7. Animexx-Original
7.1.: Version 1.0 ("An jenem schicksalhaften Regentag")
7.2.: Version 1.5 ("CONDENSE - An jenem schicksalhaften Regentag")
7.3.: Version 2.0
7.4.: CONDENSE II (Spin-off)
7.5.: SOLIDIFY (Spin-off)
7.6.: MELT (Spin-off)
7.7.: PLASMAIZE (Spin-off/Film)
7.8.: Girlfriend's Farewell (Sidestory)
7.9.: Enemy's Ambition (Sidestory)
7.10.: Bromance Life (Sidestory)
7.11.: Before I met you (Sidestory)
7.12.: Escaping Hell (Sidestory)
7.13.: The void inside (Sidestory)
7.14.: The boyfriend I never had (Sidestory)
7.1. Version 1.0 ("An jenem schicksalhaften Regentag")
Version 1.0 beschreibt die Erstveröffentlichung der Serie auf Animexx vom
5. Januar 2019 bis zum
1. Januar 2020.
Sie ist von einer gewissen Fanfiction abgesehen auch das erste veröffentlichte Werk von mir als Schriftsteller. Hier ist die Handlung vor allem spontan und impulsiv sowie der Schreibstil noch sehr unbeholfen, auch wenn an ein paar Stellen vielleicht ersichtlich wird, was ich versucht habe. Charaktere wie Len Orikida, Rei Otosaka, Meiko Egaoshita und weitere sind wenig bis überhaupt nicht ausgereift, was nicht zuletzt auch daher rührt, dass sie praktisch keine Auftritte haben. Zudem sind die Persönlichkeiten der Hauptcharaktere, insbesondere Chika Failman, weder wirklich originell noch erfahren sie im Laufe der Handlung auch nur irgendeine tatsächliche Entwicklung auf menschlicher Basis. Zwar gibt es Szenen, welche den Leser unter besserer Umsetzung wirklich hätten bewegen können, durch zahllose Logikfehler und der fehlenden Nachvollziehbarkeit der Charaktere oder der Handlung als solche, scheitert dies jedoch auf ganzer Linie.
7.2. Version 1.5 ("CONDENSE - An jenem schicksalhaften Regentag")
Klappentext
Elvis hat sein Gedächtnis verloren. Und daran, dass er sich jemals wieder erinnern wird, hat er nach drei Jahren aufgehört zu glauben. Alles, was von seinem damaligen Leben noch übrig ist, sind zusammenhangslose Sequenzen von Erinnerungen an einen stürmischen Regentag, einen Asphalt voller Blut und eine von jemandem, der aussieht wie er selbst, nur mit giftgrünen Augen. Doch, egal wie sehr er auch die Leere in seinem Herzen zu füllen versucht, indem Bestnoten schreibt, liest und mit seinen Freunden Spaß hat, die Vergangenheit soll ihn bald wieder einholen. Chika, das Mädchen aus der vergessenen Vergangenheit findet pünktlich zum Schuljahresbeginn ihren Weg zurück in sein Leben, gefolgt von ihrem Willen, ihm seine Erinnerungen zurückzugeben, egal, wie unwahrscheinlich dies auch sein mag. Doch nicht nur sie war damals Teil seines Lebens: Auch Akira, sein bester Freund, hütet ein schwerwiegendes Geheimnis. Schnell wird klar, dass Elvis nicht der Einzige ist, der eine Fassade aufrechtzuerhalten hat. Und dass seine Mitmenschen nicht immer die ganze Geschichte erzählen. Als seine Welt eines Tages in sich zusammenfällt, ist diese Erkenntnis tödlicher als alles andere...
Diese Version kann streng genommen nicht als eigenständige Version betrachtet werden, da sie nur wenige Kapitel ausmacht, welche nicht zwangsläufig zusammenhängen. Diese Version hängt allerdings nahezu unmittelbar mit der Produktion der Hörspiel-Adaption zusammen, die zu der Zeit geplant war. Noch am selben Tag, an dem der Epilog von Staffel eins angelegt wurde (
30. Dezember 2019), eröffnete ich meinen eigenen Discord-Server, welcher diesem Projekt gewidmet sein würde.
Die Sprecher wurden mehr, ich besorgte mir ein Grafiktablett und war fest entschlossen, aus dem, was ich angefangen habe, ein Hörspiel zu machen, das die Welt noch nicht gehört hat. Mir wurde aber auch sehr schnell klar, dass die Geschichte, so wie sie zu der Zeit war, unmöglich zu adaptieren war. Die Charaktere und die komplette Handlung waren in ihrer Natur viel zu willkürlich und undurchdacht, als dass sich das irgendjemand geben könnte, der auch nur einen Funken Selbstachtung in sich trägt. Da ich die Skripte also nicht eins zu eins einfach von diesen fremdschamerregenden Texten abhängig machen konnte, begann ich erstmal, ein wenig nachzudenken. Meine erste Strategie bestand darin, immer fünf Kapitel, welche in einer Episode adaptiert werden sollten, so zu verbessern, dass sie Sinn ergeben. Dadurch könnte ich den Sprechern ein vorzeigbares Skript geben, sodass sie mir die Takes geben, welche ich dann im Anschluss zusammenschneide. Das erste Datum, dass ich mir für Ausstrahlung aussuchte, war ein mir selbst unbekanntes,
Ende März 2020.
Doch dann kam die Corona-Pandemie und sehr viel Drama über alles Mögliche. Die Schule war nicht besonders nett zu mir und es gab viel privaten Mist, der mir in dieser Zeit immer wieder den einen oder anderen Gehfehler verpasst hat. Ich schrieb hier von daher eher selten ganze Kapitel außerhalb von Animexx um oder verbesserte sie, sondern versuchte mich stattdessen mehr an einzelnen Szenen für die Serie. Durch die ganzen Komplikationen kam es so zur ersten Verlegung. Die erste Ausstrahlung sollte von nun an am
April 2021 erfolgen.
Doch mit der Zeit, die verging, merkte ich, dass selbst, wenn ich jetzt sofort glücklich mit der Geschichte werden würde, es damit allein nicht getan wäre. Und mir dämmerte auch, dass das Hörspiel, welches ich mir erträumt hatte, von Anfang an nicht allein davon lebte, dass man etwas hörte und dass es sich gut anhörte. Ich meine, wofür hätte ich sonst dieses Grafiktablett gekauft? Meine Animationen waren nicht
ansatzweise auf dem Level, auf dem ich sie haben wollte. Das waren ja nicht mal meine Zeichnungen an sich. Und so kam es zu einer weiteren Verlegung und einer weiteren Entschuldigung meinerseits auf dem Discord-Server. Diesmal war es der
April 2023, den ich anpeilte, kurz bevor 2021 zu Ende ging.
Vielleicht hätte ich es kommen sehen können. Ich hätte fröhlich vor mich weiterschreiben und zeichnen können. Die Szenen, die ich schrieb, hätten sich an irgendeinem Punkt ineinander einfügen müssen. Die Zeichnungen und Animationen hätten sich schon ausreichend verbessert, zu der Zeit, in der ich die Episode produziere. Um es nett zu sagen, Träume gehen nicht einfach so in Erfüllung.
Oktober 2022 zog ich daraufhin die Reißleine und pausierte die Produktion. Und damit rettete ich vermutlich das ganze Projekt.
Diese Version war zudem auch die, bei der mir zum ersten Mal die Idee mit den "Dere"-Typen-Arcs einfiel. Dadurch konnte ich auf die einzelnen Charaktere von vornherein viel besser eingehen und eine damit aus meiner Sicht viel lebhaftere Geschichte erzählen. Diese Version lässt sich ungefähr im Zeitraum
2020 bis etwa 2021 verorten.
7.3. Version 2.0
Das ist die Gegenwart (Stand 15. März 2023). Hier wird außerhalb von Animexx die komplette Lore überdacht und die Geschichte neu ausformuliert, sodass ich ehrlich stolz darauf sein kann. Diese Version ist vermutlich dann die finale Form der CONDENSE-Webfiction. Sobald ich damit fertig bin, lade ich die neuen Kapitel hoch, um die alten zu ersetzen (das gilt sowohl für Animexx als auch für Wattpad). Diese stellen dann Version 2.0 dar, auf die dann alles weitere im Grunde basiert. Die Light Novel, das Game und das Hörspiel natürlich auch.
Der Prozess der letzten Version läuft knapp
seit 2022 und ist noch nicht fertig.
7.4. CONDENSE II - Der Sonnenstrahl eines neuen Morgens
Klappentext
Tsubasa ist klein, leicht reizbar und voller Qualitäten. Würde die Allgemeinheit das nur mal zur Kenntnis nehmen und ihn nicht ständig darauf reduzieren, eben dieser uninteressante Autorensohn zu sein. Währenddessen tut seine ältere Zwillingsschwester Chinatsu, hübsch, beliebt und freundlich, alles, um das Herz von Kindheitsfreund Hayato zu gewinnen, bei dem man in letzter Zeit überhaupt nicht mehr weiß, woran man eigentlich bei ihm ist. Nana unterdessen beschließt, sich auf ihre schulische Laufbahn zu konzentrieren, mit aller Kraft ausblendend, dass ihre Gefühle für Tsubasa trotzdem jeden Tag nur noch stärker werden. Diese vier und weitere verwirrte Menschen führen die einst begonnenen Geschichten in Shizukazemachi fort. Sie verflechten sich ineinander, kommen vom Kurs ab und finden sich wieder. Erneut zerreißt der Alltag in dem Moment, in dem einer die Realität irreparabel beeinflusst...
Oh Junge.
Kapitel 1: Der erste Eindruck zählt
E: 02.07.2020
U: 24.02.2023
Unbekannt:
Der letzte Akkord verlässt die Saiten meiner Gitarre und der letzte Ton dringt aus meiner Kehle. Zurück bleibt das Nachbeben meines Songs inmitten der Nacht. Stehengeblieben ist während meiner Performance aber niemand. Aber deswegen werde ich nicht gleich traurig. Ich kann froh sein, es wenigstens bis hierher geschafft zu haben. Zumindest kam noch nicht die Polizei, um mich wegen nächtlicher Ruhestörung zur Rechenschaft zu ziehen. Das hätte ich aber so was von persönlich genommen. Ich winde mich aus der Gitarrenschnalle, um mein Baby ins Bett zu bringen. Damit meine ich, ich lege die Gitarre in den Koffer zurück. Noch kann ich dieses Ziel vielleicht nicht erreichen. Aber das werde ich. Ich werde diese Stadt erreichen. Ich werde die Menschen erreichen. Ich gebe meinem Leben einen Sinn und wenn ich dafür alles hinblättern muss. Trotz dem Geld, das ich nicht habe. Mir egal, wie pleite ich bin. Mir egal, wie schlecht spiele oder wie schief ich singe. Mir egal, wenn niemand sonst an mich glaubt. Ich werde weitersingen und für jeden im Umkreis die Dunkelheit mit Licht erfüllen. Die Welt wird meinen Namen kennen. Eines Tages komme ich ganz groß raus. Ich bin niemand Geringeres als die Sängerin AK-47.
Tsubasa:
Ich wache auf und direkt fällt mir wieder ein, welchen Tag wir haben. Die Oberschule. Das kann ja heiter werden. Ich ziehe mir die Decke weiter über den Kopf und hoffe, den Tag einfach verschlafen zu können, bis es wieder Wochenende ist. Und wenn das Wochenende vorbei ist, würde ich den gleichen Trick noch einmal anwenden. Es könnte ja so leicht sein. Aber nein, ich bin vielleicht ein launisches Arschloch ohne Hobbys und wenigen Freunden, aber ich bin kein Systemschmarotzer. Ich bin vielleicht nicht die gewissenhafteste Person auf Erden, aber ich schwänze nicht die Schule. Das wiederum macht mich wieder zu einer besseren Person. Ich könnte also aufstehen und diese bessere Version meiner Selbst sein, wenn mein Bett in diesem Moment nur nicht so weich wäre wie Rias Gremorys Brüste. Auch wenn ich darüber nur spekulieren kann.
"Tsubasa! Aufstehen! Wenn wir am ersten Tag zu spät kommen, werden wir ausgelacht!", höre ich meine Schwester durch die Tür krakelen, ehe sie sich wie John Cena auf mich drauf schmeißt und zu Tode kitzelt.
"Aaaaaahhh, Nee-san, lass das! N-nein, nicht da! Du bringst mich um!", keuche ich, als wir aus dem Bett fallen und sie auf mir draufsitzt.
"Einen guten Morgen, kleiner Bruder.", grinst sie süß wie immer.
Ich bin der Einzige, auf den dieses süße Lächeln nicht wirkt. Vermutlich weil wir Zwillinge sind und ich genau weiß, was für ein Biest sie wirklich ist.
"Morgen, Nee-san. Könntest du bitte versuchen, nicht meine Organe zu zerquetschen? Du bist schwer.", brumme ich.
Sie wird ein wenig rot und starrt mich beleidigt an.
"Blödmann.", murmelt sie und steht wieder auf.
"Ich verstehe überhaupt nicht, wie du dich so auf die Schule freuen kannst. Ist ja eigentlich auch nicht mehr als nur Mittel zum Zweck.", denke ich laut, als ich aufstehe und meine Decke zurück ins Bett lege.
"Du bist wirklich naiv, Tsubasa.", kichert sie bloß und verschwindet aus meinem Zimmer.
Ich verweile noch ein wenig dort, wo ich stehe und starre noch etwas die offene Tür an, dann fange ich mich wieder und mache mich selbst bereit für den Tag.
Wenig später bin ich am Esstisch und esse Star-Wars-Müsli. Meine Schwester unterhält sich gerade ausgiebig mit meinen Eltern, vergisst dabei ihr Brot beinahe und ich habe meine Ruhe, um die Erzählerposition einzunehmen. Mit mir wird meist nicht geredet, weil alle wissen, was ich für ein Mängelexemplar eines Morgenmenschen bin. Dann lass uns mal anfangen. Mein Name ist Tsubasa Kyokei, ich bin fünfzehn Jahre alt und heute ist mein erster Tag an der Chinobara Oberschule. Wirklich über mich erzählen kann ich nicht. Das Mädchen hier, dass den ganzen Tag am Reden sein könnte, ohne müde zu werden, ist meine ältere Zwillingsschwester Chinatsu Kyokei. Sie ist nicht besonders intelligent und ist eigentlich eher anstrengend als hilfreich, aber ich habe sie trotzdem lieb. Der Mann hier, der sich gerade fast am Kaffee verschluckt, ist mein Vater, Elvis Kyokei. Der ist Dozent an einer Universität und schreibt nebenbei noch christliche Erotikromane. Zumindest nenne ich seine Bücher heimlich so. Und ja, es ist genauso seltsam, wie es sich anhört. Und peinlich vor allem. Ich meine, wie verkauft sich so etwas? Und widerspricht sich der Begriff "christlicher Erotikroman" nicht eigentlich völlig, unabhängig davon, dass ich ihn erfunden habe? Na ja, egal, solange ich mein Taschengeld bekomme und wir nicht auf der Straße landen, kann er machen, was er will. Das würde ich zumindest gern behaupten. Wie auch immer, die Frau hier, die Wein zum Frühstück trinkt, ist meine Mutter, Chika Kyokei. Sie ist ähnlich wie meine Schwester nicht direkt von der intellektuell erhöhten Sorte und zieht sich auch nicht an wie jede andere Mutter, aber sie ist immer sehr lieb und vor allem nicht so streng wie mein Vater. Man sollte Leute, die sich wie Junkies kleiden, nicht alle über einen Kamm scheren.
"Ich geh dann mal.", bemerke ich und räume meinen Teller weg.
"Okay, ich muss auch bald los.", fällt meinem Vater ein und tut es mir gleich.
Immerhin liegen unsere Wege in entgegengesetzten Richtungen, kommt mir ein weiteres Mal in den Sinn und ich bin froh. Ich mag es nicht besonders, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Und das hat seine Gründe.
"Hey, Tsubasa, sag mal, bist du denn überhaupt nicht, also wirklich kein bisschen aufgeregt? Wir gehen jetzt immerhin auf die Oberschule!", lässt mich Nee-san erneut wissen.
"Ich verstehe dich immer noch nicht. Du gehst einfach zur Schule. Eine Schule, die nur ein bisschen anspruchsvoller ist. Der einzige Unterschied zwischen der Mittel- und der Oberschule besteht darin, dass du danach studieren kannst und die Pärchen, welche glauben, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, um Welten nerviger werden als letztes Schuljahr. Ätzend.", seufze ich, worauf Chinatsu leise und beleidigt brummt.
"Das ist überhaupt nicht nervig.", flüstert sie leicht pikiert.
"Ach, Nee-san, bei aller Liebe, wieso bist du nur so versessen darauf, dir irgendeinen Typen zu angeln, nur weil es cool ist? Das ist doch kein Wettbewerb und außerdem würde Papa dir sowieso jeden Kerl vergraulen, der es auch nur wagt, in die Nähe von deinem Radius zu kommen. An deiner Stelle würde ich warten, bis ich ausziehen kann.", versuche ich ihr zumindest ein wenig zu helfen.
So banal ihre Probleme auch sind, es sind immer noch die meiner Schwester. Und wenn ich nicht zumindest versuche, ihr ins Gewissen zu reden, dann tut sie vielleicht noch etwas Dummes, was uns alle beide bis auf die Knochen blamiert. Nee-san sagt nichts. Ich habe es schon wieder geschafft. Jetzt redet sie nicht mit mir, weil dieses Thema sie sowohl mit Energie als auch mit Schwäche erfüllt. Ob sich das jemals ändert? Doch ehe ich weiter drüber nachdenken kann, gerate ich ins Straucheln.
"Aahhhh!!!", entfährt es mir, aber ich schaffe es gerade noch, in Nee-sans Armen zu landen und nicht Bekanntschaft mit dem Boden zu machen.
"Ach, Tsubasa, du musst doch auf deine Umwelt achten!", werde ich von einer schelmisch-monotonen Stimme getadelt und sehe Hayatos Gesicht.
"Sehr witzig, Hayato. Wir wissen alle, dass du das warst.", knirsche ich, woraufhin Hayato grinsend mit den Schultern zuckt und mich ansieht.
"Dass ich was war?", spielt er den Unschuldigen und in seinen Augen flackern die Flammen der Hölle.
"Genau, Tsubasa, woher willst du wissen, dass er was genau gewesen ist?", begeistert steigert sich meine Schwester weiter in das von Hayato angefangene Spiel rein.
Ich sehe, wie Hayato kurz einen überraschten Gesichtsausdruck annimmt und er Chinatsu eindringlich ansieht. Nun flackert in seinen Augen etwas, das ich nicht direkt als die Flammen der Hölle bezeichnen würde. Viel mehr ist da... Aber ehe ich es herausfinde, fährt er sich mit der Hand durch die Haare und beschließt, dass es nicht mehr lustig ist.
"Das reicht auch wieder, Natsu.", meint er leise, dreht sich um und läuft weg.
Nee-san sieht ihm mit beschämtem Blick nach und oben und umfasst aggressiv mit beiden Händen ihren Rock. Sie greift immer verkrampft nach ihren Klamotten, wenn sie sich schämt. Und wieder einmal ist das seine Schuld. Obwohl Nee-san sich ziemlich oft ein wenig peinlich ihm gegenüber verhält, hasse ich Hayato für Momente wie diese schon etwas. Darf ich vorstellen, das eben war Hayato Hanazawa, mein bester Freund, Kindheitsfreund und Nee-sans erwünschter fester Freund. Obwohl er von außen manchmal etwas einschüchternd wirkt, wissen wir, dass er irgendwo doch einen weichen Kern hat, den er, wenn man ganz viel Glück hat, zeigt. Er ist kein schlechter Mensch, schließlich mögen wir ihn ja irgendwo. Man kann sich auf ihn verlassen und er ist auf seine eigene Art irgendwie so was wie unser unbiologischer Bruder. Aber er kann auch so zynisch und unsensibel sein, dass man verzweifelt. Und trotzdem, Hayato kann schmerzhaft ehrlich und direkt sein wie er möchte, am Ende wird er trotzdem geliebt, weil er cool aussieht. Dafür habe ich ihn immer beneidet. Blond und grünäugig streift er umher und bricht mehr Herzen als andere sich die Knochen.
"Guten Morgen, Tsubasa-chan, Chinatsu-chan. Ich gratuliere zum Eintritt in die Oberschule.", hören wir eine hauchdünne Stimme und schrecken auf.
Als wir uns umdrehen, sehen wir Nana. Sie ist immer so leise, du hast das Volumen nicht runtergeschraubt. Und das ist Nana Egaoshita, ein kleines Mauerblümchen, welches genau so intelligent wie schüchtern ist. Wie ein Ninja schleicht sie sich so leise an, dass man sie nicht kommen hört. Sogar Hayato erschreckt sie, da ist sie die Einzige, die ich das je habe schaffen sehen. "D-danke, Nana-chan.", stammelt Nee-san.
"Sag mal, Nana, wie lange stehst du hier eigentlich schon?", will ich wissen versuche wie so oft, zu ergründen, was sie gerade denkt.
In diesen blauen Augen öffnet sich das Tor in eine Welt, die alles sein könnte. "Nicht all zu lang. Dann lass uns mal gehen.", ordnet sie an wenig später gehen wir zusammen zur Schule. Leider sind die einzigen anderen Freunde neben meinem eigenen Zwilling nicht in meinem Jahrgang, was bedeutet, dass ich mich nach wie vor nicht an sie klammern kann. Meine Schwester hat das Problem nicht. Die ist überall beliebt, egal, wo sie ist. Wir sind quasi die Zwillinge Introvertiert und Extrovertiert. Dieses Problem verfolgt mich, seit ich ein Kind war. Auf der einen Seite, will ich mich hinter ihr verstecken, bei ihr sein und nicht auffallen. Auf der anderen Seite will ich mich zumindest etwas von ihr lösen und jemand sein, der etwas anderes ist als der Autorensohn oder die Begleiterscheinung von Chinatsu Kyokei.
Aber zumindest gerade wird sich daran nichts ändern, weil Nee-san und ich in derselben Klasse sind. Mit gemischten Gefühlen folge ich meiner Schwester in den Klassenraum der 1-2. Als wir da drin sind, registriere ich die Blicke, die Nee-san und mich durchbohren und das Getuschel, das damit einhergeht. Ob Einbildung oder nicht, Grund dazu hätten sie allemal. Über sie zu tuscheln, weil sie nicht komplett hässlich ist. Die langen schwarzen Haare, die tiefroten Augen und die großen Brüste geben ihr sehr viele Möglichkeiten ihr Singledasein zu beenden. Über zu mich tuscheln, weil ich das komplette Gegenteil von Nee-san bin. Meine Haut ist viel heller, meine Haare sind grün und meine Augen sind gelb. Außerdem habe ich die Drahtigkeit meines Vaters geerbt. Und während sie eine recht ansehliche Größe von fast einen Meter siebzig hat, komme ich mir mit meinen lächerlichen ein Meter sechsundfünfzig vor wie ein Zwerg. Man würde auf den ersten Blick gar nicht glauben, dass wir Geschwister, geschweige denn Zwillinge sind. Dass wir nebeneinander also für Getuschel sorgen, wundert mich also nicht.
Aber das richtige Unwohlsein lässt nicht lange auf sich warten. Vorstellungsrunde. Yay. Als also derjenige anfängt, dessen Nachname mit A beginnt, überlege ich fieberhaft, was ich sagen soll, wenn die Liste sich dem K nähert. Die gute Nachricht, meine Schwester kommt zuerst dran. Die schlechte Nachricht, danach komme ich und muss versuchen, mich nicht komplett zum Gespött der Klasse zu machen.
"Kyokei, Chinatsu. Wer ist das?", möchte die sogenannte Yorushima-sensei von ihr wissen.
Mit einem Grinsen auf den Lippen erhebt sie sich von ihrem Sitz und lächelt mich an.
"Chinatsu Kyokei mein Name. Ich mag Vocaloid-Musik, schaue gern fern und liebe Cosplay. Ich hoffe, wir verstehen uns, Leute!", wie sie geschafft hat, die Herzen unserer Mitschüler zu gewinnen, in dem sie einfach sie selbst war, wüsste ich liebend gerne.
"Selbigen Nachnamens, Kyokei, Tsubasa. Wer ist das?", alles in mir dreht sich.
Meine Hände sind schweißnass und ich muss auf einmal ganz dringend aufs Klo. Das ist mein Untergang. Das ist so was von mein Untergang. Zögerlich stehe ich auf und halte mich panisch am Holz der Tischfläche fest, weil sie der einzige Halt ist, der sich mir jetzt noch bietet.
"Ähm... ja... ich heiße Tsubasa. I-i-ich... also, meine Hobbys sind-", doch dann werde ich mit einem Knall jäh unterbrochen, der mich so sehr zum Schreien bringt, dass ich hinfalle.
Während alle anderen nur erschreckt den Atem anhielten, musste ich kreischen wie ein kleines Mädchen.
"Tsubasa, das... war ein Vogel. Ein Vogel, der... na ja... gegen die Fensterscheibe geflogen ist.", lässt mich Nee-san etwas stockend noch vom Schreck wissen.
Ein Vogel. Ein scheiß Vogel. Und dann schreie ich wie gefoltert vor einer Menge von zwanzig bis dreißig Menschen.
"Also, jetzt, wo der Schreck überstanden ist und wir fortfahren können, Kyokei-kun, Kyokei-san, wie sollen wir euch zwei nennen?", fragt sich Yorushima-sensei und sieht mich neugierig an.
Meine Vorstellung ist eigentlich nicht einmal beendet. Entweder sie diesen Fakt vergessen oder er ist ihr egal.
"Mit Vornamen natürlich! Ist sonst doch total komisch.", grinst Nee-san und ich seufze. "Eine Wahl haben wir wohl nicht, oder? Meinetwegen, ist mir lieber so.", seufze ich und setze mich richtig hin.
Ich möchte im Boden versinken.
Tief.
Bis zum Erdkern und weiter.
Ich will die verdammte Mesosphäre hinter mir lassen.
Dann werden organisatorische Dinge geklärt und die ersten Klassenarbeiten angesagt. Alles verläuft relativ friedlich. Und ich schaffe es, mich keiner weiteren Blamage auszusetzen. So geht der ganze Schultag weiter, nicht spektakulär, aber auch nicht die Hölle auf Erden. Dass sich ein paar Blicke ab und zu in meine Richting verirren, ignoriere ich so gut ich kann. Am Ende des Tages meine ich, mich gut geschlagen zu haben. Dafür gönne ich mir heute Abend irgendwas. Als ich meine Straßenschuhe wieder anziehe, hält meine Schwester aufgeregt auf mich zu.
"Tsubasa, ähm... kannst du Mama und Papa sagen, dass ich später nach Hause komme? Ich hab mich mit ein paar Freunden verabredet und wir wollen zur Karaokebar. Wärst du so lieb?", bittet sie mich, Bericht zu erstatten, wenn ich nach Hause komme.
Welche Freunde? Wir sind keine Woche hier, Schwesterherz!
"Kein Ding, dafür sind Brüder ja da.", brumme ich und schließe meinen Schuhschrank.
Nee-san grinst, dann macht sie sich mit ihren neugewonnenen Freunden davon. Dass sie auch Hayato dazu überreden konnte mitzukommen, ist wie immer fragwürdig. Hayato ist der bockloseste Mensch, den ich kenne. Aber er würde niemals seine Beliebtheit schleifen lassen. Von Nana ist keine Spur. Und so bin ich an meinem ersten Tag auch schon wieder allein. Ich seufzte, will gerade gehen, da zerreißt eine Stimme meine Stille.
"Bist du nicht der Sohn von diesem Autor? Oh mein Gott, du musst mir sofort ein Autogramm von ihm geben!", ich verdrehe die Augen. Ich hätte es wissen müssen.
"Hast du nichts Besseres zu tun? Ich habe übrigens auch einen Namen. Ich bin Tsubasa Kyokei.", schnauze ich das Mädchen vor mir an.
Die zieht beleidigt eine Schnute und geht.
"Hmpf, musst ja nicht gleich so fies sein...", höre ich hinter meinem Rücken und knirsche mit den Zähnen.
So ein Kommentar hat mir echt gerade noch gefehlt. Es ist schwer, nett zu jemandem zu sein, der gleich mit meinem Vater ankommt, ohne mir überhaupt Hallo zu sagen.
"Blöde Hobelschlunze.", brumme ich und mache mich darauf gefasst, diesen Ort zu verlassen.
Vermutlich werde ich wieder eine Verlängerung nehmen, um mich abzuregen. So habe ich es immer gemacht:
Wenn du sauer bist, irre umher.
Irre umher, als hättest du nie etwas anderes getan.
Ich komme wie so oft im Park vorbei. Dort gehe ich immer durch. Es ist friedlich dort. Ich mag den Park. Noch immer angefressen wegen diesem Mädchen, das wohl wissen muss, wer ich bin, beschließe ich, mir eine Limo zu gönnen. Die rote, die ein bisschen aussieht, wie das Blut meiner Feinde. Die Schnepfe eben gehört offiziell dazu. Wer in mir nicht mehr als den Sohn eines christlichen Erotikromanautoren sieht und mich auslacht, ist es nicht wert, von mir wiederum als etwas anderes als einen Feind betrachtet zu werden. Das sind ja die schlimmsten Dinge an allem, was mich ausmacht: Meine Position als Autorensohn ohne Freunde und Respekt und die als unsichtbarer Zwilling. Es gurkt mich an. Ich bin auch ein eigenständiges Individuum. Ich habe auch eine Persönlichkeit und Gefühle! Die Limo ploppt aus dem Automaten und ich setze mich auf die Bank neben dem Mädchen, dass die gleiche Limo in den Händen hält, wie ich. "Ushio, bist du es?", fragt mich ihre sanfte Stimme auf einmal. Wer? "Ähm... Nein. Hier ist nur... Tsubasa.", bringe ich zögerlich über die Lippen. "Verstehe. Ushio ist nicht hier. Es ist fahrlässig von ihr, mich hier einfach so stehenzulassen.", meint das Mädchen und nimmt einen großen Schluck von der Limo. Ihre schwarzen Haare bedecken ihre Augen, die nur halb geöffnet sind, beinahe komplett. "Tsubasa also. Der Stimmfarbe nach zwischen vierzehn und sechzehn Jahren, vermutlich Schüler. Hey, Tsubasa, hast du heute vielleicht noch irgendetwas vor?", will sie wissen, ohne mich anzusehen.
"N-nein... schätze ich. Wieso?", antworte ich stammelnd.
Was will die denn von mir?!
"Dann, kann ich dich um einen selbstsüchtigen Gefallen bitten? Wenn es denn geht... bitte warte mit mir zusammen hier, bis Ushio zurück ist.", formt sie ihren nächsten mysteriösen Satz.
Dann erst fällt es mir auf. Der Stock, der an der Bank lehnt, mit dem Ball am Ende. Die Art, wie ihre Haare ihre Augen abschirmen. Die zuckend geschlossen gehalten sind. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Anstatt ihre Frage zu beantworten und setze ich mich neben sie.
"Tsubasa? Bist du noch da?", will sie wissen und ich atme so leise, dass sie es unmöglich hören kann.
Ich will nur sehen, wie sie reagiert.
"Tsubasa...", sagt sie meinen Namen so traurig, dass es mir fast leidtut und ich meine Deckung fallen lasse.
Dann trinkt sie die Reste der Cola so gewaltsam leer und pfeffert sie in einer so schnellen Bewegung gegen mein Gesicht, dass ich vor Überraschung aufschreie.
"Hier steckst du also.", höre ich sie flüstern und meine zu sehen, wie ihre Kiefer aneinanderreiben.
In einem Moment, der schneller auf mich zugerast kommt, als ich mir je hätte vorstellen können, greift sie meinen Kragen und sieht mir starr in die Augen.
"Treib keine Spielchen mit mir, nur weil ich blind bin. Hast du verstanden? Wenn du nicht aufrichtig mit mir reden kannst, dann tritt mir nie wieder unter die Augen.", selbigen Moments fühlt es sich an, als würde die Welt aufhören, sich zu drehen.
Alles, was in diesem Moment noch für mich existiert, ist die Panik in meinem Kopf, mein bis zum Hals schlagendes Herz und der alles durchdringende Blick ihrer seelenlosen weißen Augen. Mir bleibt die Luft weg. Ich vergesse, was Luft ist, dass und warum ich sie brauche. Als ginge es gar nicht um Leben oder Tod. Ich sehe in eine Welt, die aussieht, als wäre ihr gleichgültig, dass sie mir den Atem raubt. Eine weiße Welt, die alles in tiefste Schwärze reißt. Tod durch Ersticken.
Endlich erinnert sich mein Körper an sein Bedürfnis nach Sauerstoff zurück und ich schnappe erschrocken nach Luft. Ich bin gerade fast gestorben. Das blinde Mädchen lässt abrupt von mir ab, als sie meine astmatischen Geräusche vernimmt. Noch immer kann ich ihre kräftigen Finger auf meiner Schulter spüren.
"Bitte verzeih mir, ich bin manchmal etwas aufbrausend.", entschuldigt sie sich und wendet den Blick ab.
Obwohl ich eigentlich ziemlich gemein zu ihr war, sieht sie mich an, als ob sie es ist, die sich entschuldigen müsste und es ihr wirklich leidtut.
"Was du nicht sagst.", bemerke ich, der Schock sitzt noch immer in meinen Knochen.
Dann ist es wieder still zwischen uns.
"Ich wollte etwas ausprobieren, weißt du? Ich... ich war neugierig, was du tun würdest, wenn jemand in deiner Nähe einfach so verschwindet. Du bist schließlich blind und man kann nicht sehen, wenn jemand geht. Nur hören und-",
"Arschloch.", unterbricht sie mich, ehe sie sich im Klaren über das wird, was sie gesagt hat.
"Bitte verzeih mir, ich bin manchmal etwas aufbrausend.", wiederholt sie die Phrase.
"Was du nicht sagst.", wiederhole ich auch meine.
Stille zwischen uns. Schon wieder.
"Hey, Tsubasa, Ushio ist schon ziemlich lange weg, könntest du mir bitte einen weiteren Wunsch erfüllen?", zerreißt sie diese mit einem Mal. "Hast du Lieder auf deinem Handy?", möchte sie nüchtern wissen.
"Klar, wenn du dich... mit Linking Park, The Clash und Rolling Stones zufriedengibst?", warne ich sie. Diese Lieder auf meinem Handy sind gefühlt älter als die Zeit selbst.
"Mir gefällt das. Spiel ab.", bittet sie mich ohne den Anflug eines "Bitte".
"Wie du wünscht, Prinzessin.", lasse ich mich sarkastisch in die Knie zwingen und der Spaß beginnt.
***
Die Zeit schlagen wir also schonungslos mit den Klassikern auf meinem Handy tot. Dass dabei mehr Zeit vergeht als eingeplant und die sagenumwobene Ushio nicht zurückkehrt, interessiert mich in unserer Zweisamkeit etwa so viel wie meine Schwester das Recht zu schweigen. Es vergeht eine Unendlichkeit und ich merke es so lange nicht, bis alles von der einen auf die andere Sekunde vorbei ist. Plötzlich klingelt mein Handy. Das blinde Mädchen zuckt zusammen, hastig gehe ich ran.
"Hallo?", sage ich peinlich berührt, ehe meine Mutter meine Ohren vergewaltigt.
"Tsubasa, wo steckst du? Deine Schwester ist seit einer Stunde wieder zu Hause, aber wo bist du? Ich habe mir Sorgen ge-",
"Im Park. Ich kann gerade nicht weg!", falle ich ihr mit unterdrückter Genervtheit ins Wort.
"Was soll das denn heißen? Tsubasa Kyokei, ich kann dich nicht einfach die ganze Nacht im Park lassen, was auch immer du da tust. Komm jetzt bitte nach Hause. Es wird dunkel. Dein Vater und Chinatsu fragen sich auch schon, wo du bleibst.", gibt sie nicht auf.
"Ich tu, was ich kann. Bis später, hab dich lieb, bye!", lege ich lustlos auf.
Ironischerweise sieht mich das blinde Mädchen wieder an.
"Ähm... Ist was? Ich glaube, ich kann nicht bleiben, ich-",
"Tsubasa.", unterbricht sie mich wieder einmal.
"Du... bist vielleicht von enormer Wichtigkeit für mich. Nein, nicht nur vielleicht. Definitiv. Tsubasa, bitte sag mir eins: Bist du vielleicht der Tsubasa? Der Sohn des Autors Elvis Kyokei?", unter ihrem starren Blick im Sonnenuntergang verschwinden alle Worte in meinem Kopf. Alles, was dort noch an Worten verbleibt, ist: Scheiße. Scheiße, es geht schon wieder los.
Kapitel 2: Der helle Wahnsinn
E: 01.01.2021
U: 24.02.2023
"Tsubasa? Bist du noch hier?", hakt das blinde Mädchen nach. Diesmal scheint es, als sei es eher über meine seelische statt über meine physische Abwesenheit, nach der sie sich erkundigt.
"Ja. Ja, das bin ich. Und ich bin auch der Sohn von Kyokei. Was-",
"Tsubasa.", fällt sie mir wieder ins Wort.
"Bitte versprich mir, diesem Mann irgendwann zu begegnen! Ich flehe ich an, es ist mir schrecklich wichtig!", wieder krallt sie meine Schultern, diesmal beide.
"O-okay. Ich kläre dir ein Treffen mit meinem ach so tollen Vater, wenn du mir nicht die Knochen brichst!", verspreche ich piepsig.
In dem emotionslosen Gesicht erscheint Freude, ihre gespenstisch hellen Augen füllen sich mit Tränen und im nächsten Moment ist sie so glücklich, dass sie mich sogar umarmt.
"Wirklich? Vielen, vielen, vielen, vielen, vielen Dank, lieber Tsubasa! Ich stehe ewig in deiner Schuld!", lässt sie mich wissen.
Oh mein Gott, sie ist viel, viel, viel zu nah! Aber genau so schnell wieder von mir ab, weil sie sich dann doch schämt.
"Verzeih... Ich hatte kurz die Kontrolle verloren. Das ist mir ja so peinlich...", murmelt sie und klammert die Arme um ihren Körper.
Würde sie mich nur wieder so festhalten... Was zum Fick, Tsubasa?!
"K-kein Ding. Kannst du... Ushio irgendwie sagen, dass du nicht mehr wartest? Du könntest ihn vielleicht sogar noch heute sehen und... Ich will ein blindes Mädchen nicht einfach so alleine im abendlichen Park lassen.", daraufhin nickt sie eifrig.
"Heute? Das ist vielleicht der glücklichste Tag in meinem Leben soweit!", entfährt es ihr, sie zückt ihr Handy und drückt auf Notfallkontakte, um eine Nachricht zu hinterlassen.
Dann sieht sie mich an, auch wenn das nur für mich einen Unterschied macht. "Du darfst mich nicht fallen lassen.", flüstert sie, als sie aufsteht und nach ihrem Stock greift.
"Darf ich... mich an dir festhalten? Ich mache das immer mit Ushio, aber wenn du nicht willst, ist das völlig-",
"Darfst du.", erlaube ich ihr. Das mit dem Unterbrechen wird echt zur Regel. Sie hakt sich bei mir ein und wir gehen den langen Weg schweigend nach Hause.
Als wir bei mir zu Hause ankommen und ich klingeln will, halte ich inne und sage: "Hier sind wir. Willkommen in der Residenz von Kyokei.", präsentiere ich ihr monoton unser Territorium.
"H-hier wohnt dein Vater?", stammelt sie und umfasst meinen Arm fester.
Sie scheint wirklich nervös zu sein. Ist das alles hier wirklich so eine große Sache für sie?
"Das tut er.", bestätige ich und schließe die Tür auf, der andere Arm immer noch nah an ihrem Herzen. Es fühlt sich komisch an, so die Tür zu öffnen.
"Bin wieder da.", murmle ich und da kommt auch schon meine Schwester die Treppe heruntergestürmt, nur um auszurutschen und aufzuschreien.
"Nee-san, ist alles-",
"Tsubasa, wer... wer... wer ist dieses hübsche Mädchen, dass sich gerade an dich krallt?!", platzt es völlig fassungslos aus ihr heraus.
Wieder sind mir alle Worte wie weggeblasen.
"Ähm, also...",
"Tsubasa, bist du zu Hause?", höre ich auch meine Mutter fragen, als sie aus dem Wohnzimmer kommt und ihr die Kinnlade runterklappt. Ist der Anblick ihres Sohnes mit einem Mädchen wirklich so absurd? "Oh, wir haben Besuch?", fasst sie sich wieder. "S-sehr erfreut. Ich-...", wow, sie ist absolut ratlos. Wie das wohl für sie aussieht? Sehen wir aus wie ein Paar oder sieht sie, dass wir nicht einmal Freunde sind?
"Oh, da bist du ja endlich, Tsubasa.", schafft es mein Vater auch mal her und sein Blick fällt auf die Blinde. "Oh, wie unhöflich. Guten Tag, junge Dame.", anscheinend bemerkt er weder ihr fehlendes Augenlicht noch die Tatsache, dass dieses Mädchen seine Verbeugung überhaupt nicht sehen kann.
"Diese Stimme.", flüstert sie und ich spüre, wie sie den Griff um meinen Arm versteift.
"Fang mich, Tsubasa.", haucht sie, ehe ich sehe, wie sich die Augen meines Vaters weiten und ich realisiere, wie sie vor meiner ganzen Familie in sich zusammengefallen vor meinen Füßen liegt.
***
Nachdem ich kläglich versucht habe, das Mädchen vom Boden aufzuheben und mein Vater realisiert, dass das Mädchen erstens blind und zweitens seinetwegen ohnmächtig geworden ist, sitzen wir nun auf der Treppe und versuchen, sie zu beruhigen.
"Das ist mir ja so unangenehm. Ich möchte vor Scham sterben.", winselt das Mädchen fast unhörbar und vergräbt das Gesicht in den Händen. Falls sie gerade weint, dann tut sie alles, um ihre Tränen zu verbergen.
"Aber nicht doch. Es ist völlig in Ordnung, einfach das Bewusstsein zu verlieren. Das passiert mir auch manchmal!", versucht mein Vater, sie aufzumuntern.
Kurz ist sie still, dann sitzt sie wieder erhobenen Hauptes zwischen uns.
"W-wirklich?", flüstert sie und schaut geradeaus.
"Kann ich bestätigen.", pflichte ich meinem Vater bei und fast höre ich, wie er dabei leise mit den Zähnen knirscht.
Stille.
"Sag mal, junge Dame, wer bist du eigentlich?", will er wissen und sie zuckt zusammen.
"Also, ich... ich heiße... Io Tsuchiya... ihr Sohn hat mich im Park aufgefunden. Als ich erfahren habe, dass es ihr Sohn ist, da wollte ich... sie unbedingt sehen, wissen Sie? Es tut mir leid für die Umstände.",
"Aber nicht doch, es ist alles in Ordnung. Habe ich das richtig verstanden, du wolltest mich sehen?", reimt er die Fakten zusammen.
"Genau.", sie nickt eifrig mit dem Kopf.
"Und du weißt, wie du nach Hause kommst?", hakt er nach.
"Ich werde meine übliche Begleiterin anrufen und nach Hause gebracht. Und es geht wirklich, dass ich hier bin?",
"Sicher. Wir wollten eigentlich gerade zu Abend essen. Wenn dir das zusagt, kannst du gerne mitessen.",
"Das wäre mir eine Ehre.", sie klingt schon so viel glücklicher. So glücklich wie andere in unserem Alter, wenn sie ihr Idol treffen oder von ihrem Schwarm gefragt werden, ob man mit ihm ausgehen möchte.
Großer Gott, bitte lass Tsuchiya sich nicht an meinen Vater ranmachen! Und so kommt es, dass ich mich zurück am Esstisch finde, mit meiner Familie und einer mysteriösen Sehbehinderten mit einem seltsamen Namen, die offensichtlich ein Fan meines Vaters ist. Ich explodiere gleich vor Spannung. Juhu...
***
"Sag mal, Tsuchiya-san, woher kennst du mich eigentlich?", fragt mein Vater beim Essen. Wieder zuckt sie zusammen. Sie scheint ja wirklich Respekt vor ihm zu haben.
"Die Bücher wurden mir immer vorgelesen, wissen Sie? Ich wollte schon immer den Autor kennenlernen, der in der Lage ist, mich sowohl zum Lachen als auch zum Weinen zu bringen. Es gibt kaum Buch, dass mir nicht vorgelesen wurde. Als ich damals das erste Interview gehört habe, als ich Sie zum ersten Mal gehört habe, da wollte ich unbedingt mit Ihnen sprechen und mich bedanken. Danke. Vielen lieben Dank, lieber Elvis Kyokei-sensei, für die Momente in meinem Leben, die es lebenswert machen.", spricht Tsuchiya ihren Dank aus.
Ich schiele zu meinem Vater rüber und der sieht aus, als wäre er gerade innerlich gestorben. Sein Mund steht ein Stück weit offen, seine Wangen sind knallrot und er starrt einfach ins Leere. Dann fasst er sich wieder und räuspert sich.
"K-kein Problem, nehme ich an. Ich freue mich immer, wenn ich jemanden unterhalten konnte. Ich hätte nur nicht damit gerechnet, dass einer meiner 'Leser' so jung sein würde.", rettet er sich aus der Apathie.
Tsuchiya lacht leise. Ihr Lachen ist ja so ein schönes Geräusch... Was zum Fick, Tsubasa?!
"Hey, Tsuchiya-san, ist es okay, wenn ich dich Io-chan nenne?", will meine Schwester wissen.
"I-ich bin übrigens, Chinatsu, die von vorhin. Die Schwester.", hängt sie noch schnell dran.
"Io-chan ist okay.", antwortet sie knapp.
Stille.
Es wird gegessen und niemand weiß, was er sonst sagen sollte. Ich bin wieder mit meinen Gedanken allein. Ich denke über vieles nach.
Wie schwer ist es wohl, zu essen, wenn man blind ist?
Wie schwer ist es wohl, zu vertrauen, wenn man blind ist?
Wie schwer ist es wohl, sich die Welt zu denken, wenn man blind ist?
Wie schwer ist es wohl, zu lieben, wenn man blind ist?
Für diese Gedanken könnte ich mich ohrfeigen. Was geht mich an, wie es einem wildfremden Fangirl meines Vaters geht?
Gleichzeitig verfolgt mich das fast weiße Grau ihrer Augen bis aufs Tiefste. Es durchbohrt mich.
***
"Deine Familie ist wirklich freundlich, Tsubasa.", teilt sie mir auf dem Weg zurück in den Park mit.
"Ach, sie ist ganz in Ordnung. Ich kann immer noch nicht glauben, wie du meinen Vater am Ende gefragt hast, ob du seine Hand schütteln darfst. Du hättest dein Gesicht seh-... Tut mir leid.", ich sollte die Schnauze halten.
"Tsubasa, ich möchte mich noch bei dir bedanken.", unterbricht sie mich. "Danke für den heutigen Tag. Danke, dass ich Elvis Kyokei-sensei treffen konnte. Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet.",
"Nichts zu danken.", entgegne ich leise. Was hätte ich auch anderes tun sollen, nachdem ich eine Behinderte im Park nicht alleine lassen konnte und sowieso auf dem Heimweg war?
Stille.
"Bringst du mich wieder zur Bank von heute Nachmittag?", fragt sie mich.
"Klar.", murmle ich. Ich habe gehört, wenn man blind ist, hört und riecht man umso besser.
Wir nähern uns der Bank. Dem Ort, an der wir uns das erste Mal begegnet sind. Die Bank ist perfekt für Begegnungen, fällt mir auf. Eine Laterne, um sich auch in der tiefsten Dunkelheit nicht zu verlieren und auf der anderen Seite ein Getränkeautomat, sodass man immer etwas trinken kann, wenn man durstig ist. Ich will mich der Bank aber nicht nähern. Ich will, dass meine Beine stehenbleiben und auch ihre zum Stillstand zwingen. Aber das lasse ich sie nicht machen. Ich bin pflichtbewusst und wohlerzogen. Einfach stehenzubleiben, wenn ich jemanden führe, der auf meine Hilfe angewiesen ist, schickt sich nicht. Wie gerne wäre ich jetzt so geradeheraus und unverwüstlich wie Hayato. Ich werde nämlich gerade von meiner eigenen Bravheit in Stücke gerissen. Die Bank und uns trennen nur noch etwa acht Meter. Mein Herz berstet mit jedem Schritt, den wir uns ihr nähern ein Stück mehr.
Sieben Meter.
Ich frage mich, warum Ushio sie allein gelassen hat.
Sechs Meter.
Ich frage mich, in was für einer Verbindung Ushio mit ihr steht.
Fünf Meter.
Ich will wissen, ob ich heute ein guter Ersatz für Ushio war.
Vier Meter.
Ich frage mich, ob ich von meinem Vater abgesehen in ihren Augen etwas wert bin.
Drei Meter.
Ich fühle mich benutzt.
Zwei Meter.
Ich bin eifersüchtig auf meinen eigenen Vater.
Einen Meter.
Ich realisiere, dass ich ein absoluter Vollidiot bin, weil es nichts gibt worauf ich eifersüchtig sein könnte.
Mit Gefühlen, die ich nicht beschreiben kann, so sehr verwirren sie mich, setze ich Tsuchiya unter dem Schein der Laterne ab.
"Du kannst jetzt loslassen. Ushio wird es unmöglich sein, dich zu übersehen. Du wirst nicht allzu lange hier warten müssen, oder?", sage ich ihr, was ich sagen muss und daraufhin kommt mein Arm frei.
"Richtig.", bestätigt sie. "Du musst hier nicht warten, wir wohnen nicht weit weg. Du musst nicht auf mich warten, Tsubasa."
Aber ich fühle mich so! Du stehst gleich rum wie bestellt und nicht abgeholt, hast du eine Ahnung, wie sehr ich mich gerade danach sehne, ein verschissener Postbote zu sein?!
"Verstehe, ich gehe dann mal. Lebwohl, Io Tsuchiya.",
"Lebwohl, Tsubasa Kyokei.", spricht sie kaltherzig ihren Abschied aus, als hätte ich keinen Nutzen für sie gehabt.
Auch wenn wir beide wissen, dass das komplette Gegenteil der Fall ist. Dann drehe ich mich um und kehre ihr den Rücken. Kann nicht mehr sehen, wie sie im Laternenlicht aussieht wie ein Model aus der Werbung und schöner.
Ich fühle mich so leer, als ich nach Hause gehe. Ich höre noch Schritte, die sich in Tsuchiyas Richtung bewegen und sie genauso kalt begrüßen, wie sie sich anhört. Das wird wohl Ushio sein. Ich renne. Etwas anderes kann ich gerade nicht. Wenn ich nicht renne, werde ich verrückt. Also renne, renne, renne ich so schnell wie lange nicht mehr. Ich renne so schnell, dass ich irgendwann über meine eigenen Füße stolpere und mir die Hand aufschürfe. Aber der Schmerz auf meiner Haut ist ein Witz im Vergleich zu dem Schmerz in meiner Brust. Ich weiß nicht warum, aber ich bin irgendwie total wütend. Ich bin aber nicht auf meinen Vater, Tsuchiya oder sonst jemanden wütend. Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich mich wie ein Idiot aufführe.
Dieses Mädchen, dass ich heute im Park kennengelernt habe, hat nur Augen für den Autoren, der zufällig mein Vater ist.
Bist du vielleicht der Tsubasa? Der Sohn des Autors Elvis Kyokei?, ihre Worte hallen in meinem Innern wider. Ja, verdammt, ja. Der bin ich.
Ich bin es ja gewohnt, dass ich nun einmal bin, wer ich bin. Ich bin sein langweiliger Sohn, ich bin ihr noch langweiligerer Zwillingsbruder und deren wohl meist langweiligster Kindheitsfreund. Ich bin Tsubasa. Ich habe auch nicht das Bedürfnis, jemand anders zu sein. Aber die Tatsache, dass ich wieder einmal auf den reduziert werde, den alle in mir sehen und denen, zu denen ich nun einmal gehöre, tut weh. Tut so, so, so hart weh. Mehr als je zuvor und ich habe keine Ahnung, wieso die Reduktion Tsuchiyas dafür sorgt, dass ich einen neuen Rekord registriere. Was ein Scheißdreck, denke ich und stehe vorsichtig wieder vom Boden auf. Meine Hand brennt, aber trotzdem balle ich beide Fäuste und sehe zum Sternenhimmel hinauf.
Ich sollte mich zusammenreißen. Sie ist nur eine weitere Person. Es ist unfair, so viel von Menschen zu erwarten und es ist erbärmlich, sich daraufhin verletzt zu fühlen. Es ist ebenfalls kindisch, diese Trauer zu verspüren, wissend, dass ich ihr vermutlich nie wieder begegnen werde. Reiß dich zusammen, Tsubasa. Dein Vater hat was gerissen und es verdient, dass man sich für ihn interessiert. Du dagegen bist nur ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Das alles denkend und mich undankbar für meine Freunde und Familie fühlend, die sich ja irgendwie doch für mich interessieren, gehe ich nach Hause.
Dieses Sequel wurde am
3. Januar 2020 angelegt, also nicht lange nach dem Ende der ersten Staffel, die an und für sich zu dem Zeitpunkt nicht gerade ein logisches Fundament für eine Fortsetzung abgab. Das erste Kapitel erschien am
2. Juli 2020 und das zweite am
1. Januar 2021. Mehr Kapitel wurden durch die kritische Auseinandersetzung mit meinem Werk vor allem während Version 1.5 nicht veröffentlicht. CONDENSE II sollte den Abenteuern der Zwillinge Chinatsu und Tsubasa Kyokei folgen, die zusammen mit ihren Freunden, die zu einem großen Teil ebenfalls Nachkommen der originalen Charaktere waren, die typischen Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens in Angriff nehmen. Dieses Sequel wurde zusammen mit der Adaption auf Eis gelegt, da ich zunächst mit Staffel eins zufrieden sein wollte, ehe ich mehrere Staffeln raushaue, die alle schlecht geschrieben sind.
7.5. SOLIDIFY - Bevor der Sturm aufzog
Klappentext
Die Geschichte der Eltern der Hauptcharaktere neu erzählt, aus dem Blickwinkel aller, die in der Mainstory zu kurz gekommen sind. Für alle, die CONDENSE noch nicht gelesen haben, empfehle ich, dies zuerst zu tun, ehe sie diese Geschichte lesen. Falls nicht, du kleines Rebellchen, du!
Setsuna Shizuhara hat es nicht leicht. Wer glaubt, Schönheit würde einem das Leben einfacher machen, täuscht sich gewaltig. Ihr Leben läuft seit sie denken kann, nach folgendem Schema ab: Sie fällt durch ihr Äußeres auf, wird angesprochen, Dinge ergeben sich, nur, damit jene Person sich enttäuscht von ihr abwendet und verschwindet. Es scheint, als würde nichts hinter ihrem süßen Gesicht stecken und doch sucht sie verzweifelt nach ihrem Charakter, den sie selbst nicht ergründen kann. Dass ihre ältere Schwester Shizuku ebenfalls einen Groll gegen sie hegt, macht die Sache für sie auch nicht leichter und sie beginnt, sich selbst immer mehr aufzugeben. Als jedoch eines Tages Keita in ihr Leben tritt, bekommt sie die Chance, sich selbst erneut kennenzulernen. Aber damit endet es nicht, denn das Leben hält für sie und viele weitere Menschen noch eine Menge Wendungen bereit. Doch nicht jede bringt ein Happy End...
Diese und viele weitere Backstorys voller Romantik, Drama und Errettung finden sich in SOLIDIFY, der Spin-off-Reihe zu CONDENSE, bevor der regnerische Sturm des Schicksals aufzog.
Der Versuch, ein Prequel zu machen. Er alterte nicht gut.
Prolog: Der Schaum, der von der Meerjungfrau noch bleibt
E: 28.05.2020
U: 29.05.2020
"Unsere Welt ist gemein, kalt und kennt keine Gnade. Ich bin die Letzte, die sowas sagen sollte, aber ich tue es. Es ist gemein und gnadenlos, absolut keinem von Nutzen zu sein.", so habe ich einst gedacht. Ich, ehemals Setsuna Shizuhara, das nutzlose Mädchen, das, außer hübsch sein, nichts drauf hat. Ich bin sie nicht mehr. Dank ihm. Es sind so viele Dinge geschehen, ich habe so viel gelacht und so viel geweint wie noch nie in meinem Leben. Bislang habe ich gedacht, dass es immer so weiter geht, dass ich Menschen enttäuschen und innerlich leer bleiben werden, ich war wirklich dieser Überzeugung. Ich war trotz allem ein Niemand. Da hilft auch das seidigste Haar nicht mehr. Aber ich bin stärker geworden, denke ich. Soll ich es dir erzählen? Meine Geschichte? Wenn du magst, erzähle ich dir alles, was ich weiß. Du hast ja keine Ahnung, mit wie viel Freude und Schmerz es mich erfüllt, dich mit all diesen Ereignissen vertraut zu machen. Du magst ja einen kleinen Teil meines Lebens herausgefunden zu haben, doch lass dir gesagt sein, dass es noch vieles gibt, was du nicht weißt. Es wird vermutlich niemals der Tag kommen, an dem du jede Zeile meines Lebens gelesen und mich vollkommen verstanden hast. Doch das ist nicht schlimm. Allein, dass ich an dich denken und hier durchblättern kann, reicht mir. Nach mehr hast du schließlich überhaupt nicht gefragt. Du bist ein unverbesserlicher Stoiker. Was dir nicht unmittelbar wichtig erscheint, kann dir gestohlen bleiben. Natürlich hast auch du dich verändert, doch es gibt Dinge an einem Menschen, die bleiben zumindest bis zu einem Prozent gleich. Das habe ich immer geglaubt. Nun, wie auch immer, telepathische Nachrichten sind etwas Tolles, nicht wahr? Du kannst den Menschen die dir etwas bedeuten, Dinge sagen, die zu peinlich wären, um sie laut auszusprechen. Es gibt Dinge, die sind nicht wichtig genug, um sie jemandem anzuvertrauen und zugleich auf keinen Fall in Vergessenheit geraten dürfen. Meine Lebensgeschichte gehört dazu. Solange ich nach vorne sehen und im selben Moment mein vergangenes Highschool-Ich umarmen kann, geht es mir prächtig. Die vergangene Setsuna hat nichts mehr mit der gegenwärtigen zu tun. Da liegen so viele Jahre zwischen uns, dass ich mich frage, Mensch, bin ich wirklich schon so steinalt? Die Antwort lautet wohl Ja. Seufz. Ich mag es nicht, daran erinnert zu werden, dass ich längst keine zwanzig mehr bin. Und doch ist alles gut so wie es ist. Nun, ich schweife ab. In der anderen Welt, in der sich vielleicht genau in diesem Moment meine Vergangenheit abspielt, bin ich eine andere Person.
Meine Haare trug ich anders.
Ich war viel schlanker als jetzt.
Ich hatte mehr Beziehungen als ich zählen konnte.
Ich hatte keinen Ort, an den ich gehörte.
Ich war ein trauriger, pathetischer Mensch.
Ich fühlte mich von niemandem verstanden.
Dann trafen diese Menschen in mein Leben. Sie hatten alles verändert. Unsere Geschichten verhedderten sich zu einer einzigen, diese zerriss an ein paar Stellen, sie gingen verloren, sie ließen neue Geschichten entstehen.
Ich hatte gelernt, mir nicht die Schuld für alles zu geben.
Ich hatte gelernt, den Glauben an die Menschheit nicht aufzugeben.
Ich hatte gelernt, dass es Dinge gab, an denen ich nichts ändern konnte.
Ich hatte gelernt, dass Beliebtheit und Status nicht alles war, worauf ich mich verlassen sollte.
Ich hatte gelernt, zu leben.
Oh, es gab so viele Dinge, die mir klar wurden. Genau wie, dass Menschen nicht immer helfen konnten, selbst wenn sie denn wollten. Dinge, an denen ich nichts ändern konnte. Tatsachen, die sich nicht rückgängig machen ließen. Mir wurde zudem gelehrt, dass ich niemanden retten konnte, der nicht gerettet werden wollte. Diese Person vermisse ich auch in diesem Augenblick. Doch ich kann nichts mehr für sie tun und es gibt kaum etwas, das ich mehr bedaure als das. Menschen kennen- und lieben zu lernen ist das Schönste an der Existenz. Menschen am Ende der Existenz zu verlieren, das Allerschlimmste. Dennoch sollte man nicht versuchen, seinen Mitmenschen aus dem Weg zu gehen, um diesen Schmerz nicht zu erleben. Einsamkeit ist auf dem ersten Blick vielleicht die bessere Option, weil man einsam um keinen anderen Menschen trauern muss. Doch wenn man tief in sich hineinhört, merkt man schnell, dass so etwas wie innere Leere unglaublich tödlich sein kann, wenn sie denn zu lange anhält. Ein gebrochenes Herz ist es wert, die Einsamkeit zu überbrücken und an den Worten und Erlebnissen, die man mit diesen vergangenen Menschen hatte, in seinem Herzen mit sich zu tragen.
Selbst, wenn diese Menschen nicht mehr zu mir zurückkehren werden.
Selbst, wenn ich noch mehr von ihnen verliere.
Selbst, wenn ich meinem alten, durch Erfahrungen bereichertes Ich, immer unähnlicher werde.
Selbst, wenn ich so viele Fehler mache, dass ich mich selbst nicht mehr verstehe.
Selbst, wenn mein Herz noch tausendmal gebrochen werden sollte.
Ich werde nicht ein einziges Mal bereuen, diesen Schmerz gefühlt und diese Menschen getroffen zu haben.
So ist es, und so bleibt es, bis zum letzten Schmerz, den ich fühlen werde.
Kapitel 1: 1995: Der Film geht los, mit und ohne Popcorn.
E: 28.05.2020
U: 29.05.2020
Setsuna:
Es ist einer dieser Montage, die einem bereits den halben Sonntag ruiniert haben. Ich bin perfekt vorbereitet für die Schule, meine Haare sitzen auch wie sie sollten und es sieht generell aus, als würde mir nichts fehlen. Aber was rede ich denn da, es ist nicht der Montag, der mich gerade so stresst. Okay, vielleicht ein wenig, aber nein, darum geht es nicht. Ich bin das ganze Wochenende schlecht drauf gewesen, ich habe es nicht gezeigt, aber ich war traurig, enttäuscht und mein Herz tat weh. Es tut immer noch ein bisschen weh. Zumindest rede ich mir das ein. Wenn man sich Schmerzen auch noch einreden muss, dann weiß ich wirklich nicht. Mein Freund hat letzten Freitag mit mir Schluss gemacht. Er hat meine Art nicht ausgehalten, sagt er. Dass ich eine Jasagerin bin, sagt er. Dass ich absolut keine Persönlichkeit besitze, behauptet er. Dass ich in Wahrheit nur schön anzusehen, aber eigentlich bloß eine Langweilerin bin, die ihn lediglich davon abhält, single und frei zu sein, von der einen Kiste in die nächste zu steigen. Letzteres hat er vielleicht nicht gesagt, aber genau das war ja wohl die Kernaussage. Dass ich absolut undatebar bin, wenn es wirklich ernst wird. Und ja, das habe ich gerade wirklich gesagt. Letzten Freitag habe ich fast meine Jungfräulichkeit verloren. Es war schon vorbei, als er mich angefasst hat. Ich fragte ihn völlig verängstigt, was seine Hände bei meinen Brüsten verloren hatten und er meinte bloß, er würde es normal finden, mit dem Mädchen, dass mit ihm geht, zu schlafen. Mich zu weigern hat wohl gereicht, um so eine große Enttäuschung zu sein, dass er mit mir Schluss macht. Zugegeben, ich habe ihn nicht einmal geliebt. Das habe ich noch nie. Ich habe mich einfach immer und immer wieder darauf eingelassen, habe ihnen den Gefallen getan, mich zur Freundin zu haben. Alles nur, um ein bisschen akzeptiert zu werden, weil ich selbst dazu nicht in der Lage war. Es verläuft immer nach dem gleichen Schema ab: Ein Junge findet mich hübsch, ich werde seine Freundin und dann werde ich nach wenigen Wochen oder Monate, je nach dem, wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Ich bin eine Enttäuschung für jeden, mit dem ich je zusammen war. Aber es sind nicht nur die Männer. Auch die anderen Mädchen haben mittlerweile genug von mir, weil sich gefühlt jeder anstatt für sie, die auch mal begehrt werden wollen, für mich interessiert, bei der es sowieso nie lange hält. Warum ich trotzdem überhaupt Beziehungen eingehe? Noch bin ich ein hoffnungsvoller Mensch. Auch wenn ich mir nach dem besagten Freitag wirklich überhaupt nicht mehr sicher bin, ob das überhaupt noch stimmt. Es endete damit, dass ich völlig beschämt nach Hause ging und meine Existenz hinterfragte. Das war kein schöner Abend. Aber ich weiß, dass ich es wieder tun werde, so gut kenne ich mich mittlerweile. Trotz allem, dass ich seit der Mittelschule durchgehend wechselnde Freunde habe und deshalb von einigen Fieslingen, unter anderem auch von meiner Schwester, als Flittchen bezeichnet wurde, kann ich allein nichts ausrichten. Dieser Kerl hat vielleicht recht. Und es war mir ja vorher schon klar. Ich habe keine Persönlichkeit. Ich wünsche mir eigentlich nur, dass jemand meinen nicht vorhandenen Charakter entdeckt und mir beweist, dass ich wirklich ein Mensch bin. Erbärmlich, ich weiß, aber so bin ich einmal. Setsuna Shizuhara, das Mädchen, mit dem insgeheim nichts anzufangen ist. Ich glaube, das war der letzte Junge dieser Schule, der sich noch an mir versuchen wird. Ich hatte allein letztes Jahr mehr als genug Jungs enttäuscht und Mädchen angewidert. Deshalb verbringe ich die Zeit, die mir in dieser Schule noch bleibt, voraussichtlich allein. Werde allein studieren, allein arbeiten, allein sterben. Klingt traurig, aber so wird es schlussendlich wohl sein. Als ich auf dem Weg in meine Klasse bin, sehe ich eine Gruppe Jungs rumalbern. Sie sehen so ausgelassen und glücklich miteinander aus, dass ich so gerne dazugehören würde. Doch auf diesen alten Trick falle ich nicht rein. Ich spreche nicht einfach Leute ohne Grund an. Aber gucken ist erlaubt, denke ich, als mir besonders einer der Jungs ins Auge springt. Er ist nicht besonders groß oder kräftig gebaut, sondern wirkt eher etwas zerbrechlich. Aber er hat diese Ausstrahlung. Was genau es ist, weiß ich nicht. Aber seine ganze Präsenz fasziniert mich. Seine tiefschwarzen Haare und diese violetten Augen, die so viel Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, aber gleichzeitig auch einen Hauch Entschlossenheit beinhalten. Fast könnte ich noch tiefere Analysen auf einem imaginären Notizblock aufschreiben, da sieht er mir urplötzlich mitten in die Augen. "E-es tut mir l-leid, lasst euch nicht stören!", stottere ich und verschwinde in der nächsten Ecke. Doch noch kann ich nicht weiter, sie reden bestimmt gleich über mich. Ich halte auf den unteren Treppen im toten Winkel inne und lausche. "Wer war denn die?", wollte scheinbar das Objekt meiner Neugier wissen. "Stimmt, du bist immer noch der Neue, das habe ich dir gar nicht erzählt, Kyokei. An unserer Schule gibt es eine Schulschönheit. Du bist ihr gerade begegnet.", fasst er zusammen. "Mann, sei doch nicht so ungenau, Yamada. Das eben war Shizuhara, jetzt aus dem zweiten Jahr. Gefühlt die Ex von jedem. Sie sieht vielleicht schön aus, aber versuch bloß nicht, sie dir zu klären, ich sag's dir, das wird nichts.", meine Annahme bestätigt sich und ich bin kurz davor zu schluchzen. Nein, nicht weinen, ich bin es doch gewohnt. Es ist verdammt noch mal die Wahrheit! "Wenn ihr meint.", sagt der Neue mit belegter Stimme, als wenn er nicht wüsste, was er darauf zu erwidern hat. Ich verschwinde in die erste Stunde, bevor ich am Ende noch etwas Unüberlegtes tue. Ich laufe Gefahr, von meinen Emotionen geleitet zu werden. Daran ist nichts gut.
In der Pause esse ich wie immer allein auf dem Schuldach. Sitze auf einer Bank und esse mein Pausenbrot. Meistens habe ich dort meine Ruhe, es kommt nicht oft jemand hier hoch. Ich bin wirklich unbeliebt. Ich bin es gewohnt, dass man in der Hinsicht schlecht über mich redet, aber wieso geht mir diese eine Sache von vorhin dann so nah? Als wir uns angesehen haben... da habe ich mich so furchtbar geschämt. Es war so schrecklich peinlich. Ich hätte nicht so starren sollen, violette Augen hin oder her. Ich bin so dumm. "Blödmänner.", flüstere ich, auch wenn wir alle wissen, wer eigentlich blöd ist. In genau diesem Moment wird die Tür aufgerissen und - Wer hätte es sich denken können? - er ist es! Zusammenzuckend und zugleich neugierig beobachte ich seine Mimik. Er scheint fasziniert zu sein von dem Ausblick, den das Dach erlaubt. Er ist wohl wirklich neu. Nicht nur das, vielleicht sogar im Geiste ein Kind. Dann verdunkelt sich sein Blick wieder und er setzt sich geistesabwesend neben mich. Ob er mich erkennt, weiß ich nicht. Man kann überhaupt nicht sehen, was hinter seinen Augen von Statten geht. Seine Gedanken sind verschlüsselt und für mich nicht einsehbar. Ab und zu sehe ich ihn an. Er ist wirklich hübsch. Meine Gedanken werden zerrissen, als ich durch ein tiefes Knurren erschreckt werde. War das gerade mein Bauch? Nein, ich esse doch gerade... Etwa seiner? Stimmt, er isst gerade gar nichts. Als er merkt, dass ich es gehört habe, errötet er etwas und starrt wieder nach vorne. Das muss ihm wirklich peinlich sein. Erst starre ich ihn an und dann höre ich auch noch seinem Magen beim Knurren zu. In seiner Haut will ich wirklich nicht stecken. Aber ich muss was tun! Ich muss mich irgendwie beweisen. Beweisen, dass ich noch etwas anderes kann, als peinlich zu sein. Ohne groß nachzudenken, halte ich ihm mein abgebissenes halbes Brot hin. "Das da! Wenn... wenn du Hunger hast, dann... kannst du die Hälfte haben!", biete ich ihm mit brennenden Wangen an. Erst sieht er etwas verwirrt aus und ich bereue meinen Schritt, dann strahlen seine Augen. "W-was, ich darf wirklich? Ich darf das wirklich essen?!", ist er positiv überrascht und sieht begeisterter aus als nötig ist. Ich nicke hastig und lege es ihm zögerlich in die Hand. "Boah, danke! Da will ich gleich probieren...", freut er sich und beißt hinein. Kurz ist es leise, dann sieht er aus wie vom Blitz getroffen. Oh nein. "Oh mein Gott, dasch isch ja geil!", teilt er mir völlig überwältigt und mit vollem Mund mit. Er ist wirklich wie ein Kind, denke ich und grinse. Es vergehen einige Minuten, in denen er mein Sandwich ist und ich einfach unsere Zweisamkeit genieße. Es tut gut, mal nicht allein zu sein. Als er fertig ist, seufzt er zufrieden. "Das war mal heftig, könnte glatt eine zweite Portion vertragen.", er lacht. "Und das hast du selbst gemacht?", will er wissen. "J-ja. Ich mache das jeden Tag für mich und meine Schwester.", bejahe ich. "Das ist echt unnormal das krasseste Pausenbrot, das ich je gegessen habe!", teilt er mir mit und wischt sich einen Krümel vom Mundwinkel. "Sag mal... wieso bist du eben denn so plötzlich weggelaufen?", fragt er mich plötzlich und sieht mich an. Würde sein Blick nur nicht so unbewusst intensiv sein... "Also, ich... ich bin erschrocken, als... du meinen Blick bemerkt hast. Falls ich dir irgendwie Unannehmlichkeiten bereitet habe, tut mir das leid, ehrlich.", entschuldige ich mich erneut. "Ich finde, du warst gar nicht ungemütlich.", meint er und ich finde es lustig, dass er unannehmlich mit ungemütlich verwechselt. Als wäre ich ein Sofa. Aber jetzt gibt es nichts zu lachen. "Es stimmt, was sie über mich sagen.", flüstere ich und wage nicht mehr, ihn anzusehen. "Hey, das-", die Schulglocke kündigt das Ende der Pause an und fällt ihm ins Wort. " Wir sollten dann mal zurück. Ich werde mich noch bei dir revanchieren, keine Sorge. Hast was gut bei mir, bis bald, Brotmädchen!", verabschiedet er sich, strubbelt mir durchs Haar und verschwindet durch die gleiche Tür aus der er erschienen ist. Zurück bleibe ich mit einem unordentlichen Pony, Verwirrung im Kopf und einem Herz, das mir bis zum Hals klopft.
Kapitel 2: 1995: Das alltägliche Auseinanderleben
E: 05.07.2020
U: 24.02.2023
Die Pause ist rum und ich fahre zusammen.
"Reiß dich zusammen, Setsuna! Bilde dir nichts darauf ein, dass jemand Unbeteiligtes nett zu dir ist!", ermahne ich mich selbst, greife nach der Brotdose und verschwinde in die nächste Stunde.
Der Schultag geht unauffällig von statten. Doch auch dieser kommt zu einem Ende und ich finde mich wie so oft am Ende des Schultages in der Bücherei wieder. Das ist meine persönliche Klubaktivität. Von den offiziellen halte ich mich fern. Unterschwellig mag man mich nicht, das weiß ich. Sie hassen mich nicht komplett, aber vom Gegenteil kann ich auch nicht sprechen. Ich habe keine Freunde. Ich brauche aber auch gar keine. Was will ich mehr, wenn mich fiktive Personen letztendlich niemals enttäuschen können, so dass es mich nachhaltig zerstört? Also laufe ich durch die üppige Bibliothek und frage mich, wohin mich meine nach Büchern suchenden Hände diesmal hinführen. Ich lande bei der Ecke für Fantasy und Science-Fiction. Manchmal, wenn ich besonders ratlos bin, verwirrt es mich dorthin, wo die Manga sind. Heute bin ich neben der Spur, seit ich in diese violetten Augen geblickt habe und es gibt nichts Lästigeres als abgelenkt zu sein und diese Empfindung nicht ergründen zu können.
"Die neuste Ausgabe von Inital D!", bemerke ich überrascht.
Von dieser Serie habe ich ein wenig gehört, ich bin nicht ihr größter Fan, aber hauptsächlich, weil ich sie noch nicht angefangen habe. Bisher kam ich einfach noch nicht dazu. Und in meiner Verfassung werde ich mich sowieso nur auf die Hälfte des zu wiederholenden Lernstoffs konzentrieren können, also ist genaugenommen heute der richtige Tag, um anzufangen. Ich will gerade die erste Ausgabe aus dem Regal herausziehen, da öffnet sich vor mir eine Lücke. Und als ich die gleichen Augen wie heute in der Pause sehe, schreie ich erschreckt auf und falle auf den Hintern. Er schon wieder!
"Alles in Ordnung, Brotmädchen? Mann, hast du mich erschreckt!", lässt mich der Jungen von heute morgen wissen, als er auf mich zukommt und mich ohne zu fragen an der Taille auf die Beine zieht. Dieser plötzliche Körperkontakt lässt mich erstarren.
"Alles super.", murmle ich.
"Was führt dich hierher?", will ich wissen, als er meine Taille loslässt und mich unverwandt ansieht.
"Ich... ähm.. eigentlich wollte ich lernen. Obwohl, nein, wollen ist das falsche Wort, ich bin nur hier, um meine Mutter nicht anzulügen. Habe ihr gesagt, dass ich mich schulisch mehr anstrenge, aber wer's glaubt.", er lacht.
"Und was ist mit dir, Brotmädchen?", fragt er und lehnt sich in einer coolen Pose ans Regal.
"Ich... ich weiß es nicht, ich bin immer hier. Aber heute, da wollte ich... den ersten Band von Initial D ausleihen.", berichte ich schüchtern, auch wenn ich nicht weiß, wofür ich mich eigentlich schäme.
"Initial D ist schon ganz geil. Kennst du Wangan Midnight? So ein ähnliches Genre, auch ganz nice.", erzählt er mir.
"Merke ich mir! Dann also... bis irgendwann mal!", will ich mich verabschieden, nur um über meine eigenen Füße zu stolpern und in seinen Armen zu landen.
"Hoppla!", entfährt es ihm.
Ich kann mich nicht bewegen. Seine Hände sind direkt unter meinen Achseln! Bestimmt sind sie total verschwitzt! "Brotmädchen?", fängt er meine Aufmerksamkeit wieder ein. Ich kann nicht mehr.
"V-verzeihung!", entschuldige ich mich, winde mich aus seinem Griff, greife nach meiner Tasche und verschwinde, ohne Initial D oder irgendetwas ausgeliehen zu haben.
***
Wie kann ich ihm jemals wieder unter die Augen treten? Das ist mir so peinlich! Wieso musste ich mir selbst auch unbedingt einen Gehfehler geben? Warum hat er mich so festgehalten? Er war mir so nah wie meine Eltern als ich ein Kind war. Ach, was rede ich da? Auch jetzt bin ich doch nichts anderes als ein Kind! Ich bin unerfahren, naiv und egoistisch! Genau deshalb kann Onee-sama mich doch nicht ausstehen, zumindest der dominierende Teil von ihr. Ich verstehe die Welt nicht mehr und renne weiter. Am Ende komme ich völlig außer Atem zu Hause an.
"Ich bin zu Hause!", stöhne ich, ehe ich auf dem Holzboden falle vor Erschöpfung.
"Setsuna, Kind, alles in Ordnung?", sorgt sich meine Mutter um mich und legt eine Hand auf meine Schulter.
"Alles gut, ich... ich hab nur... etwas Peinliches gemacht, nicht so wichtig.", lenke ich ab, bin aber nicht unehrlich.
Das Gesicht meiner Schwester erscheint in einem fernen Winkel, als sich unsere Blicke begegnen, läuft mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter und nicht von der guten Seite. Mein Vater schaut von seiner Zeitung empor, beäugt mich streng. Wahrscheinlich denkt er in diesem Moment, es schicke sich nicht, schweißgebadet und keuchend auf dem Flur zu landen. Mein Vater war schon immer ziemlich streng. Das mit meinen endlosen Ex-Freunden nimmt er mir übel. Er verbietet mir keine Beziehungen wie normale Väter, er missbilligt sie. Das ist fast noch schlimmer, wenn du mich fragst.
Später beim Abendessen wird wieder einmal geschwiegen.
"Wie war es in der Schule, Setsuna?", verlangt mein Vater zu hören.
"Wie immer. Nichts besonderes.", antworte ich, auch wenn dieser erste Schultag sowohl der beste als auch der schlimmste erste Tag war, den ich je erlebt habe.
Wieso kann ich allerdings nicht sagen. Viel mehr will ich es nicht sagen. Es klingt doof. Dass ich mich nicht zusammenreißen kann, wenn ich an diesen Kerl denke. Das will ich doch selbst nicht glauben. Ich habe nichts dagegen, die halbe Schule zum Ex zu haben, aber ich habe was dagegen, wenn sich dadurch meine Leistungsfähigkeit und damit auch meine Zukunft beeinträchtigt wird. Ich muss daran denken, wieso ich das alles tue und für wen. Ich bekomme überall hundert Punkte und date nebenbei Jungs, die ich nicht mag, weil ich es kann. Natürlich wäre es schlauer, ihnen gleich eine Abfuhr zu erteilen. Aber das ist ja das eklige an meinem nicht vorhandenen Charakter: Ich kann ohne Beziehung nicht leben. Ich bin abhängig von der Stärke eines Mannes. Ich nutze sie aus, weil ich nicht die Kraft habe, allein in dieser Welt zu überleben. Das bisschen Glücksgefühl, das mir durch die Zuneigung von Männern zuteilwird, reicht, um mich vollständig zu fühlen. Das bisschen Glücksgefühl ist es mir wert, immer wieder aufs Neue auf die gleiche Art verletzt zu werden. Ich bin nicht so süß und tollpatschig, wie dieser Kerl mich nun in Erinnerung hat. Ich weiß, worauf die Kerle stehen. Selbst wenn ich zum Teil wirklich zur Tollpatschigkeit tendiere, süß bin ich auf keinen Fall. Hinter diesem Gesicht befindet sich die Ausgeburt der Schlampenhaftigkeit. Dieses Wort habe ich mir gerade ausgedacht. Das ist einer der wenigen Dinge, die ich aufrichtig als gute Eigenschaft bezeichnen kann: Ich bin kreativ.
Keita:
"Wie war die Schule heute, Keita?", will meine Schwester wissen, als ich nach Hause komme.
Sie ist leise wie immer, liegt in der gleichen Ecke wie immer und schaut Dragonball.
"Sie war ganz nett.", gebe ich matt von mir, als ich die Tasche beiseite lege und mich zu ihr setze.
"Du fehlst mir.", flüstert sie, als sie Pause macht und sich an meine Schulter lehnt.
"Die Ferien sind vorbei. Und du weißt so gut wie ich, dass ich nicht einfach zu Hause bleiben kann.", erkläre ich ihr sanft.
"Ich weiß. Trotzdem. Du fehlst mir, Bruder.", sie scheint heute wieder einen ihrer traurigen Tage zu haben.
"Wieso kommst du nicht mit in die Schule?", frage ich, mit dem Wissen, dass es vergeblich sein wird.
"Weil mir die Welt Angst macht. Diese Angst ist größer als die Liebe zu meinem Bruder. Und das schmerzt mich genauso wie dich.", seufzt sie abwesend.
"Du bist echt der Wahnsinn, weißt du das? Du kannst dich nicht ewig vor dem Tageslicht verstecken. Ob du willst oder nicht, du bist genau wie ich gezwungen ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Du kannst nicht den ganzen Tag hier sitzen, Anime schauen und auf mich warten. Du kannst nicht ewig davonlaufen. Du bist doch die Ältere von uns zweien.", mache ich ihr wieder einmal klar. Darauf reagiert sie nicht, stattdessen legt sie ihr Gesicht nur mehr an meine Schulter.
"Ich weiß. Bitte gib mir noch etwas mehr Zeit, Keita. Irgendwann schaffe ich das. Bitte glaube noch ein bisschen an mich...", murmelt sie und ich merke, dass sie wie so oft einfach eingeschlafen ist.
Sie hat einen komischen Schlafrhythmus. Ich schiebe sie vorsichtig von mir weg und lege sie so hin, dass sie sich vom alltäglichen Nichtstun besser erholen kann. Sie liegt immer hier. Was ist mit meinen Eltern falsch, dass sie überhaupt nichts unternehmen und sie stattdessen einfach Heimunterrichten? Was kann ich nur für sie tun?
"Keita, Abende-",
"Akane-chan schläft!", zische ich durch die Dunkelheit, als mein Vater das Zimmer betritt.
Ich stehle mich raus und komme essen. Meine Schwester bleibt zurück. Wenn wir nicht die gleichen Augen, Gesichtszüge und Haare hätten, würde niemand uns glauben, wir seien verwandt, geschweige denn, wir wären Zwillinge. Zwischen uns liegen Welten. Ich gehe zur Schule, sie nicht. Ich habe Freunde, sie zumindest keine in Reallife. Ich bewege mich, sie tut es nicht. Ich bin der Tag, sie die Nacht. Als ich später schlafen gehe, denke ich wieder einmal an sie, bete dafür, dass meine Schwester irgendwann normal wird. Bete zu einem Gott, an den ich nicht glaube. Wie denn auch? Wer erschafft einen Menschen, der es nicht einmal wertschätzt, am Leben zu sein und den ganzen Tag im Selbstmitleid Serienschaut, bis die Sonne untergeht? Ist das nicht grausam? Aber er ist alles, woran ich glauben und auch nicht glauben kann. Zu dem soll ich denn sonst beten? Der Gott aus der Bibel ist die einzig plausible Möglichkeit unter all der Auswahl. Immer wenn ich mich in Sachen Religion schlau mache, in der Hoffnung, irgendwas für mich zu finden, habe ich das Gefühl, dass es schlimmer wird, mit jeder weiteren Möglichkeit auf der Liste der Glaubensrichtungen. Entweder klingt es total bescheuert oder so streng, dass sich mein Sack verabschiedet. Im Ernst, wie kann man von mir verlangen, an irgendetwas zu glauben, wenn es so offensichtlich niemanden gibt, der mir helfen kann? Mit dieser Frage schlafe ich ein.
Kapitel 3: 1995: Ein unbekannter Schmerz
E: 12.07.2020
U: 24.02.2023
Keita:
Als ich am nächsten Morgen zur Schule gehe, fühle ich nicht viel. Ich habe wieder einen meiner lustlosen Tage. Hoffnungslose Tage. Ich habe auf nichts los und fühle mich nutzlos. Gestern ist das Brotmädchen einfach so davongelaufen. Ich habe sie erschreckt. So fängt man keine Mädchen auf. Ich hätte nur ein bisschen unachtsam sein müssen, um ihre Brüste anzufassen. Das muss ihr bewusst gewesen sein, also, wie nah wir uns waren. Das war wohl zu viel für sie. Ich wollte ihr keine Ahnung einjagen. Sie sieht so unschuldig und naiv aus, aber irgendwie auch erfahren und ramponiert. Als gäbe es nichts auf der Welt, dass sie noch überraschen könnte. Dafür sind wir doch alle beide zu jung. Auch ich bin irgendwo ramponiert. Vermutlich geht das gar nicht anders, wenn man so eine Schwester hat. Es nimmt mich so mit, wie sie ist, dass ich es nicht einmal mehr wage, sie Onee-chan zu nennen. Zu glauben, dass ausgerechnet sie aus demselben Loch gekrochen kam wie ich. Seither ist sie nur noch Akane-chan. Das "-chan" wegzulassen würde sich für mich so anfühlen, endgültig den Glauben an sie zu verlieren. Und das kann ich nicht. Ich hab sie lieb. Ich will sie nicht aufgeben. Ich lebe praktisch nur für meine Schwester und nur ihretwegen habe ich aufgehört, ein tragischeres Bild abzugeben als sie. Das habe ich zwar nie geschafft, aber weil sie ist wie sie ist, bin ich irgendwo auch gezwungen, eine Rolle einzunehmen. Der fröhliche Partykumpel. Der Kerl, der immer ein Seitenlächeln grinst. Ich bin nichts als der Ausgleich zu der Art meiner Schwester. So ist das nun einmal. Aber es stört mich nicht einmal. Ich bin gerne glücklich, weißt du? Ich helfe gerne.
"Jo, Kyokei, 'nen Morgen!", begrüßt mich Yamada.
"H-hi!", antworte ich noch immer benommen, weil ich so unsanft aus den Gedanken gerissen wurde.
Zusammen mit den anderen zwei betrete ich die Schule, nur um wieder den rotäugigen Blick des Brotmädchens zu begegnen, die daraufhin die Flucht ergreift.
"H-hey! Warte!", versuche ich es schwach, aber da ist sie schon weg.
"Du und Shizuhara? Wann hat sich das denn ergeben?", will Yamada verblüfft wissen.
"Da läuft nichts zwischen uns. Ich... Ach, egal! Lass uns gehen!", wechsle ich ruckartig das Thema, um nicht zu sehr ins Detail gehen zu müssen.
Ich werde mir das Brotmädchen nachher noch vornehmen.
Als die Pause beginnt, sprinte ich förmlich in die Etage mit den Klassenräumen des zweiten Jahrgangs. Eine Tür nach der anderen reiße ich auf, bis ich diesmal wirklich einen Treffer lande und sie dabei ist, ihre Brotdose zu nehmen und woanders zu essen.
"Brotmädchen! Warte auf mich!", rufe ich durch das Klassenzimmer und sie starrt mich völlig entsetzt an.
Die anderen sehen mich auch wie Autos auf dem Parkplatz an, aber das ist mir herzlich egal. Ehe ich mich versehe, hüpft sie aus dem Fenster neben ihr ins Freie. Blödes Erdgeschoss, denke ich, jetzt muss ich sie verfolgen. "Hey!", platzt es aus mir heraus, als ich mich durch die Zweitklässler und die Tische zwänge, um durch das gleiche Fenster zu springen und die Verfolgung aufzunehmen. Sie ist schnell, bemerke ich, als sie durch den Schulhof vor mir davonläuft, geradewegs auf den Sportplatz.
"Hey! Warte! Ich muss mich entschuldigen! Brotmädchen, ich-",
"Es ist besser, mir nicht nachzulaufen! Was fällt dir ein, in meine Klasse zu platzen und mich bei diesem Spitznamen zu nennen?!", höre ich sie schreien, als ihr sichtlich der Sauerstoff ausgeht, sie langsamer wird, ich nicht bremsen kann und sie aus Versehen an der Schulter auf den Boden werfe.
"E-es tut mir leid, also, dass ich gestern fast deine-",
"Was willst du eigentlich von mir?! Wieso bist du mir gefolgt?!", keift sie plötzlich und ich erschrecke.
"Wie... jetzt?", verstehe ich nicht.
"Warum... warum gehst du so weit für eine Entschuldigung, die eigentlich überhaupt nicht von Nöten ist?! Warum... erschreckst du mich dort, wo man leise sein soll? Wieso... wieso das alles?", will sie wissen und auf einmal klingt sie viel leiser und verletzlicher als je zuvor.
"Was... meinst du?", verstehe ich noch immer nicht, woraufhin sie mit den Zähnen knirscht.
"Bist du wirklich so dämlich oder tust du nur so? Willst du mich eigentlich verarschen?", murmelt sie verärgert und im nächsten Moment bin ich starr vor Schreck, als sie mich zu sich runterzieht.
Was zur Hölle tut sie da?! Warum kann ich ihre Lippen auf meinen spüren und ihren verkrampfen Griff um meinen Kopf? Wieso küssen wir uns? Doch ehe ich überhaupt daran denken kann, es zu erwidern, mich ihrem Griff zu entziehen oder sie empört anzufahren, löst sie sich von mir und stößt mich von sich.
"A-aber, Brotmädchen, das-",
"Was? Ist das nicht, was du wolltest? Wollen das nicht alle von Anfang an? Glaubt eigentlich die ganze Welt, dass ich so leicht zu haben bin, geschweige denn, es nicht selbst weiß? Ich habe es doch gesehen! Was Yamada-kun und der ganze bekloppte Rest der männlichen Schülerschaft über mich sagt und dir erzählt hat! Bitte hör auf, dich mir anzunähern und mich zu verwirren, ich ertrage das nicht! Ich ertrage es nicht, dass auch du in Wahrheit kein Unterschied bist! Seit ich dich kenne, kann ich das nicht mehr. Seit ich dich kenne, tut es weh, zu wissen, wie es endet, also bringen wir es gleich hinter uns! Dieser Kuss hat keine Bedeutung. Ich habe dich lediglich von der Illusion befreien wollen, in mir einen Freundinnenkandidat zu sehen! Das kannst du mir nicht antun! Das kann ich mir nicht antun! Deshalb... tritt mir bitte nie wieder unter die Augen, hast du verstanden?! Es ist für uns beide besser!", schreit sie und hält sich dabei die Arme vor die Augen, ehe sie erneut davonläuft.
"H-hey! W-warte! Ich wollte nicht...", aber mir fällt nichts ein.
Ich habe keine Ahnung, was sie eigentlich meint. Was meint sie mit enden? Freundin? Was um alles in der Welt ist mit dem Mädchen passiert, mit der ich die Pause verbracht habe? So habe ich sie noch nie erlebt. Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Wegen dem Auffangen habe ich mich doch schon entschuldigt. Aber darum ging es ihr ja überhaupt gar nicht. 'Ich ertrage es nicht, dass auch du in Wahrheit kein Unterschied bist!', hallt ihre verzweifelte Stimme in meinem Kopf wider. Was das wohl heißt? Ich kann noch immer ihre Lippen auf meinen spüren. Das eben... das war... mein erster Kuss. Ungelogen. Seit meine Schwester in Selbstquarantäne liegt, ist es schwer, sich ernsthaft um andere Mädchen zu sorgen. Vielleicht habe ich ja einen Schwesterkomplex. Nicht, dass ich in sie verliebt wäre, aber es ist einfach so, dass ein Mensch nur ein gewisses Maß an seelischen Verpflichtungen und Kraft in sich horten kann. Und damit war ich auch einverstanden. Aber... warum fühle ich mich dann nur so leer?
"Kyokei, Alter, was machst du auf dem Boden? Was hat Shizuhara da gerade für eine Nummer geschoben?", wundert sich Yamada und sein Gefolge ist auch nicht weit.
"Es ist nichts.", lüge ich, stehe auf und klopfe mir den Sand von der Kleidung.
Dann ist die Pause auch bald vorbei und ich gehe zurück in mein Klassenzimmer. Der Rest des Tages ist grauenhaft langweilig und zugleich stresst mich jede Sekunde, die ich von diesem Tag noch ertragen muss, um zu schlafen und zu hoffen. Zu hoffen, dass morgen die Welt doch ganz anders aussähe.
Setsuna:
Ich sitze in meinem Zimmer und sehe mir eine Folge von Lady Oscar an, während ich so aggressiv auf meiner Haarsträhne herumkaue, dass sie abzufallen droht. Ach was, nicht einmal dazu bin ich stark genug. Ich war so eine Schlampe. Der arme Kerl. Dieser Kerl hat nicht verdient, so angeschnauzt zu werden, egal, ob es so geendet hätte oder nicht. Ich habe überreagiert, mich von meinen Gefühlen leiten lassen. Was habe ich da getan? Er wollte sich einfach entschuldigen. Er hat sich wirklich ein Stück weit um mich Sorgen gemacht. Er war bloß nett. Und ich total grauenhaft. Wieso wollte ich dieses Pflaster nur so schnell abreißen? Das ist der einzige Fall, in dem es angenehmer wäre, dies nicht zu tun. Wem mach ich was vor? Ich wollte nicht ihm die Illusion nehmen, sondern mir selbst! Weil ich es nicht ertrage, von ihm auch noch verletzt zu werden, wie von jedem anderen Kerl in meinem Leben, der enttäuscht von mir war. Er hat es gesehen. Meinen grauenhaften und gleichzeitig charakterlosen Charakter. Wie sehr ich das Gefühl hasse. Aber es war nötig. Anders wäre ich wieder verletzt worden. Ich verletze lieber selbst, als verletzt zu werden. Er war dieser eine Kerl, der das Fass zum überlaufen brachte, dieser eine Kerl, von dem ich dieses Ende am aller wenigsten sehen wollte. Er ist... besonders. Und ich will nicht, dass er das ist. Je mehr ich mir einbilde, einen Kerl nett zu finden, desto grausamer die Qual, wenn er geht. Heute war der Moment, an dem ich mein Selbst verloren habe. Es könnte so sein, denn es werden sich andere Kerle in mich verlieben, ich werde mich wieder in lieblose Beziehungen stürzen. Nur werde ich dieses Mal nicht darauf vertrauen können, dass in meinem Herzen neutrale Leere herrscht. Es fühlt sich an, als würde ich nie wieder dieselbe sein, weil ich mich nach der Nähe einer Person sehne, die ich aufs Übelste irreparabel verletzt habe.
"Setsuna, komm verdammt nochmal essen, man ruft dich schon zehnmal!", höre ich Onee-sama keifen.
"Schnauze!", keife ich zurück und bereue es im nächsten Augenblick. Da wird nämlich die Tür aufgerissen und ich an den Haaren herbeigezogen.
"Wie redest du mit mir, Setsuna? Hat man dir nicht beigebracht, Respekt vor Älteren zu haben?", will sie zerknirscht wissen und ich bekomme zu spüren, dass sie heute wieder in der Laune ist.
Ich antworte nicht, sondern versuche, vor Schmerzen nicht zu schreien.
"Shizuku! Wie oft noch, lass deine Schwester in Ruhe!", schreit mein Vater und kommt auch noch dazu, um mich meiner Schwester zu entledigen.
"Shizuku, es ist nicht okay, ihr an den Haaren zu ziehen!", schimpf meine Mutter und Onee-sama kassiert eine Schelle, woraufhin sie mich loslässt und noch mehr flucht.
Wieder einmal sind meine Eltern und meine Schwester im Clinch. Mich langsam von den Schmerzen erholend stehe ich auf und werde wirklich an meine Schmerzensgrenze getrieben. Dieser Tag ist ruiniert genug, dass die jetzt auch noch alle in meinem Zimmer streiten müssen, liegt jenseits meiner heutigen Toleranz.
"Raus hier!", schnauze ich und tatsächlich laufen sie einfach streitend aus meinem Zimmer, damit ich anschließend die Tür zuschlagen kann.
Kurz darauf sinke ich mit dem Rücken zur Tür zu Boden. Ich ziehe die Beine an mich, um die Wärme meines eigenen Atems zu spüren und zu weinen.
"Ich hasse mein Leben."
Kapitel 4: 1995: Geheimnisse werden aufgedeckt
E: 16.08.2020
U: 20.08.2020
Am nächsten Morgen ist meine Laune im Eimer. Was habe ich mir gestern nur dabei gedacht, mich so zu benehmen? Das passt gar nicht zu meiner sonst zurückhaltenden Art. So kenne ich mich doch selbst nicht einmal. Das ist gar nicht gut, bestimmt hasst er mich., denke ich, als ich den Wecker ausmache und seufze. Mir geht es überhaupt nicht gut. Mir ist, als ob mir alles wehtut und ich mich überhaupt nicht bewegen kann. Ich will am liebsten im Bett bleiben und nie wieder aufstehen. Aber auch das passt so gar nicht zu meinem Image. Ich stecke in einem echten Schlamassel. "Was machst du hier eigentlich, Setsuna?", frage ich mich selbst, richte mich auf, nur damit es mir schlagartig noch schlechter geht. Mir tut der Bauch weh und das liegt nicht nur an dem miesen Zeug, das ich gestern diesem unschuldigen Kerl an den Kopf geworfen habe. Ich hab meine Tage. Stöhnend werfe ich mich ins Bett zurück und ziehe mir die Decke über den Kopf. Das hat mir echt noch gefehlt, ich meine, wie kann man den Tag besser starten als mit einem blutigen Bett und dreckiger Unterwäsche? Das gibt mir aber nicht den Freifahrtschein für das Anschreien fremder Jungs. Ich bin wirklich eine furchtbare Person. Widerwillig rolle ich mich wie ein Burrito aus dem Bett und knalle auf den Boden auf. Wieder stöhne ich. Ich habe keine Lust auf nichts, aber ich muss mich entschuldigen gehen. Steh auf, Mensch! "Setsuna, Kind, stehst du auch bald au-... was machst du denn da auf dem Boden, Kind?", wundert sich meine Mutter als ich mit zerzaustem Haar und grimmigem Gesicht den Burrito simuliere. "Es ist nichts, Mutter. Guten Morgen.", entgegne ich so normal wie möglich und werfe die Decke schneller auf den Blutfleck als sie gucken kann. Mir egal, ob wir beide Frauen sind, auf meine Periode angesprochen zu werden, ist der Supergau. "Guten Morgen auch dir, Setsuna. Beeil dich, es wird langsam spät.", sagt sie mir sanft und verlässt wieder mein Zimmer. Vom Streit gestern scheint sie immer noch ziemlich fertig zu sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Streitereien unsere Familie auseinanderbringen... Ich schüttle den Kopf und ziehe mein Kleid runter, das hochgezogen wurde und meine Unterhose entblößt hat. Ich korrigiere, der Supergau ist schon still und leise beendet worden. Vermutlich denkt meine Familie, dass das jetzt der Grund war, wieso ich gestern so zickig war. Es ist nicht so, dass ich meine Familie nicht mag. Meine Eltern sind noch etwas anderes als streng und meine Schwester ist auch manchmal richtig süß zu mir, aber... tief im Innern ist mein Herz in dieser Familie schon längst erkaltet. Mein Innerstes hat die Hoffnung schon längst verloren.
In der Schule kann ich mich nur auf Biegen und Brechen auf den Beinen halten, weil mich die Regelschmerzen immer wieder umbringen. Es ist fast schon deprimierend zu sagen, aber ich kann stolz sagen, dass niemand auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, wie sehr ich heute gelitten habe. Und nun bin ich auf dem Heimweg. Ich achte nicht wirklich auf meine Umgebung, da ich den Weg haargenau kenne und meine Gedanken schon den ganzen Tag darum kreisen. Dass ich nicht den Mut hatte, diesem Jungen noch einmal gegenüberzutreten. Kyokei war sein Name. Wieso gehst du mir einfach nicht aus dem Kopf? Und auf einmal, in der Hälfte meines Weges, steht da vor mir ein riesiger Hund, die Leine völlig unbenutzt auf dem Boden schleifend. Ich wage nicht, mich zu bewegen. Alles, was ich höre, sind die Rufe des Besitzers nach seinem Eigentum und mein eigenes Herzrasen. Und im nächsten Augenblick begegnen sich unsere Blicke, woraufhin er knurrt und ich die Nerven verliere. Schneller als ich denken kann nehme ich die Beine in die Hand und renne davon. In diesem Moment bin ich verängstigt wie nie, ich will nur noch weg hier. Es fühlt sich so an, als wenn alles, was mich von Innen auffrisst, von diesem Hund verkörpert wurde. Ich will weg, ich will weg, weg von dem Gebell und dem Schmerz in meinem Herzen! So renne ich also wie eine Wahnsinnige, eine gefühlte Ewigkeit und Schmerzen überall. Nichts kann mein wildes Laufen stoppen, nicht einmal der Zaun vor meinen Augen. Ich renne bergab und komme immer näher, das Bellen wird immer lauter. Als es nur noch etwa zwei Meter hinter meinen Ohren erklingt, reiße ich meine Beine nach oben, springe an der Ecke des Zauns ab und stürze in die Tiefe.
"Magst du es, wenn ich dir die Haare bürste?", fragte mich Onee-sama. "Ja, ich mag das sehr!", lachte ich und schmiegte mich in ihre Halsbeuge. "Du bist so niedlich, Setsuna. Und so unschuldig!", kicherte sie und tätschelte mir den Kopf. Es war einer ihrer guten Tage, ich wusste, dass sie nie lange hielten und ich morgen wieder das Zielobjekt ihres Hasses sein würde. "Sag mal, Onee-sama...", fing ich an. "Hast du mich lieb?", schlagartig hörte sie auf, mir die Haare zu bürsten. "Zumindest hasse ich dich nicht mit all meinem Selbst, kleine Schwester. Ein Teil von mir aber... will, dass du bei ihm bleibst.", flüsterte sie, ehe sie aufstand und mein Zimmer verließ. Ich fühlte mich immerzu einsam, wenn sie das tat.
Als ich die Augen wieder öffne, befinde ich mich in einem Garten. Zumindest liege ich ihm Gras und auf etwas Hartem. Vom Hund fehlt jede Spur. Ich sehe nach oben und stelle fest, dass der Sturz aus dieser Höhe keinesfalls hoch genug war, um mich umzubringen. Vermutlich war es der Schock, der mir die Lichter ausgeknipst hat. Ich seufze. Es wird Zeit, dass ich von hier verschwinde, ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier liege. Aber wie komme ich wieder raus, ohne dass mich irgendjemand sieht? Grundgütiger, vielleicht gehört den Leuten hier sowohl der Garten als auch der Hund! Lauf weg, Setsuna! Wenn du hierbleibst, hast du nicht mehr lange!, denke ich, als ich aufstehe und mir den Dreck von den Klamotten klopfe. Ich will gerade gehen, da merke ich, dass da etwas in der Erde liegt, zerbrochen, als ob ich darauf gelandet wäre. Neugierig, worauf ich denn gelandet bin, hebe ich es auf. Es ist ein Bilderrahmen, merke ich, nur um daraufhin fast einen Herzinfarkt zu kriegen. Auf diesem Bild ist niemand Geringeres als jener Junge als kleines Kind, gefolgt von einem weiblichen Exemplar seiner Selbst und einer kleinen Schildkröte, die beide in den Händen halten. Das ist sein Haus. Ich bin in seinem verdammten Garten gelandet. Oh mein Gott. Ich bin tot. Wenn er das rausfindet, wenn er rausfindet, dass ich bei ihm Hausfriedensbruch begangen habe, wird er mich mehr hassen als möglich ist. Wo ich mich nicht einmal getraut habe, mich unter den noch fortwährenden Schmerzen bei ihm zu entschuldigen. Und es gab wirklich eine Zeit, in der ich dachte, dass allein wäre schon schlimm. Aber nein, schlimmer geht es ja immer. Aus meiner Winterstarre ausbrechend lasse ich den Bilderrahmen schlagartig fallen, drehe mich auf dem Absatz und laufe davon. Aber ich komme nicht weit, als ich spüre, wie mich etwas um mein Handgelenk greift, fester als meine Schwester mich je gegriffen hat. "Brotmädchen? Was um alles in der Welt tust du hier?!", ich bin starr vor Schreck. Ich wage nicht, mich umzudrehen und ihn anzusehen. "Shizuhara, was soll der Scheiß?!", keift er und packt mich an der Schulter, sodass ich ihm direkt in die Augen sehe. Zum ersten Mal nennt er mich nicht Brotmädchen und es fühlt sich an, als würde eine Welt für mich entzweibrechen. "Es tut mir leid.", flüstere ich und senke den Blick. "Ich will überhaupt nicht hier sein, weißt du? Es war ein Unfall. Ich bin gedankenlos den Zaun runtergesprungen und habe das Bewusstsein verloren.", höre ich mich schluchzen, ehe ich in Tränen ausbreche. "Du musst mir glauben! Es war nicht meine Absicht, das Bild von dir, deiner Schwester und eurem Haustier zu zerstören! Es tut mir so leid.", der Junge vor mir weitet die Augen und lässt von mir ab. "Was hast du gerade gesagt?", will er völlig verdattert wissen. "Ich bin drauf gelandet und dann ist das Glas zersprungen! Das wollte ich nicht! Ich... ich...", doch ehe ich meinen Satz zu Ende schluchzen kann, greift der Junge nach meiner Hand und rennt davon. Zurück zu den Bäumen, ins Gebüsch, in das ich gelandet bin. Völlig überwältigt folge ich ihm nur unbeholfen, bis er anhält und sich fallen lässt. "Kyokei-kun?", stammle ich fragend. "Meine Eltern waren gerade da. Sie hätten dich gesehen und das wäre noch schräger.", beantwortet er meine Frage knapp, bevor er nach dem Bilderrahmen sucht, der kaputtgegangen ist. "Noch irgendwie heil.", flüstert er, ehe er ihn wieder dorthin zurücklegt, wo er ihn aufgesammelt hat. "Du hast es also gesehen, was?", murmelt er und baut sich wieder stehend vor mir auf. Ich nicke schuldbewusst. "Das mit deiner Schwester tut mir leid.", entfährt es mir, woraufhin er schnell wieder meine Schultern greift und sagt: "Sie selbst ist nicht gestorben! Nur... meine Schildkröte. Sie... wurde gefressen als ich noch klein war. Aber falls du es wissen willst, im Vergleich zu Raphael geht es meiner Schwester blendend.", ich seufze. "Im Vergleich klingt ja nicht gerade nett.", rutscht mir heraus und ich bereue es sofort. "Ey, das... das kann man doch unmöglich Leben nennen!", rutscht es ihm daraufhin raus und er schlägt die Hand vor dem Mund. "Sie liegt im Koma?!", erschrecke ich. "Nein, nein, sie... also, nein... sie hasst einfach nur die Außenwelt, was mich als jüngeren Zwilling nun mal nicht kaltlässt, jeden Tag beschäftigt und mir die Luft zum Atmen nimmt! So, jetzt ist es raus!", platzt er raus und sieht mich an wie niemand anders mich je angesehen hat. "Wieso erzählst du mir das?", frage ich ihn schüchtern und auch ein bisschen skeptisch. "Na ja, wir beide hatten einen... ziemlich miesen ersten Eindruck voneinander, vom Brot, dass ich essen durfte mal abgesehen. Das ist die Möglichkeit gewesen, quitt zu werden.", meint er. "Außerdem habe ich dich vorhin schon bewusstlos in meinem Garten gefunden und habe woanders gewartet, ohne vom kaputten Bilderrahmen gewusst zu haben. Und ich habe dein Hösschen gesehen.", lacht er, woraufhin ich vermutlich genauso rot anlaufe wie mein Tampon gerade. "Was zur Hölle ist falsch mit dir?!", will ich völlig empört wissen und packe ihn am Kragen. "Idiot, Perversling, dass ich dich geküsst und angeschrien habe, tut mir gar nicht leid!", schimpfe ich und funkle ihn wütend an, während er versucht, sich das Lachen zu verkneifen. "Du bist der Hammer, Brotmädchen. Ich kenne wirklich niemanden, der in deinem Alter welche mit Einhörnern trägt!", kriegt der sich gar nicht mehr ein. "Ich hatte ja wohl keine Wahl, okay?! Jetzt lass uns nicht mehr über meine alberne Unterwäsche, sondern über deine Schwester reden, Kyokei-kun!", schnauze ich ihn an. "Wie, warum das denn?", blickt er es nicht. "Das kann man kein Leben nennen, meintest du. Dann helfe ich persönlich dabei, dir dabei zu helfen, sie ins Leben zurückzuholen! Anders werde ich nicht ruhen, hörst du? Wir sind vieles, aber wir sind nicht quitt!", lasse ich ihn wissen und vorsichtig wieder los. Ich verschwinde hinters Gebüsch, finde meine Tasche wieder und als ich mich umdrehe, um zu gehen, treffen sich wieder unsere Blicke. "Du musst das nicht tun, Brotmädchen.", versucht er resigniert, mich davon abzuhalten. Er hat recht. Ich muss gar nichts. Genaugenommen kenne ich ihn gar nicht. Wegen ihm aufgewühlt zu sein, ist dumm. Nichts davon ergibt Sinn. Und trotzdem. Wird er mich nicht davon abhalten, ihn kennenzulernen und seiner Schwester zu helfen, was auch immer ihr fehlt. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, um mein Gewissen zu beruhigen. "Aber ich darf.", sage ich mehr zu mir als zu ihm und ergreife die Flucht nach Hause, wo ich schon längst hätte sein sollen.
Diese Vorgeschichte habe ich am
7. April 2020 angelegt und bis zum
20. August 2020 versucht, weiterzuführen. Und dann habe ich einfach aufgehört.
Das Problem mit dem Prequel besteht vor allem darin, dass die komplette Lore als solches so dermaßen von Logikfehlern und Handlungslöchern durchtränkt war, dass ich auf die Schnelle überhaupt nicht wusste, wie ich all das überhaupt erklären wollte. Die komplette Handlung, die darauf folgte, hat ja schon keinen Sinn ergeben, wie also hätte ich eine sinnvolle dreiteilige Vorgeschichte schreiben können, nur damit die Konsequenzen, die in der Fortsetzung sichtbar werden, ebendiesen Sinn in hohen Bogen wieder aus dem Fenster schmeißen? Die Idee war simpel; Die Elternpaare Setsuna und Keita, Shun und Kotori und was auch immer bei Meiko abging, sollten alle ihre Geschichten haben, die mit der Hauptgeschichte in Verbindung stehen. Allerdings musste ich zuvor rausfinden, wer diese Charaktere überhaupt sind und wieso sie die Dinge tun, die sie tun. Das wusste ich alles nicht und so war es schlauer, sich zurückzuziehen und genau das zu tun.
7.6. MELT - Als der erste Tropfen fiel
Klappentext
Die Backstory von Kiara Nojimiya, bevor die erste Staffel endet und sie verschwindet. Wenn ihr CONDENSE noch nicht gelesen habt, empfehle ich, das zuerst zu tun. Andernfalls: Rebell! Wie auch immer.
Kiara ist eine Stalkerin. Ihre Zielperson? Der Sohn einer Hassperson ihrer Meisterin, den diese um jeden Preis tot sehen will. Doch zunächst darf keiner eigreifen. Es gilt abzuwarten, bis sich dieser von selbst in Gefahr begibt. Denn laut der Meisterin und den Medien wird der Junge das früher oder später mit Sicherheit tun. Er ist instabil. Keine Erinnerungen an seine Vergangenheit oder Klarheit über seine eigene Familie. Eines Tages wird er zerbrechen, lautet ihre Vorhersage und beauftragt Kiara damit, ihn zu überwachen und seine Eliminierung in den Weg zu leiten. So beginnt sie, ihn zu beobachten und den ultimativen Racheplan zur Vernichtung aller Feinde ihrer Meisterin. Jedoch fängt ihr der Junge, den sie eines Tages töten muss, immer mehr ans Herz und die Gefühle in ihr, die bislang nie da waren, erwachen zum Leben. Wird sie ihren Auftrag erfüllen, trotz dessen, dass sie beginnt, ein Mensch zu werden?
Einen Ticken weniger cringe, weil es neuer ist:
Kapitel 1: Rache
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Es ist kalt und dunkel. Die einzige Wärme, die mir hier draußen vergönnt wird, weht von meinem eigenen Zorn.
"Ist dir klar, was du angerichtet hast?", fragt mich Ryuzaki in einem zerknirschten Ton.
"Ist es.", ich habe nichts falsch gemacht. Ich kann sehen, wie sein Kiefer sich verspannt und er unbeholfen versucht, den dreißig Minuten alten Fötus nicht runterfallen zu lassen. Es ist ein kleines Mädchen und das Kind, dass er mit dieser Schlampe gezeugt hat. Einer gottverdammten Geisel, die nicht mehr als ein Versuchskaninchen hätte sein sollen. Aber hier sind wir nun.
"Sag mir, warum du es getan hast.", murmelt er. "Warum hast du Hanazawa-san umgebracht?!", faucht er und erschreckt das Ding. Es schreit mir direkt in die Ohren und macht mich aggressiv.
"Ryuzaki.", sage ich seinen Namen in einer bemüht ruhigen Art und Weise. "Tomoya Ryuzaki. Ist dir denn klar, was du angerichtet hast?", drehe ich den Spieß um. Das Schreien wird einfach nicht leiser, deswegen wippt er ein bisschen, in der Hoffnung, es würde helfen.
"Du hast mich hintergangen. Du bist derjenige, der hier angeschrien werden sollte.", erkläre ich ihm. Wütend packe ich ihn an den Haaren und sehe ihm tief in die Augen. Das Geräusch blende ich aus. "Und solltest du noch ein allerletztes Mal versuchen, ebendies zu tun,", sein leises Schlucken dringt zu mir. "Schmeckst du die Spitze, alles klar?", eine blutige Linie bahnt sich ihren Weg seinen Hals hinunter. Die Klinge an seinem Hals schneidet ihn und das penetrante Gilfen seines Nachwuchs dürften ihn gewiss an den Rand seiner Fassung bringen. Und doch verdickt sich der rote Strang an ihm, als er sich zitternd an die Schärfe lehnt.
Er nickt.
Ich war nicht fertig damit, Nokia-chan zu charakterisieren und das brach mir das Genick. Das erklärt, wieso seit der Veröffentlichung am
9. April 2020 nichts kam. Weil ich einfach nicht wusste, wie sie jetzt wirklich zu Elvis und dem Rest der Gruppe zu stehen hat. Sie ist in Version 1.0 viel zu spät implementiert worden und das ganze Mysterium um den Kurodate-Clan gegen Ende ist einfach sehr unsauber ausgeführt worden. Ich weiß nicht, ob ich dieses Spin-off nach der Löschung wieder hochladen und weiterführen werde, sollte ich es überhaupt löschen, aber in erster Linie gebe ich alles, Nokia-chans Daseinsberechtigung in Staffel eins voll auszuarbeiten und zu festigen, wie es einem so wichtigen Charakter wie ihr würdig ist.
7.7. PLASMAIZE - Und dazwischen die Gezeiten
Klappentext
Der letzte Teil der CONDENSE-Saga. Diese Geschichte spielt in der Timeline zwischen CONDENSE und CONDENSE II. Es ist nicht das zeitliche Ende, aber das Ende der Serie, in der Chikas Charakterentwicklung noch einmal verfolgt und tiefer auf ihren Hintergrund an sich eingegangen wird. Bitte die vorherigen Teile zuerst lesen, bevor ihr diesen lest.
Die Freunde der Blutrosenoberschule haben wieder zueinander gefunden. Akira und Sanae sind zurück, damit ist scheinbar alles wieder beim Alten. Doch nur scheinbar. Denn Sanae erwartet ein Kind und am selben Tag, an dem die beiden wieder zur Gang stoßen, erhält Chika einen Telefonanruf, der sich gewaschen hat. Es ist ihre Großmutter in Philadelphia. Diese ist schwer erkrankt und will Chika ein letztes Mal sehen, für den schlimmsten Fall der Fälle. Chika fällt aus allen Wolken. Wie kann sie ihrer Großmutter nach all den Jahren am Besten gegenübertreten? Widerwillig beschließt sie, ihr zu helfen, Elvis und der Rest, folgen ihr. Es beginnt eine spannende Reise in ein fernes Land, in dem Elvis' und Chikas Beziehung noch einmal auf die Probe gestellt wird. Wieder einmal folgt das eine Drama dem nächsten und Chika ist gezwungen, sich zu fragen, ob sie die Lasten der Vergangenheit aus eigener Ehre weiter ertragen will oder sich Elvis zuliebe selbst verzeiht...
Releasedatum des Films: kein Plan
Laufzeit: 180 Minuten
Das Main Pairing in einer gesunden Umsetzung. Wild.
Kapitel 1: Schall und Rauch
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Es ist der gleiche Bahnhof wie an jenem Tag und er ist mit viel Schmerzen verbunden. Doch wie auch an jedem anderen Mal kann ich den Schmerzen trotzen und weitergehen. Wie jedes Mal, wenn ich ihn besuchen komme. In der Menschenmenge suche ich nach seiner Silhouette.
"Ich kann dich nicht sehen, Ellie!", raune ich ins Telefon. "Wo bist du?", keine Antwort. Er ist noch dran, was ich merke, weil ich ihn atmen höre.
"Ellie, das ist nicht lustig, du verbrauchst einfach nur dein Datenvolumen!", schnaube ich.
Hier ist zu viel los. So finde ich ihn niemals. "Maaaaaaaaann, jetzt gib dich doch endlich mal zu erkennen!", maule ich und stolpere beinahe über eine Unebenheit im Boden. Ein Arm greift aus dem Nichts um mein Torso, was meinen Aufprall verhindert hätte, wäre er stark genug gewesen wäre, mich einfach so aufzuheben.
Ich erkenne sofort, um wessen Arm es sich handelt, da das sein Handy ist, dass sich gegen meine linke Brust drückt.
"Ellie!", freue ich mich und lache erleichtert auf.
"Immer noch asymmetrisch. Dann habe ich ja genau die Richtige erwischt.", kommentiert er und ich brauche einen Moment, ehe ich empört nach Luft schnappe.
"Ich kratz dir die Augen aus!",
Dieser Film war sowas von nicht bereit, produziert zu werden. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe, als ich die Vorlage am
22. Juni 2020 ins Netz gejagt habe. Ich sage nicht, dass die Idee eines solchen Films grauenvoll ist, ich denke wirklich, dass das cool wäre. Es braucht nur sehr viel mehr Zeit, die Lore zu fixen und eine bessere Prämisse als so eine zu finden. Bei allem Respekt, die ist Bockmist. Für alle, die sich daraufhin unironisch auf PLASMAIZE gefreut haben: Ich kann absolut nichts versprechen. Ich habe keine Ahnung, wie der Film, sollte er rauskommen, aussehen würde. Der Prozess, eine gute Serie aufzubauen, ist ein langer und es gibt viel zu überdenken. Bevor alles gehetzt wird, sollte das passiert sein, damit das Ergebnis unvergesslich schön wird. Das würde ich mir für den Film wünschen.
7.8. Girlfriend's Farewell - Hanakos Abschied
Klappentext
Eine Sidestory zu CONDENSE. Spoilerwarnung an alle, die CONDENSE noch nicht gelesen haben. Oder gehört. Je nach dem. Das ist die Szene nach dem Schulabschluss. Hanakos Abschied für eine ungewisse Zeit, Dilemma, wie es mit ihrer Beziehung weitergehen soll.
Dieser Oneshot bereitet mir von allen die größten körperlichen Schmerzen. Er ist das literarische Äquivalent eines Tafelkratzers. Ihr wisst schon, mit den Fingernägeln so langsam und qualvoll wie möglich die Fläche runter.
Ein wahr gewordener Albtraum
von mir für mich.
Vergiss mich nicht.
E: 06.04.2020
U: 09.04.2020
Der Schulabschluss ist beendet. Komischer Satz, ich weiß. Vorher hat Hanako gesungen und irgendwelche Idioten vom Kamikaze-Channel, die es irgendwie geschafft haben, keinen Ärger für die Aktion ihres Senders zu kriegen, haben sie angesprochen. Und nun herrscht da diese peinliche Stille zwischen uns. Ihre genauen Worte, ehe wir in diese komische Lage gerieten waren. "Taiyo, lass uns spazieren!", und dann hat sie nach mir gegriffen und ist davongebraust. Jetzt wird zwar nicht mehr gebraust, aber angehalten genauso wenig. "Ich finde, dass du toll gesungen hast.", sage ich, um die Stille zu durchbrechen. Sie zuckt zusammen. "W-wirklich? Das freut mich wirklich. Also... es war mir wichtig, das zu tun. Ich wollte... ein Zeichen setzen, weißt du? An diesem Ort, an dem sich so viele Dinge ereignet haben. Glückliche Momente und traurige. Herzzerreißende. Welche, die wütend machen. Ich wollte alle gleichzeitig in den Köpfen aller auftauchen lassen, egal wie schmerzhaft die Vergangenheit ist. Um guten Gewissens Lebewohl zu sagen.", teilt sie mir mit und sieht in die Ferne. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange wir gelaufen sind. Vermutlich spielt das auch gar keine Rolle. "Verstehe. Das ist auch einer deiner Träume, nicht? Das ist schön zu hören.", murmle ich und mir fällt ein, dass ich keinen Plan habe, was ich mit meinem Leben nach der Uni eigentlich anstellen will. Was ich arbeiten will. Wo ich leben will. Wie viele Kinder ich mit Hanako zeugen will. Bei letzteres muss ich etwas grinsen. Nicht, weil ich kindisch bin, nein, es ist bloß so, dass ich beim Gedanken daran, es zu tun, ein wenig Angst habe, sie zu zerbrechen. Schließlich ist sie so klein und zierlich und braucht für alles einen Personalausweis. Am Ende denkt die Menschheit noch, ich sei pädophil. "Taiyo, sag mal...", reißt sie mich aus den Gedanken. "Weißt du eigentlich, was du mal machen willst? So... ziemlich bald?", zögert sie ein wenig. Ich weiß nicht, wieso, aber in dem Moment, kriege ich den größten Geistesblitz seit der Erfindung von Luftpolsterfolie. Weder ein guter Vergleich noch ein besonders beeindruckender Einfall, aber das ist mir egal. "Ich glaube, ich werde Polizist. Ist mir gerade so eingefallen. Ich weiß, nachdem, was mit meinem Bruder war, ist das echt ziemlich unverschämt, nach wie vor auf Verfolgungsjagten und kriminelle Intrigen scharf zu sein, aber... ich bin es irgendwie trotzdem.", schmunzle ich und fühle mich schäbig, so ein ganz kleines bisschen. "Das ist ein guter Job. Da ist die Motivation zum Gerechtigkeitskämpfer doch eigentlich... eher nebensächlich, findest du nicht? Also, ich finde... dieser Beruf passt zu dir!", Hanako grinst auch, aber dieses Grinsen verebbt schneller als meins. "Sag mal, Hanako, ist was? Du bist seit dem Ende irgendwie komisch.", meine ich und bleibe stehen. Meine Freundin tut es mir gleich. "Also, Taiyo, du hast ja... du hast... mir einen Antrag gemacht, weißt du noch? Ich habe mich gefreut wie ein Kind, ich war endlos glücklich. So unfassbar glücklich, weißt du? Aber... ich habe nicht gewusst, was ich werden will. Wohin mich die Zukunft führt. Was ich arbeite, wenn wir eines Tages wirklich geheiratet haben. Ich habe mir schon länger darüber Gedanken gemacht. Über diese Zukunft. Ich hatte viele Möglichkeiten. Ich bin gut im Nähen, zeichne gerne und singe auch gerne. Vollkommen chancenlos bin ich also nicht. Trotzdem habe ich diesen Gedanken bis zum Ende verdrängt. Ich wollte gar nicht wirklich daran denken, weil Elvis noch verletzt ist und ich dachte, wir müssten ihm erst einmal beistehen, ehe wir... an unser eigenes Wohl denken. Als ich vorhin gesungen habe, da... da hat mich was befreit, die letzten Zweifel, die ich in mir getragen habe, die ganze Zeit über. Ich habe das echt geliebt. Als es allen dann so gefallen hat, gleich noch mehr. So einen Moment hatte ich noch nie. So ein Gefühl. Als mir dann diese Typen, die wider meiner Erwartungen wirklich seriös waren, einen Plattenvertrag angeboten haben, da... wusste ich gar nicht, wohin mit diesen Glücksgefühlen. Ich sagte: 'Hier ist meine Handynummer, ich muss weg und sag euch dann, ob ich es tun werde.'. Ich wollte eine so wichtige Entscheidung auf keinen Fall ohne dich fällen. Ich... ich will Idol werden, aber... ich will dich nicht verlieren.", sie sieht zu Boden. Wow. So viel dazu, dass die Typen vom Kamikaze-Channel keine Bedrohung mehr für uns darstellen. Zugegeben, dass muss ich erst verdauen. Das Musikbusiness ist hart. Kaum irgendwo sonst werden aus Verzweiflung so viele Drogen genommen und Depressionen entwickelt, weil man es nicht aushält oder einen Ausweg kennt. Dieses Business ist wie eine radioaktive Torte. Sieht erst supersüß und krass cool aus, aber wenn du näher rangehst, könnte es dich weghauen, wie die Abrissbirne aus dem Wrecking Ball-Musikvideo. So viel dazu. "Ich gebe dir den Laufpass.", rede ich wieder. "Wie kannst du es wagen, mich heiraten zu wollen, nur um dann mit mir Schluss zu machen?!", keift sie. "D-d-d-das meine ich doch überhaupt nicht, Dummkopf! Ich meine, dass du Idol werden sollst, wenn du Idol werden willst. Es ist dein Traum, oder etwa nicht?", rette ich mich und atme durch. "An meinen Gefühlen hat sich nichts verändert. Ich will dich nach wie vor heiraten. Ich will mit dir alt werden. Immer bei dir sein. Ich will mit dir leben und der Vater unserer-", "Meine Güte, soweit kannst du doch nicht jetzt schon denken!", unterbricht sie mich und wird rot. Das mit dem Kinderzeugen ist wohl noch kein Thema. "Ich kann nicht glauben, dass du mich einfach gehen lässt, Taiyo. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, bis ich zurückkehren kann, um dich zu heiraten und ein normales Leben zu führen. Mir ist klar, dass ich das nicht lebenslänglich machen kann. Auch Idols altern und dann will keiner mehr etwas von ihnen wissen. Bist du echt okay in der Hinsicht?", sieht sie mich wieder an und auch wenn sie es nicht weiß, ihre Auge flehen mich an, Ja zu sagen. Ich sehe, es ist ihr Traum, ich lasse ihn wahr werden, auch wenn das heißt, dass ich lebenslänglich auf dieses Mädchen warten werde. "Du hast doch einen Knall!", flüstert sie, ehe ich meine Stirn an ihre presse. "Und dafür liebst du mich.", erwidere ich das Flüstern. "Ich werde dich nicht zu lange warten lassen.", flüstert sie schon wieder. "Das freut mich.", flüstere auch ich. "Ich liebe dich, Taiyo.", du kannst dir denken, welches Verb hier eingefügt wird. "Und ich liebe dich, Hanako.", und es ist das gleiche bescheuerte Verb. Dann herrscht wieder Stille. "Ich werde all deine Platten kaufen.", hauche ich, bevor ich sie wieder dazu bringe, meinen Kuss zu erwidern. Es ist ein trauriger Kuss, ein unausgesprochenes "Auf Widersehen." und ein unausgesprochenes "Hallo, wie geht's?". Unsere Beziehung wird sich verändern und so auch wir. Wir beide wissen das. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, bis wir beide wirklich und zwar so richtig zusammen sind. Das steht in den Sternen, die uns heute Nacht begrüßen werden. Wir lösen uns wieder voneinander. "Was... sagt man in einer Situation wie dieser?", fragt sich Hanako. "Ich weiß auch nicht, 'Bis zum nächsten Mal!'?", rate ich. "'Bis zum nächsten Mal.' klingt gut.", findet sie. Wieder schweigen wir peinlich. Dann finden sich unsere Hände. "Lass uns zusammen zurückkehren, ehe wir beide schon wieder aufeinander warten müssen.", schlage ich vor und Hanako stimmt stumm zu. Dann laufen wir den langen beschwerlichen Weg zurück zur Schule, zu unseren Freunden. Egal wie hart und steinig der Weg vor uns sein mag, er ist begehbar wie der Garten unserer zukünftigen Nachbarn. Was auch immer die Zukunft für uns bereithält, im Herzen sind wir immer vereint. Total kitschig, ich weiß. Aber ich bin nun mal ehrlich. Und dafür liebt sie mich.
Ein Oneshot vom
6. April 2020 bis zum
9. April 2020 über Hanako und Taiyo, der nach dem Schulabschluss spielt. Bei besagtem Schulabschluss hat sie den Song
tsubasa wo kudasai gesungen, für den ich damals sogar deutsche Lyrics geschrieben habe. Hanako hat für ihren Auftritt von irgendwelchen Leuten, die aus welchem Grund auch immer dabei gewesen sind, einen Plattenvertrag bekommen, bevor sie Taiyo für einen Spaziergang entführt hat. Man muss zudem noch wissen, dass sie an der Stelle ein Paar sind. Taiyo will Polizist werden, wie sein Vater,
denn natürlich will er das. Und er hat Hanako, nachdem Akane getötet wurde und sie durch den Friedhof gewandert sind, einen Antrag gemacht.
Denn natürlich hat er das.
Taiyo unterstützt sie in ihrem Vorhaben, ein Idol zu werden, auch wenn er besorgt darüber ist, was die Musikindustrie mit den Leuten in der Vergangenheit schon gemacht hat und was Hanako blühen könnte, wenn sie diesen Weg einschlägt.
Sie einigen sich darauf, mit der Hochzeit zu warten, bis Hanako fertig damit ist, ein Idol zu sein, was wie der Rest dieses literarischen Meisterwerks total viel Sinn ergibt und überhaupt gar nicht komisch ist.
Ich weiß, dass Idols, die keinen Partner haben, die begehrtesten sind, aber das macht kein Stück besser, was irgendwer, der sich diesem Text ausgesetzt hat, lesend war.
7.9. Enemy's Ambition - Chroniken von Mikoto Asahina
Klappentext
Disclaimer: Dies ist eine Sidestory von CONDENSE - An jenem schicksalhaften Regentag. Wenn du diese Geschichte noch nicht gelesen beziehungsweise gehört hast, dann rate ich dringend, dies zuerst zu tun, um das hier zu verstehen. Ansonsten, viel Spaß bei Asahinas Backstory!
Mikoto ist der Hass in Person. Er hat Schreckliches erlebt. Die Kontrolle über sein Leben besitzt er schon lange nicht mehr. Nichts geht mehr so, wie er es sich wünscht. Dabei wünscht er sich nichts mehr als Liebe und Zuneigung. Dieses Leben besteht nur noch aus Leid, Eifersucht und Schmerz. Es ist nur noch eine Anreihung Ereignisse, die seinen Zorn entfachen und ihn in ein immer größeres Tief von Selbsthass und Missgunst drängen. Er hat keinen Ort, an dem er diesen Frust auslassen kann, bis er eines Tages, jemanden begegnet, den er noch mehr verachtet als sich selbst. Elvis Kyokei, dieser Neue aus seiner Klasse, für den alle Mädchen schwärmen, das Wunderkind mit den guten Noten und dem schönen Gesicht. Alles, wovon er nur träumen kann. Eines Tages geraten diese beiden aneinander und somit bricht der Anbeginn einer dreijährigen Feindschaft an, die am Ende fast zu einer Tragödie führt.
Der Fremdscham erregende (noch zu löschende) Oneshot in voller Länge;
Ketten der Vergangenheit. Im Kerker des Schicksals. / Triggerwarnung: Übermäßige Gewalt, Tod
E: 26.05.2020
U: 28.05.2020
Ich bin Mikoto Asahina, fünfzehn Jahre alt und letztens habe ich beschlossen, diesen Idioten, der hinten am Fenster sitzt, zu hassen. Dieser Kerl hält sich wohl für besonders toll. Ich kann ihn nicht ausstehen! Es begann alles letzte Woche, als dieser Typ in unsere Klasse gekommen ist. Allein, dass er existiert, entzürnt mich so sehr, dass ich beim Gedanken an ihn drei Bleistifte geschrottet habe. Und das liegt nicht daran, dass ich generell ein hasserfülltes Arschloch bin. Ich denke an diesen Tag zurück, als wir diesen neuen Schüler bekommen haben. Nichts dergleichen war an seinem Auftritt irgendwie normal. Wirklich nichts!
Ich saß wie üblich gelangweilt auf meinem Platz und dachte mir nichts. Ich war sogar fast eingeschlafen, als die Katsuoka, unsere Lehrerin, hereinkam und unsere Aufmerksamkeit erregte. Denn sie war nicht allein. Ein Schüler folgte ihr. Ich musterte ihn. Komische Frisur. Gerader Pony, zwei Strähnen an jeder Seite und der Rest kurz? Worum hatte er seinen Friseur bitte gebeten? Lass mich aussehen, als wollte ich geschlagen werden? So richtig ins Gesicht? Obwohl diese Frisur ihn noch einmal wie einen kompletten Idioten aussehen lässt. Trotz dem fragwürdigen Haarschnitt ist er nicht einmal hässlich. Er ist ziemlich schlank, hat reine Haut und rote Augen, die aussehen, als wäre er in den Fernseher gesprungen, hätte gegen Sasuke gekämpft und sein Sharingan geklaut. Und seine Frisur sieht entfernt auch ein wenig aus wie die von Sasuke. Das ist jetzt nicht sein verdammter Ernst. Wer schneidet sich denn bitte die Haare so komisch und trägt rotfarbige Kontaktlinsen, nur um wie ein Anime-Charakter auszusehen? Ist der vollkommen irre? "Liebe Klasse 1-4, ich... ich weiß, dass das vielleicht ein wenig seltsam so am Anfang des neuen Schuljahres kommt, aber... wie ihr seht haben wir einen neuen Schüler unter uns.", sagte sie an, zeigte auf den Typen neben ihr und gab ihm etwas Kreide in die Hand, damit er seinen Namen schreiben konnte. Noch nie sah ich jemanden so schnell schreiben. Als wenn er die ganze Zeit nie etwas anderes getan hatte. Dann starrte er wieder der Klasse entgegen. Er starrte einfach nur und blinzelte ab und zu. "Willst du denn überhaupt nicht deinen Namen verraten?", fragte Katsuoka. "Elvis Kyokei.", antwortete er. Was war denn das für ein Name? "Ähm... Kyokei-kun, willst du der Klasse denn nicht ein wenig über dich erzählen?", hakte sie weiter nach. "Ich verstehe nicht ganz, was die anderen mit den Informationen anfangen sollen. Und selbst wenn, da ist nichts, was interessant genug wäre, um es zu erzählen. Verzeihung.", entschuldigte er sich emotionslos. "Also ich finde, zwei Wochen zu spät zur Schule zu kommen, ist definitiv interessant genug.", entgegnete ich durch die Klasse. Sein Blick verfinsterte sich. "Asahina-kun, ich muss doch wirklich bitten.", mahnte mich die Lehrerin. "Asahina, also? Ich kenne dich nicht. Und du mich definitiv noch weniger. Ich verstehe nicht. Wieso bist du so scharf auf mich?", wollte er im selben neutralen Tonfall wissen. Daraufhin brach die Klasse in Gelächter aus. "Pff, ich wusste gar nicht, dass Asahina auf Jungs steht.", hörte ich jemanden im Gekicher spekulieren. Dieser Kyokei guckte etwas verwirrt drein, als wenn er sich gar nicht bewusst war, wie diese Formulierung eigentlich rüberkam. Ich biss die Zähne zusammen. "Liebe Klasse, bitte beruhigt euch wieder. Kyokei-kun, fahr bitte fort.", damit wurde es wieder ruhiger. "Wie gesagt, wenn Sie wirklich darauf bestehen, Katsuoka-sensei. Ich gebe mein Bestes. Ich heiße Elvis Kyokei, ich bin fünfzehn Jahre alt und ich lese gerne. Reicht das?", wollte er wussten. "Ich denke schon, du kannst dich setzen. Such dir einfach einen der freien-", die Tür wurde aufgerissen und eine weitere Person betrat das Klassenzimmer. Ach was, sie stürzte herein. "Oh mein...", das war Egaoshita. Seine Augen weiteten sich, als er Kyokei sah. "Egaoshita-kun, du bist zu spät. Wir haben gerade einen neuen Schüler bei uns willkommen geheißen. Das ist Elvis Kyokei.", fasste sie für den Zuspätkommer zusammen. "Aha.", entgegnete er nur. Kyokei drehte sich zu Egaoshita und verbeugte sich. "Sehr erfreut.", begrüßte er ihn mit der gleichen Manier wie auch die ganze Zeit vorher. "J-ja, gleichfalls... schätze ich.", Kyokei ging weg und setzte sich hinten ans Fenster. "Egaoshita-kun, willst du an der Tür Wurzeln schlagen oder was ist?", weckte ihn die Katsuoka aus seiner Winterstarre. "J-ja...", stammelte er und setzte sich neben Kyokei. Damit begann die erste Stunde und ich kam immer noch nicht darüber hinweg, wie arrogant dieser Typ meine Beliebtheit zunichte gemacht hatte. Obwohl, die hatten mich ja auch vorher nicht sonderlich gemocht.
Der blöde Asahina. Volldepp. Hässlon. Oder wie ich noch genannt werden könnte, sofern alle die Busfahrerin aus South Park kennen und wissen, was dieses Wort eigentlich bedeutet: Abgenudelter Hurenbock. Ich meine, es würde mich nicht wundern, wirklich so genannt zu werden, echt. Verstehst du jetzt, wieso ich ihn nicht ausstehen kann? Er ist arrogant, tut einen auf cool und verspottet mich. Am nächsten Tag gerieten wir aneinander. Es war keine Prügelei. Die Konversation sah etwa so aus:
"Macht es dir eigentlich so einen Spaß, so ein Fake zu sein, Sasukei?", spuckte ich förmlich aus.
"Was meinst du? Und so heiße ich überhaupt nicht.", sagte er und sah genervt aus.
"Ich meine, dass du absolut lächerlich bist. Neuer, schön und gut, aber dafür musst du nicht so edgy drauf sein und rote Kontaktlinsen tragen. Pass lieber auf, dass die anderen nicht sehen, wie uncool diese falsche Coolness ist.",
"Ich verstehe nicht. Lächerlich, das ist Ansichtssache. Wenn du mich komisch findest, dann meinetwegen. Ich soll cool tun? Was würde mir das bringen? Und Kontaktlinsen? Fehlanzeige, meine Augen sehen immer so aus.",
"Pff, ist ja auch egal. Nicht mein Problem. Du bist das Letzte.",
"Wenn dich das glücklich macht.",
"Was stimmt nicht mit dir? Hast du überhaupt zugehört? Hörst du dir eigentlich selber zu? Ich hasse dich!",
"Wenn dich das glücklich macht.",
"Aaaarrrgghh….",
Dann bin ich knurrend weggelaufen. Er macht mich einfach sauer. Es ist einfach so, Kyokei ist mein Erzfeind. Nicht nur, weil er direkt sowas von wegen scharf raushauen muss, nur weil ich der Einzige in der Klasse bin, der ein bisschen misstrauisch ist. Das war eine absolut nachvollziehbare Handlung. Völlig human. Ein bisschen unhöflich, rau und vorlaut... aber human. Das ist alles, was ich kann: Mensch sein. Zwar kein besonders guter, herausstechender, aber immerhin ein Mensch. Dieses Wort gibt mir einen Stich. Beim Gedanken an Menschlichkeit tut mein Herz ein bisschen weh. Das letzte Mal, als ich ein guter Mensch sein wollte, war ich damit gleichzeitig ein schlechter, weil ich nur an mein eigenes Wohl gedacht habe, wenn ich denn ganz ehrlich bin. Ich dachte nur an mich, nur meinetwegen sollte alles wieder annähernd so sein wie damals, als alles noch gut war. Ich war nur ihretwegen stark. Meiner Eltern wegen. Und obwohl ich der Junge war, der Schreckliches erlebt hat, bin ich überhaupt nicht nett. Es stimmt nicht, dass traurige Menschen das freundlichste Lächeln haben. Zumindest nicht bei mir. Schon wieder denke ich an diesen Tag zurück, ab dem ich seither für niemanden mehr Liebe empfinde als für meine Eltern. Es war die schlimmste Nacht meines Lebens. Die Nacht, die mir bewiesen hat, dass Freundlichkeit am Ende keinen Menschen, der dir wichtig ist, davor bewahrt, dir weggenommen zu werden. Dass Menschen, die außer nett sein, nichts drauf haben, wertlos sind. Und dass man es gar nicht erst versuchen muss, wenn man weiß, dass das eigene Herz nicht so rein und freundlich ist.
"Mama, können wir Bubbletea kaufen? Ich will unbedingt!" , flehte ich meine Mutter an und klammerte mich an ihrem Hosenbein fest, bevor wir das Haus verließen. "Aber sicher doch! Wenn du heute für die Weihnachtseinkäufe brav bist, können wir Bubbletea kaufen, Mikoto!", motivierte sie mich, durchzuhalten. "Ja!", freute ich mich, doch ehe wir wirklich einkaufen gingen, ging die Tür auf und mein Vater kam raus. "Ich bin dann so weit! Lass uns einkaufen!", "Yay!", auch das war ich. Mit den Händen von beiden in meinen kleinen Kinderhänden gingen wir durch die beleuchteten Dezemberstraßen und besorgten alles, was wir brauchten. Auch ich konnte hinter der prall gefüllten Einkaufstüte weder meine Füße, geschweige denn meinen Weg sehen. "Können wir jetzt Bubbletea essen?", drängte ich wieder. "Mikoto, das ist zum trinken, dass isst man nicht.", korrigierte mich mein Vater. "Aber das kaut man auch. Ist es falsch zu sagen, dass man nicht kaut, sondern isst?", wollte ich wissen. "Na ja, Kaugummi kaut man ja auch. Aber wenn du ihn essen würdest... sagen wir mal so, das wäre alles andere als dasselbe.", erklärte er es so, dass auch ich endlich verstand. "Wow, Papa, du bist so schlau!", bewunderte ich ihn. "Ach, nicht wirklich. Das mit dem Kaugummi hätte sonst wer klären können.", stritt er es ab. Ich freute mich einfach, dass es Bubbletea gab. Wir setzten uns in den Laden, stellten unsere Einkaufstüten unter den Tisch und tranken das Getränk, auf dass ich mich schon von Anfang an gefreut hatte. Es war eigentlich viel zu kalt für ein Eisgetränk, aber meine Eltern hatten trotzdem nicht versucht, es mir auszureden. Auch wenn ich innerlich tatsächlich fror und versuchte, mir nicht anzumerken, dass Bubbletea im Dezember nicht die beste Idee war, die ich jemals hatte, genoss ich jeden Schluck davon, einzig und allein deshalb, weil jemand so nett war, es für mich zu besorgen. Ich hatte nie abgelehnt, wenn mir jemand Zuneigung entgegenbrachte, indem er nette Dinge für mich tat. In der Schule war ich auch immer lieb zu allen, auch wenn die dafür nicht besonders zurück lieb waren. Ich hatte nie aufgegeben, eines Tages auch ihre Zuneigung zu spüren. Es war einfach so, egal, wie lange ich brauchen würde, Zuneigung fühlte sich viel zu gut an, als dass ich auf sie verzichten könnte. Ich hatte gehofft, wenn ich lange genug war wie ich war, würden sie diese Handlungen meinerseits erwidern. Ich war regelrecht besessen von der Zuneigung anderer. Weil ich Einzelkind war, wollte ich die Aufmerksamkeit, die mir galt, für nichts auf der Welt teilen. Das wiederum machte mich zu einer weniger netten Person. Es war ist nicht nett, nett zu sein, nur um seinen selbstsüchtigen Gelüsten nachzugehen. Doch ich kam damit durch, auch wenn die Erwiderung meiner Freundlichkeit noch immer ausblieb. Ich war wildentschlossen. Ich lebte mein Leben uns nichts war verkehrt daran. Ich bekam meine Liebe und mehr zählte nicht. Doch dieser Zustand sollte schneller gestört werden, als ich gucken konnte. Eines Nachmittages baten mich meine Mutter und mein Vater zu sich ins Schlafzimmer. Ich dachte mir nichts dabei, also tat ich brav, was man mir sagte. Ich setzte mich also mit auf das große Doppelbett und wartete darauf, dass meine Eltern mir endlich erzählten, was um alles in der Welt so dringend erzählt werden musste. "Mikoto, du bist jetzt bald acht Jahre alt, nicht wahr? Du bist doch schon ein großer Junge, nicht wahr?", spielte mein Vater an. "Ja, wieso? Natürlich bin ich ein großer Junge.", antwortete ich. Meine Eltern tauschten kurz Blicke aus und sahen dann wieder mich an. "Wir haben dir etwas zu sagen.", begann meine Mutter und atmete ein. "Wir sind bald zu viert.", sagte sie und lächelte. "Bekommen wir einen Hund?", fragte ich und meinte fast, das Strahlen meiner Augen zu spüren. Mein Vater lachte kurz auf und erklärte mir wieder Dinge, die ich nicht verstand. "Haha, nein, mein Sohn, es... es ist aber vielleicht sogar noch besser. Ein Tipp: Es ist ganz in der Nähe.", soufflierte er. Mir schwante nichts Gutes. Alles, nur das nicht! "Ähm... eine Katze?", riet ich und merkte, wie unsicher mein Tonfall klang. Meine Eltern merkten das und kicherten erneut. "Nein, es ist überhaupt kein Tier. Du bekommst bald ein Haustier, wenn du alt genug bist. Aber fürs Erste... wirst du großer Bruder! Du bekommst ein Geschwisterkind!", löste meine Mutter das Rätsel aus und ich fiel aus allen Wolken. Bitte was wurde ich? Bruder? Das konnte doch nicht sein! Das... "Mikoto? Ist alles in Ordnung?", erkundigte sich mein Vater nach mir. "J-ja! Alles super. Ich... freu mich total.", überspielte ich es schwach. "Ach, Mikoto!", sagte mein Vater meinen Namen und strubbelte mir durchs Haar, wie er es oft tat. "Das wird toll, wirst schon sehen. Du kannst dem Geschwisterkind alles beibringen, was du weißt. Du hast jemanden zum Spielen und dir ist nicht mehr langweilig, wenn wir zur Arbeit müssen. Wirst schon sehen!", da musste ich wirklich etwas schmunzeln, auch wenn ich mich nur in sehr geringem Maße besser fühlte. Meine Tage, in denen die Liebe, die ich wie Luft zum Atmen brauchte, allein mir gehört hatte, waren gezählt. Dennoch riss ich mich am Riemen und beschloss weiter, nett zu sein, und wenn es alles war, wozu ich fähig war. Mir war klar, dass nie wieder etwas so sein werden würde wie bisher, aber ich wollte mir wirklich Mühe geben, egal wie sehr sich meine Bemühungen und mein Egoismus ineinander verbissen. Ich war ein guter Junge und deshalb war ich auch am nächsten Tag scheinbar besser gelaunt als sonst. Meine Eltern schienen zwar zu merken, dass ich mit mir rang, doch sie waren mir nicht böse und bewunderten viel mehr meine Reife, wenn man davon überhaupt sprechen konnte. Vier Monate vergingen. Meine Eltern und ich gingen zum Arzt, um das Geschlecht des Babys zu erfahren. Auf dem Weg dahin konnte ich im Auto vor Aufregung fast nicht stillsitzen. Ich wünschte mir einen Jungen, ich wollte so gerne einen Bruder, dass es wehtat. Die Mädchen in meiner Klasse waren komisch, nicht so gemein, aber irgendwie zickig. Waren denn alle Mädchen so? Ich weigerte mich, reif wie ich scheinbar war, zu glauben, dass sie alle so seien, doch ich wollte es andererseits auch nicht darauf ankommen lassen. Ich wollte nicht eine Person mehr haben, die mich schräg anstarrte und auch noch Liebe wegnahm. Beides zusammen war ganz sicher keine Option. Doch meine Erwartungen wurden enttäuscht. Es wurde ein Mädchen, doch ich versuchte, keine Schwäche zu zeigen und wie ein Mann die Fassung zu bewahren, wie mein Vater manchmal sagte, wenn ich quengelte. Auch wenn ich es albern fand, einen auf cool zu tun, nur weil ich einen Schniedel hatte, stand ich es dennoch durch und freute mich sogar ein klein wenig, als ich das Baby sich bewegen sah. Ich war trotz dessen, dass ich ja augenscheinlich enttäuscht sein sollte, hin und weg vom Ultraschallbild. Ich fasste es von vorne bis hinten nicht, dass da wirklich ein anderes Kind in meiner Mutter drin war und ich auch mal so ausgesehen hatte. Es war, als würde ich durch dieses rauschende Flackerbild in eine andere Welt sehen. Zu Hause hatte ich mich das erste Mal seit vier Monaten getraut, den Bauch meiner Mutter anzufassen. Vorher hatte ich, wie mein Vater sagte, den Mann gespielt und versucht, es gar nicht an mich heranzulassen oder weich zu werden. Doch auch ich hatte meine Grenzen und die waren schon länger erreicht, als ich zugab. Als ich ihn berührte, spürte ich meine Schwester zappeln. Sie schien schon ordentlich Temperament zu haben und schien alles tun zu wollen, um bemerkt zu werden. Diese Eigenschaft teilten wir. Von diesem Tag an hatte ich das Baby richtig lieb. Ich vergaß sogar meine Besessenheit und fokussierte mich nur noch auf das Wohl der Familie Asahina. Bald bekam meine ungeborene Schwester sogar einen Namen. Er war an meinen Namen angelehnt, an den ihres Bruders, der vergessen hatte, wie selbstsüchtig er eigentlich war. Makoto Asahina. Tief im Innern fühlte ich mich geehrt, dass ich als Inspiration herhalten durfte. Die Monate vergingen und der Tag der Geburt meiner kleinen Schwester rückte immer näher. Den Bauch meiner Mutter und somit auch meine Schwester zu streicheln wurde allmählig mein größtes Hobby und es gab kaum etwas, dass mich mehr erfüllte, als umso netter zu sein. Es machte so einen Spaß, dass ich mir einbildete, mir sei egal, dass niemand genauso nett war wie ich mich gab. Doch nichts blieb wie es war. Weder mein Glück noch meine selbstgefällige Freundlichkeit waren für die Ewigkeit bestimmt. Ich hatte vergessen zu erwähnen, dass ich das mit der Schwangerschaft meiner Mutter erst im März erfuhr. Da hatte zumindest alles angefangen, sagte meine Mutter. Als ich sie fragt, wie sie darauf kam und wie solche Babys überhaupt entstanden, sagte sie bloß, ich würde das verstehen, wenn ich älter sei. Dann war ich beleidigt. Der Tag, an dem sich alles änderte und meine kindliche Seele sich niemals vom Schaden erholt hatte, spielte sich an Silvester ab. Seither hasste ich diesen Tag. Nie würde ich der sein, der ich einmal war. Das spielte sich alles also beinahe exakt ein Jahr nachdem wir genüsslich Bubbletea tranken, ab. Wir waren gerade auf der Terrasse und sahen uns das Feuerwerk an. Dieses Jahr gingen wir nicht raus. Die Aussicht von Hof bei uns zu Hause war grottig und einen tollen Platz zu suchen, würde uns auch wieder Zeit kosten. Außerdem hieß es, meine Mutter sei überfällig und könnte jederzeit das Baby kriegen, egal wie ungünstig es gerade war. Mein Vater wollte einfach das Auto in der Nähe haben, falls es soweit sei. Auch das verunsicherte mich. Jederzeit könnte sich alles verändern, egal wo und wie. Jederzeit könnte mir die Liebe abhanden kommen. Mir war klar, dass sie mich nicht weniger lieben würden, ich war mir dem wirklich völlig bewusst. Doch das reichte nicht, um mein armes Herz zu trösten und dafür hasste ich mich. Ich hatte nicht vergessen, dass das immer noch keine echte Nettigkeit war, sondern nichts als eine alltägliche Routine, ein Hilfeschrei aus Verlangen nach Zuneigung. Doch auch das vergaß ich für die Feuerwerke, die mich wie jedes Jahr vollkommen in ihren Bann zogen. Sie waren einfach wunderschön anzusehen. So nah und doch so weit weg. So greifbar und strahlend hell, so laut und auffällig, so beliebt. Doch mit einem Mal zerriss der Zauber dieser Nacht, als die Haustür unserer Wohnung zertrampelt wurde und dieser Mann in der Türschwelle kurz davor war, mir alles wegzunehmen. "Midori Asahina, du bist erledigt!", gröhlte der Kerl und schmiss einen schon gezündeten Böller in meine Richtung. Ich war vor Schreck vom Knall der Tür immer noch bewegungslos und kniff nur die Augen zu, trotz der Angst in meinen gefrierenden Adern. "Mikoto!", schrie meine Mutter, warf sich mir um den Hals und sprang zur Seite. Dann sah ich orangerotes Licht und die Explosion zerriss mein Trommelfell. Mit einem Mal hörte ich nichts mehr. Ich bekam gehörlos mit, dass der Mann eine Waffe zog und auf meinen Vater zielte. Dieser fiel. Und ich konnte mir nur vorstellen, wie er dabei vor Schmerzen schrie. Der Mann nahm augenscheinlich an, dass ich ebenfalls bewusstlos war, also schenkte er mir nicht weiter Beachtung. Ich versuchte aufzustehen, als der Mann mir den Rücken kehrte und scheinbar nach etwas suchte, als ich merkte, dass Blut in meinem Gesicht klebte. Ich war voll davon. Doch ich schrie nicht. Ich schlug die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien oder brechen zu müssen, als ich meine Mutter sah. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Gesicht voller Blut. Ich sah ihre Lippen zittern und sie atmete nur noch ganz schwer. Ich sah zu meinem Vater, bei ihm wusste ich nicht, ob er noch atmete. Verdammt, ich musste etwas tun. Ich sah den Mann in mein Zimmer gehend. Dass sah ich als Chance. Er würde mich nicht kommen sehen. Ich schob zerrissenen Herzens meine Mutter von mir und schlich in die Küche. Für einen Achtjährigen war das doch Wahnsinn, so etwas zu spüren! Was tat ich also da? Wieso ging ich zur Küchenzeile? Was suchten meine Hände am Messerhalter? Wieso schlossen meine Finger sich um das größte von allen? Wieso hatte ich ein zittriges Lächeln auf meinem Mund? Der Mann schien die Suche nach der Gewissen Sache aufgegeben zu haben und war nun gerade auf dem Weg zurück. Aber nein, nicht mit mir. Ich wusste nicht, ob es wirklich so war, aber so, wie ich lossprintete und der Mann sich umdrehte, die Augen aufriss und das Gesicht verzog, hatte ich geschrien und das Messer in seiner Brust versenkt. Er hatte nicht einmal Zeit, einer seiner Waffen zu ziehen, geschweige denn, mich abzuknallen. Er hatte mich völlig vergessen. Und ich mich auch. Das, was ich da fühlte, war nichts als kalter Hass. Mein Frust ging endgültig mit mir durch, nein, er ritt mich. Wem machte ich was vor, meine Freundlichkeit wurde in so einer egoistischen Welt nicht wertgeschätzt und ich selbst war nicht nett, wenn ich das nur für mich selbst tat. Und selbst wenn ich weiter nett wäre, die Menschen könnten mich dennoch hintergehen, mich verletzen. Oder sie wurden mir einfach genommen. All der Hass auf die Undankbarkeit aller und meiner eigenen erbärmlichen Existenz umhüllte mich und machte ein Monster aus mir. Ich stach noch weiter und weiter auf ihn ein, und so, wie mein Hals schmerzte, schrie ich dabei weiter. Ich hatte nicht vergessen, was ich dabei fühlte, als ich das Messer in seinen Körper ein- und ausdrang. Ich spürte noch immer das Lächeln in meinen Mundwinkeln. Es war eine Genugtuung für das, was er meinen Eltern angetan hatte. Er war das Ventil für meinen Hass, meine grenzenlose Enttäuschung von allem. Es hatte Spaß gemacht! Es hatte Spaß gemacht, ihn leiden zu sehen, zu sehen, wie ich stark genug war, dass das Leben aus diesem Mann drang, der viel älter war als ich und dennoch gegen mich verlor. Er starb unter meinem Sitz. Ich hatte ihn getötet. Der Boden war voller Blut. Meine Socken waren nass. Noch nie hatte ich nasse Socken so sehr gehasst wie in diesem Moment. Noch nie hatte ich mich selbst so gehasst. Nachdem ich realisierte, dass ich ihn mit Vergnügen ermordet hatte, war ich nur noch angewidert von mir. Ich verstand meine eigenen Gefühle nicht. Ich ließ vom toten Mann ab und sah, dass meine Mutter sich vor Schmerzen krümmte. Ich hörte sie nicht nach Hilfe schreien. Das ging ja nicht mehr. Aber es schien, als hätte es etwas mit ihrem Bauch zu tun. Es sah aus, als würde das, was sie seit Monaten mit sich herumtrug, nun ans Licht kommen. Sie bewegte sich und ich sah, wie groß die Blutlache wirklich war. Ich sah zu meinem Vater, dessen Blutlache fast genauso groß zu werden schien. Was danach geschah, wusste ich nicht mehr. Ich bekam nur noch mit, wie unsere Vermieterin durch die offene Tür starrte, die ganze Szenerie gesehen hatte und mir schwarz vor Augen wurde.
Als ich aufwachte, lag ich im Krankenhaus. Ich hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Es fühlte sich alles so unwirklich an. Doch ich hörte augenblicklich wieder etwas. Ich hätte fast vor Erleichterung aufgelacht, doch stattdessen hat ich nichts. "Wie schön, dass du wach bist, Mikoto-kun.", sagte die Krankenschwester, als ich richtig zu mir kam. "Wo sind meine Mama und mein Papa?", war das Erste, was ich sagte. "Es geht ihnen gut. Man könnte sagen, sie haben großes Glück gehabt.", erzählte sie mir. Ich musste sie sehen. Ich musste sehen, ob es ihnen, meiner Mama, meinem Papa und auch meiner kleinen Schwester, auch wirklich an nichts fehlte. Ich stand auf und sah zur Tür. "Kann ich sie sehen?", bat ich und die Frau nickte nur stumm. Ich begleitete sie ins Zimmer meiner Eltern, um die beiden fast schon leblos in Betten liegen zu sehen. "Mama! Papa!", schniefte ich und trat zwischen die Betten. Ich tippte erst meinem Vater auf die Schulter, dann öffnete er die Augen und lächelte müde. Schon einmal einer von ihnen hatte überlebt. Dann sah ich zu meiner Mutter, von Nahem und schluckte. Irgendwas stimmte absolut nicht mit ihr. Sie hatte viel mehr Verbände am Kopf als mein Vater. Und ihr Bauch war letzte Nacht doch auch noch viel größer. Meine Schwester ist doch da gewesen. Sie war verdammt noch mal dabei, auf die Welt zu kommen! "Mama! Mama, was ist mit Makoto-chan? Wo... wo ist dein Ohr? Mama, was ist gestern passiert?!", keuchte ich völlig außer Atem. "Miko...to, … du...", doch mein Vater half mir zum ersten Mal nicht. Ich hatte keine Ahnung, was er mir sagen wollte. Ich hatte keine Ahnung, ob er selbst überhaupt Ahnung davon hatte. "Mikoto-kun, deine Mutter... hat gestern das rechte Ohr verloren.", sagte mir die Krankenschwester zögerlich und wandte mir den Rücken zu, um zu gehen. "Warte! Was ist mit meiner Schwester?! Mama war doch gestern viel dicker, dass muss doch irgendwer gesehen haben! Komm zurück, du blöde Hobelschlunze und renn nicht weg!", keifte ich, doch dann hörte ich wieder meinen Vater sich räuspern. "Mikoto… ich... also, deine Mutter... gestern... ich kriege es nicht übers Herz, aber... ich muss es dir sagen... Dir sagen, dass... Makoto es nicht geschafft hat.", sagte er mit der geringen Kraft, die er noch hatte. Die Schusswunde schien ihn immer noch zu schwächen. "Was soll das heißen, Makoto-chan lebt nicht mehr?! Ich dachte... ich dachte...", stammelte ich. "Ich kann es doch auch nicht glauben! Ich tue es immer noch nicht! Aber so ist es nun einmal und ich kann nichts tun, um ihr zu helfen!", fauchte er plötzlich, wovon die Schmerzen wohl noch schlimmer wurden. Er zuckte zusammen und fluchte leise. "Es tut mir leid... Es tut mir leid, Sohnemann. Aber wir müssen jetzt stark sein. Zum Mann sein gehört auch, einen Verstorbenen in Ehren zu halten... Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, mein Sohn. Makoto Asahina… lebt nicht mehr.", schluchzte er. Bis heute gab ich diesem komischen Kerl, der meiner Mutter eins auswischen wollte und vor allem mir selbst die Schuld am Tod meiner Schwester. Ich hatte nämlich nichts Besseres zu tun als zu morden und das Bewusstsein zu verlieren.
"Mikoto, wie war denn die Schule?", fragt mich mein Vater beim Abendessen. Ich zucke zusammen. "In Ordnung.", brumme ich. "Wo ist Mama?", frage ich. "Macht wieder Überstunden, weißt du doch.", beantwortet er meine Frage. "War eine Frage ohne Sinn. Weiß ich ja wirklich. Ich finde ja, sie kann ruhig 'nen Gang zurückschrauben.", gebe ich meinen Senf dazu. "Du weißt ja, wie sie ist. Sie lässt sich nicht aufhalten.", sinniert mein Vater. Er hat recht. Meine Mutter ist schon immer sehr ehrgeizig gewesen, aber seit dem Vorfall an jenem Jahresende, ist sie noch viel zielstrebiger und zeigt fast gar keine Schwäche mehr. Sie hat eine Menge durchgemacht. Hat ihr Ohr verloren und dann ist auch noch das Baby gestorben. Totgeburt oder so. Wie das mit ihren Verletzungen zusammenhängt, kann man nicht genau sagen. Es war alles eine ekelhafte Mischung aus Zufall und Terroranschlag. Ein schrecklicher Abend. An dem Menschen verletzt worden sind, der Täter gestorben ist und jemand Unschuldiges, ehe er überhaupt sprechen konnte. Man hat meine unverzeihliche Art als einen Akt der Notwehr abgestempelt, aber ich fühle das nicht. Ich hatte jemanden kaltblütig ermordet. Weil er meine Familie verletzt hatte. Und allerspätestens dann merkte ich, dass ich wirklich niemals nett gewesen bin. Und auch das meine Schwester nicht gerettet hätte. "Du bist heute aber ganz schön böse auf den Fisch.", kommentiert mein Vater, als ich in Gedanken versunken bin. "Ich habe keinen Hunger mehr.", sage ich an und verschwinde in mein Zimmer. "Warte, Mikoto-", "Ich räume den Tisch nachher ab!", schneide ich ihm das Wort ab und lasse mich wenig später im Zimmer auf mein Bett fallen. Ich drehe mich zur Wandseite und betrachte die Babypuppe, die auf dem Fenstersitz platziert ist und mich unschuldig anstarrt. Nach dem Tod meiner Schwester hatte ich mit meinem eigenen Geld ein falsches Baby gekauft und es Makoto genannt, nur um nicht zu vergessen, wer ich bin und wer kurz davor war, mich zu ändern. Ich hatte sie geliebt. Ich werde vielleicht nie wieder fähig sein, jemanden so beschützen zu wollen, wenn auch aus eigenem Egoismus. Ich nehme das falsche Baby vom Brett und hebe es hoch. "Ach, Schwesterchen.", murmle ich und starre dem Baby in seine falschen Augen. "Es ist komisch, mit einer Babypuppe zu reden, geschweige denn, eine zu besitzen. Ich bin viel zu alt für diesen Mist. Aber ich fühle mich schuldig, wenn ich dich aus meinem Leben ausschließe. Habe ja sonst keine Freunde." mir ist klar, dass Makoto-chan mich nicht hören kann, wo auch immer sie ist. Aber das ist meine Art, mit dem Tod fertigzuwerden. Auf der einen Seite, bin ich traurig, weil ich sie lieb hatte, auf der anderen Seite froh, weil mir niemand Liebe ausgespannt hat. Aber darauf kam es letztendlich auch nicht mehr an. Nichts war wie damals, als das alles passiert ist. Ich blieb zwar Einzelkind, aber meine Eltern hatten sich verändert. Sie wirkten viel erstarrter. Weiter weg. Nie wieder habe ich mich so geliebt gefühlt wie damals. Seither fühle ich mich allein, auch wenn sich theoretisch nicht ganz so viel verändert hat. Fast meine ich, in den Augen des Babys Tränen glänzen zu sehen. Meine Einbildung spielt verrückt, ich weiß, aber es bricht mir trotzdem das Herz, sie traurig zu sehen. Ich drehe mich wieder zur Seite und drücke mir meine "Schwester" an die Brust. Ich bin schon wieder traurig. Ich fahre Makoto-chan durch das falsche Haar und lächle etwas traurig. Sich wie ein richtiger großer Bruder um dieses falsche Baby zu kümmern ist das wenige Glück, das noch mein Herz erreicht. Egal wie böse und unfreundlich ich bin, das lässt mich freundlich fühlen. "Gute Nacht, Kleines.", sage ich nach einer geschlagenen Weile und bin kurz davor, wegzudämmern und den Hass auf Kyokei für ein paar Stunden zu vergessen. Es ist zu früh zum Schlafen. Als ich beinahe das Bewusstsein verliere, kratzt die Tür den Boden etwas und ich höre meinen Vater seufzen. Das ist vielleicht auch nur Einbildung. Vielleicht genau wie der Satz, den er mir sagt, bevor ich wirklich richtig eingeschlafen bin. "Er hat es schon wieder getan."
Die Backstory des Mobbers von Elvis in Version 1.0 vom
7. Mai 2020 bis zum
28. Mai 2020, an dem die letzte Änderung passierte. Die Mutter des Kerls wurde an Silvester durch einen verrückten Mitarbeiter, der in die Wohnung einbrach, mit einem Böller angegriffen. Den hat unser Boy dann mit einem Messer totgestochen.
Das ist mein voller Ernst. Das Baby, das die Mutter erwartet hat, ist an dem Abend als Totgeburt zur Welt gekommen und hat den Mobber nachhaltig gezeichnet. Diesen inneren Schmerz und den Frust hat er dann an Elvis rausgelassen. Zu Hause hält er eine Babypuppe anstelle seiner toten Schwester in seinem Zimmer, um den Verlust zu bewältigen und "sich freundlich zu fühlen". Es kann gut sein, dass der eine oder andere Aspekt von
Enemy's Ambition in seiner endgültigen Charakterisierung nachklingen wird, aber ich müsste alle Aspekte noch weiter ausarbeiten, wenn es das ist, was ich haben will. Im Moment ist diese Sidestory wie der Rest meiner Sammlung nichts als ein äußerst wirrer Fiebertraum, den ich nicht adaptiert haben möchte, ohne ihn gehörig zu bereinigen. Allein der Name des Mobbers ist nichts, was ich einfach so stehen lassen kann.
7.10. Bromance Life - Ich musste gehen, um dir ein andermal zu zeigen, wer ich wirklich bin.
Klappentext
Das ist eine Sidestory zu meiner Serie CONDENSE - An jenem schicksalhaften Regentag. Ich empfehle, diese zuerst zu lesen, bevor man diese liest. Ansonsten, viel Spaß!
Taiyo ist abgehauen. Weg von seinem Bruder, der sich umbringen wollte. Weg von der Person, auf die er seit was nicht langer Zeit so neidisch ist, dass es in ihrer Gegenwart kaum aushält. Es gibt zu viel, was ihn von innen auffrisst. Er hält es nicht mehr aus, sich selbst zu hassen und dabei zu sehen, wie sein Bruder sich nicht einmal erinnern kann, wie stark sie sich gestritten haben und er von Taiyo verletzt wurde. Er hat so unsäglich viel verschwiegen und jetzt weiß sein Bruder durch den erlittenen Gedächtnisverlust nicht einmal mehr, wer er ist. Pünktlich zu seiner Flucht trifft er auf den durchtrainierten Hide, der den gleichen Studiengang wie er besucht. Zum ersten Mal scheint Taiyo aus sich herauszukommen und beginnt fast, zu vergessen, wieso er überhaupt erst zu diesem Glück kam. Doch eines Tages bringt ein Anruf aus seinem früheren Leben alles durcheinander...
Die absolut furchtbare Entschuldigung einer Origin Story, der erste Versuch;
Kapitel 1: "The Walking Dead", denn ich fliehe und der Tod griff nach ihm
E: 25.06.2020
U: 25.06.2020
Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin. Es ist wieder einer der Tage, an denen ich die Uni geschwänzt habe. Ich mag die Uni nicht, klar, es war meine Entscheidung, überhaupt zu studieren und sich diesen Bereich auszusuchen, aber... Es ist schwer zu erklären. Ich bin nicht gerne unter Menschen und die Menschen haben mich wiederum auch nicht gerne unter sich. Es beruht also auf Gegenseitigkeit und alles ist cool. Dachte ich zumindest und jetzt sehe ich meine Eltern sich die Augen aus dem Kopf heulen und meinen Bruder in der Notaufnahme, nicht wissend, ob er da jemals wieder lebendig rauskommt. Elvis stirbt. Er... er verreckt einfach so. Weil er von einem beschissenen Schuldach gesprungen und sich sämtliche Knochen gebrochen hat. Ich weiß gar nicht, was ich fühlen soll. Ich weine nicht. Aber natürlich lache ich auch nicht, ich meine, um Gottes Willen, was für ein Mensch wäre ich denn bitte? Aber versteh mich bloß nicht falsch, es ist nicht so, dass ich nicht traurig bin. Ganz im Gegenteil. Ich bin in meinem gesamten Leben noch nie stärker am Boden zerstört gewesen als jetzt. Ich habe das Gefühl, mein Herz macht das gleich nicht mehr mit. Und das liegt nicht daran, dass fett bin wie ein Wal. Nein, ich habe Angst. Eine Scheißangst. Was, wenn mein Bruder wirklich stirbt? Was ist, wenn ich mich nie bei ihm entschuldigen werde? Wenn das Letzte, was ich ihm vermittelt habe, nichts als nackter Zorn war? Ich war so ein verdammtes Arschloch! So eine verfickte Zumutung eines Bruders! Ein Lügner und Betrüger! Ein... Verräter. Wenn ich nur ein bisschen netter zu ihm gewesen wäre, wäre ich nicht so ausgetickt, dann... hätte er sich vielleicht nicht das Leben nehmen wollen. Er hätte mit einer, wenn auch nur ganz kleinen Wahrscheinlichkeit, gezögert. Er hätte sich denken können "Ich habe ja noch meine Eltern, die mich lieben. Onii-chan hat auch nie aufgehört, mich zu lieben. Vielleicht ist heute ja doch nicht die richtige Zeit, um sich selbst umzubringen, wer weiß?". Jetzt wird er vielleicht nie wieder Onii-chan zu mir sagen. Er wird mich vielleicht nie wieder auch nur ansehen. Nie wieder mit mir streiten oder mir unterstellen, ich würde meine eigenen Füße nicht mehr sehen vor lauter Fett. Er konnte so zerstörerisch sein. Aber auch nur meinetwegen. Es gab eine Zeit, in der wir beide nicht zerstörerisch waren. Als weder seine Kaltherzigkeit noch meine mangelnde Selbstdisziplin etwas waren, womit wir den jeweils anderen verletzen konnten. Ich hatte meine Wut und meinen Frust all die Jahre an ihm ausgelassen. Das war falsch. Und nun sitze ich hier, mit meinen Eltern auf einer Bank vor dem OP-Saal, nicht wissend, ob wir jemals wieder eine richtige Familie sein werden. Ob wir so etwas jemals waren. Er weiß nicht einmal, dass uns in Wirklichkeit mit keinem Grad dasselbe Blut verbindet. Alles änderte sich, nur seinetwegen. Ich heiße nicht wirklich Kyokei. Taiyo Takamiya, so hieß ich, bevor er überhaupt geboren war. Bevor mein Vater und ich unsere Nachnamen änderten und so einen Riesenschwindel über Jahre hinweg aufrechterhielten. Das ging ganz gut. Ich habe keine Ahnung, wie ich naiv genug sein konnte, um zu glauben, dass das niemanden schaden könnte. Ach was, sogar das habe ich tief im Innern gewusst. Wie konnte ich so überhaupt friedlich schlafen? Wie kann ich jemals wieder schlafen, sollte es mein Bruder wirklich wagen, mir einfach vor der Nase wegzusterben?
"Taiyo. Taiyo, Schatz. Aufwachen, wir... wir dürfen ihn sehen.", höre ich die Stimme meiner Mutter, als sie mich vorsichtig weckt. Bin ich gerade wirklich eingepennt? Wie war das noch gleich mit dem Schlafen? Wie lang ging diese Operation bitte? Verdammt, ich bin wirklich unfassbar. Wie kann ich es wagen zu schlafen, wenn mein eigener Bruder im Sterben liegt? "Ah.", mache ich nur und stehe schwerfällig auf. Es scheint Nacht zu sein, oder Morgen, das Zeitgefühl gibt es nicht mehr. Als wir das Zimmer betreten, glaube ich, fast das Gebäude zusammenschreien zu müssen. Da liegt er. Er sieht aus, als wäre er tot. "L-lebt er noch?", will meine Mutter mit Tränen in der Stimme wissen. Die Ärztin sieht sie stoisch an und atmet aus. "Ja. Ja, ihr Sohn lebt. Aber ich muss sie sehr enttäuschen. Zu unser aller Bedauern stehen seine Chancen alles andere als gut. Sein Zustand ist instabil. Mit anderen Worten, er könnte bereits im Sterben liegen. Die Schäden am Kopf und Gehirn sind immens. Noch kann er aufwachen. Aber eben auch nicht. ", ist alles, was sie dazu zu sagen hat. Sie geht uns aus den Weg, damit wir ihn uns genauer ansehen können. Die Maske, die auf seinem Gesicht liegt, wird scheinbar nur noch leicht beatmet. Seine Haut ist leichenblass. Er ist voller weißer Verbände, die an manchen Stellen wegen des Bluts schon wieder rosa sind. Sein eines Auge ist komplett verdeckt, das andere zittert. Man bemerkt nur, dass sich sein Brustkorb bewegt, wenn man ganz genau hinsieht. "Elvis...", stammle ich und trete näher. Meine Eltern sind wohl noch in Schockstarre. Na ja, ich mit meinem Verstand auf Stand-by bin da auch nicht besser. Die Ärztin hält mich nicht ab, als ich seine Hand ergreife. Sie ist eiskalt. Nein, wirklich sie... sie fühlt sich an, als wenn sie überhaupt nicht mehr durchblutet werden würde. "Wenn du stirbst, bring ich dich um.", flüstere ich, auch wenn ich weiß, wie wenig Sinn dieser Kommentar eben macht. Ist mir doch egal. Dann stehe ich geistesabwesend auf. Und verlasse den Raum. Wenn er jetzt sterben würde, dann kriege ich es wenigstens nicht mit. Er soll nicht sterben, wenn ich es sehe! Ich bin viel zu feige, um das zu wollen! Ich geh nach Hause. Ich kann nicht mehr! Wenn er wirklich sterben oder aufwachen sollte, dann bin ich immer noch auf dem Handy zu erreichen. Meine Eltern wissen das. Ich bin zu feige. Deshalb gehe ich.
Die Zeit verging, meine Eltern und ich besuchten meinen Bruder jeden Tag um dieselbe Uhrzeit, in der Hoffnung, dass diese Hoffnung endgültig erfüllt oder für immer zunichte gemacht werden würde. Dei Wochen ging der ganze Zirkus aus unterdrückten Tränen, stoischen Ärzten und einem bewusstlosen Bruder, der gar nicht mein Bruder war. Doch gestern ist er aufgewacht. Nach drei Wochen Koma ist er genau dann aufgewacht, als wir alle drei um ihn herum versammelt waren. Dann habe ich mich verpisst und andere sind ihn noch besuchen gegangen. Wie es scheint sind die Schäden an seinem Hirn so heftig, dass sein Gedächtnis gelöscht wurde. Also... die absolute Vernichtung. Weggeschnipst. In den geistigen Papierkorb mit allem, was er vierzehn Jahre lang in sich aufgenommen hat. Er kann nicht einmal mehr sprechen! Zumindest sah es so aus. Heute besuche ich ihn noch einmal, nur um es zu testen. Ich weiß doch selbst nicht, was für ein Ziel ich damit verfolge. Und nun bin ich wieder hier. Diesmal sind meine Eltern nicht da. Ich bin mit ihm mutterseelenallein. Und diese ganze Situation fühlt sich von vorne bis hinten einfach nicht richtig an.
Ich starre. Er starrt. Keiner sagt etwas, auch nicht der von uns, der seine fetten Beine noch benutzen kann. Seit geschlagenen fünf Minuten, bis es mir dann schlussendlich reicht. "Hi!", brumme ich. Er reagiert nicht. "Was läuft so?", spucke ich förmlich aus. Ich bin mit Absicht so angepisst, weil er immer darauf reagiert hat, als er noch die Zunge dazu hatte, mich zu beleidigen. Ich habe nicht nachschauen können, ob er sich beim Sturz die Zunge abgebissen hat, aber ich denke nicht. "Schönes Wetter, was? Ich finde bewölkt auch total geil!", schimpfe ich und er sieht einfach nur verwirrt aus. Langsam komme ich mir wirklich bescheuert vor. "Kannst du vielleicht wieder irgendwas schreiben oder hast du die Fähigkeit über Nacht auch verloren?!", raste ich aus und wie aufs Stichwort greift er nach dem Notizblock, der auf de Tisch liegt, sowie dem Stift daneben. Er schreibt etwas langsam, aber nach gewisser Zeit zeigt er mir, was drauf steht. "Was willst du eigentlich von mir?", schreibt er und sieht mich genau so an, wie er es tun würde, hätte er diesen Satz tatsächlich gesagt. "Was ich hier will?! Was stimmt nicht mit dir? Du bist fast gestorben, ich komme rüber, um zu gucken, ob du wirklich so stumm bist, wie du tust und das ist alles, was du zu sagen hast?! Hast du überhaupt wirklich dein Gedächtnis verloren oder benutzt du diese Situation nur, um dich auszuruhen?! Was veranlasst dich überhaupt zu so einer Tat? Bist du wirklich so verzweifelt?!", wieder einmal verliere ich die Kontrolle und trete näher an sein Bett, nur, um ihn wütend anzufunkeln. "Kommt noch was?", schreibt er. "Darauf kannst du einen lassen, Elvis!", keife ich und packe seine Schultern. Auf die plötzliche Berührung hin beißt er mich in den Arm. Und zwar echt fest. "Au! Was ist los?! Wenn dich irgendwas stört, dann sag es doch einfach! Ich habe nie gewollt, dass du hier landest, ob du es mir glaubst oder nicht!", knirsche ich, als ich meine Hand wegziehe. Diese Worte scheinen ihn getroffen zu haben. Das sehe ich daran, wie er die Augen weitet und seine Lippen zittern. Ich höre ein ganz leises Röcheln aus seiner Kehle, als wenn er wirklich versuchen würde, mir recht zu geben, mit der Annahme, dass er seine Stummheit simuliert. Fast meine ich, ihn meinen Namen zu sagen, aber es ist nur ein weiteres Kratzen, das seinem Hals entkommt. Sein Blick ist wieder aus Eis. Er schreibt wieder was auf. "Ich kann nicht.", zeigt er mir uns sieht mich dabei kalt an. Fast meine ich, Mitgefühl in seinem Blick zu erkennen. Dass es ihm wirklich leid tut, dass er sich umbringen wollte. Dass er meine Erwartungen nicht erfüllen kann. Sein Blick fällt auf meinen Arm, auf die Bisswunde, die seine Zähne hinterlassen haben. Es blutet nicht stark, nur ein bisschen, aber das allein veranlasst ihn dazu, ein schlampiges "Tut mir leid.", zu schreiben. "Kein Ding. Ich war schuld. Ich hätte dich nicht so einfach anfassen dürfen, da du ja... du bist immer noch verletzt. Sag mal, tat es weh, als ich dich so angepackt habe?", will ich wissen, noch immer brummend und zurückhaltend. Ich bin schon lange kein guter Junge mehr gewesen. Elvis schreibt nur: "Es hat mich erschreckt. Ein bisschen tat es schon weh, aber es braucht mehr, um mich umzubringen.", mit anderen Worten, ich habe wieder geschafft, ihm weh zu tun. Er hat sich vermutlich auch die Schulter verstaucht, da kann ich doch nicht einfach hinfassen. "Kannst du denn eigentlich noch... schreien oder lachen?", brumme ich, denn normal reden tun wir beide trotzdem schon lange nicht mehr. "Versuch's doch.", ist er wieder so stoisch wie vorher. "Trafen sich zwei Jäger, beide tot.", versuche ich es trocken. Elvis schreibt wieder. "Mehr hast du nicht drauf?". Wow, er ist wirklich absolut nicht amüsiert. Ich seufze. "Du kannst dich wirklich an nichts erinnern?", fange ich wieder damit an. Elvis sieht mich noch immer kaltblütig an, die roten Augen sehen fast schon wütend aus. Vermutlich habe ich ihn gerade entzürnt. "Stimmt genau.", sogar seine Handschrift sieht mich abweisend an. Vielleicht will er wirklich, dass ich gehe. Vielleicht bin ich überflüssig. "Ich muss bald gehen, weißt du?", lasse ich ihn wissen, anstatt einfach zu gehen. Dieser Abschied fühlt sich seltsam an. Trotz dessen, dass er nicht mehr weiß, wer ich bin, sind wir beide noch immer genauso distanziert wie vor seinem Selbstmordversuch. Wieso hast du sterben wollen? Gab es jemanden, der grausamer zu dir war als ich? Wenn ich die Möglichkeit hätte, die Zeit zurückzudrehen, um dir zu sagen, dass wir nicht blutsverwandt sind, sähe die Zukunft, in der wir uns befinden, vielleicht anders aus, was meinst du? All das würde ich gerne fragen, kann aber nicht. Von der letzten Frage mal ganz abgesehen. Ich kann ihm nicht die Wahrheit sagen. Noch immer bin ich derselbe verlogene Abschaum eines Bruders, noch immer tue ich so, als wäre ich wirklich berechtigt, mich seinen Bruder zu nennen. Tue so, als wäre alles so, wie es sein sollte. Bin ich denn endblöd? Ja, bin ich wohl. Ich gehe genauso blöd wie ich gekommen bin. Ich mache Anstalten, hinter der Tür zu verschwinden, als ich mich noch einmal umdrehe. "Ich habe als großer Bruder versagt, habe dich nicht davon abhalten können, sterben zu wollen, schon klar. Aber... wenn du dein Gedächtnis verloren hast, dann... guck Digimon. Das ist alles, was ich dir im Moment mitgeben kann.", mit diesen Worten verschwinde ich aus dem Raum. Und es klang fast so, als würde ich mit diesen Worten nicht nur aus dem Raum, sondern auch aus seinem Leben verschwinden. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist, aber es fühlt sich an, als würde von heute an nichts mehr sein, wie es mal war. Nachdem ich so eine große Reue-Keule geschwungen habe, muss sich doch etwas ändern. Wenn ich nur wüsste, was das sein könnte. Wenn ich nur wüsste, wie ich mich ändern könnte. Wenn es doch nur auch einen Ort gäbe, an dem selbst jemand wie ich Glück finden könnte. Zuneigung, die ich selbst nie ausgeteilt habe. Wärme, die ich weder gegeben noch gefühlt habe. Liebe.
Kapitel 2: "Breaking Bad", denn schlimmer geht's immer
E: 28.06.2020
U: 04.07.2020
"Was soll das heißen, Sie wollen mich rauswerfen?!", keife ich, als mir mein Vermieter mit dem Rausschmiss droht. "Sie fliegen, weil sie es nicht gebacken kriegen, ihre Miete zu bezahlen. Das sollte keine Überraschung für Sie darstellen, junger Herr.", teilt er mir unverblümt mit. "Andererseits... wenn Sie wieder einmal versuchen, ein geregeltes Einkommen zu generieren und zu bezahlen, bin ich dieses Mal vielleicht noch gnädig.", macht er sich über mich lustig. "Nein, danke, ich verpisse mich!", knirsche ich und will ein letztes Mal in meinem Zimmer verschwinden, um mein Zeug zu holen. "Wichser.", fluche ich beim Vorbeigehen. "Wie nennen Sie mich?", will er verärgert wissen. "Ich sagte, ich spare für einen Mixer!", wiederhole ich verfälscht. Einige Stunden später bin ich mit einer Reisetasche auf der Straße und hasse mein Leben. Geiler Tag. Megageiler Tag. Verflucht geiler Tag. Tag so geil, ich könnte mir auf eine Sportsocke einen runterholen! Erst sehe ich meinen Bruder das letzte Mal im Krankenhaus, dann will ich nach Hause, bloß um Zeuge unfairer fairer Behandlung zu werden. Was für ein Dreckstag ist das denn?! Wie sehr muss ein Student im Leben denn bitte noch verkacken? Ich bin mit neunzehn obdachlos, arbeitslos und zudem bin ich auch noch fett und hässlich wie die Nacht. Kein Wunder, dass ich nie eine richtige Beziehung hatte. Außer Misato Maihara, diese Hure. "Alles, was an dir akzeptabel ist, sind deine Augen. Natürlich betrüge ich dich! Hast du ernsthaft geglaubt, ich würde mit einem Kerl ausgehen, dessen Brüste größer sind als meine?!", waren einer ihrer letzten Worte an mich, die sich unwiderruflich in mein Herz eingebrannt haben. Dumme Hobelschlunze. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr sie mich damit verletzte. Sie verstand vermutlich überhaupt nicht, wie ich, der böse, fette Typ sie bloß schlagen konnte. Tolle Story, nicht wahr? Ich hatte einfach meine verdammte Selbstbeherrschung verloren. Das Lustige an dieser Situation war, dass Schlimmeres hätte passieren können. Das war nur der Bruchteil dessen, was ich eigentlich loswerden wollte. Wenn ich wirklich jedes Quäntchen Selbstbeherrschung verloren hätte, hätte ich sie bewusstlos geprügelt und ihr nebenbei noch die Brüste vom Leib gerissen, bei denen es sowieso keine Herausforderung war, größere zu haben als sie. Aber versteh mich bloß nicht falsch, es ist nicht so als hätte ich etwas gegen Mädchen mit kleinen Brüsten. Im Ernst, das hat doch auch was. Wenn alle dem Schönheitsideal entsprächen, dass eigentlich sowieso nur so fünfzehn Prozent unserer oberflächlichen Gesellschaft vergönnt ist, wäre es ja auch langweilig. Trotzdem wäre in meinem Fall Medium echt Premium. Ich wäre gerne Medium, wenn ich nicht so verflucht gerne essen würde. Obwohl, was heißt gerne? Der Genuss hält schließlich auch nie besonders lang. Ein paar Sekunden schmeckt es, dann ist es weg. Zurück bleibt nur der köstliche, tückische Nachgeschmack, der dir nur so entgegenschreit: "Du vermisst mich! Du weißt, dass du mich vermisst!". Und ehe man sich versieht hat man sich einen Nachschlag geholt, man genießt es, nur damit der Nachgeschmack zurückkehrt und der Teufelskreis von vorne losgeht. So geht es mein ganzes Leben. Ich mache meinem Vater keinen Vorwurf deswegen, weil er es zugelassen und mit McDonalds noch mehr Öl ins Feuer gekippt hat. Er selbst aß nicht besonders gern. Seine Ernährung war natürlich auch nicht die beste, doch im Gegensatz zu mir hatte er nicht einmal einen Bierbauch. Ich dagegen könnte behaupten, schwanger zu sein und jemand, der in Biologie Mittagsschläfchen hält, würde mich fürsorglich in den nächsten Kreißsaal begleiten, weil er glaubte, ich wäre so weit. Ich knirsche mit den Zähnen. Wo soll ich jetzt bitte schlafen?
Meine Ersparnisse reichen gerade noch so für... ich habe keine Ahnung. "Ich hasse mein Leben.", seufze ich. "Aber das muss doch nicht sein!", muntert mich eine fremde Stimme auf und ich erschrecke mich zu Tode. Ich schreie auf und drehe mich um. Vor mir steht ein Mann im Studentenalter genau wie ich und sieht mich grinsend an. "W-w-w-wie lange stehst du schon hier?!", will ich stammelnd wissen als ich meine Sprache wiederhabe. "Nicht so lange.", sagt er, immer noch fröhlich aussehend. "U-und... was genau willst du von mir?", stammle ich. "Was ich will... pff, keine Ahnung.", meint er achselzuckend. "Ich war gerade einkaufen, wollte nach Hause und dann Family Guy schauen und ja... Du so?", will er unverwandt wissen. "Das... geht dich... gar nichts an.", brumme ich und meide seinen Blick. "Wow, so ein Rausschmiss aus der Wohnung verwandelt einen in ein ganz schönes Arschloch.", überlegt er laut, ehe ich ihn an beiden Armen packe und ihn zornig anfunkle. "Was hast du eben gesagt?", hoffe ich, aus ihm herauszubekommen. "H-hey, das mit dem Arschloch war nur ein Scherz, ich... wollte dich doch bloß ärgern und so.", erklärt er sich, woraufhin ich meine Finger nur noch tiefer in sein Fleisch bohre. "Wieso weißt du davon?", versuche ich es weiter. "Wir wohnen im gleichen Apartment!", entfährt es ihm und ich lasse augenblicklich los. "Wir... sind Nachbarn.", kichert er und reibt sich den Oberarm. Es scheint ihm aus dem Blauen heraus etwas einzufallen. "Da fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Hideki Kousaka, wir sind in der gleichen Uni-Klasse. Du kannst mich Hide nennen.", stellt er sich vor und ich bin wieder einmal völlig verdattert wegen diesem Kerl. "Und wie ist dein Name?", fragt er mich und ist immer noch so unbekümmert. "Sag ich nicht.", gebe ich ihm trotzig zu verstehen. Daraufhin muss Hide lachen. "Was ist jetzt schon wieder so witzig?", verstehe ich nicht. "Du bist irgendwie genau wie ich erwartet habe. Das finde ich echt zum Schießen.", teilt er mir mit und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. "Wenn du mich dann entschuldigst, Sag-ich-nicht-san, ich geh dann mal nach Hause.", erzählt er mir überflüssigerweise, schwenkt seine Einkaufstüte umher und will gerade gehen, da zerreißt ein Knurren die nächtliche Luft. Verwundert dreht er sich zu mir um, während ich rot anlaufend ein Loch in den Asphalt starre. Wieder lacht Hide. "Hast wohl Knast, was? Kannst bei mir essen, die Bude unter dir ist meine.", bietet er an und lächelt wieder. "A-als ob ich-", und wieder macht sich mein Hunger bemerkbar und ich sinke tiefer in mir selbst zusammen vor Scham. "Wenn du meinst, also-", "Okay! Ich komme mit! Hör bitte bloß auf zu reden!", schnauze ich ihn beschämt an, folge ihm und bin insgeheim froh, dass Hide dumm genug ist, um einer zwielichtigen Person wie mir zu trauen.
Bei Hide zu Hause gibt es nicht viel zu sagen, wir essen schweigend und tun so, als wäre alles so, wie es sein sollte. Als wir fertig sind, meint Hide. "Cool, dass du mir Gesellschaft geleistet hast, Sag-ich-nicht-san!", bedankt er sich nach einem Shot Wodka. "Wenn du meinst.", brumme ich. "Da fällt mir ein... Hide... wie kommt es, dass du... so nett zu mir bist? Als wären wir ewig befreundet, meine ich. Was ist deine Mission?", werde ich wieder misstrauisch. Woraufhin Hide wieder das große Grinsen bekommt. "Weißt du, es klingt vielleicht gruselig, aber... ich beobachte dich schon eine ganze Weile.", setzt er mich über sein unheimliches Privatleben in Kenntnis. "B-bitte was?! Was stimmt nicht mit dir?!", empöre ich wieder einmal über diesen Menschen. "Nicht so, Gott bewahre! Ich meine nur, dass ich dich seitdem ich dich zum ersten Mal sah, interessant fand und fortan mal vorbeigeschaut habe, während ich meinem eigenen Leben nachging und nicht den Stalker raushängen ließ. Es ist echt nicht schwer, dich zu beobachten. Wenn du nicht gerade schwänzt, bist du echt berechenbar!", zieht er über mich her und schüttelt dabei gespielt tadelnd den Kopf. "Also echt, das geht ja wohl gar nicht an... Du kannst nicht einfach-", "Ich habe auch gesehen, dass du einsam bist.", schneidet er mir das Wort ab. "Du erinnerst mich ein bisschen an mein altes Ich, weißt du?", tut er es noch einmal und sieht wehmütig aus. Ich wage überhaupt nicht, irgendetwas weiteres im Bezug auf seine Unverschämtheit zu sagen. Er strahlt auf einmal etwas von einem weisen Rentner aus, welcher nostalgisch wie traurig in die Vergangenheit blickt. Dabei stört man Leute grundsätzlich lieber nicht. Dann schüttelt er den Kopf und sieht mich wieder an. "Wie auch immer, du gefällst mir, lass uns Freunde sein!", beschließt er einfach so. "W-warte, was? F-funktioniert das so?", erschrecke ich. "Klar! In einer Situation wie unserer geht das so!", antwortet er mir und ich schäme mich für mein Unwissen. "Tut mir leid. Ich hatte nie Freunde, okay?!", bin ich eingeschnappt. "Deswegen bin ich ja da!", spielt er meinen persönlichen Cheerleader. Ich verstehe gar nichts mehr. Was ist mit diesem Typen bloß falsch? Wieso will er einfach so ohne Weiteres mit mir befreundet sein? "Du bist seltsam.", gebe ich leicht verschüchtert durch seinen Elan von mir. "Seltsam ist mein zweiter Vorname! Übrigens, wie heißt du jetzt, Mann?!", will er wissen und diesmal jagt mir sein Lächeln ein wenig Angst ein. "Sag ich nicht.", lautet wieder meine Antwort und Hide schnaubt. "Weißt du was? Spielen wir Smash. Wenn ich gewinne, verrätst du mir deinen Namen und wir sind Freunde. Wenn du dagegen gewinnst... bist du frei, zu tun und zu lassen, was auch immer du willst.", schlägt er auf einmal vor und sieht mich herausfordernd an. Ich will ja nichts sagen, aber ich bin auch nicht gerade eine Niete in diesem Spiel. Ich bin sogar Let's Player, wie sähe ich aus, wenn ich jetzt verlieren würde? Er scheint zu merken, wie ich grinse, als ich sage: "Gut, bin dabei."
Hide ist besser als angenommen. Viel besser. Um Welten. Ich fasse es nicht, gerade gegen ihn verloren zu haben. "Gestehst du deine Niederlage ein, Sag-ich-nicht-san?", reibt er mir seinen Sieg unter die Nase. "Muss ich wohl.", brumme ich. "Meinetwegen. Ich heiße Taiyo Kyokei, auf gute Freundschaft, du Spinner.", murmle ich. "Wie bitte? Ich hab dich nicht gehört!", ärgert er mich wieder. "Ich heiße Taiyo Kyokei, auf gute Freundschaft, du Spinner!", wiederhole ich betont lauter und werde dabei bestimmt wieder rot. "Sehr schön, sehr schön. Taiyo Kyokei also, netten Namen hast du da. Ebenfalls auf gute Zusammenarbeit. Spinner.", imitiert er mich und ich muss fast grinsen. Diesmal nicht selbstgefällig, sondern belustigt. "War das gerade ein Lächeln?", zieht er mich auf. "Ein Fast-Lächeln.", gebe ich zu. "Weißt du was, Alter? Wenn du schon Taiyo heißt, könntest du ruhig ein bisschen mehr strahlen.", sagt Hide einfach so aus dem Nichts heraus. "B-bitte was? Ich... ich glaube nicht, dass es mir besser geht, wenn ich gezwungenermaßen grinse.", "Versuch's doch wenigstens. Für mich, Hide. Deinen Freund.", drängt er mich und knufft mich mit dem Ellbogen in meine fette Seite. Ich seufze und schenke ihm auf Bestellung das strahlendste Lächeln in meinem Besitz. "Zufrieden?", will ich zurückhaltend wissen. "Zehn von zehn Punkten! Du hast bestanden, Kyo!", freut sich Hide und macht Anstalten, daraufhin in sein Zimmer zu verschwinden. "W-warte, Hide! Du kannst mich doch nicht einfach so-", "Alles gut, du kannst im Nebenzimmer schlafen. Das ist frei, seit meine Ex ausgezogen ist!", klärt er mich unbekümmert auf. "Wenn du was entwendest, töte ich dich!", ergänzt er mit einem Lächeln und geht. Vermutlich sehe ich ihn gleich wieder, weil er noch Zähneputzen muss. Ich seufzte. Eine Mischung aus unendlicher Überforderung, Glück und Paranoia. Aber am Ende fällt mir nichts Besseres ein, wie ich meine Sicherheit in Gefahr bringen und mein Glück im Unglück herausfordern könnte. Wie bin ich hier nur hineingeraten?
Kapitel 3: "Kevin allein Zuhaus", denn wir sind allein mit unseren Gedanken
E: 04.07.2020
U: 24.02.2023 (huh?)
"Kyo? Hey, Kyo, aufwachen!", höre ich eine entfernte Stimme und mache zögerlich die Augen auf, während die Erinnerungen nur so auf mich herabregnen.
"H-hide...", brumme ich und vergrabe mich tiefer im fremden Bett.
"Ist echt schon Morgen? Ich will nicht, dass es Tag ist.", beschwere ich mich nuschelnd, woraufhin Hide mich an der Seite greift und aus dem Bett wirft.
"Wofür war das denn, Mann?", stöhne ich genervt, reibe mir die Augen und sehe ihn an.
"Du musst dich jeden Tag aufs neue der Welt stellen, das ist einer der wenigen Dinge, von denen du dir keinen Urlaub leisten kannst, Kyo. Merk dir das!", Hide grinst, kniet sich zu mir runter und wuschelt mir durch die schweißnassen Haare.
Er ist halbnackt und trägt nichts als eine Jogginghose. Auch als Typ kann ich sagen, dass er gar nicht mal so übel aussieht. Er ist dünn und hat sichtbare Muskeln. Ich gebe wirklich nicht gerne zu, mit was für einem Neid mich das erfüllt.
"Ich kann nicht so positiv sein wie du, Hide. Merkst du nicht, dass sich die Welt jeden Tag neue Gemeinheiten einfallen lässt, um mir das Leben zur Hölle zu machen?", kontere ich schwach. Daraufhin tritt er mir in die Seite.
"Mit so einer Einstellung wirst du niemals glücklich, jetzt beweg deinen fetten Arsch und komm frühstücken!", fordert er wieder mit einem Lächeln, unabhängig davon, was für einen Härtegrad seine Sticheleien haben. "Dass ich fett bin, weiß ich, danke für die Erinnerung, Spinner.", seufze ich, gebe nach und richte mich auf, wie auch Hide zeitgleich.
Erst jetzt merke ich so wirklich, dass er ein Stück größer ist als ich. Er ist also nicht nur durchtrainiert, sondern ihm steht auch seine Größe besser, ich bin sicher, die Mädels fahren auf ihn ab.
Es verging der erste Tag, den ich mit meinem ersten richtigen Freund verbrachte. Ein paar von den Mitstudenten sahen hin und wieder skeptisch zu uns rüber, aber sonst passierte nicht viel. Lediglich war es immer wieder peinlich, wenn Hides Freunde ihn ansprachen, während ich auf der Strecke blieb. Vermutlich machten sie das nicht unbedingt aus Bosheit, sondern viel mehr aus Irritation und weil es ungewöhnlich ist. Und nun sind wir wieder bei Hide und zocken Smash, hauptsächlich, weil ich ein schlechter Verlierer bin und unbedingt mal gegen ihn gewinnen will. Und... ich habe schon wieder verloren, im Ernst, Hide, hast du ein Leben? Nachdem wir beide A gedrückt haben, um eine neue Runde zu starten, halte ich bei der Charakterwahl inne und denke wieder nach. Ich will mich nicht zwischen Hide und seine Freunde drängen. Es fühlt sich nicht richtig an. Auch hier zu leben ist falsch. Will er nicht vielleicht doch lieber mit einem besseren Freund als mir zusammenleben? Was findest du an mir, Hide?
"Kyo, alles gut? Geht's dir schlecht?", will er wissen und ich packe aus.
"Ich weiß es nicht! Es irritiert mich, verwirrt mich und stresst mich. Wieso kann ich nicht anders als hier weiter zu wohnen? Warum muss ich das peinliche Schweigen ertragen, wenn deine Freunde mit dir reden? Ich hatte sowas noch nie, es gurkt mich an und gleichzeitig... will ich nicht, dass du mich aufgibst. Mir egal, ob wir uns erst seit gestern wirklich kennen... Ich bin zu feige, um diesen Ort zu verlassen, weil du gerade verdammt noch mal der Einzige bist, den ich noch habe!", und ohne, dass ich es will, brechen mir unwillkürlich die Tränendrüsen auf.
Das ist mir so peinlich. Was mache ich eigentlich hier? Hide legt eine Hand auf meine Schulter und tätschelt mich stumm, während ich flenne und versuche, meine Tränen für mich zu behalten. Was mir keinesfalls leichtfällt, weil ich es einfach nicht gebacken kriege. Vielleicht habe ich meine Schmerzensgrenze erreicht, ironischerweise mit dem Gegenteil von Schmerz. Wohlergehen. Mit Liebe, die ich kein bisschen verdient habe. Das verschlimmert den Schmerz wiederum. Es ist grausam. So lange Zeit wurde ich seelisch gefoltert und betrogen. Ich musste, seit ich fünf bin kontinuierlich die Lüge aufrechterhalten, dass alles genau das ist, wonach es aussieht. Ich bekam mein Herz gebrochen und es tut immer noch weh. Ich trage Mitschuld daran, dass sich mein Bruder umbringen wollte. Ich bin auch jetzt, auf der Uni, absolut unsichtbar, weil ich Angst habe. Ich habe Grenzen. Diese Grenze ist erreicht. Mein Herz zerspringt. Denke ich an die Zeit zurück, will ich weinen.
***
"Papa, sag mal, warum habe ich eigentlich keine Mama?", wollte mein dreijähriges Ich wissen.
Mein Vater senkte den Blick, die Haare verdeckten seine Augen.
"Papa?", ich ahnte so etwa, was ich gerade angestellt hatte.
Ich hatte es mir denken können. Diese Frage brannte mein ganzes Leben unter meinen kleinen Nägeln.
Ich war inzwischen soweit, dass ich hinterfragen konnte, wieso die Dinge waren, wie sie waren. Warum alle Kinder im Kindergarten eine Mutter hatten, nur ich nicht.
"T-Taiyo, also...", er dachte nach, vermutlich fiel es ihm schwer, seinem dreijährigen Sohn die grausame Wahrheit zu erzählen.
Er fürchtete wohl, damit mein ganzes Leben mit Trauer verunreinigen zu können. Doch er hatte nicht den Mut, mich zu belügen. Er sagte mir nicht, dass sie auf einer lebenslangen Reise auf der Suche nach Einhörnern war. Auch nicht, dass meine Mutter sich in ein Wetterelement verwandelt hätte und dafür sorgen würde, dass es regnet und schneit. All das wäre ganz nett gewesen, aber nun einmal nicht die unumstößliche Wahrheit.
"Taiyo, mein Sohn, weißt du, es gibt etwas, das haben alle Menschen gemeinsam. Die Sache ist die...", er nahm einen Schluck Bier, trank ihn auf ex leer.
Vermutlich, damit ich es nicht trinken konnte, wenn er wegsah.
"Menschen werden geboren, das weißt du ja. Deswegen sind wir ja alle hier. Es beginnt alles mit der Geburt eines Menschen. Auch du bist so auf die Welt gekommen. Aber, und davor graut es mir am meisten, es dir zu erzählen, nichts bleibt am Anfang. Babys bleiben nicht immer Babys und Raupen werden Schmetterlinge. Alles wird erwachsen, älter, größer, härter und gleichzeitig auch zerbrechlicher. Jedes Leben zerbricht irgendwann. Das Baby ist irgendwann ein alter Mann oder eine alte Frau. Der Schmetterling ist irgendwann zu schwach, um zu fliegen. Und damit endet sein Dasein. Man sagt dazu, es stirbt. Das Traurige ist nur, dass manche Menschen, Tiere und Dinge nicht unbedingt alt und schwach werden müssen, um dem Leben entrissen zu werden. Manchmal ist es das Glück, das nicht da ist, Unfälle oder die böse Absicht einer anderen Person. Du musst wissen, deiner Mutter ging es bis zuletzt nicht besonders gut. Sie war so glücklich, als wäre sie gesund, doch man konnte ihr nicht mehr helfen. In diesem Fall war es das nicht vorhandene Glück. Unfall. Zufall. Sie... sie starb damals. Weder du noch ich sind imstande, sie auf der Welt zu finden. Sie ist woanders. Sie...", er brach ab und wischte sich eine Träne.
Ich konnte mich nicht bewegen. Ich verstand noch immer nicht, was das alles bedeutete.
"Papa. Ist sie gegangen, als... ich gekommen bin?", wollte ich naiv wissen.
Ob es Empathie war, die ich fühlte, konnte ich nicht sagen.
"Das ist sie. Aber sei nicht traurig, okay? Kotori, sie... sie war bereit, alles zu tun, um dich zur Welt zu bringen. Sie hat dich geliebt. Sie würde nicht wollen, dass du ihretwegen dein Leben lang traurig bist. So klang es jedenfalls nicht bis zuletzt.", seine Stimme war kaum mehr ein Flüstern.
"Was hat sie bis zuletzt gesagt?", fragte ich noch immer naiv wie das Kind, das ich war.
"Sie hat dich Taiyo genannt, wegen... wegen dieses Spruch, den sie so gern sagte. Sie meinte immer, wenn wir ihn Taiyo nennen, wird für uns immer die Sonne scheinen, egal wie grausam schlecht das Wetter auch ist."
***
"Kyo, hast du dich beruhigt? Wenn ich irgendwas falsch gemacht habe, dann-",
"Das ist es nicht.", unterbreche ich ihn und wische mir die Tränen aus den Augen.
"Willst du vielleicht drüber reden?", versucht er es schwach.
"Es ist schwer, in Worte zu fassen. Sagen wir so, ich bin einfach verflucht unzufrieden mit meinem Leben.", lache ich noch etwas tränenerstickt. Hide schnaubt belustigt.
"Hey, man lacht nicht über das Leid anderer!", lache ich ironischerweise.
"Nein, nein, das meine ich nicht. Mir kam nur... so eine Idee.", Hide nimmt seine Hand von meiner Schulter.
Er verbeißt sich einen weiteren Lacher, als er fortfährt.
"Wolltest du nicht schon immer einmal... Möpse berühren?", bitte was?
"W-w-w-was redest du denn da, Hide? A-als ob das ein erstrebenswertes Ziel wäre!", empöre ich und starre ihn entsetzt an. Hide lacht wieder.
"Ach, Kyo, das meine ich doch nicht nur so. Im Sinne von... willst du nicht, ich weiß auch nicht, unter Menschen? Noch andere Freunde neben mir? Eine Freundin? Nicht mehr... bei jeder Bewegung ins Schwitzen kommen?", er sieht mich schelmisch an.
"Worauf willst du hinaus? Menschen? Ich hab doch dich. Eine Freundin? Dafür habe ich doch Dating Sims. Und... mein Schweißproblem ist nicht so gravierend schlimm.", Hides lachender Gesichtsausdruck weicht einem verärgertem.
"Kyo... Mach mich nicht sauer.", warnt er mich und seine Augenbrauen zucken wie kurz vor dem mentalen Vulkanausbruch.
"Hi... Hide?", sein Blick macht mir Angst, doch als ich gerade dabei bin, aufzustehen und wohin auch immer die Flucht zu ergreifen, wirft er mich um und landet auf mir, so, wie ich niemals erwartet oder mir gewünscht habe, umgeworfen zu werden.
"Hi... Hide, wo... wo greifst du denn hin?", stammle ich, als er gewaltsam meine Männerbrüste packt und mich aus entschlossenen Augen ansieht.
"Kyo... verarsch mich nicht und verarsch noch viel weniger dich selbst. Du willst dich doch selbst überwinden, nicht? Glücklich sein, nicht? Darauf habe ich vielleicht gewartet, seit ich dich das erste Mal sah. Darauf, dass ich es sein werde, der dir hilft.", er atmet ein und wieder aus.
"Kyo, ich weiß weder, was dich so bedrückt noch kenne ich dich genug, um mich so verhalten zu können, aber... bitte lass mich dir helfen, abzunehmen und dich selbst nicht mehr zu hassen!"
Kapitel 4: "The Fast and Furious", denn du bringst mich echt zur Weißglut
E: 05.07.2020
U: 07.07.2020
Der Ernst in seinem Blick ändert nichts daran, dass er absoluten Bullshit labert. Was maßt dieser Kerl sich überhaupt an, mir sowas ins Gesicht zu sagen? Okay, es mir nicht ins Gesicht zu sagen, hätte es vielleicht noch schlimmer gemacht als ohnehin schon, aber egal. "Hide...", knirsche ich, bei meinem Tonfall weicht sein Ernst seinem Schreck und ich gewinne die Oberhand. "Was fällt dir ein, mich einfach so anzufassen?!", bin ich empört und spüre immer noch seine harten Finger auf meiner Brust. "Ich... ich weiß nicht, ich... ich habe mich in Rage geredet, okay? Und im Eifer des Gefechts... wollte ich dir... einen Spiegel... vorhalten? Hey, wenn du nicht so wärst, hätte ich gar nicht erst was zu greifen, das musst du mir lassen.", ist er wieder ganz gefasst und unverschämt. "Du bist ganz ehrlich die verrückteste Person, die ich je gesehen habe.", seufze ich und reibe mir die schmerzenden Brüste. Was stimmt nicht mit diesem Kerl? "Vielleicht war mein Annäherungsversuch nicht unbedingt der beste, aber du musst verstehen, dass ich meine, was ich sage. Ich will dir wirklich helfen. Ich sagte doch, du erinnerst mich an mich selbst, weiß du noch? Du musst das mal aus meiner Sicht sehen. Glaubst du, ich kann dich weitermachen lassen wie bisher? Wir sind doch Freunde!", erinnert mich Hide. "Seit ganzen zwei Tagen.", bemerke ich, doch bin insgeheim froh, dass es so besser ist als nichts. Hide schmollt wieder und ich schließe darauf, dass unsere Freundschaft eine von denen ist, die keinen Grund brauchen, um fortzuwähren. "Aber meinetwegen, vielleicht... vielleicht könnte es ja... 'Spaß' machen. Vielleicht lenkt es mich ab. Vielleicht kann ich dann wirklich... 'stolz' auf mich sein.", gebe ich mir Mühe, genügend Grunde zu sammeln, um Hides Vorschlag anzunehmen. Hide klappt die Kinnlade auf den Fußboden. "Was?", will ich angefressen wissen. "Hätte nicht gedacht, zu erleben, dass der grimmige Fettsack mir mal zustimmt.", schafft er wieder, mich sauer zu machen. "Pass auf, was du sagst, Hide Kousaka!", warne ich ihn Zähne knirschend, als ich seinen Ausschnitt zu Tode ausleiere. Hide lacht wieder. "Wusste ich doch, dass ich dich damit bekomme!", vorsichtig lasse ich ihn wieder los. Ich darf nicht vergessen, dass wir Freunde sind. Ich werde so lange es geht versuchen, ihm keine bleibenden Schäden zuzufügen. "Lass uns morgen damit anfangen. Heute planen und entspannen wir.", beschließt Hide und setzt sich vom Boden auf die Couch. "Fangen wir mit einer Fragerunde an. Wie groß bist du?", er meint es wirklich ernst, oder? "Einen Meter dreiundachtzig.", brumme ich, mit einer nervösen Vorahnung, welche Frage folgt. "Und wie viel wiegst du aktuell?", will er fordernd wissen. "Ich... weiß es nicht.", gebe ich verschämt von mir. Bevor er mich zusammenstauchen kann, ergänze ich. "Ich habe... es lange nicht mehr gemacht. Mich wiegen, meine ich.", Hide senkt den Blick. "Verstehe. Im Badezimmer unterm Waschbecken ist eine Waage.", klärt er mich über seine Wohnung um ein weiteres auf. Ich nicke nur, wissend, was ich zu tun habe. Ich stehe auf und schlürfe mit schweren Schneckenschritten ins Bad und schließe die Tür hinter mir. Ein Glück hat Hide so viel Taktgefühl, mir nicht zu folgen. "Beruhig dich, Taiyo. Egal, ob die Zahl im dreistelligen Bereich ist, du gehst nicht zum nächsten Hochhaus, um dich runterzuschmeißen.", zische ich mir selbst ermutigend zu. Ich ziehe also die besagte Waage zu mir her, atme noch einmal ein und aus, um mich vorzubereiten. Ein... und wieder aus. Dann stehe ich auf und stelle mich mir selbst. Die Kälte vom Glas frisst sich in meine nackten Füße. Ich merke, dass meine Augen geschlossen sind. Mein Körper hat mehr Angst davor, als ich. Und ich dachte, das ginge gar nicht. Vorsichtig mache ich meine zuckenden Augen auf. Noch ist es verschwommen. Da ist ein undeutlicher Strich links, und ich weiß sehr gut, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass dieser Strich zu einer Zahl gehört, die größer ist als Zehn.. Ich schärfe meine Sicht noch ein bisschen mehr, in dem ich meine Augen im normalen Winkel aufmache... und im nächsten Augenblick wünsche ich mir, ich hätte das nicht getan. Ich bekomme meine Augen nämlich überhaupt nicht mehr zu, so schockiert bin ich. Ich habe mich ja schon darauf eingestellt, geschockt und enttäuscht zu werden, aber das? Das toppt alle meine Erwartungen. Ich wage erst gar nicht, diese Zahl überhaupt in Gedanken auszusprechen. Aber nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich dazu widerwillig imstande: Hunderteinunddreißig Kilogramm. Nach der gefühlten Ewigkeit der Verleugnung werden Ziffern '131' hinter einem Schwall Tränen unleserlich. Sofort wische ich sie weg. Ich habe schon genug geweint. Meine Eltern haben genug geweint. Auch Elvis hat bestimmt geweint. Mir ist es von allen doch am wenigsten vergönnt, Tränen zu vergießen. Nicht weinen, Tränen machen blind. Ich muss mich ansehen. Sieh genau her! Ich schaue zu mir runter. Mir ist klar, dass man von oben immer breiter aussieht, aber bei mir kommt es darauf wohl auch nicht mehr an. Ich kann vielleicht wirklich nur die Hälfte meiner Füße sehen. Ich will gar nicht genauer auf eine genaue Beschreibung meines Körpers eingehen. Ich habe genug gesehen, ich will nicht mehr!, denke ich, als ich von der Waage heruntersteige und sie dorthin zurückschiebe, wo sie hingehört. Hide klopft. "Kyo? Alles gut? Kann ich reinkommen?", fragt er besorgt. "Mach nur.", murmle ich, gerade noch laut genug, dass Hide es hören kann. "Und... wie viel ist es?", wiederholt er die letzte Frage vorsichtig. "Hundert... Hunderteinunddreißig.", presse ich mühsam hervor. "Pfund?", versucht er, es sich schönzureden, als ob er nicht wüsste, mit welcher Skala seine eigene Waage misst. "Kilo.", vernichte ich diese Hoffnung. Hide gibt sich Mühe, nicht allzu schockiert auszusehen. "N-nein...", stammelt er in dieser komischen Gefühlsmischung. "Doch.", vernichte ich seine gutgemeinte Hoffnung ein zweites Mal. "Oh...", Hide kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Doch dann sieht er mich wieder aus entschlossenen braunen Augen an, zeigt mit dem Zeigefinger auf mich und sagt: "Ich bin für dich da! Wir schaffen das! Vergiss nicht, wir sind Freunde!", ich muss unwillkürlich grinsen. Stimmt, ich bin nicht allein. Nicht mehr. Ich senke den Blick. "Danke, Hide.", bedanke ich mich für die lieben Worte. Hide grinst vermutlich immer noch. "Nichts zu danken!", freut sich Hide wieder über meine seltene Höflichkeit. "Lass uns gleich morgen mit einer Runde Joggen den Tag beginnen!", kündigt er an und mein Lächeln weicht augenblicklich. Doch ehe er davon etwas merken kann, grinse ich wieder, nur diesmal so schlecht, dass ich am Gegenteiltag einen Nobelpreis für Schauspielerei bekäme. "Ich meine... das wird ein Spaß...", man kann den Unmut in meinem schiefen Tonfall hören, ihm ist klar, was für eine Hölle auf Erden das für mich ist. Daraufhin brechen wir beide ist schräges Gelächter aus. Obwohl ich weiß, wie schrecklich morgen der tag für mich beginnen wird, bin ich ausgelassen wie lange nicht mehr. Ich bin tatsächlich das erste Mal seit langem wieder richtig glücklich.
Kapitel 5: "Vom Winde verweht", denn trotz Liebe verwehte auch ich
E: 07.07.2020
U: 24.02.2023 (nochmal, huh?!)
Ich weiß nicht, wie ich hier reingeraten bin. Nun bin aber ich hier, renne um mein Leben, denn dieses Biest ist drauf und dran, mich umzubringen. Kalter Schweiß vermischt sich mit meinen Tränen, die in der erhöhten Laufgeschwindigkeit nahezu sofort wieder trocknen. Ich renne weiter, fürchte um mein Wohl, ehe ich stürze und das Biest meine Schulter erfasst...
"Ich sterbe!", stöhne ich und halte mir die Bauch vor Seitenstechen und Überforderung.
Ich kann das Licht sehen!
"Keine Sorge, ich bin hier, um dich lebendig zu halten.", muntert mich Hide auf.
Ich schwöre, da ist ein Licht!
"Und wieso fühle ich mich dann nicht so?!", heule ich und fühle mich so, als würde ich wirklich gleich ins Gras beißen.
Alter, fick das Licht!
"Du hast dich wacker geschlagen, Kyo.", lobt mich Hide, als er sich mit mir ins Gras legt.
Er atmet auch schwer, nicht so hyperventilierend wie ich, aber er ist erschöpft, das spüre ich. Unsere Schultern berühren sich und wieder wird mir klar, wie verschieden wir sind. Wie ist er wohl zu der Person geworden, die nun hier bei mir liegt?
"Hey, Hide... k-kann ich... dich was fragen? Unnötig, das... ist ja auch eine Frage an sich, aber... ne, da war noch... was anderes... was ich... wissen wollte.", keuche ich, meine Lungen brennen, als ich das mühsam ausspreche.
"Schieß los.", fordert er mich flüssiger sprechend auf.
"Wie... wie bist du... zu der Person geworden, die um Gottes Willen nichts dagegen hat... - Fuck, meine Beine bringen mich um! -... so früh am Morgen zu joggen?", stottere ich zitternd und greife mit meiner Hand das Gras unter mir.
"Wenn ich ehrlich bin... es ist... noch nicht so lange her, seit ich aktiv jogge. Sozialer Mensch bin ich seit der Grundschule. Aber sportlich erst seit Ende der Oberschule. Ziemlich frisch nach der Trennung von meiner Ex.", Hide lacht.
"Ich habe sie geliebt, weißt du? Ihretwegen bin ich so, aber... Dinge waren nicht so, wie sie schön wären. Also war ich zwar immer noch sozial, aber einsam. Anstatt mich mit Eiscreme und Netflix gehen zu lassen, habe ich angefangen zu trainieren. Sowohl zur Abwechslung als auch, um... ach, vergiss es, der Teil ist peinlich!", Hide dreht sich zu mir, aus dem Augenwinkel kann ich seine Schulter sich heben und senken sehen.
"Frauen.", murmle ich.
Mein Liebesleben ist echt tragisch.
"Sag mal, Kyo, wie sieht's bei dir aus? Hast du eine am Start?", will er schwer atmend wissen.
"Sehe ich so aus, als wäre ich etwas anderes als single?", frage ich ihn, fühle mein panisch rasendes Herz unter meiner Hand.
Dasselbe Herz, das Maihara gebrochen hat. Dasselbe Herz, das hasserfüllt genug war, um meinen kleinen Bruder so hart zu schlagen, dass er das Bewusstsein verlor. Ich wusste nicht, was ich tat. Ich hasste ihn in diesem Moment, ließ indirekt den Schmerz an ihm raus, den ich an ihr nicht rauslassen konnte.
Frauen schlagen? Das ist böse.
Prügeleien unter Brüdern? Wieso nicht?
Wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Als ich ihn zusammenklappen sah, nachdem ich die Hand um seinen Hals drückte und ihn ausknockte, hatte ich Angst. Ich hätte ihn ernsthaft verletzen können.
Seine Eingeweide zerreißen.
Seine Wirbelsäule zertrümmern.
Doch trotz seines angsterfüllten Blick voller Schmerzen, lebte er. Es tat ihm weh, aber er war noch am Leben. Ich vergewisserte mich, keine Delle in seinem Körper hinterlassen zu haben, wie auch immer ich mir das vorstellte. Jetzt klafft an der Stelle, wo eine Delle hätte sein können, stattdessen ein blutiges Loch. Und das ist meine Schuld. Er hat nicht verdient, im Krankenhaus zu liegen und nicht einmal mehr zu wissen, dass Star Wars besser als Star Treck ist.
"Kann ja sein, Kyo. Vielleicht hattest du ja mal eine. 'ne Freundin meine ich. Hattest du?", drängt Hide mich weiter.
Ich seufze, weil die Erinnerung daran nicht besonders gut schmeckt. Das reicht, um Hide für ein paar Sekunden still sein zu lassen, ehe er abrupt nach Luft schnappt und weiterspricht.
"Oh mein Gott, ist das peinlich... Sorry, ich wusste nicht, dass du vom anderen Ufer bist, Alter!", entfährt es ihm aus dem Nichts.
"Ich bin vom gleichen Ufer wie du, du Blödeimer!", feuere ich zurück.
"Ist ja schon gut, Kyo.", beruhigt sich Hide lachend. "Jetzt weiß ich wenigstens, dass wir irgendwann mal zusammen Bitches aufreißen gehen können."
"Spinner.", hauche ich und es herrscht wieder Stille zwischen uns.
"Wenn du es so sehr wissen willst, ich... ich hatte mal eine.", gebe ich mich schlussendlich doch geschlagen.
"Vor einem Jahr, im dritten Jahr der Oberschule. Ich musste das letzte Jahr wiederholen, weil... na ja, weißt schon, Bocklosigkeit. Dann hatte ich mit sagenhaften achtzehn Jahren meine erste Freundin, nur um zu erfahren, dass sie mich nie geliebt und nur mit mir gespielt hat. Dann hat sie mich verlassen und ging mit wem, der besser war als ich. Dünner, schlauer, hübscher, die ganze Palette. Sind schon echte Biester unter Mädchen, was?", flüstere ich und starre in den grauen Himmel. "Hast recht, Kyo, das denke ich manchmal auch über meine Ex. Sie ist wundervoll gewesen. Unternehmenslustig, spontan, süß und besonders. Aber auch eigenwillig und empfindlich. Sie war meine Traumfrau.", Hide lacht wieder, nur viel trauriger, als müsste er die Routine seiner Freude zwangsläufig fortsetzen.
"Hide...", fange ich an, noch immer geschafft und todmüde vom Joggen und bewegungslos.
"Ja?", Hides Stimme bricht fast, als wäre er erschöpfter als ich.
"Liebst du sie noch?", stelle ich ihm eine unmögliche Frage, auf die er nicht antwortet.
Kurz darauf spüre ich einen Regentropfen auf meiner verschwitzten Wange. Heute ist ein deprimierend aussehender Morgen. Es ist bewölkt und regnet, wie konnte Hide darauf bestehen, den Plan in die Tat umzusetzen? Es fühlt sich gut an, bemerke ich, als es immer mehr Tropfen sind, die auf mich einprügeln. Dieser Regen erinnert mich an jenen Tag. Mir ist, als ob ich meine Augen auch mit Gewalt nicht aufbekäme. Und so fühle ich nichts als Regen und Hides Schulter an meiner, als ich spüre, wie ich aufhöre, mich in dieser Zeit zu befinden.
***
Der Regen prasselte auf mir nieder. Hier lag ich nun. Meine Hefte hatten sich über den ganzen Asphalt ergossen, meine Kleidung triefte nur so vor Kälte und Nässe. Ich konnte mich nicht bewegen. Der Schmerz pochte noch immer tief in mir, wie mein Herzschlag und der ebenso rasende Puls. Verprügelt und allein zurückgelassen. Ich wusste gar nicht mehr, wann es angefangen hatte. Zu Regnen und zu stürmen. Ich musste bewusstlos geschlagen worden sein. Dann war ich sicher eingeschlafen und von der penetranten Kälte aufgewacht. Wie lang ich hier wohl lag? Ob wir noch denselben Tag hatten?
"Taiyo? Taiyo!", hörte ich eine vertraute Stimme durch den Regen nach mir schreien.
Dann hörte ich schnelle Schritte. Bestimmt waren es die von einer Stöckelschuh tragenden Frau. Oder einem Mann, ich musste ja politisch korrekt bleiben. Aber die Stimme gehörte eindeutig einer Frau, die mir bekannt war. Die schon sehr lange ein Teil meines erbärmlichen Lebens war. Aus dem Augenwinkel sah ich ihr rotblondes Haar in der grauen Szenerie aufleuchten. Den roten Regenschirm hatte sie fallenlassen. Sie spurtete auf mich zu, kniete sich zu mir herunter, und stützte mich, nicht müde werdend, meinen Namen zu sagen und mich zu fragen, was los sei und wer mir das angetan hatte. "Mama.", flüsterte ich nur, als ich mich aufrichtete und sah, dass ihre Augen nicht nur den Regen durchlaufen ließen, sondern auch selbst nass wurden. Meine Mutter weinte. Sie weinte um... mich. Ich, der nicht einmal ihr biologischer Sohn war. Ich, der eigentlich nicht mehr als Chaos und Hass in dieser Welt hinterließ. Mir war klar, dass sie mich wie ihr eigenes Kind sah, aber es so noch einmal richtig zu erleben, warf mich aus der Bahn.
"Ich... ich dachte, du seist entführt worden. Du hättest tot sein können! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Auch Elvis hat sich gefragt, wo du steckst! Menschenskind, du kannst nicht einfach so hier liegen für... mehrere Stunden! Das ist gefährlich!", weinte sie, ehe sie mich an sich drückte.
Trotz der Kälte konnte ich die Wärme ihrerseits spüren.
"Was ist los? Was haben sie getan? Wieso bist du übersät von blauen Flecken und Blutergüssen? Was geht wirklich in deinem Leben vor sich, Taiyo? Bitte erzähl mir alles. Ich... ich wollte das nicht! Ich wollte nicht, dass du alles allein ausbadest!", schluchzte sie und ich war hin und weg vom der Liebe, die sie mir gab und dem Kloß in meinem Hals. Mir tat alles weh.
"Es ist nicht so.. schlimm wie es aussieht. Nur ne Prügelei. Ich bin nicht ganz unschuldig, weiß du, Mama?", "Unsinn, du hast es auf keinen Fall verdient, hier auf dem Boden zu liegen und zu bluten, hörst du? Du kannst vielleicht grob, unsensibel und egoistisch sein, aber... tief im Innern bist du kein schlechter Mensch! Es ist okay, um Hilfe zu bitten.", hauchte sie und streichelte mir über den Rücken.
"Was hast du vor?", fragte ich misstrauisch. "Ich tue das, was eine Mutter am Besten kann. Ich sehe nach dem Rechten. Und du wirst mir alle Namen verraten.", befahl sie mir sanft.
Und wenn sie keinen Blick draufgehabt hätte, der furchteinflößender war als meiner, hätte ich nicht klein beigegeben.
"Ist das alles, was ihr zu eurer Verteidigung zu sagen habt?!", keifte meine Mutter meine Angreifer an, nur damit in diesem Moment Maihara vorbeikam.
"Aber das ist doch auf Maiharas Mist gewachsen. Hey, Maihara, du hast Besuch!", verriet sie einer ihrer Prügelfreunde.
"Was zur-... Kyokei?! Du Pisser hast allen Ernstes deine Mutter an Bord geholt? Wie alt bist du? Sechs?", zeigte sie wieder einmal ihr wahres Gesicht. Seit unserer Trennung bestand kein Grund mehr, die nette Schönheit von Nebenan zu spielen.
"Sie ist von selbst hergekommen, Maihara.", antwortete ich trocken.
"Maihara, wie es scheint hast du ebenfalls mit den gestrigen Ereignissen zu tun. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?", äffte der beteiligte Lehrer, ohne überzeugend zu wirken, meine Mutter nach.
"Ich habe... ich habe sie doch nur auf Kyokei gehetzt, weil... er mich vergewaltigen wollte... Deshalb...", spielte sie plötzlich die Opferrolle und ich bekam den Schreck meines Lebens, als hätte ich das wirklich getan.
"Kyokei-kun, stimmt das?", wollte der Lehrer wissen, immer noch voller Desinteresse an der Wahrheit.
"Was?! N-nein, sowas würde ich nie tun!", stammelte ich.
"Wie? Warst du nicht so scharf auf meine Freundin? Warst du nicht sauer, als sie dich hat sitzen lassen? Ich würde dir das zutrauen, Fettbacke.", kommentierte ihr neuer Freund hasserfüllt. Meine Mutter ballte die Hand zur Faust und ich tat es ihr gleich.
"G-genau, w-wieso gibst du nicht vor aller Welt zu, w-was für ein hasserfüllter Abschaum von Mensch du wirklich bist?", weinte Maihara gespielt und da reichte es meiner Mutter absolut. Schneller als ich gucken konnte, war Maihara nicht mehr imstande gefälscht traumatisiert zu weinen. Zurück blieb nur eine fassungslose falsche Schlange mit einer roten Wange, geschockt und schmerzerfüllt. Meine Mutter hatte ihr wirklich eine Schelle gegeben und packte gewaltsam nach ihrer Bluse, um sie zornig an sich zu ziehen.
"Du... du wagst es, so über meinen Sohn zu lügen, du kleines räudiges Flittchen?! So eine wie du ist der Grund, wieso unsere Gesellschaft so oberflächlich und verlogen ist! Du bist eine Schande für alle Frauen, denen wirklich wehgetan wurde! Du Betrügerin hast es nicht einmal verdient, hier zur Schule zu gehen! Niemand hat das Recht, meine Familie in den Ruin zu treiben! Du hast doch keine Ahnung, wie ist ist, wirklich zu leiden, wen willst du hier also etwas vormachen? Bevor du andere für den eigenen Profit schlecht darstellst, solltest du erst einmal anfangen, verdammt noch mal etwas anderes zu sein, als das Abfallprodukt einer aufrichtigen Person!", warf sie Maihara mit voller Wucht an den Kopf, die dann gar nichts mehr sagte. Als meine Mutter daraufhin noch einmal die Hand gegen sie erheben wollte, hielt ich sie jedoch auf. Wieso, wusste ich nicht. "Es reicht, Mama. Sie hat es verstanden.", beruhigte ich sie schwach, sie ließ die flache Hand sinken und ließ Maihara Bluse los, die völlig zerknittert war. Maihara sah wirklich nur noch aus wie ein Schatten ihrer Selbst. Tränen rannen über ihr starres Gesicht, sie schrie weinend und rannte aus dem Raum. Meine Mutter sank auf die Knie und starrte gen Boden. "Vergib mir, Vater. Ich habe geflucht.", flüsterte sie. An jenem Tag sprachen weder Maihara und ich je wieder miteinander noch wurde ich verprügelt. Doch der Hass auf mich verblieb.
***
Als ich aufwache, bin ich klatschnass. Mir ist eiskalt, aber ich scheine, mich noch nicht erkältet zu haben. Was aber noch eintrifft, wenn ich nicht sofort von hier verschwinde. Hide...
"Hide! Fuck, Hide, wir sind eingeschlafen!", fahre ich ihn an und rüttle an seiner Schulter, nur um zu merken, dass er ganz blass aussieht.
"Kyo...", höre ich ihn sagen.
"E-es ist so heiß hier. Bitte schrei hier nicht so rum, es echot total, weißt du?", brabbelt er.
Als ich seine Wange berühre und über seine Stirn fahre, merke ich, dass sie brennt.
"Hide? Hide!", er sieht ganz schwach aus.
Ich hieve ihn auf meinen Rücken und laufe nach Hause. Hide ist leichter als ich dachte. Immer wieder murmelt er etwas, das ich nicht ganz verstehe. Er weigert sich, zu akzeptieren, dass ich ihn trage, dass er selbst gehen kann. Er bewegt sich etwas, aber ich lasse mich von all dem nicht beeindrucken. Er ist mies krank geworden. Und ich habe keine Ahnung, wieso ich es nicht auch bin. Ich werde selten krank. Meine Nase läuft so bisschen und mir ist arschkalt, aber mir geht es bei weitem besser als meinem Freund hier. Ich krame in Hides Hosentasche, finde den Hausschlüssel und werfe uns beide in die Wohnung. Zur Uni zu gehen wird heute wohl nichts. Hide geht es absolut nicht gut. Und ich bin der Einzige, der ihm jetzt helfen kann.
Kapitel 6: "Bird Box", denn ich fühle mich wie ein Vogel im Käfig
E: 09.07.2020
U: 10.07.2020
Die Tage vergingen und Hides Fieber ging im Schneckentempo runter. Zwei Wochen ging ich nun nicht zur Uni, um mich um den einzigen Freund zu kümmern, den ich habe. Er schlief sehr viel, aber hin und wieder redete er mit mir. "Das musst du nicht machen.", "Du musst zur Uni.", "Geh trainieren, wie ich es dir gesagt habe.", waren die meisten Bedeutungen seiner Worte, wenn er wach war. Doch wenn er schlief und ich zusah, dann sah er nur noch trauriger und besorgter aus. "Geh nicht!", "Oberzicke.", "Eifersüchtiges Huhn.", so etwas sagte er. "Kyo? Kyo, du bist ja immer noch hier!", höre ich Hides Stimme, als dieser meine Schulter berührt. Ich muss eingeschlafen sein, als ich ihm Suppe gegeben habe. Ich schrecke auf. Bin ich wirklich auf seinem Schoß eingepennt?! "Hide, geht's dir denn jetzt besser?", frage ich, als ich merke, dass seine Stimme nicht mehr so bricht und er fast wieder seine normale Gesichtsfarbe angenommen hat. Hide fasst sich an die Stirn und nickt. "Hmm, fast alles wieder beim Alten. Ich dachte wirklich, das würde nicht passieren. Weißt du, ein bisschen bevor du hergekommen bist, hatte ich echt mies Grippe. Ich dachte, ich wäre wieder voll gesund, dachte, es sei nicht so schlimm, dass ich sie noch ein bisschen nachfühlen konnte. Dann haben wir beschlossen, zusammen Sport zu machen und... ich wollte nicht sagen, dass ich krank war. Der Regen hat mir dann wohl den Rest gegeben.", Hide lacht, nur um dann wieder ernst zu werden. "Es tut mir leid.", entschuldigt er sich traurig. "Ich habe dich vom Training abgehalten, nur zum Einkaufen warst du vielleicht draußen. Ich wollte dir helfen. Und dann habe ich nichts weiter gemacht, als rumzuliegen und dich zu behindern. Du hast keine Ahnung, wie beschissen ich mich da fühle.", Hide greift sich einen Snickers, den ich auf das Regal gelegt habe. Soll ich es sagen? Ihm sagen, dass er falsch liegt und ich irgendwas echt Idiotisches gemacht habe, nur um ihn nicht zu enttäuschen. "Kyo, wie spät ist es?", will er wissen. "Sechs am Abend.", beantworte ich. "Die werden ausrasten. Zwei Wochen nicht kommen ist hart mies.", Hide seufzt und steht auf. "Ach, und Kyo...", er zögert etwas. "Danke. Danke, dass du dich um mich gekümmert hast.", ich grinse. "Nichts zu danken. Dafür sind Freunde doch da. Sowas würdest du in meiner Situation doch sagen, nicht, Hide?", necke ich ihn und Hide lacht, wie er es immer tut. "Ich bin froh, dass du hier eingezogen bist.", Hide kratzt seinen Hinterkopf, grinst schief und verlässt den Raum, um Essen zu machen, obwohl er gerade erst gesund geworden ist und das mein Job wäre. "Das bin ich auch.", flüstere ich für mich selbst. "Kyo, kommst du?", erinnert er mich daran, dass ich herkommen soll. "Komme.", kommt es von meiner Seite und ich folge meinen Worten.
Beim Abendessen herrscht eine peinliche Stille. Wir essen einfach und im Hintergrund läuft 'Highway to Hell'. "Glaubst du, die Dozenten werden sehr sauer auf uns sein, weil wir zwei Wochen geschwänzt haben?", frage ich aus dem Nichts, weil ich die Stille von 'Highway to Hell' abgesehen nicht ertrage. "Geht. Viel mehr leiden wir, wenn die Prüfungsphase anfängt und wir aufholen müssen.", erklärt mir Hide und nippt an dem Tee, den ich ihm gemacht habe. 'Highway to Hell' geht zu Ende und 'Back in Black' erfüllt das Zimmer. Unsere Liebe zu AC/DC hat wohl auch dafür gesorgt, dass wir Freunde geworden sind. "Sag mal, Kyo, kann es sein, dass du abgenommen hast?", ich verschlucke mich fast an meinem eigenen Tee und brauche etwas, bis ich wieder atmen kann. Als ob er das sieht! "Tja, also... Hide, als du krank warst und ich mich um dich gekümmert habe, da... da hab ich mich des Öfteren rausgeschlichen, als du geschlafen hast. Manchmal auch nach Acht am Abend und noch später. Ich bin durch die Hölle gegangen, um dich stolz zu machen, auch jetzt tut mir alles weh. Es tut mir leid, wenn ich dumm gehandelt habe. Ich-", "Es ist alles gut, Kyo. Du hast meinetwegen doch alles gegeben, oder? Das bedeutet mir viel, nur... bitte überanstrenge dich nicht zu sehr. Mir ist klar, dass dir das wichtig ist. Gesünder sein und alles, jemand anderes zu sein, aber... setz dich nicht so unter Druck. Das ist auch nicht gesund.", meint Hide leise. "Danke, dass du dir Sorgen um mich machst, Hide.", murmle ich leise und trinke den Rest des Tees aus. "Hide, ähm, also morgen... geh da... bitte nicht zur Uni. Ruh dich aus. Bleib noch im Bett. Was man so macht. Kannst du mir das versprechen?", Hide ist verwirrt, dann lächelt er wieder. "Ich bleibe zu Hause. Versprochen, Kyo."
Was habe ich getan?!, denke ich am nächsten Tag vor dem Unigebäude. Ist ja schön und gut, dass Hide sich erholen kann, aber... was ist mit mir? Ich muss das erste Mal seit zwei Wochen wieder zur Uni und ich habe keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, mein Fehlen zu erklären. Och nö! Okay, ganz ruhig bleiben! Es wird alles gut mit der Kraft von den Pretty Cure Stars! Was labere ich? Jetzt bin ich auch noch zum vernünftig denken zu doof, oder was?! Gut, Augen zu und durch, sie werden mir schon nicht den Kopf abreißen, richtig? Richtig?!
Es lief... in Ordnung. Jetzt werde ich mich umso mehr anstrengen müssen, meinen sie, nachdem ich geschildert habe, wieso ich dem Unterricht ferngeblieben bin. Das mit dem Aufholen macht sich bemerkbar, denn ich verstehe nur Bahnhof. In meinem Kopf herrscht gähnende Leere, was den Lernstoff angeht. Schöner Scheiß, denke ich in der Mittagspause. Hide zuliebe griff ich nicht nach einem Donut oder so, sondern nach der besseren Wahl eines Schinkensandwich, das sogar ziemlich gut schmeckt. Wenn ich das gewusst hätte, dann wäre das jetzt nicht mein erstes. Und jetzt bin ich hier, in der Mensa und versuche Brot essend in einer unscheinbaren Ecke zu lernen. Hipp hipp zum beschissenen Hurra... "Macht das Spaß?!", reißt mich eine fröhliche Mädchenstimme aus den Gedanken. Ich verschlucke mich fast und sehe auf. Wow. Die ist sogar noch hübscher als Maihara! "A-also, wenn ich ehrlich sein soll... Nö.", gebe ich nur leise von mir, woraufhin sie grinst. "Brauchst du vielleicht... Hilfe?", fragt sie mich mysteriös. "W-wenn du es verstehst, das ist wirklich ganz schön schwer.", versuche ich, sie irgendwie zu vergraulen, weil sie mich mehr überfordert als der ganze Lernstoff zusammen. "Es ist mir ein Vergnügen!", freut sie sich, umkreist mich und setzt sich neben mich. "Aaaalso, was genau ist es denn?", fragt sie sich langgestreckt selbst, als sich unsere Schultern berühren, wovon mir ein Schauer über den Rücken läuft. Sie ist so nah! "Kann ich den Stift haben?", will sie wissen und klingt viel zu verführerisch, um nach einem Stift zu fragen. "K-klar!", piepse ich ganz peinlich berührt. unsere Finger berühren sich kurz und ehe ich mich versehe zeigt sie mir von vorne bis hinten, wie man solche Gleichungen zu lösen hat. Und das schneller als ich gucken kann. Oder aufpassen. So nah wie sie mir ist, ist es schwer, sich voll und ganz auf die Gesetze der Mathematik zu konzentrieren. "Hast du alles soweit verstanden, Pumuckl?", vergewissert sie sich und sieht mich aus ihren stahlblauen Augen an. "I-ich denke schon... Ähm... was ist denn das für ein Spitzname?", bin ich etwas verunsichert, auch wenn ich weiß, wer Pumuckl ist. "Deine Haare!", sagt sie nur und fährt mir mit der Hand unter die Mütze, die ich immer trage, um diese zu kraulen. Ich kneife die Augen zu. Es ist nicht okay, einfach die Haare anderer Leute anzufassen. D-das wird mir jetzt etwas zu intim! "K-könntest du das bitte lassen?", stammle ich wieder einmal peinlich berührt, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist peinlich ohne Ende! Sie lässt wieder von mir ab und sieht mich grinsend an. "Tut mir leid, ich war nur so völlig hin und weg, weißt du? Du weißt doch, was man über Leute mit roten Haaren sagt: Je rostiger das Dach, desto feuchter der Keller!", "Ich bin ein Mann!", platzt es mir völlig entsetzt raus und als sich gefühlt die ganze Mensa zu und umdreht, laufe ich rot an. Daraufhin lacht sie. "Ich weiß, ich ärgere dich doch nur! Weiß du, in Mathe bin ich so etwas wie ein Genie, wenn du also Hilfe brauchst, dann kannst du immer zu mir kommen! Also dann, man sieht sich, Pumuckl!", verabschiedet sie sich und im nächsten Moment ist sie auch weg. Alles, was ich mir von ihr habe merken können, war ihr Aussehen und erstklassigen mathematischen Fähigkeiten. Wären wir in einem MMORPG, wäre sie bestimmt eine Level 80 Magierin mit den Stats für Intelligenz absolut überlegen. Auch wenn sie eher aussieht wie eine unwirkliche Elfe. Diese dunkelblauen Augen und die weißblonden kurzen Haare lassen eher auf Elfenrasse schließen. Im Kontrast dazu steht ihr enges, weit ausgeschnittenes Top, welches in den dunkelgrünen Farbtönen auf Hexenmeisterin schließen lässt. Nicht zu vergessen ihre echt kurzen Hosen und die langen Strümpfe. Sie vereint alles, was sich ein einsamer Otaku wie ich nur wünschen kann. Aber so etwas laut auszusprechen könnte sie dazu bringen, mir nie wieder zu helfen. Überhaupt, warum sollte sie mit mir etwas anfangen wollen? Sie war lediglich nett zu mir. Es wird niemals etwas zwischen uns laufen, das darf ich nicht vergessen. Und trotzdem fühle ich mich nur noch einsamer als zuvor, ohne Hide und dem Mädchen, von dem ich nicht einmal weiß, wie es heißt. Wie ein Vogel im Käfig.
Kapitel 7: "Big Bang Theory", denn von Frauen habe ich keine Ahnung
E: 12.07.2020
U: 16.07.2020
"Wie waaaaar es so?", ist Hide überschwänglich bereit, mich über meinen Tag auszufragen, als ich zurück bin. "Na ja, ganz okay, schätze ich.", ist meine weniger enthusiastische Antwort darauf. Dass ich mich einsam, beobachtet und gestresst gefühlt habe, brauche ich ja nicht zu erwähnen. Die Level-80-Magierin genauso wenig. Zumindest fühle ich mich absolut nicht dafür bereit, mit Hide über sie zu reden. So wie er im Schlaf manchmal geredet hat, ist sein Herz noch immer frisch gebrochen. Und ich kenne den Schmerz gut genug, um kein weiteres Salz in seine Wunde zu streuen, geschweige denn, ihm mein nicht vorhandenes Liebesglück unter die Nase zu reiben. Von Glück ist hier ja so was von überhaupt nicht die Rede, sie hat mir lediglich in Mathe geholfen, mehr nicht. Sie wiederzusehen, das wäre ein Fall, in dem ich von Glück reden könnte. Und ob dieser Fall eintrifft? "Du bist heute so still, ist alles okay, Kyo?", reißt mich Hide aus den Gedanken. "J-ja. Alles okay. Ich... ich bin nur müde und so.", antworte ich schwach. Hide nickt nur stumm. "Dann lass uns morgen wieder mit dem Training anfangen, ich soll mich ja schonen, hast du gesagt. Wie wäre es mit einer Runde Netflix?", schlägt Hide vor. "Runde?", wiederhole ich belustigt mit einer Augenbraue nach oben. "Ach, sei still, wen juckt, wie das heißt? Also... was schaust du gerne?", bin ich wieder mit Antworten dran. "Na ja, da ist vieles, das ich gerne schaue. So was wie... Breaking Bad, Food Wars und... Big Bang Theory.", zähle ich auf, was nicht augenblicklich aus meinem Horizont der Einfälle geflohen ist. "Hast Geschmack, Mann. Okay, ich hab auch Bock auf Big Bang Theory. Du so?", "Ja klar.", bejahe ich und wenig später versuche ich wieder einmal erfolglos, alle im Intro vorbeiziehenden Bilder in mich aufzunehmen.
Und irgendwann waren wir sogar zum Serienschauen zu bocklos. "Sag mal, Kyo... wie kommt es, dass du allein gewohnt hast, obwohl das Geld doch so offensichtlich nicht gereicht hat?", fragt er, ohne mich anzusehen. "Wo kommt das denn auf einmal her?", verstehe ich nicht. "Ich bin eben allein gewesen, weil ich es sein wollte. Ich hatte keine Lust mehr auf das Elternhaus und so. Das Übliche. So dramatisch ist die Geschichte nicht.", als ich zu Hide sehe, sieht er nachdenklich aus. "Und, sag mal, Kyo... Hast du eigentlich Geschwister?", "Was ist denn mit dir heute los?", verstehe ich wieder einmal nicht. Hide reagiert nicht. Komischer Kerl. "Wenn du es genau wissen willst, ich habe einen kleineren Bruder. Wir verstehe uns nicht besonders.", versuche ich, Hide wieder etwas sagen zu lassen. "Verstehe. Ist er auch ein Grund, wieso du hier bist und aus der Wohnung geworfen wurdest?", "Du bist heute echt komisch, weißt du das, Hide? Ja und nein. Ich weiß nicht genau.", bin ich mit mir selber überfordert. Was ist meine wahre Absicht? Ich habe hauptsächlich nicht mehr bei Mama und Papa wohnen wollen, weil ich Elvis nicht mehr ertragen habe. Aber gibt es da vielleicht noch etwas anderes? "Kann es sein, dass du insgeheim eine Quasselstrippe bist, oder wieso kommt so viel aus dir raus?", Hide grinst plötzlich schelmisch und ich werde wieder einmal schamrot. "W-was? Nein, ich... ich... ich erzähle nur unglaublich gern. Nur... ich habe immer weiter damit aufgehört, je älter ich wurde. Mittlerweile bin ich gut darin, niemandem zu sagen, was ich auf dem Herzen bin. Aber im nächsten Moment...", Hide schaut verwirrt. "T-tut mir leid, das... das war wieder voll random, oder? Oh Mann, so viel zu 'Ich bin keine Quasselstrippe.'. Hide lacht. "Keine Sorge, ich finde das lustig. Du kannst ruhig mehr erzählen, Kyo. Ich bin nicht so genervt wie deine Eltern!", "Woher willst du wissen, wie meine Eltern sind?", bin ich verwirrt. "Meinst du nicht, dass du es ihnen nicht erzählen kannst? Hast du deshalb Probleme damit, dich zu öffnen?", er sieht mich fragend an. "Ach... nicht wirklich. Eigentlich sind meine Eltern manchmal ziemlich nachlässig. Ich habe als Kind wirklich überhaupt kein Problem damit gehabt, alles zu erzählen. Aber je mehr Zeit verging, desto mehr merkte ich, wie sehr mein Erzählen eigentlich an ihren angespannten Nerven nagt. Dann habe ich aufgehört und nahm meinem Vater damit etwas Last ab. Der litt besonders darunter. Viel später wurde dann mein Bruder geboren... Ich habe es wieder getan, oder?", wow, heute bin ich ja fast genau so komisch wie Hide. Hide lacht wieder. "Alles gut.", daraufhin grinse ich auch. Okay, wir sind beide komisch. Die komischen Studenten aus dem Block. "Was machen wir morgen?", wechsle ich das Thema. Hide überlegt kurz. "Hmm... also wieder Joggen am Morgen wäre bestimmt nicht schlecht. Vorausgesetzt wir pennen nicht einfach weg.", merkt Hide an und wir grinsen dämlich. "Aber... Krafttraining und Seilspringen sind auch nicht verkehrt. Lass uns Seilspringen.", bestimmt Hide und ich zucke zusammen. "Ist was?", "Ach... nein, es ist nur so, dass ich in meinem Leben nie Seil gesprungen bin. Also, ganz im Ernst. Ich... fand die immer albern, aber... jetzt bin ich willig, alles auszuprobieren, was ich noch nie angefasst habe.", lasse ich ihn so was von entschlossen wissen. "Alle Achtung, Kyo.", lobt er mich für meinen ernsthaften Enthusiasmus. Dass Entschlossenheit und Disziplin nicht mit Enthusiasmus vertauscht werden kann, ist mir scheißegal. Denn enthusiastisch bin ich tatsächlich auch noch. Ich freue mich richtig und bin motiviert. Es bricht zwar jegliche Naturgesetze, dass mich Hide zum Abnehmen überzeugen konnte, aber am Ende werde ich den wahren Grund meiner Motivation schon noch herausfinden. Da bin ich mir sicher.
Die Monate vergingen. Aus der Monatskette wurde dann schließlich fast ein Jahr und ich wurde zwanzig. Es war die beste und zugleich die schrecklichste Zeit meines Lebens. Ich hatte immer wieder Angst, mein Körper würde unter der regelmäßigen Schwerstarbeit einer Sportroutine zusammenbrechen, doch ich erinnerte mich oft genug an die unbekannte Motivation und vergaß mein altes Leben nahezu absolut, dass ich mich durchrang. Es war egal, wie sehr mir immer wieder alles wehtat, ich wollte nicht aufgeben. Ich freute mich beinahe auf den immer wiederkehrenden Schmerz und sagte mir selbst immer wieder, dass dieser es wert sei, wenn ich nicht mehr der sein wollte, der ich zu sein gewohnt war. Das schöne Mädchen sah ich ab und zu, jedoch nur, wenn Hide nicht da war. Ich kam in all der Zeit nie dazu, ihm von ihr zu erzählen. Unsere Begegnungen waren zu kurz und ich zu schüchtern, um über sie zu reden. Wir fragten einander nicht einmal, wie wir hießen. Ich verbiss es mir, sie fragte nie. Es war ein ungeschriebenes Gesetz. Und ehe ich mich versah, glaubte ich, mich in sie verliebt zu haben. Doch das war nebensächlich. Schließlich wusste ich, dass meine Gefühle einseitig waren und ich war vollkommen okay damit, wie es war. Nun, zurück zum Thema. Heute schrieben wir den 26. April 2017, ein Mittwoch. Heute Abend wollte ich die finalen Ergebnisse sehen und so auch Hide. Hide sagte mir, dass ich weiter zufrieden sei, wenn ich weiterhin ins Fitnessstudio ging und mich fit hielt. Ich war nicht mehr wie vorher. Absolut nicht. Dinge würden nie wieder sein wie vorher und nichts machte mich glücklicher. Und heute war ein weiterer Tag in dieser Zukunft, von der ich nicht im Traum hätte denken können, sie würde wahr werden.
"Naaa? Wie. Viel. Ist. Eeeeees?", fragt mich Hide enthusiastisch, als ich aus dem Bad komme. Er ist aufgeregter als ich es immer bin. "Ein... einundsechzig.", hat er hiermit seine Antwort und ihm klappt die Kinnlade runter. "Nein.", sagt er voller schockiertem Entzücken. "Doch!", grinse ich und erkenne die Abfolge von damals wieder. "Oh...", Hide kratzt sich den Nacken und lacht. "Ich bin echt beeindruckt, Kyo. Du hast zwar ziemlich schnell ziemlich viel Gewicht verloren, aber... alter Schwede, Kyo.", Hide lacht noch immer ungläubig. "Das hätte ich nicht ohne dich geschafft, Hide.", sage ich sanft, als ich seine Schulter erfasse. "Auch wahr.", kichert er leise. "Ich bin stolz auf dich, Kyo. Und du... solltest auch stolz auf dich sein!", lässt er mich mit erschreckender Lautstärke, als er wieder einfach so meine Männerbrüste zerquetscht. "Hide, wo greifst du schon wieder hin?! D-d-d-das ist sexuelle Belästigung!", merke ich völlig beschämt an. "Nicht wenn du ein Mann bist...", säuselt er schelmisch und reibt sein Kinn in meine Schulter, was es kein Stück besser macht. "Argh... Hide!", maule ich verzweifelt. "Ich will irgendwann noch heiraten!", Hide lacht wieder und lässt mich los. "Es macht Spaß, dich aus der Fassung zu bringen.", grinst er und verschwindet im Bad, aus dem ich eben gekommen bin. Morgen wird wieder ein langer Tag. Ob ich die Level-80-Magierin auch an morgigen Tag sehen werde? Ich habe keine Ahnung. Doch je mehr ich abgenommen habe, desto größer wurde auch mein Selbstbewusstsein und zudem auch noch mein Taktgefühl. Vielleicht reichen mein Selbstbewusstsein und Taktgefühl morgen in dem Ausmaß, um ihr episch zu sagen, was ich für sie empfinde. Was auch immer das sein mag.
Kapitel 8: "John Wick", denn mindestens genau so grausam komme ich mir vor
E: 15.07.2020
U: 16.07.2020
Heute ist einer der wenigen Ausnahmen, in denen ich früher wach bin als Hide. Zumindest höre ich nichts. Als ich aus dem Fenster schaue, liegt auf dem Fensterbrett ein toter Vogel. Wow, noch nie etwas Schöneres gesehen, nachdem ich aufgewacht bin. Wie bedauerlich, dass er nicht mehr lebt, nur weil er keine Glasscheiben von Luft und Atmosphäre unterscheiden kann. Es ist tragisch, an etwas, das man nicht hätte kommen sehen, zu verenden. Ich seufze. Als ich auf meinem Schreibtisch nach länglichen Utensilien suche und fündig werde, überkommt mich eine Welle kleiner Traurigkeit. Weil ich den Vogel mit einem beinahe völlig aufgebrauchten Stift vom Fensterbrett stoße, damit er auf der Erde verwest und nicht vor meinem Bett. Obwohl daran nichts verwerflich ist, einen toten Vogel zu schubsen, fühle ich mich dennoch ein bisschen fies, ihn einfach von seinem Sterbeplatz zu vertreiben, auch wenn mir nichts Besseres einfällt. "Weichei.", murmle ich zu mir selbst, als ich mich anziehe und für einen weiteren Tag vorbereite. Ruhe in Frieden, gefiederter Kumpel. "Guten Morgen, Kyo! Bereit die Klausur heute? Nein? Ich auch nicht!", begrüßt er mich enthusiastisch und ich kriege bei dem Wort Klausur einen Herzinfarkt. Die... was?! Hide sieht meinen entsetzten Blick und daraufhin lachen wir beide. "Wird... wird schon schiefgehen, sind ja voll schlau, wir beide.", keuche ich lachend. Hide schnaubt und gibt sich Mühe nicht wieder in Lachen auszubrechen, weil wir wissen, dass wir durchfallen werden. Wegen des Vogels bin ich nun ein bisschen weniger traurig, auch wenn ich mich dafür ein wenig hasse, so leichtfertig mit dem Leben einer Amsel umzugehen. Es lebe der Galgenhumor.
"Was hast du bei Aufgabe 13 raus?", frage ich etwas platt nach dem Horror. Endlich Pause. "Furchtbar. Aber nichts toppt diese eine scheiß Aufgabe auf der Rückseite!", findet Hide. "Die... was?", daraufhin herrscht kurz Stille, ehe wir uns wieder über uns selbst kaputtlachen. "K-keine Sorge, ich habe die Rückseite. Ich meine, komm schon, auf diesen Trick fällt doch echt keiner mehr rein!", entschärfe ich die Bombe, was uns aber nicht unbedingt das Lachen trübt. Die Aufgabe 13 war schrecklich, aber tatsächlich habe ich trotz allem mehr geschafft, als ich dachte. Die Magie der Level-80-Magierin scheint mich wohl so ein bisschen gerettet zu haben. "Da fällt mir ein, Kyo, ich muss mal eben noch aufs Klo. Wartest du hier?", unterbricht Hide keuchend unsere Kicherei, vermutlich, damit nichts rauskommt, was es nicht sollte. "Klar, ich warte still und artig auf den großartigen Hide, der schlau genug ist, einem Lachflash beizuwohnen, während er pissen muss.", lache ich, ehe Hide die Augen verdreht und abdüst. Und so bin ich, stehe wie der letzte Dödel da und warte auf den einzigen Freund, den ich habe. Die anderen, die während meiner Abnahme ebenfalls so etwas wie Kumpels wurden, fühlen sich ohne Hide irgendwie komisch zum Ansprechen an. Trotz allem kann ich nicht einfach auf Knopfdruck meine Schüchternheit überwinden. Selbst wenn ich könnte, sie sind ja nicht mal hier. Hin und wieder starren mich ein paar Leute beim Vorbeigehen an und gehen dann weiter ihre Wege. So ist das, seit ich mit dem Training mit Hide angefangen habe. Insgeheim bin ich bekannt als der Kerl, der von Woche zu Woche was abnahm und jetzt nicht mehr mit dem anderen Kerl zu vergleichen ist, der er eigentlich auch mal war. Lange Beschreibung, ich weiß. Ich rede viel mehr, seit ich mit Hide befreundet bin. Hide ist das alles zu verdanken. Er ist der Allergrößte. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn tun würde. Deshalb versuche ich alles, um nicht aus seiner Schrägstrich meiner Wohnung zu fliegen, in dem ich als Kellner arbeite. Ich habe ein riesiges Stück weit mein Leben in den Griff bekommen. Mich sogar beim Vermieter, dem 'Wichser', entschuldigt, so grob zu ihm zu sein. Beste Freunde sind wir zwar immer noch nicht (vermutlich hasst er mich immer noch), aber ich denke mal, dass wir uns verbessert haben. Wie auch immer das passiert ist.
"Buh!", ich fahre zusammen und drehe mich um. Die Level-80-Magierin! "H-hi...", stammle ich und sie sieht mal wieder endlos heiß aus. "Was geht so?", fragt sie und blinkt mich mit ihren blauen Augen an. Was wohl Hide denken würde, wenn er sehen würde, wer da Schönes mit mir redet? Wie ich ihn kenne würde er sich tatsächlich eher für mich freuen, als dass er wegen seiner Ex neidisch wäre. "N-nicht viel... bei dir so?", will ich wissen und klinge piepsig. Verdammt. Was mache ich hier?! "Ach... nichts. Nur so... rumhängen...", gehen mir die Worte aus. "Nice.", bemerkt sie langgestreckt und zwinkert verführerisch. Dann fällt mir meine eigentliche Mission wieder ein. Dass ich dabei meine, Hides Schritte auf dem Weg zurück zu hören, hält mich nicht ab. Nein, ich werde mich nicht zurückhalten! "Du... ähm... Level-80-Ma-... Fuck, ich...", als sie mich verwundert ansieht, steigt mein Unbehagen ins Unermessliche. Ich schüttle den Kopf und beschließe, alles auf eine einzige Karte zu setzen. Der allerstärksten Yu-Gi-Oh-Karte in meinem Besitz. Ehe ich meinem Kopf benutzen kann, packe ich sie an den Schultern, ziehe sie an mich und küsse sie. Es fühlt sich an, als hätte ich sämtliche Dimensionen im Universum aufgerissen und wäre durch ein Wurmloch in eines hineingeflüchtet, in dem sogar für mich etwas erotische Energie vorhanden ist. Über diese Energie wird in Physik nicht geredet. Vermutlich, weil sie in den Augen der Physiker nicht existiert. Was nicht heißt, dass sie nicht existiert. Ich spüre sie und mir ist egal, dass ich mir diesen Begriff gerade ausgedacht habe, als ich die Level-80-Magierin sexuell belästigte. Doch wie jede Energie wandelt sich diese um und schneller als ich schauen kann, wird aus der erotischen Energie eine so langweilige und unscheinbare Wärme, die sich zugleich in meine Netzhaut einbrennt und mein Herz in einen Haufen Asche verwandelt. Hide. Ich habe sage und schreibe eine Sekunde die Augen geöffnet, um den Kuss vorsichtig zu beenden, da sehe ich ihn, fassungslos und verletzt, ohne, dass ich den Grund kenne. Dieser Blick reicht, dass ich an der Hitze der langweiligen Wärme aus dem Physikunterricht zugrunde gehe. "Yu... Yuki?! ... Kyo?!", stammelt er, als ich die Level-80-Magierin aka Yuki benommen vor Schock von mir schiebe. "Hide, es...", wieder bleiben mir die Worte im Hals stecken, als Hide sich umdreht, mir den Rücken kehrt und geht. Einfach so. Und ich bin ganz allein. Ich brauche keinen IQ im dreistelligen Bereich, um mir zusammenzureimen, was sich eben abgespielt hat. Ich, Taiyo Kyokei, habe den einzigen Freund, den ich je hatte, verloren, indem ich mit seiner Ex rumgeknutscht habe. Und es gibt keine Freundschaft, die so etwas überlebt.
Kapitel 9: "Casablanca", denn ich will dich nicht verlieren
E: 16.07.2020
U: 18.07.2020
Ich will gerade gehen, da greift Yuki meinen Arm und hält mich zurück. "Geh nicht! Bitte geh nicht! Ich will nicht, dass du... dass du und ich keine-", und dann habe ich es wieder getan. Wieder habe ich einem Mädchen eine Ohrfeige gegeben, die sich gewaschen hat. "Yuki. Es geht hier nicht im dich, sondern einzig und allein um Hide. Ich habe dich geliebt, zumindest glaube ich das. Auch jetzt will ich dich nicht verlieren. Aber wenn ich jetzt nicht gehe, dann kann ich weder mit dir noch mit Hide, dem einzigen Freund, den ich je hatte, vielleicht nie wieder befreundet sein. Er ist dein Ex, oder nicht? Sei auch du eine gute Ex und warte hier.", gebe ich ihr zu verstehen, mache mich von ihrem Griff los und sprinte los, wohin auch immer. Ich habe keine Ahnung, wohin mich meine Beine tragen. Erst ist mir alles egal, bis ich merke, dass Yuki mich verfolgt. "Yuki, was zur Hölle tust du da?!", schreie ich durch die Erschöpfung, die durch meine Verzweiflung früher eintritt, als wenn ich normalen Anlasses rennen würde. "Ich bin endlich verdammt noch mal ehrlich zu mir selbst! Ich habe das nicht gewollt, ob du glaubst oder nicht! Du kannst mich nicht aufhalten, egal, wie viele Gegenstände du in meinen Weg zu schmeißen versuchst!", keucht sie, als wir weiterrennen und Hide wieder in unser beider Blickfeld erscheint. Ich bin trotz allem nicht so schnell wie er und das will was heißen. Ich werde ihn nicht verlieren! Ich reiße völlig unlogisch noch eine Reservekraft aus meinem Innern, nur um mit letzten Kräften einen unmenschlichen Sprint hinzulegen und ihn zu Boden zu takeln. "H-Hide, es ist wirklich nicht so, wie es aussieht. Ich... ich habe nicht gewusst, dass du mit Yuki zusammen warst! Ich habe nicht gewusst, wer die eifersüchtige Kuh ist, von der du gesprochen hast. Ich würde dir nie wehtun wollen, Hide. Ich würde niemals mit der Ex eines Freundes rummachen wollen! Du musst mir glauben! Es stimmt, dass ich mich so ein bisschen in Yuki verliebt habe, a-aber... unsere Freundschaft ist mir wichtiger als eine Beziehung mit jemandem, den du mal geliebt hast... Bitte... bitte verzeih mir. Ich hätte dir von Anfang an von der Level-80-Magierin erzählen sollen.", schniefe ich mit zusammengekniffenen Augen und eine Träne scheint auf Hides Gesicht zu landen, als ich kurz darauf die Augen öffne und Hide mich immer noch fassungslos anstarrt. Dann lacht er schräg. Er lacht sich so was von schlapp, dass ich spüre, wie er am ganzen Körper zittert. "Level-80-Magierin! Besser kannst du Yuki wohl nicht beschreiben, was? Bessere Liebesgeschichte als Twilight!", kringelt er sich vor Lachen. Und ohne, dass ich es will, muss ich auch lachen, obwohl ich überhaupt nicht das Recht dazu habe. Einfach nur, weil Hides komische Lache so verdammt ansteckend ist. Yuki ringt hinter mir nach Luft und lacht als Einzige nicht. Sie zittert nur und sieht zu Boden. Unser beider Lachen verebbt, wir stehen auf und sehen sie an, ehe sie ihre Fassung nicht mehr wahren kann und in Tränen ausbricht. "Tut mir leid. Tut mir leid, Hide. Ich... ich wollte nicht wirklich mit dir Schluss machen. Ich hatte auch nicht wirklich vorgehabt, deinen besten Freund zu verführen, oder so. Aber... ich habe die Kontrolle verloren. Ich dachte, ich könnte dir so eins auswischen. Ich dachte, ich könnte so wirklich glücklich werden, weil... weil ich Pumuckl wirklich lieb gewonnen habe, aber... ich lag falsch. Ich... ich liebe niemanden mehr als dich, Hide. Aber es ist zu spät. Es tut mir leid, Hi-", ihr entschuldigendes Heulen wird durch Hides Umarmung erstickt. Erst jetzt bemerke ich, dass uns jeder anschaut. "Habt ihr alle nichts zu tun? Das hier ist kein Kino! Husch, husch, zieht Leine!", versuche ich, sie alle trocken abzuwimmeln. Dass da jeder auf mein Kommando den Raum verlässt, überrascht mich sehr. "Vielen Dank!", werfe ich zuckersüß hinterher, um nicht durch und durch unhöflich rüberzukommen. Dem aufgeregten Murmeln zu urteilen, wird mir das nicht übel genommen. Die Leute hier sind komisch. Na ja, egal. Hide und Yuki halten sich sehr lange einfach schweigend. Ich habe keine Ahnung wie lang. Dass die Pause vorbei ist, interessiert keinen von uns dreien. Auch ich wage nicht, mich zu bewegen. Keine Ahnung, vermutlich weil ich bei ihrer spektakulären Versöhnung dabei sein. Vielleicht bleibe ich nur zweitrangig hier stehen, weil mir gerade das Herz rausgerissen wurde. Dann lösen sie sich voneinander und sehen sich einfach nur an.
"Woher der Sinneswandel, Yuki?", will Hide wissen.
"Es gab keinen Wandel. Ich habe nie anders gefühlt, wenn ich denn ganz ehrlich bin.", meint sie.
"Lügnerin. Du hast mit zahllosen Typen rumgemacht und mir oft genug gesagt, was für ein Arsch ich bin.", hält Hide dagegen.
"Du bist ein Arsch. Ich will trotzdem immer bei dir sein. Mir egal, dass ich nicht einfach bin. Mir egal, wenn es damit endet, in der Friendzone zu landen. Das alles ist mir egal, wenn ich nur bei dir sein kann. Es ist ja keine andere da. Also, warum nicht ich?", fragt sich Yuki und grinst.
"Blöde Kuh. Du sagst doch nur, dass du nichts dagegen hast, in der Friendzone zu bleiben, solange ich keine andere Freundin habe. Das ist die größte Doppelmoral, die ich seit den amerikanischen Gründungsvätern.", disst Hide sie zerstörerisch und trotzdem mit einem liebevollen Lächeln.
"Vielleicht ist es das. Trotzdem. Hide ist Hide. Ich will Hide. Mir doch egal. Ich will wenigstens mit dir reden. Wie vor unserer Trennung.", erzählt sie ihm und sieht immer noch etwas traurig aus.
Irgendwann reicht es mir und ich unterbreche die beiden. "Argh, jetzt reicht es doch irgendwann mal! Ich verstehe das nicht! Okay, Hide, du magst Yuki anscheinend immer noch sehr. Und du, Yuki, hast dich doch nur an mich rangemacht, um den Hide zu vergessen, den du offensichtlich nicht vergessen kannst! Ihr seid doch ineinander verliebt, oder etwa nicht? Kommt wieder zusammen und so einen Scheiß. Macht rum! Egal was, hört auf um den heißen Brei zu reden, wie das kleine Mädche, das es mag, in der Bärennachbarschaft Hausfriedensbruch zu begehen!", raste ich aus vor Ungeduld und beide starren sie mich an, als wäre ich der Präsident von Absurdistan. "Also... gleich hier, gleich jetzt? Vor... dir?", stammelt Hide etwas befremdet. "Klar! Macht doch. Der Versöhnung halber. Ich hab nichts dagegen, jetzt macht schon. Irgendwie müssen wir ja quitt werden. Heute noch!", dränge ich sie harsch wie der beste Freund, den ich nun einmal bin. Hide und Yuki sehen sich zuerst etwas verwirrt an, dann lustvoll, nur um sich im nächstbesten Moment förmlich aufzufressen. Für die Location einer Mensa ist das ganz schön erotisch. Mein lieber Scholli, gehen die ran. Und dabei sehen sie noch nicht einmal albern aus. Okay, so ein bisschen, aber das ist denen doch egal. Oh mein Gott, Hide, wo um alles in der Welt sind deine Hände?! Yuki, wo in Gottes Namen greifst du da hin?! Das ist ja fast eklig! Aber ich kann nicht wegsehen, das ist ein echtes Dilemma... Schau her. Konzentrier dich, Taiyo, fühle genau das, was du Hide hast spüren lassen. Es ist nicht so, dass das mit dir und Yuki jemals realistisch war. Wenn du ganz ehrlich bist, hast du nicht einmal geschafft, dir vorzustellen, tatsächlich mit ihr in die Kiste zu steigen. Geschweige denn, aufrichtig daran zu glauben, das wäre etwas für die Ewigkeit! Schau genau her, das ist die beste Folter, die du jemals erleben wirst. Wow, ich bin sogar stark genug, nicht zu flennen. Vermutlich, weil ich mich für die beiden freue. Yuki kann ich trotz allem nicht wirklich böse sein. Ich meine, sie hat zwar versucht mit, mit mir zu spielen, aber sie ist kein schlechter Mensch. Sie ist lustig, intelligent und süß. Hide kann sich glücklich schätzen. Hide... "Okay, reicht auch wieder! Das hier ist immer noch eine scheiß Mensa. Auseinander, ihr zwei, bevor Yuki hier gleich noch schwanger wird!", unterbreche ich die beiden wieder einmal, woraufhin sie sich schwermütig trennen und etwas beschämt aussehen. "Ist ja gut, Anstandsdame.", lacht Yuki. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?", will sie wissen. "Taiyo Kyokei. Du so?", Mann, fühlt es sich komisch an, das nach so einer langen Zeit zu fragen. "Yuki Tsuzuka. Und... Taiyocchi, ich... ich hoffe, du bist mir nicht allzu böse wegen Hide. Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen. Ich mag dich wirklich. Ich will nicht, dass wir aufhören, Freunde zu sein. Ich-", "Spar dir das, klar. Ich meine, einen weiteren Freund kann ich immer gebrauchen. Also... wer, wenn nicht du?", verzeihe ich ihr und sie strahlt. "Ist wirklich alles okay bei dir, Kyo? Waren wir eben nicht vielleicht doch etwas wild in deiner Gegenwart?", fragt Hide besorgt, als er Yuki langsam loslässt. "Mir geht es prima! Ehrlich! Ich freue mich, wenn meine zwei Freunde wieder Freunde sind!", jetzt strahlen sie beide und ich grinse. "Ich schätze, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, Leute!"
Kapitel 10: "Zurück in die Zukunft", denn urplötzlich ist es schon morgen
E: 01.09.2020
U: 02.09.2020
Mein gebrochenes Herz tut so gut wie gar nicht mehr weh. Das ist der vielleicht beste Donnerstag meines Lebens. Stattdessen freue ich mich einfach bloß. Es wirkt wie eine Droge, denke ich und schmunzle wie so oft in letzter Zeit. Ich drehe das Wasser ab und greife nach dem Handtuch, um mich abzutrocknen. Nachdem ich wieder komplett trocken bin, fällt mein Blick wieder auf meine Mütze. Mein Vater hat sie mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt. Seither gehört sie einfach immer zu mir. Ich bin die Sorte Mensch, die immer eine Mütze trägt, egal ob es regnet oder die Sonne ballert. Man gewöhnt sich irgendwann daran. Als ich mich angezogen mit einem Handtuch um den Nacken auf mein Bett fallen lasse und Hide nach mir im Bad verschwindet, klingelt fast schon exakt im selben Moment mein Handy. Das Opening von Pretty Cure Stars gibt mir in dem entspannten Zustand fast einen Herzinfarkt. Ich rapple mich auf, greife danach und kriege diesmal einen noch schlimmeren Nicht-Herzinfarkt, als das Profilbild meiner Mutter auf dem Screen erscheint. Feuchtfröhlich strahlt sie mich aus dem vergangenen Urlaubsfoto an, während mein Handy zu Tode vibriert. Widerwillig tippe ich das grüne Telefon rot und hebe auf, was für mich ist. "Hallo?", stammle ich etwas schüchtern, auch wenn es meine eigene Mutter ist. "Hallo, Taiyo. Wie geht es dir gerade?", will sie lieb wie immer wissen. "G-ganz gut, schätze ich... dir und Papa?", kommt es von meiner Seite. "Mhh... uns geht es auch gut, danke der Nachfrage. Ich hoffe, du bist nicht sauer, weil wir dich so lange nicht mehr angerufen haben. Weißt du, ich... ich habe mich etwas schwergetan, den Kontakt aufrechtzuerhalten, nachdem das mit Elvis passiert ist und du dich so distanziert hast, dass ich dachte, du... na ja... Es...", "Ist schon gut, ich... ich bin nie sauer auf euch gewesen. Ich habe mich wirklich distanziert, das hast du erkannt, aber... gibt es vielleicht einen Grund, wieso du mich angerufen hast, Mama?", in diesem Moment stockt ihr Atem, das höre ich. "Mama, alles gut? Das hört sich ja nicht so gesund an...", versuche ich, ihr eine Reaktion zu entlocken. "M-mir geht es immer noch gut! Also, Taiyo, du... vermisst du deinen Bruder sehr?", murmelt sie in den Apparat. "Es... lässt sich aushalten.", gebe ich ihr zögerlich zu verstehen. Ein bisschen verwirrend ist das alles hier ja schon. "Die Sache ist die, Elvis ist letzens entlassen worden. Kann wieder laufen und spricht sogar wieder ein bisschen. Aber ja... er hat gestern wieder einen Trigger gehabt, also, etwas einer plötzlichen Erinnerung, wogegen man nichts tun kann und in seinem Fall einfach schmerzhaft mitanzusehen ist. Ich denke, dass er noch immer darunter leidet, sich nicht erinnern zu können. Elvis hat gesagt, dass, wenn sich das alles in Windstillhausen abgespielt hat, er dorthin zurück muss, um sich zu erinnern. Und da wollte er wissen, ob es nicht möglich sei... dass er bei dir wohnen könnte.", jetzt bin ich es, dessen Atem stockt, aber so was von. Ach du heilige... Es ist eine Untertreibung, wenn ich sage, mir rutscht das Herz in die Hose. mein Herz befindet sich gerade in meiner rechten Socke und zerspringt fast. Aber warte mal, ich trage gar keine Socken... Es liegt bereits auf dem Teppich. "Taiyo, bist du noch dran?", vergewissert sich meine Mutter. "J-ja, ich... ich war nie weg. Ich... werde es mir überlegen, ehrlich. Ich... ich muss nur mal drüber nachdenken.", hauche ich ins Mikro und es herrscht Stille in der Leitung. "Verstehe, gute Nacht, Taiyo. Ich gehe schlafen, schlaf gut!", verabschiedet sie sich. "Gute Nacht, Mama.", sage auch ich, lege auf und falle waagerecht auf mein Bett. Wo bin ich da denn nur wieder hineingeraten? Ich kann Elvis nicht kommen lassen. Hide wohnt hier. Das ist seine Wohnung, nicht meine. Trotz allem, dass wir augenscheinlich gleichberechtigt hier zusammen leben... sind mir die Hände gebunden. Wieso also konnte ich nicht sofort ablehnen? Was ist nur los mit mir?
Als ich nachts nicht schlafen kann, verschlägt mich wieder etwas ins Wohnzimmer. Ich lasse den Blick schweifen und sehe mir alles an, als wäre ich zum ersten Mal hier. Ich will Elvis nichts abschlagen. Ich will aber auch nicht Hide aus seiner eigenen Wohnung werfen. Mann, was ein Dilemma. Immer noch ratlos trete ich auf den Balkon, in der Hoffnung, durch die kühle Nachtluft doch noch zu einem klugen Schluss zu kommen. "Hach, warum kann nicht alles einfacher sein?", murmle ich und sehe eine Sternschnuppe. Ein leichtes Lächeln entlockt es mir, als ob dieser runterfallende Fels tatsächlich eine Hilfe wäre. Ich seufze wieder und fahre mir überfordert durch die Haare. Was will ich eigentlich hier? Plöttlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. "Aaaaahhhh! Ein Überfall! Stranger Danger, Stranger Dan-", "Kyo! Ich bin es! Warum bist du überhaupt noch wach?!", fragt mich Hide, als ich mich umdrehe. "Hide?! Ah... Mann, hast du mich erschreckt. Das Gleiche könnte ich dich fragen. Warum bist du hier?", entgegne ich ihm. "Na ja, ich hatte so ein Gefühl, du würdest nochmal aufstehen. Ist was?", will er wissen. Durch das Mondlicht kann man bestimmt sehen, wie bedrückt ich gerade bin. "Sag ich nicht.", murmle ich etwas verschüchtert und wende den Blick ab. Dann spüre ich Hides kalte Hände auf meinen Wangen und seinen bierernsten Blick direkt auf mich gerichtet. "Smash.", sagt er, als bräuchte es nicht mehr, um mir zu verstehen zu geben, dass ich so leicht nicht davonkomme. Und genau so ist es. Ich könnte Nein sagen. Aber dieselbe Stimme, die meinen kleinen Bruder vermisst, hat mich dazu gebracht, die Herausforderung anzunehmen. Nur, damit ich Hide wenigstens sagen kann, was ich auf dem Herzen habe. Völlig abhängig davon, wie idiotisch das eigentlich ist.
"Willst du mich eigentlich komplett verarschen?", verstehe ich die Welt wieder einmal nicht, als Hide mich schon wieder geschlagen hat. Seit wann bin ich so scheiße und Hide so overpowert? Blöde Plotarmor, denke ich, während Hide sich ins Fäustchen lacht. "Willst du mir davon erzählen?", kontert Hide und drückt zweimal A. "Eine Wahl habe ich ja jetzt nicht mehr.", gebe ich mich geschlagen und tue es ihm gleich. Ich lege den Controller beiseite, sehe meinem Kumpel in die Augen, atme ein und sage schließlich: "Der kleine Bruder, den ich letztens erwähnt habe, ist vom Dach gefallen, hat sich alles gebrochen und sein Gedächtnis verloren, woraufhin meine Eltern umgezogen zu sein schienen, damit er sich woanders erholen kann und nicht zu sehr getriggert wird. Jetzt will er zurück in die alte Stadt, um sich zu erinnern und dreimal darfst du raten, wer als Einziger als Mitbewohner Schrägstrich Aufsichtsperson Schrägstrich mentale Unterstützung, was weiß ich, infrage kommt.", so schnell habe ich vielleicht noch nie einen Text heruntergerattert. Meine armen Lungen... Hide ist erstmal sprachlos und starrt mich an wie ein Auto. "Wow. Das... ist heftig.", flüstert er. "Allerdings.", flüstere auch ich. Dann schläft Hide die Faust auf die Handfläche, als wüsste er genau, wovon er gleich spricht. "Ich ziehe morgen aus.", entschließt er aus dem Blauen heraus und meine Kinnlade landet irgendwo in den Untiefen der Couchritze. "Du musst das nicht machen, Mann! Deinetwegen habe ich doch schließlich-", aber Hide lässt mich nicht ausreden. "Wenn der Bruder meines Kumpels, der 'nen Dachschaden hatte, herkommen will, dann soll er auch. Kyo, Junge, was glaubst du, wieso du dich letztendlich so krass angestrengt hast? Am Ende hast du es doch für ihn getan, oder? Deshalb gehe ich. Wir sehen uns noch in der Uni und ursprünglich ist es doch auch deine Wohnung, oder? Jetzt sei ein Mann und sag ihm, dass ein Platz frei ist, dann schmeißen wir eine Party für ihn und lassen uns volllaufen. Was meinst du, klingt doch supi!", der Kerl ist viel zu optimistisch. Wie kann das irgendjemand mit sich machen lassen? Das ist sein Zimmer. Seine Wohnung. Sein... Alles. "Das ist nicht der Punkt. Wie kann irgendjemand damit leben, sich aus der eigenen Wohnung werfen zu lassen? Das ist doch total blöd! Wieso solltest du dich so aufopfern für jemanden wie-", aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Hide umarmt mich. "Weil du mein Freund bist.", fällt er mir ins Wort. "Deinetwegen habe ich Spaß wie noch nie in meinem Leben. Ich habe sogar meine Freundin zurück. Deinetwegen hat Sport sogar noch ein bisschen mehr Spaß gemacht als ohnehin schon. Ich ziehe halt zu Yuki, das geht schon klar. Ich habe so oder so drüber nachgedacht, als ich wieder mit ihr zusammengekommen bin. Es wird schon alles gut werden, Kumpel.", höre ich ihn auf mich einreden und spüre den riesigen Kloß in meinem Hals. "H-hide... Du bist zu toll für diese Welt!", schluchze ich und erwidere die Umarmung mit allem, was ich habe. "Schon gut, mein Freund. Du hast deine eigene Motivation gefunden. Du kannst Frieden schließen. Ich bin stolz auf dich.", murmelt er und streichelt meine Haare. Als er sich wieder von mir löst, meint er: "Du, ich gehe dann mal pennen. Morgen wird schließlich ein anstrengender Tag.". Wenig später bin ich ebenfalls wieder in meinem Zimmer, zücke mein Handy und wähle den Chat mit meiner Mutter. Schneller als ich schreiben kann, denke ich mir bereits meine Nachricht. "Es geht. Elvis kann Samstag herkommen. Sag ihm, es ist ein Platz frei.", und dann bin ich eigentlich auch schon eingepennt vor Ruhe. Und als ich am nächsten Tag, dem Freitag vor diesem Zusammentreffen mit meinem Bruder, Hide beim Umzug zu Yuki helfe, denke ich immer wieder daran zurück, welche Hintergrundmusik ich für die Party laufenlassen sollte. Unsere Geschmäcker sind ziemlich verschieden, doch eins verbindet uns zwei selbst nach einer solchen Tragödie wie der hier: Digimon. Der Song, an den ich gerade denke, ist kein Geringerer als "I wish".
Diese Geschichte ist in zehn Kapiteln vom
31. Mai 2020 bis zum
2. September 2020 veröffentlicht worden. Zusammengefasst ist das Taiyos Abnehm-Story mit Studenten-Drama. Darin lernt er Hide und Yuki kennen, nachdem Elvis ihn im Krankenhaus nicht erkennen konnte und er auf der Straße landete. Hides Existenz war ziemlich speziell in dieser Sidestory. Ziemlich generisch und oberflächlich eigentlich, ich wusste nicht einmal, wie er aussieht und was er neben Sport eigentlich sonst noch so mag. Taiyos Umgang mit seinen Gefühlen für Yuki war einfach nur unangenehm, auch wenn es an ein paar Stellen vielleicht ein bisschen hätte süß sein können. Die Szene gegen Ende war einfach ein großes Nein auf allen Ebenen. Im Grunde ist
Bromance Life hinsichtlich dessen, was in der letzten Version der Lore canon sein wird und was nicht, schon mehr oder weniger auf dem richtigen Weg, allerdings muss diese Backstory maßgeblich aufgemotzt werden, ehe ich sie wirklich mit Taiyo als Charakter in der Geschichte freiwillig verbinden kann.
7.11. Before I met you - Die Flucht von Akira Egaoshita
Klappentext
Akira ist schuld. Er hat seinen besten Freund in den Suizid getrieben. Und das Mädchen, welches in jenen Freund verliebt war, dazu gebracht, ihn vom Herzen zu hassen. Er muss weg, denkt er und verschwindet genau wie sein bester Freund von der Bildfläche. Auf eine neue Schule. Fernab seiner Schuld. In diesem neuen Leben findet er schnell viele Freunde und auch seine Zeit auf der Oberschule fängt friedlich an. Er scheint trotz seiner inneren Traurigkeit Spaß zu empfinden, als er Menschen trifft, die ihn schätzen. Doch eines Tages taucht jener Freund wieder auf und nichts ist mehr, wie es mal war...
Also
das war eine Erfahrung.
Kapitel 1: Verzeih mir / Triggerwarnung: Selbstverletzendes Verhalten
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Und dabei... habe ich doch geschworen, ihn zu beschützen. Mit dem kleinen Finger versprach ich ihm, dass er mich niemals verlieren wird. Ich Idiot habe doch so stark dafür gekämpft, nicht so zu enden wie seine Freunde. Du bist echt ein Idiot, Akira. Das Letzte, Abschaum, ein Hurensohn, ein Nichts! Es tut mir leid. Bitte verzeih mir.
Verzeih mir.
Verzeih mir!
Verzeih mir!
Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir! Verzeih mir!
VERZEIH MIR! VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!VERZEIH MIR!
Du sollst mir verzeihen, verdammte Scheiße!
Verzeihen sollst du mir!
Verzeih mir endlich, na los!
Wenn du mir nicht verzeihst, dann überlebe ich das nicht!
Also verzeih mir endlich!
Wie oft muss ich hier zustechen, bis du mir endlich verzeihst?!
Zehnmal? Zwanzigmal? Vielleicht hundertmal?
Falls du glaubst, ich hätte nicht die Eier, zuzustechen, bis mir der Finger abfällt, dann hast du dich geschnitten, Kyocchi!
Mir egal, ob es mich den kleinen Finger kostet. Oder den Ringfinger. Oder den Mittelfinger. Oder den Zeigefinger. Nicht mal mein Daumen ist zu schade für dich, hast du's kapiert?!
Weil ich alles für dich geben würde und es das ist, was Freunde füreinander tun!
Ich würde sogar über Leichen gehen, nur um die Wärme deiner Hand noch einmal zu spüren!
Akiras Backstory vor der eigentlichen Handlung ab dem ersten Kapitel. Diese kam am
8. Juni 2020 raus und bekam am
6. Dezember 2022 nur ein Kapitel, um aussortiert zu werden. In diesem erfährt Akira, was Elvis in der Zeit, in der er nicht da war, getan hat. Was er, sagen wir mal so, nicht ganz so gut wegsteckt. Die Szene aus dem Kapitel ist zwar für die letzte Version von CONDENSE canon, aber ich schrieb nicht weiter, da diese Sidestory, wie ein paar der anderen auch, ziemlich problemlos in die normale Geschichte implementiert werden kann und ich nicht weiß, wie viel von dem, was dazugehört, noch unbedingt eine separate Geschichte verdient.
7.12. Escaping Hell - Die Entschlossenheit von Chika Failman
Klappentext
Chika hat alles verloren. Ihre Familie, ihr Haus und den Jungen, den sie liebte. Jetzt bleibt ihr nichts anderes als fortzugehen. Sie hat keine Ahnung, wohin, aber sie muss los. Sie hat keine Ahnung, ob Elvis noch lebt oder nicht, aber sie muss ihn finden. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert und sie hatte keine Gelegenheit, ihn zu sehen. Dennoch soll er bald wieder entlassen werden und zur Schule gehen. Das ist ihre Chance, denkt sie sich und sucht weit und breit nach ihrer Liebe, bei der sie ab und zu an seine Worte aus der Vergangenheit denkt. Es hat keine Garantie, ob er sich an diese Wort noch erinnern kann noch, ob sich an seinen Gefühlen für sie nichts geändert hat, trotzdem ist sie wildentschlossen, ihm zu begegnen, koste es, was es wolle. Dabei ist es ihr auch völlig egal, wie sehr er sie verletzt hat oder wie sehr die Ungewissheit an ihrer Psyche und ihrem Herzen nagt. Denn die Last einer unglücklichen Liebe könnte ihr Herz vielleicht buchstäblich nicht ertragen...
Diese Szene zu schreiben war seltsam rührend. War schön.
Kapitel 1: Die Scherben aufheben
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Mir tut der Arm weh. Von meiner Schulter will ich gar nicht erst anfangen. Wie um alles in der Welt konnte alles nur so weit kommen? Ich habe Ellie nicht retten können. Ich habe seine Mutter umgerannt. Ich habe Egaoshita die Schuld an allem gegeben. Und jetzt bin ich ganz allein.
"Chika-chan?", ich fahre zusammen, als ich eine Männerstimme hinter mir höre. Chika-chan? Was denkt der sich?
Als ich mich umdrehe, brauche ich einen Moment. Die Person, die hier vor mir steht, ist nämlich keine komplett Fremde. Zumindest sieht sie irgendwem richtig, richtig ähnlich. Es sind nur die Haare und das Kleid. Aber dieses Gesicht, das...
"Masa... ru?", hauche ich.
"Mariko.", korrigiert er mich.
"Was machst du hier? Und wie... seit wann... ich meine, ich-",
"Es ist eine lange Geschichte.", Masa-, ich meine, Mariko, unterbricht mich.
"Bist du hier, um mir Vorwürfe zu machen?", frage ich sie. Mariko schüttelt lächelnd den Kopf.
"Du hast viel durchgemacht, Kleines. Viel zu viel. Vorwürfe? Aber nicht doch.", ihr Lächeln stirbt wieder etwas, als ihr Blick auf den Arm fällt, den ich nicht benutzen darf.
"Es tut mir so unfassbar leid, Kleines. Das tut es wirklich.", ich bin nach wie vor etwas überfordert mit der Situation. Mein Schwarm liegt praktisch im Sterben, meine Mutter in der Klapse und jeder andere, an den ich mich hätte wenden können, ist auch weg. Und die Einzige, die von meiner Familie für mich da zu sein scheint, ist eine seelenruhige Mariko, die vor neun Jahren noch mein Onkel Masaru gewesen ist. Der war eines Tages einfach weg und ich hatte keine Ahnung, wohin er gegangen ist.
"Wieso hast du mich alleingelassen?", jetzt klingt es, als wäre ich diejenige, die ihr Vorwürfe machen würde.
"Es ist eine lange Geschichte.", wiederholt sie. Das Lächeln daraufhin ist ein wenig schmerzhaft, aber es scheint echt zu sein. Das entlockt mir ebenfalls ein kleines Grinsen, das vielleicht genauso traurig ist.
Diese Sidestory ist vom
8. Juni 2020 und das ist vielleicht die peinlichste Prämisse, mit der ich in Bezug auf die Serie jemals angetanzt kam. Selbst, wenn man die Beziehung von Taiyo und Hanako aus Version 1.0 in Betracht zieht. Grundgütiger. Ich weiß, dass Chika nach dem Selbstmordversuch von Elvis eine schwere Zeit durchmacht, aber mir gefällt nicht, wie es sich anhört, als hinge ihr Leben davon ab, dass eine bestimmte Person sie mag. Wegen... eines Geburtsfehlers. Das ist doch einfach nur schrecklich. In dem Kapitel, das wie bei den anderen nur angelegt wurde, damit ich die Geschichte aussortieren kann, hat Mariko, ein Charakter aus Version 1.5 gegen Ende, ihren ersten Auftritt. Auch hier ist eher unklar, ob
Escaping Hell für den Verlauf der herkömmlichen Handlung, die
CONDENSE ist, unbedingt als einzelne Sidestory existieren muss.
7.13. The void inside - Gedankengänge von Elvis Kyokei
Klappentext
Da ist nichts als Leere in seinem Kopf. Erinnerungen, die nicht da sind. Menschen, denen er scheinbar noch nie begegnet ist. Elvis hat sein Gedächtnis verloren. Und nun liegt er hier, mit gebrochenen Knochen, einem verlorenen Gedächtnis und stumm im Krankenhaus. Alles, was er hat, sind ein Notizbuch, ein Rollstuhl und seine etwas verpeilte Tante, die ihm mit allem Mitteln helfen will, sich selbst ins Leben zurückzuholen. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist er bereit, in seine Stadt zurückzufinden und mit ihr die Erinnerungen, die mit ihr verbunden sind. Aber die Welt, die er vergessen hat, scheint auf allen Ebenen längst nicht mehr dieselbe zu sein...
Ich bin ein bisschen stolz drauf. Noch ein Anlauf, klein, aber fein.
Kapitel 1: Weiß
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Auf.
Zu.
Auf.
Zu.
Dabei hole ich etwas Luft. Es tut ein bisschen weh, aber ich mache mich gut. Das ist wichtig, damit ich am Leben bleibe.
Einfach nur daliegen und gar nichts tun - Das ist meine einzige Aufgabe. Meine Gliedmaßen sind unbrauchbar, aber ich bin hier.
"Guten Morgen, Elvis-kun.", höre ich eine Stimme neben mir. Elvis?
Man scheint zu merken, dass ich bei Bewusstsein bin.
Guten Morgen.
Ich habe nicht die Kraft zu antworten.
Alles tut weh.
Zu.
Zu.
Zu.
Ich schlafe.
Gelogen.
Ich schlafe.
Gelogen.
Ich bin überhaupt nicht wach.
Gelogen.
...
...
...
Tut mir leid.
Die Notizen von Elvis während seinem Aufenthalt im Krankenhaus, nach dem Selbstmordversuch. Diese Sidestory ist vom
8. Juni 2020 und hat nur ein Kapitel zwei Jahre später bekommen, um aussortiert zu werden. Hier ist ebenfalls nicht klar, ob diese zusätzliche Geschichte für Staffel eins, von der alles ausgeht, zwangsläufig nötig ist. Sollte mir irgendetwas einfallen, dass offscreen passierend interessant im Bezug auf Elvis sein könnte, werde ich schon irgendwie etwas unternehmen. Die Zeitspanne ist sehr wichtig für die Handlung und ich will klug an die Sache rangehen.
7.14. The boyfriend I never had - Die erste Liebe von Fumiko "Finnland" Takamiya
Klappentext
Ein kurzer One-shot zu Finnland. Ein Charakter, der es noch nicht so ganz geschafft hat, in CONDENSE eine Präsenz aufzubauen. Vorhang auf für Finnland!
Fumiko liebt Hetalia. Das ist ihre absolute Lieblingsserie und seit sie sich in den süßen "Finnland" verliebt und einen neuen Spitznamen aufgesetzt bekam, ist das fortan ihr neues Ich. Damit ist sie auch zufrieden, denn Fumiko ist ja viel zu gewöhnlich und so freut sie sich, etwas besonderes an sich zu haben. Doch eines Tages gerät sie in eine Krise der Klasse "Mayday!", als sie sich in den gutaussehenden reichen Jungen aus dem Freundeskreis ihres Cousins verliebt. Wird sie dennoch so verrückt, "Finnland" bleiben können, wie ihr lieb ist oder muss sie sich dennoch eingestehen, dass auch sie immer noch nur ein ganz gewöhnliches Mädchen "Fumiko" ist?
Immerhin, ein wenig besser, aber es geh bestimmt
noch besser.
Finnland
E: 06.12.2022
U: 06.12.2022
Irgendwie beneide ich Ecchan ein wenig. Nicht wegen der schlimmen Dinge, die passiert sind, ich meine, ich bin kein Idiot. Nein, hauptsächlich wegen Tai-chan. Mit dem eigenen Bruder leben zu können, stelle ich mir so cool vor. "Maaaaaann!", stöhne ich hauchend, was mich sofort knallrot anlaufen lässt, weil mir einfällt, wo ich eigentlich gerade bin.
"T-Takamiya-san? Alles okay?", absolut gar nichts ist okay.
"K-klar! Tut mir leid...", ich habe überhaupt nicht zugehört.
Dass ich jemals auf ein Date eingeladen werden würde, hätte ich ja selbst nicht gedacht. Ist vielleicht nur ein Gokon, aber für jemanden für mich ist selbst so etwas Gewöhnliches einen Nobelpreis wert.
"Takamiya-san, ist dir nicht gut?", fragt mich Miyano-san und sieht mich irritiert an. Ein paar Sekunden, um zu überlegen, gönne ich mir, ehe ich langsam den Kopf schüttle.
"Ist es okay, wenn ich heimgehe?", fast befürchte ich, dass sie mich nicht hört, aber das tut sie tatsächlich.
Mit gesenktem Kopf bezahle ich im Voraus und verlasse den Laden. "Toll gemacht, Finnland.", schnaube ich verächtlich und schiebe meine Hände in die Taschen. Da ist es sicher.
Eine Sidestory über Fumiko Takamiya, die Cousine von Taiyo und Elvis, die am
8. Juni 2020 angelegt und im Grunde nie richtig angefangen wurde. Lediglich am
6. Dezember 2022 wurde ein Kapitel über ein Doppeldate angefangen, um die Geschichte aussortieren zu können. In dieser Sidestory sollte es darum gehen, wie Fumiko mit ihren Gefühlen für Kaishi umgeht, dem reichen Schönling aus der Besetzung. Diese Geschichte konnte ich gar nicht richtig schreiben, weil ich Fumiko als Charakter fundamental verfehlt und nicht richtig verstanden habe. Ich meine, "Finnland" wegen
Hetalia? Was dachte ich mir dabei?
Was die Dynamik der beiden in Zukunft hergeben wird, weiß ich noch nicht so genau.