schüttete Benny eine Tasse Tee ein, stellte die Kanne zur Seite und setzte sich ebenfalls.

 

„Wäre dieses Anti-Weihnachtstreffen denn eine Alternative gewesen, wenn du die Leute alle kennen würdest? Oder wäre das dann auch wegen dem falschen Thema tabu?“, knüpfte Benny an ihr Telefonat an.

 

„Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. War ja nie auf eins von deren Treffen.“ Martina hatte bei Phillip diesbezüglich nie nachgefragt.

 

„Treffen die sich denn auch außerhalb der Weihnachtszeit?“ Benny überlegte, ob diese Gruppe vielleicht doch ein möglicher weitere Freundeskreis für Martina darstellen könnte.

 

„Keine Ahnung?“ Auch dies wusste Martina nicht. „Warum fragst du?“

 

„Erklär ich dir gleich. Zuvor noch eine andere Frage, warum hatten denn alle anderen aus deiner neuen Clique keine Zeit?“ Benny wollte zuerst diese Frage geklärt haben, bevor sie Martina ihre Idee mitteilte.

 

„Na ja, die meisten wollten schon gestern zu ihren Eltern fahren. Oder heute in der Früh. Und Yasmin arbeitet heute. Und so, wie es sich für mich angehört hat, hat sie wohl immer die Weihnachtsschicht übernommen.“ Martina hielt sich bei ihren Ausführungen an ihrer Tasse fest.

 

„Nun, ich dachte, dass diese Anti-Weihnachtsgruppe vielleicht eine neue Freundesgruppe für dich sein könnte, wenn ihr euch außerhalb der Weihnachtszeit kennenlernt. Dann könntest du mit denen deinen Geburtstag feiern. Ich muss ja schließlich auch in einer halben Stunde wieder fahren. Viel mit Feiern ist also bei mir leider auch nicht drin.“ Benny drehte sich zu Martina hin, so dass sie diese direkt ansehen konnte.

 

„Hab ich mir gedacht. Also, das mit dem nicht viel feiern können.“ Martina konnte wieder lachen. Dies war ihr schon klar, als sie überlegt hatte, wie viel Zeit Benny für den Weg zu ihren Eltern brauchen würde.

 

„Und wenn die dich dann kennenlernen, könnten sie dieses Anti-Weihnachtsfeiertreffen auch zu einer Martina-Geburtstagsfeier ändern. Aber dies wäre wohl eher eine Option fürs nächste Jahr. An deiner Stelle würde ich Phillip fragen, ob die Gruppe sich auch außerhalb von Weihnachten trifft. Dann kannst du ja fragen, ob du mitkommen kannst, um die anderen kennenzulernen.“, schlug Benny vor.

 

Martina dachte über den Vorschlag nach. Einerseits hatte sie dadurch das Gefühl, dass Benny sie zu demselben Treffen drängen wollte wie die Personen aus ihrem neuen Bekanntenkreis. Andererseits war Benny hier, bei ihr, weil sie gemerkt hatte, dass Martina heute wirklich eine Freundin brauchen konnte. Die Clique, mit der sie die letzten Monate über sehr viel Zeit verbracht hatte, betrachtete sie im Moment eher als Bekannte, nicht als Freunde.

 

„Und wenn die sich nicht außerhalb von Weihnachten treffen?“, fragte Martina.

 

„Dann kannst du immer noch entscheiden, ob du die Personen vorher kennenlernen willst, und ob du dich mit denen treffen willst. Abgesehen davon kannst du dies sowieso. Nur, es ist nicht gut, alleine zu sein. Besonders wenn man an dem Tag Geburtstag hat.“, erklärte Benny ihrer Freundin.

 

„Ich überlege es mir.“ Martina nahm einen Schluck von dem inzwischen nur noch lauwarmen Tee.

 

„Warum meintest du eben, dass du dir nicht mehr sicher bist, ob es wirklich Freunde sind?“ Auch Benny nahm einen Schluck Tee, den letzten Schluck, der sich in der Tasse befand.

 

„Nun, sie reden anscheinend hinter meinem Rücken über mich. Als ich Alex gesagt habe, dass mir die Frage wegen der Anti-Weihnachtsfeier-Gruppe auf die Nerven geht, haben kurz danach alle anderen angerufen. Also wirklich direkt danach, als wenn sie vergessen hätten, dass ich heute Geburtstag habe und sich erst durch Alex' Nachricht daran erinnert haben. Besonders verdächtig war auch, dass danach keiner von den anderen gefragt hat, ob ich zu dieser Gruppe gehe oder nicht. Sie mussten alle Alex Nachricht gelesen haben und sich dann daran erinnert haben, dass sie mich besser anrufen sollten.“ In ihrem Wortschwall merkte Martina nicht, dass sie sich teilweise wiederholte.

 

„War Alex denn der“ Benny zögerte etwas, bevor sie weitersprach: „oder die erste Anrufer-rin von deiner Clique?“

 

„Nein, Yasmin hat vorher angerufen.“, erinnerte Martina sich.

 

„Ach, die, die heute arbeiten muss?“, fragte Benny nach. „Hattest du denn bei ihr den Eindruck, dass ihre Freundschaft nicht echt war?“

 

„Bei ihr denke ich noch am ehesten, dass sie mich als Freundin ansieht. Und arbeiten ist nun mal eine ganz andere Hausnummer als Fahrt zu der Familie. Davon ab, weiß ich gar nicht, ob in Yasmins Familie überhaupt Weihnachten gefeiert wird.“ Martina musste zugeben, dass sie selbst gar nicht bei allen aus ihrer Clique wusste, wie diese zu Weihnachten standen. Bei ihren Schulfreunden hatte sie es immer gewusst. Aber da war sie auch mit den anderen zusammen aufgewachsen, und hatte sich die Frage nie zu stellen brauchen.

 

„Und warum redest du dann nicht mit ihr darüber, wie das alles bei dir ankommt? Ich meine, die anderen können ja schlecht wissen, was in dir vorgeht, wenn du es ihnen nicht sagst.“ Benny hatte den Eindruck erlangt, dass Martina selbst den anderen gegenüber nicht offen genug war. Es war das erste Jahr in dieser neuen Umgebung, weshalb weder ihre neue Clique noch Martina genau wussten, was sie von der jeweils anderen Partei zu erwarten hatte.

 

Erschrocken schaute Martina Benny an. Hatte Benny vielleicht Recht mit dem, was sie sagte?

 

„Wann genau hast du denn den anderen erzählt, wann du Geburtstag hast? Ich meine, bei dem doch etwas ungewöhnlichen Datum.“ Benny griff selbst nach der Teekanne, um sich einen weiteren Schluck einzugießen, und stupste ihrer Freundin bei dieser Gelegenheit in die Seite.

 

„Hey, langsam bringst du mich in Bedrängnis.“ Martinas Laune hatte sich verbessert, ganz eindeutig. Ja, Benny hatte Recht. Sie beschloss, zumindest mit Yasmin darüber zu sprechen, wie sie sich von der Gruppe zurückgesetzt gefühlt hatte, weil die anderen Geburtstage so viel mehr beachtet worden waren als ihr eigener. Und wie sie sich von den anderen durch den Vorschlag von Phillip mit der Anti-Weihnachtsfeier-Gruppe zusätzlich unter Druck gefühlt hatte.

 

„Du drückst dich vor der Antwort.“ Benny spürte, dass es Martina besser ging. Dennoch wollte sie wissen, wann Martina den anderen das Datum genannt hatte.

 

„Zugegebenermaßen erst diesen Monat. Hätte nicht gedacht, dass dies so ein Problem darstellen würde.“, erklärte Martina. Sie stellte ihre Tasse zurück auf den Tisch, da es ihr allmählich albern vorkam, sich an einer Tasse zu klammern. Stattdessen griff sie nach einem Kugelschreiber, der rein zufällig auf dem Tisch lag.

 

„Ich denke nicht, dass du dich wundern musst, dass keiner der anderen Zeit hat. Überleg' doch mal, wir wohnen beide nicht mehr in unserer Heimatstadt. Dies dürfte auch auf deine Freunde zutreffen, zumindest auf einen Teil von denen. Und Weihnachten, sowie heilig Abend, sind immer noch Tage, an denen die meisten sich mit ihren Familien treffen. Das sagt man nicht so einfach ab, ohne sich auf den totalen Stress mit der Familie einzulassen.“ Benny legte eine Hand auf Martinas Schulter und drückte sie leicht.

 

Das Handy klingelte. Martina erschrak, denn sie kannte diesen Klingelton nicht. Erst im zweiten Augenblick realisierte sie, dass es sich um Bennys Handy handelte.

 

„Oh, hab ich ganz vergessen zu erwähnen. Ich hab mir den Wecker gestellt, damit ich weiß, wann ich fahren muss.“ Benny blieb noch einen Moment sitzen, schaltete die Weckfunktion ihres Handys aus und drückte Martina an sich. Erst dann stand sie auf.

 

Auch Martina stand auf. Sie begleitete Benny zur Tür und umarmte sie noch einmal richtig. „Danke, dass du vorbeigekommen bist.“, flüsterte sie Benny ins Ohr, bevor diese sich aus der Umarmung löste und zu ihrem Auto ging.

 

Nun war Martina wieder alleine. Da sie keine Lust zum Kochen hatte, bestellte sie sich eine Pizza. Ihre Eltern riefen am Abend an, während sie gerade dabei war, das erste Pizzastück zu essen. Ihr Bruder hingegen vergaß völlig, sie anzurufen.

Nachfeiern

Auch den ersten Weihnachtsfeiertag verbrachte Martina alleine. Doch dieser war ihr bei weitem nicht so wichtig wie der Vorherige. Die meisten ihrer Freunde würden auch den heutigen Tag mit ihren Familien verbringen. Ihr Bruder hingegen würde ganz sicher ebenfalls ausschlafen, jetzt, wo er alleine zu Hause war. Für den Fall, dass er überhaupt zu Hause war, und nicht bei seinen Kumpels übernachtete.

 

Am 26. hingegen fuhr sie zu der neuen Kleinfamilie ihrer Schwester. Die Verteilung der Geschenke war bereits zwei Tage zuvor geschehen, doch Martina brachte ihren Nichten ebenfalls ein kleines Spielzeug mit, eingepackt in einer riesigen Schleife, die um ein Geschirrtuch befestigt war. Für ihre Nichten gab es somit nicht wirklich etwas zum Aufreißen. Während das Geschirrtuch ganz blieb, musste die Schleife dran glauben. Diese wurde in ihre Einzelteile zerlegt.

 

Direkt nach den Weihnachtsfeiertagen schickte Yasmin eine Nachricht an alle Cliquenmitglieder, mit Ausnahme von Martina. Sie wollte mit denen sprechen. Ihr ging die Tatsache nicht aus dem Kopf, dass sie alle Martina an ihrem Geburtstag alleine gelassen hatten. Und sie wollte gemeinsam mit den anderen eine kleine Überraschung für sie als Entschädigung planen. Daher informierte sie Martina explizit nicht bezüglich des Treffens.

 

Martina selber dachte über die letzten Tage nach. Sie war sich immer noch nicht sicher, was sie von ihren derzeitigen Bekannten halten sollte. Auch während der letzten Tage hatte sich keiner von ihnen bei ihr gemeldet, weshalb sie immer weiter davon Abstand nahm, die Gruppe als Freunde zu bezeichnen. Andererseits fasste sie auch einen anderen Entschluss. Sie wollte sich wieder öfter bei Benny melden, um diese Freundschaft zu pflegen.

 

Yasmin hatte die anderen zu sich nach Hause eingeladen, so dass sie nicht befürchten musste, zwischenzeitlich von Martina gesehen zu werden. Es war noch unauffällig genug, wenn ein Auto vor ihrer Wohnung parkte, das Martina einem aus der Clique zuordnen konnte. Außerdem wohnte sie in einer anderen Stadt. Wenn Martina hingegen alle zusammenstehend sehen würde, wüsste sie, dass nur sie nicht eingeladen worden war. Und dies empfand Yasmin insbesondere nach dem Geburtstagsdesaster als richtig mies.

 

Der Grund für dieses Treffen war schließlich auch, dass sie so in der Lage waren, eine Feier für Martina zu organisieren. Auch wenn alle innerhalb der Gruppe wussten, dass genau diese Person, um die es bei der Feier ging, bei den Vorbereitungstreffen nicht teilnehmen sollte, so hatten sie bisher nie den Fall eines Nachfeierns gehabt. Jedenfalls nicht innerhalb des letzten Jahres. Und selbst, wenn nachgefeiert wurde, fanden diese Vorbereitungstreffen immer vor dem eigentlichen Anlass statt.

 

Sie beschlossen, in den Silvestertag reinzufeiern. Viele Tage hätten sie eh nicht mehr zur Verfügung gehabt, wenn sie Martinas Geburtstag noch in diesem Jahr nachfeiern wollten. Das Datum zwischen Silvester und Neujahr wollten sie nicht nehmen, weil Martina Yasmin gegenüber angedeutet hatte, dass ihre Feier nichts mit einem anderen Feiertag zu tun haben sollte.

 

Nach diesem Treffen rief Yasmin Martina an und fragte sie, ob diese schon etwas an dem Silvesterwochenende vorhatte. Sie wollte sich mit ihr verabreden, um einmal ganz in Ruhe reden zu können. Und da sie die Weihnachtsschicht übernommen hatte, hatte sie am Silvester frei. Auch Martina hatte an dem Tag nichts vor, und die anderen sagten ihre jeweiligen Verabredungen ab. Das war zumindest der Plan.

 

Tatsächlich holte Yasmin Martina am Abend des 30. Dezembers ab. Martina wusste nicht, wo Yasmin sie hinbringen würde, und hatte sich auf einen längeren Spaziergang vorbereitet. Stattdessen kehrte Yasmin mit Martina in eine nahegelegene Gaststätte ein, in der sie einen kleinen Raum reserviert hatte.

 

Yasmin legte ihre Hände auf Martinas Augen, so dass diese nichts sehen konnte, als Yasmin sie in die Gaststätte führte. Martina ahnte aufgrund dessen schon, dass sie überrascht werden sollte. Offenbar hatten die anderen etwas für sie geplant. Sie konnte noch nicht sagen, um was genau es sich handelte. Doch sie ahnte, dass dies mit ihrem Geburtstag zu tun hatte, denn sonst würde Yasmin ihr nicht die Augen zuhalten.

 

Nachdem Yasmin Martina in den gemieteten Raum führte, nickte sie den anderen zu, während sie die Hände von Martinas Augen entfernte.

 

„Alles Gute nachträglich zum Geburtstag.“, wünschte die ganze Gruppe Martina im Chor.

 

Martina schaute sich um. Es war nicht ganz so ausgefeilt wie die anderen Geburtstage, die sie mit der Gruppe erlebt hatte. Aber in dem Raum gab es einiges an Spielmöglichkeiten, eine Bowlingbahn, einen Kicker, einen Billardtisch und eine Tischtennisplatte, alles bereits aufgebaut. Auf einem großen, langen Tisch stand in der Mitte ein Fonduekessel, umringt von kleinen Schüsseln Gemüsestücke, Baguette-Scheiben, bereits geschälte Mandarinen sowie Ananasstücke. Auf dem Billardtisch lag ein Hut mit Zetteln, vermutlich ihre Namen.

 

Eines der Sitzplätze, der am Kopf des Tisches, war für Martina reserviert. Die anderen saßen, oder standen, an verschiedenen Plätzen des Raumes. Alle Blicke waren auf Martina gerichtet.

 

„Das hier ist als kleine Entschädigung gedacht, weil wir alle an deinem Geburtstag keine Zeit hatten. Wir wissen, dass es nicht dasselbe ist, aber ich hoffe, es gefällt dir doch ein wenig.“, startete Yasmin mit ihrer kurzen Erklärung. Bei dieser kurzen Einleitung beließ sie es auch. Sie bemerkte Martinas umherschweifenden Blick und fragte stattdessen nur: „Und, was von dem möchtest du zuerst machen?“

 

Martina überlegte. Als Yasmin angerufen hatte, dachte Martina noch, dass Yasmin alleine mit ihr sprechen wollte. Sie war daher nicht auf eine Feier vorbereitet gewesen. Doch dies sollte sie in diesem Augenblick nicht stören. Am ehesten hatte sie jetzt Lust auf: „Billard“.

 

Auf einer Tafel schrieb Alexander die Namen aller Gruppenmitglieder untereinander auf. Sie wollten daraus einen kleinen Wettbewerb machen. Sie waren zu acht, also die ideale Zahl, um eine KO-Runde ähnlich der Fußball-Bundesliga zu starten.

 

Die erste Runde bestritten Martina und Alexander. Martina bekam als Geburtstagskind den Anstoß, und konnte somit bestimmen, ob sie die vollen oder die halben Kugeln spielen wollte. Vielmehr, sie hätte es bestimmen können, wenn sie in der Lage gewesen wäre, ihren Stoß entsprechend zu berechnen. Es war eher Zufall, dass die volle blaue Zwei in eines der Löcher verschwand.

 

Martina schaute sich das Spielfeld und die Positionen der Kugeln an. Durch das Versenken der blauen Zwei hatte sie die Vollen. Die weiße Kugel befand sich nahe einer Ecke, umringt sowohl von drei vollen wie auch zwei halben Kugeln. Die halben Kugeln störten aber bei dem Versuch, eine der Vollen anzuspielen, ohne die Halben zu berühren.

 

Zu allem Überfluss befand sich die weiße Kugel zwischen den Vollen und den Löchern, so dass sie keine Chance sah, eine weitere ihrer Kugeln zu versenken. Sie versuchte es dennoch, lehnte sich halb auf dem Tisch und stieß die Kugel mit dem Quere hinter dem Rücken an. Das Ergebnis wusste sie schon vorher. Die weiße Kugel traf die orange Fünf, ließ diese etwas rollen und blieb dann stehen, natürlich, ohne eine ihrer Kugeln einzulochen.

 

Somit war Alexander an der Reihe. Bevor er anfing, erfasste er die aktuelle Lage mit einem etwas ausschweifenden Blick auf dem Tisch. Daraus lässt sich was machen, dachte er, während er im Kopf die benötigten Winkel berechnete.

 

Die grüne 14 lag günstig. Sehr günstig sogar, weil diese kurz vor dem Loch lag, und die weiße Kugel freie Bahn hatte. Er setzte an, gab der weißen Kugel einen Schubs und lochte seine halbe Kugel ein. Durch den Abprallen traf die weiße Kugel auch die braune 15, und ließ diese näher an eines der Ecklöcher rollen.

 

Da sowohl die 15er Kugel wie auch die Stoß-Kugel günstig für das Einlochen der 15 lagen, versenkte er diese Kugel mit einem gekonnten Winkelstoß als nächstes. Nun lag die weiße Kugel aber nicht mehr so günstig. Er kam nicht mehr auf direktem Wege an eine seiner Kugeln ran. Über die Bande zu spielen, um eine seiner Kugeln einzulochen, schien auch unmöglich, da immer wieder eine von den vollen Kugeln im Weg stand. Aber vielleicht würde es ihm gelingen, eine seiner Kugeln in eine bessere Einlochposition zu versetzen. Er entschied sich für die neunte. Zwar schaffte er es, diese Kugel anzuspielen, aber sie wanderte nur leicht Richtung Loch.

 

Also war Martina wieder dran. Während Alexander seine Stöße ausgeführt hatte, hatte Martina jede einzelne Änderung der Kugeln genau betrachtet. Alexander hatte die weiße Kugel für sie günstig platziert, die orange Fünf lag fast in einer Linie zwischen der weißen Kugel und einem der Löcher. Diese wollte sie daher anspielen. Doch als sie zum Stoß ansetzte, was dieser zu stark, so dass die orange Kugel zwar das Loch erreichte, aber wieder zurückrollte und somit nicht versenkt wurde.

 

Während sie zu zweit spielten, merkten die anderen, dass es doch etwas unbefriedigend war, nur zuzuschauen nicht nicht mitzuspielen. Es waren zu wenige direkt an dem Spiel beteiligt. Und nur zuschauen machte weniger Spaß. Allerdings konnten sie das Thema nicht gerade dann ansprechen, wenn einer der aktiven Spieler den Stoß ansetzte.

 

Alexander schaffte es, zwei seiner Kugeln mit einem Schlag einzulochen, auch wenn er damit ebenfalls eine von Martinas Kugeln versenkte. Zwei weitere landeten in zwei verschiedene Löcher, bevor er einen Fehlstoß ausführte.

 

Thorben beschloss, das Thema mit dem nur Zuschauen nach diesem Spiel anzusprechen. Alexander war geschickt, was das Einlochen der Kugeln anging, so dass Thorben davon ausgehen konnte, dass Alexander das Spiel in Kürze für sich entscheiden würde.

 

So war es dann auch. Martina hatte keine Chance. Sie schaffte es zwar noch, eine ihrer Kugeln einzulochen, aber dann versenkte Alexander seine letzte Kugel, inklusive der schwarzen Acht.

 

Das zweite Match hätte zwischen Yasmin und Marina stattfinden sollen. Doch während sie das Spielfeld vorbereiteten, ergriff Thorben das Wort: „Hey, Leute, wollen wir dieses Spiel wirklich so durchziehen?“

 

„Warum? Was meinst du?“ Da Alexander bei dem letzten Spiel einer der aktiven Spieler war, konnte er nicht nachvollziehen, was Thorben meinte.

 

Auch Martina wirkte etwas verwirrt. Sollte sie als diejenige, deren Geburtstag gerade nachgefeiert wurde, etwa nicht bestimmen, was sie spielten? Und direkt nach dem ersten Spiel mischte Thorben sich ein? Aber sie wollte hören, was er diesbezüglich zu sagen hatte.

 

„Ich mein, wenn immer nur zwei von uns spielen, wird das für die anderen sechs recht langweilig. Daher könnten wir vielleicht auch ein anderes Spiel parallel spielen.“, erklärte Thorben seine Gedanken.

 

„Blöde Idee.“, meinte Martina. „Das ist dann so, als wenn wir gar nicht zusammen hier wären.“

 

Nach dieser Aussage war Thorben verdutzt. Er konnte es einfach nicht nachvollziehen. Daher fragte er verwirrt: „Was macht es für einen Unterschied, ob wir jetzt mit sechs Leuten zuschauen oder etwas anders spielen?“

 

Durch diese Frage kippte die Stimmung. Mareike und Phillip stimmten Thorben zu. Auch sie fanden es langweilig, nur zuzusehen.

 

„Einen Großen!“ Yasmin stand auf und stemmte ihre Arme in die Hüften. „Du bekommst dann die Gespräche teilweise nicht mehr mit.“

 

„Als wenn es innerhalb einer Gruppe nicht auch zeitweise mehrere Gespräche gleichzeitig gäbe. Oder glaubst du, du kriegst dann alle Gespräche gleichzeitig mit?“ Mareike stellte sich hinter Thorben, um demonstrativ zu zeigen, dass sie mit ihrer Meinung hinter ihm stand.

 

„Und wie oft war dies bei uns der Fall? So groß ist unsere Gruppe doch auch nicht.“ Mit acht Leuten gab es nicht allzu viele Kombinationen von mehreren zeitgleichen Gesprächen. Daher konnte Yasmin sich auch nicht an einen solchen Fall erinnern.

 

Mareike hingegen sehr wohl, weshalb sie begann, einige Situationen aufzuzählen: „Als wir das letzte Mal bei Phillip waren, als wir gemeinsam gekocht haben, oder im Biergarten, oder bei dem Ausflug im Park, oder...“

 

„Du hast dir das echt gemerkt?“, unterbrach Alexander Mareike fassungslos.

 

Martina klinkte sich aus dem Gespräch aus. Sie konnte es nicht fassen. Zuerst wollten sie gar nicht mit ihr feiern, und als sie sich dann doch dazu entschlossen hatten, ihren Geburtstag nachzufeiern, fingen sie auch noch an, zu streiten. So hatte sie sich die letzte Woche des Jahres nun wirklich nicht vorgestellt.

 

Sie ging alleine zu einem der Tische, bestellte sich eine Cola und wartete, bis entweder der Streit beendet war, oder die Kellnerin das Getränk lieferte. Während des Wartens überlegte sie, ob sie nicht einfach gehen sollte. Würden die anderen ihr Fehlen denn überhaupt bemerken?

 

Nachdem die Kellnerin die Cola brachte, begann Martina, das Gespräch der anderen zu überhören. Sie dachte weiterhin über die Punkte nach, die entweder für das Verschwinden von dieser Party sprachen, oder dagegen. Momentan konnte sie es sich nicht vorstellen, dass es den anderen auffiel. Aber spätestens, wenn sich die Gruppe für eine der beiden Varianten entschieden hatte, und sie sich wieder an den Grund erinnerten, fiel es auf.

 

Tatsächlich war es nicht so, dass alle anderen in der Gruppe Martinas Rückzug nicht bemerkten. Yasmin wurde stutzig, als alle anderen immer lauter wurden. Auch sie hatte sich zuerst an dem Gespräch beteiligt, dann aber den Eindruck gewonnen, dass es nichts bringen würde. Als ihr dieser Gedanke kam, suchte sie mit den Augen nach Martina, fand sie aber nicht mehr in dem Kreis. Sie ließ ihren Blick weiter umherschweifen, und bemerkte Martina am Rand eines der Tische sitzen. Dann ging auch sie zu dem Tisch hin.

 

„Interessant, dass nicht einmal M und M sich einig sind.“, versuchte Yasmin, Martina aus ihrem Gedankengang zu holen, während sie sich zu ihr setzte. Da Martina nicht reagierte, legte Yasmin Martina eine Hand auf deren Arm.

 

Martina zuckte zusammen. Sie hatte nicht damit gerechnet, das jemand sie plötzlich berühren würde. Sie schaute zuerst zu der Hand, dann blickte sie nach oben und sah Yasmin direkt ins Gesicht. „Was ist?“

 

Yasmin sah, dass die Situation Martina absolut nicht gefiel. Sie verstand aber auch warum. Inzwischen konnte man kaum ein Wort verstehen, so laut war es. Sie sparte sich daher die Frage, ob sie kurz rausgehen sollten, und deutete diese Frage stattdessen mit einem Nicken zur Tür an.

 

Beide standen auf und gingen vor die Tür. Hier war es deutlich leiser, leise genug, um sich wirklich unterhalten zu können. Draußen wiederholte Yasmin die Frage, die sie zuvor schon gestellt hatte.

 

„Hab gar nicht darauf geachtet, wer welche Meinung vertreten hat.“ Martina war tatsächlich nicht aufgefallen, dass Marina und Mareike unterschiedliche Standpunkte einnahmen, so sehr hatte sie sich von dem Gespräch abgeschottet.

 

„Ich weiß auch nicht, was in Thorben gefahren ist. Aber was ist es denn genau, was dich gerade stört?“ Yasmin wollte Martina ihren Standpunkt erzählen lassen, bevor sie mit irgendwelchen Vorschlägen kam. Ganz besonders, weil sie gar nicht wusste, um was genau es Martina ging.

 

Martina atmete tief durch. Yasmin ließ ihr Zeit, zu antworten, auch wenn dies bedeutete, dass sie einige Minuten schweigend vor der Tür stehen würden. Und Martina brauchte tatsächlich eine halbe Minute, bevor sie mit ihrer Erklärung begann: „Sagen wir es mal so, das ist das erste Mal, dass wir meinen Geburtstag zusammen feiern. Aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Es ist nicht dasselbe, wenn die Feier an einem anderen Tag ist. Und dann fangen auch noch alle an, zu streiten. Ja, ich weiß, das ist ein ungünstiger Tag, um mit Freunden zu feiern. Aber dennoch. Früher ging das doch auch. Warum geht das jetzt nicht mehr?!“

 

Yasmin wartete noch, um Martina die Gelegenheit zu geben, weiterzureden. Doch nachdem diese nach einer Minute immer noch nichts sagte, antwortete sie: „Nun, wir wissen nicht, wie du dein Geburtstag früher gefeiert hast. Das hast du uns nie erzählt. Und, selbst wenn wir ähnlich feiern würden, wäre es etwas anderes. Ist das nicht dein erster Geburtstag außerhalb deiner Heimatstadt?“

 

„Ja, ist es.“ Martina machte eine kurze Pause, während sie über Yasmins Worte nachdachte. „Aber was macht es für einen Unterschied, ob dies jetzt meine Heimatstadt ist oder nicht? Immerhin wohnen wir alle in der Nähe.“

 

„Wir schon, aber unsere Familien teilweise nicht. Oder nicht mehr. Diesbezüglich ist dein Geburtsdatum wirklich etwas unglücklich, weil viele an dem Tag etwas anderes vorhaben. Mittags einkaufen und Abends mit der Familie feiern.“, erklärte Yasmin die Situation der anderen.

 

„Aber das trifft doch nicht auf dich und Phillip zu. Immerhin feiert ihr beide kein Weihnachten, und auch ihr hattet an dem Tag keine Zeit.“ Martina erinnerte sich an diese komische Anti-Weihnachtsfeier-Gruppe, zu der Phillip sie mitnehmen wollte.

 

„Ach, willst du mir jetzt vorwerfen, dass ich an deinem Geburtstag arbeiten musste? Und nach der Schicht total platt war?“, fragte Yasmin belustigt.

 

„Natürlich nicht. So war das nicht gemeint.“ Martina wusste anhand des leisen Lachens in Yasmins Stimme, dass die Frage nicht ernst gemeint war. „Aber den Geburtstag mit völlig Fremden zu verbringen ist auch kein schöner Gedanke. Und Phillips Plan hätte genau das bedeutet.“

 

„War die Variante, nicht mitzugehen, denn jetzt angenehmer, als wenn du mit einigen Fremden gefeiert hättest?“ Yasmin konnte sich dies kaum vorstellen. Für sie wäre es eindeutig, dass sie lieber mit Fremden feierte, als gar nicht.

 

„Kann ich nicht sagen. Allerdings hatte ich kein Bock darauf, mich dem auszusetzen.“, gab Martina zu.

 

„Das klingt ja fast so, als wenn du eine Strafarbeit aufbekommen hättest.“, lachte Yasmin. Mit Fremden feiern einer Strafarbeit gleichzusetzen war ein recht starkes Stück. Aber so angewidert, wie Martina von dieser Situation zu sein schien, erschien ihr dieser Vergleich durchaus angebracht. Inzwischen hatten sie dieses Thema ihrer Meinung nach abgehakt. Blieben noch andere mögliche Themen. „Gibt es noch etwas, was dich an der aktuellen Situation stört?“

 

„Seht ihr mich eigentlich als komplettes Mitglied eurer Clique?“, fragte Martina so unvermittelt, dass Yasmin sich beinahe an der Apfelschorle verschluckte.

 

„Wie kommst du darauf, dass wir das nicht tun?“, fragte Yasmin nach einem durch die Apfelschorle verursachten Hustenanfall.

 

„Nun, wenn ich daran denke, wie viel Mühe ihr euch für Nadines Geburtstag gegeben habt. Den ganzen Tag waren wir mit der Schnitzeljagd beschäftigt. Und abends haben wir dann in der Scheune gefeiert. Oder als wir gemeinsam mit allen zwei Tage lang im Phantasialand waren, um Phillips Geburtstag zu feiern. Wir haben immer so viel Zeit mit etwas verbracht, was dem jeweiligen viel bedeutet hat. Und wo derjenige auch viel Spaß hatte. Und bei mir? Hat keiner Zeit. Und dann sprech' ich auch noch mit Alex darüber, dass ich nicht von allen wegen dieser Anti-Weihnachtsfeier angesprochen werden will, und kaum danach rufen alle anderen an. So als wenn Alex allen eine Nachricht geschrieben hat und alle aufgrund dessen erst angerufen haben. So, als ob sie nicht von selbst an meinen Geburtstag gedacht haben, sondern erst durch Alex daran erinnert werden mussten. Das zeigt doch schon, dass ich kein vollständiges Mitglied der Gruppe bin.“ Nachdem Martina ihren Ärger Luft gemacht hatte, ging es ihr tatsächlich irgendwie besser.

 

„Alex hat tatsächlich eine Nachricht an uns geschickt.“, gab Yasmin zu. „Allerdings ging es dabei eher darum, dass wir nicht alle nachfragen, ob du mit Phillip unterwegs sein wirst. Alex wollte dir ersparen, dich ständig erklären zu müssen. Das war nicht böse gemeint.“

 

„Und das alle anderen direkt danach angerufen haben?“, fragte Martina nach.

 

„Kennst du das nicht, dass du zwar generell an etwas denkst, aber etwas dich explizit daran erinnert, und dich dazu veranlasst, dich bei jemanden direkt zu melden?“ Selbst Yasmin musste sich beim Stellen dieser Frage sehr konzentrieren.

 

„Warum ist deine Frage so kompliziert formuliert?“ Martinas Kopf war bei der Frage an irgendeinem Punkt ausgestiegen. Diesen Punkt konnte sie nicht einmal benennen. Das waren ihr eindeutig zu viele Nebensätze in einem Satz.

 

„Ach, vergiss es.“ Auch Yasmin war nicht mehr in der Lage, den Satz zu wiederholen. „Wollen wir wieder rein gehen? Mir wird es tatsächlich langsam zu kalt hier draußen, und vielleicht haben die anderen sich wieder beruhigt.“

 

Yasmins Ahnung war eingetreten. Als die beiden wieder zurück in den Partyraum kamen, war es wirklich deutlich leiser als zu dem Zeitpunkt, als sie diesen verlassen hatten. Offenbar hatte der Rest der Gruppe ihre Diskussion beendet.

 

Zwischenzeitlich war Marina aufgefallen, dass sie nur noch zu sechst waren. Sie schaute sich die aktuelle Gruppe genauer an. Thorben stand vor ihr, ihre Schwester Mareike und Phillip direkt neben ihm. Von der Gegenseite fehlte also niemand. Als sie dann auf ihrer Seite nach den fehlenden Gruppenmitgliedern schaute, fiel ihr auf, dass Martina weg war. Hatten sie also ausgerechnet derjenigen, deren Geburtstag sie nachfeiern wollten, die Laune verdorben? Nachdem dieser Erkenntnis stoppte sie die Diskussion und machte die anderen auf diesen Umstand aufmerksam. Dies führte dann dazu, dass sie gemeinsam nach einer Lösung suchten, statt gegeneinander. Da die Gruppe sich beruhigt hatte, sahen sie auch Martina und Yasmin, als diese wieder den Raum betraten.

 

„Wo wart ihr?“, fragten Mareike und Marina, die sich Martina gegenüber schuldig fühlten, die Party vermasselt zu haben.

 

„Draußen, hier war ja kein Gespräch mehr möglich.“, antwortete Yasmin, noch bevor Martina zu Wort kommen konnte. Sie hielt es für besser, wenn Martina sich nicht in Rage redete.

 

„Was haltet ihr davon, wenn wir etwas spielen, wo wir alle mitspielen können. Dann hat gar keiner mehr das Bedürfnis, etwas anderes zu spielen. Wir könnten alle zusammen bowlen oder Tischtennis spielen, also die um die Tischtennisplatte herumrennen-Variante.“, schlug Marina vor. Diesen Vorschlag hatten sie ausgearbeitet, nachdem ihnen klar geworden war, dass sie gerade die Feier ruinierten.

 

Sie gingen auf diesen Vorschlag ein und entschieden sich fürs Spaßbowlen, bei dem sie in Zweierteams gegeneinander antraten und es mit Schubkarren-Bowlen, Rückwärts-Bowlen oder Blindbowlen versuchten. Die Teams wurden der Einfachheit halber anhand der Gegenspieler beim Billard zusammengestellt. Sowohl beim Rückwärts-, wie auch beim Blindbowlen dirigierte der Partner die Richtung, während der Spieler die Kugel zu den Kegeln rollen ließ. Während des Bowlings gab es für die Gruppe viel zu lachen, so viel, dass sie sogar vergaßen, die Punkte aufzuschreiben.

 

Am einfachsten war das Schubkarren-Bowlen zu spielen. Ähnlich wie das Schubkarren-Laufen in der Schule hielt Marina Yasmins Beine, während Yasmin sich auf ihren Armen nach vorne hangelte. Die Bowlingkugel versuchte sie währenddessen langsam nach vorne zu schieben. Als sie dann mit den Händen vor der Linie stand, verlagerte Yasmin ihr Gewicht auf die linke Hand, während sie ihre rechte Hand langsam hob, die Kugel umfasste und ihr einen hoffentlich starken Schubser gab.

 

Die Kugel rollte. Sie rollte langsam, weil Yasmin deutlich weniger Kraft in den Stoß stecken konnte, als wenn sie diese auf beiden Beinen laufend auf dem Weg gebracht hätte. Aber die beiden hatten zumindest so viel Glück, dass die Kugel auf der Bahn blieb, und sie somit einen Kegel zu Fall brachten. Ihr zweiter Versuch hingegen endete sehr schnell neben der Bahn.

 

Damit waren die beiden noch recht gut dran, denn als Phillip und Nadine ihre Positionen einnahmen, landeten beide bei dem Versuch, die Bowlingkugel zu steuern, auf dem Boden. Genauer gesagt schaffte Phillip es nicht, Nadines Beine hochzuhalten, sodass zuerst Nadine komplett auf dem Bauch landete, und Phillip mit seiner Nase auf ihrem Hintern.

 

„Gehst du wohl von mir runter!“ Nadines Stimme klang leicht bedrohlich, weil ihr Versuch aufzustehen scheiterte, da Phillip immer noch mit seinem Kopf auf ihr lag. „Oder soll ich einen Furz loslassen, damit du mich wieder freigibst.“

 

Die Drohung wirkte. Phillip erinnerte sich daran, wo genau er lag, und wenn Nadine wirklich Luft aus ihrem Hinterteil fahren ließ, würde er es als Erster bemerken. Schnell rappelte er sich auf, sodass auch Nadine aufstehen konnte.

 

Anschließend waren Thorben und Mareike an der Reihe. Sie wollten es etwas klüger angehen als ihre Vorgänger. Auch sie entschieden sich dafür, dass der männliche Part die Schubkarre hielt, während der weibliche Part die Schubkarre darstellte. Allerdings hielt Thorben Mareikes Beine so hoch, dass Mareike es kaum schaffte, sich auf den Armen zu halten. Stattdessen rollte sie kopfüber auf die Bowlingbahn. Die Bowlingkugel hingegen wurde in die andere Richtung geschleudert.

 

Das letzte Team bildete Alexander mit Martina. Auch sie wollten möglichst viele Kegel abräumen. Allerdings gingen sie bezüglich der Rollenaufteilung anders vor als die anderen. Martina hielt Alexander an den Beinen, während er mit den Händen die Bowlingkugel dirigierte.

 

Alexander hatte deutlich mehr Kraft in den Armen als Martina. Daher konnte er sich besser auf den Armen halten. Seine Schritte nach vorne waren wesentlich koordinierter, und als er die Kugel mitten auf der Bowlingbahn platzierte und schubste, schaffte er es auch, sechs der Kegel umzustoßen. Der zweite Versuch brachte ihnen einen weiteren Kegel ein.

 

Als dann beim Blindbowlen alle Parteien den Ball in die Rinne rollen ließen, entschloss die Gruppe sich, jedem Spieler vier Versuche zu gewähren. Und nachdem Phillip statt auf seiner eigenen Bahn drei Kegel von der Nachbarbahn abräumte, beschlossen sie kurzerhand, alle Bahnen als die eigene zuzulassen.

 

Am Ende war dies doch ein lustiger Abend, auch wenn es zwischenzeitlich nicht so aussah. Nach einigen weiteren Bowlingrunden bestellten sie sich eine Blechpizza mit verschiedenen Belägen, so dass für jeden von ihnen etwas dabei war. Das Fondue und die dafür vorbereiteten Schälchen packen sie wieder ein. Diese würde sich am nächsten Abend genauso gut verputzen lassen. Auch während des Pizza-Essens spielte ein kleiner Teil sowohl auf der Bowlingbahn wie auch an der Tischtennisplatte. Spät am Abend fuhren oder gingen sie alle nach Hause.

 

Martina wusste immer noch nicht so richtig, was sie von dieser Gruppe halten sollte. Aber bei Yasmin war sie sich sicher, dass diese sie wirklich als Freundin ansah. Yasmin war es als einzige aufgefallen, dass es Martina auf ihrer eigenen Party nicht gut ging. Außerdem war sie die einzige, die an ihrem tatsächlichem Geburtstag einen guten Grund hatte, nicht mit ihr feiern zu können.

Ein kleiner Ausblick ins nächste Jahr

Einige Wochen später besserte sich die Stimmung bei Martina. Sie dachte nicht mehr so oft darüber nach, ob die anderen sie akzeptierten. Der wiederaufgenommene Kontakt mit Benny half ihr dabei, alles etwas lockerer zu sehen. Benny war ein guter Gegenpart zu ihr, die die einzelnen Situationen zwischen Martina und ihrer neuen Gruppe von Außen betrachten konnte. Den Vorsatz, sich wieder öfter mit Benny zu treffen, hielt Martina ein.

 

Nachdem Martina ihrer neuen Gruppe erklärte, dass ein Nachfeiern ihres Geburtstages sich für sie falsch anfühlte, begannen auch die anderen darüber nachzudenken, wie sie dies in Zukunft gestalten wollten. Eine so spontane Feier, wie sie es bei den anderen planten, kam bei diesem Datum nicht in Frage. Daher mussten sie die Rahmenbedingungen auch mit Martina absprechen, auch wenn sie es normalerweise vermieden, das Geburtstagskind einzuweihen.

 

Sie beschlossen, sich mit ihren Familien abzustimmen, so dass sie nicht schon am vorherigen Tag bei ihnen auftauchen würden. Allerdings würden nicht alle an Martinas Geburtstagsfeier teilnehmen, da Mareike und Marina durch das halbe Land fahren mussten, um zu ihrer Familie zu gelangen. Dies war ihnen Abends zu stressig. Auch bei Yasmin konnte die Arbeit dazwischenkommen. Aber die anderen konnten zumindest am Nachmittag zusammen feiern.

 

Einige der Freitagstreffen ließ Martina ausfallen. Es war zu anstrengend, sich sowohl jeden Freitag wie auch alle zwei Samstage zu verabreden. Inzwischen fragte sie sich auch, wie die anderen dies organisieren wollten, wenn sie einen Partner hätten. In der Gruppe selber gab es das Abkommen, dass die Partner der Gruppenmitglieder nicht bei diesen Treffen erwünscht waren.

 

Innerhalb des Jahres nahm Phillip Martina zu einem der Anti-Weihnachtsfeier-Gruppen-Treffen mit. Diese Treffen fanden nur alle drei Monate statt. Alles andere stimmten sie online oder per Telefon ab. Die persönlichen Treffen waren nur dafür gedacht, dass niemand sich im Dezember mit den Merken der Namen herumschlagen musste.

 

Nachdem Martina die anderen in dieser Gruppe kennengelernt hatte, war sie dieser Möglichkeit nicht mehr komplett abgeneigt, falls ihre Familie erneut über die Feiertage wegfuhr. Dieses Jahr würde sie im Dezember nicht mit dabei sein. Bezüglich der nächsten Jahre konnte sie dies hingegen nicht ausschließen.

 

Auch dieses Jahr wurden die Geburtstage der einzelnen Mitglieder groß gefeiert. Einmal fuhren sie für ein Wochenende ins Center Parks, einen Tag verbrachten sie im Freibad, einen im Moviepark, während sie auch einmal nicht wegfuhren und stattdessen einfach nur ein Picknick veranstalteten. Aber immer war für den entsprechenden Tag etwas besonderes geplant.

 

Doch dieses Jahr planten sie auch für Martinas Geburtstag etwas ganz besonderes. Sie fuhren mit Thorbens Auto in Martinas Heimatstadt, da diese am Abend mit ihren Eltern feiern würde. Es war recht eng. Vorne saßen Thorben und Alexander, in der hinteren Bank die drei jungen Frauen, während Phillip es sich im Kofferraum gemütlich machte. Sie hofften, nicht in eine Polizeikontrolle zu geraten, was zu ihrem Glück auch nicht geschah.

 

Auch wenn sie an dem Tag nur zu sechst waren, wurde das Ständchen für Martina von allen sieben gesungen. Alexander schaltete dafür sein Handy auf Lautsprecher, nachdem er Marina angerufen hatte, so dass die Gruppe gemeinsam singen konnte. Genau genommen waren sie sogar zu acht, denn auch Benny stieß zu ihnen.

 

Gemeinsam führten Martina und Benny die anderen durch den Ort. Viel gab es dort nicht zu sehen, ein kleiner Spielplatz, ein kleiner Park, Kindergarten und Grundschule direkt gegenüber sowie ein paar kleinere Fachgeschäfte im Ortskern. Vor der Bäckerei standen ein paar Tische, die aufgrund der aktuellen Temperaturen aber ineinander gestellt waren.

 

Martina erzählte ihrer Gruppe von einigen Sachen, die sie als Kinder erlebt hatten. Doch die Gruppe musste auch feststellen, dass es kaum etwas gab, wo man sich in Martinas Heimatstadt amüsieren konnte. Sie verbrachten den Nachmittag in einem kleinen Café, der einzige Ort, in dem sie sich aufwärmen konnten. Alles andere hatte bereits seit Stunden geschlossen.

 

Am späten Nachmittag musste Yasmin zur Arbeit. Die Gruppe nahm dies zum Anlass, um sich von Martina und Benny zu verabschieden. Thorben setzte die beiden bei Martinas Elternhaus ab. Hatten sie es bei der Hinfahrt schon als eng empfunden, so glich die Situation jetzt eher einer Clownsnummer, in der zu viele Leute aus einem Auto stiegen. Dann fuhr er mit den anderen weiter. Sie winkten, als sie Martinas Elternhaus verließen. Er setzte Yasmin bei ihrer Arbeit ab, bevor er die anderen zu ihren Familien fuhr und selbst ebenfalls die Wohnung seiner Eltern ansteuerte.



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