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Die Wölfe ~Weihnachtsspezial~

von

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~Geschenke~

„Heute Abend im Haus?“, spreche ich erwartungsvoll in den Hörer. Er seufzt, es rauscht in der Leitung.

„Mhm, ich weiß noch nicht, ob ich es schaffe. Kira und Anette, du weißt.“ Ja, seine Freundin und ihr gemeinsames Kind, wenn kümmert es? Ich habe hier auch drei Kinder und eine Frau rumspringen, aber können wir die nicht wenigstens am Abend mal hinter uns lassen?

„Ach komm schon! Es ist Weihnachten und ich habe ein Geschenk für dich“, bitte ich wieder.

„Ich versuche mich abzuseilen, aber ich kann es nicht versprechen. Du Enrico, ich muss Schluss machen, bei uns ist jetzt Bescherung.“ Aufgelegt - nur noch ein leises Tuten dröhnt mir ins Ohr. Das klang ja mal nicht nach einer Zusage. Der Weihnachtsabend ohne ihn, erscheint mir irgendwie sinnlos. Ich lege den Hörer auf die Gabel und trabe zurück. Die Hände verstaue ich in meinen Hosentaschen, die Schultern lasse ich hängen. Ein vielleicht, reicht mir nicht. Schlimm genug, dass ich den ganzen Tag hier verbringen werde, aber wenigstens die Nacht, wollte ich nackt unter dem Tannenbaum mit ihm … Ich schüttle den Gedanken an seinen muskulösen Körper aus meinem Kopf.
 

Auf dem Weg durch den Flur, kommt mir unser Butler entgegen. Der steinalte Mann, mit dem krummen Rücken und dem faltigen Gesicht, sieht mich besorgt an.

„Ist alles in Ordnung, Master?“, will er besorgt wissen.

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht so nennen. Ich kann mich daran einfach nicht gewöhnen.“ Diese Anrede galt immer meinem Schwiegervater, doch seit er nicht mehr am Leben ist, bin ich das Familienoberhaupt in diesem Haus.

„Aber es gehört sich nun mal so!“, protestiert Jester. Ich lasse ihm seinen Willen und lege ihm stattdessen meinen Arm über die Schulter.

„Na schön, aber um dein Geschenk kommst du nicht herum!“

„Aber, ich will gar nichts ...“

„Kein aber, du gehörst ja schließlich zur Familie“, falle ich ihm ins Wort. Er will nie mehr als seinen Lohn, nimmt nicht mal Weihnachtsgeld an. Aber diese Jahr, kommt er um sein Geschenk nicht herum. Ohne ihn, wären in den letzten Monaten weder meine Geschäfte gelaufen, noch stände, bei drei Kindern und einer zugegebener Maßen faulen Ehefrau, die Villa ebenfalls nicht mehr. Von der Unordnung, die ich selbst verbreite, mal ganz zu schweigen.

Ich schiebe ihn durch den Flur in Richtung einer Tür. Hinter ihr befindet sich das Zimmer Jesters, das er seit dem Tod seiner Frau bewohnt. Die Möbel darin, hat er damals selbst mitgebracht. Sie sind bereits so alt, dass ich mich jedes Mal wundere, dass sie noch nicht zusammen gebrochen sind. Nervös streicht Jester die Falten aus seinem Frack und sieht besorgt zu mir auf.

„Ihr habt aber nicht mein Zimmer, meine Sachen ...“ Ich lächeln ihn verschwörerisch an und öffne die Tür. Der Butler hält den Atem an, seine knochige Gestalt verhärtet sich zunehmen. Angespannt sieht er sich im Raum um. Das alte Bett steht an seinem Platz, auch der abgenutzte Kleiderschrank, aus dem vorherigen Jahrhundert und die altmodische Kommode, haben sich nicht verändert. Selbst die hässlichen Gardinen, mit dem großen Loch in der Mitte, habe ich nicht angerührt.

„Ihr habt ja gar nichts ...“, seufzt der Butler erleichtert.

„Nein. Ich weiß doch, wie sehr du an den Erinnerungsstücken deiner Frau hängst“, versichere ich ihm und betrete den Raum. Ich halte auf den alten Kleiderschrank zu und öffne eine der Türen. Die Scharniere quietschen nicht mehr und auch das lose Brett, in der Mitte, ist wieder fest.

„Ich habe die alten Sachen nur ein wenig repariert, aber dafür, wirst du den hier brauchen.“ Aus dem Kleiderschrank nehme ich einen alten Koffer und werfe ihn aufs Bett. Auf seinem Deckel klebt ein feierlicher Umschlag, um den eine große, rote Schleife gebunden ist. Jester kommt langsam näher geschlichen. Gespannt sehe ich ihm dabei zu, wie er die Schleife vom Kuvert zieht und den Umschlag öffnet. Ein Zugticket und eine Broschüre befinden sich darin. Jester zieht das Heft heraus und blättert ein wenig darin herum.

„Ein Kuraufenthalt? Aber das kann ich unmöglich annehmen!“, protestiert er.

„Oh doch, du kannst und du wirst fahren! Wir kommen hier alle auch mal einen Monat ohne dich klar. Du hast dir den Urlaub und die Kur, für deinen Rücken, redlich verdient.“ Jester schaut noch immer abwehrend.

„Du wirst fahren, und wenn ich dich persönlich zum Bahnhof bringe und in den Zug setze!“ Er seufzt resigniert, doch schließlich bildet sich ein Lächeln auf seinen faltigen Lippen.

„Na schön, aber versucht wenigstens die Villa stehenzulassen und nichts all zu dummes anzustellen, während ich weg bin.“

„Ist versprochen“, lache ich, “Und jetzt packe in Ruhe. Ich fahre dich später zum Bahnhof und ja ich werde fahren!“, stelle ich gleich klar. Ständig chauffiert zu werden, nervt gewaltig. Wozu habe ich so ne teure Luxuskarre, wenn immer Jester am Steuer sitzt?

„Wie ihr wünscht, Master!“, betont er besonders förmlich. Wir lächeln beide, dann dröhnt eine Stimme aus dem Flur herein: „Schatz! Wo bleibst du denn? Wir wollen endlich die Geschenke auspacken!“

„Ja, ich komme sofort!“, rufe ich meiner Frau zu und wende mich noch einmal an den Butler, „Wir sehen uns später.“ Wir nicken uns zu, dann verlasse ich den Raum und folge meiner Frau ins Wohnzimmer.
 

Ein knisterndes Kaminfeuer erwartet uns. Es duftet nach Lebkuchen und Zimt. Der ganze Raum ist von flackerndem Kerzenlicht erleuchtet. Ein großer Tannenbaum, nimmt die ganze linke Hälfte des Raumes ein. Seine Spitze reicht bis weit unter die hohe Decke und ist mit einem goldenen Engel, der eine Flöte spielt, verziert. Alle Äste sind mit übiger Weihnsachtsdecko behangen, sie biegen sich unter der Last weit nach unten. Überall brennen Kerzen an ihm, ihr Licht spiegelt sich in den strahlenden Augen meiner Kinder. Rene und Amy sitzen vor einem Berg aus Geschenken und rutschen unruhig auf ihren Knien hin und her.

„Dürfen wir sie endlich aufmachen?“, will mein Sohn wissen und auch Amy betrachtet uns erwartungsvoll. Judy schenkt den Kindern ein liebevolles Lächeln und geht zum Stubenwagen. Aus dem Bettchen darin, hebt sie unseren jüngsten Sohn und setzt sich, mit dem herzhaft gähnenden Säugling auf dem Arm, auf das Sofa.

„Jetzt dürft ihr!“, erlaubt sie. Ich schließe die Tür des Wohnzimmers und gehe zu einem der hohen Schränke unserer Anrichte. Während die Kinder das Geschenkpapier in großen Fetzen, von den ersten Kartons reißen, suche ich auf dem Schrank, nach einem kleinen Päckchen. Ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, um es zu erreichen. Keiner der Anwesenden achtet auf mich. Die Kinder sind mit der Verwüstung des Wohnzimmers beschäftigt und meine Frau mit dem Beobachten selbiger. Unbemerkt kann ich mich mit dem geangelten Päckchen zu ihr setzen.

„Frohe Weihnachten!“, wünsche ich ihr und lege ihr die längliche, schwarze Samtschachtel in den Schoß. Überrascht sieht sie von ihr zu mir.

„Aber ich dachte, wir wollten uns nichts schenken?“ Ja, von wegen, als wenn sie sich nicht absichtlich jedes Mal die Nase am Schaufenster des Schmuckgeschäftes breit gedrückt hätte. Sie liegt mir schon seit Ende Oktober, mit den großen Brillantohringe und der passende Kette dazu, in den Ohren.

„Nun mach schon auf!“, bitte ich sie. Sie drückt mir unseren Sohn in die Arme, dann schiebt sie die Schleife von der Verpackung. Vorsichtig hebt sie den Deckel ab. Ergriffen greift sie sich ans Herz, ihre Augen bekommen einen feuchten Glanz.

„Du bist doch verrückt! Die war doch viel zu teuer.“ Belustigt sehe ich sie an. Geld ist nun wirklich nicht unser Problem.

„Ach die Kette ging doch noch!“, erkläre ich belustigt und ziehe ein kleineres Päckchen aus meiner Hosentasche.

„Die hier, waren schlimmer!“ Tatsächlich haben die Ohrringe bald das doppelte gekostet. Als ich Judy auch noch das kleine Päckchen überreiche, werden ihre Augen noch größer.

„Du hast doch nicht etwa noch ...“, beginnt sie aufgeregt. Sie hebt auch von diesem Geschenk den Deckel ab. Zwei Daumengroße Diamant, in der Form eines Wassertropfens, funkeln darin.

„Ach, du bist doch verrückt!“, ruft sie aus und löst die Creolen, die sie jetzt trägt. Geübt entfernt sie sie aus ihren Ohrläppchen und legt sie auf den Tisch und steckt die Neuen fest.

„Und?“, will sie gelobt werden.

„Sehr schön! Sie stehen dir.“ Tatsächlich funkeln sie unter ihren langen, schwarzen Haaren wunderschön hervor.

„Machst du mir noch die Kette ran?“, bittet sie und dreht mir den Rücken zu. Sie legt ihre Haare zurück und schaut mich über die Schulter erwartungsvoll an. Ich lege ihr die neue Kette um den Hals und schließe den Verschluss. Sie tastet mit den Fingern nach dem tropfenförmigen Anhänger und dreht sich wieder zu mir.

„Danke!“, sagt sie zuckersüß und drück mir einen Kuss auf die Lippen. Als sie sich wieder von mir löst, bekommt ihr Lächeln etwas verschwörerisches.

„Ich habe auch was für dich!“, sagt sie und kramt unter einem der Sofakissen.

„Ich dachte, wir wollten uns nichts schenken?“, necke ich sie.

„Ach, ich konnte einfach nicht anders“, erklärt sie breit grinsend und legt mir einen kleines Päckchen in die Hand. Es ist mit einer kunstvollen Schleife verziert, die auf dem Decken klebt. Ich öffne die Schachtel. Ein silberner Schlüssel befindet sich darin. Ratlos schaue ich meine Frau an.

„Wofür ist der?“, will ich wissen. Ihr Stimme bekommt einen ernsten Ton, als sie erklärt: „Du musst mich lieben, denn eigentlich wollte ich dir das gar nicht kaufen.“ Sie schweigt einen Moment und legt ihre Hände, zur Faust geballt, auf ihre Oberschenkel. „Nachdem die Drachen dich angefahren haben, hatte ich vor, dich nie wieder auf ein Motorrad steigen zu lassen, aber du warst so bestürzt darüber, dass deine Maschine nicht mehr zu retten war. Da konnte ich einfach nicht anders!“

„Das ist der Schlüssel zu einem neuen Motorrad?“, will ich fassungslos wissen. Sie lächelt zustimmend.

„Wo ist es?“ Freudig überrascht schaue ich aus dem Fenster, doch dort kann ich kein Motorrad erkennen und hier im Wohnzimmer, ist auch nicht der Platz dafür. Es gibt auch kein Geschenk, unter dem Baum, dass annähernd so groß wäre.

„Bei deinem Bruder. Er wollte noch hier und da was verbessern. Er bringt es morgen zum Weihnachtsessen mit, hat er gesagt.“ Na toll. Sie hat ihr Geschenk schon und ich muss bis Morgen warten?

„Jetzt schau nicht so! Wenn du lieb bist, lasse ich dich morgen damit auch den ganzen Nachmittag herumfahren.“

„Okay, abgemacht“, erkläre ich mich einverstanden und gebe ihr einen flüchtigen Kuss auf die vollen roten Lippen.
 

Unsere Aufmerksamkeit wandert zurück zu den Kindern. Amy hat gerade eine Puppe aus dem Papier befreit und drückt sie an ihre Brust. Mit den Fingern kämmt sie die langen, blonden Locken durch und herzt sie immer wieder innig. Schließlich springt sie auf die Beine und kommt zu uns gelaufen. Sie drückt erst ihre Mutter dankend und dann mich, nur um gleich wieder, mit den Knien voran, unter den Baum zu springen und nach weitere Geschenken, mit ihrem Namen, zu suchen. Rene ist unterdessen damit beschäftigt, Schienen aus einer großen Schachtel zu ziehen. Nach und nach verlegt er sie im ganzen Wohnzimmer. Um und unter den Tisch entlang, vorbei am Sessel und dem Sofa. Als sie ihm ausgehen, holt er eine zweite Schachtel, unter dem Baum hervor und fährt fort. Auf den Knien robbend verlegt er sie zurück zum Baum und kriecht unter ihn, um auch dort ein paar Schienen zu verteilen. Schließlich knüpft er an der ersten wieder an und betrachtet dann stolz sein Werk. Mit den Händen, gegen die Hüften gestemmt, sieht er sich suchend um. Schließlich kehrt er zum Baum zurück und sucht die noch verpackten Geschenke nach seinem Namen ab.

Amy ist unterdessen fündig geworden. Sie zieht das größte Geschenk von allen hervor und muss ihren ganzen Körper dagegen stemmen, um es zu bewegen. Als sie es endlich, ohne Tannennadeln im Gesicht, erreichen kann, rupft sie gierig das Geschenkpapier ab. Zum Vorschein kommt ein voll eingerichtetes Puppenhaus, mit kleinen Möbeln aus Holz und Porzellan. Sie klatscht vergnügt in die Hände und beginnt dann damit, die einzelnen Räume zu erkunden. Sie öffnet jeden Schrank und verschiebt Betten und Kommoden, Tische und Stühle. Ich sehe ihr belustigt dabei zu, wie sie die komplette Einrichtung ihren eigenen Wünschen anpasst. Das muss sie von ihrer Mutter haben. Judy hat allein diese Woche das Dienstpersonal drei mal durch alle Räume gescheucht, um die Inneneinrichtung neu anzuordnen, damit die Villa für das Fest auch ja perfekt hergerichtet ist.

„Das hier ist für den Hosenscheißer“, ruft mein Sohn und kommt mit einem faustgroßen Päckchen zu uns. Er drückt es seiner Mutter in die Hand.

„Du sollst deinen Bruder doch nicht so nennen!“, ermahne ich ihn. Der Knabe zuckt nur mit den Schultern und kehrt zum Baum zurück. Ich will schon aufstehen, um ihn für seine Frechheit zu strafen, doch Judy drückt mich an der Schulter zurück.

„Nicht heute!“, bittet sie. Ich atme einmal tief durch, dann richte ich meinen Blick auf das Päckchen. Das wir auch dem Säugling etwas gekauft haben, ist mir neu. Aaron ist mit seinen drei Monaten ja noch nicht mal fähig, ein Geschenk auszupacken. Judy öffnet das Päckchen für ihn. Geheimnisvoll schaut sie in das Innere und dann unseren Jüngsten an.

„Uh, schau mal, was der Weihnachtsmann dir gebracht hat“, spricht sie mit dem Jungen und zieht aus der Schachtel eine silberne Rassel, an der drei Glöckchen befestigt sind. Als sie es Aaron reicht, greift der Junge danach und hält die Rassel am Griff fest umschlungen. Ohne Umwege findet die erste Glocke ihren Weg in seinem Mund. Seine großen blauen Augen leuchten gierig, als er anfängt darauf herum zu kauen. Lange Speichelfäden laufen über das Metall und sammeln sich auf seiner kleinen Hand. Na lecker! Bevor der erste große Schwall davon auf meiner Hose landen kann, reiche ich den Jungen seiner Mutter.

„Jaahhh!“, ruft Rene irgendwo unter dem Baum. Nur seine Füße schauen darunter hervor. Auf dem Bauch liegend, robbt er aus der Tannenpracht und hält eine Lok in der einen und zwei Wagons in der anderen Hand. Begeistert stellt er sie auf die Schienen und lässt sie durch das Wohnzimmer fahren. Im Abstand von einer Schrittlänge, folgt er dem Zug freudestrahlend.

So ausgelassen und vergnügt habe ich meine Familie lange nicht gesehen. Da bekomme ich fast ein schlechtes Gewissen, mich am Abend aus dem Staub machen zu wollen. Doch da gibt es noch ein Geschenk, dass ich unbedingt übergeben muss und eines, dass ich selbst genießen will. Bei dem Gedanken schleicht sich mir ein breites Lächeln ins Gesicht.

~Einsamer Rußfleck~

Jester zum Bahnhof fahren zu müssen, war die beste Ausrede überhaupt. Der Butler verstaut gerade seinen Koffer im Wagen und steigt dann zu mir. Judy steht mit unserem jüngsten Sohn, auf dem Arm, in der Tür und lässt mich wissen: „Fahr vorsichtig und komm schnell wieder zurück, ja?“

Ich verkneife mir eine Antwort und nicke lediglich. Dass ich den Abend und die Nacht nicht Daheim verbringen werde, kann ich ihr unmöglich sagen. Das Theater deswegen, hebe ich mir lieber für den nächsten Tag auf.

Jester schließt die Wagentür und auch ich ziehe meine zu. Judy nimmt das kleine Ärmchen von Aaron und beide winken uns zu. Ich seufze und wende meinen Blick schnell von ihnen ab. Wenn sie mich weiter so anstrahlen, versaut mir mein schlechtes Gewissen, noch den ganzen Abend. Schnell drehe ich den Schlüssel im Zündschloss und lenke den Wagen rückwärts, aus der Einfahrt. Als wir die Straße erreichen, fallen vereinzelte Schneeflocken gegen die Frontscheibe und tauen dort zu kleinen Wassertropfen.

„Du fährst heute nicht mehr zurück, oder?“, will Jester wissen. Ich betrachte ihn erstaunt.

„Wie kommst du darauf?“

„Das Telefonat!“ Ich ziehe eine Augenbraue tadelnd nach oben.

„Es steht dir nicht zu, mich zu belauschen.“

„Richtig, aber die Küche ist sehr hellhörig und meine Ohren noch immer ungewollt gut.“ Jester schweigt einen Moment und auch ich habe nichts, was ich ihm sagen will. Meine Privatangelegenheiten gehen den Butler nun wirklich nichts an.

„Jetzt sind wir ja unter uns, also bin ich mal so forsch.“ Er lässt sich lange Zeit, bis er seinen Blick von der Straße zu mir dreht.

„Das mit Antonio, solltest du sein lassen!“ Erschrocken betrachte ich das faltige Gesicht. Er weiß es? Seit wann?

„So lange Aaron noch am Leben war, habe ich nichts gesagt ...“, fährt er fort, „... aber jetzt, wo du das Oberhaupt des Clans bist, kann es so nicht weiter gehen.“ Ich atme tief ein und versuche das flaue Gefühl zu ignorieren, dass sich in meinen Magen frisst. Er hat ja recht, wenn das mit Toni auffliegt, bin ich die längste Zeit Pate der italienischen Mafia gewesen. Meine eigenen Leute werden mich und ihn über den Haufen schießen und sich dann einen neuen Clanchef suchen. Ich habe nach Aarons Tot auch so schon Schwierigkeiten, mich als Pate zu behaupten. Viel unserer Männer sind deutlich älter als ich und lassen sich nur ungern, von einem Jungspund wie mir, herumkommandieren. Die Liaison mit meinem Leibwächter, wäre ein gefundenes Fressen für sie.

„Ich weiß nicht, wovon du redest!“, versuche ich das Thema zu beenden, doch Jester bleibt erstaunlich hartnäckig.

„Du hast eine bildhübsche Frau und drei wundervolle Kinder, reicht dir das nicht?“ Nicht wirklich, nein!

„Das ist kein Gespräch, das ich mit dir führen werde, Jester!“, entgegne ich drohend. Der Butler verstummt. Die restliche Fahrt über wechseln wir kein Wort mehr miteinander. Erst als ich den Wagen am Bahnhof parke, dreht sich Jester noch einmal zu mir. Mahnend betrachtet er mich.„Aaron würde sich im Grab umdrehen, das ist dir hoffentlich klar?“

„Und dir ist hoffentlich klar, dass ich dich jederzeit feuern kann!“, halte ich dagegen, obwohl wir beide wissen, dass es nur ein Bluff ist. Ohne Jester, würde weder das Dienstpersonal in meiner Villa koordiniert werden, noch kann ich ohne ihn, einen Überblick über alle Geschäfte meines toten Schwiegervater behalten. Jester erhebt stolz den Blick, er steigt aus und sieht von oben herab zurück ins Wageninnere. Die Hand legt er auf das Dach und beugt sich vor, als er sagt: „Beende das, so lange du es noch kannst und besinn dich darauf, was wirklich wichtig ist.“ Jester nimmt seinen Koffer vom Rücksitz und schließt die Wagentür. Kommentarlos verschwindet er im Bahnhofsgebäude. Was mir wirklich wichtig ist? Woher will er denn wissen, was mir wichtig ist? Um Frau und Kinder habe ich nie gebeten. Die waren mehr ein Unfall. Aaron ist es doch gewesen, der mich zur Heirat mit seiner Tochter quasi gezwungen hat, als sie mit den Zwillingen schwanger war. Gut, das dritte Kind hätte nicht sein müssen. Andererseits, ist der kleine Aaron, neben einer Tochter die nicht Spricht, einem streitlustigen Sohn und einer klammernden Frau, noch immer das Beste an der ganzen Sache. Er sieht aus wie ich und auch wenn er den ganzen Tag nur sabbert, schreit und in die Windeln kackt, ist er einfach nur zum Anbeißen niedlich.

Reumütig sehe ich in die Straße zurück, aus der ich gekommen bin. Vielleicht ist es ja doch besser, wenn ich einfach zu Judy und den Kindern zurück fahre. Ich sollte zumindest so tun, als wenn mir das Familienleben irgendwas bedeuten würde. Wenn das mit Toni auffliegt, wer weiß was der Clan dann mit ihr und den Kindern anstellt. Seufzend lenke ich den Wagen aus der Parklücke, zurück auf die Straße.
 

Auf meinem Weg, durch die verschneide Dunkelheit, komme ich an einem alten Haus vorbei, dass bis unter das Dach, von einem Gerüst umhüllt ist. Ich habe es vor knapp drei Monaten gekauft. Die Renovierungsarbeiten im Haus sind bereits abgeschlossen, die Wohnungen darin nach Tonis Anweisungen ausgebaut worden. Lediglich an der Fassade konnten die Arbeiten, wegen des kalten Wetters, noch nicht beendet werden, aber zumindest das Dach ist gedeckt.

Ich zwinge mich nicht hinzusehen, den Fuß nicht vom Gaspedal zu nehmen, doch es gelingt mir nicht. Wenigstens das Geschenk will ich ihm geben und dann fahre ich sofort heim, nehme ich mir fest vor.
 

Ich parke den Wagen vor dem Haus und steige aus. Erwartungsvoll bahne ich mir einen Weg am Gerüst vorbei zur Haustür. Als ich nach dem Schlüssel krame, überkommt mich ein wehmütiges Lächeln. Es ist schon seltsam, das Haus über den Hausflur zu betreten und nicht, wie sonst, über die wacklige Feuerleiter hineinzuklettern. Als Toni und ich noch Kinder waren, hat sich Niemand um dieses Gebäude geschert, also haben wir es eingenommen. Es gehörte nur uns, hier gab es keine Schläger, keine Drachen und niemanden, der uns für unsere Liebe, verurteilen konnte. Damals hat er immer davon geträumt diese Haus einmal zu kaufen und auszubauen. Zumindest diesen einen Wunsch, konnte ich uns endlich erfüllen.
 

Die Tür öffnet sich mit einem leisen Knarren, der Hausflur ist leer und dunkel. Aus den angrenzenden Wohnungen dringt kein Laut. Es gibt keine Mieter, niemanden der dieses Haus bewohnt, bis auf einen schwarzen Kater. Er sitzt auf dem Fensterbrett im Erdgeschoss und gähnt mich verschlafen an. Toni hat ihn vor gut einem Monat verletzt von der Straße aufgelesen und wieder aufgepäppelt. Seit dem, hat er das Haus nicht mehr verlassen.

Der Kater erhebt sich und streckt sich ausgiebig. Er wankt dabei von einem auf das andere Vorderbein. Damit, das ihm Hinterbein fehlt, kommt er immer besser zurecht. Zumindest fällt er nicht mehr jedes mal zur Seite um.

Als ich eintrete, springt der Kater vom Fenstersims und tapst auf mich zu. Er umrundet meine Beine laut schnurrend und läuft dann die Treppe hinauf. Auf jeder Stufe macht er einmal Halt und dreht sich miauend zu mir um. Sein Anliegen ist ganz klar: Futter. Ich atme resigniert aus und lasse die Tür nach mir ins Schloss fallen. Wenn das Tier hungrig ist, wird Toni sicher nicht hier sein.

Ich folge dem Kater die Stufen hinauf, bis in den ersten Stock und bleibe dort vor der Tür stehen. Immer aufgeregter umrundet er meine Beine, sein Schnurren wird lauter. Als ich die Klinke drücke und die Wohnung öffne, stürmt er voraus.

Suchend schaut er sich in jedem Raum um. Als er enttäuscht in den Flur zurück kommt, kann ich mir die Mühe sparen, mich ebenfalls umzusehen. Toni ist nicht hier. Die Räume sind dunkel, unter keiner Tür ist ein Lichtschein, kein wärmendes Feuer lodert im Kamin. Es ist so kalt hier

drin, dass ich meine Jacke anbehalte.

Während ich die Tür schließe, verschwindet der Kater in der Küche und deponiert sich vor dem Vorratsschrank. Mit großen Augen starrt er mich an und scheint mir telepathisch mitteilen zu wollen, dass ich ihm eine Dose öffnen muss. Ich ignoriere das Tier vorläufig und mache einen Abstecher zum Kamin. Frisches Holz liegt dort bereit, nur angezündet muss es noch werden. Der Kaminsims ist mit zwei Paar Weihnachtssocken behangen. Auf einem steht mein Name auf dem anderen seiner, doch sie sind beide leer. Bisher sind wir noch nicht dazu gekommen, auch nur einen unserer freien Tage hier zu verbringen. Lediglich zum Schmücken und Dekorieren, haben wir uns drei Stunden herausschinden können, doch zwei davon, haben wir im Bett verbracht. Die Socken, der Schlitten mit den Rentieren auf dem Sims und ein Gesteck mit Kerzen, sind die einzige Dekoartikel, die wir aufgestellt haben, bevor wir anderweitig beschäftigt waren. Bei dem Gedanken, huscht mir ein flüchtiges Lächeln über die Lippen, doch es vergeht so schnell wieder, wie es gekommen ist. Der Tag ist einfach schon wieder so lange her und die wenigen Minuten, waren viel zu schnell vorbei.

Ich zünde ein Feuer im Kamin an stehe wieder auf. Mit der Packung Zündhölzer in der Hand, laufe ich weiter zum Tisch. Für die Adventskerzen im Gesteck, ist es eigentlich schon zu spät, aber wenigstens einmal, sollen sie gebrannt haben. Ich zünde auch sie an. Der Kater ist das Warten indes leid, er streicht mir zwischen die Beine und läuft dann zurück in die Küche. Ich erbarme mich und folge ihm. Aus dem Vorratsschrank hole ich dem Kater eine Dose Tunfisch. Geöffnet stelle ich sie auf den Boden. Gierig beginnt er damit, den Inhalt zu verschlingen.

„Frohe Weihnachten“, wünsche ich dem Tier belustigt, bevor die trübsinnige Stimmung erneut von mir Besitz ergreift. So viel zu einem romantischen Abend. Ich werfe einen Blick auf die Standuhr neben dem Kamin. Es ist bereits zweiundzwanzig Uhr. Um die Zeit taucht Toni für gewöhnlich nicht mehr auf. Sicher hat Anette ihn gerade heute nicht gehen lassen. Es ist eben das Fest der Familie, nicht der Affären. Ich lasse den Kater mit seiner Dose allein und kehre zum Kamin zurück. Es ist inzwischen angenehm warm geworden. Die Jacke brauche ich nicht mehr und ziehe sie aus. Ich krame einen länglichen Umschlag aus der Innentasche, dann lasse ich sie achtlos zu Boden fallen. Das Geschenk schiebe ich in die Socke mit seinem Namen.

„Frohe Weihnachten, alter Freund!“, murmle ich mit Blick auf ein Bild, das neben den Rentierschlitten steht. Es zeigt ihn und mich. Ich fahre die Konturen seiner Gestalt mit den Fingern ab, dann kann ich den Kater zwischen meinen Beinen spüren. In schlangenhaften Bewegungen, schmiegt er sich an mich. Offensichtlich sucht er eben so nach Zweisamkeit. Ich hebe das Fellbündel unter den Bauch hoch und lege ihn mir über die Schulter. Mit ihm, lasse ich mich auf das Sofa fallen.

„Tja Minka, da sitzen wir nun, nur du und ich und eine leere Dose Tunfisch“, sag ich, obwohl Toni den Kater eigentlich Rußfleck getauft hat, doch bei mir heißen alle Katzen nur Minka. Dem Kater ist es sowieso egal. Ich kraule ihm den Nacken und packe meine Beine samt Schuhe auf das Sofa. Den Kopf werfe ich auf der Armlehne zurück. Minka macht es sich unterdessen auf meinem Bauch gemütlich. Er knetet mit seinen Vorderpfoten meinen Pullover durch und rollt sich dann zu einer Kugel zusammen. Leise schnurrend schließt er die Augen. Ich tue es ihm gleich und lege meinen Handrücken auf die Stirn.

Was für ein stressiger Tag: Erst die letzten noch fehlenden Geschenke besorgen, sich dabei mit den Menschenmassen durch die Geschäfte zwängen. Die Kinder mussteb aus der Wohnstube aussperren werden, um alles festlich zu schmücken und die Geschenke einzupacken. Ewig lange Diskussionen mit meiner Frau, welche Speisen am nächsten Tag aufgetischt werden sollen, welche Farbe die Servietten haben müssen und die Tischdecke und welche Geschenke angemessen sind, für Familie und Geschäftsfreunde. Und dann das viele Essen, das vernichtet werden musste. Ich bin noch immer so vollgefressen, das mein Bauch eine Beule im Pullover wirft.

Das Personal musste für seine Dienste entlohnt und für den heutigen Tag entlassen werden. Unendlich viel Telefonate musste ich entgegen nehmen und tätigen. Jeder wollte seine Glückwünsche loswerden. Zwischen all dem Chaos, ein schreiendes Baby und Rene und Amy, die immer wieder wissen wollten, wann sie denn endlich die Geschenke öffnen dürfen. Ständig hat es an der Tür geklingelt, Päckchen und Glückwunschkarten haben sich im Flur gestapelt. Ich habe längst nicht alles ausgepackt. Eigentlich interessiert mich nicht mal, was da alles drin ist. Auf Geschenke, um sich meine Gunst zu kaufen, kann ich gut verzichten. Ich habe mehr Geld, als ich ausgeben kann und kann mir selbst die Dinge besorgen, die ich haben will. Eigentlich gibt es nur eine Sache, die ich heute gern ausgepackt hätte, aber die lässt sich ja offensichtlich nicht Blicken.

„Na gut Minka, noch ein paar Minuten bleibe ich bei dir, damit du nicht das ganze Weihnachtsfest allein warst, dann fahr ich zurück“, murmle ich trübsinnig. Meine Augen werden immer schwerer, während ich weiter durch das weiche Fell des Katers streichle, döse ich langsam ein.

~Nackte Bescherung~

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Epilog

"Ich brauch jetzt was zu Trinken. Willst du auch was?" Toni erhebt sich.

"Ja Wasser, bitte so viel, dass ich darin baden kann. Ich verglühen nämlich immer noch." Er grinst nur süffisant und verschwindet in der Küche. Ich atme tief durch und versuche mich zu entspannen, als er flucht: "Enrico!" Was habe ich jetzt wieder angestellt?

"Ja?", frage ich vorsichtig.

"Was habe ich dir zu Katzenfutterdosen auf dem Küchenboden gesagt?" Schuld bewusst senke ich den Blick und meine kleinlaut: "Ich liebe dich!"

"Ich reiß dir deinen Arsch noch mal auf, ich schwör's dir!" Ich zucke nur mit den Schultern.

„Und? Wo ist da die Drohung?“

„Du kannst mich mal!“ Ich grinse breit und werfe ihm einen Handkuss zu.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Yunaxxx
2019-08-09T06:06:58+00:00 09.08.2019 08:06
Mir gefiel die Geschichte der beiden! Sie sind einfach zu süß zusammen. Schade dass sie wegen der Mafia Sache nicht zusammen glücklich sein können und Enrico mit Judy Schluss machen kann.
Von denn beiden bekommt man einfach nicht genug.
Toni erzieht Enrico. Wer will bitte nicht so bestraft werden :D
Der Pate bekommt Ärger von seinem Leibwächter :DD
Liebe Grüße
Mach weiter so!
Ich bin in TonixEnrico Fieber
Antwort von:  Enrico
09.08.2019 13:12
Hallo Yuna^^,

freu mich das du auch hier gelesen hast.
Ich finde die beiden auch so toll zusammen. Sie sind einfach ein schönes Paar und zugegeben so würde ich mich auch zur Hausarbeit überreden lassen - lach.
Jetzt wo du es so sagst, der Leibwächter erzieht den Paten, sehr passendes Bild. Na ein Glück weiß keiner wie die Rollenverteilung im Bett bei den beiden ist^^. Das wäre sicher nicht gut für Enricos Ruf.

Vielen lieben Dank für deine Rückmeldung.
Wölfige Grüße
Enrico


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