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Gnädiges Gift

von

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Vor einem Monat - Fortsetzung

Stirnrunzelnd stand Jodie vor dem Büro von James Black und atmete tief durch. Hätte er Shuichi nur gesagt um was es ging, dann wäre sie bei weitem weniger nervös gewesen. Bereits in der Vergangenheit musste Jodie häufiger seinem Büro einen Besuch abstatten und jedes Mal hatte er die ein oder andere Hiobsbotschaft für sie.

Irgendwann hatte sie sich in den Kopf gesetzt ebenfalls eine Ausbildung zur FBI Agentin zu absolvieren, nur um besser ihre Arbeit als Beraterin zu machen und sich in die Gedanken der anderen Agenten hineinzuversetzen. Allerdings hatte James damals keine guten Nachrichten für sie. Zwar würde sie die Einstellungsvoraussetzungen erfüllen, da sie wieder die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, im richtigen Alter war, eine Hochschulbildung inklusive Berufserfahrung besaß und sportlich nicht unbegabt war. Sie würde auch die Gesundheits-, Drogen- und Lügendetektortests bestehen und hatte genügend Erfahrung mit den Feinden gesammelt, dennoch würde sie wohl nie zu den fünf Prozent zählen, die für die Grundausbildung in Frage kamen. Sie war eben beim Feind aufgewachsen, von ihm ausgebildet und jahrelang konditioniert worden. Somit war sie immer eine kritische Komponente für die anderen Agenten – möglicherweise sogar eine tickende Zeitbombe. Und keiner wusste, wie es mit ihr weiterging, sollten sie und Shuichi sich je trennen. Kam ihre Vergangenheit erst einmal heraus, hatte das FBI einiges zu erklären - vor der Presse, aber auch vor den Menschen, die sie beschützen mussten.

Selbstverständlich machten Anwälte häufiger Deals mit Verbrechern, aber sie hatten immer ein Ass im Ärmel und konnten denjenigen dennoch hinter Gittern bringen. Es gab immer ein Hintertürchen. Aber so einfach wäre es in Jodies Fall nicht geworden. Hätten sie die Organisation in den Fokus gerückt, wäre eine Massenpanik in allen Ländern entstanden. Und so blieb sie eben weiterhin als Beraterin tätig.

Da ihre Familie nicht mehr lebte und Shuichi wohlbehalten in seinem Büro war, konnte James ihr auch keine Todesnachricht mitteilen. Dennoch hatte Jodie kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Jodie klopfte.

„Herein“, dröhnte es aus dem Büro und sie öffnete die Tür.

„Sie wollten mich sprechen.“

James sah nach oben und nickte. „Setzen Sie sich doch“, sprach er und wies auf die freien Plätze vor seinem Schreibtisch. Anders als Shuichis Büro war das von James von Anfang an als Einzelzimmer konzipiert und entsprechend ausgestattet worden.

Langsam begab sich Jodie dorthin und nahm Platz. „Muss ich mir wegen irgendetwas Sorgen machen?“, fragte sie.

„Hm? Nein, natürlich nicht“, entgegnete er. „Wie haben Sie den Ruhm um Ihr erstes Buch verkraftet?“

„Meinen Ruhm?“ Jodie sah ihn überrascht an. „Da gibt es doch kaum Ruhm. Ja, es verkauft sich gut und von dem Geld könnte ich mir ein kleines Häuschen leisten, aber aufgrund des Pseudonyms bekomme ich selbst kaum etwas mit.“

James nickte verstehend. „Ich muss sagen, wir haben uns damals mehr erhofft, als wir auf die Idee kamen, Ihre Geschichte als Buch zu veröffentlichen. Leider hat sich die Organisation trotzdem nicht in die Karten sehen lassen.“

„Ich habe es Ihnen damals bereits gesagt“, fing Jodie an. „Sie haben zwar einige Mitglieder in den Staaten, sind aber eher in Japan aktiv. Ob jemand von ihnen das Originalbuch gelesen hat, ist fraglich. Nach meiner Recherche ist Chris immer noch in Japan.“

„Allerdings wissen wir beide, dass sie sehr gut darin ist, sich als jemand anderes zu verkleiden und in seine Rolle zu schlüpfen.“

Jodie nickte. „Natürlich, aber ich glaube, ich hätte sie erkannt…ich hoffe es…immerhin habe ich von ihr gelernt“, murmelte sie.

„Es kann sich viel verändert haben“, begann James ruhig. „Vermouth kann sich noch weiter verbessert haben und sie kann in Rollen schlüpfen, die selbst Ihnen unbekannt sind.“

„Ich glaube, um mir Angst zu machen, würde sie eine Rolle nehmen, die ich erkenne. Und selbst wenn nicht, es gibt Merkmale, die sie verraten. Sie trägt immer eine Waffe bei sich, also muss man nur auf Ausbeulungen achten, die auf ein Holster hinweisen. Wenn keine Gefahr im Verzug ist, trägt sie es gern am Knöchel. Außerdem kennt sie die Vita ihres Opfers sehr gut, damit könnte man sie aus der Reserve locken, wenn man gezielte Fragen stellt. Irgendwann muss auch sie unachtsam werden.“

„Das haben Sie uns bereits erzählt“, entgegnete James ruhig. „Wie dem auch sei. Ihr Buch wurde kürzlich in Japan veröffentlicht.“

„Das…hab ich auch mitbekommen“, murmelte die Amerikanerin. „Shuichi will die Übersetzung überprüfen und schauen, was an der Geschichte geändert wurde. Und ich würde das ehrlich gesagt auch machen.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Wir haben unsere besten Übersetzer auf das Projekt angesetzt. Es sollte nichts schief gehen.“

„Das hab ich schon sehr oft im Zusammenhang mit der Organisation gehört“, entgegnete Jodie ruhig.

„Jodie, ich kann verstehen, dass Sie angespannt sind. Sie hatten uns bereits damals Ihre Sorgen mitgeteilt und wie Sie sehen, ist bisher nichts davon eingetreten.“

„Ich weiß“, kam es von Jodie. „Ich bin immer etwas nervös, wenn es um die Organisation geht. Ich hab damals einfach gehofft, dass ich nicht andauernd an meine Vergangenheit erinnert werde. Ich konnte ja verstehen, dass ich meine Geschichte aufschreiben sollte, aber…es verfolgt mich immer noch. Habe ich nicht auch einen Abschluss verdient?“

„Es wird Sie leider auch weiterhin verfolgen. Jodie, selbst wenn wir das mit dem Buch damals nicht gemacht hätten, Ihrer Vergangenheit wären Sie nie entkommen. Sie wissen schließlich wie ich, dass Sie jederzeit mit Anschlägen rechnen müssen. Erst wenn die Organisation vernichtet ist, können Sie mit ihrer Vergangenheit abschließen.“

„Natürlich“, nickte Jodie seufzend. „Aber es ist was anderes, wenn man es darauf anlegt. Naja, egal. Deswegen wollten Sie bestimmt nicht mit mir reden.“

„Ja und nein. Es geht tatsächlich um das Buch“, fing er an. „Jodie, wie gerade erwähnt wissen Sie, dass wir noch nicht den gewünschten Erfolg damit erzielt haben. Wie dem auch sei. Der Verlag hatte mich in den letzten Tagen kontaktiert und sein Interesse an einer Fortsetzung bekundet.“

Jodie schluckte. „Sie wollen, dass ich einen zweiten Teil schreibe?“

„Nun ja.“ James runzelte die Stirn. „Es ist nicht nur das. Normalerweise veröffentlich der Verlag Geschichten in Form einer Trilogie.“

„Trilogie“, wiederholte Jodie leise. „Das kann nicht…“

„Ich habe es mit meinen Vorgesetzten besprochen und sie fanden die Idee nicht schlecht. Momentan verhält sich die Organisation leider viel zu ruhig. Wenn es also noch einen weiteren Teil gibt, könnten wir sie vielleicht dieses Mal heraus locken.“

„Sie wollen mich zum Lockvogel machen.“

„Jodie, nein, so ist das nicht. Das verstehen Sie falsch. Selbstverständlich beschützen wir Sie, aber Sie müssen uns auch verstehen. Wenn wir die Organisation weiter machen lassen und aus der Ferne zu sehen, werden immer mehr Menschen leiden. Wenn Sie möchten, können Sie es auch mit Agent Akai besprechen.“ James lächelte. „Ich weiß, welcher Gefahr wir Sie aussetzen und wenn es nicht notwendig wäre, würde ich mich ebenfalls weigern.“

„Ich wüsste aber auch nicht, worüber ich schreiben sollte“, warf sie ein. „Die Geschichte ist zu Ende…sie hat damit geendet, dass der Hauptcharakter ihr Glück fand.“

„Ich weiß“, nickte der Agent. „Der Verlag würde sich wünschen, dass es einen Schicksalsschlag im Leben der Beiden gibt, der sie wieder auf die Spur der Organisation bringt. Der zweite Teil soll mit einem Cliffhanger enden. Im dritten Teil soll die Organisation schließlich vernichtet werden.“

„Friede, Freude, Eierkuchen“, murmelte Jodie. „So etwas lässt sich nicht in drei Teilen lösen.“

„Für die Leserschaft schon. Denken Sie darüber nach und bitte lassen Sie dabei außer Acht, dass es dem FBI nutzen würde. Wenn Sie feststellen, dass Sie partout nicht damit leben können, werden wir Sie nicht zwingen.“

„Und der Verlag?“

„Auch der kann Sie nicht dazu zwingen. Allerdings könnte es sein, dass sie Ihnen anbieten, die weitere Geschichte durch einen Ghostwriter schreiben zu lassen.“

„Mhm…“ Jodie dachte nach. „Bis wann...ich mein, beim letzten Mal war mein Text ja schon fertig, ehe Sie ihn an einen Verlag gegeben haben.“

James nickte. „Der Verlag möchte spätestens nächsten Monat Ihre Rückmeldung haben, am besten mit einem kurzen Exposé über die Geschichte. Für das Schreiben bekommen Sie dann ein Jahr Zeit. Natürlich werden wir Sie aufgrund der Wichtigkeit von einigen Aufgaben hier freistellen, sollten Sie sich dafür entscheiden.“

„Ich werde…darüber nachdenken“, wisperte sie.

„Gut. Danke. Jodie, da wäre noch etwas.“

Jodie schluckte. „Noch…etwas?“, wiederholte sie leise. „Und was?“ Konnte es noch schlimmer werden?

„Sie wissen ja, dass sich Ihr Buch hier in den Staaten gut verkauft. Aus diesem Grund möchte es der Verlag verfilmen.“

„Verfilmen?“ Jodie wirkte überrascht. „Lassen Sie mich raten, Sie halten das auch für eine gute Idee.“

James nickte ein weiteres Mal. „Wir möchten, dass Vermouth ihre eigene Rolle spielt.“

„Das…das dachte ich mir“, murmelte die Amerikanerin. „Möglich, dass Sie sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen lässt. Aber eigentlich hat sie die Schauspielerei aufgegeben.“

„Eigentlich…“, sagte James. „Wir wissen, dass sie kleinere Rollen in japanischen Werbefilmen angenommen hat. Und wenn es sein muss, bieten wir ihr die Rolle selbst an.“

„Verstehe...“

„Wenn es soweit ist, möchte der Verlag, dass Sie bei den Castings dabei sind, immerhin können Sie am besten sagen, wer welche Rolle spielen könnte. Sie bekommen auch das Drehbuch zu lesen, aber es könnte sein, dass Sie sich mit gewissen Änderungen arrangieren müssen.“

„Oh“, gab Jodie leise von sich. „Also werde ich…mit ihr konfrontiert.“

„Es wäre gut möglich. Wir werden dem Verlag Vermouth als Schauspielerin vorschlagen. Vielleicht gibt es für ihre Rolle kein Casting. Aber vielleicht werden Sie bei einigen Dreharbeiten dabei sein. Ich weiß, was wir Ihnen damit zumuten, und wenn Sie sich dagegen entscheiden, können wir auch eine andere Agentin schicken.“

„Mhm…ich überleg es mir, ja?“

„Natürlich. Nehmen Sie sich alle Zeit der Welt.“

Jodie stand auf. „Danke, dass Sie mich darüber informiert haben“, ratterte sie den Standardtext herunter. Jodie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen. „Kann ich…jetzt gehen?“

„Natürlich“, antwortete James. „Wenn Sie noch Fragen haben…“

„Weiß ich, wo ich Sie finde.“ Jodie stand auf und ging aus dem Büro. Obwohl sie wusste, dass sie ihrer Vergangenheit nicht entkommen konnte, fühlte sie sich wieder von dieser eingeholt und gequält.

Langsam ging Jodie zurück zu Shuichis Büro. Sie öffnete die Tür und sah ihren Freund an.

Shuichi war sofort aufgestanden. „Jodie?! Was ist passiert?“

Jodie ging auf ihn zu und wurde sofort in seine Arme geschlossen. „Sie wollen…dass ich weiter schreibe…und es soll einen Film geben….ich soll beim Casting dabei sein…und Chris könnte auch…“

„Was? Das ist nicht Blacks ernst.“ Shuichi ballte die Faust. „Ich rede mit ihm.“

Jodie schüttelte den Kopf. „Er hat es mit seinen Vorgesetzten besprochen. Sie halten es für eine gute Idee um die Organisation aus der Reserve zu locken. Ich soll…überlegen, ob ich dazu bereit bin. Und wenn nicht…dann wird eine Agentin meinen Platz einnehmen.“

„Mhm…“, murmelte der FBI Agent. „Ich werde dich dabei nicht aus den Augen lassen.“ Er verengte die Augen. Mit James würde er trotzdem ein ernstes Wörtchen reden.

„Danke“, wisperte Jodie leise und schloss die Augen. „Ich war so dumm…ich hab wirklich gedacht, dass es irgendwann aufhört…“

„Jodie“, sagte Shuichi leise. „Irgendwann wird es vorbei sein. Du wirst sehen. Ich werde alles tun, damit sie keine Macht mehr haben. Du musst das nicht alleine durchstehen.“

Die junge Amerikanerin lächelte. „Ich bin froh, dass ich dich habe.“ Sie löste sich von ihm. „Komm…lass uns darüber heute Abend zu Hause sprechen. Wir haben…noch den Fall und…wir müssen bald Ergebnisse liefern.“ Ablenkung – sie brauchte jetzt Ablenkung.

„Bist du sicher, dass du jetzt arbeiten willst?“

„Bin ich. Ein Vorteil, wenn man für die Organisation tätig war, ist die Tatsache, dass man seine Befindlichkeiten nach hinten schieben kann und dem Auftrag oberste Priorität einräumt. Und jetzt schau mich nicht so an. Ich weiß, was ich tu“, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Wo waren wir?“

Shuichi nahm ebenfalls Platz. „Du wolltest mir gerade“, begann er, als das Telefon klingelte. Er seufzte. „Schon wieder.“

„Geh ruhig ran. Wieder Black?“

„Nein. Das ist jemand aus der Zentrale“, antwortete er skeptisch. „Was die wohl wollen?“

„Erfährst du nur, wenn du ran gehst.“

Shuichi nahm den Hörer ab. „Akai“, meldete er sich.

„Agent Akai, hier ist Agent Donovan. Es ging gerade ein Anruf für Sie ein.“

Shuichi runzelte die Stirn. „Von wem?“

„Eine junge Frau namens Elena Sera. Möchten Sie den Anruf annehmen?“

Shuichi gefror das Blut in den Adern. Jemand wollte ihn sprechen und benutzte dafür den Mädchennamen seiner Tante. Shuichi hatte keine Zeit um noch länger geschockt zu sein und öffnete am Computer ein Programm um den Anruf aufzuzeichnen, ohne dass der Anrufer davon etwas mitbekam. „Stellen Sie durch.“

„Einen Moment.“

Shuichi hörte das Klicken am anderen Ende der Leitung. „FBI Special Agent Akai. Sie wollten mich sprechen.“

„Dai...Dai? Bist du…dran? Dai?“

Shuichis Augen weiteten sich. „Akemi?“

„Dai, ich brauch deine Hilfe.“



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