Cake & Scissors von BexChan (Diary of a mad girl) ================================================================================ Kapitel 4: Entry 4 ------------------ Die Jahre darauf vergingen wie im Fluge, ich erweiterte mein Wissen durch Unmengen schwerster Lektüre, lernte durch Andreas das Zeichnen, bekam eine neue Violine sowie einen eigenen Flügel, auf denen ich spielen konnte und wohnte weiteren den Familienfeiern bei. Zudem lernte ich, wie man es von mir erwartete, die haushaltlichen Pflichten und wie man Speisen zubereitete. Ich liebte vor allem wenn ich Kuchen backen durfte, das gehörte zu meiner Spezialität. Von Jahr zu Jahr blühte ich immer mehr auf und wuchs zu einer, wie Olivia es ausdrückte, begehrenswerten, jungen Frau heran, deren Schönheit anscheinend ihresgleichen suchte. Ich fand die Beschreibung sehr weit hergeholt, im Gegensatz zu anderen Frauen in meinem Alter fand ich mich alles andere als hübsch. Meine langen kupferroten Haare gingen mir mittlerweile bis zum Steißbein. So sehr ich es auch gewollt hätte, ich konnte die wilden Locken nicht bändigen aber Olivia meinte, dass meine roten Locken gerade ihren Reiz hätten, vor allem gegenüber der Männer. Rothaarige Mädchen waren in unserer Zeit sehr ungewöhnlich, deswegen sollte ich stolz auf mein rotes Haupt sein. Wenn ich morgens in den Spiegel sah, konnte ich die neuen Sommersprossen direkt zählen. Ich hatte mittlerweile das sechszehnte Lebensjahr erreicht und konnte von Tag zu Tag zusehen, wie mein Gesicht an Punkten zunahm. Meine Stupsnase saß nach wie vor gerade in meinem Gesicht, jedoch waren meine Lippen fülliger und üppig geworden. Im Zusammenspiel mit meinen himmelblauen Augen, die von einem schwarzen Kranz umrandet wurden waren meine Lippen genau richtig, um von einem Mann erorbert zu werden. Sie würden regelrecht zum Küssen einladen. Wenn Olivia das anbrachte, spürte ich regelmäßig die Hitze in mein Gesicht steigen und Andreas fuhr jedes Mal aus der Haut. Natürlich brachte mir Olivia viele damenhafte Sachen bei, kämmte meine Haare, half mir bei Hochsteckfrisuren und brachte mir anhand ihrer Auswahl von Schminkuntensilien bei, wie man sich angemessen schminkte. Als mein Vater mich eines Tages mit diesem blutroten Lippenstift rumlaufen sah, habe ich die beiden das erste Mal streiten gehört. Ihm missfiel es anscheinend, dass Olivia mich zu sehr umgarnte. Er wusste ihre Bemühungen um mich sehr zu schätzen aber er wolle nicht, dass ich zu aufgesetzt wirkte. Bevor der Streit ausartete, ging ich dazwischen und meinte, dass ich natürlich doch schöner aussehe, obwohl ich mich schon nicht hübsch fand. In einer Sache waren sie sich wohl beide einig, und zwar dass ich ungeschminkt schöner aussähe als manch andere Frau, die auf der Straße umherlief. Die beiden sprachen sich dann noch aus und dann war die Sache erledigt. Andauernd sagte man mir, wie schön ich wäre, dabei hatte ich eigentlich nichts, was man an meinem Körper als damenhaft hätte einstufen können. Ich war viel zu schmal, dass ich manchmal Sorge hatte, meine Kleider würden nicht richtig sitzen und mein Busen sah selbst in einem korrekt zugeschnürrten Mieder zu klein aus. Olivia war der Meinung, dass mein Busen gut sei, so wie er ist und perfekt in eine Hand passen würde. Ob das jetzt gut oder schlecht war, konnte ich nicht beurteilen aber wenn ich manchmal so in ihren Ausschnitt sah, fragte ich mich manchmal, ob Manuel bei einer innigen Umarmung noch Luft bekam. Es begann eine Zeit, wo ich merkte, dass ich zu einer Frau heranreifte. Wenn wir auf Familienfeiern gingen, bekam ich Lukas zwar immer seltener zu Gesicht aber wenn ich ihn sah, umgab er sich meist mit anderen, meiner Meinung nach hübscheren Mädchen als mich. Meist blond oder brünett präsentierten sie sich wie Ware auf dem Markt und machten Lukas schöne Augen. Auch er war in den letzten Jahren zu einem hübschen, ansehnlichen Mann herangewachsen, das Gesicht frei von jeglichem Makel. Wie auch sein Vater trug er immer einen Gehstock bei sich und wurde anscheinend schon in die Kunst der Medizin eingeweiht. Er hatte wirklich Glück studieren zu dürfen. Wenigstens hatte er die Wahl. Ich fragte mich, ob mein Traum, eines Tages Musikerin zu werden, wirklich Bestand hatte. Ich sah Lukas aus weiter Ferne hinterher und wurde mir bewusst, dass ich nie das erreichen würde, was er hatte. Wahrscheinlich würde es mir auch unmöglich sein, ihn zu erreichen. Er war begehrt, das musste ich früh feststellen. Ich versuchte mir dennoch ein Herz zu fassen, trotz der Angst auf Ablehnung zu stoßen. Als ich einen Abend mit ihm reden wollte, wurde er wieder von mehreren jungen Damen, alle in prunkvollen Kleidern umgarnt. Ich hatte seit ich seinerzeit 14 geworden war die Angewohnheit nur noch schwarze Kleider zu tragen. Ich fand, sie passten am besten zu mir und hoben meine kupferrote Haarpracht hervor. Als ich mich Lukas näherte, hatte ich zuerst Sorge, dass er mich nicht erkennen würde. Wir hatten viele Jahre dazwischen keinen Kontakt, hatte ich ihn dennoch immer aus der Ferne beobachten können. Als ich ihn ansprach, versuchte ich zu lächeln und...träumte ich? Auch er lächelte mich an. „Emilie, welch ein Vergnügen dich wiederzusehen. Wie ist es dir ergangen? Du siehst...wunderschön aus.“ Fand er das wirklich oder versuchte er nur nett vor den anderen Mädchen mit mir zu sein? Etwas verlegen versuchte ich das Gespräch etwas anzuheitern, meine Hoffnungen wurden allerdings zunichte gemacht als die Mädchen anfingen mich zu triezen. „Lukas, mit Verlaub aber dieses Mädchen ist doch unter deiner Würde! Wer ist sie überhaupt? Feuerrotes Haar und diese Sommersprossen! Woher kommst du? Wie ein Mädchen aus gutem Hause siehst du ja nicht aus!“ Meine Hände zitterten und ich schaute verlegen zu Boden. „Ich bin...heiße Emilie von Kaustein. Ich bin die Tochter von Andreas von Kaustein.“ Lautes Gelächter. Die Mädchen lachten über mich. „Eine von Kaustein? Nie im Leben! Seit wann nimmt sich eine Familie wie die von Kaustein's Straßenkindern und Hexen an? Du solltest dich schämen, überhaupt den Namen Kaustein auszusprechen! Lass Lukas in Ruhe, er möchte mit dir nichts zu tun haben!“ War das der Auslöser? Ich denke, ja, das war er. Der Abend, an dem die Schatten an den Wänden anfingen lebendig zu werden und die Wahnvorstellungen, die mich seit jeher quälten. Meine Erinnerungen an meine Kindheit holten mich ein. Die Erinnerungen, die ich über die letzten Jahre durch die Liebe, die ich erfahren hatte, so tief vergraben hatte, lebten durch einen einzigen Moment wieder auf. Ich hörte nur noch das Gelächter der Mädchen in meinen Ohren, wie es zu einem Schallen in meinen Ohren wurde und Lukas' Stimme, der sich anscheinend für mich einsetzte, wie ein Echo in weite Ferne glitt. Als ich spürte, wie Andreas seine Hand auf meine Schulter legte, kam ich wieder zu mir. „Emilie, ich möchte eure Konversation wirklich nicht unterbrechen aber die Gäste warten auf dich. Ist deine Violine gut gestimmt? Und...ist alles in Ordnung? Du siehst so blass um die Nase aus.“ Ich wollte Vater keinen Kummer bereiten und setzte ein gespieltes Lächeln auf. Ohne ein weiteres Wort rannte ich in den Raum, wo meine Violine lag und öffnete den kleinen Koffer und wollte sie nochmal richtig stimmen als ich mich durch meinen Handschuh an einer Saite schnitt und sah, wie das Blut zu Boden tropfte. Ein Flüstern drang an mein Ohr, ich schaute auf. Das Flüstern wurde lauter, die Wände, sie bewegten sich. Die Lichter in den Ölkerzen verloschen und ließen eine tiefe Dunkelheit zurück. Mein Atem ging schwer, ich wollte auf die Knie gehen. „Das ist nicht echt! Ihr seid nicht da! Ihr seid nicht da!“ Ich redete es mir so lange ein, bis ich die Augen öffnete und alles beim Alten war. Die Ölkerzen waren nicht verloschen und ich hatte mir auch nicht in den Finger geschnitten. Ich versuchte mich zusammen zu reißen, atmete tief durch und schritt in den Baalsaal, wo die anderen Gäste bereits auf mich warteten. Ich hörte sie klatschen, sah, wie sie mich mit ihren Blicken verfolgten. Vorsichtig stellte ich mich in die Mitte des Raumes und atmete tief durch. Ich musste mich konzentrieren! Die Stimmen, da waren sie wieder! Ich hörte aus der hintersten Ecke ein Kichern. Waren das die Mädchen oder spielte mir mein Kopf einen Streich? Als ob im hintersten Teil meines Gedächtnisses etwas lauern würde. Es wartete auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. Ich spürte, wie mir die Luft wegblieb, meine Sicht verschwamm. „Emilie, geht es dir nicht gut?“ Vater! Er und alle anderen sahen zu mir auf und warteten auf mein Spiel. Ich konnte, nein! Ich durfte sie nicht enttäuschen! Ich öffnete die Augen, versuchte die Menge um mich herum komplett auszublenden und tat so, als ob ich die einzige in diesem riesen Raum sei. Ich atmete aus und begann zu spielen. Als die Violine erklang, hüllte mich eine angenehme Wärme ein und der Raum um mich wurde in weißes Licht getaucht. Ich nahm den Geruch von frisch gebackenen Kuchen und Schokolade wahr, alles Dinge, die ich gerne hatte und spielte und spielte. Ich merkte, wie ich mich dabei bewegte als ob es völlig normal wäre. Als ob meine Beine von selbst aus anfingen zu gehen. Wenn ich mir schöne Dinge vor meinem Auge vorstellte während ich spielte, waren da keine Schatten. Kein Kichern in meinen Ohren. Da war nur die Violine und ich, als ob wir eine Person seien. Als mein Spiel endete, öffnete ich die Augen. Für den Moment meines Stücks hatte ich mich vollkommen im Klang der Melodie verloren. Nun sah ich die Masse an Menschen vor mir und sie applaudierten und jubelten mir zu. Auch Lukas sah ich in der Ferne begeistert in die Hände klatschen sowie seinen Vater Manuel. Ich verneigte mich und verließ die kleine Bühne. Andreas sagte mir später, wie stolz er auf mich sei und er bereit wäre, mein musikalisches Talent weiter zu fördern, was mich wiederrum sehr erfreute. Auch Lukas teilte mir mit, wie sehr ihn mein Stück berührt hätte und er der Meinung sei, dass ich mein Ziel, Musikerin zu werden, nicht aus den Augen verlieren sollte. Ich hatte seine Worte als Kind nie vergessen, als ich ihn darauf ansprach, wurde er rot vor Verlegenheit. „Ich...habe doch nur nachgesprochen, was mein Vater mir gesagt hatte. Wenn ich dich mit meinen Worten verletzt habe, dann möchte ich mich hiermit in aller Form entschuldigen, Emilie. Ich habe noch nie einen Menschen so spielen hören. Du bist wirklich außergewöhnlich.“ Seine Worte gaben mir neue Hoffnung und Kraft in meinem Herzen. Als wir an dem Abend das Fest verließen, ging ich mit einem guten Gefühl von Zufriedenheit nach Hause. Ich wollte mich in die Kissen meines Bettes fallen lassen und den Tag Revue passieren lassen, ohne einen schlechten Gedanken zu verschwenden. Ich lag nicht ganz im Bett, da hörte ich sie wieder! Die Stimme in meinem Kopf. Ich öffnete die Augen, sah an die Decke und...die Schatten! Sie bewegten sich! Ich hörte die Stimme in meinem Kopf schreien, als ob sie mich brechen wollte. Ich versuchte zu schweigen und hielt mir die Ohren zu, doch es hörte nicht auf. Als ich mir das Kissen auf den Kopf drückte, hoffte ich, dass die Schreie bald aufhören würden, doch als ich sah, wie meine Eltern panisch die Türen zu meinem Zimmer aufrissen und meinen Namen rufend an mein Bett kamen, merkte ich, dass ich es war, die vor lauter Panik schrie. Die Schlinge legte sich um meinen Hals, drückte mir die Luft ab, an dem Abend stürzte ich in ein tiefes schwarzes Loch, aus dem ich mich nicht befreien konnte und das sollte erst der Anfang meines langwierigen Traumas oder besser gesagt, meiner Störung sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)