AX-4 von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 4: ----------- 04 Takatori hatte eine komplette Privatarmee. Eigentlich hatte er also genug andere Leute bei der Hand, die seinen Dreck regeln konnten. Trotzdem saßen sie wenige Tage später schon wieder zusammen und harrten seiner Wünsche. Wenigstens war es diesmal nur eine Videokonferenz in ihrer kleinen Basis. Heute mussten sie mal nicht persönlich in seinem Büro antreten. Aber wie üblich ließ er sie warten. Farfarello packte Ayax´ Kopf mit beiden Händen und zog sie nah an sein eigenes Gesicht heran. Grob. Ohne selbst eine Miene dabei zu verziehen. „Diese Rubin-Augen!“, meinte er verächtlich, während er ihr tief in selbige hineinschaute. „Ich wüsste zu gern, was hinter diesen Augen geschieht! Aber das kann mir nur Schuldig beantworten. Er ist der Gedankenleser.“ „Mh, du solltest sie besser wieder loslassen“, erwiderte Schuldig gelassen und es war vom Tonfall her nicht ganz zu deuten, ob das tatsächlich eine Antwort auf Farfarellos Frage darstellen sollte oder ob da kein Zusammenhang bestand. An seiner lässigen Sitzhaltung mit einem Arm hinterrücks über der Rückenlehne änderte er jedenfalls nichts, um irgendwie einzuschreiten. „Warum? Ist es dir Alpha-Tierchen etwa nicht recht, wenn jemand dein Zeug anfasst?“ Schuldig grinste schadenfroh. „Das auch. Aber in erster Linie wertet sie deine Aktion gerade als Angriff und leitet schon Gegenmaßnahmen ein. Wenn du von ihr nicht umgebracht werden willst, dann lass sie jetzt los.“ Der Bildschirm auf Nagis Computer blitzte auf und aus der 'offline'-Meldung wurde eine stehende Verbindung, woraufhin Farfarello die Waffe tatsächlich wieder frei gab und Haltung annahm. Schuldig konnte sich gerade noch ein vorlautes „Na endlich“ verkneifen. Wieso musste Takatori eigentlich immer zu spät sein? Und warum waren sie eigentlich immer pünktlich, wenn sie doch genau wussten, daß Takatori es sowieso nicht war? „N´Abend, die Herren“, brummte der Gangster-Boss in die Runde. Er trug einen taubenblauen Anzug von der Stange und saß hinter seinem Schreibtisch, wie unschwer zu erkennen war. Das Bild war klar und deutlich, der Ton gut verständlich, seine Laune wie immer mürrisch. „Hallo, Chef“, grüßte Crawford stellvertretend für alle zurück. „Ihr habt Arbeit.“ „Davon ist auszugehen, sonst würden wir nicht hier sitzen“, kommentierte Schuldig. „Halt den Mund, Mann!“, raunzte Takatori ihn an. „Ich will, daß ihr ein Mädchen für mich ausschaltet! Sie hat gefährliche Fähigkeiten, etwa vergleichbar mit euren. Und sie wird deshalb auch schwer bewacht und beschützt. Ich teile euch in drei Teams auf. Oracle, Mastermind, Berserker, jeder von euch bekommt eine Truppe Soldaten mit, die ihm untersteht.“ „Wir sollen getrennt agieren?“, rückversicherte sich Crawford erschrocken. Das hatte es ja noch nie gegeben. Sie waren ein eingespieltes Team mit einer funktionierenden Arbeitsteilung. Sie ergänzten sich gegenseitig. Sie waren bei Missionen aufeinander angewiesen. Und wer war bitte so wahnsinnig, Farfarello alleine los zu schicken!? „Ich übermittle euch jetzt die Daten, wo ihr das Mädchen finden werdet und wann und wo ihr euch mit euren jeweiligen Einheiten treffen werdet. Die weisen euch in alles Weitere ein. Jeder von euch hat seinen Auftrag. Versaut eure Mission nicht!“ Nun, daß Nagi zu jung war, um ihm eine eigene Kompanie Soldaten zu unterstellen, war verständlich, dachte Crawford. Der war ja noch nichtmal volljährig, auch wenn er ein vollwertiges Mitglied von Schwarz war. „Dann bleibt Prodigy mit in meinem Team“, legte er fest und warf seinem Adoptivsohn einen Seitenblick zu. „Nein. Prodigy, du lässt dich in meinem Büro blicken. Noch heute.“ „Uuuuuh~ Geheimnisse?“, lästerte Schuldig dazwischen. „Oracle, bring diesen großfressigen Kerl zum Schweigen!“, zeterte Takatori wütend. „Du bist der Leiter von deinem Haufen da, also halte deine Leute unter Kontrolle! Ich schwöre dir, ich peitsche dich tot, wenn er noch einmal die große Klappe hat!“ Crawford nickte seufzend. „Du hast ihn gehört, Schuldig“, merkte er in beinahe mildem Tonfall an. Der Telepath zog zwar eine griesgrämige Schnute. So schlimm war der Einwurf ja nun auch wieder nicht gewesen, wie er fand. Er sagte aber nichts mehr. „Und bring mir den Kopf dieses Mädchens! Sonst nehme ich deinen dafür!“ Die Leitung wurde unterbrochen und auf dem Bildschirm ploppte wieder die graue 'offline'-Meldung auf. „Himmel, der hat ja heute gute Laune ...“, maulte Farfarello. „Das gefällt mir nicht, daß Takatori uns in alle vier Himmelsrichtungen zerstreuen will. Was bezweckt er damit?“ „Ja, und er könnte sich echt mal angewöhnen, uns wieder mehr Infos zu den Aufträgen zu geben“, warf Schuldig ein. Nebenbei stand er schon auf und ging die Vorhänge wieder aufziehen, mit denen sie für die Videokonferenz den Raum verdunkelt hatten. „'Ein Mädchen' ist jetzt keine sehr präzise Beschreibung der Zielperson. Und wenn wir uns mit einem Gegner mit 'gefährlichen Fähigkeiten' anlegen sollen, so stark, daß eine kleine Armee dafür nötig ist, würde ich schon ganz gern vorher wissen, womit wir es zu tun haben.“   Schuldig hob sich das summende Handy ans Ohr, ohne vorher auf den Bildschirm geschaut zu haben, wer ihn überhaupt anrief. Den Ton hatte er bereits ausgeschalten, in Vorbereitung auf das Kommende. Es ging nur noch der Vibrationsalarm los, wenn jemand ihn kontaktierte. „Was gibt es?“ „Bist du schon auf Position?“, hörte er Crawfords Stimme aus der Leitung. „Nein. Laut Plan schlagen wir erst in drei Stunden los.“ „Wo bist du?“ „Wie meinst du das?“, wollte Schuldig verwundert wissen. „Ich habe gerade mit Farfarello gesprochen. Er ist mit seiner Einheit in Asakusa. Ich bin hier in Shibuya. Mir scheint, wir wurden zeitgleich auf verschiedene Ziele angesetzt. Wir greifen nicht alle das selbe Objekt an. Also wo bist du?“ „Shinjuku“, gab Schuldig zu. Crawford fluchte am anderen Ende leise. Noch ein weiterer Stadtteil Tokyos. „Die haben uns ganz schön weit auseinandergetrieben.“ „Aber dieses Mädchen, das wir jagen, kann doch nicht an drei Orten gleichzeitig sein.“ „Richtig. Das ist es ja, was mir so zu denken gibt. Ich hoffe, Takatori hatte einfach nur keine Ahnung, wo sie sich befindet, und es steckt nicht mehr dahinter.“ Der Telepath nickte leicht vor sich hin, kam aber trotz aller Grübelei zu keinem rechten Ergebnis. „Na schön. Pass auf dich auf, hörst du?“ „Mach ich. Du auch.“ „Ich hab ja Ayax. Mach dir lieber Sorgen um Farfarello. Du weißt, wie er drauf ist, wenn er seinen Blutrausch kriegt.“ Schuldig verabschiedete sich und ließ das Telefon langsam wieder verschwinden. Seine Teamkollegen waren in gänzlich anderen Gebäuden zugange. Er war hier also auf sich allein gestellt. Das war keine coole Situation. Sein Blick blieb nachdenklich auf AX-4 haften. „Ist alles okay?“, wollte sie wissen und schlang beruhigend die Arme um seine Mitte. „Jetzt wird es ernst, Hübsche. Das erste Mal, daß ich im echten Gefecht auf dich angewiesen bin.“ Er strich ihr die Haare hinter ein Ohr, streichelte über ihre Wange und ihre Halsseite. In den wenigen Tagen, die sie erst bei ihm war, hatte er sich doch ziemlich in sie vernarrt und herzte sie total an. „Ich werde dich beschützen“, versprach sie. „Das hoffe ich doch.“ Erst jetzt, mit der Hand an ihrem Hals, fiel ihm so richtig auf, daß sie gar keinen Puls hatte. Er wurde ernster und, ja, skeptisch. Ihre menschlich warme Körpertemperatur, ihre weiche Haut und vor allem auch ihre weiblichen Rundungen hatten ihn bisher gut darüber hinweggetäuscht, aber jetzt hatte er plötzlich doch Zweifel daran, daß sie wirklich organisch war. „Okay. Ich schätze, es ist an der Zeit, was über dich zu lernen“, entschied Schuldig. „Du bist also eine Waffe, sagt man. Was genau kannst du?“ „Ich verändere meine Form nach Belieben.“ „Du kannst jedes Erscheinungsbild annehmen, das du willst?“ „Ich kann keine Doppelgänger von realen Menschen nachahmen. Aber ansonsten kann ich zu jedem Gegenstand werden, der gerade benötigt wird. Teilweise funktionsfähig, teilweise nicht. Mein primärer Zweck ist es, zu einem Schutzschild zu werden und meinen Benutzer vor Angriffen abzuschirmen, indem ich als Stahlplatte um ihn herumschwirre, während er sich durch das Gelände bewegt. Ich bin ein intelligenter Panzer.“ „Kannst du zu einer Pistole werden?“ Ayax nickte stoisch. „Ich kann zu etwas werden, das wie eine Pistole aussieht. Aber feuern kannst du mit mir nicht. Ich muss immer in einem Stück bleiben. Ich kann keine Teile von mir abspalten, um sie durch die Gegend zu schießen. Wenn du mich in eine Angriffswaffe verwandeln willst, solltest du dich für eine massive Hieb- oder Stichwaffe entscheiden. Nutzbringender bin ich aber als Werkzeug. Ich kann für dich zu jedem beliebigen Tür- oder Zündschlüssel werden, zu einer Brechstange, zu einer Leiter, oder meinetwegen zu einer Kaffeekanne, wenn du gerade eine brauchst. Unsere telepathische Verbindung gibt mir exakte Instruktionen, was du haben willst.“ „Wie wäre es mit etwas Komplexerem, wie einem Motorrad?“ „Gerne auch ein Motorrad“, bestätigte sie gelassen und machte es ihm zum Beweis auch gleich vor. Sie zerfloss zu einem unförmigen, silbernen Etwas, dehnte sich in ungeahnte Richtungen aus und nahm wieder erkennbare Konturen an. Zuletzt bekam das ganze Ding auch wieder Farbe. Binnen Sekunden stand eine Harley Davidson vor ihm. „Da ich keinen Verbrennungsmotor habe, mache ich zwar nicht die gleichen Geräusche wie ein echtes Motorrad, aber schnell durch die Gegend tragen kann ich dich“, fuhr ihre Stimme fort. Schuldig kapierte erst nach einigen Sekunden, daß diese Stimme nur noch in seinem Kopf zu hören war. Als Motorrad hatte sie keinen Mund mehr zum Reden. Also musste sie wohl auf die telepathische Kommunikation zurückgegriffen haben, die sowieso zwischen ihnen herrschte. Er fuhr sich unschlüssig mit den Fingerspitzen die Lippenkonturen nach, statt etwas zu sagen. Was er hier sah, verstörte ihn mehr als ihm lieb war. Ayax nahm wieder ihre menschliche Erscheinung an. Die des Mädchens mit den roten Augen und dem Puppengesicht. „Du wirkst unzufrieden“, stellte sie in einer undeutbar herausfordernden Tonlage fest. „So würde ich das nicht gleich nennen“, entgegnete Schuldig vorsichtig. „Ich frage mich nur, wie du das machst. Was zur Hölle bist du?“ „Meine Grundstruktur basiert auf Nanobots. Zahllose, mikroskopisch kleine Metallteilchen, die sich beliebig umsortieren und neu zusammensetzen können und dadurch immer andere Objekte formen. Zusammengehalten und gesteuert werden sie von einer programmierten Haupteinheit, auf der verschiedene Datenbanken, Baupläne und Programmabläufe gespeichert sind. Zum Beispiel, damit ich in menschlicher Sprache mit dir kommunizieren oder mich in Städten orientieren kann. Oder soziale Verhaltensmuster, wie dir und deinen Kollegen unaufgefordert zu helfen, wenn ich euch arbeiten sehe.“ Ein ratloses Nicken war alles, was Schuldig dazu zunächst einfiel. „Du wirkst immer noch unzufrieden“, merkte Ayax an, als sei das eine Tatsache. „Ich glaube, was wir zwei die letzten Nächte miteinander getrieben haben, war eine blöde Idee ...“ „Warum?“ „Warum!?“, quietschte der Telepath, langsam leicht hysterisch. „Hast du irgendwas dabei empfunden? Hat es dir Spaß gemacht?“ „Für mich ist Spaß kein Kriterium. Ich bin eine Maschine und tue, was man mir aufträgt. Du bist mein Meister und laut meinen Analysen hatte der Verkehr mit mir einen positiven Effekt auf dich.“ Schuldig stieß fassungslos Luft aus. Ging´s noch? „Genau das ist meine Aufgabe als deine Waffe“, fuhr sie unbeirrt fort. Er musste sich schaudernd von ihr abwenden und presste sich eine Hand auf den Mund, um nicht gar zu entsetzt nach Luft zu schnappen. Er konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen. Er konnte nichtmal mehr sagen, ob er gerade lachen oder heulen wollte. Das war ihm jetzt echt zu heftig. Was dachte die sich eigentlich? Na, wahrscheinlich gar nichts. Sie war nur eine programmierte Maschine. Ein Roboter quasi, der mittels Emotions-Simulator so tat, als wäre er ein Mensch. Schuldig kam sich furchtbar betrogen, ja regelrecht prostituiert vor und fühlte sich schlagartig elend. Er hatte sich mit einer Maschine vergnügt, Herrgott nochmal. Und das ohne es zu merken. Er hatte ihr vertraut! Aber mal von dieser emotionalen Hintergehung ganz abgesehen: Dieses verfluchte Ding war als Mensch so echt und überzeugend, daß es einen problemlos irreführen konnte. Selbst ihn als Gedankenleser hatte sie getäuscht. Sie hatte ihm sogar Gedanken vorgetäuscht, damit er als Gedankenleser etwas zum Lesen hatte und keinen Verdacht schöpfte. Er hatte sich ihr aus freien Stücken völlig ausgeliefert. Undenkbar, was sie ihm alles hätte antun können, wenn sie ihm nicht zufällig wohlgesonnen gewesen wäre. Nicht zu fassen. Seine Gedanken und Emotionen überschlugen sich in seinem Kopf zu einem einzigen Chaos. Er hatte für den ersten Moment keine Ahnung, wie er das verarbeiten sollte. „Schuldig?“ „Lass mich in Ruhe!“, pflaumte er sie an und ging. Er ließ sie einfach stehen. Er brauchte kurz Abstand von all dem hier. Er hätte eher anfangen sollen, Fragen zu stellen, statt sich von ihrer reizenden Erscheinung verblenden zu lassen. Wie hatte er jemals glauben können, daß sie irgendwas Menschliches an sich haben könnte? Gut, das war auch ein Erfahrungswert, den er bisher noch nie hatte machen müssen. Normalerweise scherte er sich nicht um die Gefühle anderer Menschen. Es war ihm ehrlich gesagt auch ziemlich Schnuppe, was sie dabei empfand, wenn er sich im Bett an ihr ergötzte. Ihr Spaß war ihr nicht halb so wichtig wie sein eigener. Aber egal ob es sie positiv oder negativ tangierte, er wollte gefälligst ernst genommen werden! Hatte sie seiner Autorität denn gar keine Bedeutung beigemessen!? Er benutzte und manipulierte andere schamlos zu seinem eigenen Vorteil oder Vergnügen, ungeachtet der Folgen für denjenigen. Er liebte es, Macht über andere auszuüben. Und unter der Prämisse, daß er diese Ayax als sein persönliches Eigentum eingestuft hatte, hatte er davon auch gewissenlos und nur zu gern Gebrauch gemacht – wie üblich ohne sich groß den Kopf darüber zu zerbrechen. Aber was er garantiert nicht hinnehmen konnte, und was sein Ego zutiefst kränkte, war ein diesbezüglicher Rollentausch. Noch dazu, wenn er so hinterrücks und heimlich vonstattenging. Das war ja förmlich Verrat! Wer ging denn auch davon aus, daß in Wirklichkeit sie diejenige war, die ihn manipulierte? Ihn hatte noch nie etwas dermaßen aus dem Konzept gebracht. „Mastermind! Komm sofort zurück und reiß dich zusammen!“, befahl sie streng und folgte ihm. „Wir sind hier auf einer Mission! Sieh zu, daß du einen klaren Kopf behältst, sonst gefährdest du deine gesamte Kompanie!“ „Kümmer dich um deinen eigenen Rotz! Zum Beispiel darum, die Telefone, Handys und Notrufsysteme zu stören! Du hast noch genug zu tun, bevor wir da einrücken!“   Mit einem überdeutlichen Rumms, der das ganze Gebäude wackeln ließ, wurde die Tür schlicht und ergreifend aus dem Rahmen gesprengt. Sie legten hier keinen Wert auf diskretes Vorgehen. Kein Alarm. So weit, so gut. Schuldig ging voraus – im Gegensatz zu den Kampftruppen, die gebückt und mit eingezogenem Kopf herumrannten, um ein möglichst kleines Ziel zu sein, lief Schuldig aufrecht und ohne Eile – ließ seinen Geist schweifen und suchte ziellos in der Umgebung herum. Es war zwar mühsam und ungefähr so erfolgversprechend wie mit den Händen blind in der Dunkelheit herum zu tasten, aber manchmal fand er dabei doch irgendjemanden, der sich unbemerkt in einer Deckung versteckte. Das hatte ihn schon auf manchen Hinterhalt aufmerksam gemacht und ihm in der Vergangenheit mehrfach das Leben gerettet. Er bekam mit seiner telepathischen Gabe tatsächlich etwas zu fassen. 'Den rothaarigen Typen ... zuerst ausschalten ... weiße Klamotten ...', hörte er die stillen Gedanken einer unbekannten Person wie aus undurchsichtiger Ferne. Sie waren ein wenig zusammenhanglos und stichpunktartig, wie Gedanken im Kopf eines Menschen eben waren. 'Keine kugelsichere Weste ... ist kein normaler Soldat ... muss einer der Kommandanten sein.' Schuldig schaute sich suchend um, wo die Person saß, die solcherlei Gedanken hegte. Dabei gab er seiner Truppe mit zwei knappen Handzeichen Befehl, ihn links und rechts zu überholen und voraus zu gehen. Noch während die um ihn herum wuselten und ihm damit ungewollt volle Deckung gaben, weil aus keiner Richtung mehr freie Schussbahn gegeben war, zog er seine eigene Pistole. „Ayax, bleib in der Nähe“, trug er seiner Begleiterin auf. „Natürlich.“ „Die Spinte dort.“ Der Telepath deutete auf ein paar Stahlschränke an der Wand und einen Wimpernschlag später steckte AX-4 als riesiger, metallener Rammbock in einer der Türen. Sie hatte das bisschen Blech mit Wucht durchstoßen und sich in den Schrank hinein gebohrt wie ein Pfahl. Schuldig war selbst ein wenig erschrocken darüber. Er hatte nicht mal gesehen, wie sich AX-4 von ihrer Frauengestalt in den eisernen Pflock verwandelt hatte. Ein gepresstes Röcheln. Eine Blutnase, die langsam unten aus der Spinttür heraus gelaufen kam. Er hatte gut geschätzt. Sein versteckter Gegner war gefunden. AX-4 löste sich aus der Tür, wechselte wieder in ihre humanoide Gestalt und kehrte ohne Verzug zu ihm zurück, um ihn wieder zu decken. Schuldig hielt sich nicht damit auf, nachzusehen, was mit dem Kerl im Schrank nun im Detail passiert war, sondern ging weiter. Immerhin stürmten sie gerade ein Gebäude und waren hier nicht auf einem Spaziergang. Auch wenn seine Einsatztruppe gerade einen gegenteiligen Eindruck machte. Der Teamleiter hockte neben einem abzweigenden Gang und bewegte sich keinen Schritt mehr. „Was ist los? Machen wir hier Picknick, oder was?“, wollte der Telepath wissen. „Das ist ein verflucht langer Flur“, meinte der Soldat unbehaglich. „Ohne jede Deckung. Wenn da jemand am anderen Ende hinter der Ecke sitzt, schießt der uns auf halber Strecke ab wie Wildgänse. Wir könnten nirgendwo hin.“ Schuldig griff sich mit unbewegter Miene eine Handgranate von der Weste seines Gegenübers, zog den Stift und warf das Ding flach über den Boden. Die Granate segelte bis ganz ans andere Ende des Gangs und ging dort sofort hoch. Es gab ein mörderisches 'Wumm' in den engen Räumlichkeiten. Irgendwo rieselte ein bisschen Putz von der Decke. „Jetzt sitzt da keiner mehr. Vorrücken!“ Der Soldat steckte sich stöhnend die Zeigefinger in beide Ohren, um den Druck auf seinen Trommelfellen wieder auszugleichen. Schuldig vollführte einen subtilen Fingerzeig Richtung der Tür am anderen Ende des Gangs. Eine Bewegung, die so beiläufig und weich wirkte, daß sie einem unaufmerksamen Beobachter sicherlich gar nicht aufgefallen wäre. „Du musst mich nicht mit Handzeichen leiten“, kommentierte Ayax. „Ich verstehe auch so, was du willst.“ „Weiß ich. Aber noch fällt es mir so leichter, dich zu dirigieren. Ich hab nicht genug mit dir geübt, um mich mit dir zu verständigen.“ Er sparte sich die Rüge, daß sie ihn nicht so neunmalklug und vorlaut auskontern sollte. Dafür war gerade der falsche Zeitpunkt, auch wenn es ihn im Angesicht der gesamten Truppe arg gereizt hätte, etwas zu sagen.   „Ich bestätige 47 Ziele“, merkte Ayax an, als sie sich nach der Decke umsah. Schuldig warf ihr einen fragenden Blick zu, weil er nicht verstand. „Ziele?“ „Wärmesignaturen.“ „Du meinst Menschen?“ „Richtig.“ „Hast du einen Röntgenblick?“ „Infrarot.“ „Durch Stahlbeton-Mauern hindurch?“, wollte der Telepath ungläubig wissen. „Zeig mir das, das will ich auch sehen.“ Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die telepathische Verbindung zu seiner Waffe. Ayax ließ ihn mit ihren Augen sehen. Tatsächlich konnte er durch beide Keller-Etagen und alle drei überirdischen Stockwerke hindurch sämtliche Menschen im Gebäude als rote Silhouetten wahrnehmen. Das gewaltsame Eindringen einer schwer bewaffneten Kampftruppe war natürlich längst bemerkt worden. Die meisten Leute, die hier arbeiteten, kauerten verängstigt auf einem Haufen und beteten wohl, nicht gefunden zu werden. Andere suchten nach notdürftigen Schlagwerkzeugen, um sich zu verteidigen. Einer versuchte noch panisch alle Computer herunter zu fahren und die streng geheimen, wissenschaftlichen Daten zu sichern. „Was suchen wir?“, wollte Ayax wissen. „Ein Mädchen“, gab Schuldig ihr abgelenkt Auskunft, noch viel zu fasziniert von dieser grandiosen Fähigkeit. „In dieser Einrichtung ist kein Mädchen.“ „Bist du sicher?“ „Ich lokalisiere fünf Frauen unter den Zielen. Aber keine davon ist jung genug, um noch als Mädchen durchzugehen. Alles Wissenschaftlerinnen.“ Schuldig ließ die telepathische Verbindung in den Hintergrund rutschen, öffnete seine Augen wieder und schaute sich in dem Gang um, den er gerade mit seinen Truppen besetzt hielt. Kein Mädchen. Und Takatori hatte drei Gebäude gleichzeitig angreifen lassen. Dann war das gesuchte Mädchen sicher wo anders. Bestimmt würden Crawford oder Farfarello erfolgreich sein. Also kein Grund, hier noch weiter Zeit und Nerven zu verschwenden. Er nickte dem Truppenführer auffordernd zu. „Ihr habt sie gehört. Abrücken. Wir verschwinden.“ „Und dann?“, hakte der Mann irritiert nach. „Was dann?“ „Naja ... gehen wir einfach?“ „Jagt den gesamten Gebäudekomplex in die Luft“, trug Schuldig ihm auf. „Was!? Hier sind noch Menschen drin!“ „Zeugen, Kumpel. Ich bin sicher, du willst keine Zeugen.“ „Was ist mit den Forschungen, die hier betrieben wurden? Den Unterlagen? Den Präparaten! Den technischen Einrichtungen!? Dem Lager!? Hier könnten chemische Kampfstoffe gelagert sein!“ „Sprengen, hab ich gesagt!“, beharrte Schuldig stur. „Schnell, gründlich und mit allem, was drin ist. Hier bleibt gefälligst kein Stein auf dem anderen.“ Der Soldat seufzte unglücklich, diskutierte aber nicht weiter. „Ja“, meinte er nur zerknirscht und trollte sich, um dem Befehl nachzukommen. Als Kämpfer einer Privatarmee waren sie ja allesamt nicht gerade aus Zucker. Aber dieser elende, rothaarige Spezi, der in seiner Arroganz nichtmal eine Schussweste trug, übertraf an Kaltherzigkeit und Gewissenlosigkeit wirklich alles, was er jemals erlebt hatte. Kein Wunder, daß er bis in Takatoris Sondereinheit Schwarz aufgestiegen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)