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Eine Studie in Postreichenbach

Mystrade [BBC]
von

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Mit einem Versprechen fing es an


 

"Taking your own life. Interesting expression, taking it from who?

Once it's over it's not you who'll miss it.

Your own death is something that happens to everybody else.

Your life is not your own. Keep your hands off it."

- SH

 

„Du hast es genossen.“

Mycroft atmete leise aus und beugte sich etwas über seinen Schreibtisch, seinen Gegenüber mit seinen Augen durchbohrend.

„Nonsense. Hör endlich auf damit und nimm die Lage ernst, Herrgott noch eins.“

„Definitiv genossen. Warum sonst hast du dir einen Platz in der ersten Reihe ausgesucht?“

„Sherlock.“, mahnte er nun und verzog verärgert die Mundwinkel, als ihn die eisblauen Augen spöttisch anfunkelten.

„Hat dir die Show gefallen?“

„Ich musste sicher gehen, dass alles ganz nach unserem Plan verläuft.“, erwiderte er etwas gefasster und überging gekonnt das ironische „Aber natürlich.“, welches Sherlock dazwischenwarf, ehe er fortfuhr.

„Nimm es nicht auf die leichte Schulter, Sherlock.“

„Du beginnst doch nicht etwa, dir Sorgen zu machen?“

Der Ältere leierte mit den Augen und räusperte sich.

„Moriartys Netz ist groß und du wirst es vollständig zerschlagen müssen, wenn du eine gewisse Sicherheit für dich und deine... Freunde garantieren willst.“

„Sprich es nicht so aus, nur weil du einsam bist.“

„Sherlock!“, echauffierte sich Mycroft nun.

„Können wir uns bitte auf das Wesentliche konzentrieren? Du wirst regelmäßigen Kontakt zu mir aufnehmen, mich auf dem Laufenden halten. Wenn alles nach Plan verläuft, wirst du etwas mehr als zwei Jahre brauchen. Ich leite dich an und sage dir immer, wo du als nächstes hin musst. Verstanden?“

Sherlock lehnte sich nun auch etwas vor.

„Meine Freunde sind auch Teil des Wesentlichen. Du wirst sie im Auge behalten, das fällt dir mit deiner stalkerhaften Ader doch sicher nicht schwer. Pass auf, dass ihnen nichts passiert, während ich verhindert bin. John neigt dazu, sich in Schwierigkeiten zu bringen, wenn ich nicht da bin.“

Zustimmend nickte er.

„Meinetwegen, wenn es dir so am Herzen liegt.“

Erneut verzog Mycroft etwas das Gesicht.

„Im Gegenzug wirst du deine Finger von Drogen jeglicher Art lassen. Für dieses Unterfangen brauchst du deine volle Konzentration. Nein, keine Widerrede!“, unterbrach er den Protest seines Bruders im Keim und erhob sich.

„Nun, wo alles geklärt sein sollte... Ich begleite dich noch bis zum Wagen. Dieser wird dich zu einem privaten Flieger bringen, der dich unverzüglich nach Tschechien bringen wird. Dort wirst du anfangen...“

Mycroft verließ sein Büro und ging vor, dicht gefolgt von Sherlock, dem er noch die näheren Details bis zum Wagen erzählte, ehe er dabei zusah, wie der Jüngere einstieg.

Ein leises Seufzen entwich seinen Lippen und er beobachtete, wie das Auto losfuhr.

Als Mycroft wieder in sein Büro trat, verlor er seine steife Haltung.

Seine Schultern sackten zusammen und er rutschte etwas in seinem Stuhl zusammen, sich mit den Fingern verzweifelt über das Gesicht wischend.

Er vertraute seinem Bruder voll und ganz, aber er wollte gar nicht daran wagen zu denken, was mit ihm geschehen würde, wenn er aufflog...

Ganz England glaubte, sein Bruder sei tot, von einigen, eingeweihten Menschen abgesehen.

Und nur er selbst wusste, in was für eine Hölle er sich nun begeben würde.

Der Sprung vom Dach war da die angenehmere Variante zu sterben.

„Oh Sherlock.. bitte halte dich bedeckt..“, wisperte er.

Denn zu wissen, was sein Bruder nun durchmachen würde, war schrecklicher, als einfach nur mit dessen Tod abzuschließen.

Da war er sich sicher.

Nicht auf dem Schirm gehabt

Mycroft tippte unruhig mit den Fingerspitzen auf seinen Schreibtisch, den Blick auf die aufgeklappte Akte vor ihm gerichtet, in der es um irgendeine Bewilligung für irgendeinen Einsatz der MI5 ging.

Er konnte sich einfach nicht konzentrieren.

In seinem Kopf drehte sich alles darum, wie es Sherlock ging, was er gerade tat, wie weit er war.

Der Jüngere hatte mit seiner Bemerkung, dass er eine stalkerhafte Ader besaß, nicht ganz unrecht gehabt, auch wenn diese aus ernstgemeinter Sorge resultierte.

Und dem Zwang, über alles und jeden Bescheid zu wissen.

Wenn Sherlock in London oder einer beliebig anderen Stadt in England war, konnte Mycroft diesem Drang ohne Probleme nachgehen, ihn über die Überwachungskameras suchen oder einen Fall aus einem Ordner heraussuchen und ihn unter dem Vorwand kontaktieren, dass er keine Zeit und Muße für die Laufarbeit hatte.

Aber außerhalb des Landes, da konnte er sich nicht in das Sicherheitssystem hacken.

Nun, können zwar schon, aber es würde ihn in eine Erklärungsnot bringen und das konnte und durfte er nicht riskieren, nur um sein Gemüt beruhigen zu können.

Mit einem schweren Seufzen klappte er die Akte zu, machte das gerade doch keinen Sinn, und griff nach seinem Handy.

„Wie sieht es aus?“, fragte er direkt, sich die Zeit für Höflichkeitsfloskeln sparend und nahm am Rande unzufrieden wahr, wie er wieder mit den Fingerspitzen der freien Hand auf den Tisch vor sich tippte.

„Unverändert. Dr. Watson hat seit seiner Krankschreibung, mit Ausnahme der Beerdigung, das Haus noch nicht verlassen. Er hat sie aber auch nicht verlängert. Wir können also davon ausgehen, dass er in zwei Tagen wieder auf der Arbeit erscheinen wird.“

„Und?“, hakte er nach und ballte seine linke Hand für einen Moment zur Faust, um seinen Tick zu unterdrücken.

„Mrs. Hudson war heute Morgen von neun Uhr zweiunddreißig bis zehn Uhr sechs einkaufen. Vor.. elf Minuten traf ihre Schwester, vermutlich zum Kaffee, ein.“

„Weitermachen.“, befahl er und legte auf.

Sein Handy schob er wieder in die Jackettasche und legte die Finger aneinander.

Würde seine ganze Sorge nicht schon auf seinen Bruder fokusiert sein, würde er sich vielleicht sogar welche um den Doktor machen.

Mycroft hoffte wirklich, dass dieser in zwei Tagen wieder in das normale Leben zurückkehren würde.

Schließlich hatte er Sherlock versprochen, auf ihn zu achten, und wenn nicht langsam etwas passierte, dann würde er mit ihm in Kontakt treten und sehen müssen, ob er irgendwas tun konnte.

Denn was wäre er denn für ein großer Bruder, wenn er nicht mal ein so simples Versprechen einhalten konnte?

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedankengängen und er hob ab.

„Sir, wir sollten uns doch melden, wenn Ungewöhnlichkeiten am Grab ihres Bruders auftreten.“

„Was ist passiert?“, hakte er sogleich nach und klappte seinen Laptop auf, um es sich auch selbst ansehen zu können.

„Ein Mann, der nicht bei der Beerdigung anwesend war, steht nun seit exakt einer Stunde vor dem Grab.“

„Ich sehe mir das selbst an. Unternehmen Sie nichts.“, wies der Braunhaarige an und legte auf, ehe er auf das Kameranetz zugriff.

Als er den Mann erkannte, stockte er.

DI Gregory Lestrade

Seine Brauen zogen sich zusammen und er zoomte so weit es ging heran, um mehr erkennen zu können.

„Warum steht er dort bereits seit einer Stunde?“, fragte er sich leise und beobachtete den Älteren dabei, wie er von einem Fuß auf den Anderen trat und etwas sagte, was Mycroft aufgrund der Entfernung nicht von den Lippen lesen konnte.

Dafür konnte er aber mehr als deutlich erkennen, dass der Inspector recht mitgenommen wirkte.

Er schien sich seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert zu haben, seine Haare waren unordentlich und sein Hemd, das er unter dem offenen Mantel trug, zerknittert.

Musste er etwa auch ihn auf die Beobachtungsliste setzen?

Waren er und sein Bruder befreundet?

Mycroft war immer davon ausgegangen, dass sie lediglich zusammen arbeiteten.

Dann entdeckte er den fehlenden Ehering und rief eine zweite Seite auf, ehe er schnell die Erkenntnis gewann, dass er sich tatsächlich von seiner fremdgehenden Frau geschieden hatte.

Also doch nur Bekannte und sein Zustand ließ sich auf die frische Scheidung zurückrufen?

Doch warum stand er dann so lange vor dem Grab?

Mycroft schloss das zweite Fenster wieder und sah dabei zu, wie der Grauhaarige zwei Zigaretten aus seiner Manteltasche zog und beide anzündete.

Die eine legte er auf den schwarzen Grabstein, die Andere schob er sich selbst zwischen die Lippen.

Die Brauen des Politikers zogen sich noch weiter zusammen und er erhob sich, um eine Akte herauszusuchen.

Diese klappte er auf und blätterte hindurch, bis er fand, was er suchte.

„Seit über einem Jahr auf Nikotinpflaster umgestiegen..“, murmelte er laut und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.

Also hatte Greg wieder mit dem Rauchen angefangen.

Vielleicht sollte er ihn doch im Auge behalten, andererseits wollte er nicht noch mehr Personalkapazität in die Überwachung von eigentlich unwichtigen Personen verschwenden.

Schwer atmete er aus und klappte seinen Laptop zu, sich zurücklehnend und die Finger aneinanderlegend.

Er sollte der Sache auf den Grund gehen, ob wirklich eine freundschaftliche Beziehung zwischen den Beiden herrschte und dann in Ruhe abwägen, wie er weiter vorgehen sollte.

Gespräch bei Fish 'n' Chips

Greg saß an einem Ecktisch in einem Pub, sein Kinn in seine Hand gestützt, und starrte auf seinen leeren Pint, als würde sich dieser von allein auffüllen, wenn er sich nur lange genug konzentrierte.

„Guten Abend Inspector. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, riss ihn eine bekannte Stimme aus den Gedanken, weshalb sein Kopf nach oben zuckte.

„Mr. Holmes?“

Seine Brauen hoben sich erstaunt und er musterte den Regierungsbeamten, der mit gestrafften Schultern und seinem üblichen Dreiteiler auf seinen Schirm gestützt vor ihm stand.

Schnell fasste er sich aber wieder und machte eine einladende Geste zum Platz ihm gegenüber.

„Ist ein freies Land.“, unterstützte er seine Handbewegung und lehnte sich etwas zurück.

„Was sucht jemand wie Sie hier? Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nie gedacht, dass sie einen Pub auch nur ansehen würden.“

„Die Fish 'n' Chips hier sind gut.“

Gregs Brauen hoben sich erneut und er fragte sich, ob er wirklich schon so viel Bier intus hatte, dass er sich das hier einbildete.

„Sie bilden es sich nicht ein.“, meinte Mycroft plötzlich und der Polizist zuckte ertappt zusammen.

„Wissen Sie, manchmal ist das echt gruselig, wie Sie und... wie Sie wissen, was man gerade denkt.“, nuschelte er immer leiser werdend und rieb sich unwohl über den Arm.

Der Braunhaarige beobachtete ihn dabei aufmerksam.

„Eigentlich ist es nichts anderes als eine gute Menschenkenntnis, aufmerksames Beobachten und gezieltes Raten.“

Der Ältere nickte nur und tat es mit einem leisen „Wie auch immer“ ab.

Eigentlich interessierte es ihn gar nicht mehr, wie die Holmesbrüder das machten.

Was ihn wieder eine Spur weiter runterzog.

Nun gab es nur noch einen der Brüder und dieser saß ihm aus einem ihm unerfindlichen Grund gegenüber.

„Was genau wollen Sie eigentlich von mir?“

„Nichts, wie kommen Sie darauf? Ich sah Sie aus Zufall und dachte..“

Greg beugte sich etwas vor und sah ihn auffordernd an, als Mycroft den Satz unbeendet im Raum stehen ließ.

„Was?“

„.. Nichts. Ich dachte mir nichts dabei. Hin und wieder soll das selbst bei mir vorkommen.“

Misstrauisch starrten ihn die braunen Augen an, glaubte er ihm doch kein Stück, wusste aber aus Erfahrung, dass man aus einem Holmes nichts herausbekam, was dieser nicht preis geben wollte.

Stumm beobachtete er den Politiker ihm gegenüber, der in seiner Kleidung nicht recht in die Umgebung eines Pubs passen wollte.

Belustigt schüttelte er den Kopf und schnaufte, als er sich unwillkürlich Mycroft in legerer Kleidung vorstellte.

Mit kariertem Hemd, Pullover und Jeans.

Oder gar einem Shirt und Lederjacke.

Die Mundwinkel des Älteren kräuselten sich ein wenig und der Gedanke heiterte ihn tatsächlich für einen Moment auf.

„Sagen Sie, tragen Sie Lederjacken?“, platzte er schließlich aus ihm heraus und konnte beobachten, wie Verwirrung über die Gesichtszüge des Größeren huschte.

Ein, zwei Mal blinzelte Mycroft und räusperte sich dann.

„Ich hoffe, Sie erwarten nicht wirklich eine Antwort darauf.“

Greg wank ab und grinste leicht.

„Sie sind wegen der Chips hier? Ich hole welche. Wollen Sie auch noch ein Bier?“, fragte er und erhob sich.

„Eigentlich würde ich einen guten Whiskey bevorzugen..“, setzte Mycroft an, aber der Grauhaarige hörte ihm gar nicht mehr zu und ging zur Theke, um wenig später mit einem Tablett mit je einer Portion Fish 'n' Chips, sowie einem Bier zurück kam.

„Greifen Sie zu! Ich hab' zwar sicherlich nicht so Geld wie sie zur Verfügung, aber dafür reicht es dann doch.“, merkte er an, als Mycroft schon seine Brieftasche zückte, um seinen Teil der Rechnung zu begleichen.

Langsam ließ er sein Geld zurück in seine Tasche gleiten und zog seinen Teller näher zu sich.

„Nun denn. Danke für die Einladung, Inspector.“

Dieser nickte ihm zu und tunkte einen der Pommes in die Remoulade, ehe er ihn sich in den Mund schob.

Eine Weile herrschte angenehmes Schweigen zwischen den Männern, während sie in Ruhe aßen und Mycroft sich sogar an das Bier herantraute, nachdem Greg einen großen Schluck von seinem eigenen genommen hatte.

„Gar nicht mal so schlecht.“, stellte er ehrlich erstaunt fest.

„Na ja, der Pub ist eher für sein gutes Bier bekannt, als für die Chips.“, warf Greg ein und musterte den Jüngeren einen Moment lang, ehe er leise seufzte.

„Wie machen Sie das?“

„Wie mache ich was, Inspector? Sie müssen Ihre Frage schon konkretisieren.“

Der Polizist strich sich durch sein unordentliches Haar und kratzte über seinen Nacken, während er nach den richtigen Worten suchte.

„Nicht.. trauern. Herrgott, Sie haben Ihren Bruder verloren und sehen aus, als wäre nichts passiert!“, zischte er ihm zu und beugte sich dabei etwas über den Tisch.

Mycroft zog minder beeindruckt die Braue ein Stück nach oben.

„Würde es mir oder ihm denn weiterhelfen, wenn ich in Trauer untergehe?“

Greg schauderte schon fast, so kalt hatte der Politiker diese Worte ausgesprochen.

Er schüttelte mit dem Kopf und erhob sich.

„Schönen Abend noch, Mr. Holmes.“, ließ er noch verlauten und griff nach seiner Jacke.

Dann verließ er den Pub, ohne sich nochmal umzudrehen.

Jeder trauert auf seine Weise

Als Mycroft am folgenden Tag erfuhr, dass Greg wieder am Grab seines Bruders stand, hatte er sich aus einem Impuls heraus sofort auf den Weg gemacht.

Während er in seinem Wagen saß, fragte er sich, was ihn dazu getrieben hatte, seine anstehenden Termine, die von wesentlich höherer Bedeutung war, zu verschieben, um sofort das Gespräch mit dem Inspector zu suchen.

Er schüttelte über sich selbst den Kopf und spielte bereits mit dem Gedanken, sich wieder zurück in sein Büro fahren zu lassen, doch da dies einem Rückzug gleich kam, schob er den Gedanken fort und stieg aus, als der Wagen am Friedhof hielt.

„Inspector.“, machte er auf sich aufmerksam, noch ehe er den Grauhaarigen erreicht hatte.

Dieser wirbelte herum und verengte die Augen.

„Mr. Holmes. Waren Sie zufällig in der Gegend?“

Der Braunhaarige stellte fest, dass seinem Gegenüber Zynismus nicht stand.

„Was wollen Sie hier? Beschatten Sie mich?“, fuhr er ihn an und Mycroft leckte sich kurz über die trockenen Lippen.

„Ich hatte vor, meinen Bruder zu besuchen. Wissen Sie..“

Er trat einen Schritt auf ihn zu und machte dabei eine bedeutende Pause.

„Jeder geht anders mit Trauer um und nur, weil ich nicht zusammenbreche, heißt das nicht, dass ich nicht traure. Also unterstellen Sie mir nicht, dass es spurlos an mir vorbeigeht. Er war immerhin mein kleiner Bruder und..“

Mycroft wandte nun den Blick ab.

„.. ich habe ihn geliebt.“, ließ er dann wesentlich leiser verlauten.

Es war ihm noch nie schwergefallen, zu schauspielern, um gewisse Reaktionen bei seinen Gesprächspartnern hervorzurufen.

Nicht anders müsste er bei dem DI vorgehen.

Dieser schwieg betreten, ehe er sich leise räsuperte.

„Verzeihung.. Es ist nur.. Bei Ihnen fällt es schwer..“

„Sich vorzustellen, dass ich Gefühle besitze?“, beendete Mycroft seinen Satz und Greg nickte dankbar.

Der Jüngere von ihnen atmete leise aus.

„Ich gebe zu, dass ich selten Grund zur Annahme biete, sich vorzustellen, dass ich welche besitze. Meistens erweist sich dies als vorteilhaft.“

„Warum lassen Sie mich dann in ihre Karten blicken? Das passt nicht zu Ihnen, Mr. Holmes. Es könnte Ihnen egal sein, was ich über Sie denke.“

Sich auf seinen Regenschirm stützend sah Mycroft an ihm vorbei zum Grab seines Bruders.

„Die folgenden Worte fallen mir alles andere als leicht und ich werde sie nicht wiederholen, also tun sie gut darin, mir zuzuhören.“

Auffordernd hob Greg die Braue und sah ihn abwartend, wie auch gespannt an.

Er hätte nicht gedacht, den älteren Holmes je so gesprächig zu erleben.

Zumeist stellte der Politiker Fragen bezüglich Sherlock und erwartete kurze, wenig zeitraubende Antworten.

Nun aber zögerte der Größere beim Sprechen, wich einem direkten Augenkontakt aus und klammerte sich an seinen Schirm, als bräuchte er diesen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Eine kleine Stimme in seinem Kopf warnte ihn davor, dass hier etwas nicht stimmte und erinnerte ihn daran dass, wenn Mycroft einen in seine Karten blicken ließ, dahinter auch eine direkte Intention stecken musste.

Doch er verdrängte die nur zu wahren Worte in seinem Hinterkopf.

„Ich geriet noch nie in eine solche.. Lage und muss mir eingestehen, doch einige Probleme mit dem Umgang dieser Situation zu haben. Mir erscheint, dass es Ihnen ähnlich ergeht und da dachte ich.. nun..“

Das folgende auszusprechen fiel Mycroft tatsächlich schwer, dafür musste er seine schauspielerischen Künste nicht beanspruchen.

Geräuschvoll ließ er die Luft aus seinen Lungen entweichen.

„Ich dachte, wir könnten uns..“

Sein Gesicht verzog sich bei den letzten Worten pikiert.

„.. gegenseitig unterstützen.“

Noch immer hatte er seinen Blick auf den Grabstein seines Bruders gerichtet, jedoch wandte sich dieser zu dem Polizisten, als dieser kurz auflachte.

„Ehrlich, Mycroft, so viel Menschlichkeit hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.“

Erstaunt schoben sich die Brauen des Braunhaarigen nach oben.

Einerseits der überraschenden, vertrauteren Anrede, andererseits der ehrlichen Aussage.

Leise räusperte er sich, um sich einen Moment mehr einzuräumen, in dem er sich wieder fassen konnte.

„Nun, Gregory..“

„Greg! Bitte, einfach Greg.“

Mycroft verzog wegen der Unterbrechung die Mundwinkel.

Er hasste es, wenn man ihn unterbrach und so sprach der Ältere gegen eine Wand.

„Ich werde mich bei Ihnen melden, Gregory.“, erklang es nonchalant.

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab, wollte er nicht noch einen weiteren Termin verschieben müssen.

Dass er dazu bereit war, es dennoch zu tun, fuchste ihn ungemein, doch er schob es auf die Tatsache, dass er sein Versprechen genauso gut einhalten wollte, wie er es von Sherlock erwartete.

Während er zurück zu seinem Wagen schritt, konnte er den bohrenden Blick von Greg geradezu in seinem Rücken spüren, den er sich dank seiner Sturheit eingehandelt hatte.

Zufrieden stellte er fest, dass ihn wenigstens das nicht weiter kümmerte.

Auch der zweite Schritt ist schwer

Greg schluckte schwer, als er aus dem Wagen stieg und die weiße Fassade des Gebäudes musterte, welches sich vor ihm erstreckte.

„Carlton House Terrace zehn... Das muss es sein. Ganz schön übertrieben für einen einfachen Club.“

Er verdrehte die Augen und schüttelte schnaufend den Kopf.

„Es ist Mycroft, was erwarte ich..“, murmelte er zu sich selbst und trat auf den Eingang zu.

Das goldene Schild neben der Tür mit der Aufschrift The Diogenes Club bestätigte ihn in seiner Annahme und er strich sich das bereits ergraute Haar zurück, ehe er eintrat.

Die plötzliche Stille, die einkehrte, nachdem er die Tür hinter sich schloss, war fast schon erdrückend.

Unangenehm – das beschrieb es wohl am Besten.

Greg sah sich in der Eingangshalle um und entdeckte recht schnell ein Schild, dass absolute Ruhe gebot.

Verständnislos schüttelte er den Kopf und betrat einen offenen Raum, in dem einige Männer schweigend in ihren Sesseln da saßen und zumeist ihre Nase in eine Zeitung gesteckt hatten.

Mycroft saß mit geschlossenen Augen und überschlagenen Beinen da, die Finger, ähnlich wie Sherlock es zu tun pflegte, aneinandergelegt.

Zögernd trat er auf den älteren Holmes zu und spürte gefühlt jeden Blick auf sich, da seine Schritte durch die Stille unnatürlich laut wiederhallten.

Nur Mycroft sah erst auf, als er direkt vor ihm stand, pikiert die Braue hebend.

Das Abschätzige stand ihm förmlich auf die Stirn geschrieben.

Greg öffnete gerade den Mund, um sich zu erklären, warum er unangekündigt hergekommen war, da unterband sein Gegenüber den Versuch mit einer wirschen Handbewegung in Richtung des Schildes.

Der Polizist presste die Lippen zusammen und tat automatisch einen Schritt zurück, als sich Mycroft erhob und ihm bedeutete, zu folgen.

Erst, als sie alleine in einem großräumigen Zimmer standen, erlöste Mycroft ihn von der drückenden Stille.

„Hier können Sie reden, Inspector. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“

„Ich dachte, wir waren schon bei Greg, Mycroft.“, merkte er an und ignorierte den unnahbaren Tonfall, den Mycroft wieder an den Tag legte.

„Entschuldigen Sie, natürlich. Das ist.. reichlich ungewohnt.“

Er machte eine wirsche Handgeste und griff nach einer Flasche Whisky, sowie einem Glas.

„Sie auch, Gregory?“

„Gern.“

Er nahm das gefüllte Glas entgegen und beobachtete den Braunhaarigen dabei, wie dieser nach einem weiteren Glas für sich selbst griff.

Offenbar musste er sich bei Mycroft an seinen vollen Namen gewöhnen, so wie bei Sherlock an willkürlich andere.

So sehr unterschieden sich die Brüder manchmal also doch nicht.

Leicht verzog Greg das Gesicht und leerte das Glas in einem Zug.

Es war ohnehin nicht viel darin gewesen.

„Offenbar hatten Sie den nötig. Also? Klären Sie mich nun auf, warum Sie mich hier aufsuchen?“

Der Ältere von ihnen räusperte sich.

„Sie wollten sich melden.“

Eine Stille trat ein, die Greg wieder durch ein nervöses Räuspern brach.

„Mycroft, wissen Sie.. uhm. Ich will Sie nicht bedrängen, aber..“

Er kratzte sich über den Nacken.

„.. ich dachte, nach einer Woche melden Sie sich nicht mehr. Was ich verstehen kann. Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie schwer es Ihnen gefallen sein muss, mich um Hilfe zu bitten und dann zu erwarten, dass Sie nicht nur den ersten, sondern auch den zweiten Schritt tun, wäre wohl zu viel verlangt. Darum bin ich hier.“

Seine Schultern hoben sich.

„Sie sprachen vom gegenseitigen unterstützen. Also fange ich einfach mal an.. Heute Abend bei mir? Sagen wir.. neunzehn Uhr?“

Greg grinste ihm zu und Mycrofts Mundwinkel zuckten für einen kurzen Moment.

Das schien noch interessant zu werden.

„Ich werde pünktlich sein. Wenn Sie mich nun entschuldigen, Gregory?“

Ohne ein Wort abzuwarten, stellte der Regierungsbeamte sein Glas ab, nickte ihm zu und verließ den Raum.

Ein wenig perplex blieb Greg zurück und blinzelte.

Schlau werden würde er aus Mycroft wohl nie, stellte er fest und stellte sein Glas ebenfalls zurück, ehe er nach draußen trat und zufrieden seufzte, als ihn wieder die Geräusche von Leben umgaben.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Sensenmann
2018-06-18T16:39:25+00:00 18.06.2018 18:39
Hallo :D
Oh *_* der Diogenes Club ! Ein Club, dem ich auch gerne mal beitreten würde :'D Da ist es so schön leise ~
Ja, die Holmes Brüder haben schon ein Problem mit Namen xD. Mycroft spricht alle mit ganzem Namen an und Sherlock kann sich zu 70% keine Namen merken -außer vlt die von John, Mary und den Leuten in seiner Familie xD

Ich bin gespannt, wie das Date der beiden wird :3
Antwort von:  NightcoreZorro
18.06.2018 21:00
Hallo zurück!
Scheint ganz, als wären wir da schon zwei. Wunderbar herrliche Ruhe, die man jederzeit aufsuchen kann. :D Mir fällt gerade auf, dass ich mal wieder den Ruhesaal unserer Bibliothek aufsuchen sollte.

Und wer hat von einem Date gesprochen? Das ist ein ganz normales Treffen zwischen zwei erwachsenen Männern, die sich gegenseitig unterstützen wollen. ;) Tja, was sich aus diesem dann entwickelt, das wird sich zeigen.
Liebe Grüße~
Von:  Sensenmann
2018-05-20T14:02:32+00:00 20.05.2018 16:02
Hallo :D

So, jetzt habe ich wieder Zeit zum Weiterlesen gefunden!

Auch dieses Kapitel hat mir wieder sehr gefallen :) Mycroft frägt sich ja mittlerweile schon selbst, wieso er für Greg alles stehen und liegen lässt ;) Man sieht das ja auch in gewisser Weise daran, dass Mycroft ihn beschatten lässt. Das macht er ja sonst nur bei Leuten, die ihm tatsächlich wichtig sind - oder eine Gefahr darstellen.

Mir gefiel, dass Lestrade gleich diesen Zufall angezweifelt hat, dass Mycroft genau dann am Grab auftaucht, wenn er auch da ist :'D. Der gute ist ja schließlich nicht umsonst D.I. geworden!

Gut schauspielern kann Mycroft tatsächlich! Ich denke das muss man als Politer aber auch können.
Gefallen hat mir auch, dass die beiden sich endlich mit Vornamen ansprechen - für Mycroft ja doch ein ganz großer Schritt :)

Auf das nächste Kapitel bin ich jetzt schon sehr gespannt!

LG


Antwort von:  NightcoreZorro
21.05.2018 09:38
Hallo zurück! :D

Ja, Mycroft entwickelt bereits reges Interesse an Greg, wie unschwer zu erkennen ist. Auch, wenn er es selbst wohl leugnen würde. xD
Und Greg wird wohl noch etwas misstrauisch bleiben, immerhin ist er nicht dumm und weiß, dass jemand wie Mycroft nie etwas "nur so" machen würde.
Wir sich das genau weiterentwickeln wird, wird sich noch zeigen~

Liebe Grüße
Von:  Sensenmann
2018-05-13T11:48:26+00:00 13.05.2018 13:48
Hallo!
Entschuldige, ich komme immer in Verzug mit dem Kommentieren.

Wieder ein sehr gelungenes Kapitel :). Ich wäre an Gregs' Stelle auch erst einmal irritiert gewesen, wenn
Mycroft Holmes plötzlich in meinem Pub auftauchen würde. Denn der passt da ja nicht so ganz rein, wenn
man dessen übliche Umgebung anschaut :D. Die Überraschung ist also durchaus nachvollziehbar.

Gregs' Frage nach der Lederjacke XD Da musste ich selbst kurz lachen. Mycroft wird sich da wohl auch seinen
Teil gedacht haben.

Beide hast du wieder perfekt und in character dargestellt :)
Ein wenig kann man Lestrades' Reaktion ja schon nachvollziehen. Für ihn wirkt Mycroft wohl komplett emotionslos...
Er kann ja schlecht wissen, dass die beiden Brüder und Molly einen geheimen Plan ausgeheckt hatten, um Sherlock
zu retten.

Hoffentlich klärt sich das noch auf.

Man liest sich :)
Antwort von:  NightcoreZorro
13.05.2018 15:14
Hallo zurück!
Ist ja überhaupt nicht schlimm, man hat ja nicht immer Zeit, es gibt ja noch so etwas ominöses, dass sich reales Leben nennt. xD

Ich muss zugeben, bei der Sache mit der Lederjacke saß ich auch breit grinsend vor dem Laptop und kam um ein kleines Kopfkino nicht herum.

Warten wir ab, wie lange Greg ihn noch für emotionslos hält und wann das altbekannte Eis bricht. (:
Von:  Sensenmann
2018-05-03T06:10:44+00:00 03.05.2018 08:10
Alleine der Titel des Kapitels ist Gold wert :'D!

Irgendwie ist es ja creepy, dass Mycroft mir nichts, dir nichts jeden einzelnen Bürger von London beschatten lassen kann. Andererseits finde ich es extrem süß, dass er sein Versprechen gegenüber Sherlock penibelst einhält. Nicht nur bei John Watson, sondern auch bei Mrs Hudson :).
Wollen wir für ihn nur mal hoffen, dass John sich wieder fängt und Mycroft das nicht selbst in die Hand nehmen muss ;)

Greg tut mir wirklich leid. Erst die Probleme mit deiner Frau, die Scheidung und dann begeht Sherlock auch noch augenscheinlich einen selbst. Vollkommen verständlich, dass er da mit den Nerven am Ende ist. :(

Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel! :)

Antwort von:  NightcoreZorro
03.05.2018 11:03
Ich konnte mir diese Redewendung bei Mycroft einfach nicht verkneifen. :D

Und Mycroft hofft das selbe wie du, hat er jetzt doch schon genug mit Greg zu tun, um herauszufinden, ob dieser auch in seinen "Aufgabenbereich" fällt. xD Man will ihn zwischenmenschlich doch nicht überfordern. :D

Man liest sich dann beim nächsten Kapitel!
Von:  Sensenmann
2018-05-02T16:53:57+00:00 02.05.2018 18:53
Hallo :D

Ich freue mich, dass du an diesem Wettbewerb auch teilnimmst! Es ist wirklich sehr interessant und mal etwas anderes Fanfiktions aus Mycrofts Sicht zu lesen :)!

Ich mag den Wechsel zwischen seinem ehe kalten und abweisenden Pokitiker und dem warmen und fürsorglichen Bruder, wenn es um Sherlock geht.

Ich bin sehr gespannt, welche Richtung die Geschichte einschalten wird!

LG
Antwort von:  NightcoreZorro
02.05.2018 19:00
Hallo zurück!

Bei dem Wettbewerb konnte ich einfach genauso wenig widerstehen, wie bei dem anderen. Wobei mir auch hier die Entscheidung schwer fiel, für was ich mich entscheide. Am Liebsten hätte ich alles der Reihe nach abgearbeitet. xD Letztlich habe ich mich dann aber doch hierfür entschieden. Writing Prompts sind schon was tolles. :3

Und es freut mich, dass ich den Wechsel zwischen seinen Einstellungen unterschiedlicher Menschen gegenüber gut rüberbringe.
Liebe Grüße. (:


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