Die Wölfe ~Weihnachtsspezial~ von Enrico ================================================================================ Kapitel 2: ~Einsamer Rußfleck~ ------------------------------ Jester zum Bahnhof fahren zu müssen, war die beste Ausrede überhaupt. Der Butler verstaut gerade seinen Koffer im Wagen und steigt dann zu mir. Judy steht mit unserem jüngsten Sohn, auf dem Arm, in der Tür und lässt mich wissen: „Fahr vorsichtig und komm schnell wieder zurück, ja?“ Ich verkneife mir eine Antwort und nicke lediglich. Dass ich den Abend und die Nacht nicht Daheim verbringen werde, kann ich ihr unmöglich sagen. Das Theater deswegen, hebe ich mir lieber für den nächsten Tag auf. Jester schließt die Wagentür und auch ich ziehe meine zu. Judy nimmt das kleine Ärmchen von Aaron und beide winken uns zu. Ich seufze und wende meinen Blick schnell von ihnen ab. Wenn sie mich weiter so anstrahlen, versaut mir mein schlechtes Gewissen, noch den ganzen Abend. Schnell drehe ich den Schlüssel im Zündschloss und lenke den Wagen rückwärts, aus der Einfahrt. Als wir die Straße erreichen, fallen vereinzelte Schneeflocken gegen die Frontscheibe und tauen dort zu kleinen Wassertropfen. „Du fährst heute nicht mehr zurück, oder?“, will Jester wissen. Ich betrachte ihn erstaunt. „Wie kommst du darauf?“ „Das Telefonat!“ Ich ziehe eine Augenbraue tadelnd nach oben. „Es steht dir nicht zu, mich zu belauschen.“ „Richtig, aber die Küche ist sehr hellhörig und meine Ohren noch immer ungewollt gut.“ Jester schweigt einen Moment und auch ich habe nichts, was ich ihm sagen will. Meine Privatangelegenheiten gehen den Butler nun wirklich nichts an. „Jetzt sind wir ja unter uns, also bin ich mal so forsch.“ Er lässt sich lange Zeit, bis er seinen Blick von der Straße zu mir dreht. „Das mit Antonio, solltest du sein lassen!“ Erschrocken betrachte ich das faltige Gesicht. Er weiß es? Seit wann? „So lange Aaron noch am Leben war, habe ich nichts gesagt ...“, fährt er fort, „... aber jetzt, wo du das Oberhaupt des Clans bist, kann es so nicht weiter gehen.“ Ich atme tief ein und versuche das flaue Gefühl zu ignorieren, dass sich in meinen Magen frisst. Er hat ja recht, wenn das mit Toni auffliegt, bin ich die längste Zeit Pate der italienischen Mafia gewesen. Meine eigenen Leute werden mich und ihn über den Haufen schießen und sich dann einen neuen Clanchef suchen. Ich habe nach Aarons Tot auch so schon Schwierigkeiten, mich als Pate zu behaupten. Viel unserer Männer sind deutlich älter als ich und lassen sich nur ungern, von einem Jungspund wie mir, herumkommandieren. Die Liaison mit meinem Leibwächter, wäre ein gefundenes Fressen für sie. „Ich weiß nicht, wovon du redest!“, versuche ich das Thema zu beenden, doch Jester bleibt erstaunlich hartnäckig. „Du hast eine bildhübsche Frau und drei wundervolle Kinder, reicht dir das nicht?“ Nicht wirklich, nein! „Das ist kein Gespräch, das ich mit dir führen werde, Jester!“, entgegne ich drohend. Der Butler verstummt. Die restliche Fahrt über wechseln wir kein Wort mehr miteinander. Erst als ich den Wagen am Bahnhof parke, dreht sich Jester noch einmal zu mir. Mahnend betrachtet er mich.„Aaron würde sich im Grab umdrehen, das ist dir hoffentlich klar?“ „Und dir ist hoffentlich klar, dass ich dich jederzeit feuern kann!“, halte ich dagegen, obwohl wir beide wissen, dass es nur ein Bluff ist. Ohne Jester, würde weder das Dienstpersonal in meiner Villa koordiniert werden, noch kann ich ohne ihn, einen Überblick über alle Geschäfte meines toten Schwiegervater behalten. Jester erhebt stolz den Blick, er steigt aus und sieht von oben herab zurück ins Wageninnere. Die Hand legt er auf das Dach und beugt sich vor, als er sagt: „Beende das, so lange du es noch kannst und besinn dich darauf, was wirklich wichtig ist.“ Jester nimmt seinen Koffer vom Rücksitz und schließt die Wagentür. Kommentarlos verschwindet er im Bahnhofsgebäude. Was mir wirklich wichtig ist? Woher will er denn wissen, was mir wichtig ist? Um Frau und Kinder habe ich nie gebeten. Die waren mehr ein Unfall. Aaron ist es doch gewesen, der mich zur Heirat mit seiner Tochter quasi gezwungen hat, als sie mit den Zwillingen schwanger war. Gut, das dritte Kind hätte nicht sein müssen. Andererseits, ist der kleine Aaron, neben einer Tochter die nicht Spricht, einem streitlustigen Sohn und einer klammernden Frau, noch immer das Beste an der ganzen Sache. Er sieht aus wie ich und auch wenn er den ganzen Tag nur sabbert, schreit und in die Windeln kackt, ist er einfach nur zum Anbeißen niedlich. Reumütig sehe ich in die Straße zurück, aus der ich gekommen bin. Vielleicht ist es ja doch besser, wenn ich einfach zu Judy und den Kindern zurück fahre. Ich sollte zumindest so tun, als wenn mir das Familienleben irgendwas bedeuten würde. Wenn das mit Toni auffliegt, wer weiß was der Clan dann mit ihr und den Kindern anstellt. Seufzend lenke ich den Wagen aus der Parklücke, zurück auf die Straße. Auf meinem Weg, durch die verschneide Dunkelheit, komme ich an einem alten Haus vorbei, dass bis unter das Dach, von einem Gerüst umhüllt ist. Ich habe es vor knapp drei Monaten gekauft. Die Renovierungsarbeiten im Haus sind bereits abgeschlossen, die Wohnungen darin nach Tonis Anweisungen ausgebaut worden. Lediglich an der Fassade konnten die Arbeiten, wegen des kalten Wetters, noch nicht beendet werden, aber zumindest das Dach ist gedeckt. Ich zwinge mich nicht hinzusehen, den Fuß nicht vom Gaspedal zu nehmen, doch es gelingt mir nicht. Wenigstens das Geschenk will ich ihm geben und dann fahre ich sofort heim, nehme ich mir fest vor. Ich parke den Wagen vor dem Haus und steige aus. Erwartungsvoll bahne ich mir einen Weg am Gerüst vorbei zur Haustür. Als ich nach dem Schlüssel krame, überkommt mich ein wehmütiges Lächeln. Es ist schon seltsam, das Haus über den Hausflur zu betreten und nicht, wie sonst, über die wacklige Feuerleiter hineinzuklettern. Als Toni und ich noch Kinder waren, hat sich Niemand um dieses Gebäude geschert, also haben wir es eingenommen. Es gehörte nur uns, hier gab es keine Schläger, keine Drachen und niemanden, der uns für unsere Liebe, verurteilen konnte. Damals hat er immer davon geträumt diese Haus einmal zu kaufen und auszubauen. Zumindest diesen einen Wunsch, konnte ich uns endlich erfüllen. Die Tür öffnet sich mit einem leisen Knarren, der Hausflur ist leer und dunkel. Aus den angrenzenden Wohnungen dringt kein Laut. Es gibt keine Mieter, niemanden der dieses Haus bewohnt, bis auf einen schwarzen Kater. Er sitzt auf dem Fensterbrett im Erdgeschoss und gähnt mich verschlafen an. Toni hat ihn vor gut einem Monat verletzt von der Straße aufgelesen und wieder aufgepäppelt. Seit dem, hat er das Haus nicht mehr verlassen. Der Kater erhebt sich und streckt sich ausgiebig. Er wankt dabei von einem auf das andere Vorderbein. Damit, das ihm Hinterbein fehlt, kommt er immer besser zurecht. Zumindest fällt er nicht mehr jedes mal zur Seite um. Als ich eintrete, springt der Kater vom Fenstersims und tapst auf mich zu. Er umrundet meine Beine laut schnurrend und läuft dann die Treppe hinauf. Auf jeder Stufe macht er einmal Halt und dreht sich miauend zu mir um. Sein Anliegen ist ganz klar: Futter. Ich atme resigniert aus und lasse die Tür nach mir ins Schloss fallen. Wenn das Tier hungrig ist, wird Toni sicher nicht hier sein. Ich folge dem Kater die Stufen hinauf, bis in den ersten Stock und bleibe dort vor der Tür stehen. Immer aufgeregter umrundet er meine Beine, sein Schnurren wird lauter. Als ich die Klinke drücke und die Wohnung öffne, stürmt er voraus. Suchend schaut er sich in jedem Raum um. Als er enttäuscht in den Flur zurück kommt, kann ich mir die Mühe sparen, mich ebenfalls umzusehen. Toni ist nicht hier. Die Räume sind dunkel, unter keiner Tür ist ein Lichtschein, kein wärmendes Feuer lodert im Kamin. Es ist so kalt hier drin, dass ich meine Jacke anbehalte. Während ich die Tür schließe, verschwindet der Kater in der Küche und deponiert sich vor dem Vorratsschrank. Mit großen Augen starrt er mich an und scheint mir telepathisch mitteilen zu wollen, dass ich ihm eine Dose öffnen muss. Ich ignoriere das Tier vorläufig und mache einen Abstecher zum Kamin. Frisches Holz liegt dort bereit, nur angezündet muss es noch werden. Der Kaminsims ist mit zwei Paar Weihnachtssocken behangen. Auf einem steht mein Name auf dem anderen seiner, doch sie sind beide leer. Bisher sind wir noch nicht dazu gekommen, auch nur einen unserer freien Tage hier zu verbringen. Lediglich zum Schmücken und Dekorieren, haben wir uns drei Stunden herausschinden können, doch zwei davon, haben wir im Bett verbracht. Die Socken, der Schlitten mit den Rentieren auf dem Sims und ein Gesteck mit Kerzen, sind die einzige Dekoartikel, die wir aufgestellt haben, bevor wir anderweitig beschäftigt waren. Bei dem Gedanken, huscht mir ein flüchtiges Lächeln über die Lippen, doch es vergeht so schnell wieder, wie es gekommen ist. Der Tag ist einfach schon wieder so lange her und die wenigen Minuten, waren viel zu schnell vorbei. Ich zünde ein Feuer im Kamin an stehe wieder auf. Mit der Packung Zündhölzer in der Hand, laufe ich weiter zum Tisch. Für die Adventskerzen im Gesteck, ist es eigentlich schon zu spät, aber wenigstens einmal, sollen sie gebrannt haben. Ich zünde auch sie an. Der Kater ist das Warten indes leid, er streicht mir zwischen die Beine und läuft dann zurück in die Küche. Ich erbarme mich und folge ihm. Aus dem Vorratsschrank hole ich dem Kater eine Dose Tunfisch. Geöffnet stelle ich sie auf den Boden. Gierig beginnt er damit, den Inhalt zu verschlingen. „Frohe Weihnachten“, wünsche ich dem Tier belustigt, bevor die trübsinnige Stimmung erneut von mir Besitz ergreift. So viel zu einem romantischen Abend. Ich werfe einen Blick auf die Standuhr neben dem Kamin. Es ist bereits zweiundzwanzig Uhr. Um die Zeit taucht Toni für gewöhnlich nicht mehr auf. Sicher hat Anette ihn gerade heute nicht gehen lassen. Es ist eben das Fest der Familie, nicht der Affären. Ich lasse den Kater mit seiner Dose allein und kehre zum Kamin zurück. Es ist inzwischen angenehm warm geworden. Die Jacke brauche ich nicht mehr und ziehe sie aus. Ich krame einen länglichen Umschlag aus der Innentasche, dann lasse ich sie achtlos zu Boden fallen. Das Geschenk schiebe ich in die Socke mit seinem Namen. „Frohe Weihnachten, alter Freund!“, murmle ich mit Blick auf ein Bild, das neben den Rentierschlitten steht. Es zeigt ihn und mich. Ich fahre die Konturen seiner Gestalt mit den Fingern ab, dann kann ich den Kater zwischen meinen Beinen spüren. In schlangenhaften Bewegungen, schmiegt er sich an mich. Offensichtlich sucht er eben so nach Zweisamkeit. Ich hebe das Fellbündel unter den Bauch hoch und lege ihn mir über die Schulter. Mit ihm, lasse ich mich auf das Sofa fallen. „Tja Minka, da sitzen wir nun, nur du und ich und eine leere Dose Tunfisch“, sag ich, obwohl Toni den Kater eigentlich Rußfleck getauft hat, doch bei mir heißen alle Katzen nur Minka. Dem Kater ist es sowieso egal. Ich kraule ihm den Nacken und packe meine Beine samt Schuhe auf das Sofa. Den Kopf werfe ich auf der Armlehne zurück. Minka macht es sich unterdessen auf meinem Bauch gemütlich. Er knetet mit seinen Vorderpfoten meinen Pullover durch und rollt sich dann zu einer Kugel zusammen. Leise schnurrend schließt er die Augen. Ich tue es ihm gleich und lege meinen Handrücken auf die Stirn. Was für ein stressiger Tag: Erst die letzten noch fehlenden Geschenke besorgen, sich dabei mit den Menschenmassen durch die Geschäfte zwängen. Die Kinder mussteb aus der Wohnstube aussperren werden, um alles festlich zu schmücken und die Geschenke einzupacken. Ewig lange Diskussionen mit meiner Frau, welche Speisen am nächsten Tag aufgetischt werden sollen, welche Farbe die Servietten haben müssen und die Tischdecke und welche Geschenke angemessen sind, für Familie und Geschäftsfreunde. Und dann das viele Essen, das vernichtet werden musste. Ich bin noch immer so vollgefressen, das mein Bauch eine Beule im Pullover wirft. Das Personal musste für seine Dienste entlohnt und für den heutigen Tag entlassen werden. Unendlich viel Telefonate musste ich entgegen nehmen und tätigen. Jeder wollte seine Glückwünsche loswerden. Zwischen all dem Chaos, ein schreiendes Baby und Rene und Amy, die immer wieder wissen wollten, wann sie denn endlich die Geschenke öffnen dürfen. Ständig hat es an der Tür geklingelt, Päckchen und Glückwunschkarten haben sich im Flur gestapelt. Ich habe längst nicht alles ausgepackt. Eigentlich interessiert mich nicht mal, was da alles drin ist. Auf Geschenke, um sich meine Gunst zu kaufen, kann ich gut verzichten. Ich habe mehr Geld, als ich ausgeben kann und kann mir selbst die Dinge besorgen, die ich haben will. Eigentlich gibt es nur eine Sache, die ich heute gern ausgepackt hätte, aber die lässt sich ja offensichtlich nicht Blicken. „Na gut Minka, noch ein paar Minuten bleibe ich bei dir, damit du nicht das ganze Weihnachtsfest allein warst, dann fahr ich zurück“, murmle ich trübsinnig. Meine Augen werden immer schwerer, während ich weiter durch das weiche Fell des Katers streichle, döse ich langsam ein. Hosted by Animexx e.V. 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