So wie er fühlt von Votani (Nathaniel x Velanna) ================================================================================ Kapitel 1: So wie er fühlt -------------------------- 1 Die bittere Kälte umschloss Velanna wie ein Mantel, als sie die Tür zum Hof aufschob. Es war ein schweres Unterfangen, da in der Nacht eine dicke Schneelache gefallen war. Die Rekruten hatten nur die Wege zu den Haupteingängen der Feste freigeschaufelt, obwohl Velanna diese Sitten nicht so recht verstand. Zwar schnüffelte sie nicht wie Sigrun an Erde, aber sie war ein Kind der Natur und wie alle Dalish eng mit ihr verbunden. Schnee – nervig, eklig und kalt, wie er nun mal war – war auch nur ein weiterer Teil von ihr. Die Elfen in ihrem Klan hatten ihn nicht einfach zur Seite geschaufelt oder ihn in kleinen Häufchen über die Steinmauern geworfen. Allerdings hatten sie auch keine Mauern besessen… „Schlägst du da Wurzeln, Mylady?“, ertönte eine raue Stimme hinter ihr, die sie zusammenzucken ließ. Velannas Hand fiel vom Knauf, als ihr auffiel, dass sie noch immer im Durchgang der Tür stand, nicht mehr drin in der Feste mit ihren warmen Kaminen und kalten Gängen, aber auch nicht ganz draußen im Schnee. „Andere Leute würden gern passieren“, fügte Nathaniel hinzu. Velanna schnappte empört nach Luft. „Willst du damit etwa andeuten, dass ich dick bin?“ Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, den Nathaniel bloß mit dem Zusammenziehen seiner Augenbrauen beantwortete. „Habe ich das behauptet?“ „Du hast—“ „Gesagt, dass ich gern auf den Hof hinaustreten möchte“, beendete Nathaniel, bevor er einen Schritt näher an sie herantrat. Sein Gesicht gab nichts von dem preis, was er dabei dachte oder empfand. Es war nicht das erste Mal, dass Velanna dies auffiel. Obwohl Nathaniel oft Unterhaltungen mit ihr anfing und sich in ihrer Nähe aufhielt – was laut Sidona ein Zeichen von menschlicher Zuneigung war – war er auch oft zweideutig und verwirrend. Er sagte Dinge, meinte sie aber selten so, wie Velanna sie verstand. Manchmal kam es ihr vor, als redeten sie in unterschiedlichen Sprachen miteinander und als müsste sie jedes seiner Worte entschlüsseln. In dieser Hinsicht war auch Sidona nicht sehr nützlich gewesen. Ihre Dalishe Kommandantin hatte Jahre unter Menschen verbracht, aber scheinbar bedeutete dies nicht, dass man das Verhalten dieser einer anderen Elfin logisch erklären konnte. „Warum schaust du mich so an, Velanna?“, fragte Nathaniel, der einen dicken Kapuzenmantel über seiner Rüstung trug. Seinen Bogen, der ein Erbstück seiner Familie war, trug er bei sich, als erwartete er jeden Moment einen Angriff der Dunklen Brut, obwohl es nach dem Sieg über der Mutter und dem Architekten ruhig geworden war. Vielleicht wollte er ihn auch einfach nicht mehr aus den Augen lassen. „Habe ich etwas im Gesicht?“ „Was?“, japste Velanna. „Nein. Natürlich nicht. Ich… Ich habe nur nachgedacht.“ „Worüber hast du nachgedacht?“, erkundigte sich Nathaniel mit rauer Stimme. Eine Gänsehaut breitete sich in Velannas Nacken aus und fuhr ihrer Wirbelsäule hinab, bis ein Beben ihren Körper erschütterte. Diese verdammte Kälte! Velanna straffte die Schultern und wandte ihm den Rücken zu. „Darüber, dass du der merkwürdigste Mensch bist, der mir je unter die Augen gekommen ist. Sogar merkwürdiger als Anders.“ Damit stapfte sie davon in den Schnee hinaus, der ihr bis zu den Knöcheln ihrer langen Stiefel hinaufreichte, die sich furchtbar beengend anfühlten. Kaum ein Soldat befand sich bei den Temperaturen draußen, nur gelegentlich huschte ein Rekrut hinüber zum Stall, um nach den Pferden zu sehen, oder eine Bedienstete holte etwas Feuerholz aus der Vorratskammer hinein. Vereinzelte Schneeflocken segelten vom Himmel, der weiß und schwer wirkte. Es würde weiter schneien, dies sah Velanna sofort, als sie den Blick hob. Sie, ebenso wie die meisten ihres Klans, konnte das Wetter problemlos anhand der Wolken und des Windes erkennen. Obwohl sie die Kälte nicht mochte, so fand sie hier draußen in ihren eigenen gefütterten Mantel eingehüllt, eine Ruhe, die es in der Feste nicht gab. Dort drinnen hinter dem Gestein war sie abgeschirmt von allem und jedem, während sie hier draußen frei und uneingeschränkt war. Sie vermisste die Wälder des Sommers. Soweit Velanna gehört hatte, war Amaranthine nicht für seine kalten Winter und seine schweren Schneefälle bekannt, sondern viel eher für seine plötzlichen Stürme. Wahrscheinlich hatte die Dunkle Brut in diesem Umschwung irgendwie ihre Finger im Spiel. Ihnen war schließlich alles zuzutrauen. „Das kannst du nicht ernst meinen“, presste Nathaniel harsch hervor und der Schnee knirschte unter seinen Sohlen, als er ihr über den verschneiten Innenhof folgte. „Niemand ist merkwürdiger als Anders. Das musst selbst du dir eingestehen, Mylady.“ „Ich muss gar nichts!“, zischte sie über ihre Schulter zurück. „Aber er trägt eine Katze in seinem Gewand.“ Velanna blieb stehen inmitten dieser weißen Landschaft, ehe sie sich zu ihm umdrehte. „Du redest darüber, als sei dies kein menschlicher Brauch.“ Auch Nathaniel kam zum Stillstand. „Was?“ Seine Stirn kräuselte sich. „Da hat dir jemand einen Bären aufgebunden, meine Liebe. Hast du schon wieder mit Oghren gesprochen?“ Velannas Mund öffnete sich, aber kein Laut schaffte es aus ihrer Kehle. Stattdessen schloss sie ihn wieder und wandte den Blick ab. Vor ihr stieß Nathaniel ein Schnaufen aus. „Was denn? Errötest du etwa gerade?“ „Vor Kälte“, rief Velanna aus und hob die Arme in einer wegwerfenden Bewegung zum Himmel hinauf. „Vor Kälte!“ Im selben Augenblick wandte sie sich ab und marschierte davon, schneller diesmal, direkt durch den hohen Schnee. Jedes Mal, wenn sie sich mit Nathaniel unterhielt, endete es mit ihr, die etwas Falsches oder Peinliches sagte, die nicht verstand, was er von ihr wollte und wie er seine Worte meinte. „Velanna.“ Eine Hand packte ihren Arm und hielt sie zurück. Das Herz klopfte ihr in der Brust, als Nathaniel sie wieder zu sich umdrehte. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, kritisch und nachdenklich und hin- und hergerissen. Es war das erste Mal, dass sie ihn so sah, fiel Velanna auf. Das erste Mal, dass sie ein ehrliches Gefühl auf seinem Gesicht fand und es auch verstand – dass sie ganz ähnlich wie er empfand. Sie erstarrte, als Nathaniels Blick zu ihren Augen hinaufkletterte und er sie ansah, als lag ihm etwas auf der Zunge, von dem Velanna neugierig war, um was es sich handelte. Nathaniels Hand rutschte von ihrem Oberarm zum Ellenbogen hinunter, selbst durch den dicken Stoff ihres Mantels spürbar. Wie würde sie sich ohne das Material dazwischen anfühlen? Velanna schluckte, doch der plötzliche Kloß in ihrem Hals löste sich nicht auf, sondern sorgte nur dafür, dass ihr noch mehr Hitze in das Gesicht schoss. Sie hatte keine Erfahrungen mit solchen Situationen, nicht mit einem Menschen. Einem Mann. „Velanna“, wiederholte Nathaniel ihren Namen, diesmal fast krächzend. „Deine Ohren… sie sind—“ Sie wachte aus ihrem Traum auf, aus der Illusion, der sie sich den Bruchteil einer Sekunde hingegeben hatte. „Wie bitte?“, fuhr sie Nathaniel über den Mund, bevor er seinen Satz beendet hatte. Ihre Stimme klang schrill in ihren Ohren und der Zorn und die Verwirrung schwirrten in ihrem Bauch wild durcheinander, bis sie nicht mehr wusste, welche Emotion überwog. Velanna entriss Nathaniel den Arm. „Was habt ihr nur alle mit meinen Ohren?“, fauchte sie. „Erst du, dann Sigrun. Nun wieder du. Sind sie wirklich so groß, dass ihr sie ständig erwähnen müsst?“ Ihre Augenwinkel brannten und ihr gesamtes Gesicht fühlte sich heiß und unangenehm an. Sie konnte den Wind und die Kälte kaum mehr spüren, als sie sich umdrehte und ihn stehen ließ, um Schutz hinter den dicken Mauern der Feste zu suchen. „Sie sind errötet. Ist dir kalt oder…?“, vernahm sie Nathaniels Gemurmel, auch wenn sie den Inhalt nicht entschlüsseln konnte, den Sinn dahinter nicht verstand. 2 Der Bote kam am frühen Morgen. Obwohl dies einen weiteren Angriff der Dunklen Brut bedeutete, so war Velanna beinahe froh über die Ablenkung. Mehrere Tage waren vergangen, in denen sie Nathaniel aus dem Weg gegangen war. Doch es war ermüdend und nervig diesem Menschen, der Talent dazu hatte, in scheinbar jedem ihrer achtlosen Momente, um die Ecke zu laufen, ständig zu vermeiden. Das Schlimme daran waren jedoch seine Blicke. Diese fühlten sich wie Säure auf ihrer Haut an, kribbelten fürchterlich und waren Erinnerungen an die Beleidigung, die er ihr so unwirsch an den Kopf geworfen hatte. Dabei hatte sie ausnahmsweise nichts falsch gemacht und sich sogar benommen, da war sich Velanna sicher. „Achtung“, rief Sidona aus und zückte ihre Dolche, die in Halterungen auf ihrem Rücken lagen. „Sie kommen.“ Auch Oghren machte sich bereit. Er spuckte sich geräuschvoll in die Hände, bevor er die schwere Streitaxt aufhob, deren Klinge im vereisten Boden gesteckt hatte. Durch die dichte Schneedecke waren die Wege nicht mehr zu erkennen, nur ein Pfeiler mit einem Schild und gelegentliches Gestrüpp gaben Anhaltspunkte des Geländes bezüglich. Genervt stieß Velanna den Atem aus und ihr Griff um ihren Stab festigte sich. Sie wollte sich nicht länger mit diesem Gedanken um Nathaniel beschäftigen, da sie dies schon zu lange getan hatte und dieser Augenblick nicht der Richtige dafür war. Stattdessen genoss sie das Kribbeln ihrer Magie, welches sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete. Der Stab in ihrer Hand gab ihr einen Sammelpunkt für diese Energie. Inzwischen konnte auch Velanna die Dunkle Brut sehen, die über die weiße Landschaft wetzte, da die Grauen Wächter genauso von ihnen aufgespürt werden konnten, wie es auch andersherum der Fall war. Besonders intelligent wirkten diese Bestien aber nicht, nicht wie diese Versuchskaninchen des Architekts, dessen Spur sie bisher immer noch nicht aufgenommen hatten. Sidona und Oghren setzten sich in Bewegung, um den verunstalteten Biestern entgegen zu treten und sie auf halben Weg den Pfad hinauf abzufangen, während sie mit Nathaniel an ihrer Seite in sicherer Entfernung verweilte. Es war immer Nathaniel an ihrer Seite. Bei jedem Kampf erschien es Velanna, dass sie Nathaniels Bogen aus den Augenwinkeln erblickte. Auch das drahtige Geräusch, wenn er ihn spannte, war zu einer vertrauten Konstante geworden, die Velanna den Magen umdrehte. „Du bist nicht bei der Sache, Mylady“, sagte Nathaniel neben ihr, als las er ihren Gedanken. Der erste Pfeil sauste an ihr vorbei durch die eisige Winterluft und bohrte sich in die Schulter eines der Monster. Im selben Moment erreichten Sidona und Oghren die Dunkle Brut und Klingen krachten gegen einander, als sie die ersten problemlos niedermähten, um sich anschließend in einen Kampf verwickeln zu lassen. Velanna rümpfte die Nase. „Woran kann das wohl liegen?“, höhnte sie, aber die Wut in ihrem Bauch ließ die Magie in ihrem Blut nur anschwellen. „Du nennst mich Mylady, angeblich als ein Zeichen des Respekts, beleidigst mich aber im selben Atemzug.“ Der Zorn entlud sich in ihrer Magie, als Velanna die Kontrolle der Baumwurzeln in der Umgebung übernahm. Sie brachen aus der Erde und dem Schnee heraus, um die Hurlocks zu umschlingen. Das Leben wurde wortwörtlich aus ihnen herausgepresst, während andere von den Wurzeln unter die Oberfläche gezogen wurden. Sidona bewegte sich mit ihrer geübten Geschwindigkeit. Sie nutzte die Eingeschränktheit ihrer Feinde aus und fand die Lücken, um ihre Messer tief in einen Körper nach dem anderen zu rammen, während Oghren mit seiner Streitaxt gedankenlos auf seine Gegner einhackte. Hinzu gesellte sich ein Pfeil nach dem anderen, geschmeidig und von einer ruhigen Hand geführt. „Beeindruckend“, murmelte Nathaniel. „Es ist mir egal, ob du beeindruckt bist“, zischte Velanna, als eine weitere Welle an Dunkler Brut aus dem Unterholz brach. „Das macht es beeindruckender.“ Inzwischen klang auch Nathaniel ein wenig atemlos, als sein Bogen sich wieder spannte und ein weiterer Pfeil flog. Trotzdem zog sich der Kreis um sie enger, den die Dunkle Brut unwissend kreierte. Velanna biss die Zähne aufeinander. Der Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, da der Kampf an ihren Magiereserven zerrte. Obwohl die Wurzeln ihre effektivste Waffe gegen diese Biester darstellten, so benötigte sie dafür auch die meiste Magie. „Hör gefälligst auf damit!“, wies sie Nathaniel an. „Mylady?“ „Mit allem.“ Ihre Stimme war laut und grell, weil Nathaniel sie mit seinem Verhalten immer an die Grenzen ihrer Geduld trieb. „Mit diesem ‚Mylady‘. Mit den Schmeicheleien, die nur versteckte Beleidigungen sind. Einfach mit allem!“ Einige Hurlocks brachen an Sidona und Oghren vorbei und rannten mit ihren entstellten Gesichtern und ihren aufgerissenen Mäulern auf sie zu. Velanna hob ihren Stab und beschwor einen Feuerball herauf, der direkt in ihre Mitte traf. Er holte einen Hurlock von den Beinen, der brennend nach hinten fiel und liegen blieb. Die anderen wurden beiseite geschleudert und landeten im Schnee. Velannas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und sie schielte zu Nathaniel hinüber, der einen Pfeil fliegen ließ. Auch er wandte sich ihr zu, doch sein Blick ging an ihr vorbei. Die dunklen, sonst so passiven Augen weiteten sich. „Velanna, pass auf!“, rief er krächzend. Bevor sie sich umdrehen konnte, um die Gefahr mit eigenen Augen zu sehen, zog Nathaniel bereits den kleinen Dolch hervor, den er in einer Halterung am Brustkorb seiner Rüstung trug. Er warf das Messer mit präziser Genauigkeit und es sauste an Velannas Ohr vorbei, sich in das Auge eines Hurlocks grabend, der sie von hinten hatte angreifen wollen. Velanna sah mit offenem Mund zu, wie das Biest umkippte. Nathaniel schritt über den knirschenden Schnee auf sie zu und direkt an ihr vorbei. Sein Stiefel kam auf dem Oberkörper der Dunklen Brut zum Ruhen, bevor er sich hinabbeugte, um sein Messer herauszuziehen. „Alles in Ordnung, Mylady?“, fragte er währenddessen. Velanna schluckte den Schreck hinunter, zusammen mit dem bitteren Gefühl, dass sie nun in der Schuld dieses Mannes stand. „Ja.“ Ihre Augen scannten die Umgebung, doch sämtliche Dunkle Brut war beseitigt worden, nur Sidona und Oghren kümmerten sich um die Letzten. „Du hast mich missverstanden“, begann Nathaniel und lockte ihren Blick wieder zu ihm zurück, weil er damit nie Schwierigkeiten hatte. „Alles was ich sage, meine ich absolut ernst. Wir wissen beide, dass ich nicht für meine Scherze bekannt bin. Meine Worte besitzen keinen doppelten Boden. Also kannst du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich mich nicht über dich lustig mache.“ Er wandte sich zu ihr um und suchte nach ihrem Blick, als er den Dolch wieder wegsteckte. „Als wir das letzte Mal miteinander geredet haben… Ich hatte nur andeuten wollen, dass deine Ohren ehrlicher sind, als was aus deinem Mund kommt.“ Velanna spürte, wie die Hitze ihr in den Kopf stieg, direkt in die Ohren, von denen er sprach. „Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst“, brachte sie hervor und musste sich beherrschen, ihm nicht auch einen Feuerball auf den Hals zu hetzen. Sie klammerte sich mit schwitzigen Fingern an ihren Stab. „Ich meine damit, dass sie sich erröten. So wie jetzt“, sprach Nathaniel gnadenlos weiter und riss die Wunden noch weiter auf, obwohl er doch gesagt hatte, dass er sie nicht beleidigen wollte. Was wollte er dann? Was war das hier? Wieso redete er dann ständig über ihre Ohren, als gab es nichts anderes an ihrer Person, was erwähnenswert war? „Es steht dir“, fügte er hinzu, doch Velanna verstand nicht. Erst langsam sickerten diese Worte ein und ihre Augenbrauen hoben sich in Unverständnis und Verwirrung. Ihr Mund fühlte sich plötzlich staubtrocken an, doch wenigstens kamen die durcheinanderwirbelten Gedanken zu einem abrupten Stillstand. „Sieg auf ganzer Linie!“, rief Sidona. Mehr Schnee knirschte, als sie und Oghren sich zu ihnen gesellten. Nathaniels Blick ruhte unverändert auf ihr, als Velanna sich mit klopfendem Herzen abwandte, den Stab dicht an ihre Brust gepresst. 3 Es war einfach absurd. Dieser Mensch und sein Benehmen waren einfach nur absurd, ebenso wie die Tatsache, dass er so viel Macht über sie besaß. Anders konnte es sich Velanna jedenfalls nicht erklären. Warum dachte sie sonst andauernd an ihn? Ständig konnte sie seine raue Stimme in ihrem Kopf widerhallen hören, zusammen mit einiger Dialogfetzen ihrer letzten Gespräche. Velanna folgte den langen Gängen der Feste, die in Dunkelheit lagen und nur gelegentlich zu dieser späten Uhrzeit von Fackeln an den Wänden erhellt wurden. Die meisten schliefen wohl schon, was kein Wunder war. Nach dem Angriff der Dunklen Brut nicht weit von ihnen war Virgil’s Keep einem Ameisenhaufen ähnlich zum Leben erwacht. Die doppelte Anzahl an Soldaten hielten Wache oben auf den Mauern, während kleine Truppen losgeschickt worden waren, um die Umgebung abzusichern, auch wenn keine weiteren Auffälligkeiten mehr gesichtet worden waren. Doch so ruhig war die Festung selbst in der Nacht schon lange nicht mehr gewesen. Für gewöhnlich traf Velanna sonst bei ihren nächtlichen Rundgängen durch das Gemäuer, oftmals von einer Schlaflosigkeit motiviert, ausgelöst von zu vielen Gedanken an ihre Schwester und einem zu weichen Bett, trinkende Soldaten an. Diese spielten meist Karten oder tauschten Gerüchte aus. Diesmal war es jedoch Nathaniel Howe, der ihrem wohlverdienten Schlaf im Weg stand. Auf nackten Sohlen bewegte sich Velanna lautlos über das kalte Gestein, als sie die Richtung zum Speisesaal einschlug. Ein weiterer Durchgang führte direkt in den geräumigen Essraum hinein, dessen lange Tische und Bänke, ebenso wie die wenigen Stühle, fast vollständig in der Dunkelheit verborgen lagen. Nur das knisternde Feuer im Kamin im hinteren Teil erhellte den Raum und schickte tanzende Schatten die hohen Wände hinauf. Nur eine einzige Person saß an einem der Tische nahe des Feuers. Velanna stieß ein genervtes Schnaufen aus. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Von all den Bewohnern dieser Festung war ausgerechnet Nathaniel es, der dort allein in der Halbdunkelheit neben einer Karaffe saß und in die orangeroten Flammen starrte, die sich aufgebracht im Kamin bewegten, angetrieben von den Briesen, die es durch die Lücken in dem alten Gestein schafften. Ein paar schwarze Strähnen mehr als sonst waren aus dem Band geschlüpft, welches sein Tophaar zusammenhielt, und hingen ihm in die Stirn. Von ihrer Stelle im Durchgang konnte Velanna nur sein Seitenprofil sehen, markant, ernst und fürchterlich attraktiv. „Ich beiße nicht“, sagte er, die Stimme gerade so laut, dass Velanna seine Worte aufschnappte. Ertappt schaute sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber... dafür war es nun wohl zu spät. Velanna straffte die Schultern und hob das Gesicht, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, als sie den verlassenen Speisesaal betrat. In diesem Moment hätte sie sich sogar mit einem trunkenen, schnarchenden Oghren zufriedengegeben, der irgendwo komatös in einer Ecke gelegen hätte. „Du kannst auch nicht schlafen.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung ihrerseits, als sie auf Nathaniel zuging. Er drehte den Kopf in ihre Richtung und sein Mund öffnete sich in Überraschung. Er hatte jemanden gehört, aber er hatte offenbar nicht sie erwartet. Velannas Mundwinkel zuckten ein Stückchen in die Höhe. Sie blieb stehen und verweilte am Rand des Lichtkreises, den das Kaminfeuer bildete. Mit einem Räuspern setzte sich Nathaniel aufrechter auf seinen Stuhl und stellte das Weinglas auf dem Tisch ab. „Willst du etwas trinken, Mylady?“, erkundigte er sich und machte eine Handbewegung zu der halbleeren Karaffe hinüber. Der süßliche Geruch von Wein lag in der Luft und mischte sich mit der Hitze, die man nur selten in diesem Gemäuer fand. „Wenn du noch ein Glas hast“, entwich es ihr. „Aus deinem Glas werde ich nicht trinken.“ Nathaniel nickte. „Natürlich nicht.“ Sich erhebend, verschwand er kurzzeitig in die finstere Küche der Feste. Als Velanna sich plötzlich allein wiederfand, schlang sie instinktiv die Arme um ihren Oberkörper. Obwohl sie sich nach all der Zeit bei den Grauen Wächtern an diese einengende Behausung gewöhnt hatte, so waren es Augenblicke wie diese, in denen Velanna ganz besonders spürte, wie abgeschottet man hinter all dem Gestein von der Welt doch war. Bei der unerwarteten Kälte war dies ein Vorteil, aber das änderte nichts daran, dass sie sich gelegentlich doch seltsam verloren hier vorkam. „Es ist kein Glas, aber der Wein wird auch aus einem Becher schmecken, versprochen“, erklang Nathaniels Stimme und wenige Sekunden später trat er wieder ins Licht. Er tauchte auf wie ein Geist im Nichts. „Ist dir ein Becher nicht recht, Mylady?“, fragte er, als er ihren Blick bemerkte. Vor dem Tisch stehen bleibend, verengten sich seine Augenbrauen, als er den hölzernen Becher skeptisch musterte. „Nein“, murmelte Velanna, bevor sie im gefassteren Ton fortfuhr. „Nein, das ist es nicht. Ich musste nur gerade an etwas denken.“ Wieso sagte sie das überhaupt? Immerhin konnten ihre Gedanken Nathaniel doch vollkommen gleich sein. Dieser nahm die Karaffe in die Hand, um etwas von der dunklen Flüssigkeit in den Becher einzugießen. „An was hast du gedacht?“ Velannas Herz klopfte unangenehm schnell in ihrer Brust, als sie ihn anstarrte. Wieder kräuselte sich seine Stirn, bevor er ihr den Becher entgegenhielt. Erst nach einigen Sekunden löste sich Velanna aus ihrer Starre und überbrückte den Abstand zwischen ihnen. Sie nahm den Becher entgegen und hielt ihn in beiden Händen, als sie an der Flüssigkeit schnüffelte. Der Geruch war stärker, aber derselbe, den sie geradeeben schon wahrgenommen hatte. „Woher stammt der Wein?“, fragte Velanna, anstatt auf Nathaniels Frage einzugehen. Wollte er wirklich wissen, was sie dachte? Was sie über ihn dachte? Nathaniel setzte sich wieder und bot ihr mit der Hand den Stuhl neben ihm an, auf den sie sich mit einem Zögern setzte. „Die Vorräte mögen durch den Schnee knapp sein, aber die Feste besitzt noch einen relativ vollen Weinkeller. Er liegt etwas versteckt, so dass die meisten nicht wissen, dass es ihn überhaupt gibt.“ Nathaniel zuckte mit den Schultern. „Gelegentlich steige ich dort hinunter und hole mir eine Flasche. Dieser Wein stammt aus Antiva. Er ist schon ziemlich lange gereift, aber das macht ihn gerade so süß und gut.“ Er nahm sein Glas zur Hand und nippte an ihm – und Velanna konnte den Aristokraten in ihm erkennen, der mit seiner Familie am Tisch saß, über Politik sprach und gereiften Wein trank. Vor ein paar Monaten noch hätte sie ihn und das, wofür er stand, verabscheut, doch Sidona hatte ihr seid ihrer Rekrutierung eine Welt gezeigt, die sie so noch nicht gekannt hatte. Nicht alles war so schwarz und weiß, wie sie damals noch angenommen hatte, obgleich dies alles einfacher machen würde. „Trink, Mylady“, entrann es Nathaniel. „Und sag mir, was du über den Wein denkst.“ Für einen Moment studierte Velanna sein Gesicht, ehe sie den Becher an ihre Lippen führte und einen kleinen Schluck nahm. Der Geschmack von süßen Beeren explodierte in ihrem Mund und sie schloss die Augen, um an ihm festzuhalten und ihn zu interpretieren, um jede einzelne Beere herauszuschmecken. „Er schmeckt dir?“, fragte Nathaniel nach einer Weile, aber es war sein Ton, der Velanna die Augen wieder aufschlagen ließ. Etwas Ungewohntes lag in ihm, etwas Neues. Neugierig schaute sie zu ihm hinüber. Da er halb mit dem Rücken zum Feuer saß, lagen seine Gesichtszüge fast gänzlich in den Schatten, doch Velanna meinte ein schmales Lächeln auf seinen Lippen auszumachen. Hitze ergriff von Velanna Besitz, aber sie unterdrückte den Impuls, sich etwas Luft zuzufächeln. Stattdessen nahm sie einen weiteren Schluck von dem Wein, um ihr Gesicht hinter dem Becher vor seinem Blick zu verstecken. „Er ist... sehr süß.“ „Das ist er.“ Velanna ließ den Becher sinken, umklammerte ihn aber weiterhin mit beiden Händen. „Ich habe über deine Worte nachgedacht“, brach es schließlich aus ihr heraus. Im Grunde hatte sie seit heute früh kaum an etwas anderes gedacht und schon eine Ewigkeit mehr an niemand anderen. Nathaniel zog in stiller Frage die Stirn kraus. Geräuschvoll stieß Velanna die Luft aus. „Deine Worte“, wiederholte sie ungeduldig, denn Gefühlsduseleien waren keine ihrer Talente, genauso wenig wie um den heißen Brei herumzureden. Anstatt sich ewig zu wundern, wollte sie lieber Klarheit. Sie schaute ins Feuer und die Helligkeit brannte in ihren Augen, doch es war besser, als Nathaniel ansehen zu müssen. „Du... Du redest ständig so, als ob du etwas für mich empfindest. Aber ich weiß nicht, was es ist.“ Stille folgte, in der Feuer knisterte. Nathaniel führte das Glas abermals an seine Lippen. Aus den Augenwinkeln konnte Velanna beobachten, wie er das restliche Glas in einem langen Zug leerte, bevor er wieder zu Karaffe griff, um sich großzügig nachzuschenken. „Fragst du mich gerade, was ich für dich fühle?“, fragte Nathaniel irgendwann, als Velanna eigentlich schon wieder aufstehen und hatte gehen wollen. „Ich weiß es nicht“, gestand Velanna, obwohl ihr im selben Moment ein frustrierter Laut entwich. „Vielleicht. Ja. Ich... Ich kann nicht schlafen. Findest du meine Ohren hässlich? Aber du hast gesagt, dass es gutaussieht, wenn sie erröten“, plapperte sie los, um die Stille, die er erneut aufkommen ließ, zu füllen. „Was soll das bedeuten? Sidona sagt, dass du mich magst, aber... Menschen scheinen eine merkwürdige Art zu haben, dies auszudrücken, wenn dem so ist.“ „Nun“, begann Nathaniel, den Rücken durchstreckend. „Ich bin sicher, dass dies nicht auf alle Menschen zutrifft. Aber ich gebe zu, dass es bei mir stimmen könnte.“ Velanna sah auf. „Sidona hat recht?“, erkundigte sie sich, als sie den Kopf schieflegte. Die Aufregung ersetzte sich angesichts von Nathaniels dunklen Augen durch ein warmes Kribbeln auf ihrer Haut, welches bis tief in ihrem Bauch reichte. Langsam stand Nathaniel auf, jede Bewegung in Zeitlupe ausgeführt, als nahm er an, dass alles andere sie zum Flüchten bringen würde. Vielleicht stimmte dies auch, ging es Velanna durch den Kopf, als er ihr vorsichtig den Becher aus den Händen nahm. Sie musste zu ihm aufsehen, da Nathaniel direkt vor ihr stand. Seine Finger streiften ihre Wange, bevor er auch die zweite Hand an ihr Gesicht legte und sich zu ihr hinunterbeugte. Velanna hielt den Atem an. Er würde sie küssen, aber sie konnte den Wein schon jetzt aus seinem Atem herausschmecken, der heiß auf ihre Lippen traf. Ein Beben ging durch ihren Körper und sie hielt an seinen Unterarmen fest, um sich zu ankern. Es war das erste Mal, dass sie ihn berührte, dass sie es von sich aus tat und es auch tun wollte. Ihr Gesicht fühlte sich heiß und schwitzig an, als sie sich von seinen Händen leiten ließ. Seine Lippen waren rau, aber warm, als Nathaniel zu küsste. „Sidona hat recht“, flüsterte er gegen ihren Mund. „Ich mag dich, Velanna.“ Ihre Finger festigten sich um Nathaniels Arme, als sie den Abstand zwischen ihnen überbrückte, um Nathaniels nach Wein schmeckenden Lippen nachzujagen und für einen Moment war sie gedankenleer und zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)