Versiegelte Gefühle von _Haruka_ (Die Spieluhr) ================================================================================ Kapitel 1: Die Spieluhr ----------------------- Eines Abends beschloss ich vor dem Zubettgehen noch einen Spaziergang zu machen, um meinen aufgewühlten Geist zu beruhigen ... Der Tag war lang und anstrengend gewesen, ich hatte Maske über Maske getragen, Lächeln über Lächeln, dabei weinte meine Seele ... Hatte ich doch meine Seelenpartnerin verloren…   Mein äußerer Panzer hatte in den letzten Jahren riss um riss bekommen und es hatte mich viel Mühe und Not gekostet, diese wieder zu verschließen, Schicht für Schicht, für Schicht, in der Hoffnung, sie würden nie, nie wieder aufreißen ... Leider hatte dieser Panzer einen Makel ... Ja, mein Schmerz blieb tief in mir verschlossen, aber auch keine echte Freude schien mehr zu mir durchzudringen ... Wie auch? Ich versuchte nichts und niemanden an mich heran zu lassen, nur nachts schaffte ich es nicht und der Schmerz drohte mich immer und immer wieder zu verschlingen, wie eine große Welle im Meer… Manches Mal wünschte ich mir sogar, er würde es endlich tun, mich verschlingen, denn dann wäre, dass alles endlich vorbei und ich müsste nicht mehr so tun, als ertrüge ich es, Tag für Tag mit diesem unendlichen Verlust zu leben…Und dann, dann könnte ich auch endlich, endlich wieder bei meiner Geliebten Anna sein ... Doch ich würde es nicht zulassen… nicht, weil ich ein Kämpfer war, sondern weil ich es ihr versprochen hatte…Wieso? Wieso hatte sie mir damals auch dieses Versprechen abringen müssen zu leben? Ihr nicht einfach in die schwarze Nacht zu folgen? Hatte sie nicht wenigstens annähernd geahnt, wie viel mehr Schmerz und kraft es kostete zu leben und das ohne sie? Dabei wäre ich sofort gemeinsam mit ihr in den totgegangen… Noch heute hörte ich ihre Worte… „Basti, Basti, du musst leben, leben für uns beide, weil ich es nicht kann…“   Plötzlich sah ich im Licht des Mondes etwas Silbernes im Gras Schimmern, vielleicht ein gefallener Stern? Vielleicht sogar meine Anna? Ich lachte über diesen absurden Gedanken, vermutlich war es nur eine leere Bierdose, achtlos fortgeworfen, wie alles, von dem die Menschen dachten, es wäre nichts mehr wert ... Genauso wie mich Mensch um Mensch immer wieder hatte fallen lassen ... Selbst Anna, hatte mich verlassen… Ich wusste nicht, wieso, aber ich trat auf die Stelle zu und drängte mit meiner Hand denn kleinen Dornenbusch vorsichtig beiseite, um an das Silberne etwas heran zu kommen. Zu meiner Verwunderung konnte ich nun sehen, dass es sich nicht um eine leere Getränkedose, handelte, wie ich zunächst angenommen hatte und nein, natürlich auch nicht um einen gefallenen Stern, sondern um eine Kleine silberne Schachtel, eine Schatulle mit verschiedenen Ornamenten darauf. Wer warf so etwas denn achtlos weg? Andererseits, die Menschen warfen viel Kostbareres weg, so wie ich mein Leben…   Vorsichtig holte ich die kleine Schatulle unter dem Busch hervor und besah sie mir im Gras hockend genauer. Erst jetzt sah ich das ihr Verschluss anscheinend abgebrochen war, aber hatte man sie wirklich nur deswegen weggeworfen? Zärtlich strich ich über den Deckel. "Du armes Teil… Nur weil du nicht mehr richtig schließt, hat man dich einfach weggeworfen?! Dabei bist du doch immer noch wunderschöne" Ich wusste nicht, was mich ritt, vielleicht die Tatsache das mich die Schachtel irgendwie an mich erinnerte, aber ich beschloss, sie mit nach Hause zu nehmen. Dort angekommen stellte ich sie zunächst einmal auf meiner kleinen Kommode und ging in die Küche, um mir einen Tee zu machen. Die Nächte waren inzwischen bitterkalt, bald würde sicherlich der Schnee kommen ... Schnee ... Du hast ihn so geliebt, deinen Schnee ... Immer warst du wie ein kleines Kind, sobald nur die Ersten flocken, fielen ...   Als die Bahn wie immer an meinem alten Apartmenthaus vorbeifuhr, wackelten wieder alle Wände, doch das war ich schon gewohnt, was mich fasst, meine Tasse fallen ließ, war etwas anderes ... Ich hatte aus dem Flur kurz eine leise Melodie gehört, welche allerdings sofort wieder verklungen war ... Komisch hatte ich mir das nur eingebildet? Schnappte ich langsam endgültig über? Nach dem ich noch einmal tief durchgeatmet hatte warf ich vorsichtig einen Blick in den Flur, doch dort war nichts und niemand zu sehen ... Bastian, deine Fantasie beginnt dir schon streiche zu spielen ... Schnell trank ich meine Tasse leer und zwang mich, endlich ins Bett zu gehen ... Der Morgige tag würde wieder lang und anstrengend werden ...     Morgens verließ ich wieder kurz vor Sonnenaufgang meine Wohnung, diese kleinen Wände erdrückten mich einfach ... Wie immer setzte ich mich in den kleinen Park in der Nähe und wartete darauf, dass es Tag wurde und machte mich dann auf den Weg zur Bahn. Ich nahm immer die Erste, die fuhr, ich wollte so wenigen Menschen wie möglich begegnen.   Bei meiner Arbeitsstelle, dem staatlichen Tierheim angekommen, schloss ich das Tor auf und kümmerte mich anschließend den restlichen Tag so gut ich konnte, nur um die Tiere. Meine Kollegen kannten meine Stille fast schon abweisende Art Menschen gegenüber, aber sie alle respektierten mich für das Band, das ich zu den Tieren hatte. Selbst der ängstlichste Hund kam zu mir, selbst die kratzbürstigste Katze rieb sich an meinen Beinen, aber vielleicht fühlten sie auch einfach nur das ich genauso verlassen und verängstigt war wie sie… Nach meinem Feierabend lief ich die 3 Stationen nach Hause, die Bahn war mir zu dieser Zeit einfach zu voll ... Kaum Zuhause angekommen, spürte ich schon die vorangehende Erschütterung, die entstand, bevor ein Zug sich näherte. Gerade als er an uns vorbei rauchte, hörte ich sie wieder, diese Melodie ... Erst jetzt erkannte ich, dass sie aus der kleinen Schatulle zukommen schien. Also schnappte ich anscheinend doch noch nicht über…ob mich das beruhigen sollte wusste ich nicht… Vorsichtig nahm ich das Kästchen, oder besser die kleine Spieluhr, wie ich jetzt vermutete, von der kommode und ging mit ihr ins Wohnzimmer. Auf meinem Sofa sitzend öffnete ich vorsichtig den Deckel und erneut erklang diese Melodie, welche meine Seele fast zum Weinen brachte ... Schnell schloss ich denn Decke wieder und stellte sie zurück auf die Kommode .... Was war das gewesen?   Dasselbe Spiel am nächsten Tag, doch dieses Mal war ich fest entschlossen, hinein zu sehen. Wieder öffnete ich den Deckel doch dieses Mal Stück für Stück weiter, als plötzlich ein Mechanismus aus dem samtenen Innenraum herauffuhr und ein Tanzendes paar zum Vorschein kam. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch etwas war anders, die Tänzerin in den Armen des Mannes war ganz aus Glas .... Auf einmal fiel ein Tropfen auf die Figur und zersprang. Nanu, wo war der denn hergekommen? Da spürte ich es, die Nässe in meinem Gesicht, ich weinte und das vielleicht seit Jahren das erste Mal, seit ich diesen Panzer um mich aufgebaut hatte ... Schnell wischte ich mir über die Augen und schloss ich die Schachtel und doch konnte sie nicht aus der Hand legen, also besah ich mir ihr Äußeres genauer, wobei mir eine kleine Gravur am Boden der Schatulle auffiel.   //Meine geliebter Bastian, ich werde immer bei dir sein und wenn es nur mein Geist ist, der über dich wacht und dich in seinen Armen hält. In ewiger Liebe Anna. //   Mir stockte der Atem, ich konnte es nicht fassen, konnte es wirklich Zufall sein, das unserer beider Namen dort stand? War dies vielleicht wirklich eine Botschaft von Anna? Von meiner Anna? Für, für mich? Konnte das wirklich sein? Aber, aber wenn ja, wieso? Wieso jetzt? Wieso hatte ich die kleine Schatulle nicht schon vor Jahren gefunden? Immerhin ging ich täglich in diesem Park, war dies doch unser Lieblingsort gewesen… Erst jetzt viel mir auf, wo ich die Schatulle tatsächlich gefunden hatte… Dieser Rosenbusch, ich erinnerte mich. Wir hatten ihn damals als Zeichen unserer Liebe einfach dort gepflanzt… und dies war auch der Ort gewesen, an den Anna ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte, bevor die Krankheit es vermocht hatte… Hatte sie damals die Schatulle dort fallen lassen? War sie etwas sowas wie ein Abschiedsgeschenk für mich gewesen? Hatte ihr letzter Gedanke, wirklich mir gegolten? Wieder erinnerte ich mich an Annas Wunsch, ich sollte leben… und schmerzlich wurde mir bewusst, wie sehr ich diesen Wunsch die letzten Jahre mit Füßen getreten hatte… Ich hatte nicht gelebt, ich hatte existiert… Erneut schwor ich ihr und mir dies zu ändern und öffnete die Schatulle erneut und weinte, ich weinte, wie ich noch nie geweint hatte, und plötzlich bekam die traurige Melodie etwas Tröstliches und es war wie als Würde Anna mich aus meinem Bann befreien.   „Lebe Basti, lebe.“   Und es war, als könnte ich noch einmal ihre zärtliche Umarmung fühlen… Danke Anna… Danke, dass du immer bei mir bist und über mich wachst… Vorsichtig verschloss ich die Schatulle und stellte sie auf meinen Nachtisch, irgendwie hatte ich so das Gefühl, Anna wieder bei mir zu haben. Am nächsten Tag auf der Arbeit riss ich mich zusammen und grüßte Sabine, meine Arbeitskollegin und zum ersten Mal seit Jahren unterhielt ich mich wieder mit einem anderen Menschen und konnte dabei sogar ehrlich lächeln… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)