Herz über Kopf von Centranthusalba ================================================================================ Kapitel 11: Good bye, my love ----------------------------- „Möchtest du wirklich nicht noch mit hoch kommen?“ Mario zieht Elsas Hüfte noch etwas fester zu sich. „Wenn du mich schon bis hierher begleitet hast, kannst du doch auch noch kurz mit ins Büro kommen.“ Er sieht seine Freundin auffordernd an. Doch Elsa zieht nur einen Flunsch. „Da gäbe es auch Kaffee“, setzt er noch eins oben drauf. Aber heute scheinen seine sonst so erfolgreichen Überredungskünste nicht zu fruchten. „Ich gehe jetzt lieber“, murmelt sie, ohne ihn anzusehen. Sie ist schon dabei sich umzudrehen, da hält Mario sie am Arm fest: „Elsa was ist denn los? Du bist so komisch. Ist es immer noch wegen Samstag?“ Sie sieht zur Seite und schüttelt abweisend den Kopf. „Es tut mir Leid, Elsa. Wirklich. Ich habe dir doch schon hundert Mal gesagt, dass es mir selbst peinlich ist, dass ich auf Erics Party soviel getrunken habe. Es wird nicht noch einmal vorkommen. Das verspreche ich dir.“ Elsa seufzt. „Das ist es nicht, Mario. Ich… ich weiß selber nicht…. Nur… nur weil ich dich zum Training begleitet habe, muss ich dir ja nicht auch bis ins Büro hinterherlaufen, oder?“ „Was du nur hast…“, Mario schüttelt den Kopf, „Ich will Viktor doch nur fragen wie seine Prüfung gelaufen ist. Willst du das gar nicht wissen?“ „Ich werde es schon noch erfahren. Gratuliere ihm einfach von mir, ja?“ Mit einem strahlenden Blick, den so nur seine wunderschöne Freundin beherrscht, sieht sie ihn an und lässt Mario augenblicklich die vorangegangene Diskussion vergessen. „Natürlich“ Er zieht sie noch einmal zu sich heran und will sie zum Abschied küssen, doch Elsa dreht rasch das Gesicht zur Seite, sodass seine Lippen auf ihrer Wange landen. Mario runzelt die Stirn, sagt aber nichts weiter. Er winkt zum Abschied und steigt dann die Treppen zum Vereinsbüro hinauf. Oben empfängt ihn das gewohnte, kratzende Geräusch des altersschwachen Druckers, der sich gerade an einer einzelnen Seite abmüht. Ihre Büroeinrichtung im Verein besteht hauptsächlich aus gebrauchter Technik, die sie als Studenten günstig zusammen getragen haben. Sie sind sehr stolz darauf, im Gegensatz zu Erwachsenenvereinen sogar einen Computer zu haben. Doch wenn Mario sich das keuchende Geknarze anhört, dann fürchtet er, dass bald ein neuer Drucker fällig ist. „Hi Käpt‘n“, begrüsst er Viktor, der unbeeindruckt von dem Lärm am Schreibtisch steht und auf den Computerbildschirm vor sich blickt. „Wie lief’s?“ „Gut“, nickt dieser, ohne den Blick vom Display zu nehmen. „Das ist doch Klasse! Gratuliere! Damit bist du der erste von uns, der mit der Uni durch ist.“ „Kunststück, wenn man als erster anfängt“, murmelt Viktor mehr zu sich selbst. „Und von Elsa soll ich dir natürlich auch gratulieren“, fällt Mario gleich ein. Kurz scheint ihm, Viktor würde zusammenzucken. „Hm“, macht sein Kapitän nur und wendet sich zum Fenster, „Was war das eben da draußen? Ärger?“ „Ach…“, Mario zieht etwas verlegen seine Kappe tiefer ins Gesicht, „Hast du das mitbekommen? Ich glaube, Elsa ist immer noch sauer wegen Samstag. Stell dir vor, sie hat den ganzen Sonntag kein Wort mit mir geredet. Heute war sie dann wieder einigermaßen normal, aber so richtig immer noch nicht. Und das alles nur wegen ein paar Bier. Das darf dich auch mal sein, oder?“ Nach Bestätigung suchend sieht er Viktor an, doch dieser greift nur nach einem Stift und zieht das mühsam gedruckte Blatt Papier aus dem Drucker. Einen Moment lang hält er es abwägend in der Hand. „Dabei war es mir schon peinlich genug, dass ich dein Bett belegt habe und du meinetwegen auf dem Sofa schlafen musstest. Da muss sie jetzt nicht auch noch Theater machen. Versteh einer die Frauen.“ Er lacht etwas unbehaglich. „Hm.“ Viktor klickt den Kugelschreiber und setzt seine Unterschrift unter das förmlich aussehende Schreiben. Mario zuckt mit den Schultern. „Lass uns über was schönes reden. Die Saison nimmt Fahrt auf. Seit unserem Sieg gegen Nagoya Power kommt eine Anfrage nach der nächsten. Wir sollten über einen strafferen Trainingsplan nachdenken.“ Viktor nickt und faltet fein säuberlich den Brief zusammen. „Und das tolle ist:“, Mario deutet freudestrahlend auf seinen Kapitän, „Da du nun deinen Abschluss in der Tasche hast, kannst du dich jetzt rund um die Uhr um die Mannschaft kümmern. Als Käpt’n und als frisch abgeschlossener Manager. So wie ich dich kenne, hast du doch schon einiges ausgearbeitet.“ Bei seinen letzten Worten huscht ein kurzes Schmunzeln über Viktors Gesicht. Doch sofort kehrt er zu seiner ernsten Mine zurück und schüttelt entschieden den Kopf. „Nein.“ Er tritt zu ihm und hält Mario ohne Vorwarnung den gefalteten Brief unter die Nase. „Ich bin raus. Ab heute bist du der Käpt‘n.“ Mario starrt ihn mit offenem Mund an. Während er noch verdattert das Papier entgegennimmt, greift Viktor bereits nach seiner Jacke, schiebt den Stuhl ordentlich an den Schreibtisch und verlässt das Büro. Stöhnend lässt Elsa ihre Sirn auf den Schreibblock vor sich sinken. Der Stift fällt aus ihrer Hand und rollt über ihren Schreibtisch. Warum ist das alles nur so kompliziert? Warum muss das alles ausgerechnet ihr passieren? Neben sich hinter der Wand hört sie Sarah reden, die bereits seit Stunden das Telefon blockiert. Immer wieder reißen ihre schrillen Ausbrüche sie aus ihrer Konzentration. Wenn diese überhaupt einmal eintritt. Unter ihrem Arm hindurch späht sie durch ihr Zimmer zum Bett, dessen ordentlich gefaltetes Bettzeug züchtig verbirgt, was dort vor zwei Tagen geschehen ist. Elsa blinzelt. Sie wartet bis die plötzliche Welle kribbelnder Gänsehaut abgeebbt ist, dann atmet sie tief durch. Sie zwingt sich zu einem klaren Kopf und fokussiert ihren Blick wieder auf das Papier vor sich. Bereits vor Stunden hatte sie oben auf die Seite zwei Worte geschrieben. ‚Mario‘ und ‚Viktor‘. Darunter hatte sie sich eigentlich eine Pro- und Kontra-Liste erstellen wollen. Einen nach logischen Kriterien aufgestellten Wegweiser, der ihr bei ihrer Entscheidung zwischen den beiden Männern helfen sollte. So richtig hatte das nicht geklappt, wie sie jetzt feststellen muss. Unterhalb der Überschriften ist das Blatt über und über beschrieben mit immer dem gleichen Wort: Viktor. Waagerecht, senkrecht, mit verschnörkelten Buchstaben, mit ausgemalten Linien, in einander übergehend, spiegelverkehrt… Diese verfluchte Verliebtheit! So würde das nie was werden. Kurz entschlossen steht sie auf und tritt ans Fenster. Etwas kühle Abendluft würde ihr guttun. Sie öffnet es und atmet tief ein. Einzelne Schneeflocken rieseln aus einem dunkelgrauen Himmel in die enge Seitenstraße, zu der ihr Zimmer hinausgeht. Kleine, tanzende Schneeflocken. Elsa lächelt und verfolgt mit ihrem Blick ein paar von ihnen auf ihrem langen Weg aus den Wolken hinunter, an den vielen Fenstern der gegenüberliegenden Hauswand vorbei, bis sie schließlich unten auf dem dunklen Bürgersteig landen und unvermeidlich schmelzen werden. Unvermittelt stockt sie. Das Landen ihrer Schneeflocken bekommt sie nicht mehr mit, denn auf dem Bürgersteig gegenüber ihres Fensters lenkt etwas ihre Aufmerksamkeit auf sich. Oder besser: jemand. Elsas Augen werden groß. Gänsehaut erfasst sie erneut. Rasch tritt sie vom Fenster zurück, knallt es zu und stürmt aus ihrem Zimmer Richtung Tür. Gerade so erinnert sie sich noch an ihren Schlüssel bevor sie mit rasendem Herzen die Treppenstufen nach unten stürmt.   „Hi“, begrüßt sie ihn mit einem zaghaften Lächeln. „Hi“, antwortet Viktor mit gedämpfter Stimme. „Möchtest du nicht hochkommen?“ „Sarah ist doch sicherlich da.“ „Stimmt“, verlegen betrachtet Elsa ihre Fußspitzen, „Darum hast du auch nicht geklingelt, oder?“ „Ich war mir sicher, du würdest mich auch so entdecken.“ Sie muss lächeln, als ihr bewusst wird, wie recht er damit hat. „Dann… Sollen wir einfach woanders hingehen?“ Doch Viktor schüttelt nur langsam mit dem Kopf. Etwas in Elsas Brust zieht sich unangenehm zusammen. Er wirkt so ernst. „Elsa, ich…“ Er atmet einmal tief durch. Offensichtlich fällt es ihm sehr schwer, das zu sagen, was ihm auf dem Herzen liegt. Sie sieht ihn mit großen Augen an und wagt kaum zu atmen. „Ich wollte mich von dir verabschieden“, bringt er schließlich seufzend hervor. „Ver-… verabschieden?“ „Ich werde gehen.“ „Wohin?“ Ihre Stimme klingt ungewohnt hoch. „Ich weiß es nicht.“ Viktor wendet den Kopf ab, um ihr nicht in die Augen blicken zu müssen und zuckt mit den Schultern. „Weg.“ „Aber, aber…“, plötzlich kommt Leben in Elsa, „du hast doch immer gesagt, dass sobald du deinen Abschluss in der Tasche hast, würdest du hier in Osaka richtig anfangen, den Verein voranbringen… Ich dachte immer, dass du hier bleibst, bei uns, … bei mir“, ergänzt sie leise. „Das dachte ich auch. Aber es geht nicht. Seit Samstag ist einiges anders.“ Seine Worte dröhnen in ihrem Kopf. „Du gehst wegen mir?“ Er antwortet nicht. Er sieht sie nur aus diesen dunklen Augen an. Ernst, aber irgendwie auch liebevoll. Elsa schluckt. „Bereust du es?“, fragt sie leise mit zittriger Stimme. „Nein, im Gegenteil.“ Er schüttelt entschieden den Kopf. „Aber wir können auch nicht leugnen, dass das einiges durcheinander bringt.“ „Niemand weiß es. Ich habe Mario nichts gesagt!“, entfährt es ihr schneller als geplant. Trotz ihres plötzlichen, lauten Ausbruchs, bleibt Viktor erstaunlich ruhig. „Und wie stellst du dir das vor? Eine heimliche Affäre? Willst du dich von deinem Freund trennen und offiziell mit mir zusammen sein, während du noch mit Sarah zusammen wohnst und ich mit Mario in einer Mannschaft spiele?“ Elsa fühlt sich, als ob ihr mit jedem seiner Worte ein Stück Boden unter den Füßen weggezogen werden würde. Jedes davon hätte so auch auf ihrem Schreibblock oben in ihrem Zimmer stehen können. „Ich….“ Er tritt einen Schritt näher auf sie zu. Elsa zittert. Kleine Atemwolken steigen zwischen ihnen auf, hängen für einen Moment in der Luft und verschwinden wieder. „Es ist nicht nur, der Kuss, den wir geteilt haben“, beginnt er erneut, „Es ist nicht nur, dass wir einmal miteinander geschlafen haben. Es ist mehr. Ich liebe dich, Elsa. Und ich ertrage es nicht, daneben zu stehen, wenn er dich umarmt, dass du ihn mit strahlenden Augen ansiehst.“ Elsa holt zwischen ihren zitternden Lippen tief Luft. „Meine Beziehung zu Sarah ist sowieso beendet, aber ich kann von dir nicht verlangen, dass du dich von Mario trennst. Ihr wart bisher glücklich zusammen und du solltest das nicht einfach so aufs Spiel setzen. Mario ist ein Guter, bitte bleibe bei ihm.“ Sprachlos starrt sie ihn an. Da gesteht er seine Liebe zu ihr und bittet gleichzeitig darum, dass sie bei Mario bleiben sollte? Ja, natürlich: Jedes seiner Worte klingt logisch und vernünftig, sorgfältig durchdacht. Und doch fühlt es sich an, als würde ihr das Herz herausgerissen. „Aber, ich…“ sie gibt ihr bestes nicht zu schluchzen, wie ein kleines Mädchen, „ich liebe dich auch. Wir finden bestimmt einen Weg! Irgendeinen!“ Viktors Augen leuchten kurz auf, doch sofort senkt er sie wieder. „Nein, nicht ohne alles wegzuwerfen, das wir bisher hatten.“ Elsa streckt ihre Arme nach ihm aus. Sie muss blinzeln. Ihre Augen brennen jetzt. Doch Viktor weicht einen Schritt zurück. „Nein bitte…“, flüstert er, „wenn ich dich jetzt umarme, dann lasse ich dich nie wieder los.“ „Das sollst du auch nicht.“ Er wendet sich ab und sieht statt zu ihr die dunkle Straße hinauf. „Ich habe nur einen Wunsch:“, sagt er leise. Seine Stimme klingt rau und belegt. „Werd glücklich Elsa.“ Und mit diesen Worten dreht er sich schlussendlich um und geht langsam die Straße hinunter. Wie versteinert bleibt Elsa zurück. Kleine Schneeflocken tanzen um sie herum, fallen auf den dunklen Asphalt zu ihren Füßen und schmelzen. Doch Elsa nimmt sie nicht wahr. Starr blickt sie immer noch auf die Stelle, an der Viktor eben unter ihrem Tränenschleier verschwunden ist. ~~~ „Schatz, das kann doch nicht sein. Jetzt reiß dich doch mal zusammen! Seit drei Tagen liegst du in diesem Bett und starrst die Decke an.“ Frau Uesugi steht mit verschränkten Armen im Zimmer ihres Sohnes und blickt finster auf das Bett. Viktor hat sich bei ihrer Ankunft zur Wand abgewendet, den Kopf unter den Armen versteckt und tut, als könne er sie nicht hören. „Lass mich in Ruhe“, brummelt er, “… bitte“, setzt er nach einer kurzen Pause nach. „Aber du musst doch mal…“, setzt sie erneut an, doch da unterbricht das Klingeln des Telefons unten im Flur ihre Predigt an ihren unmotivierten Sprössling. Rasch verlässt sie das Zimmer, während Viktor erleichtert aufatmet. „Ja… Nein… oh, das weiß ich nicht mehr… hmmm… hmmm…“ Viktor kann ihre Worte bis hoch in sein Zimmer hören. „Da hast du aber Glück. Er ist gerade bei uns. Warte kurz, ich hole ihn.“ Er verdreht die Augen. Er will doch mit niemanden sprechen. Warum versteht das seine Mutter nicht? Eine Sekunde später erscheint sie wieder in seiner Zimmertür. „Viktor, für dich.“ „Wenn es Mario ist, sag ihm, ich bin nicht da.“ „Es ist aber nicht Mario. Sondern ein Kishi, Steve…“ „Hey Steve, ich glaub’s ja nicht! … Ja, du hast Glück. Ich bin gerade zufällig bei meinen Eltern. Bist du immer noch auf deiner Eisbäreninsel?“ „Ey, Mann, hör auf. Ich kann diese Witze nicht mehr hören…“ „Haha, friert dir der Ball also nicht auf dem 11-Meterpunkt fest?“ „Kannst gerne kommen und dich vom Gegenteil überzeugen!“ „Schon gut, Alter. Ich hab gesehen, dass der Sapporo S.C. einen guten Saisonstart hingelegt hat. Gehts dir weiterhin gut dort?“ „Ja, kann nicht klagen. Bin hier fest etabliert und es macht echt Spaß mit den Jungs. Wir haben nur ein Problem und ich dachte, du kannst mir vielleicht helfen…“ „Klar, schieß los.“ „Du kennst doch alle Hand Leute. Wir suchen dringend einen neuen Manager. Wüsstest du jemanden, der Bock hätte, hier rauf zu kommen und den Job zu machen?“ Viktor umgreift den Telefonhörer fester. Seine Handflächen werden plötzlich ganz feucht. „Ja, ich wüsste jemanden“, sagt er langsam. „Cool, wen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)