Französisch für Anfänger von Puppenspieler ================================================================================ One-Shot -------- Größtenteils war Bokuto Koutarou berechenbar. Sehr berechenbar.   Und dann gab es Tage, diese wenigen Tage im Jahr, in denen er plötzlich überhaupt nicht mehr nach der typischen Formel funktionierte und einfach nichts mehr Sinn ergab.   Tage wie diesen.   Keiji verstand nicht. In der Mittagspause war noch alles normal gewesen. Bokuto hatte sein Mittagessen in sich hineingeschaufelt, hatte ohne Rücksicht auf Anstand und Manieren mit vollem Mund geplappert. Hatte von den merkwürdigen TV-Sendungen erzählt, die er am Abend gesehen hatte; irgendetwas über Autocrashs. Von den Hausaufgaben, die er – wie immer – nicht verstanden hatte. Er hatte erwähnt, mehr als einmal, wie sehr er sich aufs Training freute, und dass er wieder einmal vorhatte, sie alle mit seinen umwerfenden Schmetterbällen umzuhauen.   Doch davon war jetzt, nach dem Unterricht, nichts mehr zu spüren. Wo Bokuto sonst der Erste war, der Schuluniform gegen Trainingskleidung tauschte, war er dieses Mal ungewöhnlich langsam, sein träger Blick war in weite Fernen gerichtet. Keiji sah nicht, was in seinen Gedanken vor sich ging. Er verstand es nicht, welchem tragischen Schicksal Bokutos Begeisterung zum Opfer gefallen war.   Und es machte ihn wahnsinnig.   War es das Mittagessen? Hatte er während des zweiten Yakisoba Pan dann doch beschlossen, dass er lieber etwas anderes gehabt hätte und trauerte nun immer noch der Aussicht auf wie auch immer gefüllte Onigiri hinterher, die er verpasst hatte? (Zuzutrauen war es ihm – es wäre nicht das erste Mal, dass das passierte.) Oder war es ein Mädchen? Ein Mädchen, das wahlweise ihn in irgendeiner Form abgewiesen hatte, oder schlicht seinen Blickkontakt ignoriert, und jetzt grübelte er wieder einmal darüber nach, wie er noch unwiderstehlicher werden konnte? Keiji hoffte nur, er würde nicht Kuroo fragen. Das letzte Mal war ein Desaster gewesen.   Oder war am Ende sogar Kuroo längst involviert? Bokuto war nicht gut darin, sich an Regeln zu halten. Handy im Klassenraum war ein No-Go, aber das hielt ihn selten davon ab, Nachrichten mit seinen Freunden auszutauschen, wenn er das gerade wollte. Wenn Kuroo ihm wieder irgendeinen Floh ins Ohr gesetzt hatte… Keiji wollte nicht wissen, was es war. Glaubte Bokuto heute wieder, er war ein Alien? Konoha sei von einem Geist besessen und müsste exorziert werden? Komi sei das uneheliche Kind eines Kaktus und einer Sonnenbank?   Du tust es schon wieder, schalt er sich in Gedanken, als er schließlich an Bokutos Seite zur Sporthalle trottete; die Anderen waren größtenteils längst dort. Du überinterpretierst. Überanalysierst. Du musst aufhören damit, das schadet nur dem Blutdruck. Und du weißt selbst, dass du die Antwort eh nicht findest. Es war eine traurige Wahrheit, aber sie war nichtsdestotrotz wahr: Egal, wie oft er es versuchte, die unergründlichen Wege des Bokuto Koutarou blieben für ihn zumeist genau das – unergründlich.   Und eigentlich wusste er doch auch, dass Bokuto seine Gedanken früher oder später von sich aus mit ihm teilte. Manchmal dauerte es nur. Manchmal dauerte es so lange, bis er ihn davon überzeugt hatte, dass er kein Opfer irgendwelcher dunkler Mächte war.   Er hoffte nur, dass er heute wenigstens davon verschont bleiben würde.       ***       Das Aufwärmen verlief reibungslos. Bokuto wirkte immer noch, als ob er in Gedanken überall, aber nicht beim Training war, doch die Bewegungen waren so tief in seinem Bewusstsein verankert, dass sie beinahe mechanisch selbstverständliche Routine waren. Keiji wusste aber auch, dass das beim Training selbst einfach nicht funktionieren würde. Ein Schmetterball war immer noch viel zu situationsabhängig, als dass der Vorgang aus automatischer Routine heraus glücken konnte.   Er gab Bokuto maximal zwei gescheiterte Schmetterbälle bei seinem aktuellen Zustand, bevor sie sich wieder einmal mit dem Emo-Modus konfrontiert sahen. Er wusste nicht, wie, aber er wollte es tunlichst vermeiden. Sie standen viel zu kurz vor dem Vorentscheid des Frühlingsturniers. Sie konnten sich keine Emo-Modus-boykottierten Trainingssessions leisten. Und Bokuto schaffte es einfach nicht, endlich mit der Sprache rauszurücken.   Was es auch war – es sah aus, als hätte Keiji gar keine andere Wahl, als zu riskieren, seinen Captain darauf anzusprechen, bevor die wirren Gedanken in seinem Kopf tatsächlich reif waren, um geteilt zu werden. Die Chance, dass er eine hilfreiche Antwort bekam, war zwar verschwindend gering, und es konnte nach hinten losgehen, aber es war immer noch besser als der sichere Emo-Modus, der wie eine dunkle Wolke über ihnen schwebte und drohte, auf sie herabzuregnen, wenn sie das Training jetzt so durchzogen. Er beendete seine Aufwärmübungen, trat dann entschlossen zu Bokuto hinüber. „Bokuto-San, was ist los?“   Sein Gegenüber hielt mitten in der Bewegung inne und blinzelte eulenhaft, verdutzt. Er schien zuerst gar nicht zu merken, worauf Keiji hinauswollte, doch schließlich klärte sich die Verwirrung in seinem Blick und so etwas wie Verständnis und Erkenntnis machte sich in dem trägen Ausdruck breit. Ein gutes Zeichen. Immerhin war er sich seines Problems bewusst, auch wenn er es noch nicht ausgesprochen hatte. Etwas an der Art, wie dümmlich Bokuto aussah – es war sein Denkergesicht –, ließ Keiji trotzdem jetzt schon ahnen, dass er nicht unbedingt mögen würde, was er gleich zu hören bekam.   „Akaashi, was ist ein Frentsch Kiss?“   Das ist alles? Für einen Moment war er so sprachlos von Bokutos neuester großer Frage des Lebens, dass er sich nicht imstande fühlte, zu antworten. Er wusste nicht einmal, was er sagen sollte. Wie kam der Kerl überhaupt wieder auf solche Ideen? Wo schnappte er solche Wörter auf, er, der die englische Sprache nicht einmal erkannte, wenn sie ihm einen Volleyball ins Gesicht schmetterte? Er brauchte zu lange. Er überdachte zu viel. Ehe er seine Worte wiederfand, um zu antworten, hatte ausgerechnet Konoha sich eingemischt: „Ein französischer Kuss natürlich, Bokuto.“ Keiji hörte den Spott, der in seiner Stimme troff. Komi, der genau wie Konoha von Bokutos lautem Organ und seiner Frage angezogen worden war, erstickte ein Lachen hinter seiner vorgehaltenen Hand. Immerhin so viel Anstand hatte er. Sarukui grinste; wie immer. Seine blitzenden Augen verrieten, dass er sich tatsächlich amüsierte. Bokuto, im Gegensatz zum Rest derer, die die ganze Sache mitbekommen hatten, bemerkte weder den Spott in Konohas Stimme, noch die allgemeine Erheiterung. Noch bemerkte er Keijis sinkende Laune bei der Aussicht auf ein neues, hanebüchenes Missverständnis.   Das Denkergesicht war zurück, und es war intensiver denn je.   Es blieb, und während Bokuto nachdachte, breitete sich Stille um sie herum aus. Keiji musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass der Rest des Teams mit und mit ebenfalls auf ihr kleines Grüppchen aufmerksam wurde. Er hörte Turnschuhe über den Hallenboden quietschen, als noch mehr Leute näherkamen. Vielleicht hatte er noch eine Chance, die ganze Sache zu entschärfen. Ablenkung. Beim Thema bleiben, aber weg von Konohas dummem Kommentar kommen. „Woher hast du das überhaupt, Bokuto-San?“ Goldene Eulenaugen wandten sich träge zu ihm hin, blinzelten. Es dauerte einen Moment, bis seine Worte durch den trägen Nebel an wirren Gedanken sickerten, der sich in Bokutos Kopf ausgebreitet hatte, dann zuckte der nur mit den Schultern. „Das war vorhin in Englisch. Wir sollen nen Aufsatz schreiben, egal welches Thema. Eins der Mädchen hat gesagt, sie will nen Frentsch Kiss drin haben.“ Und natürlich hatte er bei allen Englisch-Inkompetenzen genug verstanden, um zu begreifen, dass es sich bei diesem ominösen Ausdruck um einen Kuss handelte. Grund genug, um interessiert zu sein.    „Braucht man das denn?“, fragte er direkt noch hinterher, mit immer noch dem gleichen dümmlichen Denkergesicht. „N–“ „Natürlich!“ Wieder Konoha. Dieses Mal machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, sein Grinsen zu verstecken. „Jeder, der was auf seine Beziehung hält, sollte mal französisch küssen.“ Keiji hatte das Bedürfnis, ihm unauffällig einen Ball gegen den Kopf zu werfen, doch er schluckte es herunter. Er hatte aber auch keinen Ball zur Hand. Und, viel wichtiger: Gerade hatte er ein größeres Problem.   Ein Problem in Form einer völlig entgeisterten Eule, die die Augen so weit aufriss, dass sie aussahen, als würden sie ihr gleich aus dem Kopf purzeln. Ihm war die grässlichste Erkenntnis gekommen, die einem Bokuto kommen konnte. Er brauchte etwas. Aber er konnte es nicht bekommen. Und nachdem Er ohnehin aus allem einen Wettkampf machen musste, musste er natürlich auch die beste Beziehung haben – und es wurde ihm verwehrt.   Immerhin, er wurde gerade wieder berechenbar.   Es erleichterte Keiji beinahe, als der Ausruf, der schließlich kam, tatsächlich fast wortwörtlich war, was er erwartet hatte:   „Akaashi, aber ich kann doch gar kein Französisch!!!“   Schallendes Gelächter erfüllte die Sporthalle. Komi kippte beinahe um, während Konoha die ganze Sache zum Anlass nahm, sich so langsam unauffällig zurückzuziehen, ein gehässiges Kichern begleitete seinen Abgang. Er hatte ganz offensichtlich keine Lust, sich mit den Konsequenzen seines Scherzes auseinanderzusetzen. (Und ehrlich, Keiji konnte es ihm kaum verübeln. Es würde anstrengend werden.) „Du brauchst auch kein Französisch, Bokuto-San.“ „Aber Akaashi, Konoha hat gesagt–!“   „Mach dir mal keinen Kopf, Kumpel.“ Komi klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. Bokuto sah ihn blinzelnd an. Keiji sah, wie die Aufmerksamkeit langsam aus seinem Blick wich, während sein Verstand sich an einen fernen, fernen Ort zurückzog, den er wohl nie begreifen würde. Da bahnte sich an, was er dringend hatte verhindern wollen. „Akaashi weiß, wie das geht. Stimmt doch, Akaashi?“ Komi grinste breit, halb schalkhaft, und halb ehrlich freundschaftlich. Es war weit entfernt von dem, was Keiji gern als Lösung gehabt hätte, aber Bokuto sprang darauf an und in seinen trüb-ausdruckslosen Blick mischte sich die typische Ungeduld, als er zu ihm sah. Er wollte das jetzt. Er brauchte das jetzt, um aus seinem Loch wieder hochzukommen. Aber immerhin gab es einen Ausweg. Also nickte er, streckte eine Hand nach seinem Captain aus. „Komm mit, Bokuto-San.“   Auch wenn dieser Ausweg bedeutete, dass Keiji das Training für heute abhaken konnte, um am Ende mit Bokuto auf Überstunden zu trainieren, wenn die anderen schon längst halb durch waren. Er kannte diesen Kerl.   Es würde nicht bei einem Zungenkuss bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)