Sommerregen von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Komm rein, du Arschloch“, sagte Boris gegen den Türrahmen gelehnt, „du erkältest dich noch.“ Kai, auf den Hausstiegen sitzend und die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt, den Rücken zur Haustür gewandt und den Kopf hängend, antwortete nicht. Seine Muskeln und Schulterblätter wölbten sich unter dem gespannten Stoff seines Shirts wie zornig aufgewühltes Gebirge. Der Regen, warm und sommerlich und wütend, perlte von seinen Haaren ab und durchtränkte den Stoff seiner Kleidung. Boris wollte ihn treten. Boris wollte ihn nehmen, hochziehen und reinbugsieren, um ihn dort abzutrocknen. Er grub die Finger in das Holz des Türrahmens, splitternde weiße Farbe auf seiner Haut, und sagte: „Warum machst du es mir so verdammt schwer?“ Das rang Kai ein Schnauben ab. „Ich mache es dir schwer? Fick dich.“ „Fick du dich“, sagte Boris automatisch. Sein Therapeut wäre nicht begeistert von dieser Kommunikation. Sein Therapeut war aber auch nicht begeistert von der generellen Beziehung, die er mit Kai hatte. Sein Therapeut konnte sich auch gleich ficken gehen. „Komm jetzt rein, sonst werfe ich dich über meine Schulter. Du bist mit Fieber unausstehlich.“ Kai machte einen tiefen Seufzer und hob den Kopf, bog den Rücken durch. Boris sah auf die Linie seines Halses, seines Unterkiefers, grub die Finger fester ins Holz. Gott, wie konnte es aus Strömen regnen und noch so warm sein? Er hatte das Gefühl, kaum Luft zu bekommen, so stickig war es, und je mehr Kai auf den warmen Steinen der Stiege sah und in die Wolken starrte, desto stickiger schien es zu werden. Seine Brust war eng mit dem Gefühl der Stickigkeit. Wenn es zu Kai kam, dann wandte sich sogar der Sturm gegen Boris. „Komm rein“, sagte er erneut. Es würde alles gut werden, wenn Kai nur endlich reinkam. Warum zum Fick kam er denn nicht rein? Kai gab einen tiefen Seufzer von sich, dann fuhr er sich durch die Haare. Tropfen aus Wasser auf seinen Fingern und Strähnen, auf seinem Hals und Saum, auf dem warmen Stein der Stiegen. „Du bist ein Scheißkerl“, sagte er dann ohne Hitze in seiner Stimme. „Ich hab‘ das ganze Herumgeschleiche satt, Boris. Ich bin zu alt. Wir sind beide zu alt für das hier. Ich will das nicht mehr.“ „Was?“, fragte Boris um den Klumpen in seiner Kehle herum. Entgegen der gängigen Meinung kannte er Angst. Er kannte sie, und er erkannte sie, wenn sie ihm die Atemwege verschloss. Kai sah mit zusammengekniffenen Augen in die Regenwolken hinauf. „Ich will kein Herumeiern mehr und kein So-tun-als-ob. Für die ganzen Streitereien habe ich keine Energie mehr. Ich dachte, ich brauche das, aber ich brauche das nicht. Nicht so.“ Nun drehte er sich doch so halb um und sah Boris durch den Sommerregen hindurch an, die Augen so aufgewühlt, dass sie fast schwarz wirkten. „Entweder es ist was da, dann können wir aufhören, uns was vorzumachen. Oder es ist nichts da, dann können wir auch aufhören, uns was vorzumachen.“ Einen Moment lang war es bis auf das Prasseln des Regens so still, dass Boris vermeinte, seinen Herzschlag so überdeutlich laut zu hören, dass er wie ein Militärsmarsch selbst in Kais Ohren trommeln musste. Ausnahmsweise fehlten ihm die Worte. Nein, dachte er stillschweigend, wenn es um Kai ging, dann wandten sich die Worte oft gegen Boris. Kai sah ihn immer noch an. Dann sagte er leise: „Du stehst doch so auf klare Ansagen. Da hast du eine.“ Das war in der Tat sehr klar gewesen. Boris starrte ihn an, die Hände immer noch ins Holz gelegt, Gott, er wollte kein Holz anfassen, er wollte Kai anfassen - er wollte Kai mit hinein nehmen, dorthin, wo es warm und trocken war, er hasste es, dass Kai Recht hatte. Er triumphierte in dem Wissen, dass Kai falsch lag. Sie hatten sich nie etwas vorgemacht. Sie hatten es nur immer falsch ausgedrückt. Es kostete ihn wenig, den Türrahmen loszulassen, splitternde weiße Farbe auf seiner Haut, und die paar Schritte nach vorne zu machen, auf die warmen Steinstiegen zu sinken und den Regen zu ignorieren, der sofort durch seine Kleidung sickerte und nach seiner Haut griff. Boris selbst griff nach Kai - wölbte sich über ihn, umfing sein Gesicht mit beiden Händen, legte den Mund auf seinen und schloss die Augen, als Kai die Arme hob und nach ihm griff. Seine Berührungen, der Regen wie tausend Geister, die in Boris‘ Brust bebten, die ihn noch stärker nach Kai greifen ließen, der regenfeucht war und warm, der ihm die Kehle entblößte und seinen Atem in ihn stieß. Das alles haben, das alles spüren wie Boris seinen eigenen Blutstrom fühlte, das alles halten und an sich ziehen - das alles möglicherweise verlieren: es schien wie ein Ding der Unmöglichkeit. Er veränderte seine Position, ließ von Kai ab, um sich neben ihn fallen zu lassen, griff erneut nach ihm. Kai kam ihm auf halbem Weg entgegen, schob die Hände unter sein Shirt, grub die Finger in Boris‘ Rippen, Regen auf seiner Haut. Regen auf seinen Lippen, die über Boris‘ glitten und sich ihm erneut öffneten. Gott, Kai war so warm. Er konnte sein Herz gegen sein eigenes donnern hören, keiner war so sehr am Leben wie Kai, keiner nahm seinen Sturm so wie Kai. Seine Brust war eng mit dem Wissen darüber, dass er Kai fühlte wie seinen eigenen Blutstrom und ihn ungefähr genauso gerne gehen lassen wollte. „Komm rein mit mir“, flüsterte er, Mund an Mund und Hand im Haar. „Ich schwöre dir, es wird anders werden.“ Kai hob die Lippen von seinen, nur ein winziges Stück, sodass er den Geist ihrer Berührung immer noch auf seinem Mund spüren konnte. Seine Augen bohrten sich in Boris‘, rotglühend und hungrig und bodenlos. Er ließ die Finger über Boris‘ Undercut wandern, dann über die silbernen Ringe in seinem Ohr. „Versprich es mir.“ „Ich verspreche es“, sagte Boris leise. Kai sah ihn noch eine Weile länger an. Dann lächelte er sachte und die Fingerspitzen glitten weiter zu Boris‘ Wange, auf der sie klamme, feuchte Spuren hinterließen. Es war immer noch warm, aber Boris hatte nicht mehr das Gefühl, daran ersticken zu müssen. „Lass uns reingehen“, sagte Kai. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)