Omniscient von lady_j (YuKa) ================================================================================ Prolog: Bakuten --------------- An: hiwatari.kai@gmail.com 11.05.2003, 15:45 Betreff: Medikamente Nimmst du die Medikamente, die der Therapeut dir verschrieben hat? An: yuriyivanov@mail.ru 12.05.2003, 22:03 Betreff: Re: Medikamente Du kannst Kyrill Pavlowitsch vertrauen. Er ist engagiert und hat mir bisher sehr geholfen. ~ An: yuriyivanov@mail.ru 03.07.2003, 20:00 Betreff: Prozess Wie läuft die Verhandlung? Man bekommt fast gar keine Informationen. Haben meine Aussagen was gebracht? An: hiwatari.kai@gmail.com 05.07.2003, 9:15 Betreff: Re: Prozess Deine Aussagen und die deines Großvaters haben sehr geholfen. Wir sind hier alle froh, dass er geständig ist. Was machst du jetzt, wo er verurteilt ist? Es zieht sich hin, aber Volkov wird auch langsam mürbe. Wir haben gute Anwälte. Ivan geht es nicht gut, die ganze Sache ist noch zu viel für ihn. Kyrill Pavlowitsch kümmert sich aber sehr gut um uns alle. Yuriy An: yuriyivanov@mail.ru 05.07.2003, 13:57 Betreff: Re: Re: Prozess Danke für die Informationen. Was mich betrifft, so werde ich wohl erst einmal ein Internat besuchen. Die Ferien verbringe ich bei meiner Mutter in Moskau oder in Japan bei Freunden. So genau weiß ich das noch nicht. Wir bringen das Arschloch hinter Gitter. Ganz sicher. An: hiwatari.kai@gmail.com 06.07.2003, 18:30 Betreff: Re:Re:Re: Prozess Es sieht gut aus. Alle Zeugen sind vernommen und Volkov ist auf dünnes Eis geraten. Er sagt jetzt nichts mehr. Das Urteil wird morgen ausgesprochen. Du wirst es dann wohl auch in den Medien sehen. PS: Wenn du in Moskau bist, können wir uns treffen. An: yuriyivanov@mail.ru 07.07.2003, 22:20 Betreff: Re:Re:Re:Re: Prozess Yuriy, ich habe von der Verurteilung gehört. Es ist einfach großartig! Besser hätte es gar nicht laufen können. Kai PS: Ja, können wir. ~ An: hiwatari.kai@gmail.com 16.07.2004 Betreff: -kein Betreff- Kai, wir haben das von Yuuya gehört. Das ganze Team ist geschockt. Was sind das für Typen, für die der Kleine gearbeitet hat? An: yuriyivanov@mail.ru 20.08.2004 Betreff: Re: -kein Betreff- Yuriy, ich war seit einiger Zeit nicht mehr online. Ich habe mich nicht in der Lage gefühlt, mit irgendwem darüber zu reden, zumal auch die Weltmeisterschaft vor der Tür stand. Habe mich vor einer Woche dazu entschlossen, mir wieder von Kyrill Pavlowitsch helfen zu lassen. Er ist wirklich sehr geduldig, auch auf die Entfernung. Ich möchte deswegen nicht nach Russland. Kyrill Pavlowitsch hat angedeutet, dass es bei euch Probleme gibt. Ich weiß, er hätte es nicht tun sollen, aber du weißt ja selbst, dass ich niemandem etwas sagen würde. Was ist da los bei euch? ~ An: yuriyivanov@mail.ru 28.08.2004 Betreff: Yuriy? Jetzt bist du es, der sich nicht meldet. Ich will mir keine Sorgen machen müssen. ~ An: hiwatari.kai@gmail.com 03.06.2005, 10:10 Betreff: Weltmeisterschaft Kai, ich weiß, wir haben mal wieder lange nichts voneinander gehört. Wir hatten hier zwischenzeitlich einige Probleme zu lösen. Inzwischen sind wir aber alle auf dem richtigen Weg, Dank Kyrill Pavlowitsch. Boris, Sergeij und ich fühlen uns bereit, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Nur Ivan wird wohl keinen Beyblade mehr anfassen. Wir brauchen einen vierten Mann. Ich habe mir erlaubt, eine Anfrage an Daitenji zu schicken, aber vielleicht ist die gar nicht angekommen. Daher ganz ohne Umschweife: Hast du Interesse? Yuriy An: yuriyivanov@mail.ru 06.06.2005, 22:14 Betreff: Re: Weltmeisterschaft Yuriy, du weißt, dass ich für das japanische Team aufgestellt wurde. Kai Bakuten Kai trank seinen Kaffee aus und warf den Pappbecher in den Mülleimer neben der Tür, bevor er das Trainingscenter betrat. Es war noch früh am Morgen, in der Eingangshalle und auf den Fluren waren noch nicht einmal die Lichter angeschaltet. Der Empfangstresen würde erst ab neun Uhr besetzt werden, wenn das Gebäude offiziell als geöffnet galt. Kai war schon seit einer ganzen Weile nicht mehr so früh hier gewesen, denn irgendwann war er dazu übergegangen, abends nach Schließung zu trainieren. Dann war es egal, wenn er die großen Arenen in der Haupthalle länger nutzen wollte. Er war müde. Vermutlich würde er heute mehr als einen Becher Kaffee benötigen, um das Training zu überstehen. Schon bereute er seine Entscheidung, doch es war unmöglich abzusehen, wie lange Hitoshi Kinomiya sie drangsalieren würde. Da Kai auf seinem eigenen Training bestand, musste er also wohl oder übel früher anfangen. Das Licht im Flur lief noch mit Bewegungsmelder und ging unvermittelt an, sobald er ein paar Schritte machte. Die für sie reservierten Räume befanden sich im ersten Stock, sie waren über eine Treppe im hinteren Gebäudeteil erreichbar. Gerade als er im Treppenhaus stand, vibrierte sein Handy. Das Display erleuchtete die Umgebung, dann flackerten auch hier die Lampen auf. Kai hatte in den letzten Tagen schon mehrere SMS ungeöffnet gelassen, da sie von einer Person stammten, die er gerade lieber ignorierte. Doch der Name, der jetzt angezeigt wurde, war ein anderer. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du lieber mit als gegen Kinomiya antrittst? Es musste Yuriy wirklich wichtig sein. Als Kai seine E-Mail gelesen hatte, war er bereits einigermaßen überrascht gewesen. Sie hatten seit vielleicht einem Jahr nicht mehr miteinander kommuniziert. Das lag nicht daran, dass sie sich nicht mochten - im Gegenteil, spätestens nachdem Kai gegen Volkov ausgesagt hatte, hatten sie im stillen Einvernehmen Frieden geschlossen. Außerdem waren in den Monaten, die darauf folgten, viele von Kais Kindheitserinnerungen zurückgekommen, ein Verdienst des Jugendpsychologen Kyrill Pavlowitsch, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Abteijungen zu helfen. Er verdankte es ihm, dass er inzwischen wieder ungefähr wusste, wie seine Jahre in Moskau verlaufen war. Es klafften noch immer große Lücken in seinem Gedächtnis, doch er konnte nun eine ungefähre Chronologie rekonstruieren, und das half ungemein. Und da das Nachspiel von Borgs Untergang sie alle betraf, hatte es sich irgendwie ergeben, dass er mit Yuriy sporadisch in Kontakt geblieben war. Sie hatten sich sogar mehrmals getroffen, als Kai vor einiger Zeit ein paar Wochen in Russland verbrachte. Bis dann alles vor ungefähr einem Jahr eingeschlafen war. Und jetzt dieses Angebot. Natürlich hatte Yuriy von Reis und Max’ Ausstieg gehört, es war auf und ab durch die Medien gegangen, noch bevor die Vorrunden in Tokio begonnen hatten. Er musste vermuten, dass Kai ähnliche Ambitionen hatte wie seine ehemaligen Teamkollegen. Kurz vor dem japanischen Turnier hatte Daitenji ihn zu sich gerufen. Auf dem Tisch hatten mehrere offizielle Anfragen gelegen, von unbekannten Teams, aber auch von niemand geringerem als Ralf vom Euroteam. Und von Yuriy. Beim Anblick der Papiere hatte Kai sich gefühlt, als würde auf seiner Stirn das Wort „verfügbar” leuchten. Daitenji hätte jede Entscheidung bewilligt, doch er hatte sie alle unbeantwortet gelassen. Einfach, weil er es konnte. Und außerdem brauchte er Bedenkzeit. Das war vielleicht der erste Schritt in die falsche Richtung gewesen. Denn noch während er überlegte, ob er überhaupt in Japan antreten sollte, hatte Shippu-no Jin ihn heimgesucht, und das hatte die Situation nicht gerade besser gemacht. Jin hatte ein Talent dafür, mit wenigen Worten den richtigen Nerv bei seinem Gegenüber zu treffen. Es hatte geklungen, als hätte er Kai bereits für Kinomiyas Team abgeschrieben. Doch Kai hasste es, wenn andere Menschen meinten, zu wissen, was er vorhatte. Und so hatte er das getan, was am untypischsten für ihn war und war dem kläglichen Rest der Bladebreakers ausnahmsweise einmal treu geblieben, auch wenn es bedeutete, Jin gegenüber nachzugeben. Er redete sich ein, dass alle anderen Teams sowieso zu schwach für diese Weltmeisterschaft waren. Mit einem schwachen Team kam er nie und nimmer ins Finale, und wenn er überhaupt in diesem Turnier antrat, dann wollte er nicht in einer bedeutungslosen Zwischenphase ausscheiden. Aber jemand wie Yuriy ließ sich von einer bürokratischen Nebensächlichkeit wie der Tatsache, dass Kai für Japan aufgestellt wurde, nicht abhalten. Immerhin war er Leader von Borg. Und ein ehemaliger Weltmeister. Also war er direkt auf Kai zugekommen und hatte ihn erneut in eine Zwickmühle gebracht. Sein Angebot konnte Kai eigentlich nicht ausschlagen, und außerdem imponierte es ihm schon ein wenig, so umworben zu werden. Und doch… und doch… Yuriy und die anderen waren unweigerlich verbunden mit seiner Vergangenheit. Es gab leere Flecken in seinen Erinnerungen, die er sich nicht zu füllen wagte, noch nicht. Wussten sie mehr als er? Gab es Geheimnisse, die zwischen ihnen standen, ohne dass Kai auch nur davon ahnte? Er würde nicht danach fragen, denn er war sich sicher, sowieso keine Antwort zu bekommen. Es wäre schön, wenn sie einfach nur zusammen bladen konnten, doch mit Team Borg war genau das unmöglich. Seine Finger schwebten über den Tasten, er war unschlüssig, was er zurückschreiben sollte. Doch noch bevor er überhaupt zu tippen beginnen konnte, öffnete sich vor ihm die Tür zum oberen Stockwerk. Hitoshi Kinomiya stand ihm gegenüber und blickte ihn überrascht an. „Kai? Wie bist du denn hier reingekommen?” Er schob das Handy zurück in seine Hosentasche. „Ich habe eine Schlüsselkarte.” „Aber die bekommen doch nur Trainer!” „Ich war Teamcaptain der Bladebreakers”, entgegnete er, als wäre damit alles gesagt. Er mochte den älteren Kinomiya nicht und war sich ziemlich sicher, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte, wenn auch der andere offensichtlich um seine Anerkennung bemüht war. Darin unterschieden sich die Brüder nicht: beide wollten immer mit allen Leuten gut auskommen. Im Gegensatz zu Takao aber war Hitoshi weitaus berechnender; er versprach sich etwas von seinen Beziehungen. Zwischen ihm und Kai hätte friedliche Neutralität herrschen können, doch seit letzterer wusste, dass Hitoshi und Shippu-no Jin ein und dieselbe Person waren, hatte er jeglichen Respekt verloren. „Du bist früh”, sagte Hitoshi nun und folgte Kai, denn der hatte sich an ihm vorbeigeschoben und war schon auf dem Weg in den ehemaligen Trainingsraum der Bladebreakers, den sie nun als BBA Revolution weiter nutzten. Er war nicht groß, doch sie konnten sich immer hierhin zurückziehen, wenn es in den Hallen zu voll wurde. „Du auch”, entgegnete Kai und ging zu dem Getränkeautomaten, der in einer Ecke stand. Er zog sich einen gekühlten Kaffee. „Ich wollte den Trainingsplänen noch den letzten Feinschliff geben, bevor wir anfangen. Aber da du schon einmal hier bist - Wir könnten die Gelegenheit nutzen und ein wenig an deinem Angriffsschema arbeiten, was meinst du?” „Ich trainiere nach meinem eigenen Plan”, sagte Kai ungerührt und trank einen Schluck. Wieder spürte er ein Vibrieren in seiner Tasche. Was es in Russland nicht noch mitten in der Nacht? Hitoshi verschränkte die Arme, als Kai sein Handy hervorholte. Ich weiß, dass du auf Zeit spielst. Mein Angebot ist nicht ewig gültig! Er hob amüsiert die Augenbrauen. Solltest du nicht schlafen?, schrieb er zurück. „Ich denke, es ist besser, wenn wir als Team aufeinander abgestimmt trainieren”, sagte Hitoshi. Wahrscheinlich gefiel ihm nicht, dass Kai ihn so ignorierte. „Und meinst du nicht, du könntest noch etwas von mir lernen?” „Hmm”, machte Kai langgezogen. Er hatte gar nicht richtig zugehört. Wenn Hitoshi meinte, er könne einfach auftauchen, ihm noch vor dem japanischen Turnier auflauern und eine Motivationsrede halten und dann erwarten, dass er vor Freude im Kreis sprang, wenn er sich als Kinomiyas Bruder enttarnte - dann wusste er offensichtlich nicht das Geringste über Kai. Erneut leuchtete das Handy in seiner Hand auf. Sieh dir das Vorrunden-Finale in Moskau an und entscheide dann. „Und leg endlich das verdammte Telefon weg!”, herrschte Hitoshi ihn an. Nun endlich hob Kai den Kopf, ein süffisantes Grinsen auf den Lippen. Betont langsam legte er das Handy in ein Regalfach, das eigens zur Ablage ihrer Wertsachen angebracht worden war. „Und jetzt...Coach?” Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Er lehnte sich an das Regal und verschränkte die Arme. Wenn er Hitoshi schon innerhalb der ersten fünf Minuten auf die Palme bringen konnte, wie sollten sie eine ganze Weltmeisterschaft miteinander aushalten? Der andere schien Widerworte nicht gewohnt zu sein. Kai hingegen war nicht bereit, sich von Hitoshi etwas sagen zu lassen. Zeit also, die Fronten zu klären. Hitoshi zeigte mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten, wo sich die Arenen befanden. „Dann geh halt”, befahl er, „Du wirst ja sicher nichts dagegen haben, wenn ich mir ein Bild von deinem...Training mache.” Die Betonung ließ keinen Zweifel darüber, was er von Kais Routinen hielt. Kai stieß sich ab und schlenderte zu Hitoshi hinüber. Obwohl genug Platz war, kam er dem Älteren sehr nahe, ließ seinen Blick unübersehbar über seine Statur wandern. Und zu seiner Genugtuung konnte Hitoshi nicht verbergen, wie ihn dies verunsicherte. Es zeigte sich nicht so sehr in seiner Haltung, eher in einer minimalen Veränderung seiner Mimik. Sein Mund öffnete sich und Kai hob herausfordernd die Augenbrauen, bereit für einen neuen Ausbruch. Doch in diesem Moment öffnete sich die Tür hinter ihm mit einem lauten Quietschen. Kyoujyu war ebenfalls ziemlich überrascht, sie zu sehen. „Oh, Guten Morgen! Ich dachte, ich werte noch ein paar Daten aus, bevor wir anfangen…” Er blieb unsicher stehen, die Hand immer noch an der Türklinke. Kai machte einen Schritt zur Seite, um nicht mehr unmittelbar vor Hitoshi zu stehen, der sich schnell wieder zu fassen versuchte. Das Lächeln, das er Kyoujyu zuwarf, wirkte aber noch ein wenig steif. Auch wenn alle anderen weit vor der Zeit begonnen hatten, kamen Kinomiya und Daichi etwa eine Stunde zu spät. Hitoshi verdrehte die Augen und Kai, der gerade seinen Blade überprüfte, warf ihm ein weiteres überhebliches Grinsen zu. Wäre er für das Training zuständig, hätte sich niemand getraut, unpünktlich zu sein. Shippu-no-Jin hatte wohl noch einiges zu lernen… Während sich die beiden Brüder in ein kurzes Wortgefecht verstrickten, schaltete der Sportsender, der im Hintergrund auf dem großen Flatscreen lief, zu den Vorrunden in Moskau. Obwohl inzwischen einige Renovierungsarbeiten stattgefunden hatten, war der Schnitt der Halle gleich geblieben. Es war dasselbe Stadion, in dem Kinomiya seinen ersten Titel gegen Yuriy geholt hatte. Kai wandte sich erneut von Dranzer ab und richtete sich auf, blieb aber auf seinem Stuhl sitzen, um nicht allzu interessiert zu wirken. Die Stimme der Sprecherin war leise, doch sie zu verstehen war auch nicht nötig, denn auf dem Bildschirm schlugen in diesem Moment zwei Blades aufeinander. Kai erkannte Wolborg sofort, nicht bloß anhand seiner weißen Farbe, sondern an den flinken Bewegungen. Sowohl sein Dranzer als auch Wolborg waren Ausdauerblades, die dennoch starke Attacken fahren konnten. Und Yuriy hatte es darin zur Perfektion gebracht. Schon nach ein paar Sekunden war klar, dass er sich verbessert hatte. Wolborgs Bewegungen waren sparsam, dafür lag in den Schlägen eine präzise Kraft. Seaborg, den Kai inzwischen ebenfalls identifiziert hatte, hielt sich gut, doch es war absehbar, wer gewinnen würde. Sergeij machte noch immer dieselben Fehler, die Kai schon vor Jahren an ihm gesehen hatte, freilich zu spät, immerhin hatte er damals gegen ihn verloren. Er hatte sich die Aufnahmen ihres Matches dutzende Male angesehen, eigens um herauszufinden, wo Seaborg verwundbar war. Nun wusste er es, und natürlich besaß Yuriy mindestens denselben Wissensstand. Wolborg holte aus und traf seinen Gegner in einem günstigen Winkel. Seaborg flog aus der Bowl. Sergeijs Gesicht, das nun eingeblendet wurde, zeigte kein Erstaunen, sondern nur ein zufriedenes Grinsen. Dann schwenkte die Kamera zu Yuriy. Kai war milde überrascht darüber, wie sehr er sich verändert hatte. Doch noch bevor er sich Gedanken machen konnte, woran das lag, wechselte das Bild erneut. Eine Statistik wurde eingeblendet, aus der hervorging, dass Yuriy und Boris als Gruppensieger das neue russische Team bilden würden. Und natürlich kam auch Sergeij dazu. Doch da Boris den Blade seines letzten Gegners komplett zerlegt hatte, gab es keinen vierten Mann. Ganz so, wie Yuriy es gesagt hatte. Kais Hand schloss sich um Dranzer und er sah nachdenklich auf seinen Blade hinab. Die Geräusche hinter sich blendete er aus. Was sollte er tun? Yuriy war stark, keine Frage, und sie würden schon irgendwie miteinander auskommen. Und es war eine Gelegenheit, endgültig zu klären, ob er besser sein konnte als Kinomiya. Doch wie würde letzterer reagieren, wenn nach Max und Rei nun auch noch Kai das Team verließ? „Na los, lasst uns trainieren!”, rief Kinomiya in diesem Moment, griff nach Daichis Arm und zog ihn mit sich zu den Bowls. „Kai! Willst du den ganzen Tag faulenzen oder was?” Kai verdrehte die Augen. Er stand auf, um in eine andere Ecke des Raumes zu gehen, wo Platz für Geschicklichkeitsübungen war. Während die anderen beiden sich in der Bowl schlugen, ließ er Dranzer Slalom um kleine Kegel fahren. Er beherrschte den Drill beinahe im Schlaf und so erlaubte er sich, seine Gedanken abschweifen zu lassen. Wann war er so rücksichtsvoll geworden, gerade im Hinblick auf Kinomiyas Gefühle? Er wusste, er hatte den ehemaligen Bladebreakers - seinen Freunden - in der Vergangenheit so einiges abverlangt mit seiner unterkühlten Art. Inzwischen kannten sie sich besser und Kai hatte sich tatsächlich daran gewöhnt, die anderen um sich herum zu haben. Sie vertrauten ihm, und ja, das machte ihn stolz. Vielleicht fiel es ihm deswegen so schwer, diesen Schritt zu tun. Dabei war das Team ja schon zerfallen! Max und Rei hatten die Vorzeichen gedeutet und waren gegangen, als noch Zeit dafür war. Sein Timing hingegen war wie immer schlecht. Wenn, dann hätte er Yuriy schon vor den Vorrunden zusagen sollen. Stattdessen hatte er einfach nur lange gezögert (beinahe zu lange, denn um ein Haar hätte er selbst die Anmeldung dafür verpasst) und war in das japanische Turnier eingestiegen. Diese Entscheidung hatte sich genau bis zu diesem Moment richtig angefühlt, als er gegen Daichi antreten musste. Durch Zufall hatte er ihn kurz zuvor in der Umkleide herumschreien hören: Dass er am Ende des japanischen Turniers gegen Kinomiya kämpfen wolle anstatt mit ihm in ein Team gesteckt zu werden, dass es nur einen Weltmeister geben könne und so weiter und so fort. Diese Worte hatten Kai mehr zugesetzt als er auch nur geahnt hätte. Und so hatte er einen Rückzieher machen wollen. Er hätte rausfliegen und entweder gar nicht oder noch mal in Russland antreten können. Doch dann hatten seine Instinkte, und vielleicht die Suzakus, dafür gesorgt, dass er Daichi schlug. Und nun steckte er hier in diesem Schlamassel. Dranzer kickte die Kegel um, dann fing er den Blade auf. Gleichzeitig ertönte ein begeisterter Ausruf von Kinomiya, der ihn anscheinend beobachtet hatte. Kai hob den Kopf und bemerkte, dass auch Hitoshi ihn musterte. Sein Blick war scharf und wissend. Ihr Coach ahnte etwas, natürlich tat er das. Daitenji und er waren beste Freunde, als musste er auch von den offiziellen Angeboten wissen, die für Kai bei der BBA eingegangen waren. Und auf einmal spürte er, wie Wut in ihm aufstieg. Erwartete Hitoshi allen Ernstes, dass er sich ihm kommentarlos fügte, erst Recht nach dem Schauspiel als Shippu-no Jin? Er wandte sich ab, damit niemand seine Wut bemerkte, und drehte sich zur Glasfront um. Bakuten flirrte unter der Sonne und in der Ferne glänzte die Kuppel des Stadions, in dem alle Beyblade-Turniere stattfanden. Kai hatte sich hier nie zu Hause gefühlt; er war schon immer lieber nach Tokio gefahren, um dort seine Freizeit zu verbringen. Selbst dieser Stadt gegenüber fühlte er also keinerlei Verpflichtung. Nun, er hatte die Wahl: Wollte er einen Schritt in die Vergangenheit machen und sich einem Team anschließen, das er lediglich zu kennen glaubte? Oder sollte er auf die sichere Karte setzen, sich dafür aber die womöglich letzte Gelegenheit für ein Entscheidungsmatch gegen Kinomiya entgehen lassen? Am Abend stieg er zur Aussichtsplattform hinauf, von der aus man einen weiten Blick über die Bucht von Bakuten hatte. Er setzte sich auf eine Bank und zündete sich eine Zigarette an. Normalerweise war er vorsichtiger, denn die Wahrscheinlichkeit war groß, dass seine Fehltritte in der Presse landeten, wenn er erwischt wurde; nach Sonnenuntergang traf man hier oben jedoch selten jemanden. Die Sonne war längst hinter dem Horizont verschwunden, nur noch ein orangeroter Streifen war über dem Meer zu sehen und es wurde merklich kälter. Kai bewegte die Schultern, denn nach dem Training waren sie tatsächlich ein wenig steif, und nahm sein Handy in die Hand. Zwei weitere Nachrichten, jedoch von der falschen Person. Er ließ einige Sekunden verstreichen, in denen er einfach nur rauchte und auf das Display sah. Dann seufzte er und wählte eine Nummer. Dieses Gespräch würde teuer werden. „Ja?” Im Hintergrund war Musik zu hören, die Kai überraschenderweise sofort erkannte. David Bowie. „Ich bin’s”, sagte er und lehnte sich zurück. Auf der anderen Seite erklang ein Lachen, die Musik wurde leiser gestellt. „Und ich dachte schon, du hättest irgendeinen windigen Deal mit Kinomiya gemacht, dass ihr euch beide nach dem Turnier um den Titel prügelt.” Yuriys Stimme war vertraut, und doch so anders. Tiefer. Kai ließ den Rest seiner Zigarette verglimmen und sah in den Himmel. „Das wäre nicht dasselbe wie offiziell gegen ihn zu gewinnen, nicht wahr?”, sagte er. „Ich wusste, du würdest zur Vernunft kommen”, sagte Yuriy, „Du bist also dabei?” „Ja”, entgegnete Kai. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)