Weiß Kreuz von abgemeldet (Unschuld und Sünde) ================================================================================ Kapitel 4: Entscheidungen ------------------------- Yoji lehnte an seinem Wagen. Eine Kippe hing halb in seinem Mundwinkel, als er zu der Schule hinüber sah, auf die Omi und Aya gingen. Noch herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Es war erst kurz vor drei. Die ersten Klassen würden jetzt gleich Schulschluss haben. Er blickte genervt auf die Uhr. Omi hatte ihn gebeten, ihn ausnahmsweise von der Schule abzuholen und nur ziemlich beiläufig erwähnt, dass er Aya dann ja auch direkt mitnehmen könne. Und das nach diesem Fiasko heute Morgen... Yoji biss fest auf die Zigarette. Noch nie zuvor hatte er verschließbare Türen so zu schätzen gewusst, wie er es jetzt tat. Aya gab ihm einfach den Rest. Und was für ein Rest das war. Sie dachte sich ja nicht mal etwas dabei, wenn sie Dinge tat, wie sich mit halbgeschlossener Tür umzuziehen. Sie hing einfach manchmal zu tief in ihrer kleinen Traumwelt und bekam das einfach nicht mit. Aber musste so was denn geschehen, wenn er nichts Böses ahnend an ihrem Zimmer vorbei musste? Mit welcher Schandtat hatte er das verdient? Wenn Ran ihn erwischt hätte, dann wäre er jetzt die japanische Ausgabe eines italienischen "Il Castrato". Er spürte einen brennenden Schmerz, der durch seine Lendengegend schoss. Ja... das wäre schmerzhaft geworden. Sehr schmerzhaft. Er kniff die Beine in einem plötzlichen Reflex zusammen. Das durfte er sich nicht mal vorstellen. Er schüttelte sich in dem Moment, als die Schulglocke läutete. Schüler stürmten mit glücklichen Gesichtern aus dem großen Betonklotz. Einige rissen sich bereits auf dem Weg aus der Schule Teile ihrer Uniformen vom Leib. Er schüttelte den Kopf. Warum diesen Uniform-Wahn überhaupt jemand mitmachte, war ihm ziemlich fraglich. Allerdings sahen gewissen Wesen mit Namen Aya einfach zum Anbeißen aus, wenn ihre langen Beine in diesem verdammt kurzen Röckchen steckten. Und dann hörte er sie... Ayas Lachen klang schon von weitem über den Schulhof, als sie mit Omi das Schulgebäude verließ. Ihre Haare hatte sie irgendwann im Laufe des Tages zu einem hohen Pferdeschwanz umfrisiert, der nun leicht auf und ab wippte, während sie neben dem 17-Jährigen herlief. Yoji ließ seinen Blick über sie gleiten. Die Kippe fiel ihm aus dem Mund und landete auf seiner Hose. Langsam brannte sie sich durch den Stoff, wovon er allerdings keine Kenntnis nahm. Ein leichter Schweißfilm glänzte auf Ayas Haut, so dass ihre Beine in der Sonne schwach schimmerten. Omi lachte gerade laut. "Ich verstehe sowieso nicht, warum du immer so rennen musst. Du legst dich irgendwann sicherlich mal auf die Nase." Sie schüttelte kichernd den Kopf. "Ach was. Und wenn doch, dann kümmerst du dich um mein angeschlagenes Näschen. Nicht wahr, Omi?" Sie kniff ihm leicht in die Seite und legte den Arm um ihn. "Aber sicher doch. Dann werde ich dein kleines Näschen hegen und pflegen." Er hob die Hand und stubste mit einem Finger ihre Nasenspitze an. Yoji starrte mit großen Augen auf die Szene und lief langsam rot an. Dieser verdammte abgebrochene Gartenzwerg. Der sollte gefälligst seine duseligen blauen Kuhaugen von Aya nehmen. Und seine verdammten Patschpfoten auch, sonst würde er bei der nächsten Gelegenheit Bekanntschaft mit seinen Fäusten machen. Er spürte plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Bein, als sich die Zigarette durch die Hose gebrannt hatte. Er stieß sich vom Auto ab und schlug hektisch gegen seine Hose. "Verdammte Scheiße." Und da erklang es. Ein hämisches helles Lachen. "Na, ich hoffe doch, dass es richtig wehtut. Was ist es denn? Hat dir eine deiner Ziegen was angehangen?" Ayas dunkle Augen fokussierten ihn. Ihr Blick schnitt durch ihn wie ein Messer durch Butter. Yoji hob den Kopf und hätte ihn am liebsten sofort wieder gesenkt. In ihren Augen sah er blanke Verachtung. Womit hatte er das alles verdient? Er hatte seit bestimmt drei Monaten keine andere Frau mehr angesehen... Na ja, angesehen schon, aber nicht angefasst. Und das blieb auch so, weil er nur noch Aya wollte. Und wenn er es sich nun recht überlegte, angesehen hatte er keine andere Frau mehr seit mindestens zweieinhalb Monaten. So was musste immerhin festgehalten werden. Aya funkelte ihn böse an. Er hob erschlagen die Schultern. "Das war meine Zigarette." Er nickte zum Auto. "Also steigt ein. Ran hat mich nur weggelassen, weil ich versprochen habe, dass ich mich beeile." Omi nickte und trat an den Kofferraum von Rans weißem Porsche. Er schmiss seinen Bücherstapel hinein und hielt Aya dann die Arme hin. Diese drückte ihm ihren Rucksack in die Arme und kletterte auf den Rücksitz, den Yoji ihr freigemacht hatte. "Warum lässt er dich überhaupt mit seinem Auto fahren?" Sie hob misstrauisch eine Braue und musterte den großen Blonden fragend. Yoji schob sich mit einem Finger die Sonnenbrille auf der Nase zu Recht. "Weil ich dich vielleicht auch mitnehmen muss?! Schon mal dran gedacht, dass mein Auto nur ein Zweisitzer ist?" Aya zog die Augenbrauen wütend zusammen. Dieser blöde Saftsack. Was bildete der sich denn überhaupt ein? Ihre Stimme wurde überlagert von einem drohenden Grollen. "Ich wette, wenn du mit deinen Verabredungen im Auto bist, dann hast du reichlich Platz." Yoji, der sich mittlerweile hinter das Steuer gesetzt hatte, drehte sich langsam zu ihr um, lächelte sie übertrieben freundlich an. "Eifersüchtig? Dann zeige ich dir mal, wie viel Platz es wirklich in dem Wagen gibt." Er leckte sich lasziv über die Lippen, drehte sich wieder nach vorne und starrte wütend durch die Windschutzscheibe. Was bildete Aya sich eigentlich ein? Na gut, ganz unrecht hatte sie nicht. Er hatte sein Auto schon des Öfteren zweckentfremdet, aber das lag schon so lange zurück. Aya kochte vor sich hin und wollte Yoji bereits an den Hals springen, als Omi ins Auto stieg und zwischen den Beiden hin und her sah. "Ihr seid ja beide so was von bescheuert. Ihr merkt doch echt gar nichts mehr." Damit schnallte er sich an, verschränkte die Arme vor der Brust und sah wütend aus dem Fenster. Wie konnten zwei einzelne Menschen eigentlich so beschränkt im Hirn sein? Die Beiden liebten sich heiß und innig, aber mehr als Gemeinheiten oder missverständliche Worte und Taten bekamen sie nicht über's Herz. Dem musste endlich Einhalt geboten werden. Und dafür würde er sorgen, wenn er zu Hause war und mit Ken sprechen konnte. Das ging einfach nicht so weiter. Nicht mehr... Yoji hob hinter der Sonnenbrille eine Augenbraue und musterte den jüngsten Weiß. Was hatte der denn für ein Problem, und was meinte er denn mit seiner seltsamen Äußerung? Er zuckte mit den Schultern und startete den Wagen. Er sah noch kurz in den Rückspiegel und blickte in Ayas dunkle Augen, die sich in ihn zu bohren schienen. Sie wendete den Blick auch nicht von ihm ab, als sie sich von irgendwoher einen Kaugummi angelte und sich in den Mund steckte. Am liebsten hätte er ihr die Zunge rausgestreckt, aber diesen Drang unterdrückte er. So was tat er nicht. Das war kindisch und seiner nicht würdig. Aya, die ihn die ganze Zeit im Rückspiegel angesehen hatte, wäre am liebsten unter seinem Blick zerschmolzen, auch wenn er seine wunderschönen grünen Augen hinter der Sonnenbrille verborgen hielt. Allerdings war das aus ihrem wütenden Blick wohl nicht ersichtlich gewesen. Aber sie konnte ihn einfach nicht anlächeln. Dafür hatte er ihr in letzter Zeit zu oft zu wehgetan. Und das heute Morgen war noch mal so eine Spitze gewesen. Sie kam aus ihrem Zimmer, als sie mit dem Anziehen fertig war, und was tat er? Er ergriff die Flucht, als er sie sah. Damit er bloß nicht mit ihr reden musste. Das war so gemein gewesen. Warum musste er ihr immer so verdammt wehtun? Sie seufzte leise und machte eine Blase mit ihrem Kaugummi. Als dieser platzte, drehte sie seine Fäden gedankenverloren um ihren Finger und sah aus dem Fenster. An einer roten Ampel sah Yoji wieder in den Rückspiegel. Nur weil er Omi neben sich gewahr wurde, unterdrückte er den Drang, seinen Unterkiefer nach unten klappen zu lassen. Aya drehte in Gedanken versunken einen Kaugummi um ihren Finger, während sie auf ihm rumkaute. Aber das war ja noch nicht mal das Schlimme. Sie musste sich irgendwann in den letzten fünf Minuten die obersten drei Knöpfe ihres weißen Hemdes aufgeknöpft haben, wodurch nun die Spitze ihres roten BHs unter dem Hemd hervorblitzte. Und um es noch viel schlimmer zu machen, er konnte ihren Busen sehen, der sich in ihrem BH hob und senkte. Als Omi ihn antippte, nach vorne zur grünen Ampel nickte und ihm das stete Hupkonzert hinter ihm bewusst wurde, riss er sich von Ayas Anblick los und legte die letzten Kilometer bis zum Blumenladen zurück. Yoji stieg aus dem Auto und klappte den Sitz vor, damit Aya aussteigen konnte, doch diese zog es vor sich an Omi vorbeizudrängeln und direkt in den Laden zu rennen, ohne sich zu bedanken, ohne ihren Rucksack an sich zu nehmen, und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Er murrte ungehalten, ging zum Kofferraum, reichte Omi seine Bücher und nahm dann Ayas Rucksack an sich. Er trug ihn hinein und stellte ihn in der Küche ab. Eigentlich hätte er sie selber laufen lassen sollen. Verdient hatte sie es nicht, dass er sich die Mühe machte und ihren Rucksack schleppte. Aber nein... er war ja mal wieder so blöd. Wie man sich doch zum Affen machen konnte, wenn man verliebt war. Er nahm murrend seine Schürze vom Küchentisch, die er zuvor auf diesen geschmissen hatte und band sie sich um. Dann ging er vollkommen lustlos in den Laden und sah sich mit dem Gekreische dieser verdammten kleinen Schulgören konfrontiert. Am liebsten hätte er die Augen verdreht, aber natürlich verbot ihm das seine alte Playboy-Ehre. So ließ er widerwillig das Gequake, Gequengele und Geflirte über sich ergehen, während er immer und immer wieder einen Blick zur Verbindungstür warf, von der er hoffte, dass bald Aya in ihr stehen würde. Doch leider wurden diese Hoffnungen bitter zerschlagen. Aya saß auf der Fensterbank in ihrem Zimmer und starrte gedankenverloren in den Garten hinaus. Sie dachte über Yoji nach und über das, was er gesagt hatte. Dieser Spruch mit seinem Auto. Also hatte er wirklich bereits in dem Auto... Sie senkte den Kopf auf ihre Knie hinab und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie konnte nicht erwarten, dass er noch nie... Na ja, sie wusste ja, dass er ein unverbesserlicher Schürzenjäger war, aber das, das tat einfach weh. So etwas wollte sie nicht von ihm hören. Nicht von ihm. Denn dadurch bestätigte er alles, was sie wusste und verletzte sie abermals. Heiße Tränen lösten sich aus ihren Augen, die auf ihre nackten Beine tropften, sich mit dem leichten Schweißfilm vermengten und in ihre Söckchen liefen. Warum musste es ausgerechnet Yoji sein, an den sie ihr Herz verloren hatte? Warum unbedingt der größte Playboy ganz Japans? Wie gemein war das eigentlich? Er würde ihr Herz doch nie erhören. Sie war einfach noch lange keine achtzehn und selbst wenn sie es wäre... Sie hätte nie eine Chance bei ihm. Sie war doch gar nicht sein Typ. All seine Weiber, die sie mal kurz zwischen Tür und Angel gesehen hatte, waren groß und wirklich, wirklich schön gewesen. Und was war sie? Klein und nichts sagend. Aya schluchzte leise. Sie wollte doch nur von ihm in den Arm genommen werden. Sie wollte ihn doch nur einmal sagen hören, dass er sie mochte. Und nicht nur, weil sie Rans kleine Schwester war. Als es an der Tür klopfte, reagierte sie nicht. Und auch als Ran in ihr Zimmer trat und sie jämmerlich schluchzen sah, tat sie nichts, um etwas an dem Zustand zu ändern. Ran zerriss es fast das Herz, als er seine kleine Schwester so sah. Er trat langsam auf sie zu, trat neben das Fensterbrett und legte ihr die Hand auf den Kopf. Er strich über die schwarzen Wellen, die ihr über die Schultern und den Rücken fielen. Und dann zog er sie an sich. Umarmte sie in dem stummen Versuch, ihr all das Leid zu nehmen, das nun auf ihrer Seele lastete. "Was ist denn los, Aya-chan?" Er strich ihr weiter über den Rücken. Aber eigentlich war die Frage überflüssig gewesen. Yoji hatte sie von der Schule abgeholt. Es konnte also nur etwas mit ihm zu tun haben. "Es ist... es ist wegen Yoji. Er... er macht immer alles kaputt. Jedes Mal wenn ich denke, dass er mich wenigstens ein bisschen mag, tut er mir weh." Sie presste sich fest an Rans Brust und weinte einen wahren Sturzbach an Tränen, der sein Hemd langsam durchnässte. Ran zog sich das Herz zusammen. Warum musste es auch unbedingt Yohji Kudoh sein, der seiner Schwester den Kopf verdrehte? Warum ausgerechnet diese ladykillende Knalltüte? "Kleines, was erwartest du denn von so einem wie Yoji? Als der Kerl auf die Welt gekommen ist, hat er direkt die erste Krankenschwester angemacht und sie auf eine Flasche Milch eingeladen. Der ist nun mal so. Er verletzt die Frauen. Zu mehr ist er nicht fähig." Ran erschreckte beinah vor sich selber. Eigentlich hätte er Aya etwas Tröstliches sagen müssen, aber das konnte er nicht. Nicht, wenn es um Yoji ging. Da half nur die Realität. Denn diese war das Einzige, das Aya vielleicht von dieser fixen Idee mit dem Schmalspurcasanova abbringen konnte. "Red nicht so über ihn, Ran. Das ist gemein." Sie schluchzte heftiger, presste sich noch fester an ihn. "So ist er nicht. So ist er einfach nicht." Sie schüttelte schwach den Kopf. Der Rothaarige zog seine kleine Schwester fester an sich. "Aya-chan? Hör mir bitte zu." Er hob ihr Kinn leicht an und schaute in ihre rot geweinten Augen. "Habe ich dich jemals angelogen?" Sie zog die Nase hoch und schüttelte abermals den Kopf. "Nein, du warst immer ehrlich zu mir, aber..." "Nein!", er schnitt ihr das Wort ab. "Du musst mir glauben. Ich kenne Yoji so viel länger als du. Er bleibt nicht länger bei einer Frau, bis sie ihm langweilig geworden ist. Er ist doch gar nicht fähig zu lieben." Nicht mehr. Der Gedanke an Asuka, an Neu von Schreient, kam ihm kurz in den Kopf. Damals, als diese unerfreuliche Episode geschehen war, war der einzige Moment gewesen, in dem Ran geglaubt hatte, dass Yoji wirklich Liebe für eine Person empfinden konnte. Nachdem er sich durchgerungen hatte, Neu mit seinem Draht zu erwürgen, hatte er Tage, nein, ganze Wochen gelitten. Damals hatte der Playboy zum ersten Mal gezeigt, dass er fähig war, Liebe zu empfinden. Aber schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit hatte er sich wieder in seine kleinen sexuellen Abenteuer gestürzt. Und das dieses Mal mit einer Heftigkeit, die sein vorheriges Verhalten um einiges überstieg. Er war fast jeden Tag unterwegs gewesen und hatte versucht, sich mit ein bisschen Sex die Zuneigung seiner "Opfer" zu erschleichen. Und wenn er diese Zuneigung erhalten hatte, die Frauen ihm langweilig wurden, da ließ er sie fallen. Eine nach der Anderen. Und das wollte Ran seiner Schwester ersparen. Sie würde nicht noch eine Nummer in Yojis Trophäensammlung werden. Das würde er zu verhindern wissen. Selbst wenn das hieß, dass er sie damit nun noch trauriger machen musste, als sie es bereits war. "Aber Ran, er ist doch wirklich nicht so, wie du sagst. Er kann doch auch so lieb sein und so süß und..." Aya sah ihn unendlich traurig an. Warum verstand er sie nicht? Warum war er nicht der Bruder, den sie jetzt brauchte? Warum sagte er ihr nicht, dass alles gut wurde? "Jetzt mal ganz ehrlich, Aya. Du weißt doch selber, was für ein Schwerenöter er ist. Er lechzt allem nach, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dem Kerl kann man nicht trauen. Er ist nur verletzend, mehr nicht." "Aber er..." Aya, die sich gerade wieder einigermaßen beruhigt hatte, fing wieder heftig an zu schluchzen. "Aya-chan, was willst du denn mit ihm? Du kannst mir keinen vernünftigen Grund nennen, der es rechtfertig, dass du hier so weinst." Er strich über ihren Rücken. Er hasste es sie so zu sehen. Aber es ging nicht anders. Nicht dieses Mal. Sie krallte sich an seinem Hemd fest und heulte laut. "Ich liebe ihn, Ran. Ich liebe ihn wirklich. Ich denke die ganze Zeit an ihn. In der Schule, hier zu Hause, im Schwimmbad, im Garten. Überall denke ich an ihn." Ihr Körper wurde von heftigen Heulkrämpfen geschüttelt. Rans Herz zog sich fest zusammen. Das, was er zu verhindern versucht hatte, war doch eingetreten. Aya hatte sich über beide Ohren in Yoji verliebt und sprach sogar von Liebe. Aber so sehr er auch plötzlich wollte, dass sie glücklich war, er konnte sie nicht mit Yoji glücklich werden lassen. Denn dieser würde sie niemals glücklich machen, weil er weder treu war, noch es sein wollte. Er liebte sein lockeres Leben mehr, als jeden anderen Menschen auf dieser Welt. Zumal immer noch sehr fraglich war, ob er überhaupt Liebe empfinden konnte. Omi stupste Ken leicht an. Dieser stand in der Lagertür und beobachtete Yoji, der gedankenverloren mit den Armen auf dem Tresen stützte und an einem Bleistift rumnuckelte. "Die Beiden haben sich wieder so dämlich angestellt." Omi biss ein Stück von der Möhre ab, die er in der Hand hielt. "Ich habe sogar kurz gedacht, sie würden sich in Stücke reißen." "Mmh..." Ken strich sich nachdenklich über seinen imaginären Bart. "Ich verstehe nicht, warum die beiden das nicht auf die Reihe kriegen. Schau dir zum Beispiel mal Yoji an. Er steht da wie ein verlorenes Schaf auf der Weide und schmachtet mit Kuhaugen ein Bild von Aya an, das er irgendwo in seinem Herz rum trägt. Du könntest ihm da jetzt Catherine Zeta-Jones vor die Nase stellen, und er würde nicht mal mit der Wimper zucken." Omi musterte Yoji genau. Er sah wirklich aus, als würde er in anderen Sphären schweben. Seine grünen Augen starrten geistesabwesend durch den Laden, er vernahm nicht die Bitte einer Kundin, sie zu bedienen, und er bewegte sich nicht, stand ganz starr da. Und Ken hatte wohl Recht, musste Omi gestehen. Man hätte ihm wohl wirklich Catherine Zeta-Jones vor die Nase stellen können. Er hätte sich nicht gerührt, obwohl er diese Frau eine lange Zeit geradezu so anbetet hatte, als wäre sie die Erfüllung all seiner Wünsche und Träume. "Warum sagt er ihr es nicht einfach?" Omi biss ein neues Stück von der Möhre ab. "Dann hätte diese Quälerei ein Ende. Für beide...." Er runzelte leicht die Stirn. Als er eben an Ayas Zimmer vorbei gegangen war, hatte er sie weinen gehört. Mal wieder... Ken zuckte leicht mit den Schultern und griff zu einem Teller mit Keksen, die Aya gebacken hatte. Er stopfte sich nachdenklich einen Keks in den Mund und kaute darauf herum. "Überleg doch mal, wie es ihm damals ging, als Neu ihn so an der Nase herumgeführt hat. Er hat sehr lange um sie getrauert. Viel zu lange. Und als er sich dann wieder aufraffte, begann er, allem nachzusteigen, das weiblich war. Ich weiß nicht ob zur Trauerbewältigung oder einfach aus Frust. Vielleicht wollte er sich auch nur was beweisen. Und dann kurze Zeit später ist auf einmal Aya da. Und dass sie wie ein kleiner Wirbelwind hier eingefallen ist, kannst du nicht leugnen." Omi kicherte leise. "Stimmt schon. Seitdem sie hier ist, ist es noch ein wenig interessanter geworden, als es vorher war. Vor allen Dingen ihre heißblütigen Auseinandersetzungen mit Ran, wenn sie sich fast die Köpfe einschlagen." Ken musste ebenfalls lachen. Das war aber auch wirklich zu komisch, wenn die beiden sturen Fujimiyas aufeinander prallten und sich anschrieen, dass die Wände wackelten. Dann räusperte er sich leise und steckte sich einen weiteren Keks in den Mund, an dem er nachdenklich rummümmelte. "Na ja, und Aya schleicht sich nun mal schnell in die Herzen anderer ein. Sie ist doch wirklich lieb, süß, hilfsbereit und eigentlich immer fröhlich." "Hübsch.", warf Omi ein. "Wundert mich eigentlich, dass Ran ihr Bruder ist." Ken sah den Jüngeren erst perplex an und grinste böse, räusperte sich dann aber und fuhr fort. "Richtig, hübsch ist sie auch. Und jetzt stell dir mal vor, du wärst Yoji..." Er driftete in seinen Gedanken ab. "Wenn ich Yoji wäre, würde ich mir echt ausgelaugt vorkommen bei den ganzen Weibern..." Omi nahm amüsiert Kens abwesenden Blick zu Kenntnis und knuffte ihn leicht in die Seite. "Also, ich stelle mir vor, ich wäre Yoji?" Er griff an Ken vorbei zu den Keksen und schob sich einen in den Mund. "Na ja, als Yoji hättest du dann immer Frauen, die im Endeffekt ja nur genau das Gleiche wollen wie du. Gut, sie sind vielleicht so gepolt, dass sie noch etwas mehr als Sex erwarten, aber... Auf alle Fälle ist Aya wohl das, was er schon immer gesucht hat. Sie verkörpert Unschuld und diese Unschuld steckt in na ja... du weist ja selber, wie sie aussieht. Hast sie dir ja ziemlich genau angesehen in der Küche." Ken haute ihm etwas zu fest den Ellenbogen in die Rippen. Omi strauchelte und klammerte sich an dem Älteren fest. "Hey, nicht so grob. Und ja... ich habe sie mir angesehen." Er lief rot an und sah verlegen zu Boden. Ken grinste breit. "Wir haben sie uns alle angesehen. Ran zwar nur mit den Augen eines Bruders, aber er hat sie auch angesehen. Also mach dir keine Gedanken." Er klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter, griff nach einem Keks und stopfte diesen Omi in den Mund. "Na ja, bei den beiden prallt dann eben die geballte Unschuld auf die geballte Sünde, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Und meinst du, es ist für jemanden, der so erfahren ist wie Yoji, so leicht einem so unschuldigen Mädchen wie Aya zu sagen, was er für sie empfindet. Er muss doch immer Angst haben, dass sie das falsch versteht. Und..." "Sie hat Angst, dass er sie zurückweist, weil sie denkt, dass sie ihm zu unschuldig ist. Weil sie eben keine Erfahrungen hat und noch so jung ist. So viel jünger als all die Frauen, die Yoji in der Regel abschleppt. Sie hat Angst, dass sie seinen Ansprüchen nicht genügt." "Richtig." Ken runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. Er musterte wieder nachdenklich Yoji, der sich mittlerweile durch den Stift gelutscht haben müsste. "Ich bringe unserem verliebten Schwerenöter mal ne kleine Stärkung. Der kippt uns sonst um, weil er heute noch nichts gegessen hat." Ken schnappte sich den Teller mit den Keksen und ging in den Laden. Er stellte ihn neben Yoji ab und tippte ihn mit dem Ellenbogen an. "Hey, iss mal einen Keks. Du siehst aus, als wenn du gleich zusammenklappst. Du brauchst Zucker." "Mmh...?" Yoji löste sich langsam aus seiner Starre, nickte dann in einem automatisierten Prozess, den er schon seit einigen Monaten, seitdem er sich in Aya verliebt hatte, angenommen hatte und nahm sich einen Keks. Er hielt ihn eine Weile zwischen den Fingern und starrte nachdenklich auf das herzförmige Plätzchen. Plötzlich blinzelte er und verengte die Augen zu Schlitzen. Ein kleines Herzchen lag in seiner Hand. Ein kleines Herzchen, dass Aya vor ein paar Tagen so liebevoll gebacken hatte. Ein seliges Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht. Dann drehte er sich plötzlich um und schlug Ken mit voller Wucht auf den Rücken. "Du bist ein Genie, Hidaka." Damit wetzte er aus dem Laden und schoss die Treppe zu seinem Zimmer hoch. Omi trat mit einem verwirrten Gesichtsausdruck neben Ken. "Was hat er denn nun für ein Problem?" Er griff wieder nach den Keksen, die immer noch auf dem Tresen standen. Ken zuckte mit den Schultern. "Sehe ich aus wie ein Rauschgoldengel, und heiße Yohji Kudoh?" "Nee, Gott sei Dank nicht. Zwei mal würde ich den nicht ertragen." Omi sah Yoji immer noch hinterher, obwohl der schon lange in seinem Zimmer verschwunden war. Yoji ließ die Musik in seinem Zimmer dröhnend laut laufen, während er in seinem Kleiderschrank wühlte und ein passendes Outfit für den Abend auswählte. Er zog ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose hervor, legte die Stirn kurz nachdenklich in Falten und nickte für sich selber. "Ja, das geht." Er erhob sich, schmiss die Sachen auf sein Bett und schlenderte ins Bad, um sich zu duschen. Er stieg aus seinen Klamotten, drehte das Wasser auf und stieg unter den Wasserstrahl. Dieser war so heiß, dass das Bad binnen kürzester Zeit voll gedampft und Yojis Rücken krebsrot war. Nachdem er aus der Dusche gestiegen war und sich sein Handtuch um die Hüften geschlungen hatte, wischte er mit der Hand über den Spiegel, von dem das Kondenswasser abperlte. Er sah hinein und schaute sich nachdenklich an. "Heute gibt es deine letzte Feuerprobe, Kudoh. Also streng dich an. Wenn das gut geht, dann sagst du Aya endlich, was du für sie fühlst." Er öffnete brav das Fenster im Badezimmer, weil er keine Lust auf eine weitere Predigt von Ran hatte und verließ das Bad. In seinem Zimmer trocknete er sich ab und zog sich an. Er sah in den Spiegel und warf sich seinen eigenen Ladykiller-Blick zu. "Ja, ich würde mich auch in mich verlieben, wenn ich eine Frau wäre." Er grinste sich selber breit an und machte ein paar lächerliche Posen vor dem großen Spiegel. Schließlich schaute er sehnsüchtig in die Richtung von Ayas Zimmer. "Wenn das klappt, Süße, dann werde ich dir sagen, was ich für dich fühle. Selbst wenn du mich dann zurückweist. Aber nach diesem Abend weiß ich dann wenigstens auf alle Fälle, dass ich es ernst mit dir meine. Todernst. Beziehungsweise habe ich dann endlich den endgültigen Beweis und kann es mich wagen." Er seufzte leise und fuhr sich noch mal durch die Haare. Er musterte sein eigenes Spiegelbild. "Wehe dir, wenn du schwach wirst. Dann rede ich mit dir kein Wort mehr, du böses Ich." Er streckte sich im eigenen Überschwang selber die Zunge raus und verließ dann pfeifend sein Zimmer. "Was sagst du, Reika? Du kommst nicht mit?" Aya, die sich nach einer halben Stunde, die sie schluchzend in Rans Armen verbracht hatte, endlich wieder beruhigt hatte, lag auf ihrem Bett und strampelte mit den Beinen. "Du hast aber versprochen, dass du mitkommst. Ohne dich schaffe ich das doch gar nicht. Ich brauche dich da. Die lassen mich doch niemals rein." Aya lauschte der Stimme ihrer besten Freundin und murrte dann ungehalten. Reika hatte ihr am Morgen in der Schule eine Karte für den begehrtesten Club der Stadt überreicht. Und in den kam man erst, wenn man 21 Jahre alt war. Wovon sie ja noch weit entfernt war... Und nun versetzte Reika sie, weil ihre Eltern sie erwischt hatten, als sie sich aus dem Haus schleichen wollte, um sich bei Aya aufzustylen. "Hausarrest? Wie lange?" Aya schlug sich die Hand vor den Kopf. "Warum hast du ihnen nicht direkt gesagt, dass du bei mir schlafen willst? Dann wäre das doch kein Problem gewesen." Na ganz toll. Da hätte sie schon mal in den Club gekonnt und nun? Aya spürte wie Wut in ihr hoch kroch. Wie konnte man auch nur so blöd sein? "Hör mal, Reika. Wenn dir das nichts ausmacht, dann werde ich versuchen, alleine rein zukommen. Ich habe mich so gefreut und na ja... Ich brauche das. Ich brauche Aufmerksamkeit und Ablenkung." Sie lauschte Reika noch eine Weile und schüttelte dann den Kopf. "Nein, ist alles in Ordnung. Wirklich. Mach dir keine Sorgen. Und ja, ich passe auf mich auf. Bis Morgen dann in der Schule." Aya legte auf und drehte sich auf den Rücken. Reika war die beste Freundin, die sie jemals gehabt hatte, aber sie wusste nichts davon, dass sie in Yoji verliebt war. Das wusste niemand. Nur Ran. Und Omi, wenn er eins und eins zusammenzählte. Aya griff zu ihrer Nachttischkommode hinüber und öffnete die Schublade. Sie wühlte in ihr herum und zog ein Foto hervor. Sie hatte eine Kollage für den Laden basteln wollen und hatte zu diesem Zweck die Vier Floristen fotografiert. Yoji hatte das gar nicht wirklich mitbekommen. Er hatte mit geschlossenen Augen vor dem Laden gestanden und hatte die Blumen gegossen. Aya war immer noch davon überzeugt, dass er eingeschlafen war. Das hatte er schon einmal fertig gebracht. Er hatte im Laden an der Wand gelehnt und hatte tief und fest geschlafen, bis Ran ihm einen festen "unabsichtlichen" Stoß versetzt hatte, und Yoji fast in die Blumen gefallen wäre. Das Bild war zu niedlich. Er hatte sich die Haare im Nacken wie immer, wenn er im Laden arbeitete, zusammen gebunden, Nur zwei zu kurze Strähnen, die nicht in den Zopf gepasst hatten, hingen an seinen Ohren hinunter. Und dann dieser Gesichtsausdruck. Selbst Ran hätte nicht abstreiten können, dass er so unschuldig aussah wie ein kleiner Junge, der tief und fest schlief. Aya nahm ihre Finger an ihre Lippen und hauchte einen Kuss auf die Finger. Dann drückte sie sie auf das Bild, drückte das Bild abschließend an ihr Herz und umschlang es mit den Armen, als wäre es leibhaftig Yoji, den sie nun an sich drückte. "Mir ist es egal, was Ran sagt. Ich liebe dich. Und selbst wenn ich mich zum Volldeppen mache, ich werde es dir sehr bald sagen." Sie hob das Bild noch mal an und schaute Yoji aus verliebten Augen an. Sie legte das Bild zurück in die Schublade, schloss diese und sprang vom Bett auf. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Outfit, dass sie am Abend tragen wollte. Wobei das noch das kleinste Problem war. Wie sollte sie aus sich eine 21-jährige machen? Sie sah nachdenklich in den großen Spiegel in ihrem Zimmer und tippte sich mit ihrem Finger gegen das Kinn. Die Schritte und das Pfeifen, welche auf dem Flur erklangen, vernahm sie überhaupt nicht. Zu sehr war sie in ihre Gedanken und die Frage des Make-ups vertieft. Und dann war da auch immer wieder Yoji, der laufend grinsend vor ihrem inneren Auge auftauchte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)