Meteoritenfänger von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 1: Dronino ------------------ Yuriy fand Boris auf dem Schrottplatz, wo er mit einer sehr beachtlichen Geschwindigkeit mit Falborg Dinge zerlegte. Eine Weile schaute Yuriy einfach zu. Es war lange her, seit Boris das letzte Mal so heftig an die Decke gegangen war, dass er die Lederjacke vom Haken gerissen und sich auf den Weg zum Schrottplatz gemacht hatte. Vermutlich konnte Yuriy sich stolz auf diese Leistung fühlen. Boris nahm ein altes Waschbecken und schleuderte es mit einem Wutschrei gegen ein Autoskelett, wo es in tausend Stücke zersprang. Stolz fühlte sich anders an. Er wartete einen Moment, ehe er sich bemerkbar machte, indem er aus den Schatten heraustrat. Augenblicklich fuhr Boris zu ihm herum, wie ein Bluthund, der eine Spur gewittert hatte. Ein Sirren wie ein scharfer Luftzug war Yuriys einzige Warnung; instinktiv warf er sich zur Seite. Nur eine Sekunde später schlug Falborg krachend neben ihm in einen alten Einkaufswagen und klapperte auf den Boden, wo er sich zornig schlingernd weiterdrehte. Yuriy atmete aus. Dann hob er den Kopf und starrte Boris an. „Bist du bescheuert?“ Boris schnaubte nur, während Falborg sich beschleunigte und beschleunigte und dann wieder zu ihm geschossen kam, um in den nächsten Müllberg hineinzufegen. Sein Besitzer indes drehte Yuriy den Rücken zu. Der Rotschopf konnte deutlich die Anspannung in Boris‘ Schultern und Armen sehen, die nicht davon kam, dass er wieder dazu übergegangen war, Dinge zu zerstören. Lange her, dass Boris so wütend gewesen war. Noch länger her, dass er so wütend auf Yuriy gewesen war. „Borja“, sagte Yuriy und trat einen Schritt näher. „Du hast das hier ganz toll kaputt gemacht, aber jetzt ist es wieder an der Zeit, heimzukommen.“ „Halt‘ die Fresse“, sagte Boris so heftig, als ob er nur darauf gewartet hatte, dass Yuriy ihm einen Grund lieferte, noch mehr um sich zu schlagen. Er drehte sich zu Yuriy um, die Augen sturmflackernd und wild, und hielt dabei starr zwei alte, leere Bierflaschen in den Händen. „Wenn hier irgendwer was ganz toll kaputt gemacht hat, dann bist du das.“ Yuriy presste einen Moment lang die Lippen aufeinander. „Ich bin ehrlich mit dir, weil ich dich nicht anlügen will, und du sagst mir, dass ich Dinge kaputtmache?“ „Ja!“, rief Boris und warf eine der Bierflaschen krachend gegen die nächste Wand. Yuriy zuckte, hasste sich dafür, zwang sich, stehen zu bleiben und die Arme vor der Brust zu verschränken. „Kai fucking Hiwatari, Yura. Immer. Ich hab‘s immer schon gewusst. Aber ich wollt‘s nicht glauben - nicht nachdem ich dich endlich für mich habe.“ Er atmete in einem Stoß aus und schleuderte die zweite Flasche. Yuriy spürte einen hauchdünnen Splitter über seine Haut streifen und ermahnte sich, komplett still zu stehen. „Ich dachte, du meinst es ernst, als du meintest, dass du für mich genauso empfindest wie ich für dich, aber das war eine Lüge. Es war immer Kai fucking Hiwatari, von dem Moment an, als du ihn das erste Mal gesehen hast.“ „Oh, was zum Fick, Boris“, zischte Yuriy, der an dieser Stelle nicht mehr an sich halten konnte, „das Melodrama kannst du dir sparen. Es war keine Lüge.“ „Dann hast du nie verstanden, wie ich für dich fühle“, sagte Boris heftig, „denn ich könnte mir nicht mal vorstellen, mich in einen anderen zu verlieben.“ Stille trat ein. Yuriys Mund war sehr trocken. Er wandte den Blick zuerst ab, um von dem Sturm auf Boris‘ Gesicht nicht mitgerissen zu werden. Während er sich durch die Haare fuhr, konnte er Boris tief seufzen hören. Dann wurde Falborgs Sirren schwächer, ehe es abrupt abgeschnitten wurde, als Boris den Beyblade zurück in seine Hand springen ließ. „Wenn‘s wenigstens nur Sex wäre, den du willst“, sagte Boris dann, „aber das ist es ja nicht mal. Oder wenn, dann poliere ich dir jetzt erst recht die Fresse, denn dann kannst du dich ficken gehen mit deinem ‚Oh Borja, ich habe prinzipiell meistens kein Bedürfnis nach Sex‘-“ „Fick du dich“, zischte Yuriy, während ihm die Hitze in die Wangen schoss. „Es dreht sich nicht alles im Leben nur um Sex - in meinem zumindest, denn du kannst mir hier nicht weismachen, dass du nicht schon drüber nachgedacht hättest, wie es wäre, mit Kai zu vögeln.“ „Darum geht es hier aber nicht!“, brüllte Boris und schlug mit der Faust gegen das Autoskelett, nur um sich gleich darauf mit wütendem Fluchen den Handballen zu reiben. Es war schwer zu sagen, auf wen er am wütendsten war: auf sich selbst, auf Yuriy oder auf die allgemeinen Umstände. „Hör auf, mir verdammt nochmal die Worte im Mund herumzudrehen! Du kommst zu mir, sagst super salopp, ‚Oh Borja, ich habe übrigens auch Gefühle für Kai‘ - Kai fucking Hiwatari!“ Er atmete schnaufend ein. „Du kannst nicht erwarten, dass man da nicht die Krätze bekommt und Fragen stellt!“ „Du hast bis jetzt noch keine einzige Frage gestellt“, hielt Yuriy erbittert dagegen, „du hast nur mit irgendwelchen Anschuldigungen und Waschbecken um dich geworfen und das war‘s!“ „Oh, du willst Fragen?“, bellte Boris. Innerhalb von Sekunden war er herangerauscht und hatte Yuriy am Kragen gepackt, ohne auf dessen Hände zu achten, die sich instinktiv gegen seine Brust gestemmt hatten. Man erinnerte sich immer erst daran, dass Luft einen auch umbringen konnte, wenn sie sich in ungeahnte Höhen schraubte. Aber Yuriy war es gewohnt, sich gegen den Sturm zu stemmen. Sie sahen sich einen langen Moment stumm, taxierend in die Augen, dann fragte Boris mit unkontrolliertem Beben in der Stimme: „Liebst du mich noch?“ Es gab niemanden, der sich so sehr vor Yuriy entblößen konnte wie Boris. Es war ein Geschenk, das Yuriy mit Nachsicht zu behandeln versuchte, deshalb schluckte er jedes automatisch defensive, spitze Kommentar herunter. Stattdessen zwang er sich, eine Hand von Boris‘ Brust zu lösen und sie auf seine Wange zu legen. „Borja, das stand nie in Frage.“ „Sag‘ einmal in deinem Leben bitte einfach nur Ja oder Nein.“ „Ja, Borja.“ Yuriy strich über seine Wange, auf und ab, auf und ab, bis Boris geräuschvoll den Atem entweichen ließ. „Was willst du von Kai, was ich dir nicht geben kann?“, fragte er dann und wirkte dabei schon etwas ruhiger, auch wenn das Beben noch immer in seiner Stimme lag. Yuriy zögerte einen Moment. Er wusste selbst nicht, wie er es formulieren sollte und die Worte kamen nicht leicht, aber schließlich sagte er: „Du siehst es so, als würde ich irgendwelche Lücken damit stopfen wollen, die du nicht ausfüllen kannst, aber das ist es nicht.“ Einen Moment lang wirkte Boris, als ob er erneut aufbrausen wollte, dann kontrollierte er sichtlich seinen Atem und fragte schließlich betont ruhig: „Sondern?“ „Sondern ich würde ihn gerne stärker in meinem Leben einbinden, weil ich mehr für ihn empfinde als nur für einen Freund. Und vielleicht hast du Recht, dass ich ein Arschloch war, weil ich es jetzt erst sage. Aber es war nicht immer so. Und ich … ich bin nicht gut mit diesem Scheiß.“ „Das bist du wirklich nicht“, sagte Boris nicht gerade freundlich und atmete erneut tief durch. Sein Griff um Yuriys Shirt lockerte sich ein wenig. „Fick dich.“ „Vielleicht später“, sagte Yuriy, „wenn du jetzt nicht abhaust.“ „Ich lasse dich nicht los“, sagte Boris, ohne die Augen von Yuriy zu nehmen, und während etwas in Yuriys Brust sich dermaßen ausdehnte, dass er kaum atmen konnte, fügte er hinzu: „Auch wenn ich manchmal wünschte, du würdest es mir einfacher machen.“ „Tut mir Leid“, sagte Yuriy ehrlich. Er zögerte eine Sekunde, dann legte er die Hände um Boris‘ und sah ihn an. „Können wir heimgehen und nochmal in Ruhe darüber reden?“ „Was sagt Hiwatari eigentlich dazu?“ „Der weiß noch nichts. Zumindest habe ich noch nicht mit ihm gesprochen.“ Yuriy atmete tief ein. „Ich mache nichts, wenn du nicht an Bord bist. Ich setze das mit uns nicht für irgendeine halbgare Wunschvorstellung aufs Spiel, wenn es vollkommen unmöglich ist.“ „Fick dich“, wiederholte Boris noch einmal mit viel Gefühl. Aber dann schlang er die Arme um Yuriy und drückte ihn an sich, dass der es in seinen Rippen krachen spürte. Yuriy grub die Finger in seinen Rücken, hob ihm den Kopf entgegen und glitt mit den Lippen fragend über seine Wange, bis Boris ihn grollend küsste, wieder und wieder. Da war immer noch Sturm in seinen Augen, als sie sich schließlich ein wenig atemlos genug voneinander lösten, um sich ansehen zu können, aber Yuriy hatte keine Sorge mehr, dass er davon zerrissen werden würde. „Also schön“, sagte Boris dann, „gehen wir heim und reden wir darüber. Ich hoffe echt für dich, dass du dir schon irgendwas überlegt hast.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)