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Welt ohne Grenzen

von

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Mann ohne Namen (Noctis Lucis Caelum)

Ich weiß nicht, was genau mich geweckt hat, aber da ist ein Schatten in meinem Fenster. Klar abgehoben gegen den Mond und die wenigen Lichter der stromarmen Stadt kann ich die Silhouette eines Mannes erkennen, der auf dem Sims kauert, ein Schwert in jeder Hand. Seine scharfen Augen blitzen hell auf, als ich den Dolch in meine Hand beschwöre, und mit einem Satz ist er bei mir. Es gibt ein Klirren von Metall auf Metall als ich mich im Bett herumwerfe um den Angriff abzuwehren, der Mann springt einfach über mich hinweg und landet auf der anderen Seite. Einen Moment konnte ich sein ganzes Gewicht in der Klinge zwischen meinen beiden Messern spüren… Ich trete die Decke beiseite um mich freier bewegen zu können und fasse den Mann ins Auge, soweit es die Dunkelheit des Raumes erlaubt.
 

„Wer ist da?“
 

Keine Antwort, aber ich hatte auch keine erwartet. Seine Schwerter blitzen im schwachen Licht der Stadt, ich habe gerade genug Zeit zu reagieren, um sie noch einmal mit meinen Dolchen zu blocken. Der Mann ist schnell, setzt einen Angriff nach dem anderen an, stört sich auch kaum daran, dass ich jeden Schlag blocke. Sicher baut er darauf, dass ich, müde wie ich bin, noch früh genug einen Fehler machen werde. Meine Handgelenke protestieren bereits gegen die Anstrengung, die großen Schwerter mit meinen dünnen Dolchen abzufangen, und so wechsle ich zu meinem eigenen Schwert und gehe in den Angriff über. Ein gut gezielter Warpsprung und ich habe den Angreifer an der Wand, meine Klinge an seinem Hals. Einen fürchterlichen Augenblick sehe ich mich wieder in derselben Position im Zug nach Gralea – sehe Promptos Gesicht über meinem Schwert.
 

Der kurze Moment genügt. Ich war unvorsichtig, habe zu lange gezögert. Ein Schwertknauf trifft mich hart in die Magengrube und mir zieht es den Boden unter den Füßen weg. „Nicht Prompto“, höre ich Gladios Stimme in meiner Erinnerung, „Das war einer von den Magitech-Assassinen. Prompto ist Scharfschütze, schon vergessen?“ Nein, natürlich habe ich es nicht vergessen. Der Mann hat auch ganz andere Augen als Prompto, viel schmaler und schärfer, wie die einer Katze. Und seine Haare sind viel länger. Trotzdem… in diesem einen Moment, als das Licht meines Warps sein Gesicht gestreift hat, war ich wieder an diesem schrecklichen Ort. Dem Moment, in dem ich Prompto beinahe getötet hätte, weil ich ihn nicht erkannt habe. Weil er für mich wie Ardyn aussah. Ich sollte darüber hinweg sein. Die Erinnerung ist eine Schwäche, die mich gerade hätte töten können. Aber der Assassine ist wohl nicht hier um mich zu töten, es reicht ihm schon, dass ich benommen zusammenbreche.
 

„Das war leichter als ich dachte“, meint er, und auch seine Stimme ähnelt der von Prompto. Nicht genug, als dass er sich als Prompto hätte ausgeben können, aber ein wenig unheimlich ist es schon. Ich weiß, dass ich wieder auf die Füße kommen muss, mich wehren, um Hilfe rufen, aber der Assassine beugt sich einfach über mich und drückt mir ein Tuch über Mund und Nase. Der Geruch macht mich schläfrig… ich kämpfe dagegen an, weiß, dass Schlafmittel mitunter eine halbe Stunde brauchen, um richtig zu wirken, aber es ist zwecklos. Der Assassine hat den längeren Atem, hält mir mit dem Tuch den Mund zu, dass ich nicht schreien kann und setzt sich auf mich, dass ich nicht kämpfen kann. Ich bin müde… ich weiß, dass ich nicht einschlafen darf, aber ich habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper.
 

Vielleicht hätte ich die anderen nicht wegschicken dürfen. Aber Gladio ist verletzt, Ignis überarbeitet, und auch Prompto hat sich nach all den Torturen, die er durchleiden musste, eine Auszeit verdient. Ein bisschen Zeit mit der schönen Cidney in Hammerhead. Ich wünschte trotzdem er wäre jetzt hier. Dabei steht nur wenige Meter vor meiner Tür eine Wache, die hätte hereinkommen müssen bei all dem Lärm hier drin. Hat er uns nur nicht gehört durch die neue Tür? Oder ist er ausgeschaltet worden? Ich hoffe, dem armen Kerl geht es gut… ein junger Bursche, ich erinnere mich nicht an den Namen. Hoffentlich ist er einfach nur eingeschlafen auf seinem Posten… schlafen… aus irgendeinem Grund sollte ich nicht einschlafen, aber ich erinnere mich nicht, warum. Ich bin so müde… mein Körper ist so schwer. Und es ist dunkel. Nacht… ich sollte wieder ins Bett gehen, aber der Teppich ist gut genug. Hier kann ich auch schlafen. Meine Augen sind längst geschlossen, und auch mein Geist hört endlich auf sich zu wehren. Schlafen ist gut… schlafen geht immer.
 

Es dauert eine Weile, bis ich meine Augen wieder öffnen kann. Ich bin immer noch völlig weggetreten, aber langsam weicht der Schlaf einer Benommenheit, die nur von Medikamenten stammen kann. Ich erinnere mich wieder an den nächtlichen Angriff und zwinge mich, zur Besinnung zu kommen. Der Raum, in dem ich mich befinde, ist verdammt kalt dafür, dass ich nur meinen dünnen Seidenschlafanzug trage. Ich sitze auf etwas hartem, einem Stuhl vielleicht, gefesselt mit schweren Ketten, die sich mehrfach um meinen Körper und meine Beine schlingen und jeweils in schlichten Metallfesseln enden. Meine Beine sind eng an die des Stuhls gekettet, meine Arme in unbequemer Haltung hinter der Lehne gefesselt. Mein Kopf ist verdammt schwer und das Atmen tut weh. Um meinen Hals ist ein eiserner Ring befestigt, von dem eine Kette bis zur Decke führt.
 

Ich habe Angst. Der Raum ist beleuchtet, und nun sehe ich deutlich den Mann, der mich angegriffen und hergebracht hat. Er lehnt lässig an der Tür, wie Prompto es auch machen würde, und spielt mit seinen Waffen. Aber er ist nicht Prompto. Er ist ein Assassine. Ein Feind, der ihm, leider nicht ganz zufällig, ähnlich sieht. Ich will etwas sagen, aber noch ist meine Zunge taub und schwer und mein Gehirn weigert sich, die richtigen Worte zu versammeln. Mist. Ich muss irgendwie funktionieren… ich bin gefangen, wer weiß wo, sitze gefesselt und im Schlafanzug vor einem Mann, der mich auch hätte töten können und alles, was ich tun kann, ist bedröppelt in der Gegend herumzuschauen. Ich muss wach werden. Ich muss hier irgendwie raus, bevor meine Abwesenheit am Ende noch einen Krieg provoziert.
 

„Na, endlich wach, euer Hoheit?“ Eine neue Stimme, rauer und tiefer als Promptos. Der Mann, der jetzt in mein Blickfeld tritt ist unbewaffnet, trägt dafür teure Kleidung, die wie eine Uniform aussieht. Hellblau und Gold mit einem mir unbekannten, spiralförmigen Wappen. Seine blonden Haare sind streng zurückgegelt, sein Gesicht und ein großer Teil seines Halses entstellt von Narben, wie sie die Dunkelheit zurücklässt. Ein Auge ist blind, das andere strahlend blau. Er ist unbewaffnet, aber das hilft mir in meiner Situation nicht viel. „Schicker Schlafanzug. Der allein war sicher teurer als die meisten Monatsmieten unten in der Stadt, was? So ein Luxus…“
 

Der Pyjama hat meinem Vater gehört. Er war noch gut, Vater hat ihn kaum getragen. Aber natürlich wäre für mich auch ein neuer gekauft worden und ja, der Preis meiner Kleidung ist astronomisch. Weil die Schneider nur die beste Ware verwenden und sich ihren Dienst gut bezahlen lassen. So funktioniert die Wirtschaft – auch ich bekomme nicht einfach alles geschenkt.
 

„Ich hab auch schon in billigeren Sachen gepennt“, murmle ich verschlafen, „hat sich recht gleich, wenn’s nach mir geht. Aber die Leute haben ein gewisses Bild von mir, das ich halten muss. Meine Kleidung symbolisiert den Wohlstand des Landes.“
 

„Auch wenn die Leute in Zelten schlafen?“
 

„Tun sie nicht mehr. Oder bald nicht mehr. Die Häuser werden wieder gebaut.“
 

„Ja. Jetzt. Aber vorher, da hat euer wohlbetuchtes Land lieber eine Maschine gebaut, nicht wahr? Eine, die Monster wie mich töten soll.“
 

Der Mann greift in seine Jacke. Einen Moment fürchte ich, er würde doch eine Waffe ziehen, aber es ist nur ein Foto von einer kleinen Familie. Ich erkenne den Mann der vor mir steht auf dem Bild. Seine Haare hängen frei über die zerstörte Gesichtshälfte und er lächelt. Bei ihm sind eine schöne, blonde Frau und zwei süße kleine Mädchen.
 

„Meine Familie“, erklärt er, „Als die Maschine ihre Fühler nach Lestallum ausgestreckt hat, haben meine Töchter und ich plötzlich Kopfweh bekommen. Schlimme Kopfschmerzen, wie ich sie nicht erlebt habe, seit diese Frau mich von der Plage geheilt hat. Ich hab das überstanden, aber meine Kinder… Lil war erst acht, Pip zehn. Sie sind einfach gestorben! Und weißt du, was meine Frau getan hat, als sie erfahren hat warum? Dass ihr Mann ein Monster ist?“ Der Mann reißt an der Kette an meinem Halsband, dass mir einen Moment lang komplett die Luft wegbleibt. „Erhängt hat sie sich! Weil sie es nicht ausgehalten hat, mit einem wie mir verheiratet zu sein!“ Wütend wirft er die Kette von sich und stapft weg von mir. Ich hole rasselnd Luft, versuche zu verarbeiten, was ich gehört habe. Was ich weiß und was nicht.
 

Der entstellte Mann läuft wütend im Raum auf und ab, auch er scheint sich seine nächsten Sätze zu überlegen. Ich bin der erste, der die richtigen Worte findet. „Sie sind Kapitän Nemo, richtig?“ Der Mann stoppt und fixiert mich mit seinen ungleichen Augen. „Wer hat dir das gesagt?“ Er blickt zu dem Assassinen an der Tür, der zuckt nur die Schultern. „Ein Freund… hat mir von euch erzählt.“
 

Und davon, dass sie ihn gefangen genommen haben und im Kampf gegen Lucis einspannen wollten. Er hat sich geweigert und wurde schließlich ausgesetzt… aber man war nett zu ihm, hier. Man wollte ihm helfen, hat nur seine Position nicht verstanden. Wenn ich mir Nemo so ansehe begreife ich, warum.
 

„Ein Freund, ja?“, Nemos Worte sind bitter, als er den rechten Ärmel hochschiebt, „Hatte dieser Freund auch so einen hier?“ Ein Barcode wie Promptos, nur mit anderen Zahlen. Nemo hat sich den ganzen Unterarm tätowieren lassen, damit der Code nicht auffällt, er wirkt wie ein Teil des gewollten Musters. Ich nicke schlicht.
 

„Und seine Nummer?“, fragt der Kapitän. N-iP01357/05953234. Ich kann die Nummer immer noch auswendig, jetzt, wo ich sie nicht mehr brauche. Trotzdem weigere ich mich, sie aufzusagen. Mein Freund ist keine Nummer, er ist ein Mensch. „Er heißt Prompto“, antworte ich bestimmt. Der Klang meiner Stimme erschreckt mich beinahe selbst, aber die Reaktion der beiden Männer im Raum ist beinahe überzogen. Als hätten sie einen Geist gesehen.
 

„Prompto ist tot“, versichert mir Nemo. Seine Hände zittern. „Diese Maschine hat ihn umgebracht. Weil er sich nicht helfen lassen wollte… weil er bis zum Schluss an Lucis und seinem König festgehalten hat. Obwohl ihr ihn verstoßen und verwundet habt. Er war mein kleiner Bruder! Und er ist gestorben wie ein Tier weil ihr genau das wolltet!“
 

Ich balle die Hände zu Fäusten, auch ich kann meinen Zorn nur schwer beherrschen. „Ich hasse diese Maschine ebenso wie ihr“, versichere ich, „Und ich habe sie zerstört. Prompto hat überlebt, er ist nach Hause gekommen. Zu mir. Es geht ihm gut.“
 

„LÜGNER!“ Nemos Hand schnellt vor und schlägt mir mit geballter Faust ins Gesicht. Als wäre ich seinen Blick nicht wert wendet er sich ab und stürmt aus dem Raum. Irre ich mich, oder waren da Tränen in seinen Augen? Mein Gesicht brennt, wo der Schlag getroffen hat, aber ich beschwere mich nicht. Prompto hat stur jede Hilfe verweigert, weil er diesen ‚Bruder‘ nur als Feind von Lucis gesehen hat. Weil er nicht selbst für einen Feind gehalten werden wollte, aus der uralten Angst heraus, man könnte ihn wegen des Barcodes für einen Spion halten. Dummkopf… aber treu wie ein Hund.
 

„Ich hätte nie verlangt, dass Prompto sein Leben aufs Spiel setzt“, informiere ich den Assassinen, „Wir hätten ihn auch in euren Kampuniformen akzeptiert, wenn ihn das am Leben hält. Bisschen Autolack in Schwarz, Rot und Silber, dann erkennt man ihn auch auf den ersten Blick als einen von uns.“
 

„Meinst du, dann hätte er sich helfen lassen? Wenn wir ihm angeboten hätten, den Anzug in den Farben der lucischen Garde anzumalen?“ Die Stimme des Assassinen klingt direkt sanft im Vergleich zu Nemos. Seine Worte bringen mich zum Schmunzeln. „Vielleicht? Es wäre zumindest ein Angebot gewesen… ein kleiner Schritt in Richtung Verständnis. Prompto ist ein Mann der lucischen Königsgarde, er verrät sein Land nicht. Und er wusste, dass im Grunde nur wenige für den Bau der Maschine verantwortlich sind. Auch in Lucis leben Kinder… unschuldige Kinder, die keinen Krieg wollen. Er hätte euch nie geholfen, gegen die Kinder seiner Freunde in den Krieg zu ziehen.“
 

Schweigen. Jeder von uns hängt seinen Gedanken nach. Mir passt nicht, dass Prompto hier sein Leben riskiert hat, auch wenn ich seine Motivation verstehen kann. Er wäre beinahe gestorben… so kurz vor meiner Rückkehr. Aus reiner Sturheit, seiner eigenen, und der von Nemo.
 

„Hast du auch einen Namen?“, frage ich schließlich, um die Stille zu überbrücken.
 

„Nemo hat mich ‚Spero‘ genannt“, kommt die Antwort, „das heißt ‚Hoffnung‘. Ich war der erste, den er aus der Fabrik gerettet hat.“
 

„Spero also. Freut mich, dich kennen zu lernen. Mein Name ist Noctis. Für Freunde einfach Noct.“
 

„Noct…?“ Speros schmale Augen weiten sich. „Etwa… aber dann…“
 

Ich verstehe nicht, was plötzlich los ist, aber Spero kommt mit drei schnellen Schritten auf mich zu und fasst mein Gesicht mit zitternden Händen, als hätte er einen Geist gesehen. „Du bist… Noct? Ich dachte… Prompto hat so oft von dir gesprochen. Noct, Ignis, Gladio… dass ihr seine besten Freunde seid, ihn akzeptiert, wie er ist. Aber er hat nie erwähnt… dass du der König von Lucis…“
 

Ich muss lachen. Auch das ist wieder so typisch. „Ah, Prompto hat mich nie wie einen König behandelt“, erkläre ich, „Wir kennen uns aus der Schule, sind seit Jahren beste Freunde. Er wusste immer, wer und was ich bin, aber er hat mich trotzdem wie einen Menschen behandelt. Nur normal, dass ich ihm denselben Gefallen tue, oder? Wenn man alles andere weglässt, sind wir beide nur ganz normale Jungs, die Tiere, Videospiele und schnelle Autos mögen wie viele andere auch.“
 

Spero sieht mich immer noch an, als hätte er spontan das Atmen verlernt. Seine Hände tasten mein Gesicht ab, es tut weh, wo Nemo mich vorhin geschlagen hat, aber ich beschwere mich nicht. „Du bist… sein bester Freund. Den er so vermisst hat… er hat so oft im Schlaf nach dir gerufen, weißt du?“
 

„Ich kann es mir vorstellen, ja. Ich war zehn Jahre fort… tot, bis die Götter mich zurückgeschickt haben. Wir hätten einander beinahe verpasst.“
 

„Er sagt immer, er hätte keine Angst vor dem Tod. Dass da jemand wartet, der ihm vorausgegangen ist…“
 

„Da ging es wohl um mich.“
 

Ich frage mich, ob Spero wohl so nett wäre, meine Fesseln zu lösen. Wenn ich wenigstens mein Handy bei mir hätte, könnte ich Prompto einfach anrufen… Vielleicht ließe sich das hier friedlich klären.
 

Die Tür geht wieder auf, und Spero geht fast an die Decke vor Schreck. Er sieht Prompto in dem Moment so ähnlich, dass ich mich zwingen muss, nicht laut aufzulachen. Nemo dagegen ist immer noch wütend, und dass Spero seinen Posten verlassen hat, scheint ihn auch nicht gerade milde zu stimmen. Ich hoffe, der arme Kerl bekommt keinen Ärger… zumal er jetzt sogar die Dreistigkeit zeigt, sich schützend vor mich zu stellen.
 

„Nemo… großer Bruder. Ich weiß, wie das hier aussieht, okay?“, stammelt er und versperrt meinen Blick auf Nemo mit seinem Rücken, „Das hier… der König… das ist Promptos Freund Noct. Der, den er so vermisst hat… er würde nicht wollen, dass wir ihm etwas tun. Bitte…“
 

„Lass dich nicht einlullen, Spero.“ Nemos Worte sind hart, ebenso seine Stimme. „Prompto ist tot, seine Freunde haben ihn im Stich gelassen. Keiner hat nach ihm gesucht, keiner hat ihm geholfen, als die Maschine ihn umgebracht hat. Keiner außer uns.“
 

„Wir haben ihn auch zurückgelassen…“, gibt Spero zu bedenken.
 

„Wir hatten keine Wahl, er hat uns nicht erlaubt, ihm zu helfen! Weil die ihm eingeredet haben, er gehöre zu ihnen! Ich konnte nicht… wenn wir ihn weiter mitgenommen hätten, wäre er nur schneller gestorben! Du weißt, warum wir ihn unter Zegnautus abgelegt haben, Spero. Das war der letzte Kalte Fleck, den es noch gab… der letzte Ort, wo er halbwegs sicher vor der Maschine war.“
 

„Dadurch hat er nur länger gelitten…“
 

„Oder gerade lange genug, um zu überleben“, wage ich einzuwenden.
 

„Wir sind sofort zurückgeflogen, als die Maschine gestoppt hat“, herrscht Nemo mich an, „Sofort. Aber Prompto war fort. Ich bin der Blutspur gefolgt, um ihn zu suchen, aber… aber da war nur noch ein Raum voller Ruß, als hätte es eine Explosion gegeben. Da war nichts mehr außer Asche!“
 

Diesmal bin ich mir sicher, dass Nemo weint. Um den kleinen Bruder, den er nicht retten konnte. „Prompto lebt“, wiederhole ich, „Er hatte Magie bei sich. Lucische Magie, die er nutzen kann. Der Zauber hatte auch einen heilenden Effekt, sicher hat die Blutspur deshalb geendet.“ Ich erinnere mich an die Brandspuren in der Wüste von Leide, wo wir den leeren Flakon gefunden haben. Wer sich mit Magie nicht auskennt, hätte sicher auch dort auf eine verheerende Explosion geschlossen.
 

„Welche wie wir nutzen keine Magie“, belehrt mich Nemo, „Das können nur die Männer des Königs.“
 

„Prompto ist einer meiner Männer. Er gehört zur Königsgarde und zu meiner persönlichen Leibgarde.“
 

„Und wieso ist er jetzt nicht hier, wenn sein König in Gefahr ist?“
 

Die Alarmanlage nimmt mir die Antwort ab. Nemo wirft einen wandhohen Bildschirm an, der den Eingang eines umgesprühten imperialen Frachtschiffes von innen zeigt. Drei Männer in Glevenuniformen haben sich gerade hineingewarpt – der größte beugt sich gleich über einen der Mülleimer, und auch der kleinste der drei sieht reichlich wackelig aus. Ich habe so eine Ahnung, wer da unter den Kapuzen steckt…
 

„Kapitän, was sollen wir tun?“, fragt ein vergleichsweise junger Mann, der gerade durch die Tür eilt. Seine Frisur ähnelt tatsächlich der von Prompto, zumindest, wenn ein starker Wind bläst.
 

„Gar nichts“, meint Nemo abweisend, „ohne Barcode kommen die hier durch keine Tür.“
 

Wie um Nemo zu ärgern tritt der kleinste der Gleven an die Tür und schiebt seinen Ärmel hoch. Das Terminal schaltet sofort auf grün um. „MI Nummer N-iP01357/05953234. Willkommen, Prompto.“ Nemo starrt den hilfsbereiten Bildschirm mit offenem Mund an, das gesunde Auge weit aufgerissen, sein Körper erstarrt. Ich zähle insgesamt fünf Herzschläge, bevor er aus der Starre erwacht, dann macht er auf dem Absatz kehrt und stürmt durch die Tür, vermutlich in Richtung Eingang.
 

„Was sag ich? Prompto lebt, und er kommt, wenn ich ihn brauche.“
 

„Ich hätte dir fast auch so geglaubt“, lacht Spero. Er klingt unendlich erleichtert. „Komm, ich mach dich los. Wär nett wenn du uns nicht anschwärzt… Nemo kann manchmal echt hart sein, aber ihm liegt viel an der Familie. Ich will nicht, dass Prompto wütend auf uns ist.“
 

„Ich will auch keinen Streit“, versichere ich, froh, die Ketten endlich los zu sein. Mir ist immer noch kalt und meine Arme und Beine schmerzen von der unbequemen Haltung der letzten Stunden, aber bis auf eine gerötete Stelle im Gesicht sieht man mir die schlechte Behandlung nicht an. Auf dem Bildschirm sind weiterhin die Gleven zu sehen, inzwischen in einem Gang. Nemo kommt ihnen entgegengestürmt und bremst kurz vor ihnen erst ab. Ignis und Gladio haben sofort die Waffen zur Hand, aber Prompto hält beide zurück und nimmt einfach die Kapuze ab. Ich kann nicht hören, was gesprochen wird. Nemo geht noch einen Schritt näher auf Prompto zu, fasst sein Gesicht, seine Schultern, bevor er ihn schließlich fest in den Arm nimmt. Prompto reagiert kaum. Er wehrt sich nicht, zeigt aber auch kein Interesse, die Umarmung zu erwidern.
 

„Lasst uns gehen, Hoheit“, schlägt Spero vor, „bevor das noch in die falsche Richtung läuft.“
 

Ich nicke und lasse mir den Weg zeigen. Barfuß ist der Boden unangenehm kalt, aber ich gebe mir nicht die Blöße, mich zu beschweren. So groß ist das Schiff ja nicht, und der Gang ist schnell erreicht. Meinen Freunden ist die Erleichterung anzusehen, als ich den Raum betrete. Prompto schiebt Nemo entschieden von sich, Ignis stürmt sofort auf mich zu, um mir seine Jacke über die Schultern zu legen. Mir ist gleich viel wärmer.
 

„Meine Güte“, murmelt Ignis, „Du bist ja halb erfroren…“
 

„Geht schon“, versichere ich, „Alles halb so schlimm.“ Auch wenn ich zugeben muss, dass es recht angenehm ist, in den warmen Mantel gewickelt ganz nah neben Ignis zu stehen. Jetzt noch ein paar flauschige Socken und alles wäre prima. Ich kann sehen, wie Nemo die Lippen aufeinander presst, aber Spero steht aufrecht und unbeirrt neben mir.
 

„Noct, bist du wirklich okay? Wir haben uns echt Sorgen gemacht, als Monica angerufen hat…“ Auch Prompto kommt auf mich zu und legt vorsichtig die Hände auf meine Schultern. Er zittert, sicher hat er Angst, dass die anderen auch ihn in ein schlechtes Licht rücken. Ich befreie meine Arme aus dem wärmenden Mantel und drücke meinen Freund fest an mich. „Ja, mir ist nichts passiert. Alles okay.“ Promptos Finger streifen die schmerzende Stelle in meinem Gesicht, aber ich schaffe es, nicht darauf zu reagieren. „Was ist mit dem Jungen, der vor meinem Zimmer Wachdienst hatte?“
 

„Eingeschlafen“, informiert mich Gladio und es klingt, als hätte der Junge eine lange Liste von Strafarbeiten zu erwarten, „War am Vortag zu lange feiern, wie’s aussieht.“
 

„Dann ist ihm wenigstens nichts passiert.“
 

„Wenn er wach gewesen wäre, wäre dir auch nichts passiert! Dafür genau steht da doch eine Wache! Da ist man mal zwei Wochen nicht da…“ Ich muss lachen. War klar, dass Gladio sich aufregt… die zwei Wochen ohne meine Freunde waren schon irgendwie langweilig.
 

„Ich wäre auch so reingekommen“, flüstert Spero mir zu, „Hatte für die Wache noch ne Ladung Schlafgas in der Flasche dabei. Wäre keiner verletzt worden, ganz so übel sind wir ja auch nicht drauf…“
 

„Da war ich mir für den Moment echt nicht sicher…“, gibt Prompto zu und lässt mich los, damit Ignis mich wieder vernünftig in den Mantel packen kann. Diesmal bemühe ich mich um die Ärmel, damit ich mich nicht jedes Mal freistrampeln muss, um mich bewegen zu können. Prompto geht derweil auf Spero zu und hebt zum Gruß die rechte Hand, Barcode gut sichtbar nach vorne. Spero erwidert die Geste wie einen Gruß, es wirkt einigermaßen vertraut, aber doch irgendwie blockiert, als stünde einiges zwischen den Männern. Nemo sieht immer noch verheult und abgewiesen aus.
 

„Bitte versteh, dass Lucis nicht dein Feind ist“, versuche ich es erneut, in der Hoffnung, dass Promptos Anwesenheit den Kapitän milde stimmt, „Die Maschine ist zerstört, wir haben kein Interesse, eine neue zu bauen. Der echte Wall von Lucis richtet sich nicht gegen euch. Wenn es doch wieder Probleme gibt, wenn einer von euch verletzt oder krank ist, könnt ihr euch jederzeit an mich wenden. Ich will nicht, dass jemand leiden muss.“
 

„Glaubt ihr mir jetzt?“, fragt Prompto leise. Spero nickt, aber Nemo wendet nur wütend den Kopf ab, die Hände zu Fäusten geballt. Er ist überstimmt, nicht überzeugt. „Geht“, knurrt er, „Geht einfach. Prompto ist hier jederzeit willkommen, aber der Rest von euch geht mir besser aus den Augen.“
 

„Ihr habt den Mann gehört“, meint Prompto und klopft mir auf die Schulter, „Verschwinden wir hier.“ Spero spricht irgendwas in ein Terminal an der Wand und das Frachtschiff senkt sich so nah über den Boden, dass wir bequem abspringen können. „Hey, Prompto!“, ruft Spero uns hinterher, bevor sie wieder abhebt, „Wenn du das nächste Mal in der Nautilus bist, sag den Kindern hallo. Die vermissen dich und deine Geschichten.“
 

Prompto grinst nur und wiederholt schweigend den militärischen Gruß von vorhin, bevor er sich umdreht um uns zu seinem Auto zu führen. Ein tiefer gelegter Kleinwagen, aber recht sportlich für seinen Preis. Lack und Sonderausstattung stammen fast sicher aus Hammerhead. Wir stimmen ab und einigen uns darauf, dass Ignis fahren darf – die sicherste Option, wenn auch nicht unbedingt die schnellste. Immerhin dreht er gleich die Fußheizung auf und macht das Dach zu, damit ich nicht dem Fahrtwind ausgesetzt bin. Zu meiner Überraschung hebt die Maschine einfach ab und fliegt nach Insomnia wie ein Luftschiff. „Der Wahnsinn, oder?“, meint Prompto und dreht sich begeistert zu uns um, „Ist Cidney nicht die Allerbeste?“ „Das ist sie absolut!“, gebe ich zu und blicke begeistert aus dem Fenster. Ein fliegendes Auto… das schafft wirklich nur sie. So sind wir im Handumdrehen wieder zu Hause, und ich habe sogar noch Zeit, mich vor der Konferenz zu waschen und anzuziehen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sargeras
2019-01-05T01:46:59+00:00 05.01.2019 02:46
Zwei Wochen und schon verliert Lucis erneut den König, wenn auch nur kurzfristig. Ich bin ziemlich sicher dies wird zukünftig dafür sorgen dass mehr als nur eine Wache bei Nocts Zimmer stehen wird.
Das kleine Gespräch mit Nemo ist jedoch auch sehr Aufschlussreich, den armen Kerl kann man ja eigentlich gut verstehen, dennoch glaube ich das Ignis gerade eine gute Gelegenheit entgehen lässt Nemo auf Rashin anzusetzen. Wenn der Assasine es in die Zitadelle schafft, dann dürfte ein Besuch bei Rashin eine Kleinigkeit sein.
Interessant auch das die Nautilus ein Frachtschiff ist, ich hätte auf ein ausgemustertes Schlachtschiff getippt, davon hatte Nifelheim sehr viele die inzwischen überall auf der Welt vor sich hin rotten.
Ich frage mich was zwischen Prompto und Spero steht. Prompto scheint ja im Gegenzug dazu nichts von Nemo zu halten. Oder er ist schlicht sauer das Nemo seinen Freund angegriffen hat.
Nun wenden wir uns also der nächsten Konferenz zu, ich bin gespannt wie diese ablaufen wird.
Antwort von:  SoraNoRyu
05.01.2019 23:57
Die Entführung hat ja zum Glück niemand bemerkt. Aber ja, die Wache wird verstärkt, und wenn wirklich mal nur ein Mann davor steht, dann ist der 198cm hoch und bissig.

Dass Rashin der Drahtzieher hinter der Maschine ist, hat Prompto Nemo auch schon gesteckt, das interessiert den Mann leider wenig - der will ganz Lucis in Grund und Boden stampfen, und dazu muss erstmal der König weg.

Zwischen Spero und Prompto steht in erster Linie Nemos Privatkrieg gegen Lucis. Spero ist zu klug, um versessen zu sein, aber er steht doch fest auf Nemos Seite und hat Noct entführt.


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